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Noch immer befindet sich das magische Schwert Unaktal in den Händen des gotonischen Adligen Erwech, der immer mehr zu einer Marionette des finsteren Ordens der Gobarem wird. Während Erwech endlich die Macht in Gotonien ergreifen will, streben die Gobarem nach Höherem: Erst soll das benachbarte Evidanien mit Feuer und Schwert unterworfen werden - dann ganz Abladur! Als der Kampfbund der Dunak tor endlich ein Heer aufstellt, um Erwech Einhalt zu gebieten, scheint es fast zu spät sein. Nun ruhen alle Hoffnungen auf den Kampfmeister Godered und seinen Mistreitern ... Band 2 der Fantasyreihe rund um die magische Rüstung Amboreg.
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Seitenzahl: 512
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Für meine Mutter
Inhalt
Dramatis Personae
Kapitel 1: Kerker
Kapitel 2: Schiandell Adlersteige
Kapitel 3: Goderech
Kapitel 4: Tabubruch
Kapitel 5: Anfang vom Ende
Kapitel 6: Das Wiedersehen
Kapitel 7: Widerstand
Kapitel 8: Grünheim
Kapitel 9: Lanasch
Kapitel 10: Entscheidung
Übersicht über die Völker
Die Ränge der Dunak tor und Priester
Karte Gotonien
Karte Ahlorenreich
Karte Evidanien
Glossar
Dramatis Personae
Godered
Dunak tor,
Rotrot-
Meister, Gotone
Lanaris Navad
Dunak tor,
Rotgelb
-Meisterin, Evidanierin
Scholell
Dunak tor,
Rotorange-
Meister, Ahlore
Brinok
Dunak tor, Schülergrad
Blau,
Barkländer,
Bastide
Teraal
Dunak tor, Schülergrad
Grün,
Motavier
Lanna
Priesterschülerin, Rogarländerin
Loguhn
Gobarem, Rang:
Madag,
Evidanier
Gesagas
Dunak tor, Schülergrad
Grün,
Gotone
Armenrud
Dunak tor, Schülergrad
Orange,
Gotone
Allell
Dunak tor, Schülergrad
Orange,
Ahlore
Kiranell
Dunak tor,
Rotrot-
Meister, Ahlore
Liumand
Dunak tor,
Rotviolett-
Meister, Gotone
Darach
Söldnerhauptmann, Barkländer, Bastide
Goderech 34
König, Gotone
Bramond
Beamter, Gotone
Frared
Dunak tor, Schülergrad
Rot,
Gotone
Sadech
Beamter, Gotone
Theuheld 30
Königsanwärter, Gotone
Antheld 26
Königsanwärter, Gotone
Reccwech 38
der Mittlere
Königsanwärter, Gotone
Braguld 29
Königsanwärter, Gotone
Armenhord 28
Königsanwärter, Gotone
Siseguld 26
Königsanwärter, Gotone
Frawech 27
Königsanwärter, Gotone
Gesaroch 31
der Älteste
Sohn des
Köans
Gesaroch 30, Gotone
Liugunde
jüngste Tochter von Witrech 28 dem
Mittleren,
Gotonin
Erwech 36
Königsanwärter, Gotone
Misandell
Dunak tor,
Rotrot-
Meister, Ahlore
Befehlshaber des
Gratan
heeres
Bafido Eladi
Dunak tor,
Rotrot-
Meister, stellvertretender
Heerführer des
Gratan
heeres, Ostiede
Sionor
Dunak tor,
Rotrot
-Meister, Ahlore
Sanarohn
Rotblau
-Priester, Ahlore
Gohan
Dunak tor, Schülergrad
Weiß,
Barkländer
Ernwic
Dunak tor, Schülergrad
Blau,
Rogarländer
Avanor
Dunak tor, Schülergrad
Gelb,
Ahlore
Rikan Ofollo
Dunak tor, Schülergrad
Grün,
Ostiede
Istani Ofollo
Dunak tor, Schülergrad
Orange,
Ostiede
Athagis
Bote, Gotone
Rahila
Eheweib von Erwech, Gotonin
Ganara
Tochter von Lanaris Evidad, Evidanierin
Inarieke
Kindermädchen von Ganara, Evidanierin
Das Jahr 252 n. A. A. (nach Ankunft der Ahloren)
Silbernes Mondlicht fiel durch das hoch gelegene kleine Fenster herein und zeichnete ein bizarres Muster auf die unebenen Steinplatten der Gefängniszelle. Godered lag auf einem Bett und starrte die Eisengitter an, die vor dem Fenster angebracht waren. Er hasste es, eingesperrt zu sein, und hätte schon längst einen Fluchtversuch unternommen, wenn sich seine Gefährten nicht ebenfalls in diesem Kerker befunden hätten. Er selbst war in eine Ehrenzelle gesteckt worden, die über allerlei Annehmlichkeiten verfügte, man hatte ihm sogar vorzügliche Speisen und Getränke auf den Tisch gestellt. Doch wie sollte er auch nur einen einzigen Bissen herunterbekommen in Anbetracht dessen, was hier vor Kurzem vorgefallen war?
Durch ein göttliches Los war er, ein Dunak tor-Kampfmeister des höchsten Grades, dazu bestimmt worden, eine Gruppe bestehend aus fünf Kriegern und einer Priesterschülerin in sein verhasstes Heimatland Gotonien zu führen. Er hatte den Auftrag, das magische Schwert Unaktal aufzustöbern, das seinen Besitzer dazu befähigte, jeden Gegner im Kampf zu töten. Nun, das Schwert hatte er gefunden, denn der Königsanwärter Erwech trug es an seinem Waffengürtel, doch anstatt es ihm abgenommen zu haben, befand sich Godered nun in diesem Kerker.
Eigentlich hatte er sein Geheimnis, dass er ebenfalls ein Königsanwärter, ein sogenannter Köan, war, hüten wollen. Als Sechzehnjähriger hatte er seine Familie und das Land Gotonien verlassen und war zu den Dunak tor gegangen, um sich den gnadenlosen Traditionen seines Volkes und der Brutalität seines Vaters zu entziehen. Doch nun hatte ihn seine Vergangenheit eingeholt. Seine intrigante Mutter hatte ihn erpresst und im Gegenzug für das Wissen, wer im Besitz des magischen Schwertes war, von ihm verlangt, dass er in Gotonien unter seinem wahren Namen, Reccwech der Älteste, auftrat. Zudem sollte er seine langen blonden Haare als Zeichen seines hohen Adels offen tragen und den prächtigen Gürtel anlegen, der seinen Stand ebenfalls bezeugte. Zähneknirschend hatte er eingewilligt.
Als Godered mit seinen Gefährten – dem Ahloren Scholell, dem Ostieden Atno und der rogarländischen Priesterschülerin Lanna – unter falschem Vorwand bei Erwech vorstellig geworden war, hatte Lanna die Gegenwart des magischen Schwertes gespürt und war in eine Art Trance gefallen. Da Erwech sich ihnen mit dem Schwert genähert hatte, hatte sich der junge Atno bedroht gefühlt und seine Waffe gezogen. Gleich darauf war auch noch Loguhn, ein angeblich abtrünniger Gobarem, in den Saal gestürzt und hatte sie enttarnt. Godered machte sich Vorwürfe, dass er den Gobarem zuvor mit sich hatte reiten lassen. Er hätte ihm besser bei ihrer ersten Begegnung die Kehle aufgeschlitzt. Der Evidanier hatte ihm eine bewegende Geschichte aufgetischt, doch es war nur eine verdammte Lüge gewesen! Godered war der Laruell, der Anführer seiner Muriaten, und trug die Schuld an diesem Desaster. Es war sein Versagen.
Godered haderte mit sich. Er war eigentlich ein Einzelkämpfer und mied die Gesellschaft anderer Menschen. Niemals hatte er ein Laruell werden wollen. Und nun waren ihm seine Muriaten entgegen seiner Erwartung sogar auf eine gewisse Weise vertraut geworden, und er fühlte sich für sie verantwortlich.
Es war ihm ein kleiner Trost, dass wenigstens nicht alle Muriaten in Gefangenschaft geraten waren. Den Motavier Teraal, den Barkländer Brinok und die Evidanierin Lanaris hatte er in der Nähe von Erwechs Burg zurückgelassen. Eigentlich hatten sie den Evidanier Loguhn bewachen sollen, der ihnen jedoch offensichtlich entwischt war. Hoffentlich hatte Lanaris die Anweisung befolgt, bei Schwierigkeiten unverzüglich zur sicheren Dunak tor-Kampfschule Adlersteige aufzubrechen.
Seit ihrer Gefangennahme waren seltsame Dinge geschehen. Erwechs verlockendes Weib Rahila hatte versucht, Godered zu umgarnen und für den finsteren Bund der Gobarem zu gewinnen. Sie hatte ihm sogar angeboten, ihm das Schwert zu geben, damit er ihren Gemahl töten konnte. Godereds Familie gehörte zu einem der verruchtesten Königsanwärtergeschlechter in Gotonien. Vielleicht hatte sie geglaubt, dass er keinerlei Skrupel besäße. Mit Unaktal in seiner Hand hätte er mit Leichtigkeit Erwech ermorden und anschließend Jagd auf den König machen können. Doch sie hatte sich in ihm getäuscht. Er wollte niemals König werden. Allein der Gedanke war ihm ein Graus, zumal die Mitglieder aller fünfunddreißig Königsanwärtergeschlechter nach dem Tabujahr, dem ersten Amtsjahr des Königs, traditionell die Jagd auf den König eröffneten. Wem es gelang, den König zur Strecke zu bringen, dem standen die Herrschaft und der Königsgürtel zu.
Godered hatte Rahilas Angebot auch deswegen abgelehnt, da den Gobarem nicht zu trauen war. Um ihn wenigstens dazu zu bringen, die Seiten zu wechseln, hatte man den jungen Ostieden Atno Gesadi gefoltert. Als Godered dessen Schreie nicht mehr ertragen hatte, hatte er um Bedenkzeit gebeten, und die Folterung war vorerst beendet worden.
Seitdem saß Godered hier und starrte auf das vergitterte Fenster. Sein eigenes Schicksal und das seiner Gefährten lag in seinen Händen.
Er atmete tief ein, denn er hatte einen Entschluss gefasst … einen Entschluss, bei dem sich sein Magen schmerzhaft zusammenzog. Er würde niemals die Seiten wechseln. Wenn sich herumspräche, dass ein Dunak tor-Kampfmeister des höchsten Grades so etwas getan hätte, um seine Gefährten und sich selbst zu schützen, würden die Gobarem nach diesem Muster munter weiterverfahren. Es tat ihm leid um Atno, Lanna und auch um den Ahloren Scholell, der ihm seit dem Verlassen der Hauptkampfschule Nurr Schiandell eine große Stütze gewesen war. Sie alle würden in dieser Burg sterben – und es würde gewiss kein schnelles Ende sein.
Godered wusste, wozu die Gobarem fähig waren. Bei einem Auftrag, der ihn vor acht Jahren zu ihrem Hauptsitz auf die rogarländische Insel Fil geführt hatte, war er als Sechsundzwanzigjähriger in ihre Fänge geraten. Sie hatten ihn gefoltert, und die zahlreichen Narben auf seinem Körper erinnerten ihn stets schmerzhaft daran. Die Feinde hatten ihn für tot gehalten, nur deshalb hatte er mit letzter Kraft von der Insel flüchten können.
Er war sich sicher, dass sie ihn als Letzten töten und zuvor zwingen würden, bei den Folterungen und Hinrichtungen der anderen zuzuschauen. Er würde große innere Stärke beweisen müssen, um bis zum Schluss nicht zu wanken. Niemals, niemals, niemals hätte das Los seinen Namen tragen dürfen. Es war nicht das erste Mal, dass er daran zweifelte, dass der Losentscheid tatsächlich göttlicher Wille war.
Godered hörte ein Geräusch auf dem Gang und setzte sich auf. Es war nur leise, verhieß dennoch nichts Gutes. Ein Schlüssel wurde herumgedreht, und Riegel wurden von der Zellentür fortgeschoben. Konnten sie ihm noch nicht einmal die vereinbarte Bedenkzeit lassen? Aber warum wurde die Tür so behutsam geöffnet? Goldenes Licht leuchtete auf, und eine Laterne wurde hereingetragen von … Loguhn!
Als Godered den jungen brünetten Evidanier sah, befiel ihn augenblicklich unbändiger Zorn. »Loguhn!«, zischte er und sprang auf.
»Gib mir deinen Gürtel!« Der Evidanier streckte ihm fordernd die Hand entgegen.
Hinter Loguhn tauchten zwei Soldaten auf. Sie wirkten außerordentlich nervös.
»Hol ihn dir doch!« Godered lauerte darauf, dass sich der Gobarem ihm näherte. Den Tod hatte der Hund verdient!
Loguhn trat einen Schritt zurück. »Du verkennst die Situation!«
»Was gibt es da zu verkennen? Du bist von Brinok, Lanaris und Teraal geflohen und direkt zur Burg geeilt, um uns an Erwech zu verraten. Und jetzt willst du dir auch noch deinen Anteil an der Beute sichern! Komm näher, dann werde ich dich mit dem Gürtel erdrosseln!«
»Godered, ich sage es erneut: Du verkennst die Situation! Ich will euch zur Flucht verhelfen.« Loguhns Stimme klang eindringlich, gar ein wenig verzweifelt.
»Befreien? Hör auf zu lügen!« Godered konnte seinen Zorn kaum bändigen.
»Ich will den Juwelengürtel nicht für mich. Ich habe ihn diesen beiden Wachen als Belohnung versprochen, wenn sie mich unterstützen.«
Der Dunak tor fühlte sich verspottet. »Ich glaube dir nicht. Was für ein übles Spiel treibst du diesmal?«
»Kein Spiel! Ich schwöre es dir! Und selbst wenn du an mir zweifelst, gehst du kein Risiko ein. Das, was du mir an schlimmen Taten zutraust, kann nicht schrecklicher sein als das, was euch hier in diesem Gemäuer erwartet.«
In Godered sträubte sich alles dagegen, ihm zu glauben. Dieser Evidanier hatte ihn maßlos enttäuscht. »Du hast uns verraten!«
»Das ist nicht wahr! Godered, erinnere dich! Als ich in Erwechs Thronsaal kam, hattet ihr euch bereits selbst entlarvt.«
»Dein Erscheinen in Erwechs Burg hatte aber keinen anderen Zweck, als uns zu enttarnen.«
»Doch, hatte es! Ich werde es dir erklären, aber nicht hier. Wir haben keine Zeit und müssen schleunigst verschwinden! Wenn du die anderen retten willst, wirst du das Wagnis schon eingehen müssen.« Loguhn leckte sich nervös die Lippen.
Zu verlieren hatte Godered in der Tat nichts. Und falls Loguhn log, wurde ihm die Möglichkeit geboten, ihn dafür zu bestrafen. »Also gut.« Er nahm seinen kostbaren Gürtel ab und gab ihm dem Evidanier.
»Die Wachen wollen auch noch dein edelsteinbesetztes Hemd, weil es ebenfalls ein Vermögen wert ist.« Loguhn überreichte ihm stattdessen ein schlichtes schwarzes Hemd.
Godered nahm es entgegen, begab sich in eine düstere Ecke, damit der Gobarem seine vielen Narben nicht sehen konnte, zog sich um und warf ihm das blutrote Hemd zu.
Loguhn lächelte erleichtert, ging beiseite und ließ Godered den Vortritt.
Auf dem Gang schauten sich die Wachen ungeduldig um. »Na los, macht schon!«, forderte der eine barsch. »Wir müssen so schnell wie möglich aus der Burg verschwinden!«
Loguhn gab ihnen die gewünschten Kostbarkeiten. Dafür bekamen Godered und er jeweils ein Schwert mit Waffengürtel und zwei Gepäckstücke. Erstaunt stellte Godered fest, dass er seine eigenen Sachen in den Händen hielt.
Der Evidanier hielt das andere Gepäckstück und ein Schwert empor. »Das gehört Scholell. Für Lanna und Atno habe ich allerdings nichts. Mehr konnte ich nicht entwenden. Aber ich denke, der Ostiede wird zum Kämpfen ohnehin zu schwach sein.«
Rasch gürtete sich Godered die Waffe um, hängte sich den Ledersack über die linke Schulter und zog sein Schwert. Jetzt fühlte er sich wesentlich besser. Doch ein flaues Gefühl im Magen blieb, zumal Loguhn nun ebenfalls bewaffnet war. Er konnte Loguhns Beweggründe nicht verstehen und vermutete ein abgekartetes Spiel. Vielleicht hoffte er darauf, dass sie ihm etwas anvertrauten, und anschließend würde er sie wieder an die Gobarem übergeben. Oder es diente einfach nur dazu, die Gobarem zu erheitern, ihm einen Knochen hinzuwerfen, nur um ihm diesen später wieder fortzunehmen.
»Los jetzt!«, drängte ein Soldat und winkte sie voran. Er führte sie zu einer Tür, entriegelte und öffnete diese, während der andere Soldat den Augenblick nutzte, um die wertvolle Beute zu bestaunen. Wenn sie den Gürtel und die aufgenähten Edelsteine des Hemdes verkauften, hätten sie ausgesorgt und könnten fernab von Erwechs Hegemonie ein neues Leben in Wohlstand führen.
Der Soldat zog die Tür auf und leuchtete mit seiner Laterne in die Zelle hinein. »Holt den Algenfresser!«
Godered zögerte. Seine Hand umfasste den Schwertgriff, als er am Soldaten vorbeiging.
Mitten in der Zelle stand Scholell. »Godered?« Der Ahlore war überrascht, und seine violetten, leicht schräg gestellten Augen weiteten sich. Der Schein der Lampe ließ die goldenen Perlenreihen seiner dreistufig geschnittenen Haare glitzern.
Als Loguhn eintrat, zuckte Scholell leicht zusammen und starrte daraufhin Godered irritiert an.
Godered ließ sich Scholells Schwert und Gepäck geben und überreichte es dem Ahloren. »Das gehört dir.«
»Ja, tatsächlich. Was … was geht hier vor sich?« Scholell zögerte einen kurzen Moment, gürtete sich aber gleich darauf sein Schwert um und hängte sich den Rucksack über die Schulter.
»Nun, so ganz verstehe ich es auch noch nicht. Aber glaube mir, mit einer Waffe und einer offenen Gefängnistür fühlt man sich schon viel besser. Komm! Angeblich will Loguhn uns zur Flucht verhelfen.«
»Angeblich?«, fragte Scholell.
»Ich verhelfe euch bereits zur Flucht!«, versicherte Loguhn eindringlich.
Nachdem sie die Zelle verlassen hatten, wurde die Tür wieder verschlossen. Die Soldaten führten sie zum nächsten Kerker und öffneten auch diesen. Godered verlangte von Loguhn eine Laterne und ging damit in das Verlies, während Scholell vorsichtshalber draußen beim Evidanier blieb.
Die fünfzehnjährige Priesterschülerin Lanna saß zusammengekauert auf dem Stroh, und als sie aufblickte, sah Godered, dass ihr Gesicht vor Nässe glänzte. Direkt neben ihr lag Atno. Der Umhang, der ihn bedeckte, war mit Blut durchtränkt.
»Godered?«, fragte Lanna ungläubig und schob sich zwei ihrer vier blonden Zöpfe über die Schultern zurück.
»Was ist mit Atno?« Godered kniete sich neben ihn, stellte die Laterne auf den Boden und legte seinen Rucksack daneben. Als er das wachsartige Gesicht sah, musste er hart schlucken, und etwas schrie in ihm auf.
»Es waren zu viele Wunden. Ich konnte die Blutungen nicht stoppen. Ich wusste einfach nicht, wie.« Sie begann zu schluchzen.
Godered ging zu ihr und half ihr sachte auf die Beine. Augenblicklich vergrub sie ihr Gesicht an seiner Brust und weinte bitterlich. Diese vertrauliche Geste verunsicherte ihn, und er brachte es nicht fertig, sie tröstend zu umarmen. »Du bist sehr tapfer, Lanna. Und auch jetzt musst du Mut beweisen, denn wir wollen fliehen.«
»Fliehen?«, hauchte sie und wischte sich die Nässe von den Wangen.
»Ja.«
»Für Atno ist es zu spät.«
»Ja. Geh bitte hinaus. Dort wartet Scholell.«
Sie nickte und tat, wie er ihr geheißen hatte.
Godered kniete sich erneut neben Atno und zog den Umhang fort. Der nackte Oberkörper des siebzehnjährigen Ostieden war mit entsetzlichen Schnitten und Stichen übersät. Sie hatten heftig geblutet und bestimmt waren Organe verletzt worden. Die Folterknechte waren Stümper gewesen.
Aus seinem Gepäck holte Godered eine Rolle festes Garn heraus und trennte ein Stück davon ab. Behutsam schnitt er eine breite Strähne von Atnos schwarzem Haar ab, band sie zusammen und ließ diese in seinem Gepäck verschwinden.
»Ich hätte eher um Bedenkzeit bitten sollen … Es tut mir leid. Der Weltenschöpfer sei deiner Seele gnädig.« Er deckte Atno mit dem Umhang zu und verließ die Zelle.
»Na endlich! Wir müssen schleunigst weg von hier!«, blaffte einer der Soldaten und verschloss die Tür wieder, um die Flucht ein wenig länger zu vertuschen.
Scholell umarmte Lanna und strich ihr tröstend über das Haar. Wehmütig blickte er Godered an.
»Kommt!«, forderte Loguhn sie auf. Er ging einige Schritte voran und wandte sich zu ihnen um. »Kommt endlich!«
Sie eilten den Gang zurück und die Treppe empor. Dort gaben die Wachen Loguhn einige Schlüssel und trennten sich von ihnen.
Bevor der Evidanier die Tür aufschloss, die ins Freie führte, löschte Godered seine Laterne und ließ sie in einer unauffälligen Nische zurück.
Draußen schlug Godered frische Luft entgegen, doch aufatmen konnte er nicht, denn die Gefahr war noch nicht gebannt.
Der Mond schenkte ihnen ausreichend Licht, und es war niemand zu sehen. Loguhn führte sie dicht an einer hohen Mauer entlang. Die Burg wirkte fast wie ausgestorben, selbst die Wachtürme waren verwaist. Vielleicht holten die Burgbewohner den Schlaf nach, denn die vergangene Nacht war recht turbulent gewesen. Im Hof und vor der Burg hatten lautstark Krieger kampiert, die Erwech zu sich gerufen hatte. Mit viel Radau waren die Soldaten gestern Morgen aufgebrochen. Erwech befand sich nun auf dem Weg zur Machtburg, mit dem Ziel, neuer König zu werden.
Godered beobachtete Loguhn genau, er würde ihn augenblicklich töten, wenn er sie in eine Falle führen und plötzlich Soldaten aus einem Versteck hervorkommen sollten.
Der Gobarem brachte sie zu einer schmalen, unscheinbaren Tür in der Burgmauer. In einer finsteren Ecke lagen mit Blut besudelte Soldaten, deren Kehlen durchtrennt worden waren. Lanna schlug sich die Hände vor den Mund, um ihren Aufschrei zu ersticken. Godered ließ der Anblick der Wachen hingegen kalt, und er fragte sich, ob Loguhn die Soldaten allein getötet hatte. Wenn dem so war, dann war er gefährlich, und er durfte ihn nicht eine Sekunde aus den Augen lassen.
Der Evidanier zog die Schlüssel hervor und probierte sie aus. Als sie nicht sogleich passten, wurde er etwas hektisch, und seine Hände zitterten. Endlich hatte er die drei Schlösser geöffnet. Godered half ihm, den schweren Balken zu entfernen, und öffnete die Tür. Der Weg in die Freiheit! Vor ihnen erstreckte sich eine Wiese, und dahinter befand sich ein Wald, in dem sie Deckung finden konnten. Sie verließen die Burg und warteten auf Loguhn, der die Tür wieder verschloss.
Anfangs schlichen sie in geduckter Haltung, doch bald darauf rannten sie über die freie Fläche. Auf halbem Weg wandte sich Godered zur Burg um. Lediglich hinter zwei Fenstern brannte Licht. Hoffentlich schaute nicht gerade jemand heraus und entdeckte sie. Dann würde ihre Flucht rasch beendet sein. Er rannte weiter in Richtung Wald und holte alsbald Lanna ein. Er packte sie am Arm und zog sie mit sich. Endlich hatten sie den schützenden Wald erreicht.
Unverzüglich ließ Godered sein Gepäck fallen und stieß den Evidanier gegen einen Baum. Er fasste ihm mit der Rechten an die Kehle und drückte zu. »Ich will eine Erklärung! Sofort! Was geht hier vor sich?«
»Wir haben keine Zeit!« Der Evidanier rang nach Luft.
»Wir gehen erst weiter, wenn mir dein Verhalten einleuchtet!« Godered verspürte den Wunsch, Loguhn heftige Schmerzen zuzufügen.
Der Evidanier japste, und Godered lockerte den Griff ein wenig. »Sprich!«
»Ich log, als ich dir damals in der Herberge erzählte, dass ich in meiner nächsten Gobarem-Prüfung einem Kind Leid zufügen sollte. Ich behauptete es, um dein Herz zu erweichen … in der Hoffnung, dass du eines hast … Meine wirkliche Aufgabe war es, euer Vertrauen zu gewinnen und euch bei einer günstigen Gelegenheit zu verraten. Doch ich schwöre, dass mein Überlaufen nach dem Angriff auf deine Muriaten nicht vorgetäuscht war. Ich wollte die Gobarem verlassen und nutzte die Gunst der Stunde. Ich will nie wieder zu ihnen zurück, denn sie gehen einen überaus dunklen, brutalen Weg, den ich nicht weiter beschreiten möchte. Alles andere, was ich dir in der Herberge erzählt habe, ist die Wahrheit. Ich schwöre es! Ich hasse die Gobarem zutiefst und habe euch deshalb zur Flucht verholfen. Erwech und die Gobarem müssen unbedingt aufgehalten werden. Wenn sie die Macht übernehmen, wird das, was Atno widerfahren ist, alltäglich sein. Das darf niemals geschehen.«
»Schwüre kommen dir ziemlich leicht über die Lippen. Das weckt nicht gerade mein Vertrauen. Und jetzt will ich hören, warum du Lanaris’ Gruppe verlassen und in der Burg verkündet hast, dass wir Dunak tor sind.«
»Das, was ich dir jetzt sage, wird in deinen Ohren wie eine Lüge klingen, dennoch ist es wahr: Ich betete zum Erhalter und habe um eine Chance gebeten, ihm und auch euch meinen Sinneswandel zu beweisen. Dann – es erscheint mir selbst unglaublich und wie ein Wunder – überkam mich ein bedrückendes Gefühl, dass ihr in Gefahr seid. In der Burg deiner Mutter habe ich ein kleines Messer eingesteckt, denn ich hasse es, unbewaffnet zu sein. Damit schnitt ich in einem günstigen Augenblick die Stricke durch, mit denen mich Brinok an einen Baum gefesselt hatte. Ich schwang mich auf ein Pferd und floh sofort über eine freie Fläche zur Burg. So konnte ich mir sicher sein, dass mir Lanaris, Brinok und Teraal nicht folgen, da sie sogleich entdeckt worden wären. Bei Erwechs Leuten gab ich mich als Gobarem zu erkennen und forderte, unverzüglich vorgelassen zu werden. Du musst es doch noch wissen: Als ich in den Saal kam, hatte Atno bereits seine Waffe gegen Erwech gerichtet! Darum war es kein Geheimnis mehr, als ich Erwech sagte, dass ihr Dunak tor seid. Aus eurer Sicht muss es jedoch wie eine Denunzierung gewirkt haben. Da mir als Gobarem und nach meinem angeblichen Verrat vertraut wurde, konnte ich mich daraufhin ziemlich ungehindert in der Burg bewegen und euch schließlich befreien. Godered, ich habe niemandem gesagt, dass Lanaris und die anderen in der Nähe waren. Das ist die Wahrheit. Wir müssen jetzt unbedingt weiter, denn die Feinde werden uns bald ihre Hundemeuten hinterherhetzen. Bitte!«, flehte er.
Godered konnte fühlen, dass der junge Evidanier zitterte. War es Furcht vor dem Rotrot oder vor den baldigen Verfolgern? »Trotz allem weiß ich nicht, wie du dich verhalten hättest, wenn wir bis dahin in Erwechs Augen keine Gefahr gewesen wären.«
»Ich wollte behaupten, dass ich eine dringende Botschaft von den Gobarem für ihn hätte.«
»Welchen Inhalts?«, bohrte Godered weiter.
»Dass Dunak tor auf dem Weg zu ihm seien und in ein paar Tagen bei ihm eintreffen würden. So hätte er zumindest nicht euch in Verdacht gehabt. Bitte glaube mir!«
»Wir müssen weg von hier!«, drängte Scholell.
Vielleicht sollte Godered den Evidanier auf der Stelle töten. Dann war es nicht mehr von Bedeutung, ob er ein Verräter war
oder nicht. Godereds Hand legte sich um den Griff seines Dolchs.
»Ich denke, er spricht die Wahrheit«, sagte Scholell eindringlich, dem offensichtlich nicht entgangen war, dass der Gotone seine Waffe zücken wollte. »Komm, Godered, wir müssen von hier verschwinden!«
Godered zögerte, dann bleckte er kurz die Zähne. »Sobald ich den geringsten Verdacht habe, dass du uns in eine Falle führst, bist du tot!«, drohte er dem Evidanier und trat von ihm zurück.
Loguhn atmete hörbar auf und fasste sich erleichtert an seine Kehle.
»Du führst uns!«, sagte Godered zum Ahloren, denn ihm war schon vor einiger Zeit aufgefallen, dass Scholell im Dunkeln recht gut sehen konnte.
Scholell nickte knapp und leitete die kleine Gruppe sicher durch das Unterholz, wählte einen Weg, der für Berittene schlecht oder gar nicht zu bewältigen war.
Lannas Atem wurde nach einiger Zeit pfeifend, aber sie lief tapfer weiter. Schließlich presste sie den Arm in ihre Seite und konnte den Männern kaum noch folgen.
»Kontrolliere deine Atmung! Versuche, vermehrt auszuatmen!« Godered war stehen geblieben und schaute zu ihr zurück.
Sie keuchte immer lauter und stolperte nur noch voran.
»Wir haben keine Zeit, eine Pause zu machen und darauf zu warten, bis es ihr besser geht«, stieß Loguhn besorgt hervor.
»Nein, haben wir nicht!«, zischte Godered. Er drückte Loguhn sein Gepäck in die Hände, schnappte sich die erschreckte Lanna, warf sie sich wie einen Mehlsack über die Schulter und eilte voran. »Sieh zu, dass du dich erholst. Du bist schwerer, als du aussiehst.«
Der Ahlore bedauerte es, dass seine Begleiter nicht so gut im Dunkeln sehen konnten wie er, dann würden sie wesentlich schneller vorankommen. Diese Fähigkeit verheimlichten die Ahloren zwar den Menschen, aber er glaubte, dass Godered dies erkannt und ihn deshalb vorangeschickt hatte.
Während sie durch den Wald hasteten, holten sich seine Begleiter zahlreiche Kratzer von Büschen und Bäumen. Loguhn strauchelte sogar mehrmals und stöhnte laut auf, als ihm ein Spinnengewebe im Gesicht hängen blieb. Eilends wischte er es mit seinem Ärmel fort. »Was war das?«
»Ich denke, ein Netz der Roten Baumspinne. Es verursacht brennende Schmerzen. Die Spinne ist aber äußerst selten«, sagte Godered. Sein Atem ging keuchend, da er noch immer Lanna trug.
»Und dann erwischt es ausgerechnet mich?«, beschwerte sich Loguhn und sog die Luft zwischen den Zähnen hindurch, als er seine Wange berührte.
»Vielleicht wurde sie auf Gobarem abgerichtet«, entgegnete Godered.
Sollte das etwa ein Scherz gewesen sein? Scholell lächelte in sich hinein.
Auf einmal setzte Godered die Priesterschülerin ab. »Scholell, warte!«
Der Ahlore blieb stehen und lauschte. »Ich höre es auch.«
»Was hört ihr?«, fragte Loguhn, während er noch immer vorsichtig sein Gesicht betastete.
»Hunde!«, stieß Scholell hervor.
»Sie haben unsere Flucht also bereits bemerkt«, sagte Loguhn beunruhigt. »Viel zu rasch!«
»Leider.« Godered klang besorgt. »Ich schätze, diese Hunde sind keine gewöhnlichen Jagdhunde, sondern Hastros – schmerzunempfindlich, besonders groß und extrem bissig. Unsere Verfolger werden sie bald von der Leine lassen und darauf vertrauen, dass sie uns erlegen und die Männer dann nur noch unsere zerfetzten Leiber einzusammeln brauchen. Lanna, geht es wieder?«
»Ja.« Das Mädchen starrte angstvoll in Richtung Gebell.
Hastros – vor diesen Bestien hatte Scholell wahrlich Respekt.»Kommt!«, drängte er, und gemeinsam rannten sie weiter.
Als er vergaß, die anderen vor einer Wurzel zu warnen, stolperte Lanna sogleich darüber und konnte ihren Sturz gerade noch abfangen. Für die Menschen musste die Flucht durch den Wald ein fast blinder Lauf im fahlen Mondlicht sein. Sie waren langsam, viel zu langsam. O nein! Nun keuchte Lanna schon wieder, wurde erneut von schlimmen Seitenstichen geplagt.
»Ausatmen, Lanna!«, forderte er sie auf. Doch es schien nicht zu helfen. Das pfeifende Geräusch wurde immer lauter, und sie schleppte sich in gebeugter Haltung voran.
Das widerliche Gekläff kam näher.
»Halt!«, rief Godered, als sie eine kleine Lichtung erreichten.
Überrascht blieb Scholell stehen. »Was ist?«
»Die Hunde werden uns bald einholen. Wir müssen uns ihnen stellen«, beschloss Godered.
»Ja, hier ist das Licht besser, da keine Bäume den Mond verdunkeln. Kämpfen wir gegen die Bestien!«, stimmte Loguhn zu.
Auch Scholell war einverstanden und ließ Lanna am Rand der Lichtung einen Baum hinaufklettern, wo sie vor den Hastros sicher war. Er legte das Gepäck beiseite und zog sein Schwert. Die anderen Männer zückten ebenfalls ihre Waffen.
»Wie viele werden es wohl sein?« Loguhn starrte in den finsteren Wald. Das leichte Zittern in seiner Stimme offenbarte Angst.
»Manche Köans senden nur ihre drei wildesten Hunde aus, andere lassen bis zu zehn laufen. Vom Gebell her vermute ich, dass es etwa sechs sind.« Godered klang gefasst und rückte vom Evidanier ab, um mehr Platz zum Kämpfen zu haben.
»Also zwei für jeden.« Loguhn holte tief Luft. »Ich habe einmal gesehen, wie Gobarem eine dieser gotonischen Bestien auf einen angeblichen Feigling gehetzt haben. Das war kein schöner Anblick.«
»Vielen Dank! Das war genau die Aufmunterung, die ich jetzt gebraucht habe«, stieß Scholell mürrisch hervor. Er blickte kurz zu Lanna empor. Sie saß auf einem dicken Ast und umklammerte den Baumstamm. Ihre Lippen bebten vor Angst, nein, sie bebten nicht, Lanna betete.
Er schaute wieder in Richtung des widerlichen Gebells. Die Pfoten trommelten auf den Waldboden. Immer näher kamen die Hastros. Dann konnte er sie sehen. Wie schwarze Ungeheuer brachen sie aus dem Unterholz hervor. »Sieben! Es sind sieben!« Scholell atmete stoßartig aus und hob sein Schwert an. Sein Herz hämmerte ihm bis zu den Ohren.
Eines dieser Monstren hielt direkt auf ihn zu und setzte zum Sprung an. Blitzschnell wich der Ahlore dem Tier aus und schlug ihm sein Schwert tief in den Hals. Blut schoss pulsierend heraus. Das Tier fiel zu Boden, kroch aber weiter auf ihn zu, während es verblutete. Scholell wich zur Seite aus, doch schon war ein weiterer Hastro zur Stelle und schnappte nach ihm. Scholell hechtete zurück, erwischte ihn aber nur mit der flachen Seite seines Schwertes. Das Tier jaulte noch nicht einmal vor Schmerz, sondern zeigte sich vollkommen unbeeindruckt. Was für ein Ungeheuer! Der geifernde Hund fletschte die Zähne, sodass die langen Reißzähne zu sehen waren, und sprang auf ihn zu. Der Ahlore hieb ihm sein Schwert in die Seite, und das Tier wurde zu Fall gebracht, doch es rappelte sich sofort wieder auf, noch wütender als zuvor. Wie konnte das sein? Nochmals hieb Scholell nach ihm und verpasste ihm eine weitere tiefe Wunde, aber auch diese schien das Tier nicht zu spüren. Scholell drohte, in Panik zu geraten. Der Hastro sprang ihn erneut an und riss ihn zu Boden. Dicht neben Scholells Ohr schnappte das widerliche Gebiss zu. Er konnte den heißen Atem spüren, und stinkender Geifer spritzte auf ihn. Gleich würde das Vieh ihm das Gesicht wegreißen oder die Kehle zerfetzen. Der Ahlore rang nach Luft, der Hund war so verdammt schwer. Vergeblich tastete er nach dem Schwert, das er fallen lassen hatte, auch an seinen Dolch kam er nicht heran. Schützend hielt er sich den Arm vor das Gesicht. Der Hund schnappte zu, doch bevor er mit voller Kraft zupacken konnte, ging ein gewaltiger Ruck durch das Tier. Es fiel zur Seite und riss dabei ein Stück aus Scholells Unterarm heraus. Hastig kroch Scholell rückwärts und rappelte sich auf. Seine Knie fühlten sich butterweich an, und er hatte Angst, dass seine Beine unter ihm nachgaben.
Godered war ihm zu Hilfe gekommen, hatte dem Tier das Schwert weit in den Körper geschlagen. Doch der Hund kroch wie ein unheimlicher Dämon wieder auf Scholell zu, setzte eine Vorderpfote vor die andere und zog seinen blutüberströmten Körper hinterher. Er röchelte und schnaufte und rückte noch weiter an Scholell heran. Der Ahlore fühlte sich wie in einem Albtraum gefangen. Warum starb das Monstrum denn nicht? Er verzweifelte, denn sein Schwert war direkt neben dem Hastro, und er konnte es nicht ergreifen. So riss er seinen Dolch aus der Scheide, doch schon rammte Godered dem Tier das Schwert in den Leib. Der Hastro versuchte noch immer, zu Scholell zu gelangen, fletschte seine Zähne, und seiner Kehle entwich ein abscheuliches Knurren. Aber dann erschlaffte er und blieb reglos liegen.
Schwer atmend starrte Scholell das Tier an, erwartete insgeheim, dass sich der Hastro wieder erhob, doch er rührte sich nicht mehr. »Beim Weltenschöpfer, was für ein Untier!«, stieß er hervor.
Er schaute sich um. Alle Hunde lagen leblos am Boden. Die meisten von ihnen waren enthauptet worden oder hatten einen Stoß ins Herz erhalten. Loguhn stöhnte qualvoll und hielt seine linke Hand empor. Ihm fehlten der kleine Finger und der Ringfinger.
Scholell gelang es, sich aus seiner Starre zu befreien, und nun spürte er deutlich seine Wunde am Arm. »Ich habe nur eines der Viecher erledigt«, brachte er heraus.
»So wie ich.« Loguhns Stimme war schmerzverzerrt.
»Godered! Wie hast du das nur vollbracht?« Scholell schaute seinen Laruell staunend an.
Der Gotone zuckte mit den Schultern. »Ich bin mit Hastros aufgewachsen und habe schon als Knabe gegen sie gekämpft«, sagte er fast gleichmütig.
Was hatte dieser Gotone nur für eine Kindheit gehabt? Scholell dachte kurz an sein idyllisches Zuhause in Nia Smaragdsee.
»Lanna, komm herunter, wir müssen weiter! Wir sind lange noch nicht in Sicherheit«, forderte Godered, stellte sich unter den Baum und streckte ihr einen Arm entgegen.
Während das Mädchen herunterkletterte, holte Scholell die Verbandstasche aus seinem Gepäck hervor, zog sich etwas zurück und wandte sich von den anderen ab. Im Mondlicht betrachtete er seine Fleischwunde am Unterarm. Scholell konzentrierte sich auf die Verletzung, stellte sich vor, wie die Blutungen verebbten und das Fleisch und die Haut nachwuchsen. Vorsichtig tupfte er mit einem Tuch um die Wunde herum. Er nickte zufrieden, als es aufhörte zu bluten. Sehr bald würde die vollständige Heilung einsetzen. Scholell trug die ahlorische Marisalbe auf und legte einen Verband an. Gleich darauf schluckte er eine kleine Pille, die ihm die Schmerzen nahm. Loguhn konnte er jedoch keine davon geben, da die Wirkung bei Menschen zu stark war und der Evidanier sogleich einschlafen würde. Dann eilte Scholell zu Loguhn und versorgte dessen Wunde. Das war nicht ganz einfach, denn der Evidanier konnte nicht aufhören zu zittern.
Als Scholell zu Godered schaute, sah er, dass er Lanna vom Baum half. Gleich darauf trennte der Gotone auch noch den restlichen Hunden die Köpfe ab, legte diese zusammen und zog allen weit die Zunge heraus.
»Was tust du da?«, fragte Scholell ein wenig verstört, und Lanna, die in seiner Nähe stand, wirkte entsetzt.
»Das ist eine Botschaft: Unsere Verfolger sollen wissen, dass auch sie sich zu fürchten haben. Der Morgen naht. Wir müssen uns so schnell wie möglich Pferde besorgen, denn es werden bestimmt weitere Suchtrupps folgen. Loguhn, kannst du weiter?«
»Ja«, presste der Evidanier hervor und kämpfte sich auf die Beine.
»Gut, dann los!« Godered wandte sich ab, schnappte sich seinen Ledersack und eilte voran.
Die anderen folgten ihm. Loguhn stöhnte trotz des schmerzstillenden Mariverbandes bei jedem Schritt. Scholell hingegen merkte von seiner Wunde fast gar nichts mehr und war erleichtert.
Das anfängliche träge Piepsen der Vögel schwoll zu einem lauten Gesang an, der sie auf ihrer Flucht begleitete. Einige Vögel stießen allerdings verräterische schrille Warnrufe aus, und Scholell hätte ihnen am liebsten den Hals umgedreht.
Vor ihnen kreuzte ein breiter Bach den Weg. Sie sprangen ins Wasser und folgten dem Gewässer eine Zeit lang, um weitere Spürhunde zu verwirren. Doch diese würden die Fährte dadurch sicherlich nur kurzzeitig verlieren und wieder aufnehmen können, sobald sie den Wasserlauf verließen.
Der Wald lichtete sich, und ein kleines Dorf kam in Sicht. Noch schienen die Bewohner zu schlafen, denn es war gespenstisch still. Die Flüchtenden schlichen in einen Stall am Ortsrand. Dort standen acht recht ansehnliche Pferde. Godered suchte die vier besten aus und begann, die Tiere zu satteln. Eine Fuchsstute mochte Loguhn nicht und schnaufte nervös.
»Ruhig!«, sprach Scholell dem Tier mit tiefer Stimme zu. »Ich nehme es.« Das Pferd wirkte noch ein wenig unwillig, doch als Scholell ihm fest in die Augen schaute, beruhigte es sich und ließ sich sogar von ihm streicheln. »Brav!«, lobte Scholell und spürte eine Art Verbundenheit zur Stute.
Ein anderes Tier wieherte auf, und Scholell erstarrte für einen Moment. »Pferde scheinen dich nicht sehr zu mögen, Loguhn!«, sagte er leise.
»Vielleicht spüren sie, wie viel Gobarem noch in dir steckt.« Godered schaute besorgt zum Eingang des Stalls. »Hoffentlich hat das niemand gehört.«
Kurz darauf waren sie mit dem Satteln fertig, und Godered ging zum Tor, um es zu öffnen. Er zuckte zurück, als ein junger Gotone im Nachtgewand hereinstürmte. In der Hand hielt er eine Axt. Godered reagierte blitzschnell, ergriff die Axt, drehte sich und brachte dabei den Mann so vor sich, dass die Schneide an dessen Hals lag.
Der Mann wusste gar nicht, wie ihm geschah, doch nach einem Moment des Schreckens würgte er flehend hervor: »Tut mir nichts. Ich habe drei kleine Kinder.« Dann fiel sein Blick auf die Pferde. »Bitte, nehmt sie mir nicht! Ich will sie nächste Woche auf dem Markt verkaufen. Wir benötigen dringend das Geld.«
Scholell war sich nicht sicher, ob Godered dem Mann etwas antun würde. Der Ahlore sah einen Strick, nahm ihn und hielt diesen seinem Laruell demonstrativ entgegen. »Binde ihn.«
Der Gotone zögerte. Dann ließ er die Axt sinken und stieß den Mann zu einem Holzbalken. Er nahm das Seil, fesselte und knebelte ihn mit flinken Händen.
Scholell atmete auf.
»Sei dankbar, dass du noch lebst! Dein Leichtsinn hätte dich fast das Leben gekostet!«, zischte Godered. Dann zog er aus seinem Gepäck Münzen hervor und warf sie dem Gefesselten vor die Füße. »Für deine Kinder!«
Scholell war verblüfft, damit hatte er nicht gerechnet. Der Gotone vermochte ihn immer wieder aufs Neue zu überraschen.
Sie führten die Tiere aus dem Stall, und während sie aufsaßen, kam eine junge Frau aus dem Haus. Auf ihren Armen trug sie einen Säugling. Sie fuhr sichtlich zusammen, doch dann schaute sie sich panisch um. »Wo ist mein Mann? Was habt ihr mit ihm gemacht?«, rief sie angsterfüllt, und ihr Kind begann augenblicklich, schrill zu plärren.
Godered hob die Axt, die er mitgenommen hatte, zum Wurf an. Scholell stockte der Atem, und die Frau erstarrte in Erwartung des Todes. Doch dann besann sich der Rotrot und ließ die Waffe sinken. Er zog die Zügel seines Pferdes herum, schlug ihm die Fersen in die Weichen, und erschreckt sprang das Tier voran. Sofort folgten ihm die anderen.
Hinter sich konnten sie das hysterische Gekreische des Weibes hören, mit dem sie bestimmt das halbe Dorf weckte. Sie spornten ihre Pferde an und flohen aus dem Ort, ehe ihnen aufgebrachte Bauern folgen konnten.
Scholell war erleichtert, dass Godered die Frau nicht aus einem Reflex heraus getötet hatte. Das Töten schien ihm weitaus leichter von der Hand zu gehen als Scholell. Soweit der Ahlore es beurteilen konnte, war Godered ein zerrissener Charakter, hart zu sich selbst und zumeist auch zu anderen. Auch jetzt hatte er kein Mitleid mit Loguhn, der vor Schmerz laut stöhnte und sich manchmal kaum im Sattel halten konnte.
An einer Weggabelung stand ein Hinweisschild, und sie schlugen den Weg ein, der nach Viehstolz führte. Noch war die Straße menschenleer, und sie konnten die Pferde im Galopp laufen lassen. Lanna wirkte äußerst unsicher im Sattel, da sie nach wie vor keine gute Reiterin war. Scholell, befürchtete, dass sie vom Pferd stürzte. Nach einiger Zeit schnauften die Tiere vor Erschöpfung, und sie wechselten in den Schritt. Es waren keine Schlachtrösser und solche Strapazen nicht gewöhnt.
Scholell nutzte die Gelegenheit, um zu Godered aufzuschließen. »Wo willst du eigentlich hin? Du reitest nach Süden, ist dir das bewusst? Erwech zieht mit seinen Soldaten in diese Richtung. Wir müssen nach Westen ins Gebirge der Nyriten, um die Dunak tor in der Kampfschule Adlersteige zu informieren.«
»Das wird hoffentlich Lanaris tun, die ich dorthin geschickt habe. Wir müssen zu Goderech – zur Machtburg.«
»Wo willst du hin?«, entrüstete sich Loguhn. »Was willst du bei Goderech? Erwech ist mit dem Schwert zu ihm unterwegs. Goderech ist des Todes, ob wir ihn nun warnen oder nicht.«
»Noch ist nichts verloren. Wir reiten zum König!«, bestimmte Godered. Dann fragte er mit einem Blick auf Scholells Arm: »Was macht die Wunde?« Ihm war also nicht entgangen, dass der Hastro ihn gebissen hatte.
»Viel besser.«
»Lass mich einen Blick darauf werfen.«
»Sie ist nicht so schlimm, glaube mir.«
»Zeig sie mir!«
Scholell sträubte sich ein wenig, zog schließlich den Ärmel hoch und löste den Verband. Es bildeten sich bereits wieder Fleisch, Sehnen, Blutgefäße und auch Haut. Sehr bald würde von der Wunde nichts mehr zu sehen sein.
»Das Gerücht ist also wahr: Ihr Ahloren verfügt über ungeheure Selbstheilungskräfte«, stellte der Gotone staunend fest.
Fast verschämt nickte Scholell, weil Loguhn unter seinen Wunden litt.
»Nicht umsonst haltet ihr euch möglichst von uns Menschen fern. Ihr wollt eure Überlegenheit geheim halten, um diese irgendwann auszuspielen«, mutmaßte Godered.
»Das liegt nicht in unserer Absicht. Sonst hätten wir es schon längst getan«, flüsterte Scholell. Doch damit konnte er offenbar Godereds Misstrauen nicht zerstreuen, denn dieser verzog skeptisch den Mund.
Der Ahlore wies mit der Kopfbewegung zum Gobarem, der mit etwas Abstand hinter ihnen ritt. »Bei der nächsten Gelegenheit sollten wir uns um seine Hand kümmern.«
Godered nickte und trieb sein Pferd wieder an.
Alsbald kam eine weitere Ortschaft in Sicht. Godered kundschaftete diese aus und entdeckte eine Schmiede, die sich abseits des Dorfes befand. Dort brannten sie Loguhns Wunden aus, der dabei das Bewusstsein verlor. Die Frau des Schmieds hatte Mitleid mit dem Gequälten und brachte eiligst eine Kräuterpaste, die sie ihrem Mann stets bei Verletzungen auftrug. Doch Scholell holte lieber die Marisalbe aus seinem Gepäck hervor. Er vertraute keiner anderen Medizin als der seines Volkes.
Als Loguhn wieder zu sich kam, jammerte er vor Pein und bat Godered darum, erst weiterzureiten, wenn der heftigste Schmerz abgeklungen war. Scholell hätte dem Verletzten noch eine kleine Weile zum Erholen gegönnt, doch Godered zeigte sich gnadenlos. Der Gotone selbst hatte in der Vergangenheit viele Wunden erlitten, seine Arme und sein Oberkörper waren übersät mit Narben. Schmerz musste sein ständiger Begleiter sein. Godered setzte sich hinter Loguhn auf das Pferd, damit sich der Evidanier bei ihm anlehnen konnte. Der Gobarem stöhnte, und seine verbundene Hand zitterte wie die eines tatterigen Greises.
Gegen Mittag verließen sie die Hauptstraße und ritten parallel davon durch lichte Wälder und über blühende Wiesen. Scholell schaute des Öfteren mitleidig zum Gobarem, dessen Gesicht vor Schmerz verzerrt war. Manchmal standen ihm sogar Tränen in den Augen.
Am frühen Abend kamen Erwechs Soldaten in Sicht. Sie marschierten geordnet auf der Straße und schienen sich ihrer Sache so sicher zu sein, dass sie noch nicht einmal über eine Nachhut verfügten. Bunt wehten ihre Banner im Wind, und die Waffen blitzten im rötlichen Licht der sich neigenden Sonne.
Scholell war wenig begeistert, als Godered sie während einer Rast allein ließ, da er Erwechs Truppenstärke auskundschaften wollte. Viel lieber hätte Scholell ihn begleitet. So nutzte er wenigstens die Zeit und schaute sich nochmals Loguhns Wunde an. »Es ist schon viel besser«, tröstete er und trug nochmals eine dünne Schicht Salbe auf. Er musste damit haushalten, denn sie neigte sich allmählich dem Ende zu.
»Danke, dass du dich um mich kümmerst.« Der Evidanier nagte an seiner Unterlippe und zögerte weiterzusprechen.
»Nur zu«, ermunterte Scholell ihn, während er den Verband wieder anlegte.
»Godered misstraut mir noch immer. Ich glaube, er hat ernsthaft mit dem Gedanken gespielt, mich zu töten. Argwöhnst du mir ebenfalls?«
»Nun«, begann Scholell. Er zog den Verband fest, und Loguhn biss die Zähne zusammen. »Ich wünsche mir für uns alle, dass du die Wahrheit sagst. Frei von Zweifeln bin aber auch ich nicht. Ganz aufgegeben hat Godered dich wohl nicht, sonst hätte er dich mit dem Pferd zu Tode geschleift.«
Der Evidanier rang sich ein Lächeln ab, doch dieses erstarb, als er an Scholell vorbeischaute.
Godered kehrte zurück. »Es sind ungefähr zweihundert Reiter und achthundert Mann Fußvolk. Der Tross ist ziemlich überschaubar, beeinträchtigt aber dennoch die Marschgeschwindigkeit. Ich hatte ein weitaus größeres Heer erwartet. Sie sind gerade dabei, ihr Lager zu errichten. Das verschafft uns Zeit. Wir werden in der Nacht nicht rasten, sondern die Feinde umgehen und weit vor ihnen auf die Hauptstraße einscheren. Wir müssen so schnell wie möglich zum König gelangen, damit er ausreichend Zeit hat, um Vorkehrungen zu treffen. Loguhn, kannst du wieder allein reiten?«
Der Gobarem war kreidebleich und hatte einige Schweißperlen auf der Stirn. »Ja, es müsste gehen.«
Was sollte er auch anderes sagen? Die Gefahr bestand durchaus, dass Godered ihn zurückließ. Der Auftrag würde dem Gotonen bestimmt wichtiger sein als das Leben eines Gobarems.
Loguhn ging zu seinem Pferd und stand ratlos davor. Als Scholell ihm schließlich in den Sattel half, lächelte der Evidanier. »Du bist sehr freundlich«, sagte er.
Scholell musste aufpassen, gefühlsmäßigen Abstand zum Evidanier zu wahren, der nun so harmlos wirkte und versuchte, eine Art Vertrautheit aufzubauen. Loguhn würde in seiner begonnen Ausbildung bereits gelernt haben, wie man täuschte und manipulierte.
Die Sonne versank hinter dem Horizont und hinterließ rote Streifen am Himmel, die Lanna an Atnos geschundenen Körper erinnerten. Die Rogarländerin weinte still und wischte sich heimlich ihre Tränen fort. Es war für sie unfassbar, zu welchen Grausamkeiten Menschen fähig waren. Was musste jemandem zustoßen, um derart zu verrohen? Hatten auch solche Menschen Vergebung verdient? Lanna bezweifelte, eine Priesterin werden zu können, denn sie empfand Wut auf die Folterknechte, ja regelrechten Hass. Niemals würde sie Atno vergessen. Niemals. Sie machte sich Vorwürfe, nicht freundlicher zu ihm gewesen zu sein. Allerdings war es jetzt zu spät, sie konnte sich nicht mehr bei ihm entschuldigen. Sie fühlte sich elendig und hätte gern mit jemandem darüber geredet, doch sie mochte sich nicht Scholell und ganz gewiss nicht Godered offenbaren. Sie vermisste Lanaris, denn die evidanische Kampfmeisterin hätte Verständnis und tröstende Worte für sie gehabt.
Lanna haderte wieder einmal damit, dass sich ausgerechnet ihr das Symbol Amboreg in der Halle des Lichts offenbart hatte. Hätte es sich nicht jemanden aussuchen können, der tapferer und älter als sie war? Lanna hasste es, so unerfahren und ängstlich zu sein, fand sich mit ihren fast sechzehn Jahren in manchen Situationen viel zu unreif.
Als es dunkel wurde, ritt Scholell voran und führte sie sicher durch die Nacht. Lanna kämpfte gegen ihre Müdigkeit an. Woher nahmen die Männer nur die Kraft? Oder wollten sie nur keine Schwäche zeigen?
Godered war ihr noch immer unheimlich. Sie konnte ihn überhaupt nicht einschätzen. Und wenn sie daran dachte, dass er sie auf der Flucht zeitweise getragen hatte, war ihr das noch immer peinlich. Obwohl sie ein wenig Angst vor ihm hatte, fühlte sie sich in seiner Gegenwart trotzdem sicher. Vom Versteck auf dem Baum aus hatte sie gesehen, dass er wie ein Wirbelsturm furchtlos gegen die wilden Bestien gekämpft und diese niedergestreckt hatte. Sie war froh, dass er bei ihnen war.
Scholell hingegen mochte sie gern, er war stets freundlich zu ihr. Er benahm sich gar nicht so, wie sie es sonst von den unnahbaren Ahloren gewohnt war. Und Loguhn? Wie stand sie zu ihm? Er hatte sie befreit. Sie konnte verstehen, dass er von den fürchterlichen Gobarem fort wollte. Lanna schätzte sein Herz und seine Absichten nicht so finster ein, wie Scholell und Godered dies taten. War es naiv, wenn sie noch an das Gute im Menschen glaubte?
Am Nachmittag kam Viehstolz in Sicht. Prachtvoll erhoben sich die zahlreichen Türme der Stadt. Lanna hoffte, dass Godered ihnen als kleine Entschädigung für die Strapazen der vergangenen Tage eine vernünftige Unterkunft zugestand, doch als er die Stadt mied und auf schmale Nebenwege auswich, war sie sehr enttäuscht.
Auf den Feldern arbeiteten Bauern, jäteten Unkraut und bestellten die Flächen für weitere Aussaaten. Der Sommer nahte, und es wuchs und gedieh schon überall. Abermals fiel Lanna auf, wie fruchtbar dieses Land im Gegensatz zu ihrer kargen Heimat war.
Ab und zu richteten sich die Bauern auf, drückten ihr schmerzendes Kreuz durch und beäugten dabei misstrauisch die Vorbeireitenden. Vieh graste friedlich auf saftigen Wiesen, und die Hirten nutzten die Zeit, um Zäune und Unterstände zu reparieren. Lanna hatte gehört, dass die fleißigen Gotonen Müßiggang verabscheuten und auf jeden, der die Zeit mit Tagedieberei vertat, voller Verachtung hinabsahen.
Als Lanna und auch Loguhn über Hunger klagten, stahl Godered kleine süß-scharfe Kohlgewächse von einem Acker. Die Knollen schmeckten nicht besonders gut und hinterließen einen ebenso schlechten Nachgeschmack im Mund.
Die Nacht verbrachten sie im Wald und aßen Wurzeln und leckere Frühlingsbeeren, die Godered für sie gesammelt hatte. Lanna fror schrecklich, und vermisste ein wärmendes Feuer. Leider untersagte Godered ein solches, damit sie nicht entdeckt wurden. Als Lannas Zähne laut klapperten, kam Godered, der gerade Wache hielt, zu ihr und legte ihr seinen Mantel über. Erstaunt nickte sie ihm zu, und endlich wurde ihr ein wenig wärmer.
Loguhn stieß im Schlaf mit seiner Hand gegen eine hervorstehende Wurzel und fuhr mit einem zischenden Laut auf. Gleich darauf stöhnte er und atmete gepresst.
Der Ahlore holte etwas aus seinem Gepäck hervor, ging zum Evidanier und kniete sich neben ihn. »Hier, schluck das. Es wird dir die Schmerzen nehmen. Da du ein Mensch bist, wirkt es stärker als bei uns Ahloren, und du wirst sehr bald einschlafen.«
»Ist er morgen früh in der Lage zu reiten?«, warf Godered ein.
»Bis dahin wird die Wirkung nachgelassen haben.«
Der Gotone brummte sein Einverständnis.
»Danke, das ist sehr freundlich. Keine Schmerzen – das ersehne ich mir wirklich.« Loguhn nahm die kleine Pille vom Ahloren entgegen, und schluckte sie. »Oh, das kann doch nicht sein! Das ist ja wie Zauberei. Die Schmerzen lassen tatsächlich nach, und ich … meine Schuuunge wird ganz laaahm. Ich werde so …« Und schon sackte er zur Seite.
Scholell lächelte und deckte den Evidanier mit Laub zu.
»Das wirkt ja noch schneller als Xentavo, dieses Mistzeug, mit dem uns die Wirtsleute damals betäubt haben«, stellte Godered mürrisch fest.
»Nicht bei uns – es ist ja schließlich Ahlorenmedizin.« Scholell lachte leise und wandte sich an Lanna. »Schlaf jetzt! Godered und ich werden abwechselnd wachen. Es wird eine ruhige Nacht, ganz sicher. Schlaf!«
Kaum hatte er es ausgesprochen, wurden ihre Augenlider unsäglich schwer, und ihr Körper kribbelte vor Müdigkeit. Sie legte ihr Haupt auf den Sattel und zog die Beine enger an sich heran. Es dauerte gar nicht lange, da kam der Schlaf und holte sie fort in sein Reich.
»Aufstehen, junge Priesterschülerin!«, hörte Lanna von irgendwoher, doch sie wollte nicht erwachen. In ihrer Traumwelt war sie noch bei Atno und unterhielt sich mit ihm. Er war unverletzt, fröhlich und quirlig wie immer. Doch dann trübte sich ihre Zufriedenheit und wandelte sich in ein schales Gefühl. Er war tot.
»Lanna! Aufstehen!«, forderte Scholell und berührte sie sanft an der Schulter.
Widerwillig schlug sie die Augen auf, verbarg ihre Trauer über Atno hinter einem Lächeln. »Ich stehe ja schon auf.«
»Gut so.« Der Ahlore erwiderte ihr Lächeln und begab sich zu Loguhn.
Als sich Lanna aus Godereds Mantel schälte, begann sie augenblicklich zu frieren. Es war noch recht früh, Tautropfen befanden sich überall im Gras, und hauchdünne Nebelschwaden hingen in der Luft. Es herrschte eine gespenstische Stille. Noch nicht einmal das Piepsen eines Vogels war zu hören.
Auch der Evidanier erhob sich mühevoll, und als er endlich auf seinen Füßen stand, taumelte er. Scholell eilte zu ihm und stützte ihn. »Ich fühle mich zwar, als wäre ich betrunken, aber es ist dennoch großartig. Meine Schmerzen sind noch immer weg.« Loguhn lallte ein wenig.
»Kannst du reiten?«, wollte Godered vom Evidanier wissen, und sein vorwurfsvoller Blick streifte Scholell.
»Natürlich«, sagte Loguhn und grinste ein wenig blöde.
»Schade, dass das kein Wahrheitsserum ist. Dann könnten wir ihn jetzt ausfragen.« Godered packte missmutig seine Sachen zusammen.
»Ich habe euch aus der Burg befreit und es daher wahrlich nicht verdient, nein, ganz und gar nicht verdient, dass du mir noch immer misstraust. Mein Leben, jawohl, mein Leben habe ich riskiert … für euch. So, jetzt hast du die Wahrheit«, brachte Loguhn hervor, während er schwankte und die Augen schloss.
Godered schnaufte verärgert. Er öffnete seine Feldflasche, war mit wenigen Schritten beim Evidanier und schüttete ihm schwungvoll das Wasser ins Gesicht.
Der Evidanier zuckte zurück und schüttelte sich.
Gleich darauf verpasste der Gotone ihm eine Ohrfeige. »Bist du jetzt wacher?«
Loguhns Wange, die noch vom Gift der Roten Baumspinne gezeichnet war, rötete sich noch mehr. Er wurde zornig. »Ja, vielen Dank! Jetzt geht es mir bedeutend besser.«
»Gut.« Godered wandte sich ab und begann, die Pferde zu satteln. Scholell half ihm dabei.
Lanna war ein wenig erschrocken über Godereds rüde Art. Sie klopfte Laub und Erde von seinem Mantel, schüttelte ihn noch einmal gründlich aus und legte ihn über Godereds Sattel.
Nachdem der Evidanier hinter einem Baum seine Blase entleert hatte, kam er mit wesentlich festeren Schritten zurück. »Ich glaube, die Wirkung lässt nach. Es ist jetzt alles viel klarer, und ich spüre meine Wunden wieder. Dennoch möchte ich mich bei dir, Scholell, für eine Nacht ohne Schmerzen bedanken.«
»Schluss mit dem Gerede! Wir müssen endlich weiter!«, drängte Godered, und bald darauf verließen sie den Wald.
Als sie in ein kleines Dorf kamen, wühlte der Gotone in seinem Gepäck herum und suchte nach etwas von Wert, fand jedoch nur noch ein paar Münzen. Scholells Geld fehlte ganz, es war wohl in der Burg aus seinem Ledersack gestohlen worden. So nahm Godered die wenigen Münzen und seinen alten, lädierten Sattel und tauschte diesen gegen Decken, Getreide für die Pferde, Wasserschläuche und Vorräte ein. Anfangs war der Bauer über das miese Geschäft empört, aber als er die Waffen und Godereds lange Haare sah, die im Nacken zusammengebunden waren, ging er kleinlaut auf den Handel ein. Obwohl sie sich hier in einem freien Bereich Gotoniens befanden, der weder dem König noch einem Königsanwärter unterstellt war, fürchtete man sich. Die Menschen konnten sich ja nie sicher sein, welcher Köan als Nächstes den Thron bestieg und sich dann vielleicht bitterlich rächte.
Godered gab Scholell sein Gepäck und ritt nun ohne Sattel, was ihm keinerlei Mühe zu bereiten schien. Lanna bewunderte ihn, denn sie fühlte sich auf dem Pferderücken noch immer nicht wohl. Doch sie musste auch schmunzeln. Obwohl sie nun Decken und Essen hatten, wirkten sie zusehends erbärmlicher und schmutziger.
Die folgende Nacht verbrachten sie in einem verlassenen Schafstall, der so groß war, dass sie auch die Pferde hineinführen konnten. Es stank entsetzlich. In irgendeiner Nische verweste zudem ein Tier, vielleicht eine Ratte oder ein Vogel, aber wenigstens waren sie vor dem heraufziehenden Sturm und dem anschließenden Wolkenbruch, der auf das Dach prasselte, geschützt, auch wenn es an einigen Stellen hereinregnete. Ein Gewitter entlud sich mit grellen Blitzen und dröhnendem Donner, und die Pferde wurden unruhig. Lanna hielt sich von den Tieren fern, sie hatte mächtigen Respekt vor den Hufen. Es kostete die Männer einige Mühe, die Tiere im Zaum zu halten und zu besänftigen.
Zornig heulte der Sturm und drohte, das knarrende Dach anzuheben. Doch es hielt stand. Lanna war die gesamte Zeit über angespannt und machte sich wenigstens dadurch nützlich, dass sie trockenes Stroh als Unterlage zum Schlafen zusammensuchte.
Als aus dem Getöse ein Grummeln wurde, und der Wind abflaute, atmete Lanna auf. Schließlich hörte es auf zu regnen, aber es tropfte noch vom Dach. Endlich hatten sich auch die Pferde vollends beruhigt, und die Männer holten von einer Tränke Wasser für die Tiere herein und fütterten sie. Lanna legte sich ins Stroh und zog eine Decke über sich, die Godered ihr gereicht hatte. Sie roch furchtbar muffig, sogar ein wenig nach Schimmel. Aber das störte sie nur anfangs, denn sie war erschöpft und wollte nur noch schlafen.
In der Nacht fuhr Lanna aus dem Schlaf hoch. Sie hatte erst von den Hastros und dann von Atnos Folterung geträumt, hatte wieder gesehen, wie dem jungen Ostieden furchtbare Wunden zugefügt worden waren. Tränen kitzelten in ihren Augenwinkeln, und sie wischte sich diese rasch fort.
Noch immer tröpfelte es vereinzelt vom Dach. Godered stand unbewegt wie eine Statue in der halb geöffneten Eingangstür und hielt Wache, das gab Lanna ein Gefühl von Sicherheit. Sie legte sich wieder hin und bat den Gründer um angenehme Träume. Dann kam ihr Brinok in den Sinn. Ja, vom schönen Barkländer, in den sie sich verliebt hatte, wollte sie träumen.
Schmierig gelb erhob sich die Sonne und kündete von weiterem Regen. Brinok, hellblond, mit leicht kupferfarbener Haut und wasserhellen Augen, stand am Eingang der Höhle, in der sie übernachtet hatten, und hieß das wärmende Licht willkommen. Er rieb sich müde über seine rechte Gesichtshälfte, auf der sich eine verschlungene blaue Tätowierung befand, die ihn als Angehöriger der Horde der Bastiden kennzeichnete. Um Brinoks Hals blinkte ein schwerer Goldreif – das Zeichen seines Adelsstandes. An seinen muskulösen Ober- und Unterarmen trug er breite Armspangen mit den Mustern seiner Familie und Sippe.
Tief sog der vierundzwanzigjährige Hüne die kühle Morgenluft in seine Lungen, und für einen Moment hatte er das Gefühl, als lebe er in einer friedlichen Welt. Aber dem war nicht so. Auch wenn der dichte Grünwald, der sich dort zu Füßen der Anhöhe erstreckte, wie ein harmonischer Organismus wirkte, so herrschte auch unter den Tieren und Pflanzen Krieg. Es war ein Kampf um den Lebensraum – ein berechtigter Kampf.
Wenn Brinok tötete, berührte ihn das nur wenig. Es galt stets: er oder die anderen. Kämpfen war ein bedeutender Teil seiner kriegerischen Kultur. Und viele Gegner überlebt zu haben galt bei den Barkländern als überaus ehrenhaft und ruhmreich. Brinok wusste selbst, dass er von seinem Verhalten her viel mehr ein impulsiver, leidenschaftlicher Barkländer als ein beherrschter, edler Dunak tor war. Oft ergriff er viel zu hitzig das Schwert und prügelte sich gern. Sein jüngerer Bruder Braduhn hatte so manches Mal versucht, ihn zu beruhigen.
Braduhn … Dieser befand sich in einer anderen Dunak tor-Arutan unter der Führung des Kampfmeisters Siwig in Evidanien. Hoffentlich lebte er noch. Die verfluchten Gobarem, die finsteren Gegenspieler der Dunak tor, hatten dieser Gruppe bestimmt auch schon nachgestellt. Die Sorgen um seinen Bruder peinigten ihn, und Wut stieg in ihm auf – auch auf Loguhn, diesen miesen Verräter.
Brinok hob einen Stein auf und schleuderte ihn weit von sich. Das Geschoss verschwand irgendwo in der Tiefe zwischen den Bäumen, und einige aufgescheuchte Vögel flogen schimpfend davon. Godered hätte dieses Gobarem-Schwein niemals mitnehmen dürfen! Mehr als einmal hatte Brinok ihn gewarnt! Nun befanden sich Lanna, Scholell, Atno und der unbelehrbare Godered in Gefangenschaft. Arme Lanna. Die Priesterschülerin war so hübsch, voller Unschuld, und er mochte sie. Hoffentlich lebten sie noch. Den tausendfachen Tod hatte der Gobarem verdient!
Brinok verdrängte diese aufwühlenden Gedanken und ging in die Höhle zurück. Er klatschte laut in die Hände, und das Geräusch hallte mehrfach von den Höhenwänden wider. »Genug geschlafen!«
Lanaris schreckte empor. Anfangs wirkte sie irritiert, doch dann nickte sie ihm zu und schlug ihre Decke zurück.
Mühsam erhob sich auch Teraal und rieb sich die Augen.»Heute erreichen wir die Kampfschule, nicht wahr?« Der fünfundzwanzigjährige Motavier hatte schulterlange hellbraune Haare, grüne Augen, eine leicht getönte Haut, eine kleine spitze Nase und volle Lippen. Wie Brinok auch hatte er mittlerweile einen kurzen Bart, anstatt eines glatt rasierten Gesichts.
»Ja, es sei denn, wir verirren uns.« Brinok beobachtete die beiden, während sie ihre Sachen zusammenpackten. Er selbst hatte das schon längst erledigt. Sein Blick blieb an Lanaris hängen. Sie hatte lange braune Haare, dunkelblaue Augen, volle Lippen und hohe Wangenknochen. Ihr Gesicht schmückte eine Kette mit geschliffenen Perdiotperlen, diese verlief von einem Ohr zum anderen über ihre Nase hinweg und ließ Lanaris noch interessanter erscheinen. Die Evidanierin war eine schöne, starke Frau – eine Rotgelb-Kampfmeisterin. Ihm kam der Gedanke, Teraal bereits hinauszuschicken, damit Brinok sich mit ihr noch vergnügen konnte. Doch sie würde gewiss nicht einwilligen, zumal sie Mutter einer kleinen Tochter war. Nein, bei Lanaris würde stets Liebe im Spiel sein müssen, ehe sie sich jemandem hingab. Eigentlich schade. Er riss seinen Blick von ihr los. »Heute früh gibt es dasselbe zu essen wie in den vergangenen Tagen: nichts. Wenn sich das nicht bald ändert, werdet ihr auf eure Gäule aufpassen müssen, weil ich sie ansonsten in einem Stück verschlinge.« Er lächelte schelmisch.
Sie nahmen ihr Gepäck, verließen die Höhle und gingen zu den Pferden, die draußen angebunden waren.
Mit geübten Händen sattelte Lanaris ihr Reittier. »Du hast gute Laune«, stellte sie lakonisch fest.
Wenn du wüsstest, was ich dich betreffend für Bilder im Kopf habe, dachte er, doch dann war sein Lächeln wie fortgewischt. »Nein, ganz und gar nicht. Wenn ich an Loguhn denke, könnte ich kotzen. Am liebsten würde ich mich sofort auf die Suche nach ihm machen, um ihm seine verlogene Zunge herauszureißen und in schmale Streifen zu schneiden.« Seine weißen Zähne blitzten kurz auf. Dann atmete er tief ein, versuchte, sich zu beruhigen, was ihm auch einigermaßen gelang. »Aber wenigstens habe ich euch etwas Aufmunterndes mitzuteilen: Ich bin mir inzwischen sicher, dass uns niemand verfolgt.«
»Das ist erfreulich, dennoch hebt es meine Laune nicht. Ich finde es furchtbar, dass der Rest unserer Gruppe nicht bei uns ist, sondern sich in Gefangenschaft befindet.« Lanaris seufzte.
»Mir ergeht es ebenso«, stimmte Teraal zu. »Ich hätte niemals gedacht, dass ausgerechnet Godered und Scholell in die Hände der Feinde geraten könnten.«
»Ich bete, dass sie nicht leiden müssen und noch am Leben sind.« Lanaris klang äußerst betrübt.
»Das hoffe ich auch. Arme Lanna. Die Kleine hätte uns überhaupt nicht begleiten dürfen. Ich hoffe, dass sie ihr nichts antun«, sagte Brinok bekümmert, und abermals überkam ihn Zorn. Verdammte Gobarem!
Lanaris setzte mit ihren Begleitern den Weg tiefer in die Nyriten hinein fort. Dort irgendwo in den Bergen musste die Kampfschule der Dunak tor zu finden sein. Immer weiter ritten sie voran, konnten durch den dichten Wald ab und zu einen Blick auf schroffe Bergmassive erhaschen.
Am Nachmittag legten sie eine kurze Rast an einem Abhang ein, wo ein Fluss schäumend und tosend einen Felsen hinunterstürzte. Während Lanaris das Brausen eine Zeit lang beobachtete, fühlte sie eine Art Sog in die Tiefe, und ihr wurde ganz schwindelig. Unmittelbar trat sie einige Schritte zurück. Sie dachte wehmütig an ihre Gefährten, die nun in den Händen der Gobarem