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Während seiner beiden Ehen hatte Rudolf G. Binding stets Geliebte. Während seiner Ehe 1900–1919 mit Helene Wirsing war etwa Eva Connstein jene "persona grata". Für sie entstanden die "Briefe an eine Geliebte". In dem Jahre 1909 noch zart-keusch und unterbrochen von prosaischen Gedichten – ab Herbst 1910 dann weniger keusch – durchdrungen von körperlicher Sehnsucht. Binding schafft es meisterhaft, alles Schöne und Sonntägliche der Geliebten zuzuordnen – während für seine Frau der Alltag bleibt.-
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Seitenzahl: 245
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Rudolf G. Binding
SAGA Egmont
An eine Geliebte – Briefe für Joie
Copyright © 1950, 2018 Rudolf G. Binding und Lindhardt og Ringhof Forlag A/S
All rights reserved
ISBN: 9788711517734
1. Ebook-Auflage, 2018
Format: EPUB 3.0
Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach
Absprache mit Lindhardt og Ringhof gestattet.
SAGA Egmont www.saga-books.com und Lindhardt og Ringhof www.lrforlag.dk – a part of Egmont www.egmont.com
Falkenstein (Taunus)
15. Mai 09
Liebe Frau Eva,
Wenn ich so durch meine Täler gehe, die mit Sonnenduft erfüllt sind, und durch meine einsamen Wälder, deren junges Laub auf ihren Kronen das Gold noch nicht zu tragen vermag, das von ihnen voll und beinahe schwer zu Boden tropft, dann unterhalte ich mich so oft mit Ihnen, daß Sie sich nicht darüber zu beschweren brauchen, wenn ich auf den letzten Brief und das freundliche „Doch-Gedenken“ bei dem häuslichen Maifest mit den Freunden noch nicht mit sichtbarer Schriftlichkeit geantwortet habe.
Bei diesen Unterhaltungen aber ist es sehr gut, daß Sie auf meine Gedanken nicht antworten können, obgleich ich mir das manchmal wünsche; denn die Verehrung bedingt geradezu das Schweigen auf jener Seite, welcher sie dargebracht wird, und weder Götter noch Könige noch auch — vielleicht! — Königinnen, in deren Hände ein Richtschwert gelegt ist, würden eine so große Verehrung genießen, wenn sie den Verehrern immer antworten könnten. Diese Erwägung können Sie, wenn Sie wollen, als eine leicht bedienliche Zugbrücke auffassen, die ich selbst Ihnen baue, damit Sie sich entweder dahinter in Schweigen verschanzen oder sie herablassen können, um über sie zu einem Wortwechsel hinüber zu reiten: wie Sie das wollen! Aber der Grund, daß ich Ihnen das schreibe, war nicht der, Ihnen eine Zugbrücke zu bauen.
Vielmehr kann Ihnen das nur noch einmal beweisen, daß es mir Ihnen gegenüber gar nicht schwer wird, zu sagen, wie mir ums Herz ist, was Sie mir — wenn ich einen Satz Ihres letzten Briefes richtig verstehe — mit einem leichten lächelnden Vorwurf bestreiten. Vielleicht natürlich wird es mir um so leichter, je sinnloser es meines Erachtens ist, einer Frau, die das Herz auf dem rechten Fleck hat — und das ist beinah alles bei einer Frau! —, insoweit etwas vorzuenthalten, Man macht dann gerade vor dem Wertvollsten halt, d. h. vor dem Wertvollsten der Frau.
Mit allen Grüßen, die Sie auffangen können,
Ihr
Rudolf Binding.
Frühlingsritt
Mit einem Zweig von Blüten schwer
und schwer von Morgentau
schlag ich an deine Fensterwehr,
du allerschönste Frau.
Und hoch im Bügel heb ich mich,
zu schwingen meinen Zweig.
Da regnen Blüten über dich
und über mich zugleich.
„Heraus, heraus! Zu Pferd, zu Pferde!
Da halt’ ein’ andre Ruh!
Im Blühen steht die ganze Erde:
Gehörest auch dazu.
Schon scharrt und wiehert hell ein Hengst
— der Knabe hält ihn kaum. —
Das Heute winkt! Dahinter längst
liegt Gestern, Nacht und Traum.“
Du trittst heraus und nickst zum Gruß,
ein Lachen blitzt hervor.
Auf meiner Hand dein leichter Fuß,
so schwingst du dich empor.
Das Land fliegt hinter uns zurück,
und vor uns tut sich’s auf.
Wir reiten! Überall ist Glück,
wohin trägt Rosseslauf.
Rasch eilt der Huf. Die Erde dröhnt.
Ein Schweigen uns befällt. —
Doch was im Jubel in uns tönt,
fliegt in die jubelnde Welt.
Falkenstein, 1. Juni 09
Frau E. C. zugeeignet, da sie schrieb, sie sei von einer Traurigkeit befallen, just um ihr zu beweisen, daß sie dazu gar keinen Grund hat.
R. G. B.
Falkenstein (Taunus)
5. Juni 1909
Liebe Frau Eva,
Mit den paar Versen von neulich wollte ich mich natürlich nicht von der Antwort auf Ihren letzten Brief loskaufen. Aber, trotzdem es ganz allgemein richtig ist, was Sie schreiben, daß man manchmal Anfälle von Traurigkeit hat, gerade wenn die anderen feiern, so verlangte es mich so sehr danach, Ihnen vor allem eine Art Mittelchen gegen diese Traurigkeit — und auch solche anderer Art — zu verschreiben, daß Sie sich vorläufig mit dem Frühlingsritt begnügen mußten.
Mit der „Traurigkeit, wenn andere feiern“, hat es nun freilich seine Richtigkeit! Das geht mir auch oft genug so. Aber da sie wohl selten nur aus einem Mangel an Naivität entspringt, sich an einfachen Dingen so mitfreuen zu können wie andere — in welchem Falle man dann selbst schuld ist —, so ist sie um so merkwürdiger. Ich glaube indessen, daß sie oft in dem Unvermögen des Menschen begründet liegt, mitanzusehen, wie sich andere einreden, daß sie sich freuen; wie andere zu „feiern“ scheinen und haben doch keine Spur jener „Feierlichkeit“, die wir in derselben Sache oder Gelegenheit suchen und verlangen: so die severità der Freude oder das, was Brahms sagt: „Es ist ein ernstes Ding um die Fröhlichkeit.“ Denen, welche in jener Art ihre Feste feiern, sind wir aber um ein beträchtliches dadurch voraus, daß wir uns ein scheinbar ganz Einfaches, eine Alltäglichkeit zu einer Feier erheben können. Und das eben wollte ich Ihnen vor einigen Tagen beweisen. Dasselbe, was ein anderer mit den Worten erzählt: „Heute morgen habe ich Frau Eva zum Reiten abgeholt; es war sehr hübsch“, kann ich für mich, und hoffentlich auch für Sie, zu etwas so Feierlichem gestalten, daß die oben beschriebene Traurigkeit jedenfalls davor haltmachen muß. Und wenn ich’s für Sie nicht gekonnt habe, so bin ich eben ein entsetzlicher Stümper. Aber ich bin sehr froh darüber, daß nicht jeder, der Sie früh zum Reiten abholt, sich daraus ein Fest machen kann.
Mit vielen Grüßen
Ihr
Rudolf Binding.
Falkenstein, den 21. Juni 09
Liebe Frau Eva,
Wenn Sie wüßten, was Sie mir damit sagen, wenn Sie schreiben, daß ich es fertiggebracht hätte, Ihnen eine Weile eine Illusion zu geben! Nein! Sie können es nicht wissen! — Das ist nämlich so ziemlich alles, was ich anstrebe: eine Illusion hervorzubringen; wohl in etwas anderer Weise, als Sie gerade das Wort im vorliegenden Fall gebrauchen, aber im Grunde, seinem Wesen nach, ist es doch dasselbe. Wie oft habe ich darüber nachgedacht, wodurch man im geschriebenen Wort eine Illusion hervorbringt! Es läßt sich absolut nicht begreifen. Dies einzige glaube ich gefunden zu haben, daß man wenig sagen muß; daß man dem Leser oder Hörer einen Spielraum lassen müsse für seine eigene Einbildungskraft. Aber weder weiß ich, wieviel oder wenig im einzelnen Falle gesagt werden muß, noch was dieses Wenig ist, wodurch die Illusion hervorgerufen wird. Vielleicht, vielleicht, hat sie gar niemand in der Hand; vielleicht tut man immer einen Griff ins Dunkel, und dann packt man sie, oder man packt sie nicht. Denken Sie z. B. an die Illusion, die die Worte: Über allen Gipfeln ist Ruh usw. auslösen. — Können Sie mir sagen warum? Es ist nur „wenig“ gesagt; das ist das einzige, was sich feststellen läßt (für mein blödes Verständnis wenigstens). Oder nehmen Sie dieses:
„…. die selgen Feen,
die im Himmelssaal
beim Sphärenklang
und fleißig mit Gesang
die goldnen Spindeln hin und wieder drehn.“
Unglaublich „illusionär“, nicht wahr? — Sie sehen doch den Himmelssaal und die Feen vor sich! Ist aber irgend etwas über sie gesagt? Nein, rein nichts.
Ab und zu glückt es mir auch; aber absolut unbewußt. Das sind die schönsten Momente, aber ach! wie selten. — Trotzdem hat man manchmal Tage, wo beinah alles glückt.
Schreiben Sie bald einmal wieder; ich mache eben etwas, was ich in meiner gottsträflichen Borniertheit nicht herauskriege, und da erfrischt es mich, mit Ihnen so leichthin plaudern zu dürfen, wie Sie es mir in diesem Brief erlaubt haben.
Herzlichst
Ihr
R.B.
Ballade vom Glück
Über die Berge her
kam’s Glück gegangen.
Am Weg ein Schmiedebursch
hat ’s Glück gefangen.
Schaut es verwundert an
von allen Seiten,
hatt’ seine Freude dran
und mocht’ es leiden.
Aber das Glück, das war
nicht fürs Verweilen,
wand sich und drehte sich,
um zu enteilen.
Da hat der Schmiedebursch
mit ihm gerungen
und hat, zu küssen ihn,
das Glück gezwungen.
Aber als das geschah,
wich er zur Seiten;
schwindelnd und siedendheiß
ließ er es gleiten.
Lachend wandt’ ihm das Glück
den stolzen Rücken,
weiß wie Holundermark,
ohn’ umzublicken.
Mußte der kecke Knab’
den wundersüßen,
duftenden Kuß des Glücks
bitterschwer büßen.
Daß er vergaß den Kuß
wollt’ ihm nicht glücken,
den Kuß des Glücks und den
schimmernden Rücken.
Schmiedet jahraus, jahrein
schmeidige Spangen,
daß er, wenn’s wiederkäm’,
’s wieder möcht’ fangen.
Schmiedet gar mancherlei
fügsame Ringe,
daß er’s, wenn’s wiederkäm’,
sicher bezwinge.
Schmiedet dem schönen Leib
ein goldenes Mieder,
d’rin er ihn fassen will. —
Doch ’s Glück kam nicht wieder.
23. Aug. 09
Falkenstein, 12. Okt. 09
Liebe Frau Eva,
Ich versuche vergeblich, die Antwort auf Ihren Brief — Ihren Brief, der keine Antwort verlangt! — aufzuschieben; es wäre auch nichts damit erreicht, denn mein Herz würde doch immer das gleiche sagen. Also heute.
Nicht, daß Sie ungerecht sind; nicht, daß Sie mir bewußt — oder unbewußt? — einen Schmerz zufügen; nicht, daß Sie ehrlich sind! Alles das kann mich nicht aus meinen Himmeln reißen, in die ich verankert bin, stärker, als daß Sie mich — oder irgend jemand — daraus entwurzeln könnten. Aber ich — Frau Eva! es ist merkwürdig, daß Sie’s nicht wissen — ich bin nicht der, welcher sich mit dem: Also dann nicht! zufrieden geben wird, das Sie so hinwerfen. Ich gebe mich für Sie nicht damit zufrieden! Können Sie etwas, das Sie sich wünschen, nach dem Sie vielleicht Ihre Hand ausstreckten, vielleicht Ihre Arme ausbreiteten, vielleicht Ihr Herz öffneten, dadurch so in den Staub ziehen, daß Sie, wenn’s zufällig nicht eintrifft, mit einem: Also dann nicht! darüber wegschlüpfen? Beim Gott des Rittmeisters, der da sagte, „wenn es einen gibt“: Frau Eva, das ist Ihrer ganz und gar und durch alle Adern hindurch unwürdig! Und beim Gott des Rittmeisters: Sie sollten niemals wieder ein Vollblutpferd unter sich den Rücken wölben fühlen, Sie, Frau Eva, die Sie da sagen können: „Also dann nicht!“ — Das sage ich Ihnen um der verdammten Ehrlichkeit willen, die wir uns stillschweigend gelobten. „Also dann nicht!“ gibt es nicht zwischen uns, Frau Eva; dazu ist es uns doch wohl zu „feierlich“ um das, was wir voneinander wünschen.
Ich bin sehr hart eben gewesen, Eva — nicht ungerecht! Aber doch so hart, daß ich Sie jetzt noch einmal bitten möchte, bitten mit Worten, derer ich nicht mächtig bin; anflehen, wenn man eine Frau anflehen darf: Wollen Sie sich’s nie wieder antun, so zu sagen, wie Sie gesagt? Sehen Sie (ich will nicht weich werden), aber es täte mir doch leid — und Ihnen vielleicht auch —, wenn nie wieder eine schöne Lux entstehen sollte, deren Züge Sie nicht erkennen wollten, weil Sie die Ähnlichkeit nicht ahnten; wenn nie wieder Esther auferstehen sollte, die da eben sich nähert; wenn ich wirklich „ohne Gestalten“, die ich liebe, auf dieser Erde herumwandeln sollte und nur solche fände, die ich nicht liebe.
Was, meinen Sie, könnte mich wohl veranlassen oder zwingen, etwas an Ihnen aufzugeben? Zufälle? — Ach, Frau Eva, das glauben wir doch beide voneinander nicht. Und wenn Sie hier wären, wollte ich es Ihnen schon zeigen, daß ich immerdar bin
Ihr alter und ganz der nämliche
R.G.B.
Ich schreibe morgen — sehr froh, an Sie wie immer zu schreiben — mehr.
Falkenstein, 13. Okt. 09
Liebe Frau Eva,
Was ich Ihnen heute alles Liebes und Gutes antun möchte! Mit welcher Schmeichelei, welcher feierlichen Liebkosung, welcher Zärtlichkeit, welchem geheimen Zauber Ihr Inneres umfangen! Es ist mir, als hätte ich Sie aus einer unbekannten Fährnis wieder und als müßte ich Ihre Seele in eine Umarmung verstricken, die Sie umfließen und durchströmen müßte, wie diese Wolke herbstlicher Sonne das Land, zwischen Bronze und Gold, bis zu einer lächelnden Ruhe und Kraft.
Zürnen Sie mir nicht wegen gestern. Sehen Sie: es war mir unerträglich an Ihnen; ich hatte Sie zu lieb, um das an Ihnen zu leiden. Es war mir wirklich wie ein Kompromiß an Ihnen; mehr noch: wie ein schlechter, so beinah sudermannischer Kompromiß! — Und das an Ihnen! Na — wir sind doch über sudermannische Kompromisse einig.
Also lassen Sie sich erzählen: ich durfte wirklich an dem Samstagabend nicht kommen — Ihretwegen. Es wäre zu rücksichtslos gewesen, auch wenn es mir körperlich möglich gewesen wäre. Und nachts, als ich so dachte, nun kommt Frau Eva, und du bist weder tot noch dort, da sagte ich mir nur: Gut, daß du nicht dort bist. Man hätte Ihnen ebensogut einen Stein schicken können.
Mein Schwager, ein „animale grande“, zu deutsch: großes Tier, schob alles mehr auf eine allgemeine nervöse Erschöpfung, von der ich aber nicht weiß, wo ich sie her haben soll, wogegen ich immer mehr nach dem Verlauf auf eine akute Nervenentzündung komme. Objektiv war ja damals nichts festzustellen, die Unsicherheit um so quälender und nur die Schmerzen und die Somnolenz des Abends gräßlich. In jedem Fall war nichts mehr zu machen, als Jod zu nehmen. Es geht mir — sehr langsam — besser; die Schmerzen, die ich wohl unterkriegen würde, wenn sie nicht derart gewesen wären, daß sie einen allmählich „auffressen“, sind geringer, und wenn’s gar nicht mehr geht, hilft abends Veronal. —
So! So ausführlich beschäftige ich mich aber auch nur E. C. zuliebe mit meinem Kadaver, den wir jetzt, da er noch nicht tot ist, totschweigen wollen.
Wollen Sie mir bald einmal schreiben? Ich hatte mich gestern so auf den Brief gefreut, den mir Frau Hella ans Bett brachte (denn morgens muß ich mich leider noch pflegen bis spät); und Hell hatte sich auch gefreut, daß sie mir von Ihnen endlich einen Brief bringen konnte, denn ich war ernstlich besorgt, es sei Ihnen ’was zugestoßen, oder Percy habe einen Baum angenommen oder dergleichen.
In alter Treue mit vielen herzlichen Grüßen
Ihr
R.G.B.
Mit Rosen für E. C.
Eile, Rose, ihr zu sagen,
ihr, die deine Schwester ist,
was der Wind dir zugetragen,
als er dich im Rausch geküßt:
Daß er glühend dich umworben,
seine Wildheit an sich hielt
und vor dir dann ist erstorben
zu dem Hauch, der dich umspielt. —
Ach, wie sehr gleicht sie dir, Rose,
Rose, die der Sturm nicht brach;
und der Wind und sein Gekose
ist der Knab’, der unterlag.
R.G.B.
14. 9. 09
Falkenstein, 20. Oktober 1909
Liebe Frau Eva,
Freilich! es ist hier wunderbar schön, in diesen Tagen der Reife — rauschhaft schön! Der Wald ist wiederum schwer von Gold, wie damals im Frühling, als ich Sie vor mir her schreiten sah; aber es ist nicht mehr flüssig, hell und beweglich, das Gold, sondern dunkel, bronzeschwer, und die Füße rauschen schon darin. Satte Kraft überall; keine Müdigkeit, kein Erlahmen. Die Eicheln platzen einem übermütig und prall auf den Hut, und die Äpfel sind herausfordernd gefärbt, wie reife Schöne. Die Bäche sind allenthalben stark und schnell und laut; und die Wiesen grüner als je. — Freilich! Es ist schön hier.
Und doch — was gäbe ich darum, wenn ich dort wäre, wo die Fläche ein Recht hat, da Sand wohl Hügel, aber nicht Berge und Tal bilden kann; dort, um an Ihrer Seite — nur für Minuten! — dahinreiten zu können, so schnell die Pferde gehen, geradeaus!
Denn: Frau Eva, ich klage Sie an, und klage es Ihnen zugleich: ich bin krank an Ihnen. Es ist mir, als ob ich an eine Wohltat dächte, wenn ich an Sie denke, und als ob Sie mir eine Wohltat antuen würden, wenn ich Sie sähe. Durch nichts; durch ein Wort, Ihre Gegenwart allein, durch das Auflegen Ihrer Hand; wie zu den Zeiten der Wunder. Ich hatte mich eben schon so sehr auf das Wiedersehen mit Ihnen in Frankfurt damals gefreut und daraus mir so viel zu nehmen versprochen, daß diese Stunde mir jetzt fehlt, wie ein ganzes Frühjahr mit allen seinen Verheißungen und seinen treibenden Kräften. Meinen Sie, daß ich, R. B., einem Frühling nicht nachreiten sollte über Berg und Tal bis in die Ebene, da er an mir vorbeifuhr? —
Wollen Sie auch bald einmal wieder etwas hören lassen? Es tut mir so gut. Eine ganz „feierliche“ —
von Ihrem R. B.
Frankfurt a. M.
Oberweg 6
Liebe Frau Eva,
War das ein erquicklicher Brief, Ihr letzter! Da sehen wir blinden Männerseelen wieder einmal, wie überlegen uns das Verständnis der Frau für das Geheime der Frau ist. Denn wenn selbst Ihre Deutung der Isot und ihrer Liebe falsch wäre — und ich glaube in diesem Augenblick noch, daß Sie ihrem Dichter zuviel Ehre antun —, so wäre sie doch so fein, daß ich Ihnen schon allein dafür danke. Ich bin mehr als gespannt, ob sich Ihre Lösung, die ja unübertrefflich wäre, auch mir gibt, wenn ich das Stück gesehen habe. Mein Mißverständnis würde also daher rühren, daß ich beim Lesen annahm: Isot hätte in der Szene mit Denovalin und Tristan, als er in voller Rüstung vor ihr steht und seinen Verleumder tötet, als er über die Mauer springt, ihn erkannt. Nach diesem Erkennen ist mir das Rückverfallen in Blindheit bei den doch wenig alltäglichen Reden des Narren, der Ringgeschichte und dem Namensspiel zu unglaubhaft, daß sie beim „Tantris“ nicht an Tristan denkt, macht sie doch beinah zu dumm für eine Frau. Aber gleichviel: die Idolatrie der Liebe ist eine feine Lösung!
Für Ihren Ritter ist wohl keine Gefahr, daß ihn Frau Isot nicht wiedererkennt; denn ab und zu schickt er ihr ja ein Gedicht, das weit genug davon entfernt ist, daß es zur Aufrichtung von Thronen berechtigte. Und was Sie von seiner freien Seele sagen: sie meldet sich wohl ab und zu — aber eben scheint sie mir gar nicht sehr fortschrittlich und bewegt sich auf ganz närrischen Bahnen, närrischer als die des Tantris. Auf die Gefahr hin also, als Mystiker von Ihnen gerichtet zu werden, sende ich Ihnen den „Schenken“, da er am 15. September merkwürdigerweise seine Fassung erhielt und das, was nach Ihrem Hiersein in mir entstand, sich nicht fassen lassen wollte. Nun sagen Sie, was ihm fehlt!
Die Eva divina sind Sie natürlich nicht, noch wünschte ich es, daß Sie es wären; aber doch sind Sie auch durch diese Verse hindurchgegangen.
Sie erwähnten neulich Assüs Fitne; würden Sie mir das leihen können, wenn Sie’s besitzen?
In diesen Tagen schicke ich Ihnen die Legenden der Zeit, die nun endlich heraus sind und sich ganz artig ausnehmen. Und wenn Sie die Geschichte des Rittmeisters wieder lesen werden, dann werden Sie ja auch des Tages gedenken, als ich vor Ihnen saß:
„Quel giorno più non vi leggemmo avante.“
Ich werde es auch nicht vergessen.
Eigentlich ist das Buch Ihr Weihnachtsgeschenk; aber ich verfrühe seine Übergabe, da ich wünschte, Sie würden für die ungleichen Zwillinge etwas „werben“, wenn die Gerechtigkeit Ihres Richtschwerts das erlaubt. Ich bin ja wirklich gespannt, ob so etwas außer dem Kreise unserer Heiligen irgendeinen Anklang findet, mache mir aber gar nichts daraus, wenn das nicht der Fall wäre. Ihre Freundin Rose begrüße ich als M.d.F.G.H. Dieses Hildesheim, das ich immer schon als ein ganz verzaubertes Nest angesehen habe — ich war nie da —, birgt also einen Zauber und eine Rose mehr.
Wir sind seit Montag in der Stadt, wo kein Tal ist, in das ich flüchten kann, Sie so allein zu begegnen, wie da draußen. Das Novemberwetter, das einsetzte, nachdem man draußen das Haus verschlossen, ist so freundlich, einem etwas über den Verzicht wegzuhelfen; nun muß man sich so durch die kurzen Tage lügen. Wenn hier wenigstens ein gutes Theater wäre! Aber es lockt einen gar nicht sehr; und eigentlich sollte ich recht viele Abende dort verbringen.
Wenn mir nicht ein besonderer Zufall zu Hilfe kommt, so werde ich Ihnen wohl kaum vor Neujahr näher rücken. Aber die Stunde, die mir bei Ihrer Rückfahrt durch Frankfurt von einem widerwilligen Geschick vorenthalten wurde, fehlt mir noch immer.
Frau Eva, reden Sie mir nicht so despektierlich von Ihrer Seele; nur daß Katzen heilig sind, versöhnt mich etwas mit dem von Ihnen gebrauchten Ausdruck. Und wenn Sie meiner Seele einen Kuß zudenken, so bin ich unbescheiden genug zu wünschen, ich trüge sie auf den Lippen. Ich will zu Ihnen keine gleichen Umwege beschreiten und küsse Sie geradeswegs auf den Mund, wie es einem Ritter gegen seine Frau über eine Rose weg erlaubt ist oder wenigstens erlaubt sein sollte; und der Kuß mag den Weg zu Ihrem Seelchen allein finden, dem er zugedacht ist.
Also!
Ihr R.B.
Der Schenke des Lebens
Und eines Abends werde ich
zur Schenke gehen reinen Herzens;
zu jener still geliebten, die mir mehrt den Geist
und Schönes mir in Schöneres verkehrt.
Der Schenke wird mir reichen das gefüllte Glas,
wie immer, und wird sprechen: Trink!
Mich aber wird’s ergreifen, ach!
halb hin mich reißend, halb voll innrer Abwehr,
und ich werd sagen: Nein! —
Doch er drauf: Tu’s mir zu Liebe!
Und dann — dann werd ich trinken;
und werde wissen, wer der Schenke war,
der zu mir sagte: Mir zu Liebe tu’s! —
Des Dunkels Wohltat wird um mich sich gießen
in einem ruhevollen, schweren Rausch.
Wo bist du, Schenke, nun? wo Tod, wo Schlaf,
wo Traum? Wo war das Wachen einst?
Warst du der Rausch,
du schönheitsschwere Welt? —
Wie danke ich dir alles, treuer Schenke?
Kein Blick erreicht dich mehr; kein Druck der Hand
für dich, der zu mir sagte: Trink! —
Vielleicht nur gibt es einen leisen Klang
von einem Glase, das in meiner Hand zersprang.
15. Sept. 09
R.G.B.
Frankfurt, 11. Dez. 09
Liebe Frau Eva,
Nun trage ich Ihren letzten Brief mit anderen von Ihnen, die mir lieb sind, schon zwei Wochen mit mir umher, und wenn ich ihn ganz leise und wohl schon manchmal unwillkürlich hervorziehe, um ihn wieder zu lesen und mir ’was Neues daraus zu erholen, dann will ich mich zwar gewöhnlich gleich hinsetzen, um ihn zu beantworten, aber jedesmal freue ich mich beinah wieder, es noch nicht getan zu haben.
Denn indem man einen Brief beantwortet, nimmt man in gewisser Weise von ihm Abschied, auch wenn man ihn nicht aus seiner Brusttasche in das Archiv verbannt, in welchem alle Briefe nach und nach die Neigung zeigen, sich aus warmen lebendigen Wesen von heute in die kühleren von gestern zu verwandeln. Von den Ihrigen halte ich nun wohl so viele warm und lebendig, als irgend angeht, ohne daß ich die Brieftasche eines Wachtmeisters bekomme. Aber das schlimmste an der Antwort eines Briefes ist doch immer die Erwartung auf einen neuen Brief von Ihnen; und wenn der dann nach meiner Auffassung auf sich warten läßt — eine Ihnen gegenüber sehr ungerechte Auffassung —, so leide ich sichtbarliche Qualen, die ich in anderen Lebenslagen als wenig heldenhaft an mir selbst belächeln würde. Augenblicklich freilich lasse ich sie so hingehen; es mag genug sein, daß Sie sie belächeln.
Über Ihre Zeilen nach der Schneenacht im verträumten Park von Potsdam denken Sie, ich hätte mich mokiert? Auch nur ein wenig mokiert? — Wie können Sie eigentlich das denken? Wäre das eines Ritters, und besonders: wäre das Ihres Ritters würdig? Nein, Frau Eva. Ich lache manchmal ganz laut, übermütig und frei, wenn ich an Sie denke; aber es ist dann immer nur der Ausbruch einer nicht zu bändigenden Freude über Sie; Freude darüber, daß an Ihnen etwas ist, von dem noch keiner Besitz ergriffen hatte und hat, und das jetzt mir ist — ganz allein mit allem Fug und Recht mir ist, trotz aller Rechte und Anforderungen, in denen sich Ihr Besitz für wen auch immer zu verkörpern scheint.
In Ihrem letzten Brief, da ließen Sie wieder mich meine Freude daran haben, daß Sie das Richtschwert so schön blank und scharf halten, welches einst — ich will’s nie vergessen! — während einer Wagenfahrt in Rom in Ihre Hand gelegt wurde. Manchmal hat der Mensch (ich meine mich) doch ein unverantwortliches Glück! Daß das so gut und wertvoll für mich sich erweisen würde, konnte ich doch wirklich damals noch nicht ahnen; auch wird es wohl eine ganze Anzahl Frauen geben, die fein empfinden oder stark empfinden oder gesund empfinden — daß aber eine Frau fein, stark und gesund empfindet und man dieser Frau auch wirklich begegnet, ihrer sozusagen habhaft wird — das ist doch nur einem wirklich Glücklichen möglich.
Viele Grüße und ein Paar
ganz weit ausgebreiteter Arme
Ihres
R.G.B.
Leipzig, 12. Februar 1910
Liebste Frau Eva,
Wenn man jemanden gar lieb hat, so ist man wohl in allen Dingen zart mit ihm — nur in einem ist man wirklich rücksichtslos: in dem Wunsch und der Hoffnung auf irgendein Zeichen. Vor der Hoffnung, sehen Sie, sind wir alle die gleichen Kinder. Und so erging es mir heute: wenn Sie gewußt hätten, wie ich nach dem kleinsten Wort von Ihnen zittere, Sie hätten es mir gegönnt — schon aus Mitleid. Dann sagte ich mir — ganz vergebens —, daß Sie doch eben erst geschrieben hatten; daß Sie vielleicht mit ebensolcher Ungeduld auf einen Brief warteten, der schon als Antwort auf Ihren angekündigt war.
Ich las die Verse noch einmal, die ich in dem noch immer wachsenden Empfinden für Sie gemacht hatte, und fand sie schwach und ohnmächtig gegenüber dem Gefühl, das ich heute für Sie in mir trage. Noch vor drei Tagen schienen sie mir ungefähr das auszudrücken, was ich empfand; und deshalb sagte ich sie Ihnen. Heute ist das alles titanisch überwachsen, und mich faßte die Angst, daß auch Sie schon weit hinaus waren über den Grund, der uns noch vor einigen Tagen gemeinsam hielt, weit hinaus über den Grund, den die Füße anderer dort drunten berühren. Das hätte ich wohl gerne aus einem Wort erfahren.
In Ihrem Brief, dessen liebe Anrede mich schon wie eine besondere, feine Zärtlichkeit berührte, sagen Sie, solange Sie glauben, daß ich Sie liebe, könnten Sie mich für niemand anderen aufgeben, sondern Sie würden bis zum Letzten kämpfen. Was Sie mir Großes, Gutes, Schönes mit diesem Willen antun: fast müßt’ ich mich schämen, wenn’s mich nicht so stolz machte. Aber, Eva, dann werden Sie wohl kämpfen müssen; vielleicht lang, vielleicht heiß und schwer. Denn das sollen Sie nie und nimmer glauben dürfen, daß ich Sie nicht mehr liebe. Denn wenn Frau Hell das Gütige, Aufopfernde, Treue, Kindliche, Instinktive, Ähnliche, Sich-Spiegelnde hat, was man lieben muß, sofern man selbst dieser Eigenschaften nicht bar ist, so haben Sie für mich das Dynamische, Polare, das Gewichtige, welches die Schalen ins Gleichgewicht bringt, das Gegenüberstehende, das Weibliche, das Entgegengesetzte, das Kräftige, das Gesunde, das sich in der Hingabe Behauptende, dem man verfallen ist. Wo war jemals das Übergewicht so auf einer Seite, als wie es diesmal auf der Ihren ist!
So empfinde ich; und da mir ungesunde Empfindungen, wie ich weiß, fremd sind, so wird es auch diesmal gesund sein, obwohl das alles mir neu, unerwartet und mit aller Unheimlichkeit des Elementaren, aber auch mit allen seinen Schönheiten und Größen erfüllt ist.
Am Donnerstag war im Gewandhaus die cmoll-Symphonie. Als ob sie für mich ausgesucht gewesen sei; und Arthur Nikisch tat, als ob er sie nur mir aufführte, mir und meiner Stimmung. Die ist eben gerade so auf das Vornehme aus, daß ich die vorgenommene Lektüre des Zauberlehrlings ganz unmöglich fand. Von einer Selbstschilderung hatte ich ganz genug. Ich habe alles Organ für das natürlich Kraftvolle; aber ich finde einen griechischen Athleten schöner als die Preisringer von heute.
Frau Eva, ich muß schließen. Wir gehen in eine ganz kleine Abendgesellschaft, und es wird Zeit dazu.
Hell sagt, sie habe Ihnen geschrieben, ich weiß nicht was. Aber glauben Sie mir, sie meint’s gut.
Wie immer und auf immer
Ihr
RB.
Weimar, 14. März 1910
Liebste Frau Eva,
Bevor ich schreibe, schreibe ich doch erst noch einige Zeilen an Sie! Denn es ist ja doch so lange her, daß — ich Ihnen nicht geschrieben habe.
Der Zug ging immer weiter, immer weiter von Ihnen weg; und das soll er ja auch, und man hat ihn ja nur bestiegen, um wegzukommen. Aber ich fand es eben doch ganz unverantwortlich dumm, albern und unnötig, daß er mich immer weiter von Ihnen weg brachte. Als ich im Elefanten hier die Treppe hinaufeskortiert worden war, fand ich den erwarteten Brief von Frau Hella vor und meinen Koffer. Ich machte den Brief zuerst auf; aber dann unterbrach es mich unbewußt — und ich machte den Koffer auf und holte das Bild von Frau Eva hervor, stellte es auf meinen Schreibtisch (weil ich offenbar nicht mehr recht wußte, wie meine Freundin aussah) und las dann den Brief. Ich dachte wohl, ich hätte dann mehr Ruhe dazu; aber alles das waren ganz absichtslose Vorgänge in mir und von mir.
Ich wollte Ihnen nun nur noch für diese Tage danken; und Sie wissen, wie ich es tue! Aber: unserem Freunde, dem Zufall, müssen wir auch für sein Teil danken, da er ein Freund der Liebenden war; und ein nobler und guter Freund, der sich sehen lassen kann vor der Welt und vor uns. Und so ist er wahrlich nicht immer!
Grüßen Sie Willi herzlichst und danken Sie ihm noch für seine Gastfreundschaft.
Später einmal mehr von Ihrem Getreuen
R.G.B.
Falkenstein, 25. Aug. 1910
Liebe Frau Eva,
Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll; eine ganze Last von Dank und ein Berg von vielem, das ich Ihnen — man kann nun schon sagen: jahrelang — mitzuteilen pflege als etwas, an dem Sie wie ein Recht und einen Anteil gewonnen haben, warten darauf.
Aber wie ich nun das Ganze in diesen beiden eben namhaft gemachten Haufen gesondert habe, wird’s schon leichter.
Da küsse ich mir zuerst ein ordentliches Stück Dank von Ihrem Mund für das Stimmungsnovellchen, zu dem Sie ganz allein den mutigen und ermutigenden Anstoß gegeben haben; sonst wär’ es nicht entstanden. Obgleich es, wie Sie sich gleich überzeugen werden, aus bestimmten Gründen keinen Kranz bei dem Münchener Preisausschreiben sich verdienen wird, ist es — glaube ich — was sonderlich Feines geworden; womit es freilich (hoffentlich!) nur dartut, daß es so der rückläufige Pendelschlag hinter der weitausholenden Arbeit der Waffenbrüder war. Anton, räuberisch wie er ist, wollte die Abschrift gleich mit für Lux nach Berlin nehmen; aber das ging mir denn doch gegen das Herz, daß Sie