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Klara Bellis

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Beschreibung

Susanne rennt um ihr Leben, gehetzt von einer Meute, die sie durch eine menschenleere Stadt treibt. Ihre einzige Zuflucht ist ein verfallenes Haus. Doch hier ist sie nicht allein.

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Klara Bellis

An einem verlorenen Ort

Kurzgeschichte

Für Beere und SchrumpelBookRix GmbH & Co. KG81371 München

Auf der Flucht

Seitenstechen. Das hatte ihr gerade noch gefehlt. Susanne presste die Hand auf den Schmerz und rannte weiter. Die Stiche wüteten in ihren Eingeweiden. Lange konnte sie das Tempo nicht mehr durchhalten. Sie kämpfte um jeden Atemzug. Sie musste hier weg, sich verstecken. Bloß wo? Suchend schaute sie sich um. Das Bild vor ihren Augen flackerte, vage Schatten, die im Nebel tanzten. Nirgendwo eine Tür oder wenigstens ein Loch, in das sie hätte hineinkriechen können. Hektisch wischte sie sich eine Strähne aus der Stirn. Ihr langes Haar verdeckte ihr die Sicht. In ihren Taschen wollte sie nach einem Haargummi suchen, doch es gab keine Taschen. Verdammt, warum trug sie lediglich ihr Schlafshirt? Und barfuß war sie auch noch.

Sie kamen näher, immer näher. Sehen konnte sie ihre Verfolger nicht. Aber hören. Jeden Augenblick konnten sie um die nächste Ecke biegen und dann wäre sie geliefert.

Welche Ecke? Sie blinzelte. Der Nebel lichtete sich und gab den Blick auf eine Straße frei, gesäumt von hohen Gebäuden. Spätes neunzehntes Jahrhundert. Ein Grauschleier überzog die einst reich verzierten Fassaden, an denen der bröckelnde Putz die Backsteine freigelegt hatte. In den schwarzen Fensterhöhlen hingen in Fetzen gerissene Gardinen.

Das Gelächter ihrer Verfolger trieb sie an. Sie ging in die Hocke und zwängte sich durch ein Kellerfenster, das schon längst Rahmen und Fensterscheibe eingebüßt hatte. Aufgefressen von der alles zersetzenden Zeit, wie der Rest der Pracht, die das Gebäude einst ausgestrahlt haben musste.

Ihr Schlafshirt verfing sich an einem rostigen Nagel, der aus der Wand ragte. Verzweifelt zerrte sie an dem dünnen Baumwollstoff. Mit einem Ratsch riss das Shirt und gab sie frei. Ungelenk plumpste sie auf den Boden. Sie rappelte sich auf. Feuchte Kälte klebte an ihren Füßen. Uringestank biss ihr in die Nase. Die Dunkelheit verschluckte sämtliche Details, bis auf das Rechteck aus purer Schwärze, das in der gegenüberliegenden Wand einen Durchgang erahnen ließ.

Auf der Straße stampften Schritte, ein bedrohlicher Rhythmus, der sie zur Eile antrieb. Ihre Verfolger waren ganz nah. Sie schwatzen und lachten. Ihre Stimmen klangen siegesgewiss. Sie musste vom Fenster weg und tiefer in das verlassene Gebäude hinein. Bot dieser Ort doch den einzigen Schutz, den sie im Moment hatte.

Vorsichtig tastete sie sich aus dem engen Kellerverschlag, vorbei an rostigen Fahrrädern, verschimmelten Kartons und Kohlendreck. Vor ihr öffnete sich ein Gang. Auf den feuchten Backsteinwänden lag ein matter Schimmer, der ihr half, sich in der Dunkelheit zu orientieren. Sie rannte weiter. Der Druck in ihrem Rücken zeugte davon, dass ihre Verfolger die Spur längst aufgenommen hatten. 

Längst war sie mit ihren Kräften am Ende. So musste sich ein Sumoringer fühlen, der an einem Marathonlauf teilnahm. Dabei war sie keine vierzig Jahre alt. Na gut, eigentlich war sie schon zweiundvierzig. Aber auf manchen Selfies ging sie locker als Ende dreißig durch. Wenn sie das hier überlebte, würde sie Sport treiben. Jeden Tag. Und zwanzig Kilo abspecken oder besser gleich fünfundzwanzig. 

Warum nur jagte die Meute sie? Wie absurd sich das anfühlte: eine technische Zeichnerin auf der Flucht vor einer Mörderbande. Eine harmlose Büroangestellte, die noch nie in ihrem Leben ein Risiko eingegangen war, die sich immer an sämtliche Gesetze gehalten hatte und niemals angeeckt war. Gestern Abend hatte sie noch an einer Kurzgeschichte geschrieben, ein Hobby, dem sie seit ihrer Kindheit frönte. Später hatte sie Kater Schmidt gefüttert und anschließend war sie ins Bett gegangen, so wie jeden Abend und dann …