Andechser Tod - Michael Gerwien - E-Book

Andechser Tod E-Book

Michael Gerwien

3,8

Beschreibung

Walpurgisnacht. Exkommissar Max Raintaler ist mit Freunden zu Gast in Machtlfing, beim Tanz in den Mai. Franz Wurmdobler, Max’ Exkollege bei der Münchner Kripo, macht die anderen zu vorgerückter Stunde auf ein vermeintliches Ufo am Sternenhimmel aufmerksam. Noch in derselben Nacht geschieht ein tödlicher Unfall. Oder ein brutaler Mord? Als Max mehr herausfinden will, stößt er auf eine weitere Leiche. Waren es die Außerirdischen? Eine spannende Verbrecherjagd in und um München herum beginnt ...

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Michael Gerwien

Andechser Tod

Ein Fall für Exkommissar Max Raintaler

Impressum

Personen und Handlung sind frei erfunden.

Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen

sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

Besuchen Sie uns im Internet:

www.gmeiner-verlag.de

© 2014 – Gmeiner-Verlag GmbH

Im Ehnried 5, 8860 5 Meßkirch

Telefon 0 75 75 / 20 95 - 0

[email protected]

Alle Rechte vorbehalten

Lektorat: Claudia Senghaas, Kirchardt

Herstellung: Mirjam Hecht

E-Book: Julia Franze

Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart

unter Verwendung eines Fotos von: © Wolfgang Zwanzger – Fotolia.com

und © Kautz15 – Fotolia.com

ISBN 978-3-8392-4478-4

Widmung

Sakrischen Dank an Lilli und Patrick und vor allem an Claudia Senghaas

Gemeint ist hier nicht Machtlfing, wie es ist, sondern Machtlfing, wie es wäre, wenn es so wäre, wie es hier ist.

Kapitel 1

»Hey, schaut mal, Leute! Das ist doch … ein … verdammt noch mal, da fliegt doch ein Ufo!«

Hauptkommissar Franz Wurmdobler zeigte mit vor Aufregung wackelnden Backen in den sternenübersäten Nachthimmel.

»Blödsinn, Franzi. Das Einzige, was hier draußen um diese Zeit fliegt, sind die Mücken.« Exkommissar Max Raintaler, der gerade einen großen Schluck aus seiner Bierflasche gemacht hatte, schlug sich zum Beweis seiner These kräftig auf den Unterarm. »Scheißviecher!«, rief er dabei. »Habt ihr gewusst, dass die inzwischen auch in unseren Breitengraden die Malaria übertragen können?«

»Geh Schmarrn, Max. Du immer mit deiner Krankheitspanik. Wo ist ein Ufo, Franzi?« Der schnauzbärtige dunkelhaarige Torwart des Thalkirchner FC Kneipenluft, Josef Stirner, der ihnen, wie gewöhnlich in Jeans, Hemd und Sakko gekleidet, gegenübersaß, drehte sich neugierig um. »Ich sehe nichts.«

Josef hatte Max, seinen pfeilschnellen blonden Spielerkollegen beim FC, und den kleinen dicken Franz samt weiblichem Anhang auf das Maifeuer bei Machtlfing eingeladen. Es hatte sich so ergeben, weil er hier im Fünfseenland zwischen Starnberger See und Ammersee seit einem halben Jahr ein großes von seinem Vater geerbtes Anwesen bewohnte. Wegen der guten Landluft. Natürlich hatte der reiche Millionenerbe und alte Schulfreund der beiden, der in München-Thalkirchen sowie in Malibu zwei weitere sehr ansehnliche Villen besaß, erstklassige Ehrenplätze an einem gemütlichen lang gestreckten Biertisch nahe dem Feuer für sie alle besorgt.

Um sie herum tobte das Leben in der fast schon sommerlich warmen Samstagnacht. Ansässige Bauern, Besucher aus der Stadt, von gestern übriggebliebene Freaks, langhaarige Reggaetypen von gestern und heute, Punks in Lederjacken, Oberwichtige im Anzug oder in der Tracht, Arbeiter im Vollrausch, Akademiker im Vollrausch. Fantasievoll verkleidete Frauen, Männer, Alte, Junge. Hier war heute schätzungsweise alles, was in der nächsten Umgebung zwei Beine hatte und über 18 oder knapp darunter war, vertreten und feierte gemeinsam die Nacht der Hexen und des Aberglaubens, der Teufel und der Leidenschaft, des Tanzes und der Drogen, des Alkohols und des seit jeher bösen Erwachens danach: die Walpurgisnacht.

Alles in allem war es eine bunte Schar von vielleicht 300 Leuten, die sich in der weitläufigen Senke gleich beim Waldrand versammelt hatte. Die meisten von ihnen tanzten. Andere standen, etwas abseits vom Tanzgeschehen, staunend vor den riesigen Flammen des Feuers. Mit ihren Peitschen knallende, furchterregend maskierte Gesellen rannten laut schreiend zwischen den Grüppchen herum. Über allem dröhnte seit zwei Stunden eine ohrenbetäubende Mixtur aus billigem volkstümlichem Schlager, gnadenlos harter Rockmusik, chilligem Esoteriksound und fremdartigen mittelalterlichen Klängen.

»Ich sehe auch nichts. Außerdem gibt es keine UFOs, Franzi!« Max, der wie immer in Jeans, T-Shirt und schwarzer Lederjacke aufgetaucht war, setzte eine überlegene Besserwissermiene auf. Wahrscheinlich hat der gute Franzi wieder mal einen sauberen Rausch von seinen paar Halben Bier, sagte er sich. Dass er selbst ebenfalls reichlich angetrunken war, hielt er in diesem Zusammenhang für nicht weiter erwähnenswert.

»Und was ist dann das da? Schau doch wenigstens mal richtig hin.«

So leicht gab einer nicht auf, der seit über 20 Jahren Verbrecher jagte. Franz streckte erneut seinen Zeigefinger in die Luft, wobei ihm der Ärmel seiner viel zu knappen dunkelgrünen Lieblingswolljacke bis zum Ellenbogen zurückrutschte.

»Was denn? Wo denn?« Max sah nur massenhaft blinkende Sterne.

»Na, da hinten. Da fliegt es.«

»Stimmt, jetzt sehe ich es auch.« Der Thalkirchner Exkommissar riss staunend die stahlblauen Augen auf. »Da fliegt tatsächlich was. Aber das ist sicher bloß ein Flugzeug. Oder ein Satellit. Hundertprozentig.«

»Könnte wirklich ein Satellit sein«, schloss sich Josef an, der das von Franz angesprochene Licht am Sternenhimmel nun ebenfalls wahrzunehmen meinte. »Aber so hell? Schon komisch.«

»Finde ich auch. Ich hab nämlich noch nie Flugzeuge oder Satelliten gesehen, die im Zickzack fliegen.« Franz klang jetzt fast wieder nüchtern.

»Du hast doch ein Rad ab, Franzi.« Monika, die wie Max lässig in Jeans und T-Shirt zur Feier erschienen war, bekam die lautstarke Diskussion ungewollt mit einem Ohr mit. Mit dem anderen war sie bei der Musik, während sie die fantasievollen Masken der Umherlaufenden bewunderte. »Es gibt weder UFOs noch Außerirdische. Das weiß doch jedes Kind.«

»Eben«, stimmte ihr Franz’ bessere Hälfte Sandra mit entschiedenem Kopfnicken zu.

Sie hatte ein rotes Minikleid an, das zwar unbedingt ihre makellose Figur unterstrich, ihr im Laufe des Abends aber wohl sicher schnell zu kühl werden würde. Jedenfalls meinte Max, das treffsicher vorhersagen zu können. Vorausgesetzt, es hätte ihn jemand danach gefragt, was aber niemand tat.

»Trinkt nicht so viel. Bier macht sowieso nur dick.« Sie musterte die enorme Leibesfülle ihres zu kurz geratenen Göttergatten mit einem abschätzigen Blick.

»Ja, ja, schon recht. Frauen sind die Vernünftigeren. Wissen wir alle. Aber wie wäre es denn, wenn ihr wenigstens ein Mal schaut?« Franz deutete, ohne hinzusehen, auf einen imaginären Punkt rechts über dem Feuer.

»Wohin denn?«, erkundigten sich Monika und Sandra wie aus einem Munde, nachdem sie seiner ausgestreckten Hand mit den Augen gefolgt waren.

»Na dahin!« Er drehte seinen Kopf in ihre Blickrichtung. »Zu dem fliegenden Licht da! Ja wo ist es denn auf einmal? Mist. Es ist weg.« Er schüttelte den kahlen Kopf. »Aber da war was. Es war kein normales Flugzeug. Auch kein Satellit oder so etwas. Ich schwöre es.« Er war sich seiner Sache absolut sicher. Schließlich beschäftigte er sich seit seiner Kindheit mit dem Phänomen der Außerirdischen und ihrer Raumschiffe.

»Vielleicht haben wir aber auch bloß einen großen Funken aus dem Feuer durch die Luft fliegen sehen«, mutmaßte Max. »Bei so einem Feuer hat man schnell mal eine optische Täuschung. Und nach ein paar Flaschen Andechser Bergbock erst recht.«

»Das mit dem Feuer kann sein«, räumte Josef ein, während er sich zu dem Bierkasten unter ihrem Tisch hinunterbeugte, um sie alle mit Nachschub zu versorgen. »Aber merkwürdig war das gerade schon mit diesem Licht. Da kann ich unserem Franzi nur recht geben.« Er blickte noch einmal prüfend zum blinkenden Firmament empor, wo sich inzwischen alles wieder am gewohnten Platz befand.

»Egal. Was soll’s?«, meinte Franz achselzuckend. »Vielleicht war es wirklich bloß ein Funke. Ich muss auf jeden Fall mal kurz den Waldrand aufsuchen. Dringende Geschäfte.«

»Aber verlauf dich nicht, alter Freund«, rief ihm Max hinterher. »Und pass auf die Hexen und Elfen auf, die sich heute Nacht­­­­­ herumtreiben.«

»Keine Angst. Ich lass mich nicht ansprechen.«

Franz verschwand lachend in der Dunkelheit.

»Und? Was meint ihr? Gibt es Außerirdische? Oder gibt es sie nicht?« Max blickte neugierig in die verbliebene Runde.

»Hab ich doch gerade schon gesagt«, erwiderte Monika, während sie schnaubend ihre wunderschönen blauen Augen verdrehte. »Es gibt keine. Sonst wäre uns längst einer begegnet.«

»Eben.« Die neuerdings blond gefärbte Sandra nickte zustimmend und nippte an ihrer Maibowle.

»Ich bin mir da nicht ganz so sicher wie ihr.« Josef trank einen großen Schluck Bier. Danach stellte er die halb leere Flasche vor sich auf dem Tisch ab. »Nehmt bloß mal die Sache mit Roswell, 1947, und mit der Area 51 in Nevada. Da gab es sogar Beweise für ihre Existenz. Sie wurden natürlich von der US-Regierung beiseitegeschafft, damit keine Panik entsteht.«

»Echt?« Sandra schien nicht schlecht zu staunen. Davon hatte sie anscheinend noch nie gehört. Obwohl sie doch sonst immer so gut wie alles wusste.

»Hohe Militärs bezeugen in etlichen Filmaufnahmen die Existenz eines abgestürzten UFOs, das samt außerirdischer Besatzung von einem Farmer aufgefunden wurde.«

»Das glaube ich erst, wenn ich es mit eigenen Augen sehe.« Monika blieb wie stets mit beiden Beinen auf dem Boden.

»Da brauchst du bloß mal ins Internet gehen. Wer weiß? Vielleicht sind sie ja längst unter uns, und wir erkennen sie bloß nicht.« Josef grinste schelmisch. Er schien das Thema trotz seiner schlagenden Argumente nicht so ganz ernst zu nehmen.

»Nichts als unbewiesener Schmarrn, Josef.« Monika schüttelte ihr dunkle Lockenpracht und winkte, ebenfalls grinsend, ab.

»Wieso? Könnte doch sein, dass sie unser menschliches Aussehen angenommen haben, um nicht weiter aufzufallen«, widersprach er.

»Und was sollten sie dann hier wollen? Einfach bloß so unter uns herumspazieren und nicht weiter auffallen?« Sie lachte höhnisch auf.

»Vielleicht wollen sie die Menschheit auf unauffällige Art übernehmen. Zuerst müssen sie dazu unsere Gesellschaft langsam infiltrieren, ohne dass wir es merken, und eines Tages sind dann auf einmal alle Menschen Außerirdische. Möglich wäre es.« Josef legte, immer noch grinsend, den Kopf schief.

»Und keiner merkt was? Du spinnst doch, Josef. Die Menschheit ist im Gesamten gesehen zwar pumpenblöd, aber so blöd ist sie auch wieder nicht.« Monika zeigte überlegen lächelnd ihre makellos weißen Zähne, die wie Perlen an einer Schnur in die laue Nacht hinein blitzten.

»Woher willst du das wissen, Moni?«, mischte sich Max ein. »Was wäre denn, wenn ein paar von uns längst Außerirdische wären, und wir anderen haben es bloß noch nicht bemerkt?«

»Und wer sollte das deiner Meinung nach sein?« Sie sah ihn abwartend an.

»Na ja. Die Politiker zum Beispiel. Oder die Chinesen. Vielleicht sind sie ja deswegen so erfolgreich. Oder unser Franzi ist einer von ihnen. Kann man es wissen?« Er grinste breit. Dann nahm er seine Flasche in die Hand und genehmigte sich genussvoll stöhnend einen ausgiebigen Schluck Bier.

»Franzi? Ein Außerirdischer? Das wüsste ich aber.« Sandra gackerte ausgelassen. »Obwohl, wenn ich mir seinen Kugelbauch so anschaue … Der hat schon was Außerirdisches.«

Lautes Gelächter am Tisch.

»Aber wie soll das dann mit deiner Erfolgstheorie von den Chinesen zusammenpassen, Max?« Monika konnte nicht mehr aufhören, albern zu kichern.

»Manche von den Aliens sind eben ganz normal, oder schusselig wie unser Franzi. Zur Tarnung. Damit sie nicht auffallen. Versteht ihr?«

Erneutes allgemeines Gelächter am Tisch.

»Wo bleibt unser kleiner Freund eigentlich? Er müsste doch längst zurück sein. So viel hat er auch wieder nicht getrunken, dass er sich besoffen irgendwo hingelegt haben muss.« Josef deutete auf die halb volle Bierflasche, die Franz auf dem Tisch zurückgelassen hatte.

»Keine Ahnung. Er wird schon wiederkommen. Der Franzi kommt immer wieder.« Max nickte wissend.

»Der Untergang ist nah! Sehet die Zeichen! Sie sind überall.«

Eine alte dunkel gekleidete Frau hatte sich ihnen lautlos genähert. Sie trug ein schwarzes Kopftuch und blickte mit einem leicht irren Blick aus ihrem faltigen Gesicht auf sie hinab. Oder schielte sie nur? Es war nicht genau zu erkennen.

Fehlt nur noch die Katze auf ihrer Schulter, dachte Max. Oder der Rabe. »Was denn für ein Untergang? Sind wir nicht längst alle am Boden?« Er prustete laut los.

Monika stimmte, noch während sie trank, ein und spuckte dabei unfreiwillig eine riesige Fontäne aus Schaum und Bier über den Tisch.

»Herrschaftszeiten, pass doch auf, Moni! Sonst findet der Untergang am Ende gleich jetzt und hier statt.« Max, der zu spät aufgesprungen war, um sich aus der Schusslinie zu bringen, schaute ein gutes Stück weniger amüsiert als zuvor auf seine nassgewordene Jeans hinunter.

»Sorry, Max. Tut mir leid. Ich wasch deine Hose wieder. Aber der Spruch war leider gut. Und nur zu wahr.« Sie wischte sich mit dem Ärmel ihres Sweatshirts über den feuchten Mund.

»Noch lacht ihr. Aber nicht mehre lange, lange. Die Zeichen sind überall! Überall! Ihr müsst sie nur erkennen.« Die Alte kicherte krächzend. Im nächsten Moment war sie wieder in der Dunkelheit verschwunden.

»Irgendwie gruselig.« Monika hörte auf zu lachen, während sie den schwarzen Pulli überzog, den sie sich für den Fall, dass es kalt werden würde, mitgebracht hatte. »Die kann einem glatt Angst machen«, fügte sie flüsternd hinzu.

»Ach was. Das war bloß eine Alte aus dem Dorf. Die redet immer blödes Zeug«, beruhigte sie Josef. »Ich hab sie schon ein paar Mal gesehen. Hat leicht einen an der Schüssel. Aber sie ist absolut harmlos.«

»Na also. Alles bestens.« Max trank beherzt aus. »Ist eigentlich noch Bier da?«

»Logisch. Wenn wir etwas haben, dann ist es genug Bier!« Josef bückte sich erneut unter den Tisch.

Als er wieder heraufkam, erblickte er zwei überirdisch schöne dunkle Augen in einem außerirdisch hübschen Gesicht über einer galaktisch perfekten Figur mit Beinen bis zum Mond.

Auch Max starrte die späte brünette Besucherin in Turnschuhen, hautengen Bluejeans und rotem Sweatshirt mit offenem Mund an. Eine Göttin, schoss es ihm durch den Kopf. Oder eine Außerirdische? Eins von beidem auf jeden Fall. Oder beides? Oder doch ein Engel? Der Wahnsinn. Wo kam die denn auf einmal her? Und vor allem, was wollte sie hier unten auf der Erde? »Guten Abend, schöne Frau. Können wir Ihnen irgendwie helfen?« Er deutete einen Diener an und hatte auf den Schlag nur noch Augen für sie.

Monika konnte es nicht fassen. Wann hatte er vor ihr zuletzt einen Diener gemacht? Das musste 300 Jahre her sein. Mindestens.

»Hello!«, hauchte die Angesprochene mit einem Lächeln, das garantiert beide Polklappen gleichzeitig zum Schmelzen gebracht hätte, wenn sie auch nur annähernd in der Nähe gewesen wären.

»Hello, Englisch?«, mischte sich Josef vorlaut ein, der natürlich wusste, dass Max in Anwesenheit von Monika bezüglich weiterer Aktivitäten in Sachen weibliche Neuankömmlinge die Hände gebunden waren.

»Yes. I am Judy. I come from the USA.«

«So, so, die Judy bist du? Wie der Schimpanse bei Daktari.« Und aus Amerika bist du auch noch.« Josef lachte frech. »Ja, Servus, Judy. Setz dich doch zu uns. Sit please.« Er zeigte auf den Platz neben sich, den Franz vorhin verlassen hatte. »Bier?« Er hob die Flasche in seiner rechten Hand in die Höhe.

»Das wollte aber eigentlich ich«, protestierte Max, dem die Situation eindeutig gegen den Strich ging. Frechheit, dachte er. Da wird einem ein Wesen geschickt, wie man es noch nie gesehen hat, und dann hockt blöderweise ausgerechnet heute deine Freundin dabei, die sonst so gut wie nie mit dir ausgeht. Und was ist die Konsequenz? Dein Spezl macht sich über die Neue her, und du schaust mit dem Ofenrohr ins Gebirge. Logisch. Na ja, ganz so schlecht habe ich es auch wieder nicht getroffen. Er bedachte Monika mit einem zärtlichen Blick.

Sie goutierte es mit dem unmerklichen Hochziehen ihrer rechten Augenbraue. Mehr nicht. Die Sache mit dem Diener beschäftigte sie immer noch. Außerdem war Männern generell nicht zu trauen. Schon gar nicht nach ein paar Flaschen Andechser Bergbock.

»Keine Angst, Max. Bier haben wir, wie gesagt, mehr als genug.« Josef lachte lauter als gewöhnlich.

War das etwa die pure Schadenfreude? Na warte, Stirner, schoss es Max durch den Kopf, während er Josef finster fixierte. Mich hier vorzuführen. Das wirst du noch bereuen, du mieser Sack. Verlass dich drauf.

»Die schöne Judy. Ja, ich glaub, ich krieg einen Vogel«, murmelte Josef erfreut, während er nach dem Bier für Max fischte. Dessen böse Blicke ignorierte er.

»Sorry?« Judy sah ihn fragend an.

»I think, I get a bird«, erwiderte Josef radebrechend. «When I tell at home, I get a bird. Understand?«

»A bird?« Sie schien verwirrt zu sein. Jedenfalls ließ ihr Gesichtsausdruck diese Vermutung naheliegen.

»Yes.«

»We have birds in America, too.« Sie lächelte unsicher.

»Ja, ja. Logisch habt ihr birds. Und in Germany we say sogar birdln for make love. You know, Judy. We say birdln! Birdln, understand?« Josefs dreckfreches Lächeln war auf jeden Fall als anzüglich zu interpretieren.

»Äh, no«, kam es zögerlich über ihre himmlischen Lippen.

»Geh, Josef. Jetzt hör schon auf, sie zu verarschen.« Monika zog missbilligend die Mundwinkel nach unten. »Du mit deinem besoffenen Schmarrn. Das kann sie doch gar nicht verstehen.«

»Genau«, schloss sich Sandra der Aussage ihrer Vorrednerin an. »He crazy,«, fügte sie an Judy gewandt hinzu. Sie tippte sich dabei ausgiebig mit dem rotlackierten Fingernagel ihres schlanken rechten Zeigefingers an die Stirn.

»Stimmt auffallend.« Max nickte heftig.

»Herrje, wo bleibt bloß unser Franzi?«, fragte er kurz darauf. »Soll ich vielleicht mal nach ihm schauen, Sandra? Am Ende hat er sich irgendwo im Dunkeln verlaufen.«

»Meinst du?«, erwiderte Monika an ihrer Stelle. »Franzi kann doch gut auf sich selbst aufpassen. Ich meine, immerhin ist er Hauptkommissar im Dienst, was man von dir nicht mehr behaupten kann.«

Da schau her. Da klingt doch schon wieder so eine gewisse Bitterkeit in ihrer Stimme mit. »Kann sich ein Hauptkommissar im Dienst etwa nicht im Dunkeln verlaufen?«

Max verkniff es sich, auf ihre gewohnte Anspielung darauf, dass er seinen gutbezahlten Job vor ein paar Jahren aufgegeben hatte, einzugehen. Schließlich wusste niemand der Anwesenden, dass man ihm damals keine andere Wahl gelassen hatte, und dass er mit niemandem über die Gründe seines Ausscheidens reden durfte.

»Doch. Schon«, räumte sie ein.

»Na eben.«

»Mein Franzi verläuft sich nicht. Er wird bestimmt gleich zurückkommen«, wusste Sandra, während sie entspannt ein Bein über das andere schlug.

Zurücklehnen darf sie sich jetzt nicht, dachte Max. Sonst kippt sie volles Rohr von der Bierbank.

»Ist dir gar nicht kalt?«, wollte Monika von ihr wissen. Sie selbst fröstelte inzwischen ununterbrochen.

»Nein. Aber zur Not habe ich natürlich eine Jacke dabei.« Sandra zeigte auf ihre koffergroße Handtasche.

Das mit der Jacke verstehe ich. Aber was schleppen die Frauen bloß sonst noch alles mit sich herum?, schoss es Max durch den Kopf. Alles, was man braucht, sind doch die Hausschlüssel und ein Geldbeutel. Na gut, vielleicht noch ein warmer Pulli, das Handy, und die Damen einen Lippenstift. Aber das war es dann auch. Oder etwa nicht?

Im selben Moment gingen die Musik und die Lichter aus. Schlagartig, als hätte eine überirdische Macht Einfluss darauf genommen.

»Stromausfall«, grunzte Josef lapidar. »Kommt hier draußen ab und zu vor.«

»Aha. Na dann.« Auch Max zeigte sich nicht besonders beunruhigt. »Auf jeden Fall sieht man jetzt die Sterne besser. Und die UFOs. Falls noch mal welche vorbeikommen.«

»Hört ihr das?«, erkundigte sich Sandra kurz darauf mit ängstlichem Unterton in der Stimme.

»Was denn?«, wollte Max wissen.

»Na, diese unheimlichen Geräusche. Hoffentlich ist meinem Franzi wirklich nichts passiert. Langsam mach ich mir doch Sorgen um ihn, Max.«

»Ach, auf einmal?«

»Ja.«

Sie horchten gemeinsam in die Stille.

Ein Käuzchen schrie. Der Wind pfiff durchs Geäst. Irgendwo jaulte ein Hund. Oder war es ein Wolf? Man erzählte sich hier draußen seit Urzeiten, dass in der Walpurgisnacht so gut wie alles möglich wäre. Etliche Menschen sollen bereits in ihr verschwunden sein. Aufgetaucht waren sie nie wieder.

Kapitel 2

»Mag jemand ein Ei?«

Josef blickte fragend in die Gesichter seiner Freunde, die sich bei ihm auf der Terrasse zum späten Sonntagsfrühstück versammelt hatten. An dem riesigen weißen Esstisch auf der marmorgefliesten Terrasse seiner im mediterranen Stil erbauten Villa nicht weit von Machtlfing. Die Mittagssonne knallte überall dort auf den Steinboden, wo der riesige weiß-blau gestreifte Stoffschirm über ihren Köpfen dies nicht verhindern konnte. Es war ungewöhnlich heiß für die Jahreszeit.

»Nein danke, Josef.« Sandra schüttelte den Kopf. »Eier sind ungesund. Zu viel Cholesterin.«

Als Franz’ jahrelange persönliche Ernährungsberaterin wusste sie inzwischen alles, aber wirklich alles über ungesunde Ernährung. Ihm nutzte das zwar nicht viel, weil ihm der tägliche Braten samt Knödeln oder Nudeln in der Kantine allemal näher war als Gemüse und Obst zu Hause. Aber sie selbst hielt sich sklavisch an die Ratschläge der modernen Wissenschaft, was ihr zur Belohnung die Figur einer 16-jährigen Turnerin bescherte. Und das mit 42 Jahren.

»Ich liebe Cholesterin«, tönte Max provozierend in ihre Richtung. »Drei Rühreier mit Schinken. Wäre das möglich?«

Zu oft hatte er sich anhören müssen, wie sehr der arme Franz, der im Übrigen immer noch nicht wieder aufgetaucht war, unter dem Joch seiner strengen Frau zu leiden hatte. Nicht mal einen anständigen Kaffee oder Toast gab es daheim für ihn zum Frühstück. Stattdessen musste er tagtäglich mit Muckefuck und Vollkornmüsli vorliebnehmen. Franz tat Max einerseits wirklich leid deswegen. Aber andererseits könnte der trinkfreudige kleine Mann seiner Meinung nach schon auch ein kleines bisschen abnehmen. Und das Rauchen sollte er ebenfalls aufgeben. Einmal wegen dem drohenden Lungenkrebs und dann auch wegen der Kondition. Die brauchte er schließlich als aktiver Hauptkommissar. Zumindest ein Mindestmaß davon.

»Logisch, Max. Sagt mir einfach, was ihr wollt, und in einer halben Stunde steht alles auf den Tisch. Moni?«

»Ein weiches Ei, fünf Minuten bitte. Aber nur, wenn es aus dem Kühlschrank kommt. Sonst vier Minuten. Machst du die Eier etwa selbst?«

Monika warf ihre schwarze Lockenpracht zurück und lächelte ihr gewohnt bezauberndes Lächeln.

»Natürlich nicht. Die Hühner legen sie, und meine Haushälterin kocht sie. Judy?«

Josef schenkte seinem vierten Übernachtungsgast einen schmachtenden Blick. Natürlich hatte sie wie die anderen in einem der vielen Gästezimmer geschlafen und nicht mit ihm in seinem Bett. Josef war bei all seiner Frechheit ein Gentleman der alten Schule, der wusste, dass man Frauen nicht gleich in der ersten Nacht bedrängte. Das gehörte sich einfach nicht. Außer, sie wünschten es ausdrücklich. Dann durfte man natürlich nicht zickig sein. Sonst bekam man unter Umständen mehr Ärger, als einem lieb war.

»Yes, Josef?«

Ihre Stimme ließ seine Knie erzittern. Oder waren das noch die Spätfolgen vom Bergbock?

»You like eggs?«

Er wurde rot. Hatte er diesmal das Richtige gesagt? Oder konnte man das falsch verstehen? Gestern war er mit seinen albernen Bemerkungen wohl wirklich etwas zu weit gegangen.

»Oh, yes. Two! Boiled, please!«

»Also gut. Ich wiederhole. Einmal drei Rühreier mit Schinken und drei weiche Eier. Kaffee oder Tee?«

»Kaffee!«, erwiderte Monika.

Die anderen nickten zustimmend.

»Na wunderbar. Bin gleich wieder da.«

Josef drehte sich auf dem Absatz um und verschwand in der Terrassentür.

»Moment mal, Leute. Seid doch mal leise.«

Max nahm die Fernbedienung zur Hand und stellte den Ton des Fernsehers auf dem Servierwagen neben ihnen lauter. Josef hatte den riesigen Flachbildschirm vorhin hier heraus geschoben, damit sie alle zusammen seinen Lieblingssender verfolgen konnten: ›München.tv‹. Jetzt liefen gerade die lokalen Informationen.

»... Nähe von Machtlfing zwischen Starnberger See und Ammersee wurde heute Morgen ein Mann tot neben der Landstraße in der Nähe eines Maifeuers aufgefunden. Die Polizei mutmaßt, dass es sich um Fahrerflucht handeln könnte. Zur Identität des Opfers wollte die Polizei noch nichts sagen. Und nun zum Wetter …«

Max drehte die Stimme der Nachrichtensprecherin wieder ab. Er starrte nachdenklich auf die riesige chilenische Honigpalme neben Josefs Terrasse.

Hoffentlich war das nicht Franz, von dem die Frau da gerade gesprochen hatte. Er war gestern nicht mehr zu ihnen ans Feuer zurückgekehrt. Sie hatten eine gute Stunde lang nach ihm gesucht und waren dann zu Josef gegangen. Sandra hatte gemeint, dass er in seinem Rausch bestimmt nach Hause getrampt sei. Schließlich sei es nicht das erste Mal, dass er nach zu viel Bier Scheiß baue.

»Die meinen doch nicht … ich meine, die haben doch nicht … von Franzi gesprochen? Oder?«, fragte sie jetzt. Sie wurde von einer Sekunde auf die andere leichenblass.

»Nein, Sandra. Sie wissen anscheinend noch nicht, wer es ist.« Monika strich ihrer Freundin beruhigend über den Arm.

»Stimmt«, bestätigte Max. »Das kann jeder sein. Trotzdem rufe ich auf seinem Revier an. Vielleicht haben die was von ihm gehört. Irgendwer wird schon Sonntagsdienst schieben.« Wer ihn ganz genau kannte, wie zum Beispiel Monika, konnte Unsicherheit und Besorgnis in seiner Stimme erkennen.

Er fummelte sein Handy aus der Hosentasche und rief Franzis Büronummer an.

»Wurmdobler.«

»Franzi, bist du das? Bist du es wirklich?«

»Wer sonst? James Bond?« Franz schien mehr als erstaunt über die Frage zu sein.

»Du bist lustig. Wir haben die halbe Nacht nach dir gesucht. Und gerade kam auch noch etwas über einen Toten bei Machtlfing im Fernsehen.« Max wusste nicht, ob er erfreut oder ärgerlich sein sollte.

»Ich weiß, Max. Unfall mit Fahrerflucht. Ich hab schon bei den Starnberger Kollegen angerufen und gefragt, was es damit auf sich hat. Er heißt Bruno Höfner. Hieß er vielmehr … Ich hab ihn gestern Abend beim Pinkeln getroffen.« Franz sprach im muntersten Plauderton.

»Moment mal, Franzi«, unterbrach ihn Max abrupt. »Du hockst selenruhig am Sonntagmorgen in deinem Büro und telefonierst mit der Starnberger Polizei, während wir uns hier die größten Sorgen um dich machen? Ist das alles wahr, oder schlafe ich noch und träume es bloß?«

»Was mich betrifft, ist es wahr. Ich hätte Sandra demnächst sowieso angerufen. Wollte euch ausschlafen lassen. Was ist daran so schlimm?« Franz schien davon überzeugt zu sein, dass es völlig selbstverständlich war, nachts auf dem Land von einer Maifeier zu verschwinden und danach bis zum nächsten Mittag nichts weiter von sich hören zu lassen.

»Und was machst du am Sonntag im Büro?«

»Akten ordnen und überarbeiten. Mach ich öfters am Sonntag. Daheim ist es mir meistens zu langweilig. Sandra meckert sowieso nur an meiner Wampe herum.«

»Für mich hast du echt nicht alle Latten am Zaun, Herr Exkollege.«

Max schüttelte den Kopf. Ganz so verantwortungslos war Franz doch sonst auch nicht. Hatten sie sich in den letzten vier Jahren, seit Max aus dem Dienst ausgeschieden war, etwa bereits so weit auseinandergelebt? Gab es etwas in Franz’ Leben, das er wissen sollte? Ein belastendes Geheimnis, das sein Exkollege und alter Freund mit sich herumschleppte? Etwas, womit er nicht fertig wurde? Oder war der kleine Hauptkommissar am Ende doch ein Außerirdischer? Von einer fremden Spezies aus einer anderen Galaxie, die kein Gewissen kannte? Na gut. Natürlich alles Schmarrn. Aber schon auch ärgerlich, das Ganze. Einigermaßen ratlos zuckte er die Achseln.

»Ich gebe dich jetzt deiner Frau, die eine Todesangst um dich hatte.« Er reichte Sandra sein Handy.

»Franz Wurmdobler! Wenn du so etwas noch ein einziges Mal machst, sind wir geschiedene Leute!«, plärrte sie wutentbrannt hinein und gab es Max postwendend zurück. Ihre grünen Augen funkelten zornig. In ihre nahezu versteinerte Miene mischte sich dabei aber auch eine kleine Spur von Erleichterung.

»Ja, aber Hasenpfötchen, ich wollte doch gerade …«

»Nix Hasenpfötchen. Max ist wieder am Hörer. So und jetzt erklär mir bitte mal, was los war.«

»Logisch, Max. Gerne. Ich weiß nur so viel: Ich stehe da also an einem Baum beim Pinkeln, als auf einmal dieser Bruno neben mir steht und auch pinkelt.«

»Bruno Höfner? Das Unfallopfer?«

»Ja. Was dachtest du? Bruno, der Bär?«

»Zwei Männer pinkeln nachts im Dunkeln auf dem Land an einen Baum. Und der eine von ihnen, der jetzt tot ist, war nicht Bruno, der Bär. Supergeschichte, Franzi. Und das war’s?« Max konnte sich trotz all seiner gerechten Empörung ein breites Grinsen nicht verkneifen.

»Nein. Er erzählte irgendwas von den Außerirdischen, die er bald besuchen würde.«

»Aha. Wahrscheinlich die aus dem Ufo, das du gestern Abend gesehen hast.« Max musste nun laut lachen. Der Wurmdobler ist wirklich ein seltener Depp, dachte er. Andauernd geriet der Bursche in die schrägsten Geschichten hinein, seit ihrer gemeinsamen Kindergartenzeit. Wann wurde er bloß endlich mal erwachsen?

»Kann sein. Keine Ahnung.«

»Und warum bist du nicht mehr zu uns zurückgekommen?«

»Ich wusste, ehrlich gesagt, nicht mehr so genau, wo ich bin. Und dann hat mich dieser Bruno wohl in die falsche Richtung geschickt. Denke ich zumindest mal. Jedenfalls bin ich am Ende auf der Landstraße bis nach Feldafing gelaufen und hab dort die S-Bahn nach München genommen. Weil ich eh schon da war. Mein Handy muss ich irgendwo verloren haben. Sonst hätte ich doch gleich nach dem Pinkeln bei euch angerufen.«

»Hatte dieser Bruno keins?«

»Der war schon weg, als mir eingefallen ist, dass ich mich bei euch melden sollte.«

»Na super.«

Typisch Franz.

»Du hättest wenigstens heute Morgen anrufen können.«

»Wollte euch nicht wecken. Wieder gut?«

»Na gut.«

Es folgte eine kurze Gesprächspause, die beiden Gelegenheit gab, die in ihnen aufsteigende Rührung gebührend zu zelebrieren.

»Max, könntest du mir einen persönlichen Gefallen tun?«, fuhr Franz danach fort.

»Ich dir? Damit wärst wohl eher du dran. Oder?« Max blieb verblüfft der Mund offen stehen. Er war drauf und dran, die Sache mit der Rührung ganz schnell wieder zu vergessen.

»Ich weiß. Aber magst du dich mal wegen diesen Außerirdischen und dem Unfall umhören? Als Privatdetektiv. Ich habe, was diesen Bruno und seinen Tod betrifft, ein ganz seltsames Gefühl.«

»Du meinst, die Außerirdischen aus deinem Ufo haben etwas mit dem Unfall von Bruno Höfner zu tun?« Max konnte nicht anders. Er lachte erneut. Franz schien immer noch völlig besoffen zu sein.

»Vielleicht, vielleicht auch nicht. Magst du? Ich schau, ob ich irgendwie ein kleines Honorar für dich rausschlagen kann.«

Das klang nun ganz und gar nicht besoffen. Eher ziemlich gut.

»Warum machst du es denn nicht selbst?«

Trau erst mal niemandem, der dir aus heiterem Himmel ein gutes Angebot macht.

»Zuviel zu tun. Außerdem ist das da draußen der Zuständigkeitsbereich der Fürstenfeldbrucker Kripo.«

»Dann frag die doch.«

»Ob sie sich wegen Außerirdischen und UFOs für mich umhören wollen? Die lassen mich doch auf der Stelle zwangseinweisen.«

»Zu Recht.« Max musste erneut grinsen. Der Wurmdobler ist ein echter Spinner, dachte er. Der macht mich noch total fertig. »Und du willst mich wirklich dafür bezahlen? Bisher durfte ich dir doch immer nur kostenlos helfen.«

Monika, die wie Sandra und Judy mitgehört hatte, nickte heftig und formte mit weitaufgerissenem Mund ein lautloses ‚Ja‘.

»Will ich. Aber ich weiß noch nicht genau, wie viel.«

»Na gut, Franzi. Ich hör mich um. Uninteressant ist die Sache nicht. Da muss ich mich aber erst einarbeiten. Ich hab keine Ahnung von UFOs und so. Ich fahre nachher mit Moni nach München. Hab ihr versprochen, heute Abend in der Kneipe mitzuhelfen. Bei mir zu Hause muss ich vorher auch nach dem Rechten sehen. Morgen hab ich dann Zeit.«

»Bringt ihr Sandra mit?«

»Logisch. Oder willst du sie loswerden? Dann verkaufe ich sie an einen Scheich. Am Starnberger See sollen zurzeit ein paar von denen Urlaub machen.«

»Bring sie lieber mit. Ich konnte meine neuen Socken nicht finden. Mein Lieblingshemd hat sie auch verräumt. Außerdem lässt unsere neue Topfpflanze im Wohnzimmer die Flügel hängen. Das reinste Chaos. Sag ihr auf jeden Fall, dass es mir leidtut. Aber ohne Handy …«

»Na gut, Franzi. Alles klar. Servus.«

Max legte auf und steckte, erneut den Kopf schüttelnd, sein Telefon in die Hosentasche zurück.

Josef kam zurück. Er schob einen zweiten Servierwagen vor sich her, auf dem sich diesmal statt eines Fernsehers ein Stapel Teller und Tassen befand.

»Franzi ist wieder aufgetaucht«, berichtete ihm Max. »Er sitzt gesund und munter in seinem Büro in München.«

»Na also. Unkraut vergeht nicht. So, Leute. Hier ist schon mal unser Geschirr.« Josef hielt sich gar nicht erst lange bei dem ihnen allen bestens als Chaot bekannten Franz Wurmdobler auf. Seine Gäste waren ihm im Moment augenscheinlich allemal wichtiger. Stolz lächelnd zeigte er auf das rollende Tablett vor seinen Füßen.

Recht hat er, stimmte ihm Max innerlich zu. Zu oft hatte Franz in der Vergangenheit ähnliche Schoten wie letzte Nacht gebracht.

»Deckt deine Haushälterin nicht den Tisch?« Sandra blickte Josef neugierig ins sonnengebräunte Millionärsantlitz. Sie schien das neue Thema dankbar aufzunehmen. Offenbar hatte sie ebenfalls nicht die geringste Lust, weiter über ihren leichtfertigen Ehemann zu reden.

»Die ist noch mit dem Essen beschäftigt. Und weil ich ein braver Mann bin, habe ich das Zeug schon mal für sie hergeschafft. Moni? Sandra? Würdet ihr?« Er zeigte auf das eckige weiße Porzellan mit Goldrand.

»Macho!« Monika schnappte sich die Teller und verteilte sie auf dem Tisch.

»Bruno Höfner?« Judy blickte Max fragend an. »You said Bruno Höfner?«

»Yes. He is dead.«

»Aha.«

»Do you know him?« Max machte ein neugieriges Gesicht. Das wäre ein sauberer Zufall gewesen, wenn sie ihn gekannt hätte.

»Äh, no. But I think, my daddy knows him.«

»Na seht ihr. Den Herrn Höfner kennen wir nicht.«

Josef wischte das Thema vom Tisch, indem er laut und künstlich auflachte. Konkurrenz konnte er im Moment, was Judy betraf, wahrlich nicht gebrauchen. Egal ob tot oder lebendig. »Ah, da kommt ja schon unser Frühstück. Wunderbar, Herta. Danke schön.« Er setzte sich zu ihnen.

Monika schenkte allen Kaffee ein, und sie begannen mit großem Appetit zu essen. Nur Judy stocherte lustlos in ihrem weichgekochten Ei herum.

Kannte sie diesen Bruno wirklich nicht? Max beobachtete sie eine Weile lang. Dabei stellte er fest, dass sie sich seit gestern Abend am Lagerfeuer rein äußerlich nicht groß verändert hatte. Verglichen mit Sandra und Monika, die heute Vormittag, genau wie er selbst und Josef, reichlich verkatert daherkamen, sah sie aus wie das blühende Leben. Ja mei, so war das halt. Die Jugend überstand selbst die härteste Walpurgisnacht ohne sichtbare Folgen.

Kapitel 3

Max schaltete seinen Computer ein und setzte sich mit der Tasse Kaffee, die er sich gerade aus der Küche geholt hatte, davor. Seit er letzten Winter aus Langeweile diesen Computerkurs gemacht hatte, fand er von Tag zu Tag mehr Spaß an dem für ihn nach wie vor neuen Steckenpferd. Er schrieb fleißig E-Mails an Monika, surfte stundenlang im Internet, und sogar bei Facebook konnte man seit zwei Wochen ein Profil von ihm finden. Zwar hatte er dort bisher nur zwei Freunde, nämlich Monika und Josef. Aber immerhin, er war dabei.

Sie waren gestern gegen Mittag in seinem alten klapprigen R4 nach München zurückgekehrt. Zuerst hatte er Sandra zu Hause abgesetzt, dann Monika. Danach war er selbst heimgefahren, um dort kurz nach dem Rechten zu sehen und sich bald wieder zu Monika in ihre kleine Kneipe aufzumachen. Der Abend dort war stressfrei verlaufen. Nette Gäste wie meistens, somit auch kein Ärger. Um halb zwei hatte er sich von ihr verabschiedet, war nach Hause gegangen und hatte sich ins Bett gelegt. Vorhin um acht Uhr hatte er die Augen wieder aufgeschlagen und sich fit und ausgeschlafen gefühlt. Dusche, anziehen, Kaffee aus der Küche, Wohnzimmer. Bevor er sich nun endgültig seinem PC widmete, rief er noch wegen Bruno Höfner auf dem Revier in Starnberg an. Vielleicht wussten die etwas, was er bisher noch nicht wusste.

»Grüß Gott, Raintaler hier. Ich bin Privatdetektiv und ermittle wegen dem Toten gestern Morgen auf der Landstraße, diesem Bruno Höfner.«

»Das kann jeder behaupten«, erwiderte der jugendlich klingende Beamte am anderen Ende der Leitung emotionslos.

»Stimmt. Ich bin aber nicht jeder. Fragen Sie Hauptkommissar Wurmdobler von der Münchner Kripo. Ich war jahrelang sein Kollege. Es geht auch nur um eine kleine Auskunft. Weiß man schon, ob dieser Höfner wirklich überfahren wurde, oder ist er auf andere Weise ums Leben gekommen?« Max versuchte zu lächeln. Er hatte einmal gelesen, dass sich die eigene Stimme am Telefon freundlicher anhörte, wenn man lächelte.

»Dazu darf ich Ihnen am Telefon nichts sagen, Herr Raintaler. Das sollten Sie als ehemaliger Kriminalbeamter eigentlich wissen.« Der junge Mann klang entschlossen. »Da müssten Sie schon persönlich bei uns vorbeischauen und sich legitimieren.«

»Na gut, Herr …«

»Kleiber! Polizeiobermeister Kleiber!«

»... Herr Kleiber. Ich hatte gehofft, die Sache abkürzen zu können. Aber vielleicht können Sie mir dann wenigstens sagen, ob gestern ein Ufo über Machtlfing gesichtet wurde.«

»Ein Ufo? Wollen Sie mich verarschen, guter Mann? Ist das ein Telefonspaß? Passen Sie auf. Wir machen das so. Sie kommen her und legitimieren sich, dann reden wir gerne mit Ihnen. In Ordnung? Und jetzt wünsche ich Ihnen noch einen angenehmen Tag. Hasta la vista, Baby.«

Kleiber legte ohne ein weiteres Wort auf.

»Mein Gott, man fragt doch bloß«, murmelte Max. »Was regt sich der Bursche denn so auf? Na gut. Schau ich halt erst mal im Internet nach. Ins Starnberger Revier kann ich morgen immer noch fahren.« Er tippte sein Passwort ein. »Da bin ich doch mal gespannt, was die einschlägigen Blogs und Foren zu Franzis UFO gestern Abend zu sagen haben.«

Neugierig klickte er seinen Browser an und begann mit der Suche. »Was gebe ich denn am besten ein? Ah, ich hab’s: ›Ufo Machtlfing‹. Genau. Tue ich das im Moment eigentlich wirklich? Wahnsinn.« Hör doch auf, so laut zu reden, Raintaler. Ist doch gar keiner da, der dich hören kann, sprach er inwendig weiter. Am Ende bringen sie dich noch nach Haar in die Klinik, wegen irgend so einer neuen Nervenkrankheit, die man vom Computer bekommen kann.

Unter ›Ufo Machtlfing‹ gab es bei Google keinen nennenswerten Eintrag, der ihn weitergebracht hätte. Er musste jedoch laut auflachen, als er las, wie 50 UFO-Gläubige verhindern wollten, dass ein Bauer in der Gegend einen angeblich von Außerirdischen angelegten Kornkreis auf seinem Feld mähte. Nachdem er es dennoch getan hatte, war jemand hergegangen und hatte ein paar seiner Feldsteine anstelle des Kornkreises ausgelegt, die derselbe jemand jetzt zu horrenden Preisen als Energiesteine verkaufte.

Erwachsene Menschen! Die Welt wird echt immer verrückter, dachte Max kopfschüttelnd.

Er trank erst mal einen Schluck Kaffee. Anschließend versuchte er es noch mit zwei weiteren Suchmaschinen. Nichts.

»Verdammter Mist!«, rief er laut.

Dann gab er ›Unfall Landstraße bei Machtlfing‹ ein. Nichts. Kein Eintrag, keine Meldung. Anscheinend war keine Presse vor Ort gewesen. Merkwürdig, normalerweise waren diese Schmierfinken doch immer die Ersten, wenn es darum ging, einen Toten zu vermelden und irgendeinen unbegründeten Verdacht zu äußern.

»Dann schauen wir halt mal, was die hier generell über die Außerirdischen schreiben.« Er brabbelte weiter selbstvergessen vor sich hin. Was sollte man auch sonst tun, wenn es einfach so aus einem herauswollte? Vielleicht war es ja ganz normal. Bei Gelegenheit würde er einen Fachmann fragen. Ihren alten Polizeipsychologen zum Beispiel, den Degenhard. Der war in Ordnung. Hatte eine ruhige Art. Trank gerne mal ein Bier.

Wo, hatte Josef vorgestern gleich wieder gesagt, wurde dieses Ufo in Amerika gefunden? Roswell? Doch, so hieß das. Wie schrieb man das wohl? Mit einem oder mit zwei ›l‹.

»Aha, da haben wir es schon. Also zwei ›l‹ und ein ›s‹. Alles klar.«

Er klickte das nächstbeste Suchergebnis an und begann neugierig zu lesen. Den Roswell-Zwischenfall nennt man ein mysteriöses Ereignis aus dem Jahre 1947. Es ging dabei um offizielle Verlautbarungen, nach denen die amerikanische Luftwaffe angeblich ein unbekanntes Flugobjekt besaß. Das Ufo soll am 14. Juni 1947 in Roswell, New Mexico, abgestürzt und von einem Farmer aus der Gegend gefunden worden sein. Kurze Zeit später wurde die ganze Geschichte jedoch wieder dementiert …

»Ja was? Ist das Ding nun wirklich abgestürzt oder nicht? Gibt es Aliens oder gibt es keine? Herrschaft noch mal.«

Er schlug ärgerlich mit der flachen Hand auf den Tisch.

Bevor er weitermachte, stand er auf und holte sich noch einen Kaffee aus der Küche.

Dann las er weitere Berichte und Zeugenaussagen zu den Geschehnissen in New Mexico. Sah sich zahllose Videos an, die sich mit dem Fall beschäftigten. Auch etliche Videos weiterer angeblicher UFO-Sichtungen. Versuchte, etwas über die Area 51 und die angeblichen Leichname der Außerirdischen, die sich dort seit dem Roswell-Zwischenfall befinden sollten, herauszubekommen. Angeblich gab es dort bis heute immer wieder Treffen und geheime Gespräche zwischen Militärs und weiteren Aliens. Um halb zwölf brummte ihm der Schädel.

»Nix als Schmarrn!«, schimpfte er laut. Kurz darauf klingelte es. Er ging zur Tür und öffnete.

»Alles in Ordnung, Herr Raintaler?«, erkundigte sich seine zerbrechliche alte Nachbarin, Frau Bauer, mit großen Augen.

»Logisch. Wieso nicht?« Er sah sie verwundert an.

»Ich komme gerade vom Einkaufen und habe sie laut schreien gehört. Da dachte ich, ich schaue besser mal nach. Hoffentlich habe ich Sie bei nichts Wichtigem gestört.«

Sie fuhr sich mit mädchenhaft verlegener Geste durch die langen grauen Haare, so wie sie das meistens tat, wenn sie mit ihm sprach.

»Aber geh. Sie stören doch nie, Frau Bauer. Nein, alles in Ordnung. Ich recherchiere gerade bloß etwas im Internet. Dabei habe ich mich geärgert und laut geflucht. Sonst war da nichts.« Er grinste ihr freimütig ins Gesicht.

»Ach so. Na, Gott sei Dank.« Sie blickte erleichtert zu ihm auf, während sie mit ihrer faltigen rechten Hand an ihrem beigefarbenen Sommermantel herumzupfte. »Wissen Sie, in meinem Alter macht man sich halt viel zu schnell Sorgen. Wie mein Bertram gestern zum Beispiel nicht aufessen wollte, dachte ich gleich wieder, es wäre etwas Schlimmes. Dabei hatte er bloß seine Blähungen.«

»Na sehen Sie. Es gibt für alles eine Erklärung. Na ja, zumindest für fast alles. Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Tag, Frau Bauer.«

Max lächelte freundlich, während er sich dranmachte, die Tür wieder zu schließen.

»Ihnen auch, Herr Raintaler.« Sie drehte sich um und schlurfte gemächlich auf ihre Wohnungstür zu. »Und schimpfen Sie nicht so viel. Das ist schlecht fürs Herz, sagt mein Hausarzt immer«, rief sie ihm dabei noch über die Schulter hinweg zu.

»Ist recht. Gruß an Ihren Bertram.«

Er kehrte an seinen PC zurück. Im selben Moment spielte sein Handy das ‚Lied vom Tod‘.

»Und?«, meldete sich Franz ohne Begrüßung.

»Was und?«, gab Max genauso knapp zurück.

»Schon was rausgefunden über unser Ufo?«

»Bis jetzt nicht. Ich hatte auch noch nicht viel Zeit seit heute Morgen.«

»Verstehe.«

»Was ist los, Franzi? Brennt dir die Sache aus irgendeinem Grund auf den Nägeln?« Merkwürdig. Er hat es doch sonst nicht so dringend mit seinen Ermittlungen.

»Na ja. Ich kenne das Unfallopfer von gestern Nacht, diesen Höfner, persönlich. Weißt du doch. Vielleicht ist es das.«

»Ich frage mich schon die ganze Zeit über, ob es da wirklich einen Zusammenhang gibt. Ein Ufo und eine Fahrerflucht? Irgendwas passt da nicht. Das mit dem Ufo erscheint mir reichlich schwachsinnig.«

»Immerhin hat er von Außerirdischen geredet. Oder nicht?«

»Na gut. Aber das muss noch lange nichts heißen. Vielleicht war er bloß genauso besoffen wie du.«

Max musste unwillkürlich grinsen.

»Trotzdem.«

»Ich bin an der Sache dran, Franzi. Aber drängeln nützt bei mir gar nichts.«

»Stimmt.«

»Eben. Wir können uns gerne heute Abend in unserem kleinen Biergarten in den Isarauen treffen. Da hab ich dann schon mehr für dich. Oder auch nicht. 18:00 Uhr?«

»Hast recht. Alles klar, 18:00 Uhr. Machs gut.«