Wolfs Killer - Michael Gerwien - E-Book

Wolfs Killer E-Book

Michael Gerwien

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Beschreibung

Der Münchner Journalist Wolf Schneider ist auf der Flucht vor den amerikanischen und deutschen Behörden. Gemeinsam mit dem kriminellen amerikanischen Politiker Arthur Smith landet er auf Kuba. Wolfs Halbschwester Eva ertrank auf der nächtlichen Überfahrt mit Arthurs Jacht. Zuviel für Wolf. Erst seine Frau, dann sein bester Freund und nun auch noch Eva. Von den ungerechtfertigten Mordbeschuldigungen seitens der deutschen Polizei gegen ihn ganz zu schweigen. Er stürzt ab. Koks, Alkohol und Frauen bestimmen seinen Alltag, bis Arthur und er in eine lebensgefährliche Schießerei geraten.

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Michael Gerwien

Wolfs Killer

Thriller

Zum Buch

Tödlicher Wahn Der Münchner Journalist Wolf Schneider ist nach wie vor auf der Flucht vor den amerikanischen und deutschen Behörden. Gemeinsam mit dem kriminellen amerikanischen Politiker Arthur Smith landet er auf Kuba. Wolfs Halbschwester Eva ging auf der nächtlichen Überfahrt mit Arthurs Jacht über Bord. Die stundenlange Suche der beiden nach ihr verlief ergebnislos. Zuviel für Wolf. Erst Rebekka, seine Frau. Dann Roman, sein bester Freund. Nun auch noch Eva. Von den ungerechtfertigten Mordbeschuldigungen seitens der deutschen Polizei gegen ihn ganz zu schweigen. Er verliert seinen Lebenswillen. Lässt sich gehen. Gemeinsam mit Arthur. Koks, Alkohol und Frauen bestimmen ab jetzt ihren Alltag. Bis sie in eine lebensgefährliche Schießerei geraten. Geschah alles nur wegen der Konstruktionspläne für eine revolutionäre Laserkanone, hinter der die halbe Welt her ist? Wie auch Alejandro Gonzales, ein undurchsichtiger mexikanischer Geschäftsmann mit angeblichen Verbindungen zum Militär. Der Auftragskiller Dorian tötet ungeachtet aller Zweifel weiter.

Michael Gerwien lebt in München. Er arbeitet dort als Autor von Krimis, Thrillern, Kurzgeschichten und Romanen. Darüber hinaus ist er auch Musiker und begleitet seine Lesungen selbst mit Musik.

 

Bisherige Veröffentlichungen im Gmeiner-Verlag:

Gründerjahr (2018)

Schattenrächer (2017)

Schattenkiller (2016)

Stückerlweis (2016)

Brummschädel (2015)

Krautkiller (2015)

Andechser Tod (2014)

Wer mordet schon am Chiemsee? (2014)

Jack Bänger (E-Book. 2014)

Alpentod (2014)

Mordswiesn (2013)

Raintaler ermittelt (2013)

Isarhaie (2013)

Isarblues (2012)

Isarbrodeln (2011)

Alpengrollen (2011)

Impressum

Ganz herzlichen Dank an meine Lektorin Claudia Senghaas, die meine Projekte so hervorragend unterstützt.

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Alle Rechte vorbehalten

1. Auflage 2018

Lektorat: Claudia Senghaas, Kirchardt

Herstellung/E-Book: Mirjam Hecht

Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart

unter Verwendung eines Fotos von: © CPN / Fotolia.com

ISBN 978-3-8392-5868-2

Haftungsausschluss

Personen und Handlung sind frei erfunden.

Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen

sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

1

Dienstag, 22.05 Uhr, Havanna, Kuba.

»5.000 Peso für 100 Gramm? Kommt mir reichlich teuer vor, mein Freund.« Arthur sah den dunkelhäutigen Kubaner, der auf der anderen Seite des Tresens stand, mit gerunzelter Stirn an.

»Ist verdammt guter Stoff, Mann.« Der Barkeeper mit den langen schwarzen Haaren wich Arthurs vorwurfsvollem Blick nicht aus.

»Ich geb dir 3.000. Mehr hab ich noch nie bezahlt.«

»Zu wenig.«

»Lassen wir’s.« Arthur machte Anstalten, sich von seinem Barhocker zu erheben.

Wolf, der die ganze Zeit über neben ihm gesessen hatte, stand ebenfalls auf.

Arthur hatte ihn hierher in diese düstere Kaschemme am Stadtrand von Havanna geführt. Nur er, Arthur und der Kubaner hinter der Bar waren anwesend.

Der Laden sei ein todsicherer Tipp von einem guten Bekannten, hatte Arthur gemeint, als sie vor zwei Stunden im Hafen festmachten. Eine echte Bruchbude.

Aber es gäbe dort den besten Stoff auf Kuba.

Ohne Koks würde er keine weitere Stunde überleben. Er müsse unbedingt dorthin. Sofort. Da könne Wolf mit seiner Pistole herumfuchteln, wie er wolle. Ihm wäre das egal.

»Okay«, sagte der Kubaner jetzt schnell.

»Was okay? 3.000? Also doch?«

Arthur hielt inne. Er sah ihn neugierig an.

»3.000 Peso.« Der Mann nickte. Er schob einen dursichtigen Plastikbeutel mit weißem Pulver darin über den Tresen.

»Na gut.« Arthur überreichte ihm im Gegenzug ein Bündel Scheine.

Der Barmann leckte Daumen und Zeigefinger feucht. Zählte routiniert.

»Ist gut, Mann«, sagte er schließlich. »Probiert hast du ja schon.«

»Ja, ja. Alles klar.« Arthur winkte ab.

Wolf und er verabschiedeten sich.

Draußen stand das Taxi, mit dem sie vom Hafen aus hergekommen waren. Der Fahrer wartete wie versprochen auf sie.

Sie stiegen ein. Hatten gar nicht mehr damit gerechnet, dass er noch hier war. Immerhin hatten sie eine gute halbe Stunde lang wegen des Stoffs verhandelt. Er versprach sich wohl ein großzügiges Trinkgeld von den reichen Amerikanern.

2

Dienstag, 22.15 p.m., Washington D.C., USA.

»Vergiss es, Thomas. Die Sache mit Arthur Smith und seiner Frau ist nicht länger von nationalem Interesse. Wir sollen nicht weiterermitteln.«

»Ich will den Dreckskerl aber unbedingt erwischen.« CIA-Agent Thomas Fox sah seinen direkten Vorgesetzten Walter Spinner mit einem fanatischen Blick an. »Er hat mich verarscht, als er mir aus seiner Villa entkam. Das kann ich nicht auf mir sitzen lassen.«

»Und ich sage dir nochmal: Vergiss es. Wir sollen Smith in Ruhe lassen. Und wenn das so ist, tust du das auch. Der Befehl kam von ganz oben.« Walter trank einen Schluck von dem Whiskey, den ihm der Kellner gerade vor die Nase gestellt hatte. Sein dritter.

Der Alkohol begann zu wirken.

Er entspannte sich zusehends. Fuhr sich langsam mit der Hand durch seine kurzgeschnittenen grauen Haare.

»Oder willst du ein Disziplinarverfahren riskieren?«, fragte er Thomas.

»So scharf geschossen wird wegen diesem Smith?« Thomas zog erstaunt die Brauen hoch. »Der muss ja mächtige Freunde haben. Versteh mich nicht falsch, Walter. Ich hab nichts persönlich gegen ihn. Er steht rein äußerlich betrachtet auf der richtigen Seite. Konservativ wie wir.«

Er trank ebenfalls einen Schluck Whiskey. Stellte anschließend sein Glas auf den blankpolierten Tresen zurück. »Aber irgendwas stimmt mit dem nicht. Sonst wäre er nicht auf Nimmerwiedersehen verschwunden«, fügte er hinzu.

Dunkles Holz, viel Glas, geschmackvolle Stühle und Tische. »Richies Bar« in der Innenstadt war eine sogenannte »gute« Adresse.

Gehobenes Publikum wie Geschäftsleute, Anwälte, die Erfolgreichen der Showbranche. Aufrechte Amerikaner.

Schwarze Gäste oder reiche Latinos waren hier die Ausnahme. Da bekam man noch eher gelegentlich einen wohlhabenden Russen zu sehen.

»Mächtiger als wir zwei zusammen sind seine Freunde auf jeden Fall. Also lass ihn besser in Ruhe. Geh lieber mal ins Puff und lass ordentlich Dampf ab. Zum Beispiel bei einem hübschen Dreier. Siehst aus, als könntest du es gut gebrauchen.« Walter lachte markig.

»Hör mir bloß auf. Da gibt es doch nur noch Latinoschlampen und Negerinnen.« Thomas lachte nicht. Er blickte entrüstet drein.

»Was gibt es an Latinoschlampen und Negerinnen auszusetzen? Solange sie große Titten und einen geilen Arsch haben, sind sie genauso gut wie alle anderen.« Walter lachte erneut.

»Eben nicht. Was meinst du, was du dir bei denen alles holen kannst.« Thomas hob den Zeigefinger.

»Davor kann man sich schützen. Ich sag nur Gummi.«

»Nichts für mich.« Thomas schüttelte seinen inzwischen hochroten Kopf. »Du kannst gerne eine von diesen Schlampen ficken, wenn du unbedingt willst. Ich bleib lieber gesund. Kann’s abwarten, bis ich ein sauberes weißes Girl kennenlerne. Amerikanisch, blondes langes Haar, nett, gläubig. Ehemalige Cheerleaderin oder sowas. Gutes Elternhaus, nicht zu dumm, nicht zu schlau. Sowas will ich. Verstehst du, Mann?«

»Schon gut. Reg dich wieder ab. Sind sowieso alles Schlampen. Hier wie dort.«

Walter trank erneut einen Schluck Whiskey.

»Ich will mich aber nicht abregen. Außerdem sind eben nicht alles nur Schlampen. Es gibt sie noch, die anständigen Girls. Davon bin ich überzeugt.«

»Träum weiter.«

»Mann, dieser Smith lässt mir keine Ruhe, Walter. Die Sache stinkt gewaltig. Glaub es mir. Ich rieche es förmlich.«

Thomas starrte brütend in das riesige verspiegelte Flaschenregal vor ihnen.

3

Dienstag, 22.30 Uhr, Havanna, Kuba.

»Auch mal, Peter?« Arthur zeigte auf die Line Koks, die er auf dem runden Holztisch im Wohnraum seiner Luxusjacht zurechtgeschoben hatte.

»Lieber nicht.« Wolf schüttelte den Kopf.

Er fühlte sich denkbar schlecht.

Führte sich gerade die turbulenten Ereignisse der letzten Wochen noch einmal kurz vor Augen. Konnte kaum klar denken.

Versuchte trotzdem, Ordnung in seinen Kopf zu bringen.

Erst wurde seine Frau Rebekka ermordet.

Danach starb sein bester Freund Roman.

Nach Rebekkas Tod hatte er geschworen, den Auftraggeber des Profikillers, der sie auf dem Gewissen hatte, zu finden. Sich an ihm zu rächen. Den Killer selbst, einen gewissen Nobody, hatte er bereits in München getötet.

Vor kurzem hatte Wolf eine Zeit lang vermutet, dass Arthur der Auftraggeber war. Doch der Verdacht hatte sich bald wieder abgeschwächt. Arthurs Verhalten ließ keinerlei Schlüsse darauf zu, dass es stimmte.

Letzte Nacht war auf hoher See auch noch Wolfs Halbschwester Eva über Bord gegangen. Auf der gemeinsamen Flucht aus den USA mit Arthur.

Dass sie gar nicht miteinander verwandt waren, hatte sie ihm erst kurz vorher erzählt. Ihre Mutter, die seine Stiefmutter war, hatte es ihr vor ihrer Abreise aus Deutschland gestanden.

Warum auch immer. Späte Reue vielleicht. Altersschwachsinn.

Nichts als Chaos.

Wolf wünschte, er wäre zuletzt netter zu Eva gewesen. Nicht so abweisend.

Zu spät.

Bis auf seine entsetzliche Stiefmutter hatte er jetzt endgültig keine Familie mehr.

Verdammt noch mal. Der reinste Albtraum das alles.

Wie sollte es nur mit ihm weitergehen?

»Ich weiß übrigens immer noch nicht, wieso wir nicht nach Mexiko oder Kolumbien geschippert sind, um dein Koks zu holen«, fuhr er an Arthur gewandt fort, um sich von seinen dauerkreisenden trüben Gedanken abzulenken. »Wo haben die das hier überhaupt her?«

Er setzte sich zu ihm an den Tisch. War dem seltsamen Vogel wirklich zu trauen? Auf jeden Fall wäre es sicher besser, ihm gegenüber bei dem Tarnnamen Peter Müller zu bleiben.

»Die Kolumbianer schmuggeln es seit etlichen Jahren in Kleinflugzeugen außer Landes. Werfen es anschließend hier in der Nähe der Insel ab. Weil die USA in diesen Gewässern nicht kontrollieren dürfen.«

»Sie lassen es auf dem Meer nach Florida treiben?« Wolf machte ein verdutztes Gesicht.

»Quatsch. Die amerikanischen Großhändler fahren auf Speed Boats her. Fischen das Zeug aus dem Wasser und bringen es zu sich nach Hause, um es dort weiterzuverkaufen.«

»Und wie landet es hier auf der Insel?«

»Etliche Pakete, die auf dem Wasser schwimmen, werden von den Dealern nicht mehr gefunden. Auch die hiesigen Behörden übersehen Massen davon.«

»Und die holen sich Leute wie dieser Barkeeper vorhin?«

»Du sagst es.« Arthur grinste. »Verrückte Welt, was? Weil der Stoff direkt aus Kolumbien kommt, ist er auch so unglaublich gut. Da waren noch keine Zwischenhändler dran, die das Zeug strecken und verschneiden.«

»Schau an, schau an.« Wolf staunte nicht schlecht. »Und das ist heute noch so?«

»Sicher. Glaub ich zumindest. Wenn nicht, ist es mir auch egal. Auf jeden Fall ist der Stoff astrein. Nicht vielleicht doch eine kleine Kostprobe?«

Wolf zögerte.

»Na gut«, sagte er schließlich. »Schlimmer als es ist, kann alles sowieso nicht mehr werden.«

Er hatte im Grunde keine Ahnung, wie sein Leben weitergehen sollte. Alles war aus dem Tritt geraten.

Sobald er den oder die wahren Hintermänner von Rebekkas Mörder zur Strecke gebracht hatte, würde er sich Gedanken darüber machen. Herausfinden, ob er selbst ebenfalls sterben oder lieber weiterleben wollte.

»Das hier heitert dich bestimmt auf.«

Arthur drückte ihm grinsend die zusammengerollte Hundertdollarnote in die Hand, mit der er sich selbst gerade eine großzügige Menge des feinen weißen Pulvers in die Nase gezogen hatte.

4

Dienstag, 22.30 Uhr, Nuevo Laredo, Mexiko.

»Auch noch einen Drink?« Alejandro Gonzales sah seine neue Freundin aus den USA fragend an.

»Gerne«, erwiderte Jane. »Mit viel Eis, bitte.« Sie lächelte ihm verliebt zu.

»Okay. Bin gleich wieder da.« Er erhob sich gewandt aus seinem bequemen Ledersessel.

Tolle Lichteffekte. Moderne Designermöbel. Sorgfältig aufeinander abgestimmte Farben. Der exklusive »Club 222« in der Innenstadt von Nuevo Laredo, in den er sie eingeladen hatte, war geschmackvoll eingerichtet.

Jane musste an Arthur denken. Wie so oft, seit sie vor wenigen Tagen vor ihm aus Baltimore geflohen war. Was hatte ihren Ehemann in letzter Zeit nur so krass verändert?

Das Koks? Der viele Alkohol? Berufliche Probleme?

Alles zusammen?

Sie wusste keine befriedigende Antwort darauf.

Er hatte sie zuvor noch nie geschlagen. Vor einigen Tagen dann doch. Hatte ihr gar keine andere Wahl gelassen, als möglichst schnell zu verschwinden.

Nicht dass es ihr noch genauso ergangen wäre wie ihrer Kurzaffäre John Ferrari. Arthur hatte ihn umgebracht oder umbringen lassen. Das war zwar nicht bewiesen. Aber in ihren Augen so gut wie sicher.

Dass er sie suchte oder suchen ließ auch.

Sie hoffte inständig, dass man sie daheim nicht selbst des Mordes an John verdächtigte. War jedoch gleichzeitig voller Angst, dass es längst geschehen war. Gewiss hatte sie überall in seinem Haus Fingerabdrücke und Spuren mit ihrer DNA hinterlassen.

Das hieße dann wohl, dass sie für immer hier in Mexiko im Exil bleiben müsste.

»So nachdenklich?« Alejandro war mit ihren Drinks zurück. Er setzte sich.

»Es war eine anstrengende Zeit für mich in den letzten Tagen.«

Gott sei Dank hatte sie den gut aussehenden ritterlichen Mexikaner kennengelernt. Er wirkte so selbstsicher. Ein Restaurantbesitzer. Kräftig, muskulös und intelligent.

In seiner Gegenwart schien es keine Probleme zu geben. Genau das, was sie im Moment brauchte.

»Möchtest du darüber reden?« Er lächelte zurückhaltend.

»Weiß nicht.«

»Na komm schon. Du kannst mir vertrauen.«

Das hat Arthur auch immer gesagt. Am Anfang zumindest.

»Ich hatte Ärger mit meinem Mann.«

»Du bist verheiratet? Hätte ich mir denken können. Eine schöne Frau wie du ist nicht alleine. Da war ich wohl ein wenig naiv.« Er stellte ihre Drinks auf dem Tisch ab. Sein verschlossener Gesichtsausdruck dabei beunruhigte sie.

»Bin ihm davongelaufen. Will ihn nie wiedersehen«, beeilte sie sich zu sagen, bevor er am Ende beleidigt und verletzt das Lokal verließ.

Sie wollte nicht alleine sein.

Nicht jetzt, nach der Flucht aus ihrem bisher trotz allem wohlbehüteten Leben hinein ins Ungewisse.

5

Dienstag, 22.35 Uhr, Havanna, Kuba.

»Wow! Das haut rein. Ich bin hellwach.«

Wolf zog erfreut die Mundwinkel nach oben. Er gab Arthur seine zusammengerollte Hundertdollarnote zurück. Lehnte sich genießerisch in seinen Ledersessel.

»Ich hab’s dir ja gesagt«, erwiderte Arthur, während er seinen Geldschein einsteckte. »So schäbig der Schuppen aussieht, so genial ist das Koks, das sie dort verticken.«

»Echt großartig. Ich fühl mich schon viel besser. Und jetzt?« Wolf klatschte unternehmungslustig in die Hände.

»Wie und jetzt?« Wolfs schneller Stimmungswandel schien Arthur zu überraschen. Obwohl er die aufputschende Wirkung von gutem Koks selbst am besten kennen musste.

»Machen wir in der Stadt einen drauf?« Wolf musste andere Menschen sehen, bevor er völlig durchdrehte. Er dachte schon wieder an Eva.

War sie tatsächlich ertrunken?

Hatten die Haie sie getötet?

Trieb sie noch auf dem Wasser?

Wurde sie von zufällig vorbeikommenden Fischern gerettet?

Immerzu dieselben quälenden Fragen. Sie bereiteten ihm inzwischen nahezu körperliche Schmerzen.

»Klar, Mann.« Arthur nickte begeistert. »Ich kenne hier einige Klubs, in denen es voll abgeht.«

»Dann nichts wie los.« Wolf straffte sich. »Alles wird gut.«

Sag’s möglichst oft laut, dann glaubst du sogar irgendwann dran.

»Sicher, mein Freund.« Arthur streifte schwungvoll sein Jackett über.

Beide hatten sich bereits vor ihrem Ausflug in die Kokskneipe in Schale geworfen.

Wolf trug einen Anzug, den ihm Arthur großzügiger Weise aus seinem eigenen Fundus überlassen hatte. Er war ihm zu weit und zu kurz. Aber alles in allem noch im Rahmen.

Sie sahen gut aus.

Mit Koks im Kopf betrachtet, sogar richtig gut.

6

Dienstag, 22.40 p.m., Washington D.C., USA.

»Ich werde Smith finden, Walter. Vielleicht bin ich dabei einer großen Sache auf der Spur.« Thomas Fox sah seinen Chef vielsagend an.

»Was meinst du?«

»Ist gut möglich, dass er etwas mit den Morden an Bart Ewing und Tom Jansen zu tun hat. Und mit diesen Plänen für eine neue Laserwaffe, von denen die beiden anscheinend zu viel wussten.« Thomas redete sich immer mehr in Rage.

»Jetzt hör aber auf«, protestierte Walter kopfschüttelnd. »Dafür gibt es nicht den geringsten Beweis. Das ist ein reines Hirngespinst von dir. Nur weil dir jemand entkommen ist, musst du nicht gleich total austicken. Jeder macht mal einen Fehler. Auch du.«

»Aber ich habe bei dem Kerl ein richtig ungutes Gefühl.« Thomas bedeutete dem Barkeeper, zwei weitere Whiskeys zu bringen. »Ich weiß genau, dass er ein ganz übler Typ ist. Frag mich nicht woher, aber ich weiß es.«

»Du spinnst, Tom. Geh am besten ins Bett und schlaf dich aus.« Walter sah sich in der Bar um, die sich jetzt immer mehr füllte.

Junge und alte Durchschnittsbürger, die aus dem Kino oder dem Theater kamen, waren darunter.

Bunte Nachtschwärmer.

Engumschlungene Liebespaare.

Einsame Singles. Darunter auch attraktive Vertreterinnen des anderen Geschlechts.

Jagdzeit.

Er rückte mit einem kurzen Räuspern seinen Schlips zurecht. Setzte sich in Positur, sodass er selbst alles besser im Blick hatte und gleichzeitig bereits vom Eingang aus gesehen werden konnte.

»War es das etwa für dich? Ist unser Gespräch damit beendet?« Thomas sah ihn mit vor Empörung hochrotem Kopf an.

»Richtig. Entweder du entspannst dich endlich oder du verschwindest. Ich hab jedenfalls Feierabend.« Walter lächelte einer auffälligen Blondine zu, die sich mit wiegenden Hüften dem Tresen näherte.

Sie lächelte eindeutig zurück.

»Weißt du was, Walter. Du kannst mich mal. Ich kündige.«

Thomas knallte wutentbrannt seinen Dienstausweis auf den Tresen. Er warf 30 Dollar für den Whiskey hinterher, drehte sich auf dem Absatz um und stapfte hinaus.

»Verdammter Hitzkopf.« Walter sammelte kopfschüttelnd Geld und Ausweis ein. Er steckte beides in die Innentasche seines Jacketts. »Morgen kommt er jaulend angerannt und will seine Marke zurück.«

»Hallo, Fremder.« Die Blondine, die inzwischen bei ihm angekommen war, trug ein laszives Lächeln im Gesicht. »Muss dein Freund schon ins Bettchen?«

»Hallo, Schätzchen.« Er lächelte zurück. »Der ist müde. Im Gegensatz zu mir. Was trinken wir beiden Hübschen?«

»Sag du’s.« Sie klimperte mit ihren verlängerten Wimpern.

»Irgendwas Scharfes würde zu dir passen.«

»Findest du?« Sie kicherte amüsiert.

»Absolut.«

»Gut. Dann also was Scharfes.«

»Okay.« Er winkte den Kellner herbei.

Klar. Sie war eine Nutte, die es nur auf sein Geld abgesehen hatte. Aber wen juckte es.

Wenigstens war sie weiß und sah fantastisch aus. Hätte bestimmt sogar Thomas gefallen. Dämlicher Choleriker.

Er würde nie mehr mit diesem Idioten auf ein Bier gehen. Jedes Mal versaute er ihm den Abend mit seinem nervigen Gejammer.

»Ich bin Angel«, sagte sie.

»Natürlich bist du das.« Er grinste anzüglich. »Ein echter Engel, den mir der liebe Gott geschickt hat.«

Nichts wie ran, Alter. Mit etwas Glück hat sie nichts Ansteckendes.

Er hasste Gummis. Sie beengten ihn.

Man fühlte sich nur als halber Mann damit.

»Du hast ganz schöne Muskeln.« Sie strich langsam über seinen Oberarm.

»Nicht nur an den Armen, Schätzchen.«

7

Dienstag, 22.50 p.m., Columbus, Ohio, USA.

Dorian wischte langsam das Blut von dem Jagdmesser, mit dem er gerade Jane Smiths jüngerer Schwester Mara die Kehle durchgeschnitten hatte. Er benutzte ein Papiertaschentuch dazu.

Als er fertig war, spülte er es in der Toilette hinunter.

Vor der finalen Schächtung hatte er sie überall geritzt. Mal tief, mal sehr tief, mal weniger tief. Ganz nach Gefühl. An den Stellen, an denen es besonders schmerzhaft war, hatte er sich extra viel Zeit damit gelassen.

Sie hatte geschrien wie am Spieß.

Ihn unentwegt mit zitternder Stimme um Gnade angefleht.

Dummes Ding. Ihre eigene Schuld. Hätte sie ihm einfach nur gesagt, wo sich ihre Schwester Jane aufhielt. Alles wäre gut gewesen.

Aber nein. Frauen mussten immer ihren eigenen Kopf haben. Waren prinzipiell rücksichtslos.

Er warf einen letzten kontrollierenden Blick auf Maras blutüberströmten nackten Körper, der gefesselt an einem Küchenstuhl hing.

Alles gut. Sie rührte sich nicht. War zweifellos tot. Ausgeblutet.

Sie würde niemandem von ihm erzählen.

Er nahm ihre Brieftasche. Durchwühlte das Haus, um es nach einem Raubmord aussehen zu lassen.

Verschwand in der Dunkelheit.

Zu Fuß, wie er hergekommen war.

Maras und Janes Mutter Lotti wohnte nicht weit weg in der Nachbarschaft. Vielleicht hatte er bei ihr mehr Glück.

8

Dienstag, 23.00 Uhr, Nuevo Laredo, Mexiko.

»Da war jemand. Ein Schatten.« Jane zeigte in die kleine unbeleuchtete Gasse, die rechts von ihrem Weg abging.

»Ich hab nichts gesehen«, erwiderte Alejandro. »Pepe, Julio, schaut mal nach, was da los ist.«

»Alles klar, Boss.«

Ihre Begleiter zogen ihre Pistolen aus den Achselholstern. Sie verschwanden mit lautlosen Schritten in der Dunkelheit.

»Warum sind deine Angestellten bewaffnet?«, wollte Jane flüsternd wissen. »Sind das Bodyguards? Ich dachte, sie sind Kellner in deinem Restaurant.«

»Mexiko ist ein gefährliches Land«, raunte ihr Alejandro zu. »Ohne Waffe bist du hier verloren.«

»Wieso trägst du keine?«

»Ich hab meine Jungs.«

»Stimmt.« Ein unbestimmtes Lächeln huschte über ihr Gesicht.

Sie verspürte den Anflug einer Ahnung, dass mit ihm etwas nicht stimmte. Was genau es war, konnte sie nicht sagen. Also ignorierte sie ihre aufkeimenden Zweifel gleich wieder.

Schließlich musste sie nicht alles wissen.

Sie hörten einen Schuss aus der Richtung, in die Pepe und Julio geeilt waren.

Jane schmiegte sich ängstlich an Alejandros Oberkörper.

»Nur ruhig«, sagte er, während er seinen Arm um ihre Schulter legte. »Die beiden sind die Besten in ihrem Job.«

»Ist es hier wirklich so gefährlich?«, fragte sie.

»Solange du in meiner Nähe bist, kann dir nichts passieren.«

»Gut zu wissen.« Sie lächelte dankbar.

»Da war nur eine Katze«, berichtete Pepe, als er und Julio fünf Minuten später zurückkamen.

»Warum habt ihr dann geschossen?« Alejandros Stimme schnitt wie ein Peitschenhieb durch die Nacht.

Jane duckte sich unwillkürlich.

»Julio wollte sie unbedingt abknallen und mitbringen.« Pepe lachte übermütig.

»So verschwendet ihr also mein Geld für teure Munition?«

»Sorry, Boss«, erwiderte Julio. In seiner Stimme schwang Angst mit. »Dachte, du freust dich, wenn ich sie dir mitbringe. Kommt nicht wieder vor.« Er senkte demütig den Blick.

»Das will ich auch hoffen. Du weißt, was dir sonst blüht.«

»Bitte schimpf nicht mit ihnen, Alejandro. Ich mit meiner Überängstlichkeit war an allem schuld. Sollen wir gehen?«

Jane hatte den Dialog mit gemischten Gefühlen verfolgt. Der starke Mann neben ihr hörte sich im Moment gar nicht mehr nach dem zuvorkommenden Kavalier an, den sie vor wenigen Tagen kennengelernt hatte. Den sie so sehr schätzte. Auf gewisse Weise sogar anhimmelte.

Er schien auch eine beängstigende Seite zu haben.

Wie Arthur. Wie ihr Vater.

Wie fast alle Männer, die ihr bisher begegnet waren.

»Gut, Jane. Lass uns heimgehen und das Ganze vergessen. Nicht so wichtig.« Alejandro ergriff ihre Hand. »Los, Leute«, wandte er sich aufmunternd an Julio und Pepe, die mit hängenden Köpfen dastanden. »Die Nacht ist viel zu schön, um sich zu streiten.«

Sie setzten sich in Bewegung.

Der Mond beleuchtete ihren Nachhauseweg. Die Luft war angenehm warm. Eine Katze miaute irgendwo in der Nähe. Möglicherweise diejenige, die Julio verfehlt hatte.

Manchmal hat man Glück, manchmal Pech, dachte Jane.

So war das Leben.

Hoffentlich hatte sie in Zukunft nur noch Glück.

9

Dienstag, 23.00 p.m., Washington D.C., USA.

»Gehen wir zu dir?« Angel schenkte Walter ein verführerisches Lächeln.

»Du meinst … ?« Er zog ebenfalls die Mundwinkel nach oben.

»Meine ich.« Sie legte sanft ihren Zeigefinger auf seine Unterlippe. »Tu nicht so, als hättest du nicht längst gemerkt, dass ich dich will.«

»Okay, Schätzchen. Lass uns abhauen. Aber nur, wenn es nicht zu teuer wird.«

»Keine Angst. Normale Preise.« Sie gab ihm ein Küsschen auf die Wange.

Er bezahlte schnell ihre Drinks. Anschließend hakte sie sich bei ihm unter. Sie verließen die Bar.

Auf der Straße wollte er ihnen ein Taxi herbeiwinken. Doch sie zog seinen erhobenen Arm wieder herunter.

»Lass uns ein Stück zu Fuß gehen«, meinte sie. »Ich brauche frische Luft.«

»Ist aber nicht gerade die beste Gegend, um nachts zu Fuß herumzuspazieren. Hast du keine Angst?«

»Ach was. Ich hab doch einen starken Beschützer dabei.«

»Na gut. Von mir aus.«

Walter fühlte sich nicht ganz wohl in seiner Haut. Die verlassen daliegende Straße. Und dann war er auch noch betrunken. Wenn sie hier jemand überfiel, hätten sie wohl nur geringe Chancen, unbeschadet aus der Sache herauszukommen.

Kurze, schnelle Schritte näherten sich von hinten.

Als würde ihnen jemand nachlaufen.

Hatte er übersinnliche Talente, von denen er bisher nichts wusste? Er drehte sich unauffällig um.

Nichts zu sehen.

10

Dienstag, 23.05 p.m., Columbus, Ohio, USA.

Dorian erreichte Lottis Haus keine 20 Minuten, nachdem er die tote Mara verlassen hatte.

Kein Licht brannte, was auch nicht anders zu erwarten gewesen war. Hier auf dem Land gingen die Leute mit den Hühnern ins Bett. Er würde sich gewaltsam Zugang ins Innere verschaffen müssen.

Das sollte kein großes Problem darstellen.

Von Mara wusste er, dass ihre Mutter alleine lebte. Die gute Frau würde gar nicht wissen, wie ihr geschah, wenn er auf einmal vor ihrem Bett stand.

Lautlos schlich er ums Haus herum. Sah nach, ob ein Fenster oder eine Tür offenstanden.

Fehlanzeige.

Die gute Nachricht: Lotti schien keinen Wachhund zu haben. Wie leichtsinnig von ihr.

Diese hirnlosen Landeier waren zu vertrauensselig.

Er würde dennoch seinen Glasschneider benutzen, den er immer bei sich trug. So verursachte er keine Geräusche.

Routiniert schnitt er einen kreisrunden Ausschnitt aus der Scheibe, zog ihn vorsichtig heraus, langte hindurch, bekam den Sperrgriff zu fassen, öffnete das Fenster und stieg ein.

Die gesamte Aktion dauerte kaum zwei Minuten.

Drinnen blieb er eine Weile beim Fenster stehen, um seine Augen an die Dunkelheit zu gewöhnen.

Bis auf das laute Ticken einer Standuhr gleich links von ihm war alles still. Kein Fernsehen, kein Radio, kein Licht. Lotti konnte sich tatsächlich nur in ihrem Bett befinden, wie er es bereits angenommen hatte.

Also hinauf in die erste Etage, wo sich normalerweise die Schlafzimmer befanden.

Er schaltete seine kleine Taschenlampe ein, die er neben den anderen professionellen Utensilien, wie dem Glasschneider, seiner Waffe und dem Schalldämpfer, immer dabeihatte.

Vorsichtig setzte er einen Fuß vor den anderen. Wollte unbedingt verhindern, dass sie aufwachte, bevor er bei ihr war.

Die zweite Treppenstufe knarzte unter den Kreppsohlen seiner extraleisen Halbschuhe.

Er hielt auf der Stelle inne.

Versuchte es einige Zentimeter weiter links.

Alles gut. Weiter.

Wenn er sich am Rand der Treppe hielt, würde er nahezu lautlos nach oben gelangen.

Wenig später stand er vor Lottis Schlafzimmer.

Ihr leises Schnarchen war zu hören. Sonst nichts.

Sehr gut. Keine unerwarteten Hausgäste. Außer ihm selbst natürlich.

Dorian musste grinsen. Der spannende Moment kurz vor dem Zugriff amüsierte ihn jedes Mal. Mochte sein, dass es ein Relikt aus seiner Kinderzeit war. Zu wissen, dass ein nichtsahnender Mensch gleich eine Überraschung erlebte, mit der er nicht gerechnet hatte: köstlich.

Huch, ich erschrecke dich!

Hundertmal hatte er das mit seiner Mutter und Sophia praktiziert, als er noch klein war. Sie hatten ihn jedes Mal dafür geschimpft und verprügelt.

Doch er tat es immer wieder.

Konnte einfach nicht damit aufhören.

11

Dienstag, 23.05 Uhr, Havanna, Kuba.

»Bin gleich wieder da.«

Arthur wankte Richtung Toilette. Er bräuchte dringend die nächste Line, hatte er zuvor gemeint.

Wolf blieb an dem runden Holztisch sitzen, an dem sie vor zehn Minuten Platz genommen hatten.

Es war kein Restaurant. Aber auch kein Klub und nicht direkt eine Musikkneipe. Eher eine Art Bar, in der sich jeder so amüsierte, wie er wollte. Wie viele Lokale hier leicht heruntergekommen. Aber dafür sehr stimmungsvoll.

Eine Menge hübsche Frauen.

Eine große Bühne auf der eine buntgemischte Band Karibiksound zelebrierte.

Wenige Touristen, zahlreiche Einheimische.

Arthur und Wolf hatten Rum und dicke Zigarren bestellt. Was sonst sollte man tun im Land des Rums und der Zigarren.

»Möchtest du tanzen?« Eine dunkelhaarige kubanische Schönheit stand wie aus dem Nichts vor Wolf.

»Nein, danke. Bin verletzt.« Er zeigte auf den verschmutzten Verband über seinem halbabgetrennten linken Zeigefinger.

Die Wunde, die ihm Nobody vor wenigen Wochen auf dem Parkplatz der Garmischer Autobahn zugefügt hatte, schmerzte tatsächlich wieder unerträglich.

Langsam müsste es doch mal aufhören.

Er schlug sich jetzt seit Wochen damit herum.

Gleich morgen würde er zu einem Arzt oder in ein Krankenhaus gehen, um sie versorgen zu lassen. Eine amputierte Hand fehlte ihm im Moment gerade noch.

»Ach bitte. Lass mich vor meinen Freundinnen nicht dumm dastehen.« Die junge Frau sah ihn flehentlich aus ihren großen braunen Augen an.

»Na gut.« Er erhob sich.

Dass die Südländer überall auf der Welt immer so maßlos übertreiben müssen. Unmöglich.

Sie betraten gemeinsam die Tanzfläche.

Gott sei Dank spielte die Band etwas Langsames. Nach all den Strapazen, die hinter ihm lagen, wäre er zu keinerlei größeren Verrenkungen imstande gewesen.

Er sah Arthur von der Toilette zurückkommen. Winkte ihm kurz zu.

Arthur winkte ebenfalls.

Setzte sich wieder.

Zog an seiner Havanna.

Grinste zufrieden vor sich hin.

12

Dienstag, 23.05 p.m., Washington D.C., USA.

»Ich lass mich von dem Scheißkerl Walter nicht bevormunden. Soll er ruhig weiter auf seinem faulen Hintern hocken, saufen und den Kopf in den Sand stecken. Nichts für einen echten Fox. Stimmt’s, Dad?«

Thomas sah kurz nach oben Richtung Himmel, wo er seine verstorbenen Eltern vermutete. Der Krebs hatte sie vor zwei Jahren aus dem Leben gerissen. Kurz nacheinander. Aufrechte, verlässliche Amerikaner mit Moral im Leib.

Nicht »mal so, mal so« wie diese ganzen Weicheier heutzutage.

Er war direkt von »Richies Bar« hierher in sein kleines Appartement in der Innenstadt gefahren. Hatte erstaunlicherweise sogar direkt vor der Tür einen Parkplatz gefunden.

Jetzt packte er eilig seine große karierte Reisetasche. Ahnte, dass er längere Zeit unterwegs sein würde, wenn er Arthur Smith erwischen wollte.

Ein Ersatzanzug musste genügen. Dazu noch eine Jeans und drei Hemden, T-Shirts, Sweatshirt, Sporthose, Unterwäsche, Socken. Rasierzeug und Waschutensilien. Das war’s.

Marschgepäck immer so leicht wie möglich.

Natürlich nahm er seine Dienstwaffe mit. Genauso wie sein Tauchermesser und die kleine Ersatzwaffe, die er sich an den Knöchel binden konnte, falls es brenzlig wurde.

Den Dienstausweis, den er bei Walter gelassen hatte, würde er nicht brauchen. Schließlich war er inoffiziell unterwegs. Durfte sich nur nicht mit einer der Waffen erwischen lassen. Das hieße ab ins Gefängnis.

Er ließ die Jalousie herunter, nahm die Tasche, verließ seine Wohnung, fuhr mit dem Lift hinunter und stieg in seinen Ford Mustang.

Den hatte er sich vor zwei Jahren aus einer Laune heraus gegönnt. Ein echtes Edelteil mit etlichen Pferdchen unter der Haube.

Letztlich hatte jeder seine kleinen Schwächen.

Sein Kollege Jonathan Scott hatte erst gestern am Telefon erwähnt, dass Arthur Smith in einer Bar irgendwo auf dem Land in Virginia gesehen worden sein soll. Zusammen mit den Deutschen, nach denen Jonathan suchte, Eva und Wolf Schneider.

Jonathan hatte dort unten zwar nichts weiter erreicht, wie er sagte. Erstmal ein paar Tage Urlaub eingelegt.

Aber der Hauch einer Spur war immerhin besser als gar keine.

Thomas ließ den Motor an.

Er fuhr los.

13

Dienstag, 23.10 p.m., Washington D.C., USA.

»Rück deine Brieftasche raus oder ich knall dich ab, wie einen räudigen Hund.«

Der schmale Schwarze in Jeans und T-Shirt, der sich vor Walter und Angel postiert hatte, hielt seine Pistole mitten in Walters Gesicht.

»Mach schon, Mann. Gib ihm deine Kohle oder du stirbst.« Angel hatte nichts Engelhaftes mehr an sich.

Ganz im Gegenteil. In Sekundenschnelle war sie zum blonden Teufel mutiert. Fixierte Walter mit einem mitleidlosen Blick.

Offensichtlich kannte sie den Mann mit der Waffe.

Verdammte Scheiße. Er war ihnen wie ein blutiger Anfänger in die Falle getappt. Hatte bei seiner Vorfreude über einen anständigen Fick alle Vorsicht sausen lassen.

Dämlicher Vollidiot! Selbst schuld.

Hätte er nur auf Thomas gehört.

»Ich hab nicht viel dabei. Könnt ihr alles nehmen«, meinte er. »Nur keinen Stress.«

»Willst du mir etwa sagen, was ich tun soll? Willst du das?« Der junge Mann entblößte hasserfüllt seine Zähne. Alles an ihm war blanke Wut.

»Nein.« Walter schüttelte schnell den Kopf. Er überlegte fieberhaft, wie er ihn am schnellsten unschädlich machen konnte.

»Du sagst Nein zu mir? Zu mir sagt niemand Nein, verstanden?«

»Also gut. Dann eben nicht.«

»Halt’s Maul, Arschloch.«

Walter bekam mit voller Wucht den Kolben der Waffe ins Gesicht.

»Reg dich ab, Joe. Wir wollen nur sein Geld.«

»Hast du sein arrogantes Glotzen gesehen«, erwiderte Joe. »Der Wichser nimmt mich nicht ernst.«

Er hielt den Lauf genau zwischen Walters Augen.

Dann drückte er ab.

Walter merkte nicht mehr, dass er wie vom Blitz getroffen nach hinten umkippte.

14

Dienstag, 23.10 p.m., Columbus, Ohio, USA.

Dorian stand am Fußende von Lottis Bett.

Sie atmete ruhig und gleichmäßig.

Er zog das dünne, aber feste Nylonseil, das er mitgebracht hatte, aus seiner tiefen Hosentasche. Legte es vorsichtig um ihre Füße.

Sie bemerkte es nicht. Schlief ruhig weiter.

Sobald er zwei Schlaufen um ihre Knöchel angelegt hatte, zog er ruckartig zu. Die anderen Enden des Seils, befestigte er blitzschnell an den Bettpfosten.

Lotti schlug erschrocken die Augen auf.

»Hilfe! Ist da jemand?«, rief sie laut in die Dunkelheit hinein.

»Nur ein guter Freund«, erwiderte Dorian, während er das Licht einschaltete.

Um Himmels willen. Wie sieht es denn hier aus. Die reinste Müllhalde.

Überall lagen Essensreste herum. Ungewaschene Kleidungsstücke. Stapelweise alte Zeitungen. Anscheinend war er an einen lupenreinen Messie geraten.

Er rümpfte angewidert die Nase.

»Was wollen Sie? Wer sind Sie?« Lotti richtete ihren Oberkörper auf. Sie strampelte wild, soweit es ihre Fußfesseln zuließen. Blickte panisch um sich. »Hauen Sie ab oder ich schreie. Mein Mann schläft in der Scheune. Er ist bewaffnet.«

Dorian betrachtete sie eingehend.

Ihre blonden Haare klebten nass am Kopf. Kein Wunder bei den sommerlichen Temperaturen heute Nacht.

Sie erinnerte ihn an seine eigene Mutter. Trotz all dem Hass auf sie und all den Auseinandersetzungen mit ihr, hatte er sie auch immer geliebt. Auf seine eigene Weise.

Bis in den Tod hinein sozusagen.

Gute Figur. Interessantes Gesicht. Sieht für ihr Alter immer noch attraktiv aus. Man will gar nicht glauben, dass sie eine arme Farmerin ist.

»Keine Angst, Lotti. Ganz ruhig. Ich will nur eine klitzekleine Information. Schon bin ich wieder weg.« Er legte den Zeigefinger auf seinen Mund, während er sich seitlich vom Bett ihrem Oberkörper näherte.

Bei ihrem Kopf angekommen, beugte er sich über sie.

Packte blitzschnell ihre Handgelenke.

Fesselte ihre Arme zusammen. Befestigte sie mit einem weiteren Stück Schnur, das er um ihren Körper herumlegte, auf ihrem Bauch.

Entgegen seiner Anweisung schimpfte und fluchte Lotti währenddessen wie ein Fuhrknecht. Um sie zum Schweigen zu bringen, stopfte er ihr einen Zipfel ihres Kopfkissens in den Mund, bis sie kaum noch Luft bekam.

Ihre Augen drohten vor Wut und Angst aus den Höhlen zu springen.

»Pass auf, Muttchen. Wir können das hier auf zwei Arten regeln«, sagte er mit leiser Stimme. »Entweder du zeigst dich kooperativ und alles ist in ein paar Sekunden vorbei. Oder du spinnst weiter herum, ohne mir zu sagen, was ich wissen will. Dann dauert es länger. Hast du das verstanden?«

Sie starrte ihn nur wie hypnotisiert an.

»Hast du das verstanden?«, wiederholte er geduldig. »Wenn ja, nicke einfach.«

Sie nickte langsam.

»Gut. Ich nehme dir zuerst den Knebel aus dem Mund. Ist bestimmt schön, wieder Luft zu bekommen, was?« Er lächelte fürsorglich. »Aber nicht beißen.«

»Fick dich«, schimpfte sie heiser, sobald sie wieder reden konnte.

»Ach, kleine Lotti. Mach’s mir doch nicht so schwer.« Seufzend steckte er ihr das Kissen erneut in den Mund.

Zusätzlich brach er ihr mit einem gezielten Faustschlag das Nasenbein.

Das Blut strömte wie ein kleiner Wasserfall heraus.

Sie schrie in ihren Knebel hinein.

Wand sich wie ein Fisch auf dem Trockenen.

Warf wild ihren Kopf hin und her.

»Und? Sollen wir es noch mal versuchen?«, fragte er, als sie sichtlich zu erschöpft war, sich weiter zu wehren.

Eine Zeit lang blickte sie stumm vor sich hin. Dann nickte sie erneut.

Er befreite sie zum zweiten Mal von ihrem Knebel.

»Du Schwein«, schimpfte sie. »Ausgeburt Satans. Verdammter Hund.«

»Könnte ich bitte endlich meine Frage stellen, Madam?«, fragte Dorian im höflichen Tonfall eines englischen Butlers.

»Mach mich los, Arschloch, dann reiß ich dir den Kopf ab. Mieses Stück Dreck. Dafür landest du in der Hölle.«

Mut hatte sie. Das musste er zugeben. Schimpfen konnte sie auch.

Er grinste amüsiert.

»Die Frage wäre, wo ich deine Tochter Jane finden kann«, fuhr er fort, ohne auf ihre vulgären Tiraden einzugehen.

»Ich hab keine Tochter, die so heißt«, erwiderte sie.

»Doch hast du. Sie hat Arthur Smith geheiratet.«

»Was? Du kennst Arthur?« Sie hielt schockiert inne. »Dann frag doch ihn, wo sie ist.«

»Geht nicht, Lotti. Jane ist ihm abhandengekommen. Deshalb besuche ich dich heute Nacht. Ich soll herausfinden, wo sie sich aufhält.« Dorian zeigte ein eiskaltes Lächeln.

»Keine Ahnung, du Schwein. Mach mich endlich los und verschwinde.«

Statt zu antworten, schlug er ihr erneut mit voller Wucht ins Gesicht. Das Knacken verriet ihm, dass er ihr zum zweiten Mal die Nase gebrochen hatte. An einer anderen Stelle.

Sie brüllte vor Schmerzen.

Gut so. Manche brauchten eben ein bisschen länger, bis sie realisierten, dass er es ernst meinte.

15

Dienstag, 23.10 Uhr, Havanna, Kuba.

»Hey, Mann. Lass mein Mädchen in Ruhe.«

»Wenn es dein Mädchen ist, wieso will sie unbedingt mit mir tanzen?« Wolf sah den muskulösen jungen Mann, der sich vor ihm aufgebaut hatte, erstaunt an.

»Das geht dich einen verfickten Scheißdreck an.«

»Ich will keinen Ärger. Viel Spaß ihr beiden.« Wolf wandte ihnen achselzuckend den Rücken zu, um an seinen Platz zurückzukehren.

Ihn interessierten die Menschen allgemein gesehen momentan nicht besonders. Lästige Fremde, die mit ihm streiten wollten, noch weniger.

»Gefällt dir mein Mädchen etwa nicht?«