Anschluss verpasst! - Johann-Günther König - E-Book

Anschluss verpasst! E-Book

Johann-Günther König

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Beschreibung

Die Deutsche Bahn AG ist eine Tragikomödie. Warum sonst buhen die Reisenden sie wegen der permanenten Verspätungen aus und spenden Beifall, wenn überhaupt noch ein Zug fährt? Wie konnte es dazu kommen? Wurde sie kaputtgespart und heruntergewirtschaftet, und wenn ja, warum? Und welchen Einfluss haben die Bahnpakete der Europäischen Union auf das Geschehen im deutschen Zugverkehr? Starke Schiene – so lautet das neue Motto der Deutschen Bahn. Alles soll in den kommenden Jahren besser oder sogar erstklassig werden: das Schienennetz, der Komfort in den Wagen, der Service, die Anschlüsse und die Pünktlichkeit. Fragt sich nur, ob der versprochene Deutschlandtakt zumindest von den jungen Leuten noch erlebt werden kann. Und ist die von einigen politischen Parteien geforderte Trennung von Netz und Eisenbahnbetrieb sinnvoll? Bis 2030 will die Deutsche Bahn vierzig Streckenabschnitte einer Generalsanierung unterziehen. Allerdings ist nicht erkennbar, dass das dafür notwendige Geld auch vom Bund bereitgestellt wird. Aber wer sonst kann die angekündigte Großsanierung des für den Klimaschutz so wichtigen Verkehrsträgers Eisenbahn finanziell absichern? Zudem sind bautechnische Probleme – wie etwa beim Projekt Stuttgart 21 – und andere Störfaktoren fast vorprogrammiert. Kann das deutsche Bahnsystem noch die Kurve kriegen?

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Johann-Günther König

Anschluss verpasst!

Die Krise der deutschen Bahn

© 2024 zu Klampen Verlag · Röse 21 · 31832 Springe · zuklampen.de

Umschlaggestaltung: Stefan Hilden · München · hildendesign.deunter Verwendung mehrerer Motive von shutterstock.com Satz: Germano Wallmann · Gronau · geisterwort.de Lektorat: Clemens Wlokas · Springe

E-Book-Herstellung: Zeilenwert GmbH · Rudolstadt

ISBN Print 978-3-98737-022-9

ISBN E-Book-PDF 978-3-98737-426-5

ISBN E-Book-Epub 978-3-98737-425-8

Bibliografische Information der Deutschen NationalbibliothekDie Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über ‹ http://dnb.dnb.de › abrufbar.

Die automatisierte Analyse des Werkes, um daraus Informationen insbesondere über Muster, Trends und Korrelationen gemäß § 44b UrhG (»Text- und Data-Mining«) zu gewinnen, ist untersagt.

Für die mich so anschlusssicher beratenden Freunde Clemens Wlokas und Volker Stuhldreher

Inhalt

Cover

Titel

Impressum

Schienenersatzplan (Einleitung)

Mehr Fortschritt wagen …

Betriebsablauf für Leidenswillige

Bahnreform aus dem Gleis

EU im Gleis

Anschlusszüge nicht erreicht

Überlastete Schienen

Verunfallte Sicherheit

Bahn- oder Wahnhof?

Reines Desaster: Stuttgart

Bequemlichkeiten ade

Alles aus dem Deutschlandtakt

Streiks machen Bahn-Sinn

Verfahrene Deutsche Bahn AG

DB InfraGO to go?

Trasse und Traktion trennen?

Völlig abgefahren – der SPNV

Deutschland im Ticket

Ihre nächsten Busfahrmöglichkeiten

Zukunft unter rollendem Rad

Anmerkungen/Nachweise

Literaturhinweise

Schienenersatzplan

»Mir ist nicht bange«, sagte Johann Wolfgang von Goethe 1828, »daß Deutschland nicht eins werde; unsere guten Chausseen und künftigen Eisenbahnen werden schon das ihrige tun.«1 Seit der Vereinigung der beiden deutschen Nachkriegsstaaten und der sogenannten Bahnreform von 1994 tun und lassen die Eisenbahnen hierzulande zwar alles Mögliche, nur zum »eins werden« mit dem Land, mit Europa und den Fahrgästen tragen sie kaum bei.

Die 200 Jahre zurückliegenden Gespräche Goethes mit Eckermann datierten noch vor dem Beginn des öffentlichen deutschen Schienenpersonenverkehrs am 7. Dezember 1835. Aufgrund des seitdem enormen technischen und elektronischen Fortschritts sollten wir längst über eine durchgängig elektrifizierte und die bundesdeutschen Landschaften sinnvoll erschließende Eisenbahn verfügen, die mit optimal aufeinander abgestimmten Fahrplänen und einer übersichtlichen wie preiswerten Tarifgestaltung aufwartet. Und die selbstverständlich gut ausgestattete und mit anderen Verkehrsmitteln erreichbare Bahnhöfe zu bieten hat – wohlgemerkt allerorten mit hilfsbereitem und freundlichem Personal. Doch davon kann wirklich keine Rede sein.

Seit 1835 gab es im deutschen Schienenverkehr einige größere Zäsuren. Zuerst die Etablierung einer einheitlichen Staatsbahn nach dem Ersten Weltkrieg, dann der Betrieb zweier Staatsbahnen nach der deutschen Teilung 1949, ab Mitte der 1960er Jahre der große Bedeutungsverlust der Eisenbahn durch die Massenmotorisierung, 1994 die Verschmelzung von Deutscher Bundesbahn und Deutscher Reichsbahn zur Deutschen Bahn AG und 1996 die Übertragung des Schienenpersonennahverkehrs in die Obhut der Bundesländer und die Öffnung des deutschen Eisenbahnnetzes für nichtbundeseigene Eisenbahnunternehmen.

Der ab der Bahnreform 1994 sogenannte deutsche Eisenbahn-Markt – was für ein begrifflicher Irrsinn – erweist sich als ein Spielfeld privater und staatlich kontrollierter Unternehmen und Holdinggesellschaften, die den Prinzipien Wachstum, Konkurrenz und Gewinnmaximierung huldigen. Die Deutsche Bahn AG (DB AG) ist auf den Schienen der Bundesrepublik keine einheitliche Staatsbahn mehr, sondern einerseits ein Eisenbahnverkehrsunternehmen unter vielen und andererseits ein Eisenbahninfrastrukturunternehmen mit Alleinstellungsmerkmal, das für die technischen Voraussetzungen und das Schienennetz zuständig ist. Dem Bundesfinanzministerium zufolge handelt es sich bei ihr um ein privatrechtlich organisiertes Staatsunternehmen.2

»Der Zug steht schon wieder! Keine Ahnung, warum! Auf eins kannst du dich verlassen! Nämlich, dass du dich auf die Bahn nicht verlassen kannst! Scheißdeutschebahn!« So kommentiert im 2019 erschienenen Roman Fliegen von Albrecht Selge die Bahncard-100-Heldin das alltägliche Geschehen.3 Wer Bahn sagt, muss in Deutschland leider allzu häufig zusätzlich auch Anschluss verpasst! fluchen. Da wirken Durchsagen wie »Reisende, die sportlich unterwegs sind und nicht zu viel Gepäck haben, sollten den Anschlusszug noch erreichen«, fast schon tröstlich. Die 1994 in die Verkehrswelt geschobene Deutsche Bahn AG konnte 2024 im dreißigsten Jahr ihres Bestehens nicht gerade mit Leistungen prahlen, die zum Feiern Anlass geben. Ihr Schienennetz ist so marode wie sonst nirgendwo in der EU, im Schienenpersonenfernverkehr kommen mehr als ein Drittel der Züge zu spät und in den veröffentlichten Bilanzen für 2023 spiegelten sich Verluste in Höhe von 2,4 Milliarden Euro bei einem aufgelaufenen Schuldenstand von imposanten 34 Milliarden Euro.4 Was Wunder, dass viele Bahnfahrgäste und nicht minder viele Beschäftigte der Deutschen Bahn nichts wirklich Gutes über den mehr schlecht als recht laufenden Betrieb zu sagen haben.

Ganz zu schweigen von der Fußballeuropameisterschaft im Sommer 2024, die aus Sicht der UEFA »eine grüne EM, sehr umweltfreundlich,  […] eine nachhaltige EM« sein sollte. Damit die Mobilität der Fans und Teams klimaschonend gewährleistet sein würde, betätigte sich die Deutsche Bahn AG als offizieller Sponsor der UEFA und ließ es an Selbstlob für den Einsatz beim »grünen Turnier« nicht mangeln.5 Sie stellte täglich Sonderzüge bereit und verkaufte den Inhabern von EM-Eintrittskarten für Fahrten innerhalb Deutschlands Tickets zum Preis von 30 Euro in der 2. Klasse und 40 Euro für die 1. Klasse – Verspätungen und Zugausfälle inklusive.6 Als die deutsche Mannschaft von Blankenhain mit dem Zug nach Herzogenaurach fuhr, kam sie mit 17 Minuten Verspätung dort an. Sieben Nationalmannschaften reisten – nicht wie die meisten – mit dem Bus, sondern mit der Bahn zu den jeweiligen Spielorten, wofür es im UEFA-Sponsoringvertrag mit der DB spezifische Vereinbarungen gab.

Nachdem der in Südengland häufig mit Bahnproblemen konfrontierte Journalist Miguel Delaney seine ersten Erfahrungen auf deutschen Schienen gesammelt hatte, kommentierte er das mit den Worten: »Es ist noch schlimmer als bei uns – und ich hätte nicht gedacht, dass ich das je sagen würde.«7 Was Wunder, dass die Süddeutsche Zeitung prompt titelte: »Angstgegner Deutsche Bahn«.8 Die Deutsche Bahn räumte die Defizite im Fernverkehr während der Fußballeuropameisterschaft durchaus ein. »Wir verstehen den Unmut und die Kritik von Fans«, kommentierte der Fernverkehrschef Michael Peterson das Geschehen: »Die Bahn bietet aktuell nicht die Qualität, die alle verdient hätten.«9

Das im Titel aufscheinende Wort Krise geht auf den griechischen Begriff krísis zurück und bedeutet »Scheidung« oder »Notlage«, die zu einer Entscheidung drängt. Eine Krise zwingt die von ihr Ergriffenen und Betroffenen, Stellung zu beziehen und zu handeln, ganz gleich, ob zu deren Lösung oder zum Untergang in ihr. In diesem Sinne wurde das Wort von Medizinern aufgegriffen und als Fachbegriff für die entscheidende Zuspitzung im Krankheitsverlauf eingeführt – den die Gesundung einleitenden steilen Abfall des Fiebers oder den nicht mehr abwendbaren Übergang ins Siechtum oder den Tod. Dieses Buch betrachtet die Krise der deutschen Bahn, weil durchaus nicht auszuschließen ist, dass ihr seit dem Millennium immer stärker wahrnehmbares Siechtum in einen Dauerzustand übergeht. Gegenwärtig jedenfalls hat das 200 Jahre lang existierende Schienenverkehrsmittel ein zentrales Merkmal seiner Funktion eingebüßt: die Zuverlässigkeit.

Mit der deutschen Bahn sind in diesem Buch alle Eisenbahnverkehrsunternehmen gemeint, die auf den Schienen hierzulande ihre Züge rauschen, halten, sich verspäten und ausfallen lassen. In den Blick kommt dabei überwiegend die Deutsche Bahn AG, die schon aufgrund ihrer noch fast absoluten Dominanz im Schienenpersonenfernverkehr (SPFV) und der noch vielen Linienverbünde im Schienenpersonennahverkehr (SPNV) sowie der von ihr betriebenen Infrastruktur ein Thema für sich ist. Bemerkenswerterweise spielt der Schienenpersonennahverkehr die entscheidende Rolle im deutschen Eisenbahnsektor, denn ihn nutzen 95 Prozent aller Bahnfahrenden, während der Fernverkehr nur einen Anteil von 5 Prozent hat. Auch die von den Fahrgästen zurückgelegte Entfernung ist im SPNV mit knapp 60 Prozent der Personenkilometer höher.10

Im Sommer 2024 hat die neu formatierte Konzernsparte DB InfraGO AG die Ertüchtigung der verschlissenen deutschen Eisenbahninfrastruktur aufgenommen. Die in schönster Werbesprache formulierte Mission der neuen und auf dem Papier als »gemeinwohlorientiert« bezeichneten Infrastrukturgesellschaft lautet: »Gemeinsam und aus einer Hand ein leistungsfähiges Schienennetz und attraktive Bahnhöfe zu schaffen, die auf ganzer Linie begeistern.«11 Abwarten, den DB Navigator und andere Mobilitätsplattformen im Blick behalten …

Bis 2030 will die DB InfraGO AG insgesamt vierzig als Hochleistungskorridore eingestufte Strecken mit einer Gesamtlänge von mehr als 4000 Kilometern generalsanieren, die dafür der Planung zufolge jeweils fünf oder noch mehr Monate voll gesperrt sein werden. Mindestens bis zum Beginn des dritten Jahrzehnts – aufgrund üblicher Verzögerungen wahrscheinlich viel länger – kommt auf Berufspendelnde und Bahnreisende hierzulande eine gewiss nicht kleine Herausforderung zu: die der persönlichen Krisenbewältigung. Schließlich müssen die Züge des Fern- und Güterverkehrs während der Vollsperrungen teils lange Umleitungen fahren und werden sicherlich weiterhin Verspätungen sammeln. »Anschluss verpasst!«, dürfte es dann gewiss nicht selten für die Reisenden im Fernverkehr heißen, während die Leute im Regionalverkehr grundsätzlich den Anschluss an eine Bahn verpassen, weil sie mit Bussen des Schienenersatzverkehrs vorliebnehmen müssen und Nerven nicht zuletzt in Staus auf den Straßen verlieren werden.

Die Eisenbahn, das versteht sich gleichsam von selbst, ist seit ihrem Infahrtkommen im frühen 19. Jahrhundert ein unersetzliches Verkehrsmittel. Inzwischen, denke ich, ist sie schlicht das Beste, was uns für längere Fahrten zur Verfügung steht. Und da immer mehr Menschen in Deutschland aus Klima- und Umweltschutzgründen die Verlagerung von möglichst viel Verkehr von der Straße und im Luftraum auf die Schiene befürworten, lautet die entscheidende Frage: Werden die EU-Kommission und die Regierungspolitik alles in ihrer Macht Stehende dafür tun, den Anteil des Bahnverkehrs gegenüber dem schädlichen Auto-, Lastwagen- und Flugverkehr möglichst rasch und erheblich zu steigern? Werden Bund und Länder den deutschen Schienenverkehr nach Maßgabe des Gemeinwohls und mit ausreichender finanzieller Ausstattung wieder Anschluss an die Zukunft finden lassen? Und wie soll politisch mit dem verfahrenen bundeseigenen Konzern Deutsche Bahn AG gerade auch mit Blick auf den »Green Deal« der EU, von dem einige Elemente schon wieder abgeschwächt werden, und den »Klimaschutzplan 2050« der Bundesregierung weiter verfahren werden? Schließlich ist es das Ziel beider Vorhaben, allein bis zum Jahr 2030 mindestens 55 Prozent weniger Treibhausgase als 1990 zu emittieren.12

In den folgenden Kapiteln versuche ich in vielerlei Hinsicht zu erhellen, wie es gegenwärtig um den grundsätzlich klimafreundlichen Verkehrsträger deutsche Bahn bestellt ist, welche Verbesserungen bis wann und wie in Aussicht gestellt sind, und wie es um die Chancen für die tatsächliche Erfüllung der kommunizierten Zukunftspläne für den Schienenpersonenverkehr steht. Wobei der kritische Blick auf die von den Mitgliedstaaten teils zwingend übernommenen Regelungen der EU schon deshalb nicht blind bleiben soll, weil das immer ausgefeiltere »Europäische Eisenbahnrecht« die rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten der einzelnen Nationalstaaten inzwischen fast völlig ausgebremst hat.

Hilfreich waren für mich die Informationen und Studien engagierter Lobbyorganisationen, darunter das Netzwerk Bahn für Alle; das Bündnis Bürgerbahn – Denkfabrik für eine starke Schiene; der Fahrgastverband Pro Bahn; der Verein mobifair e. V.; die Allianz pro Schiene; der Bundesverband SchienenNahverkehr (BSN); der Verband der Bahnindustrie in Deutschland (VDB) und der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV). – Im Eurocity (EC) erfolgt gerade die Durchsage:

Wir müssen noch etwas warten. Der Bahnhof in Basel scheint nicht auf einen pünktlichen deutschen Zug vorbereitet zu sein.

Mehr Fortschritt wagen …

Ende des Jahres 2021 versprach die neu gewählte Bundesregierung aus SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP engagierte und zukunftsgerechte Pläne für den Schienenverkehr in den deutschen Landen. Jedenfalls wollte die Ampel bei der deutschen Bahn einiges deutlich besser machen als diverse Vorgängerregierungen. Im Koalitionsvertrag 2021–2025 mit dem Titel: Mehr Fortschritt wagen – Bündnis für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit lauten die großen Versprechen:

Wir wollen die 2020er Jahre zu einem Aufbruch in der Mobilitätspolitik nutzen und eine nachhaltige, effiziente, barrierefreie, intelligente, innovative und für alle bezahlbare Mobilität ermöglichen. […] Die erforderlichen Entscheidungen zur Erreichung unserer Klimaschutzziele für 2030 und 2045 mit dem Ziel der Dekarbonisierung des Mobilitätsbereiches werden wir treffen und die praktische Umsetzung deutlich beschleunigen. Mobilität ist für uns ein zentraler Baustein der Daseinsvorsorge, Voraussetzung für gleichwertige Lebensverhältnisse und die Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschafts- und Logistikstandorts Deutschland mit zukunftsfesten Arbeitsplätzen. Dafür werden wir Infrastruktur ausbauen und modernisieren sowie Rahmenbedingungen für vielfältige Mobilitätsangebote in Stadt und Land weiterentwickeln. […] Dabei wollen wir erheblich mehr in die Schiene als in die Straße investieren, um prioritär Projekte eines Deutschlandtaktes umzusetzen. […]

Wir werden auf Basis neuer Kriterien einen neuen Bundesverkehrswege- und -mobilitätsplan 2040 auf den Weg bringen. […] Wir werden den Masterplan Schienenverkehr weiterentwickeln und zügiger umsetzen, den Schienengüterverkehr bis 2030 auf 25 Prozent steigern und die Verkehrsleistung im Personenverkehr verdoppeln. Den Zielfahrplan eines Deutschlandtaktes und die Infrastrukturkapazität werden wir auf diese Ziele ausrichten. Sofern haushalterisch machbar, soll die Nutzung der Schiene günstiger werden, um die Wettbewerbsfähigkeit der Bahnen zu stärken. Wir werden mehr Oberzentren an den Fernverkehr anbinden. Wir werden die Umsetzung eines Deutschlandtaktes infrastrukturell, finanziell, organisatorisch, eisenbahnrechtlich und europarechtskonform absichern. Grenzüberschreitenden Verkehr wollen wir stärken und mit der EU sowie ihren Mitgliedstaaten Nachtzugangebote aufbauen. Bis 2030 wollen wir 75 Prozent des Schienennetzes elektrifizieren und innovative Antriebstechnologien unterstützen. Die Digitalisierung von Fahrzeugen und Strecken werden wir prioritär vorantreiben. Wir werden ein Programm »Schnelle Kapazitätserweiterung« auflegen, Barrierefreiheit und Lärmschutz verbessern, Bahnhofsprogramme bündeln und stärken, das Streckennetz erweitern, Strecken reaktivieren und Stilllegungen vermeiden und eine Beschleunigungskommission Schiene einsetzen. […] Bei neuen Gewerbe- und Industriegebieten soll die Schienenanbindung verpflichtend geprüft werden. […]

Wir werden die Deutsche Bahn AG als integrierten Konzern inklusive des konzerninternen Arbeitsmarktes im öffentlichen Eigentum erhalten. Die internen Strukturen werden wir effizienter und transparenter gestalten. Die Infrastruktureinheiten (DB Netz, DB Station und Service) der Deutschen Bahn AG werden innerhalb des Konzerns zu einer neuen, gemeinwohlorientierten Infrastruktursparte zusammengelegt. […] Gewinne aus dem Betrieb der Infrastruktur verbleiben zukünftig in der neuen Infrastruktureinheit. Die Eisenbahnverkehrsunternehmen werden markt- und gewinnorientiert im Wettbewerb weitergeführt.

Wir wollen die Investitionsmittel für die DB Infrastruktur erhöhen. Wir wollen Länder und Kommunen in die Lage versetzen, Attraktivität und Kapazitäten des ÖPNV zu verbessern. Ziel ist, die Fahrgastzahlen des öffentlichen Verkehrs deutlich zu steigern.13

Punkt. Das Wollen der Koalitionspartner in allen Ehren. Einen spür- und sichtbar großen Aufbruch der deutschen Bahn sollte jedoch niemand erwarten, der die neue Finanzlage im Blick hat. Obwohl die Regierung mit einem Investitionsbedarf der Deutschen Bahn von 88 Milliarden Euro bis 2027 rechnet (Mehrkosten durch Inflation kämen hinzu), den sie zunächst auch mit Geldern aus dem Klima- und Transformationsfonds auszustatten gedachte, entstanden 2023 nach dem Haushaltsurteil des Bundesverfassungsgerichts Milliardenlöcher, die nicht so ohne Weiteres gestopft werden können.14

So sind für die Jahre 2024 und 2025 zwar alle Baumaßnahmen finanziell abgesichert, bis 2027 fehlen jedoch noch zig Milliarden Euro, um alle geplanten Sanierungen ausführen zu können.15

Die von der Ampel versprochene Streckennetzerweiterung bleibt vorerst ebenso auf der Strecke wie die angestrebte weitere Elektrifizierung und Digitalisierung. Zudem wird die Digitalisierung der Bahninfrastruktur mehr als doppelt so teuer wie 2018 angenommen. Einer Studie für das Bundesverkehrsministerium zufolge dürfte das Vorhaben statt 28 Milliarden Euro mindestens 69 Milliarden Euro kosten. Laut internen Unterlagen der DB InfraGO AG fehlen allein für die von 2025 bis 2030 geplanten Digitalisierungsvorhaben gut 17 Milliarden Euro – die Projekte seien »derzeit unterfinanziert und somit nicht umsetzbar«, hieß es im Sommer 2024.16

Bleibt zu hoffen, dass das geplante Moderne-Schiene-Gesetz, das u. a. die synchrone Ausstattung von Schiene und Fahrzeugen mit dem europäischen Zugsicherungssystem ETCS vorsieht, tatsächlich finalisiert wird. Zweifellos muss der Digitalisierungs- und Elektrifizierungsprozess im deutschen Eisenbahnnetz ganz erheblich beschleunigt werden. Ob die regierungspolitisch dafür als notwendig erachteten gesetzlichen und regulatorischen Änderungen dazu beitragen werden, das Schienennetz bis 2040 vollständig digitalisiert und elektrifiziert zu haben, bleibt abzuwarten.17

Im Netzzustandsbericht der DB – Stand 2023 – wird der »altersbasierte Nachholbedarf« bei der deutschen Bahninfrastruktur übrigens auf 103,4 Milliarden Euro beziffert, etwas mehr als die Hälfte davon allein für die Brückensanierung.18 Fragt sich nur, woher das notwendige Geld dafür kommen soll.

Da die Ampelregierung an dem noch unter dem Vorgängerkabinett mit Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) erstellten Masterplan Schienenverkehr19 festhält, müssten sich die Fahrgastzahlen bis zum Beginn des dritten Dezenniums verdoppeln und die Züge viel zahlreicher und pünktlicher als bisher verkehren. Das allerdings scheint unrealistisch. Für den geplanten neuen Bundesverkehrswege- und -mobilitätsplan 2040 gab es im Frühjahr 2024 noch nicht einmal eine erste Prioritätenliste. Dieses zentrale Planungsinstrument der Bundesregierung für die Verkehrspolitik trägt in der geltenden Fassung – Stand 2016! – den Titel Bundesverkehrswegeplan 2030. O-Ton des damaligen Ministers: »Mit dem Bundesverkehrswegeplan 2030 bleiben wir das Mobilitätsland Nr. 1 – und schaffen so die Voraussetzungen für das Wachstum, den Wohlstand und die Arbeit von morgen.«20

Immerhin wurde eine Beschleunigungskommission Schiene eingesetzt, die im Dezember 2022 ihren Abschlussbericht mit umfangreichen Empfehlungen vorgelegt hat.21 Bei diesen Vorüberlegungen ist es aber geblieben. Selbst der von der Kommission empfohlene mehrjährige Eisenbahnfonds zur Herstellung der notwendigen Finanzierungssicherheit blieb ignoriert. Wie angekündigt wurden lediglich die beiden Infrastruktureinheiten DB Netz AG und DB Station & Service AG zum 1. Januar 2024 in die »gemeinwohlorientierte Infrastrukturgesellschaft« DB InfraGO AG überführt. Gemeinwohlorientiert klingt auf den ersten Blick vielversprechend. Wie das in der Realität aussieht, wird weiter unten noch zu beleuchten sein.

Wenn nicht alles täuscht, hat die rot-gelb-grüne Koalition mit der Maxime Fortschritt wagen eigentlich nur verklausuliert ausgedrückt, dass sie die Probleme zwar benennt, aber es zugleich wagt, von ihnen wegzuschreiten, sich quasi von ihnen zu entfernen. Zu der von ihr verkündeten erheblichen Verbesserung des Schienenverkehrs in Deutschland wird es bis 2030 jedenfalls nicht kommen und der immer wieder beschworene Deutschlandtakt dürfte weiterhin eine Utopie bleiben. Ausdrücklich erhalten bleibt der Ampel zufolge hingegen das unter der EU-Kommission und den Vorgängerregierungen liberalisierte und privatisierte deutsche Eisenbahngeflecht: »Die Eisenbahnverkehrsunternehmen werden markt- und gewinnorientiert im Wettbewerb weitergeführt.« Inwieweit der hierzulande gesetzlich geregelte und praktizierte Wettbewerb unter den zahlreichen Nahverkehrs- und wenigen Fernverkehrs-Bahnunternehmen auf dem deutschen Schienennetz tatsächlich sinnvoll erscheint und in die Zukunft weist, ist eine Frage, die einer Erörterung bedarf. Ach übrigens:

Werte Fahrgäste, die Weiterfahrt unseres Zuges verzögert sich aus unbekannten Gründen!

Betriebsablauf für Leidenswillige

Mit Blick auf Erderhitzung und Klimakrise ist die Eisenbahn das umweltfreundlichste und effizienteste Massenverkehrsmittel auf Erden, zumal, wenn sie auf einem dichten Schienennetz zuverlässig verkehrt und über komfortable Personenwagen mit größeren Gepäck- und Fahrradabteilen sowie Bistro- und Schlafwagen verfügt. Die Eisenbahn in einer klimaneutralen Zukunft sollte sauber, pünktlich und fair bepreist sein sowie mit ausreichendem und hilfsbereitem Personal aufwarten – barrierefreie und mit allen erforderlichen Annehmlichkeiten ausgestattete Bahnstationen inbegriffen.

Gegenwärtig fährt hierzulande jede zweite Person gelegentlich oder – als Pendlerin oder Pendler – sehr häufig mit der S- und Regionalbahn, dem EC, IC oder ICE. Allerdings nur, wenn die Züge überhaupt unterwegs sind. In deutschen Landen reicht heutzutage ja – anders als etwa in Nachbarländern wie der Schweiz – bereits starker Sturm oder anhaltender Schneefall, um den Schienenpersonennah- und Schienenpersonenfernverkehr tagelang in den Stillstand zu versetzen. Die Eisenbahnen in Deutschland bringen seit Längerem selbstverständliche Leistungen einfach nicht zustande, worüber auch die darüber verfassten erheiternden Bücher nur kurzzeitig hinwegtrösten können.22

Verzögerungen im Betriebsablauf sind heutzutage keine Ausnahme, sondern Normalität. Tagein, tagaus beklagen Bahnfahrende die notorischen Verspätungen, die häufigen Zugausfälle wegen ausgefallener Stellwerke und fehlenden Personals im Führerstand, die chronischen technischen Störungen wie »streikende« Loks, nicht öffnende Türen, versagende Toiletten-, Klima- und Lichtanlagen, defekte Reservierungsanzeigen, die oftmals fehlenden, geschlossenen oder unzureichend bestückten Bistro- und Speisewagen, die häufig viel zu vollen Züge, die sibyllinischen Verlautbarungen von Verantwortlichen, die Trostlosigkeit der Bahnhöfe jenseits der Großstädte und und und … Wer in diesen Tagen eine längere Strecke mit dem Deutschlandticket in Regionalzügen oder regulär im IC oder ICE zurücklegen möchte, sollte sich jedenfalls sicherheitshalber mit Trink- und Essbarem bevorratet haben.

»Oh Gott, ich fahre wieder Zug!«, schreibt mir ein Freund. Er wohnt in der Region Hannover und will einen Termin in Rostock wahrnehmen. Sein Bericht beginnt mit der Szene: »In aller Herrgottsfrühe bin ich zu Fuß zum Bahnhof geeilt, nachdem ein Taxi nicht zu ordern war und der Bus bisweilen unzuverlässig verkehrt. Schließlich komme ich etwas angeschwitzt, aber acht Minuten vor der regulären Abfahrt dort an. Schließlich hatte die Bahn-App zu Hause keinerlei Verspätungen auf dem Schirm und keinen entsprechenden Alarm ausgelöst.«

Nun wird das mustergültig pünktliche Erscheinen auf deutschen Bahnhöfen seit vielen Jahren von den sehnsüchtig erwarteten Zügen bekanntlich nicht gerade gewürdigt. Mein Freund fährt – sozusagen von der Bahn ausgebremst – fort:

»Auf dem Bahnhof steht verdächtigerweise schon neben der Abfahrtszeit auf hellem Grund eine andere Zeit: quasi plus eine Viertelstunde. Da fahren erst ein Regionalexpress und dann noch ein ICE durch. Ganz ungewohnt. Und von anderen Wartenden heißt es, die App spreche von Unbefugten im Gleis. Plötzlich springt die Ankunftszeit schon auf plus achtzehn Minuten. Das nun hätte meinen Anschluss in Hannover arg gefährdet. Schließlich bleibt es aber doch bei einer Viertelstunde Verzug. Ganz schön stressiger Start in so einen Reisetag!

In Hannover bin ich flugs zum Umsteigegleis gespurtet, was sich indes als übereilt herausstellen sollte. Auch dort ist eine Verspätung angezeigt, wegen Baustelle: Wir bitten um Entschuldigung. Diesen Spruch kann ich wegen inflationärer Tendenzen kaum mehr verknusen, geschweige denn ertragen. Im ICE folgt prompt die nächste Überraschung: Die Sitzplatzreservierung sei ausgefallen, werde ich aufgeklärt, denn an jedem Platz steht GGF. RESERVIERT. Da traue ich mich erst gar nicht, irgendwo Platz zu nehmen. Ohne Reservierung, versteht sich. Immerhin steht zu befürchten, den Zug in Hamburg wegen Überfüllung womöglich verlassen zu müssen. Weil: GGF. RESERVIERT ja bedeuten könnte, dass alle Plätze vorbestellt und daher freizuhalten sind. Sozusagen russisches Roulette.

Letztendlich Entwarnung: In Hamburg stellt sich heraus, dass der ICE fast leer durch Mecklenburg rattern würde, nachdem fast alle Leute ausgestiegen sind und den Großraumrevieren nur wenig Nachschub vergönnt ist.

Zuvor hatte ich auf eine Ansage hin fast einen Lachausbruch, weil das Englisch des Bordpersonals fast wie echtes Cockney klingt. Sie sagen jetzt auch nicht mehr: Thank you for travelling with Deutsche Bahn AG, das verkneifen sie sich offenbar, sondern: Thank you for choosing Deutsche Bahn AG