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APOKATASTASIS & PUBLIKUMSGESPRÄCH sind zwei Theaterstücke, die ausschließlich aus Gedichten bestehen. APOKATASTASIS handelt von einem Studenten der Literaturwissenschaft, der in der Weimarer Fürstengruft auf zwei Pärchen trifft, die nicht unterschiedlicher hätten sein können. PUBLIKUMSGESPRÄCH beginnt dann, wenn die eigentliche Aufführung beendet ist. Zwei Zuschauer verweilen auf ihren Plätzen und bekommen so eine ganz private Vorstellung, in die sie bald schon involviert werden.
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Mäander Visby
APOKATASTASIS & PUBLIKUMSGESPRÄCH
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Inhaltsverzeichnis
Titel
APOKATASTASIS
I.
PUBLIKUMSGESPRÄCH
I.
Impressum neobooks
EIN EINAKTER
VON MÄANDER VISBY
PERSONEN
ROMEO MONTAGUE & JULIA CAPULET
–Italienisches Liebespaar
BONNIE PARKER & CLYDE BARROW
– US-amerikanisches Verbrecherpaar
STUDENT
– Der Literaturwissenschaft an der Universität Erfurt
Hol die Vergangenheit nur zurück,
wenn du auf ihr aufbauen willst.
Doménico Cieri Estrada
Weimarer Fürstengruft:
Vor den beiden Eichensärgen von Goethe und Schiller steht, kurz vor Ende der Öffnungszeiten dieser historischen Grabstätte, ein Student der Literaturwissenschaft und betrachtet melancholisch die zwei aufgebahrten deutschen Dichter.
STUDENT
Der Eine sah das Schicksal kommen,
Was bald dem Andren schon ereilte.
Er konnte ihm damit nur helfen,
Indem ers Schicksal mit ihm teilte.
Und was der Eine noch nicht wusste,
Das konnt' der Andre bloß erahnen.
Der ohne Sorgen, der nichts musste,
Der nahm sich plötzlich vor zu planen.
Der Eine wollte fliegen lernen,
Meist über jedes Ziel hinweg.
Der Andre flog zum Himmel rauf,
Doch stets mit Landung hart gen Dreck.
Ja, und wie lebte nur der Eine,
Zufrieden, ohne jeden Streit,
Wenngleich der Andre, Besserwisser,
Nicht nutzen konnte diese Zeit.
Der Eine kannte die Moral,
Von der er selber gerne spricht.
Der Andre schrieb die Worte nieder,
Sodass er musste vor Gericht.
Und was den Einen so verbittert,
Das stimmt den Andren wieder zahm.
Wo's aber dann ums Geld noch ging,
Verloren beide ihren Charme.
Der Eine wollte schließlich kämpfen.
Der Andre war da noch entspannt.
Doch als des Richters Spruch ertönte,
Da wurd' der Eine just verbannt.
Von nun an war der Eine einsam
Und voll von Trauer so allein.
Und was der Andre gar nicht wusste:
Sie beide hatten was gemein.
Der Teufel aber hörte's Fluchen,
Was einst der Eine von sich gab.
Erzittern tat darauf der Andre,
Der schon den Einen sah im Grab.
Der Teufel zog sogleich den Einen
Ins saftig grüne Gras hinein –
Bis dann das Grüne dunkler wurde,
Wo Erde wird zu Feuerstein.
Ein Blümchen zierte diese Stelle,
Da, wo der Eine mit sich rang,
Als dieser, der genannt der Andre,
Ein Loblied für den Einen sang.
Erstaunlich war der Ton alleine,
Der schallte übers Moor hinaus,
Als zog's dem Einen jäh am Beine.
Und Punkt war's mit den beiden aus.
Und was dem Einen mit dem Andren
Weit übers Ziel hinaus verband,
Das war vernichtend, als man später
Die Reste beider wiederfand.
Schlussendlich lagen sie zusammen
In einem finstren Knochenhaufen.
Und ihre Münder standen offen
Und waren immer noch am Laufen.
Sie sprachen beide unaufhörlich
Von all den guten alten Zeiten.
Und bis zum jüngsten Tag auf Erden,
Gab es nie wieder Grund zum Streiten.
Das Licht in der Fürstengruft wird ausgeschaltet.
Die Saale, Unstrut und der Rest,
Verbreiten fleißig weiter Pest.
Gedanken an den Schwarzen Tod?
Verfolgen sie dich in der Not?
Barbarisch sind sie für ein jeden!
Verstummen dich, willst du auch reden!
Verfolgen dich bis in das Mark!
Sie schwächen dich, bist du auch stark!
Und ist der Bann an einem Brechen –
Die Menschen sterben! Willst du Rächen?
Doch niemand wehrt sich dieser Plage!
Und niemand wehrt sich dieser Tage!
Stolz nimmt ein jeder Mensch sich an
Der Pest, auch für den Nebenmann.
Man fühlt sich wohl im Unwohlsein,
Besetzt das Feld ins Land hinein.
Man wälzt sich in dem tiefsten Dreck.
Man denkt somit, die Pest geht weg.
Doch hört ihr, wie der Körper schreit?
Ein Ende ist nun nicht mehr weit.
Verständnis für die vielen Kranken?
Da lässt die Pest ganz herzlich danken.
Den Jüngsten, auch mit seiner Decke,
Den bringt der Tod noch um die Ecke!
Und hungrig fressen sie aus Schalen.
Wer soll die volle Rechnung zahlen?
Das Bild vom armen Bettelmann,
Dies malt ein Künstler irgendwann.
Und horrend blässlich ist verhaftet:
Der Sensenmann ist unbewaffnet!
Er zieht bloß übers Bachbemoose
Und steckt das Hemdchen in die Hose.
Er kommt ins Straucheln, wie verhext.
Dort zeichnet sich im Bild ein Text:
Die Saale, Unstrut und die Helme,
Die sind gerissen wie die Schelme.
Und wissend, was sie mit sich führen,
So lassen sie's die Menschen spüren.
Und gut und gläubig trinken Zecken
Den Wein, um etwas abzuspecken.
Das Notlicht geht in der Fürstengruft an.
Der Künstler, der dies Bildchen malt:
Die Königin, die ihn bezahlt.
Das Volk, in Unmut eingehüllt,
Das brav die Kassen ihr befüllt.
Sie bringen nun der Prasserei
Ganz viele neue Töne bei.
So bringen sie die Königin
Um, durch die schönste Dienerin.
Der Künstler kam auch nicht davon.
Oh, wie nun alles Glück zerronn'.
Auf seinem Bild, mit Namen Pest,
Da pochten sie den Künstler fest.
Der schwarze Maler sah recht schwarz,
Fand sein Exil im schönen Harz.
Er tanzt noch heute auf dem Brocken,
Zur Hexennacht und ohne Socken.
Eine Taschenlampe leuchtet in der Gruft umher.
Der Student versteckt sich hinter Goethes Sarg.
Wie können Dichter nur erzählen, wie sie leben?!
Mir wär' es peinlich, ins Detail zu gehen. Aber:
Ich trockne meine langen Haare an der Heizung.
Das spart den Fön, den Strom, den Krach. Doch nicht das Denken.
Ich bild' mir ein, ich würde schneller dran ergrauen.
Ein Bett, Kommode, Sessel, Tisch, zwei Regenschirme –
Nicht mehr bedarf es heut', um Weisheit zu erlangen.
Ein Bild vielleicht noch an der Wand – von einem Fräulein,
Das mich in jeder Ecke leicht erspähen sollte,
Damit ihr strenger Blick mich strafen kann, wenn nötig.
Den Tabak muss ich einfach in der Pfeife rauchen!
Nostalgisch gelbe Wände drohen mit Vergeltung.
Ach, meine Weste kann die Reinheit nicht ertragen,
Drum sind bei Tisch Manieren selten zu beachten,
Wenngleich das Fräulein an der Wand beherzt verunglimpft.
Sie sagt zu mir, ich solle lieber auswärts essen,
Damit sie sich nicht fühlen müsse wie bei Tieren –
Besonders Schweine, denke ich, nachdem sie grunzte.
Ich esse aber für gewöhnlich nicht zu Hause.
Allein zur Nacht betrete ich mein Heim, zum Schlafen.
Die Menschen, wenn sie hören wie wir Dichter hausen,
Empören sich und hadern mit der Lebensweise,
Die sie in unsren Werken aber nicht erkennen.
Jedoch auch wir empören uns an all den Menschen,
Die keinen Ausdruck haben und nicht schreiben können.
Abgespielt wird Romeo & Juliet von Dire Straits.
Die Musik wird im Dunkeln immer lauter, sodass der Student eilig den Sarg von Goethe öffnet, um sich darin zu verstecken.
Mit einem Blick in den Sarg, entscheidet er sich jedoch für den Sarg von Schiller, wo er sich prompt hineinlegt.
Auftritt Romeo Montague und Julia Capulet.
Romeo trägt die leblose Julia herein und legt sie vor den beiden Särgen ab.
ROMEO MONTAGUE
Ach, wenn ich dich so küsse,
Verstohlen auf die Stirn,
Und du noch in den Träumen liegst,
Mein Liebes,
Dass selbst ein heitres Liedchen
Dich nicht erwecken kann,
Dann bete ich ganz fest für dich,
Mein Liebes,
Und streichle deine Wangen
Und leg' dir in den Mund,
Dass nie du von mir gehen sollst,
Mein Liebes.
Romeo greift in seine Tasche und holt ein Gläschen mit Gift hervor.
Oh, die Welt ist zerstört und nun geht es nicht weiter:
Sind die Ziele verspielt durch Figuren der Macht!
Hast das Ende verdient, du Möchtegern-Reiter!
Hast die Guten verführt und uns Elend gebracht!
Wir sind nie ganz verbunden, du König der Lügen!
Hast es nicht überwunden: Dein Geist wurd' entehrt!
Ja, du konntest nicht ahnen: Ich roch dein Betrügen!
Ich kann dich nur noch warnen: Du handelst verkehrt!
Nun schau' über dein Unrecht und tauch' danach unter!
In dem Wasser, du Buntspecht, wird Gnade verschenkt!
Nimm sie an oder sterbe, nur treib' es nicht bunter,
Denn dein Kopf ist die Erde! Halt' ihn bloß gesenkt!
Ach, das Wasser ist trübe, wenn du es verwaltest!
Sei gewiss, meine Liebe, die trocknet nicht aus!
Ja, ich bin deine Zukunft, wenn du sie gestaltest,
Denn auch ich bin viel lieber der Mann als die Maus!
Der Student öffnet Schillers Sarg und steigt heraus.
Romeo erschreckt sich und zieht sofort seinen Dolch, lässt diesen aber dann fallen, als sich der leichenblasse Student auf ihn zubewegt und obendrein zu sprechen beginnt.
STUDENT
Allein mein Hintern ist noch trocken.
Die andre Seite trieft vor Nässe.
Die Hose ließ ich ganz herunter.
Ich stand im Sturm und im Gewitter.
Ach, das Gefühl war schlicht erdrückend –
Wie unter Wasser hält man Köpfe –,
Erfrischend, aber übertrieben:
Ein Meer für einen vollen Eimer!
Ein Auftritt wie in alten Zeiten.
Getan ist endlich meine Buße!
Nun könnt' ich sterben und verzagen.
Doch vieles steht auf halber Strecke.
Ich geh' zurück ins schlechte Wetter.
Ich weiß, es ist mein fester Wille.
Doch weit entfernt – so möcht' ich meinen –,
Da seh' ich schon die Sonne strahlen.
ROMEO MONTAGUE
Milchige Nacht, wie ein Leichentuch sanft,
Über die sterbende Altstadt gelegt.
Kerzen versuchen zu nehmen die Angst,
Leuchten am Fenster mit schwindender Kraft.
Windiges Pfeifen erobert das Holz,
Knistert die wärmende Stube entlang –
Menschen und Tiere versammeln sich dort,
Betend und wachend zum Schatten geformt.
Stunde des Todes, verlautet Geläut!
Milchige Nacht von der Mutter bezeugt.
Einer von ihnen wird schmerzlich vermisst:
Gatte und Vater verhüllte das Tuch.
Kinder erkennen sein Seelchen im Licht –
Zieht durch die Gassen und klopft an der Tür,
Ruft ihre Namen. Der Liebsten ein Kuss –
So sein Versprechen zur milchigen Nacht.
STUDENT
Drei Tage Hunger: Birnt es mir entgegen. Apfel rot und grün.
Hast du drei Tage Hunger lang, dann frisst du Blumen, wenn sie blühn.
Drei Tage Hunger: Ach, es gurken die Tomaten durchs Menü.
Drei Tage Hunger: Nichts verzehrt! Am Abend schlimm. Am Schlimmsten früh!
Drei Tage Hunger: In der Not fischt das Aroma aus dem Topf.
Man zähle: Eins und zwei und drei! Der Magen leer und leer der Kopf!
Drei Tage voll von Hunger, schmalzt der Hering süß aus dem Salat.
Drei Tage Hunger: Du begehst so langsam an dir Selbstverrat!
Drei Tage Hunger: Sauer reist das Salz aus der gerupften Gans.
Nach nun drei Tagen Hunger, da beginnt für dich der Totentanz!
Drei Tage Hungersqualen: Es schlawinert frech der Speck in Bern.
Und nach drei Tagen Hunger, äßest du am vierten Tag so gern.
Drei Tage Hunger: Oh, der Hunger teilt mit dir das schwere Leid.
Wer teilt den Hunger – nicht die Speisen – denn in unsrer Christenheit?
Drei Tage Hunger: Krusten pilzen voll von Kraut im Klößen-Park.
Die Soßenbinder krallen fester, krähten sich am Schokosarg.
Drei Tage Hunger: Sahnig schlägt das Eis ein Stückchen Torte vor.
Und Zucker ziert die Gunst der Wiege an dem Kaffeekuchentor.
Drei Tage Hungerskunst! Dies lobt der alte Meister vor dem Herd.
Drei Tage Hunger, Leid und Qualen waren diese Zeilen wert.
Julia Capulet erwacht aus dem Schlaf.
JULIA CAPULET
Dem Hunger folgt ein wildes Tier,
Erspähend noch die kleinste Spur
Im Schnee, auf Laub, im Sumpf, im Sand.
Sogar im Wasser spürt es auf.
Je länger man nichts essen kann,
Besteht die Aussicht nicht auf Flucht,
Denn dieses Tier – mit einem Satz –
Gelangt an jeden Fleck der Welt.
Gehalten wird es nur vom Herrn,
An einer Leine aus Gehörn.
Der Herr ist blass, gekleidet schwarz
Und pfeift ein kühles Trauerlied.
Die Zähne fletscht das wilde Tier,
Hält Ausschau nach dem nächsten Biss.
Ihm reicht schon, wer am Hunger nagt,
Den zweiten oder dritten Tag.
Am besten schmecken Kinder ihm,
Die kaum geschmacklich sind gereift,
Die einzig riechen nach der Milch,
Genährt von spröder Mutterbrust.
Dann packt es zu, das wilde Tier,
Und reißt den leeren Magen auf.
Der Herr, mit Namen Tod, krakeelt
Und peitscht das Tier zur nächsten Spur.
ROMEO MONTAGUE
There was a beauty in the heat,
In cold and gloomy winter time.
Indeed, I saw the perfect crime,
When I was looking at her skin.
The truth is, oh, the greatest sin,
But much more faithful than the creed.
Of all the fabulous I've met:
She is the storybook of sense!
Her eyes are bright, her shine intense.
And from the bottom of two hearts,
The kindness rises and imparts
Her stunning gorgeous silhouette.
She is the last warm sunray still,
Which shines these days upon my head.
My mind is praised and won't forget
Her glorious farsightedness,
That leads her thriving to success.
She blooms such as a daffodil.
The heat was memorized in trust,
In both their bodies pure and straight.
So we don't need this paperweight,
Cause every word is feather-light.
And god knows at the second sight:
Oh, passion comes and love and lust.
The real life is an evil fate:
So in my dreams I kiss her lips.
And fondle tenderly her hips.
And blow a breeze sweet through her hair.
I see her face flash everywhere –
From sunrise till the twilit late.
I'm blinding by her beauty and
It's like to reach the stars from earth.
She is the prize for great risk worth!
And never will erase this flame!
The blazing fire leads to aim,
With view to our fairyland.
Oh, over hill and dale I go
And further than the end of days.
I go for her the farthest ways,
To see her lovely smile again.
And although only time knows when:
I'll wait for her through afterglow.
Her love will steer my hankering –
Straight to the middle, to the edge!
That's why I want to give a pledge:
My love is like a guarantee!
And I confess her sense to me:
She means a lot and everything!
STUDENT
Da zieht ein junges Leben
Bedröppelt durch die Gassen
Und sieht in seinem Streben
Kein Strohhalm mehr zu fassen.
Sein Körper scheint zu bluten.
Er fasst sich an sein Herz.
Es lässt sich wohl vermuten,
Es klagt vor lauter Schmerz.
Man möcht' jetzt sicher fragen:
Wer fühlt nicht ebenso?
Doch niemand kann so klagen
Wie solch ein Romeo!
Ihm folgt auf seiner Aura
Ein Tiefdruck zum Verdruss.
Mag sein, ihn plagt ein Trauma,
An dem er scheitern muss.
Da hält er an der Wange
Ein Foto festgedrückt.
Und schon stolziert sein Gange,
Anstatt er tief sich bückt.
Ein Fräulein ziert das Bilde –
Recht jung und so adrett,
So wunderschön und milde
Wie sonst nur Juliet.
Die langen feinen Locken,
Ihr sanfter, frommer Blick:
Sein Gang gerät ins Stocken,
Denkt er an sie zurück.
Er schluchzt:
ROMEO MONTAGUE
Mein Vater, wehe!
STUDENT
Und:
ROMEO MONTAGUE
Werte Mutter, oh!
Seht ihr nicht, was ich sehe –
Den Meister Romeo?
STUDENT
Da geht er an den Bache
Und schaut in sein Gesicht.
Sein Spiegelbild schreit
ROMEO MONTAGUE
Rache!
STUDENT
Im Straßenlampenlicht.
Doch dann klärt sich das Trübe
Und seicht weht jener Duft,
Der nichts sprüht außer Liebe
In seine Atemluft.
Dem Duft folgt aus der Nachte
Ein Fräulein, das nicht sang
Noch scherzte oder lachte –
Mit Tränen aber rang.
Man möcht' jetzt sicher meinen,
Wer nicht auch Tränen hätt'.
Doch niemand kann so weinen
Wie eine Capulet.
ROMEO MONTAGUE
Bis liebt man seinen Feind,
STUDENT
Sagt er,
ROMEO MONTAGUE
Steh' ich zu dir!
JULIA CAPULET
Bis Sonne nimmer scheint,
STUDENT
Sagt sie,
JULIA CAPULET
Gelob' ich hier!
STUDENT
Drauf ist bloß zu erwähnen:
Er nimmt sie an die Hand
Und küsst ihr weg die Tränen.
Oh, warte nur, Verstand!
Oh, warte nur, du Petze!
Sie küsst ihn auf den Mund
Und flüstert schöne Sätze
Zu dieser späten Stund'.
Da kann kein Glück entstehen,
Wie's die Geschichte lehrt!
Am Ende wird man sehen,
Was beiden widerfährt.
JULIA CAPULET
Oh, großer Gott, erbarme dich
Und rette mich aus dieser Zeit!
Sonst lass' mich, wenn du willst im Stich –
Ich bin, für das, was kommt, bereit!
ROMEO MONTAGUE
Und bin ich dir ein Jünger zwar –
Ja, mir bewusst ist längst dein Tun –,
Der Mensch heut' ist doch sonderbar,
Dass wertlos ist die Menschheit nun.
JULIA CAPULET
Und warum liegen deine Hände,
Ach, auf dem Fleisch vom Haupt nicht mehr,
Dass er durch dich er Liebe spende –
Vielleicht zu seinem Nächsten, Herr?
ROMEO MONTAGUE
Zu viele, oh, sind viel zu viel!
Zu viele sind naiv im Leben!
Gebote sind für dich das Ziel,
Doch niemand mehr scheint dir ergeben.
JULIA CAPULET
Ach, schick' doch Plagen, lass die büßen,
Die schlicht zum Menschsein nicht genügen!
Und schick' die Sintflut mit den Grüßen:
Ach, Mensch, du weißt dich zu betrügen!
ROMEO MONTAGUE
Und reich' mir, wenn du kannst, den Stabe,
Den Moses treu schon an sich nahm!
Oh, Mensch, dich führ' ich derb zu Grabe –
So, wie das Kind auf Erden kam.
JULIA CAPULET
Ein Anteil derer, die da sind,
Die kannst du, Herr, davor entrücken –
Dem Alten jüngstes Enkelkind,
Soll diese Flucht jedoch nicht glücken!
ROMEO MONTAGUE
Denn eben diese, die nicht wissen,
Was ist der Menschen Eigenschaft,
Die werden sich beweisen müssen,
Bis eines nachts die Lücke klafft!
JULIA CAPULET
Die Lücke klafft um Mitternacht,
Wenn dann der Tod zieht durch die Gassen:
Geschrei wird laut, doch dieser lacht,
Der wagt den Tod ans Bein zu fassen.
ROMEO MONTAGUE
Entnimm mir, was du nehmen musst,
Denn schließlich ist es alles dein!
Doch nimm mir nicht die Lebenslust,
Sonst wird aus meinem Herz ein Stein!
JULIA CAPULET
Ach, lass die andern Steine sinken,
Denn niemals werden sie zu Staub!
Ganz langsam sollen sie ertrinken!
Und auf die Gräber fällt das Laub.
ROMEO MONTAGUE
Nun frag' ich dich: Was soll's, oh Herr,
Wenn wir bloß tausend, hundert sind?
Ich gäbe mich – mir fällt's nicht schwer –,
Auch dafür her, als Gotteskind!
STUDENT
Verdunkelt ist mein Zimmer,
Um selber nicht zu sehen,
Der Sehnsucht aber offen
Und ehrlich zu gewähren,
Ins Auge mir zu schauen.
Verstummt ist auch mein Zimmer,
Um selber nicht zu hören,
Der Sehnsucht aber leise
Und innig zu gewähren,
Ins Ohr mir einzuhauchen.
Entrümpelt ist mein Zimmer,
Um selber nicht zu fühlen,
Der Sehnsucht aber achtsam
Und zärtlich zu gewähren,
Das Herz mir zu berühren.
Und wenn in jenem Zimmer
Ich selber nicht mehr wohne,
Gewähre ich der Sehnsucht
Auf allen meinen Wegen,
Mich sinnlich zu begleiten.
JULIA CAPULET
In dem Londoner Tower,
Vor rund fünfhundert Jahren,
Als gefangen dort waren
Zwei erstaunliche Knaben –
Um zu sein da genauer:
Von royalem Geblüte!
Doch man zog nicht die Hüte,
Weil sie Schande ergaben.
ROMEO MONATGUE
Drum sah Richard der Dritte –
Schon so manchen verschlungen –,
Für den Thron sich gezwungen
Wirksam los sie zu werden.
Und mit lautlosem Schritte
Ging der Oheim zum Tower,
Auf dass kurz sei die Dauer
Der zwei Prinzen auf Erden.
JULIA CAPULET
Nach des Scheusals Visite –
Wie die Leute erfuhren –,
Gab es keinerlei Spuren.
Ja, sie waren verschwunden!
Und so dachte der Brite –
Die mit Röcken und Hosen –,
Wär' ein Krieg wegen Rosen
Mit Erfolg unterbunden.
ROMEO MONTAGUE
Später fand man die Knochen
Despektierlich vergraben.
Doch der Mythos der Knaben,
Wird gerecht ihrer Größe!
Denn noch heut' wird gesprochen
Von den Prinzen im Tower.
Ist nicht größer die Trauer
Als um den mit der Blöße?
STUDENT
Ein Loblied auf den Mehrgesang, für diese, die nie leiden.
Doch diese, mit der Stimmigkeit, die würd' ich lieber meiden.
Und diese, die alleine singen, trauernd in den Morgen,
Die zeigen all dies Feingefühl, verstimmend ihre Sorgen.
Doch wenn sie in den Stunden, mit dem Ego sind alleine,
Gefallen in die Einsamkeit, gesplittert wie nur Steine:
Das Herz ist rasend vor Verlangen – trotzig vor sich seiner –,
Bedauert selbst, wie eine Ratte. Das versteht bloß keiner.
JULIA CAPULET
Würden Gedanken nicht kreisen,
Wären sie fort schon geflogen –
Sicher gen wärmenden Süden
Oder hinauf Richtung Sonne,
Wo sich Gedanken verklären
Oder erst gar nicht entstehen.
Aber sie kreisen beharrlich.
Und um bei Kräften zu bleiben,
Brauchen sie ausreichend Futter:
Stattliche Themen wie Schmerzen,
Kummer, Verzagtheit und Trauer.
Häufig stillt Liebe den Hunger.
Hätten sie kaum was zu fressen,
Stürzten gewiss sie zu Boden,
Wo die gefräßigen Tiere
In ihrer heilen Umgegend
Keine Gedanken sich machen,
Was sie im Grunde verspeisen.
ROMEO MONTAGUE
Das Leben zeigt, sofern es kann, gar häufig schöne Wesen.
Das Schönste, ach, jedoch, sag' ich, steht hinter einem Tresen!
Wie schlägt das Herz, so handelt man – nur manchmal eben nicht...
Mein Herz, es bebt und wundert sich, dass kaum mit dir es spricht.
Ein Grund mag sein, wie ich's empfind', ist vor dir der Respekt –
Du wirkst auf mich, dass in dir drin ein Mensch mit Reife steckt.
Und wenn, ja wenn, ein Lied erklingt, wie das der Explosion,
Dann hoff' ich, dass ich richtig bin und bald dein Herz bewohn'.
Das Leben malt, versiert und klug, so blühend manch Gebilde.
Das farbenfrohste, denke ich, führt man mit dir im Schilde.
Mein Blick hat ein Portrait erstellt, mit wolkenloser Sicht.
Du scheinst nach außen frisch und frei, durchflutet hell vom Licht.
Und wenn ich seh', dass es dich gibt – wie könnt' ich da verzichten?
Doch wenn darauf ich vor dir steh', dann möcht' aus Angst ich flüchten.
Und wenn, ja, wenn's der Zeit beliebt, und du von dannen eilst,
So spür' ich Pein und Leid und Weh, weil du nicht noch verweilst.
Von jetzt an will, mein Fräulein, ich entsperren meine Türen
Und, falls du mich ein wenig lässt, den Hang zu dir auch schüren,
Auf dass, mein Fräulein, möge nun der treue Herbst uns küssen
Und wir des Sommers letzten Rest nicht länger schweigen müssen!
Der Student kniet vor den Särgen.
STUDENT
An einem Wochenende in Berlin –
Zur Zeit, als keine Sommersonne schien –,
Da wurden zwei Theater in der Stadt –
Die Besten, die das Land zu bieten hat –,
Gezielt begraben und erklärt für tot.
An einem Wochenende, über Nacht,
Sind beide Bühnen um den Zweck gebracht:
Um ihre Pflicht zur Wahrung der Kultur,
Um an der wahren Kunst bezeugten Schwur,
Um das zu richten, was als Übel droht.
An einem Wochenende, wie sich zeigt:
Wenn Phönix senkrecht aus der Asche steigt,
Dann wird, was neu sich nennt heut' von Gestalt,
Schlussendlich, wie so häufig, wieder alt
Und dient als Nahrung wie das täglich' Brot.
JULIA CAPULET
Leichtgläubig, ängstlich, verträumt,
Anhimmelnd, flüchtig, erstaunt,
Aufsagend, scherzhaft und bunt:
Menschen am Anfang vom Sein.
Hartnäckig, schützend, verträumt,
Scheinheilig, süchtig, erhitzt,
Ansagend, herzlich und braun:
Menschen zur Hälfte vom Sein.
Schwermütig, furchtlos, verträumt,
Feindselig, tüchtig, beschämt,
Absagend, schmerzhaft und grau:
Menschen am Ende vom Sein.
STUDENT
Nun, Minnedichter suchen mich nie.
Ach, guckt! Rasten zum Scherz im Eck. Blühe seicht!
Wille, flüchte immer bunt in das Ei!
Die Mittel? Spannend! Einst Anreize:
Neffe, Dichter, Grimm, die Oboe.
Licht von der Heimat. Scherz' nun herum!
Verhüten mit Gummi. Sickernde Hoden.
Uns wichtig bisher: Zwei, drei, Mond.
Dichte Freies! Schütz' die Ehe links!
Racherichter, vermeng' dich herzlich!
Das Ziel? Bläulich Wüten, arge Kraft!
Biblisches Meer – am Ende richtig neu.
Da rinnt Salz in deinen Adern, Maske.
Wünsche: Omnibus, ums Wasser dicht.
Edle Hochzeit: Mensch hegt hier Mensch.
Abgespielt wird Bonnie & Clyde von Serge Gainsbourg & Brigitte Bardot.
Auftritt Clyde Barrow und Bonnie Parker.
Der leicht hinkende Clyde trägt die Zigarette rauchende Bonnie herein.
Der Student, Romeo Montague und Julia Capulet halten ihre Hände hoch, da Bonnie Parker gleichzeitig eine Pistole und ein Gewehr auf diese richtet.
Clyde lässt Bonnie vorsichtig herunter.
Bonnie reicht Clyde das Gewehr, steckt ihm ihre Zigarette in den Mund und zieht aus dessen Tasche eine Flasche Rum, aus der sie hastig trinkt.
Dann beschaut sie sich die Räumlichkeiten, wobei sie ihr linkes Bein stets nachzieht.
CLYDE BARROW
BoPa heißt das Kinderlied.
BoPa vorne und danach.
Einfach ist die Melodie.
Und, mein junges Fräulein, Sie,
Das sich schon den Kopf zerbrach,
Sind begabt auf dem Gebiet.
Ach, begabt im Sing und Sang.
Fesselnd ist die Stimmgewalt,
In der schönsten Melodie.
Und, mein junges Fräulein, nie
Hört' ich besser je in Alt
Dieses Kinderliedes Klang.
BoPa rauscht der Wind durchs Land,
Zieht im Herbst von Baum zu Baum.
Spuken wie die Geisterhand,