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VON MENSCH ZU MENSCH und VON ZEIT ZU ZEIT sind zwei einzigartige experimentelle Theaterstücke, die einerseits mit tiefgründigen Aphorismen aufwarten und andererseits die hohe Kunst der Sonette bedienen. Beide Handlungen entstehen mittels ihrer Dialoge, die eine Brücke zwischen klassischer Lyrik und moderner Sprache schlagen.
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Seitenzahl: 187
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Mäander Visby
VON MENSCH ZU MENSCH & VON ZEIT ZU ZEIT
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Inhaltsverzeichnis
Titel
VON MENSCH ZU MENSCH
PROLOG
I. BILD
II. BILD
III. BILD
IV. BILD
V. BILD
VI. BILD
VII. BILD
VIII. BILD
IX. BILD
X. BILD
XI. BILD
EPILOG
VON ZEIT ZU ZEIT
I.AKT
II.AKT
III.AKT
IV.AKT
V.AKT
Impressum neobooks
ELF BILDER IN APHORISMEN
VON MÄANDER VISBY
PERSONEN
FRAU FALKENHAGEN
FRAU KNIRSCH
FRAU REUSSE
HERR CLAUS
HERR RICHTER
HERR VOGELSANG
Vorderbühne:
Auftritt Herr Vogelsang, der in der Bühnenmitte verweilt.
HERR VOGELSANG
Die Welt ist die größtmögliche Theaterbühne,
Denn die Menschheit besteht allein aus Schauspielern.
Und jene geringfügige Menge,
Die sich ins selbst bezeichnete Theater verläuft,
Ist gewiss nur auf der Suche nach der Realität.
Auftritt Frau Knirsch, die von Herrn Vogelsang etwas ins Ohr geflüstert bekommt.
Herr Vogelsang geht ab.
FRAU KNIRSCH
Gestern fragte ich die Leute,
Was sich ändert hier und heute,
Doch sie sagten: Auch noch morgen
Hat der Mensch die gleichen Sorgen.
Auftritt Herr Claus, der von Frau Knirsch etwas ins Ohr geflüstert bekommt.
Frau Knirsch geht ab.
HERR CLAUS
Gesetze haben Hand und Fuß.
Weisheiten haben Herz und Verstand.
Auftritt Frau Falkenhagen, die von Herrn Claus etwas ins Ohr geflüstert bekommt.
Herr Claus geht ab.
FRAU FALKENHAGEN
Ich halte mich an keine Gesetze,
Denn ich kann sie missachten oder brechen.
Ich halte mich jedoch an die Weisheiten,
Denn sonst würde ich mich selbst missachten
Oder mir gar mein Herz brechen.
Auftritt Herr Richter, der von Frau Falkenhagen etwas ins Ohr geflüstert bekommt.
Frau Falkenhagen geht ab.
HERR RICHTER
Bei Allgemeinwissen ist es meistens so,
Dass es allgemein nicht gewusst wird.
Auftritt Frau Reusse, die von Herrn Richter etwas ins Ohr geflüstert bekommt.
Herr Richter geht ab.
FRAU REUSSE
Der ehrlichen Träne bedarf es keinem Kommando,
Keiner vorgehaltenen Hand
Oder einer unangenehmen Gebärde –
Sie fließt durch und durch für sich und ist absolut glaubhaft,
Alleinig in der Beschaulichkeit des Augenblicks.
Auftritt Herr Vogelsang, der von Frau Reusse etwas ins Ohr geflüstert bekommt.
Frau Reusse geht ab.
HERR VOGELSANG
Die Dummheit schläft und lacht.
Die Weisheit weint und wacht.
Auftritt Frau Knirsch, die von Herrn Vogelsang etwas ins Ohr geflüstert bekommt.
Herr Vogelsang geht ab.
FRAU KNIRSCH
Es kauert und es lauert,
Es schauert und es trauert,
Es mauert und versauert,
So lang' es eben dauert.
Auftritt Herr Claus, der von Frau Knirsch etwas ins Ohr geflüstert bekommt.
Frau Knirsch geht ab.
HERR CLAUS
So viele Menschen auf Erden – und so wenige, von denen man lernt.
Auftritt Frau Falkenhagen, die von Herrn Claus etwas ins Ohr geflüstert bekommt.
Herr Claus geht ab.
FRAU FALKENHAGEN
Die kostbarste Währung des Menschen ist das Wissen –
Ein jeder besitzt genug davon,
Nur niemand will es ausgeben.
Auftritt Herr Richter, der von Frau Falkenhagen etwas ins Ohr geflüstert bekommt.
Frau Falkenhagen geht ab.
HERR RICHTER
Krönt nie einen Schwätzer zum König, denn er wird nur von Taten sprechen!
Auftritt Frau Reusse, die von Herrn Richter etwas ins Ohr geflüstert bekommt.
Herr Richter geht ab.
FRAU REUSSE
Lerne Mensch, damit du ganz verstehst
Und nicht aufgrund du lernen musst,
Denn irgendwann wird dir bewusst,
Dass du große Fehler so begehst.
Auftritt Herr Vogelsang, der von Frau Reusse etwas ins Ohr geflüstert bekommt.
Frau Reusse geht ab.
HERR VOGELSANG
Wir leben in einer Zeit, in der Ratten nicht mehr rennen müssen.
Auftritt Frau Knirsch, die von Herrn Vogelsang etwas ins Ohr geflüstert bekommt.
Herr Vogelsang geht ab.
FRAU KNIRSCH
Ach, gäbe es doch eine blasse Mülltonne,
In denen die Menschen ihre dummen Gedanken werfen könnten.
Ich denke, dass sie mindestens zweimal pro Woche geleert werden müsste –
Freitags und montags.
Der Müll sollte ins All geschossen werden,
Damit andere Zivilisationen uns nicht überschätzen.
Auftritt Herr Claus, der von Frau Knirsch etwas ins Ohr geflüstert bekommt.
Frau Knirsch geht ab.
HERR CLAUS
Unsere heutige Wahrnehmung kostet uns unsere Sinne.
Auftritt Frau Falkenhagen, die von Herrn Claus etwas ins Ohr geflüstert bekommt.
Herr Claus geht ab.
FRAU FALKENHAGEN
Damit ihr eines von mir wisst:
Auch ich bedien' mich einer List.
Auftritt Herr Richter, der von Frau Falkenhagen etwas ins Ohr geflüstert bekommt.
Frau Falkenhagen geht ab.
HERR RICHTER
Gebt Acht vor schwarzen Tauben, die sich in Mehl wälzen!
Auftritt Frau Reusse, die von Herrn Richter etwas ins Ohr geflüstert bekommt.
Herr Richter geht ab.
FRAU REUSSE
Es ist wichtiger ein guter Schauspieler zu sein als ein guter Mensch.
Frau Reusse geht ab.
Bühne:
In einer Kneipe an einem Tisch sitzen, beim Kartenspiel, Herr Richter, Herr Vogelsang und Herr Claus.
Frau Knirsch kellnert.
HERR VOGELSANG
Vor jeder weitreichenden, allmenschlichen Tragödie,
War das Hochgefühl am größten
Und die Vernunft am geringsten.
Und wie wir gerade ausgelassen und unvernünftig sind.
HERR RICHTER
Ach, wir gehn hausieren
Mit dem Provozieren
Und denken bei Verstand:
Sind wir nicht provokant?!
HERR CLAUS
Eine Gemeinschaft wird nie Teil der Gesellschaft sein!
Sie lachen und prosten sich zu.
HERR VOGELSANG
Des Menschen Plan ist es, die Pläne der anderen zu durchkreuzen.
HERR RICHTER
Wenn wir uns alle so an die Regeln halten würden, wie im Straßenverkehr,
Dann würden wir nur in den seltensten Fällen gegenseitig anstößig werden.
HERR CLAUS
Kein König,
Aber ein Land voller Narren!
Sie lachen und prosten sich zu.
Herr Richter zeigt Frau Knirsch drei Finger.
HERR VOGELSANG
Zauberei ist nur möglich, wenn das Publikum sich hinters Licht führen lassen will.
HERR RICHTER
Auf Besserung zu loben,
Heißt nicht dafür zu proben!
HERR CLAUS
Ich habe die Befürchtung, dass so mancher Mensch auf Erden nur zum Spielen ist.
Frau Knirsch stellt drei Schnäpse auf den Tisch.
FRAU KNIRSCH (geht)
Die Bedürfnisse der Dummen stillt man,
Indem man ohne Widerrede tut, was sie verlangen.
HERR CLAUS
Das Begriffsvermögen einer Gesellschaft zeigt sich im Umgangston.
HERR VOGELSANG
Wir verstehen alles. Und doch will niemand hören.
HERR RICHTER
Das schlechte Gewissen weiß, dass es am reinen Tisch keine Nahrung bekommt.
Sie lachen und prosten sich zu.
Herr Vogelsang zeigt Frau Knirsch drei Finger.
HERR CLAUS
Ein jeder nimmt sich viel zu ernst und lacht doch über andere.
HERR VOGELSANG
Ich habe verlernt zu lachen.
Außer über Lachende,
Die über Dritte herziehen.
HERR RICHTER
Der Mensch ist das satirischste Lebewesen auf Erden.
Und sein Humor ist beißend!
Herr Richter tut, als würde er nach Frau Knirsch beißen, während sie drei Schnäpse auf den Tisch stellt.
FRAU KNIRSCH (geht)
Ein mangelndes Benehmen zeugt von einer mangelnden Intelligenz.
HERR RICHTER
Oh, töricht wäre es zu glauben,
Wir könnten alles uns erlauben.
HERR CLAUS
Großspurigkeit nimmt immer den Platz ganz für sich allein ein.
HERR VOGELSANG
Ich bin in bester Gesellschaft, wenn ich mit mir allein bin und auf mein Wohl trinke.
Sie lachen und prosten sich zu.
Herr Claus zeigt Frau Knirsch drei Finger.
HERR RICHTER
Jede Frau braucht einen Thüringer!
HERR CLAUS
Ein Thüringer Ratschlag:
Beweist Größe –
Verspeist Klöße!
HERR VOGELSANG
Gebt Acht: Geht nirgends hin zu dritt!
Denn kommt bei zwei'n ein dritter mit,
Hält der mit beiden meist nicht Schritt.
Frau Knirsch stellt drei Schnäpse auf den Tisch.
FRAU KNIRSCH (geht)
Es gibt keinen blasseren Schimmer als den erröteten Kopf der Dummheit.
HERR VOGELSANG
Das Recht, etwas sagen zu dürfen, sollten nur die bekommen, die auch etwas zu sagen haben!
HERR RICHTER
Wer zu einem runden Tisch einberuft,
Der will an ihm auch keine Ecken und Kanten sitzen haben.
HERR CLAUS
Wer Politiker zitiert, ist mit der Argumentation schon am Ende.
Sie lachen und prosten sich zu.
HERR VOGELSANG
Der Anfang der Demokratie war das Ende der Liebe.
HERR RICHTER
Politiker realisieren die Albträume ihrer Wähler, anstatt deren Träume zu verwirklichen.
HERR CLAUS
Der Wähler verliert nur zwei Stimmen, während die Politik ihr Gesicht verliert.
Herr Richter zeigt Frau Knirsch drei Finger.
HERR VOGELSANG
Wer nicht wählt, der hat auch eine Entscheidung getroffen.
HERR RICHTER
Das schwerste Los ist die freie Auswahl.
HERR CLAUS
Wir alle haben keine Wahl –
Ja, außer zwischen Kopf und Zahl.
Frau Knirsch stellt drei Schnäpse auf den Tisch.
FRAU KNIRSCH (geht)
Es ist nicht schwer, eine Münze von Kopf auf Zahl zu wenden.
Sie hingegen von Zahl auf Kopf umzumünzen, ist schier unmöglich.
HERR CLAUS
Es heißt:
Zahlen haben einen Wert.
Doch es ist umgekehrt:
Sie sind ohne jeden Wert!
Das wäre nun geklärt.
HERR VOGELSANG
Mit einer Handvoll Münzen lässt es sich schlecht die Hände reichen.
HERR RICHTER
Wenn der Reiche bettelt, kommen mir die Tränen.
Sie lachen und prosten sich zu.
Frau Knirsch bringt ihnen einen kleinen Snack.
FRAU KNIRSCH (geht)
Ein Tisch mit vielen Gaben,
Wird keinen Frieden haben.
HERR CLAUS
Essen, das man sich verdient hat, wird zubereitet oder bezahlt.
HERR VOGELSANG
Wo Ratten schon am Hungertuche nagen,
Da seufzen Menschen selbst am leeren Magen.
HERR RICHTER
Im Vordergrund
Steht stets der Schlund.
Doch der Magen
Hat das Sagen!
Herr Vogelsang zeigt Frau Knirsch drei Finger.
HERR CLAUS
Wie schnell doch Menschen zeigen,
Zu was sie maßlos neigen.
HERR VOGELSANG
Am Reste essen
Wird man gemessen.
HERR RICHTER
Wer satt ist, isst niemanden etwas weg.
Frau Knirsch stellt drei Schnäpse auf den Tisch.
FRAU KNIRSCH (geht)
Ach, der schwache Geist,
Einzig er beweist,
Wie der Mensch zumeist
Dies und das verspeist,
Jenes um sich schmeißt
Und derart entgleist.
HERR RICHTER
Manieren können außer Kraft gesetzt werden,
Wenn jemand es nicht Wert ist, manierlich behandelt zu werden.
HERR CLAUS
Wo höflich ist das Kind,
Da weht ums Ohr kein Wind.
HERR VOGELSANG (steigt auf den Tisch)
Ein aufstrebendes Lüftchen
Plustert sich anfangs gerne auf,
Weil es sich schon für einen Sturm hält.
HERR RICHTER
Es ist die Höhe, die uns antreibt,
Nicht die weiten Ebenen des Landes
Oder das Abgrundtiefe.
HERR CLAUS
Es könnte alles größer sein
Als das, was nennt der Riese klein.
FRAU KNIRSCH (kommt und räumt die umgefallenen Gläser ab)
Zwar höher, weiter, schneller –
Im Köpfchen nur nicht heller!
Auftritt Frau Falkenhagen, die wütend Herrn Vogelsang betrachtet.
HERR VOGELSANG
Kinder lernen zu spielen, um als Erwachsene zu gewinnen.
FRAU FALKENHAGEN
Wer nur wagt, um zu gewinnen, sollte unaufhörlich scheitern!
HERR VOGELSANG (nimmt Frau Falkenhagen wahr)
Hat man eine Frau erst einmal auf Händen getragen,
Ist es umso schwieriger, sie wieder zum Gehen zu bewegen.
FRAU FALKENHAGEN
Wer sich am letzten Strohhalm hält,
Der ist schon vorher tief gefallen,
Und wird auch bald zu Boden knallen,
Wenn weiter er, noch tiefer, fällt.
HERR VOGELSANG (steigt vom Tisch herunter)
Stufen wurden errichtet, um sie hinaufzugehen.
Keiner hätte gedacht, sie auch wieder heruntergehen zu müssen.
HERR RICHTER
Große Männer scheitern an den kleinen Dingen eher,
Wobei kleine Männer an den großen Dingen wachsen.
FRAU FALKENHAGEN
Es tut sich immer dieser vor,
In einer Gruppe, einem Chor,
Der zwar nach Lobeshymnen lechzt,
Doch lauter als ein jeder krächzt.
HERR VOGELSANG
Nicht einmal die Zeit
Zeigt Beständigkeit.
FRAU FALKENHAGEN
Ein verständnisvoller Mann zeigt sich,
Indem er der Frau mit Verstand begegnet.
HERR CLAUS
Wo wir uns gerne niederlassen,
Da sind bereit wir zu verpassen.
FRAU FALKENHAGEN
Ich gebe es offen zu:
Ich bin ein Teil von euch.
Aber versteht mich auch,
Wenn ich sage,
Dass ich mich offen dafür schäme.
HERR VOGELSANG
Habt Erbarmen und macht den Vorhang runter!
Ich hab' genug vom Spielen!
FRAU FALKENHAGEN
Jenen, der nur Späße macht,
Unaufhörlich grinst und lacht,
Will und kann ich ernst nicht nehmen,
Außer mich für ihn zu schämen.
Frau Falkenhagen packt Herrn Vogelsang am Kragen und zieht ihn weg.
HERR VOGELSANG (zu beiden Herren)
Ich verwehre den Handschlag aus hygienischen Gründen,
Die Umarmung aus Selbstschutz
Und den Wangenkuss wegen dem Ekel.
Diese Verschlossenheit beweist die Offenherzigkeit einer einzigen Liebe:
Zu meiner Frau!
Sie gehen beiden ab.
HERR CLAUS
Wer zu leicht zu entreißen ist, der sollte auch nicht festgehalten werden.
HERR RICHTER
Auf den Zehenspitzen
Lässt es sich schwer flitzen.
HERR CLAUS
Nur auf der Straße findet sich kein geeigneter Gastgeber.
HERR RICHTER
Leichter ist es den Tisch zu verrücken als den besetzten Stuhl.
FRAU KNIRSCH
Macht nur eure Witze
Über Geistesblitze!
HERR CLAUS
Wer all das,
Was er in der Schule gelernt hat,
Heut' noch wiedergeben kann,
Der ist selbst ein Lehrer geworden.
FRAU KNIRSCH
Vom Leben zu viel zu wissen, ist nicht möglich – aber zu wenig.
HERR RICHTER
Jeder kann von sich zurecht behaupten,
Zu bedienen sich am Unerlaubten.
FRAU KNIRSCH
Manche Menschen verhalten sich so, als hätten sie zehn Leben.
Andere hingegen, als wäre ihr einziges Leben rein gar nichts wert.
HERR CLAUS (zeigt zwei Finger)
Oh, seht nur, was die Liebe kann:
Sie macht aus mir den reichsten Mann.
FRAU KNIRSCH (geht)
Wenn die Gemüter sind erhitzt,
Der kühlste Kopf ist, der nicht schwitzt.
HERR RICHTER
Den Leuten ist das Öl fürs Feuer,
Für solche Zwecke, schlicht zu teuer.
HERR CLAUS
Der Fortschritt hat keine Seele!
HERR RICHTER
Dem allerhöchsten Maß,
Verbittet sich der Spaß!
HERR CLAUS
Für die Wahrheit gibt es keinen guten Grund, sich zu entschuldigen!
HERR RICHTER
Liebe ist eine Gefangenschaft,
Die mit der Todesstrafe endet,
Aber mit einem freien Willen beginnt.
Frau Knirsch stellt zwei Schnäpse auf den Tisch.
FRAU KNIRSCH
Lassen wir die Liebe einmal aus dem Spiel,
Bleibt am Ende eines Lebens nicht sehr viel.
HERR CLAUS (zu Frau Knirsch)
Der eine liebt, der andre hasst – so ist das eben.
Jedoch damit, dass ich dich liebe, kann ich leben.
FRAU KNIRSCH (geht)
Wer sich immer alles nimmt,
Dieser weiß zwar wie man schwimmt –
Wie man einen Berg erklimmt,
Aber weiß er nicht bestimmt.
HERR CLAUS (ruft)
Wer mit dem Besen sägt
Und mit der Säge fegt,
Der weiß auch nicht so recht,
Was gut ist und was schlecht.
HERR RICHTER
Nicht einmal im Liebesspiel gibt es ein Unentschieden.
Sie lachen und prosten sich zu.
HERR CLAUS
Ein guter Schachspieler wird nie seinen nächsten Zug verraten.
HERR RICHTER
Kein Bauer sollte den König überleben.
HERR CLAUS
Im eignen Lande fremd zu sein,
Ist wie der Schluck von Bier im Wein.
Herr Richter zeigt Frau Knirsch zwei Finger.
HERR RICHTER
Auch ein Straßenköter macht bei Fuß, wenn er Fressen kriegt.
Frau Knirsch kommt ohne Schnäpse, aber mit der Rechnung.
FRAU KNIRSCH
So manch' Gebet
Kommt viel zu spät.
HERR RICHTER
Ach, ließ' sich wer doch bitten –
Ich gäb' mich her für Sitten.
FRAU KNIRSCH
Am Morgen ist der Pessimismus am größten.
Abends obsiegt die Hoffnung auf den nächsten Tag.
HERR CLAUS
Gestern ist kein Problem, wenn nur morgen nicht wär'.
FRAU KNIRSCH (zeigt auf die Rechnung)
Jeder neue Tag ist ein Erfolg.
So feiert ihn, indem ihr bescheiden lebt!
HERR CLAUS (schaut in seine Brieftasche und zeigt sie heimlich Herrn Richter)
Nur die Fehlerkette reißt nicht ab.
Herr Richter steckt unter dem Tisch Herrn Claus Geld zu.
FRAU KNIRSCH
Wer unterm Tisch sich gibt die Hand,
Zerreißt gedanklich schon das Band.
HERR RICHTER
Die Plätze, die wir angeboten bekommen, und die wir gerne einnehmen würden,
Liegen sich meist gegenüber, aber trotzdem weit voneinander entfernt.
FRAU KNIRSCH
Unwissenheit schützt vor Schelte nicht.
HERR CLAUS (bezahlt die Rechnung)
Ohne Habgier,
Keine Missgunst.
FRAU KNIRSCH
Ach, ein Leben gilt erst dann als alt,
Wenn Erfahrung jede Rechnung zahlt.
HERR RICHTER
Wie kann man tiefer sinken, als für den Dummen den Narren zu spielen?!
HERR CLAUS (wirft ihr Trinkgeld entgegen)
Früher haben die Narren den Staat belustigt.
Heute belustigt der Staat die Narren.
Herr Richter und Herr Claus gehen ab.
FRAU KNIRSCH
Wer mit Geld um sich wirft, weiß nicht, wie schwer es zu fangen ist.
Vorderbühne:
Auftritt Frau Reusse, Frau Falkenhagen und Herr Vogelsang, die allesamt mit einem Bademantel bekleidet sind und jeweils einen Liegestuhl hereintragen, auf den sie sich schließlich legen.
FRAU FALKENHAGEN
Ich lasse mich nicht sinnlos hetzen!
Ich lass' mich nicht davon entsetzen!
Und die, die ihre Messer wetzen,
Die werden dran sich selbst verletzen,
Bis eines Tages sie mich schätzen.
Bis eines Tages sie mich schätzen!
FRAU REUSSE
Der Wunsch nach mehr
Ist ziemlich leicht.
Doch wann es reicht,
Das weiß man schwer.
HERR VOGELSANG
Die Waage ist eine Erfindung der Phantasie,
Denn ich habe noch keinen gesehen, der sich die Waage hält –
Schließlich ist das Gleichgewicht die größte Last, die wir tragen müssen.
Für jedes Neugeborene ein altes Leben –
Und es würde keine Kinder mehr geben.
FRAU FALKENHAGEN
Wenn wir jung sind, versuchen wir uns vorzustellen, wie wir im hohen Alter wären.
Sind wir dann jedoch in dieser Lebensphase angelangt,
Versuchen wir uns krampfhaft daran zu erinnern, wie wir jung waren.
FRAU REUSSE
In der Jugend verschenken wir die Zeit, um die wir im Alter betteln.
HERR VOGELSANG
Wenn ich mir als Kind und Heranwachsender nicht mehr ähnel',
Dann bin ich wohl der Aufgabe zu reifen gerecht geworden.
FRAU FALKENHAGEN
Langeweile trifft wohl zu auf alle,
Die im Rentenalter sind zu Haus,
Wenn sie warten vor der Mausefalle,
Dass hineingeht bald schon eine Maus.
FRAU REUSSE
Haus an Haus,
Doch niemand schaut raus.
Keiner da,
Der wird mir gewahr.
HERR VOGELSANG
Die drei Wörter der Scheinheiligkeit:
Glaube, Reue und Liebe.
FRAU FALKENHAGEN
Wenn ich sehe, wie es ist –
Warum sollte ich mir dann nicht vorstellen, wie es sein könnte?
FRAU REUSSE
Wir wissen alle,
Wer wir sein könnten.
Doch wir wissen nicht,
Wer wir sind.
HERR VOGELSANG
Verändern wir, um zu verbessern
Oder verbessern wir, um zu verändern?
FRAU FALKENHAGEN
Wer sich nicht ändern will, den wird man davon auch nicht überzeugen können.
FRAU REUSSE
Ich könnte mich für eine Kopie nicht begeistern.
HERR VOGELSANG
Ich bin und kann doch nicht sein.
FRAU FALKENHAGEN
Der Mensch steht sich selbst im Weg – nur deshalb gibt es Schatten.
FRAU REUSSE
Im Licht können wir alle glänzen.
Aber in der Dunkelheit scheinen nur wenige.
HERR VOGELSANG
Einzig nachts macht sich der Mensch zur lebenden Zielscheibe,
Denn wo er auch steht und geht,
Er sucht immer das Licht,
Um erkannt zu werden.
FRAU FALKENHAGEN
Lasst uns die Sonne beschatten und den Schatten im rechten Licht erscheinen lassen.
FRAU REUSSE
Von allen Lebenslügen ist die Wahrheit die Schwerwiegendste.
HERR VOGELSANG
Wir messen und wir wiegen
Und hängen an Intrigen.
FRAU FALKENHAGEN
Jede Seele auf Erden ist gewogen.
Wirklich erschreckend jedoch ist,
Dass eine jede von ihnen die Waage zum Senken bringt.
FRAU REUSSE
Meine Meinung hat Gewicht.
Leider ist sie den Menschen zum Aufnehmen zu schwer.
HERR VOGELSANG
Die gute Seele erträgt und lastet sich auf.
Sie wird nie unter der erdrückenden Schwere zusammenbrechen.
FRAU FALKENHAGEN
Meine Seele und meine Gestalt passen nicht zusammen:
Meine Glaubwürdigkeit scheitert am jeweils anderen.
FRAU REUSSE
Wir sind millionenfache Kopien von Abermillionen Kopien,
Die alle auf der Suche sind nach dem Original.
HERR VOGELSANG
Wenn alle Menschen gleich sind, warum vergleichen sich dann alle Menschen miteinander?
FRAU FALKENHAGEN
Wenn nicht jeder Mensch von sich denken würde,
Dass er anders sei als der andere,
Dann würde er sich endlich unterscheiden.
FRAU REUSSE
Der einzige Makel dieser Welt, ist der Mensch!
HERR VOGELSANG
Es ist dem Makel zu verdanken, dass Menschen sich akzeptieren.
FRAU FALKENHAGEN
Akzeptanz ist keine Hilfe im Sinne der Menschlichkeit.
FRAU REUSSE
Der tiefere Sinn der Liebe besteht nie aus Äußerlichkeiten.
HERR VOGELSANG
Wer äußerlich sich selbst genügt,
Der übern innren Glanz verfügt.
FRAU FALKENHAGEN
Wir wissen ein ganzes Leben, dass uns etwas fehlt.
Wenn wir auch stets danach gesucht haben,
Konnten wir es nicht finden,
Da wir zeitlebens nicht wussten,
Um was es sich handelt.
FRAU REUSSE
Gestattet mir nur eins:
Meins!
HERR VOGELSANG
Niemand kennt so gut wie ich:
Mich!
FRAU FALKENHAGEN
Unsere Biografie ist auf unserer Haut nachzulesen.
FRAU REUSSE
Jeder Mensch steckt in seiner Haut,
Die er zu akzeptieren hat,
Ansonsten ist er kein Mensch mehr.
HERR VOGELSANG
Ein schöner Körper denkt nicht – er schwitzt nur.
FRAU FALKENHAGEN
Die Schönheit geht vom Weibe aus.
Und trotzdem bleibt sie meist zuhaus.
Warum sie meist zuhause bleibt?
Weil sie's an Schönheit übertreibt.
FRAU REUSSE
Schönheit kommt von innen,
Bewertung nur von außen.
HERR VOGELSANG
Der Körper einer jungen Frau ist das Hinreißendste, was erschaffen wurde.
FRAU FALKENHAGEN
Ein kluger Geist befiehlt dem Körper, was er zu tun oder zu lassen hat.
FRAU REUSSE
Sogar der schwächste Geist steht über dem stärksten Körper.
HERR VOGELSANG
Der Geist ist geizig, der Körper spendabel.
FRAU FALKENHAGEN
Dumme Menschen vergleichen ihre Körper.
Schlaue Menschen vergleichen ihren Geist.
FRAU REUSSE
Jede geistige Betätigung zieht eine körperliche Erschöpfung nach sich.
Jede körperliche Anstrengung aber lässt den Geist verkommen.
HERR VOGELSANG
Ich muss den Körper nicht verstehen,
Denn Wege kann er selber gehen.
Den Geist jedoch, um ihn zu lenken,
Muss ich tagtäglich überdenken.
FRAU FALKENHAGEN
Ich entdecke in den Menschen keine Schätze mehr:
Ihr Geist ist eine leere Truhe,
Deren Hülle leicht entflammbar ist,
Aber nie für etwas so sehr brennt,
Dass sie buchstäblich dahinschmilzt.
FRAU REUSSE
Zum Kochen bringt's der Menschenherd,
Durch Depression und Minderwert.
HERR VOGELSANG
Ich versteh' nicht, wie die Menschen so leben können.
Ich sehe nicht einen unter ihnen,
Der es verdient hätte,
Diese Welt zu bewohnen.
FRAU FALKENHAGEN
Wir sind mehr mit dem Zusammensein beschäftigt
Als uns alle das Alleinsein je bekräftigt.
FRAU REUSSE
Der Mensch liegt mehr, als dass er steht
Und steht auch mehr, als dass er geht.
Was glaubt er also, was er sät?!
HERR VOGELSANG
Ist es wichtig, was zu tun
Oder richtig, bloß zu ruhn?
FRAU FALKENHAGEN
Es kostet die Gemütlichkeit,
Im Endeffekt die meiste Zeit.
FRAU REUSSE
Es soll mir keiner erzählen, wie er sich ausgeruht hat!
HERR VOGELSANG
Aus seinem Leben etwas zu machen,
Ist die einzige mögliche Art von Dank für das eigene Leben.
FRAU FALKENHAGEN
Wir schlafen, um uns von der realen Welt zu erholen.
Und wir träumen von einer Welt, als wäre sie real.
FRAU REUSSE
Was wir in den Träumen erschaffen, vernichten wir wieder in der Realität.
HERR VOGELSANG
Der schönste Schlaf, ist der kurze Schlaf nach dem langen Schlaf.
FRAU FALKENHAGEN
Es gibt kein böses Erwachen, wenn man reumütig einschläft und versöhnlich träumt.
FRAU REUSSE
Unwissenheit und Bedeutungslosigkeit teilen sich ein Bett.
HERR VOGELSANG
Nicht einmal die Liebe ist dazu fähig,
Einen festen Entschluss von Fehlern zu befreien.
FRAU FALKENHAGEN
Es ist wirklich so, dass es immer anders kommt.
FRAU REUSSE
Machen wir uns doch nichts vor und denken einmal gründlich nach!
HERR VOGELSANG
Wir sind alle wohlweislich aus dem Takt geraten.
FRAU FALKENHAGEN
Seht nur den Himmel – und ihr wisst, was Leben heißt!
Sie schauen alle empor.
FRAU REUSSE
Nach oben hin ist genug Platz,
Doch wir sollten verstehen:
Je höher wir bauen, umso tiefer wird der Fall!
Und wir werden fallen.
Wir sind immer gefallen.
HERR VOGELSANG
Das Erblicken von Schönem, ist wie das Ertasten der Sterne.
FRAU FALKENHAGEN