VON MENSCH ZU MENSCH & VON ZEIT ZU ZEIT - Mäander Visby - E-Book

VON MENSCH ZU MENSCH & VON ZEIT ZU ZEIT E-Book

Mäander Visby

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Beschreibung

VON MENSCH ZU MENSCH und VON ZEIT ZU ZEIT sind zwei einzigartige experimentelle Theaterstücke, die einerseits mit tiefgründigen Aphorismen aufwarten und andererseits die hohe Kunst der Sonette bedienen. Beide Handlungen entstehen mittels ihrer Dialoge, die eine Brücke zwischen klassischer Lyrik und moderner Sprache schlagen.

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Mäander Visby

VON MENSCH ZU MENSCH & VON ZEIT ZU ZEIT

 

 

 

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Inhaltsverzeichnis

Titel

VON MENSCH ZU MENSCH

PROLOG

I. BILD

II. BILD

III. BILD

IV. BILD

V. BILD

VI. BILD

VII. BILD

VIII. BILD

IX. BILD

X. BILD

XI. BILD

EPILOG

VON ZEIT ZU ZEIT

I.AKT

II.AKT

III.AKT

IV.AKT

V.AKT

Impressum neobooks

VON MENSCH ZU MENSCH

ELF BILDER IN APHORISMEN

VON MÄANDER VISBY

PERSONEN

FRAU FALKENHAGEN

FRAU KNIRSCH

FRAU REUSSE

HERR CLAUS

HERR RICHTER

HERR VOGELSANG

PROLOG

Vorderbühne:

Auftritt Herr Vogelsang, der in der Bühnenmitte verweilt.

HERR VOGELSANG

Die Welt ist die größtmögliche Theaterbühne,

Denn die Menschheit besteht allein aus Schauspielern.

Und jene geringfügige Menge,

Die sich ins selbst bezeichnete Theater verläuft,

Ist gewiss nur auf der Suche nach der Realität.

Auftritt Frau Knirsch, die von Herrn Vogelsang etwas ins Ohr geflüstert bekommt.

Herr Vogelsang geht ab.

FRAU KNIRSCH

Gestern fragte ich die Leute,

Was sich ändert hier und heute,

Doch sie sagten: Auch noch morgen

Hat der Mensch die gleichen Sorgen.

Auftritt Herr Claus, der von Frau Knirsch etwas ins Ohr geflüstert bekommt.

Frau Knirsch geht ab.

HERR CLAUS

Gesetze haben Hand und Fuß.

Weisheiten haben Herz und Verstand.

Auftritt Frau Falkenhagen, die von Herrn Claus etwas ins Ohr geflüstert bekommt.

Herr Claus geht ab.

FRAU FALKENHAGEN

Ich halte mich an keine Gesetze,

Denn ich kann sie missachten oder brechen.

Ich halte mich jedoch an die Weisheiten,

Denn sonst würde ich mich selbst missachten

Oder mir gar mein Herz brechen.

Auftritt Herr Richter, der von Frau Falkenhagen etwas ins Ohr geflüstert bekommt.

Frau Falkenhagen geht ab.

HERR RICHTER

Bei Allgemeinwissen ist es meistens so,

Dass es allgemein nicht gewusst wird.

Auftritt Frau Reusse, die von Herrn Richter etwas ins Ohr geflüstert bekommt.

Herr Richter geht ab.

FRAU REUSSE

Der ehrlichen Träne bedarf es keinem Kommando,

Keiner vorgehaltenen Hand

Oder einer unangenehmen Gebärde –

Sie fließt durch und durch für sich und ist absolut glaubhaft,

Alleinig in der Beschaulichkeit des Augenblicks.

Auftritt Herr Vogelsang, der von Frau Reusse etwas ins Ohr geflüstert bekommt.

Frau Reusse geht ab.

HERR VOGELSANG

Die Dummheit schläft und lacht.

Die Weisheit weint und wacht.

Auftritt Frau Knirsch, die von Herrn Vogelsang etwas ins Ohr geflüstert bekommt.

Herr Vogelsang geht ab.

FRAU KNIRSCH

Es kauert und es lauert,

Es schauert und es trauert,

Es mauert und versauert,

So lang' es eben dauert.

Auftritt Herr Claus, der von Frau Knirsch etwas ins Ohr geflüstert bekommt.

Frau Knirsch geht ab.

HERR CLAUS

So viele Menschen auf Erden – und so wenige, von denen man lernt.

Auftritt Frau Falkenhagen, die von Herrn Claus etwas ins Ohr geflüstert bekommt.

Herr Claus geht ab.

FRAU FALKENHAGEN

Die kostbarste Währung des Menschen ist das Wissen –

Ein jeder besitzt genug davon,

Nur niemand will es ausgeben.

Auftritt Herr Richter, der von Frau Falkenhagen etwas ins Ohr geflüstert bekommt.

Frau Falkenhagen geht ab.

HERR RICHTER

Krönt nie einen Schwätzer zum König, denn er wird nur von Taten sprechen!

Auftritt Frau Reusse, die von Herrn Richter etwas ins Ohr geflüstert bekommt.

Herr Richter geht ab.

FRAU REUSSE

Lerne Mensch, damit du ganz verstehst

Und nicht aufgrund du lernen musst,

Denn irgendwann wird dir bewusst,

Dass du große Fehler so begehst.

Auftritt Herr Vogelsang, der von Frau Reusse etwas ins Ohr geflüstert bekommt.

Frau Reusse geht ab.

HERR VOGELSANG

Wir leben in einer Zeit, in der Ratten nicht mehr rennen müssen.

Auftritt Frau Knirsch, die von Herrn Vogelsang etwas ins Ohr geflüstert bekommt.

Herr Vogelsang geht ab.

FRAU KNIRSCH

Ach, gäbe es doch eine blasse Mülltonne,

In denen die Menschen ihre dummen Gedanken werfen könnten.

Ich denke, dass sie mindestens zweimal pro Woche geleert werden müsste –

Freitags und montags.

Der Müll sollte ins All geschossen werden,

Damit andere Zivilisationen uns nicht überschätzen.

Auftritt Herr Claus, der von Frau Knirsch etwas ins Ohr geflüstert bekommt.

Frau Knirsch geht ab.

HERR CLAUS

Unsere heutige Wahrnehmung kostet uns unsere Sinne.

Auftritt Frau Falkenhagen, die von Herrn Claus etwas ins Ohr geflüstert bekommt.

Herr Claus geht ab.

FRAU FALKENHAGEN

Damit ihr eines von mir wisst:

Auch ich bedien' mich einer List.

Auftritt Herr Richter, der von Frau Falkenhagen etwas ins Ohr geflüstert bekommt.

Frau Falkenhagen geht ab.

HERR RICHTER

Gebt Acht vor schwarzen Tauben, die sich in Mehl wälzen!

Auftritt Frau Reusse, die von Herrn Richter etwas ins Ohr geflüstert bekommt.

Herr Richter geht ab.

FRAU REUSSE

Es ist wichtiger ein guter Schauspieler zu sein als ein guter Mensch.

Frau Reusse geht ab.

I. BILD

Bühne:

In einer Kneipe an einem Tisch sitzen, beim Kartenspiel, Herr Richter, Herr Vogelsang und Herr Claus.

Frau Knirsch kellnert.

HERR VOGELSANG

Vor jeder weitreichenden, allmenschlichen Tragödie,

War das Hochgefühl am größten

Und die Vernunft am geringsten.

Und wie wir gerade ausgelassen und unvernünftig sind.

HERR RICHTER

Ach, wir gehn hausieren

Mit dem Provozieren

Und denken bei Verstand:

Sind wir nicht provokant?!

HERR CLAUS

Eine Gemeinschaft wird nie Teil der Gesellschaft sein!

Sie lachen und prosten sich zu.

HERR VOGELSANG

Des Menschen Plan ist es, die Pläne der anderen zu durchkreuzen.

HERR RICHTER

Wenn wir uns alle so an die Regeln halten würden, wie im Straßenverkehr,

Dann würden wir nur in den seltensten Fällen gegenseitig anstößig werden.

HERR CLAUS

Kein König,

Aber ein Land voller Narren!

Sie lachen und prosten sich zu.

Herr Richter zeigt Frau Knirsch drei Finger.

HERR VOGELSANG

Zauberei ist nur möglich, wenn das Publikum sich hinters Licht führen lassen will.

HERR RICHTER

Auf Besserung zu loben,

Heißt nicht dafür zu proben!

HERR CLAUS

Ich habe die Befürchtung, dass so mancher Mensch auf Erden nur zum Spielen ist.

Frau Knirsch stellt drei Schnäpse auf den Tisch.

FRAU KNIRSCH (geht)

Die Bedürfnisse der Dummen stillt man,

Indem man ohne Widerrede tut, was sie verlangen.

HERR CLAUS

Das Begriffsvermögen einer Gesellschaft zeigt sich im Umgangston.

HERR VOGELSANG

Wir verstehen alles. Und doch will niemand hören.

HERR RICHTER

Das schlechte Gewissen weiß, dass es am reinen Tisch keine Nahrung bekommt.

Sie lachen und prosten sich zu.

Herr Vogelsang zeigt Frau Knirsch drei Finger.

HERR CLAUS

Ein jeder nimmt sich viel zu ernst und lacht doch über andere.

HERR VOGELSANG

Ich habe verlernt zu lachen.

Außer über Lachende,

Die über Dritte herziehen.

HERR RICHTER

Der Mensch ist das satirischste Lebewesen auf Erden.

Und sein Humor ist beißend!

Herr Richter tut, als würde er nach Frau Knirsch beißen, während sie drei Schnäpse auf den Tisch stellt.

FRAU KNIRSCH (geht)

Ein mangelndes Benehmen zeugt von einer mangelnden Intelligenz.

HERR RICHTER

Oh, töricht wäre es zu glauben,

Wir könnten alles uns erlauben.

HERR CLAUS

Großspurigkeit nimmt immer den Platz ganz für sich allein ein.

HERR VOGELSANG

Ich bin in bester Gesellschaft, wenn ich mit mir allein bin und auf mein Wohl trinke.

Sie lachen und prosten sich zu.

Herr Claus zeigt Frau Knirsch drei Finger.

HERR RICHTER

Jede Frau braucht einen Thüringer!

HERR CLAUS

Ein Thüringer Ratschlag:

Beweist Größe –

Verspeist Klöße!

HERR VOGELSANG

Gebt Acht: Geht nirgends hin zu dritt!

Denn kommt bei zwei'n ein dritter mit,

Hält der mit beiden meist nicht Schritt.

Frau Knirsch stellt drei Schnäpse auf den Tisch.

FRAU KNIRSCH (geht)

Es gibt keinen blasseren Schimmer als den erröteten Kopf der Dummheit.

HERR VOGELSANG

Das Recht, etwas sagen zu dürfen, sollten nur die bekommen, die auch etwas zu sagen haben!

HERR RICHTER

Wer zu einem runden Tisch einberuft,

Der will an ihm auch keine Ecken und Kanten sitzen haben.

HERR CLAUS

Wer Politiker zitiert, ist mit der Argumentation schon am Ende.

Sie lachen und prosten sich zu.

HERR VOGELSANG

Der Anfang der Demokratie war das Ende der Liebe.

HERR RICHTER

Politiker realisieren die Albträume ihrer Wähler, anstatt deren Träume zu verwirklichen.

HERR CLAUS

Der Wähler verliert nur zwei Stimmen, während die Politik ihr Gesicht verliert.

Herr Richter zeigt Frau Knirsch drei Finger.

HERR VOGELSANG

Wer nicht wählt, der hat auch eine Entscheidung getroffen.

HERR RICHTER

Das schwerste Los ist die freie Auswahl.

HERR CLAUS

Wir alle haben keine Wahl –

Ja, außer zwischen Kopf und Zahl.

Frau Knirsch stellt drei Schnäpse auf den Tisch.

FRAU KNIRSCH (geht)

Es ist nicht schwer, eine Münze von Kopf auf Zahl zu wenden.

Sie hingegen von Zahl auf Kopf umzumünzen, ist schier unmöglich.

HERR CLAUS

Es heißt:

Zahlen haben einen Wert.

Doch es ist umgekehrt:

Sie sind ohne jeden Wert!

Das wäre nun geklärt.

HERR VOGELSANG

Mit einer Handvoll Münzen lässt es sich schlecht die Hände reichen.

HERR RICHTER

Wenn der Reiche bettelt, kommen mir die Tränen.

Sie lachen und prosten sich zu.

Frau Knirsch bringt ihnen einen kleinen Snack.

FRAU KNIRSCH (geht)

Ein Tisch mit vielen Gaben,

Wird keinen Frieden haben.

HERR CLAUS

Essen, das man sich verdient hat, wird zubereitet oder bezahlt.

HERR VOGELSANG

Wo Ratten schon am Hungertuche nagen,

Da seufzen Menschen selbst am leeren Magen.

HERR RICHTER

Im Vordergrund

Steht stets der Schlund.

Doch der Magen

Hat das Sagen!

Herr Vogelsang zeigt Frau Knirsch drei Finger.

HERR CLAUS

Wie schnell doch Menschen zeigen,

Zu was sie maßlos neigen.

HERR VOGELSANG

Am Reste essen

Wird man gemessen.

HERR RICHTER

Wer satt ist, isst niemanden etwas weg.

Frau Knirsch stellt drei Schnäpse auf den Tisch.

FRAU KNIRSCH (geht)

Ach, der schwache Geist,

Einzig er beweist,

Wie der Mensch zumeist

Dies und das verspeist,

Jenes um sich schmeißt

Und derart entgleist.

HERR RICHTER

Manieren können außer Kraft gesetzt werden,

Wenn jemand es nicht Wert ist, manierlich behandelt zu werden.

HERR CLAUS

Wo höflich ist das Kind,

Da weht ums Ohr kein Wind.

HERR VOGELSANG (steigt auf den Tisch)

Ein aufstrebendes Lüftchen

Plustert sich anfangs gerne auf,

Weil es sich schon für einen Sturm hält.

HERR RICHTER

Es ist die Höhe, die uns antreibt,

Nicht die weiten Ebenen des Landes

Oder das Abgrundtiefe.

HERR CLAUS

Es könnte alles größer sein

Als das, was nennt der Riese klein.

FRAU KNIRSCH (kommt und räumt die umgefallenen Gläser ab)

Zwar höher, weiter, schneller –

Im Köpfchen nur nicht heller!

Auftritt Frau Falkenhagen, die wütend Herrn Vogelsang betrachtet.

HERR VOGELSANG

Kinder lernen zu spielen, um als Erwachsene zu gewinnen.

FRAU FALKENHAGEN

Wer nur wagt, um zu gewinnen, sollte unaufhörlich scheitern!

HERR VOGELSANG (nimmt Frau Falkenhagen wahr)

Hat man eine Frau erst einmal auf Händen getragen,

Ist es umso schwieriger, sie wieder zum Gehen zu bewegen.

FRAU FALKENHAGEN

Wer sich am letzten Strohhalm hält,

Der ist schon vorher tief gefallen,

Und wird auch bald zu Boden knallen,

Wenn weiter er, noch tiefer, fällt.

HERR VOGELSANG (steigt vom Tisch herunter)

Stufen wurden errichtet, um sie hinaufzugehen.

Keiner hätte gedacht, sie auch wieder heruntergehen zu müssen.

HERR RICHTER

Große Männer scheitern an den kleinen Dingen eher,

Wobei kleine Männer an den großen Dingen wachsen.

FRAU FALKENHAGEN

Es tut sich immer dieser vor,

In einer Gruppe, einem Chor,

Der zwar nach Lobeshymnen lechzt,

Doch lauter als ein jeder krächzt.

HERR VOGELSANG

Nicht einmal die Zeit

Zeigt Beständigkeit.

FRAU FALKENHAGEN

Ein verständnisvoller Mann zeigt sich,

Indem er der Frau mit Verstand begegnet.

HERR CLAUS

Wo wir uns gerne niederlassen,

Da sind bereit wir zu verpassen.

FRAU FALKENHAGEN

Ich gebe es offen zu:

Ich bin ein Teil von euch.

Aber versteht mich auch,

Wenn ich sage,

Dass ich mich offen dafür schäme.

HERR VOGELSANG

Habt Erbarmen und macht den Vorhang runter!

Ich hab' genug vom Spielen!

FRAU FALKENHAGEN

Jenen, der nur Späße macht,

Unaufhörlich grinst und lacht,

Will und kann ich ernst nicht nehmen,

Außer mich für ihn zu schämen.

Frau Falkenhagen packt Herrn Vogelsang am Kragen und zieht ihn weg.

HERR VOGELSANG (zu beiden Herren)

Ich verwehre den Handschlag aus hygienischen Gründen,

Die Umarmung aus Selbstschutz

Und den Wangenkuss wegen dem Ekel.

Diese Verschlossenheit beweist die Offenherzigkeit einer einzigen Liebe:

Zu meiner Frau!

Sie gehen beiden ab.

HERR CLAUS

Wer zu leicht zu entreißen ist, der sollte auch nicht festgehalten werden.

HERR RICHTER

Auf den Zehenspitzen

Lässt es sich schwer flitzen.

HERR CLAUS

Nur auf der Straße findet sich kein geeigneter Gastgeber.

HERR RICHTER

Leichter ist es den Tisch zu verrücken als den besetzten Stuhl.

FRAU KNIRSCH

Macht nur eure Witze

Über Geistesblitze!

HERR CLAUS

Wer all das,

Was er in der Schule gelernt hat,

Heut' noch wiedergeben kann,

Der ist selbst ein Lehrer geworden.

FRAU KNIRSCH

Vom Leben zu viel zu wissen, ist nicht möglich – aber zu wenig.

HERR RICHTER

Jeder kann von sich zurecht behaupten,

Zu bedienen sich am Unerlaubten.

FRAU KNIRSCH

Manche Menschen verhalten sich so, als hätten sie zehn Leben.

Andere hingegen, als wäre ihr einziges Leben rein gar nichts wert.

HERR CLAUS (zeigt zwei Finger)

Oh, seht nur, was die Liebe kann:

Sie macht aus mir den reichsten Mann.

FRAU KNIRSCH (geht)

Wenn die Gemüter sind erhitzt,

Der kühlste Kopf ist, der nicht schwitzt.

HERR RICHTER

Den Leuten ist das Öl fürs Feuer,

Für solche Zwecke, schlicht zu teuer.

HERR CLAUS

Der Fortschritt hat keine Seele!

HERR RICHTER

Dem allerhöchsten Maß,

Verbittet sich der Spaß!

HERR CLAUS

Für die Wahrheit gibt es keinen guten Grund, sich zu entschuldigen!

HERR RICHTER

Liebe ist eine Gefangenschaft,

Die mit der Todesstrafe endet,

Aber mit einem freien Willen beginnt.

Frau Knirsch stellt zwei Schnäpse auf den Tisch.

FRAU KNIRSCH

Lassen wir die Liebe einmal aus dem Spiel,

Bleibt am Ende eines Lebens nicht sehr viel.

HERR CLAUS (zu Frau Knirsch)

Der eine liebt, der andre hasst – so ist das eben.

Jedoch damit, dass ich dich liebe, kann ich leben.

FRAU KNIRSCH (geht)

Wer sich immer alles nimmt,

Dieser weiß zwar wie man schwimmt –

Wie man einen Berg erklimmt,

Aber weiß er nicht bestimmt.

HERR CLAUS (ruft)

Wer mit dem Besen sägt

Und mit der Säge fegt,

Der weiß auch nicht so recht,

Was gut ist und was schlecht.

HERR RICHTER

Nicht einmal im Liebesspiel gibt es ein Unentschieden.

Sie lachen und prosten sich zu.

HERR CLAUS

Ein guter Schachspieler wird nie seinen nächsten Zug verraten.

HERR RICHTER

Kein Bauer sollte den König überleben.

HERR CLAUS

Im eignen Lande fremd zu sein,

Ist wie der Schluck von Bier im Wein.

Herr Richter zeigt Frau Knirsch zwei Finger.

HERR RICHTER

Auch ein Straßenköter macht bei Fuß, wenn er Fressen kriegt.

Frau Knirsch kommt ohne Schnäpse, aber mit der Rechnung.

FRAU KNIRSCH

So manch' Gebet

Kommt viel zu spät.

HERR RICHTER

Ach, ließ' sich wer doch bitten –

Ich gäb' mich her für Sitten.

FRAU KNIRSCH

Am Morgen ist der Pessimismus am größten.

Abends obsiegt die Hoffnung auf den nächsten Tag.

HERR CLAUS

Gestern ist kein Problem, wenn nur morgen nicht wär'.

FRAU KNIRSCH (zeigt auf die Rechnung)

Jeder neue Tag ist ein Erfolg.

So feiert ihn, indem ihr bescheiden lebt!

HERR CLAUS (schaut in seine Brieftasche und zeigt sie heimlich Herrn Richter)

Nur die Fehlerkette reißt nicht ab.

Herr Richter steckt unter dem Tisch Herrn Claus Geld zu.

FRAU KNIRSCH

Wer unterm Tisch sich gibt die Hand,

Zerreißt gedanklich schon das Band.

HERR RICHTER

Die Plätze, die wir angeboten bekommen, und die wir gerne einnehmen würden,

Liegen sich meist gegenüber, aber trotzdem weit voneinander entfernt.

FRAU KNIRSCH

Unwissenheit schützt vor Schelte nicht.

HERR CLAUS (bezahlt die Rechnung)

Ohne Habgier,

Keine Missgunst.

FRAU KNIRSCH

Ach, ein Leben gilt erst dann als alt,

Wenn Erfahrung jede Rechnung zahlt.

HERR RICHTER

Wie kann man tiefer sinken, als für den Dummen den Narren zu spielen?!

HERR CLAUS (wirft ihr Trinkgeld entgegen)

Früher haben die Narren den Staat belustigt.

Heute belustigt der Staat die Narren.

Herr Richter und Herr Claus gehen ab.

FRAU KNIRSCH

Wer mit Geld um sich wirft, weiß nicht, wie schwer es zu fangen ist.

II. BILD

Vorderbühne:

Auftritt Frau Reusse, Frau Falkenhagen und Herr Vogelsang, die allesamt mit einem Bademantel bekleidet sind und jeweils einen Liegestuhl hereintragen, auf den sie sich schließlich legen.

FRAU FALKENHAGEN

Ich lasse mich nicht sinnlos hetzen!

Ich lass' mich nicht davon entsetzen!

Und die, die ihre Messer wetzen,

Die werden dran sich selbst verletzen,

Bis eines Tages sie mich schätzen.

Bis eines Tages sie mich schätzen!

FRAU REUSSE

Der Wunsch nach mehr

Ist ziemlich leicht.

Doch wann es reicht,

Das weiß man schwer.

HERR VOGELSANG

Die Waage ist eine Erfindung der Phantasie,

Denn ich habe noch keinen gesehen, der sich die Waage hält –

Schließlich ist das Gleichgewicht die größte Last, die wir tragen müssen.

Für jedes Neugeborene ein altes Leben –

Und es würde keine Kinder mehr geben.

FRAU FALKENHAGEN

Wenn wir jung sind, versuchen wir uns vorzustellen, wie wir im hohen Alter wären.

Sind wir dann jedoch in dieser Lebensphase angelangt,

Versuchen wir uns krampfhaft daran zu erinnern, wie wir jung waren.

FRAU REUSSE

In der Jugend verschenken wir die Zeit, um die wir im Alter betteln.

HERR VOGELSANG

Wenn ich mir als Kind und Heranwachsender nicht mehr ähnel',

Dann bin ich wohl der Aufgabe zu reifen gerecht geworden.

FRAU FALKENHAGEN

Langeweile trifft wohl zu auf alle,

Die im Rentenalter sind zu Haus,

Wenn sie warten vor der Mausefalle,

Dass hineingeht bald schon eine Maus.

FRAU REUSSE

Haus an Haus,

Doch niemand schaut raus.

Keiner da,

Der wird mir gewahr.

HERR VOGELSANG

Die drei Wörter der Scheinheiligkeit:

Glaube, Reue und Liebe.

FRAU FALKENHAGEN

Wenn ich sehe, wie es ist –

Warum sollte ich mir dann nicht vorstellen, wie es sein könnte?

FRAU REUSSE

Wir wissen alle,

Wer wir sein könnten.

Doch wir wissen nicht,

Wer wir sind.

HERR VOGELSANG

Verändern wir, um zu verbessern

Oder verbessern wir, um zu verändern?

FRAU FALKENHAGEN

Wer sich nicht ändern will, den wird man davon auch nicht überzeugen können.

FRAU REUSSE

Ich könnte mich für eine Kopie nicht begeistern.

HERR VOGELSANG

Ich bin und kann doch nicht sein.

FRAU FALKENHAGEN

Der Mensch steht sich selbst im Weg – nur deshalb gibt es Schatten.

FRAU REUSSE

Im Licht können wir alle glänzen.

Aber in der Dunkelheit scheinen nur wenige.

HERR VOGELSANG

Einzig nachts macht sich der Mensch zur lebenden Zielscheibe,

Denn wo er auch steht und geht,

Er sucht immer das Licht,

Um erkannt zu werden.

FRAU FALKENHAGEN

Lasst uns die Sonne beschatten und den Schatten im rechten Licht erscheinen lassen.

FRAU REUSSE

Von allen Lebenslügen ist die Wahrheit die Schwerwiegendste.

HERR VOGELSANG

Wir messen und wir wiegen

Und hängen an Intrigen.

FRAU FALKENHAGEN

Jede Seele auf Erden ist gewogen.

Wirklich erschreckend jedoch ist,

Dass eine jede von ihnen die Waage zum Senken bringt.

FRAU REUSSE

Meine Meinung hat Gewicht.

Leider ist sie den Menschen zum Aufnehmen zu schwer.

HERR VOGELSANG

Die gute Seele erträgt und lastet sich auf.

Sie wird nie unter der erdrückenden Schwere zusammenbrechen.

FRAU FALKENHAGEN

Meine Seele und meine Gestalt passen nicht zusammen:

Meine Glaubwürdigkeit scheitert am jeweils anderen.

FRAU REUSSE

Wir sind millionenfache Kopien von Abermillionen Kopien,

Die alle auf der Suche sind nach dem Original.

HERR VOGELSANG

Wenn alle Menschen gleich sind, warum vergleichen sich dann alle Menschen miteinander?

FRAU FALKENHAGEN

Wenn nicht jeder Mensch von sich denken würde,

Dass er anders sei als der andere,

Dann würde er sich endlich unterscheiden.

FRAU REUSSE

Der einzige Makel dieser Welt, ist der Mensch!

HERR VOGELSANG

Es ist dem Makel zu verdanken, dass Menschen sich akzeptieren.

FRAU FALKENHAGEN

Akzeptanz ist keine Hilfe im Sinne der Menschlichkeit.

FRAU REUSSE

Der tiefere Sinn der Liebe besteht nie aus Äußerlichkeiten.

HERR VOGELSANG

Wer äußerlich sich selbst genügt,

Der übern innren Glanz verfügt.

FRAU FALKENHAGEN

Wir wissen ein ganzes Leben, dass uns etwas fehlt.

Wenn wir auch stets danach gesucht haben,

Konnten wir es nicht finden,

Da wir zeitlebens nicht wussten,

Um was es sich handelt.

FRAU REUSSE

Gestattet mir nur eins:

Meins!

HERR VOGELSANG

Niemand kennt so gut wie ich:

Mich!

FRAU FALKENHAGEN

Unsere Biografie ist auf unserer Haut nachzulesen.

FRAU REUSSE

Jeder Mensch steckt in seiner Haut,

Die er zu akzeptieren hat,

Ansonsten ist er kein Mensch mehr.

HERR VOGELSANG

Ein schöner Körper denkt nicht – er schwitzt nur.

FRAU FALKENHAGEN

Die Schönheit geht vom Weibe aus.

Und trotzdem bleibt sie meist zuhaus.

Warum sie meist zuhause bleibt?

Weil sie's an Schönheit übertreibt.

FRAU REUSSE

Schönheit kommt von innen,

Bewertung nur von außen.

HERR VOGELSANG

Der Körper einer jungen Frau ist das Hinreißendste, was erschaffen wurde.

FRAU FALKENHAGEN

Ein kluger Geist befiehlt dem Körper, was er zu tun oder zu lassen hat.

FRAU REUSSE

Sogar der schwächste Geist steht über dem stärksten Körper.

HERR VOGELSANG

Der Geist ist geizig, der Körper spendabel.

FRAU FALKENHAGEN

Dumme Menschen vergleichen ihre Körper.

Schlaue Menschen vergleichen ihren Geist.

FRAU REUSSE

Jede geistige Betätigung zieht eine körperliche Erschöpfung nach sich.

Jede körperliche Anstrengung aber lässt den Geist verkommen.

HERR VOGELSANG

Ich muss den Körper nicht verstehen,

Denn Wege kann er selber gehen.

Den Geist jedoch, um ihn zu lenken,

Muss ich tagtäglich überdenken.

FRAU FALKENHAGEN

Ich entdecke in den Menschen keine Schätze mehr:

Ihr Geist ist eine leere Truhe,

Deren Hülle leicht entflammbar ist,

Aber nie für etwas so sehr brennt,

Dass sie buchstäblich dahinschmilzt.

FRAU REUSSE

Zum Kochen bringt's der Menschenherd,

Durch Depression und Minderwert.

HERR VOGELSANG

Ich versteh' nicht, wie die Menschen so leben können.

Ich sehe nicht einen unter ihnen,

Der es verdient hätte,

Diese Welt zu bewohnen.

FRAU FALKENHAGEN

Wir sind mehr mit dem Zusammensein beschäftigt

Als uns alle das Alleinsein je bekräftigt.

FRAU REUSSE

Der Mensch liegt mehr, als dass er steht

Und steht auch mehr, als dass er geht.

Was glaubt er also, was er sät?!

HERR VOGELSANG

Ist es wichtig, was zu tun

Oder richtig, bloß zu ruhn?

FRAU FALKENHAGEN

Es kostet die Gemütlichkeit,

Im Endeffekt die meiste Zeit.

FRAU REUSSE

Es soll mir keiner erzählen, wie er sich ausgeruht hat!

HERR VOGELSANG

Aus seinem Leben etwas zu machen,

Ist die einzige mögliche Art von Dank für das eigene Leben.

FRAU FALKENHAGEN

Wir schlafen, um uns von der realen Welt zu erholen.

Und wir träumen von einer Welt, als wäre sie real.

FRAU REUSSE

Was wir in den Träumen erschaffen, vernichten wir wieder in der Realität.

HERR VOGELSANG

Der schönste Schlaf, ist der kurze Schlaf nach dem langen Schlaf.

FRAU FALKENHAGEN

Es gibt kein böses Erwachen, wenn man reumütig einschläft und versöhnlich träumt.

FRAU REUSSE

Unwissenheit und Bedeutungslosigkeit teilen sich ein Bett.

HERR VOGELSANG

Nicht einmal die Liebe ist dazu fähig,

Einen festen Entschluss von Fehlern zu befreien.

FRAU FALKENHAGEN

Es ist wirklich so, dass es immer anders kommt.

FRAU REUSSE

Machen wir uns doch nichts vor und denken einmal gründlich nach!

HERR VOGELSANG

Wir sind alle wohlweislich aus dem Takt geraten.

FRAU FALKENHAGEN

Seht nur den Himmel – und ihr wisst, was Leben heißt!

Sie schauen alle empor.

FRAU REUSSE

Nach oben hin ist genug Platz,

Doch wir sollten verstehen:

Je höher wir bauen, umso tiefer wird der Fall!

Und wir werden fallen.

Wir sind immer gefallen.

HERR VOGELSANG

Das Erblicken von Schönem, ist wie das Ertasten der Sterne.

FRAU FALKENHAGEN