DIE ZUKUNFT, DIE WIR HATTEN & DIE LETZTE GESCHICHTE - Mäander Visby - E-Book

DIE ZUKUNFT, DIE WIR HATTEN & DIE LETZTE GESCHICHTE E-Book

Mäander Visby

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Beschreibung

DIE ZUKUNFT, DIE WIR HATTEN beschreibt eine Zeitreise eines jungen Paares durch eine Auslese an der Menschheit prägendsten Liebesgeschichten, um einerseits der eigenen Romanze auf den Grund zu gehen und andererseits in Erfahrung zu bringen, ob diese noch zu retten ist. DIE LETZTE GESCHICHTE handelt von dem hochbetagten Johannes, der, nach seiner Offenbarung, in seinem Haus zwei alte Bekannte in Empfang nimmt, die jeweils aus einem ganz anderen Gedankengebäude auf die Apokalypse blicken.

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Mäander Visby

DIE ZUKUNFT, DIE WIR HATTEN & DIE LETZTE GESCHICHTE

 

 

 

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Inhaltsverzeichnis

Titel

DIE ZUKUNFT, DIE WIR HATTEN

PROLOG

I. AKT

II. AKT

III. AKT

IV. AKT

V. AKT

EPILOG

DIE LETZTE GESCHICHTE

I. SIEGEL

II. SIEGEL

III. SIEGEL

IV. SIEGEL

V. SIEGEL

VI. SIEGEL

VII. SIEGEL

Impressum neobooks

DIE ZUKUNFT, DIE WIR HATTEN

EIN DRAMA IN 5 AKTEN

VON MÄANDER VISBY

PERSONEN

HEINRICH SACHS

– Ein unbekannter Schriftsteller von 30 Jahren

II. Gilgamesch

III. Justinian I.

IV. Heinrich von Kleist

VÉRONIQUE TÜRK

– Eine Lehramtsstudentin für Deutsch und Geschichte von 20 Jahren

II. Inanna-Ishtar

III. Theodora I.

IV. Henriette Vogel

THEATERSPRECHER

I. Rollstuhlfahrer

II. Enkidu

III. Belisar

IV. Rezeptionist im Stimmings Krug

V. Heinrich Sachs

THEATERSPRECHERIN

I. Frau B.

II. Priesterin

III. Antonina

IV. Tagelöhnerin

V. Véronique Türk

PROLOG

THEATERSPRECHER

Ein jeder kennt von uns die großen Dramen –

Von Shakespeare, Ibsen, Strindberg oder Goethe –,

In denen zeigt das Schicksal kein Erbarmen,

Vom Morgengrauen bis zur Abendröte.

Und in die Nacht, auf einer langen Reise,

Entführen uns die Dichter immer wieder –

Von ihnen jeder auf die seine Weise:

Auf ihren Lippen ihre Lieblingslieder,

In ihren Köpfen zig Gedankengänge,

An ihren schlanken Fingern schwarze Tinte,

In ihren Händen eine Federlänge –

Als das Symbol für Fleiß und Gleichgesinnte.

In ihrer Kunst ein Werk nach Maß zu schaffen,

Mit Aufwand und Geschicke zu erdichten,

Sodass sogar beeinflusst werden Pfaffen,

Indem die Dichter wissen zu berichten,

Getreuer, weiser als es steht geschrieben

In Bibelversen – neuen oder alten –,

Denn Dichter reimen weder nach Belieben

Noch legen an den Tag sie ein Verhalten,

Für das sich viele andre schämen müssen –

Zumeist geliebte Menschen und Kollegen,

Die's zwar bestimmt nicht immer besser wissen,

Doch bringen sie dem ein Gefühl entgegen,

Was keinen Zweifel lässt am Werk mehr offen

Und an dem Heldenstatus der Autoren,

Denn nur der geistig Reiche macht betroffen

Und ist für das wohl höchste Ziel geboren:

Geschichten aus dem Leben zu erzählen,

Auf dass die Menschen sehen und erkennen,

Womit sie sich im wahrsten Sinne quälen,

Warum sie sich, von heut' auf morgen, trennen,

Weshalb schon tags darauf erneut sie wählen,

Doch sich einander wieder nicht bekennen,

Sodass den Menschen nicht nur Worte fehlen,

Ja, sondern auch die Feuer, die sonst brennen –

In beiden Herzen, frisch und frei, entzündet,

Verheerend, wie im Ausmaß großer Brände,

Woraus sich eine neue Stadt begründet

Und wo der Mensch bereit sich zeigt zur Wende,

Nicht in verwehte Spuren neu zu stapfen,

Dieselben Fehler wieder zu begehen,

Erneut den gleichen Unsinn zu verzapfen

Und in dem Weg der Menschen nur zu stehen,

Die einen weiten Blick nach vorne wagen,

Vor einen Fuß zuerst den andren setzen,

Wahrhaftig denken und die Wahrheit sagen

Und wissen jeden Schritt stets abzuschätzen.

In diesem Fall, den wir zur Schau nun stellen,

Entflammte sich jedoch so rasch das Feuer

Wie nie zuvor bekannt in andren Fällen,

Dass selbst den Göttern war nicht ganz geheuer,

Wie viel an Holz und Kohle sie verbrauchten –

Die beiden Herzen, die Geschichte schrieben,

Indem hinab sie bis zum Ursprung tauchten –

Durch Zeit und Raum und von der Glut getrieben –,

Um mehr als nur Gewissheit zu erlangen,

Was eine Zukunft für ihr Leben hieße:

Ob sie um ihre Liebe müssten bangen,

Dass einer wann den andren schlicht verließe,

Sodass vergebens wär' die Müh' gewesen

Und alles, was anhand der Flammen brannte,

Als gäb' es keine Zeilen nachzulesen,

Die einer für den andren hübsch entsandte.

Gebannt jedoch sind längst nicht die Gefahren,

Die zwischen zwei Verliebten können lauern –

Es ist nicht leicht die Lieben zu bewahren,

Auf dass sie die Gefahren überdauern

Und auf dem Weg der stillen Eintracht wandeln,

Sich gegenseitig führen, unterstützen,

Zu gleichen Teilen ehrbar sich behandeln,

Zusammen vor Dämonen sich beschützen

Und keine Zweifel für den andren hegen.

Wir zeigen nun das Beispiel einer Liebe,

Auf all den Ab- und Irr- und Wanderwegen,

Und diesen, der am Ende ihnen bliebe,

Wenn sie nicht stolpern über Kieselsteine,

An Zäunen oder Ästen hängen bleiben

Und, länger nicht als eine Hundeleine,

Sich ziehen oder vor sich her noch treiben.

Der Theatersprecher geht ab.

I. AKT

Im Park von Schloss Rheinsberg:

Rheinsberger Obelisk, mit Blick auf das Schloss.

Musik: Eurythmics – when tomorrow comes

Ein kleines weißes Auto kommt dahergefahren und hält mitten im Geschehen.

Die beiden Insassen, ein junges Fräulein und ein ihr sichtlich älterer Mann, steigen aus.

VÉRONIQUE TÜRK

Schön, dass wir beide heute letztendlich noch hierher gefunden haben – zueinander gefunden haben –, obwohl es am Morgen lange nicht danach aussah. Dies ist einer der wenigen Momente, den wir gemeinsam auskosten können, ohne dass einer von uns für einen Augenblick bezahlen muss – wie in den meisten Fällen –, so teuer wie nur möglich.

HEINRICH SACHS

Wäre Liebe umsonst, dann hätte niemand etwas davon. Jeder muss bezahlen, so viel er kann, bis er kurz vor der persönlichen Pleite steht, um die wahre Liebe in ihrer vollkommenen Reinheit zu erleben, befreit von der Last der Münzen, die eh von Zeit zu Zeit aus der Hosentasche fallen, wenn man sich als verliebtes Paar im grünen Gras rekelt. Aber es zeichnet dich aus, die negativen Ereignisse immer wieder in den Vordergrund zu rücken, sie stets aufs Neue aufzugreifen, während ich längst losgelassen habe und mich auf eine neue Situation einstellen möchte, die du nicht zulässt.

VÉRONIQUE TÜRK

Ich kann sie nicht zulassen, wenn die alte Situation noch im Raum steht. Und selbst wenn sie unter den Teppich gekehrt wurde und sich dort versteckt hält, weiß ich, sie ist allgegenwärtig.

HEINRICH SACHS

Du willst in einer solch gelösten Atmosphäre, bei einem derart prächtigen Ausblick, putzen? Können wir das nicht zu Hause machen, dort, wo der Teppich liegt und es schmutzig ist?

VÉRONIQUE TÜRK

Du willst doch nirgends putzen – nicht da, wo es nötig noch allerhöchste Zeit wäre. Du putzt einfach niemals!

HEINRICH SACHS

Ich bevorzuge jenen Teppich, der von Flusen und Staub übersät ist, lieber durch einen neuen, sauberen zu ersetzen, anstatt an dem Alten festzuhalten und ihn zweimal in der Woche abzuklopfen. Da lobe ich mir doch das Tennisspiel.

VÉRONIQUE TÜRK

Du spielst aber überhaupt kein Tennis – nicht in einer Sportart betätigst du dich.

HEINRICH SACHS

Ich trainiere geistig, nicht körperlich – aber ich trainiere. Und in meiner Disziplin bin ich Leistungssportler, ein Vorbild für die wenigen, aber leistungsfähigen Talente unserer Zeit. Was nützt mir ein erstaunlicher Körper, der trotzdem verwundbar ist, wenngleich im Augenblick der Wahrheit ein klarer Kopf gefordert ist, ein Intellekt, der lebhaft erscheint und im besten Falle die Dummheit überlebt, bloß anhand des eigentlichen Könnens: Bildung! Ein Körper kann sich nicht bilden...

VÉRONIQUE TÜRK

Aber erbauen.

HEINRICH SACHS

Um wie jedes Gebilde eines Tages zu zerfallen, aber ohne die Möglichkeit, es wieder zu errichten, denn ist der Körper im Alter erst einmal einer Ruine gleich, besteht keine Hoffnung mehr auf Kunst und Architektur. Der Geist jedoch, ist er geradezu gebildet, vergisst auch in den letzten Jahren nicht –wird er durch sich selbst oder andere täglich in Anspruch genommen –, wie eine Quelle, die nimmer gänzlich ausgeschöpft werden kann.

VÉRONIQUE TÜRK

Der Erhalt des Geistes ist mir wichtig, schließlich werde ich die nächsten Generationen unterrichten und für Bildung sorgen, die Bestandteil ist, um auf diesem weitreichenden Gerüst, die Stabilität zu gewährleisten, die für ein heranwachsendes Leben keine Garantie, aber einen Halt verspricht, auf dem zu bauen ist – so viel, wie jeder Einzelne für richtig hält beziehungsweise verträgt.

HEINRICH SACHS

Dabei ist es scheinbar leichter für das Gerüst eine vollbepackte Hantel zu tragen als ein kleines Büchlein, das äußerlich federleicht, jedoch inhaltlich den einen oder anderen zur Verzweiflung und zum Scheitern bringt, auf dass, unter einem fürchterlichen Beben, der eigene Sinn vor Lebendigkeit erzittert und droht auseinanderzufallen, wie ein von Würmern zerfressenes und demnach poröses Holz.

VÉRONIQUE TÜRK

Darüber müssen wir nicht streiten. Ich frage mich nur, warum stets ich das Ziel deiner Kritik bin, weshalb wir einen Tag wie diesen nicht genießen können? Was habe ich dir bloß getan?

HEINRICH SACHS

Du liebst mich doch oder etwa nicht?

VÉRONIQUE TÜRK

Natürlich liebe ich dich. Was soll die Frage?

HEINRICH SACHS

Die Frage, die du beantwortet hast, beantwortet dir auch deine.

VÉRONIQUE TÜRK

Du meinst, nur weil ich dich liebe, musst du mich behandeln als würdest du mich verabscheuen und hassen?

HEINRICH SACHS

Wenn du es so drastisch formulieren willst, dann ja.

VÉRONIQUE TÜRK

Was hat das für einen Sinn? Ich meine, wer will freiwillig so unwürdig geliebt werden – wenn du mich überhaupt, im Verständnis der Liebe, ebenso liebst?!

HEINRICH SACHS

Ja, ich liebe dich und meine Liebe ist wahrhaftig, denn Liebe macht erst Sinn, wenn sie ehrlich und aufrichtig gemeint ist, überzeugend im Gefühl, kompromisslos im Denken, so wirkend, als würde man nicht für ein Ziel arbeiten, sondern um sein Leben, das man, unter diesen Umständen, sogar bereit ist zu verlieren.

VÉRONIQUE TÜRK

Nein, so ist die Liebe nicht. Die Liebe ist einfach gestrickt, leicht wie ein aufkommendes Lüftchen, das aber nie zu einem Sturm heranwächst, denn Liebe ist Geborgenheit und hat einen schützenden Charakter, der nachgibt und einsieht, in Harmonie erstrahlt, unter einem Himmel, der Freiheit bietet, anstatt beengt, auf einen herabstürzt, einschränkt oder stets von dunklen Wolken verhangen ist, die weder Zufriedenheit für die Natur noch Freude für den Menschen zulassen. Du tanzt regelrecht wie ein Derwisch, schwere Gewitter heraufbeschwörend.

HEINRICH SACHS

Ich tanze nicht – nicht für Regen noch zum Vergnügen, obwohl selbst für mich ein Tänzchen im kühlen Nass nach Ausgelassenheit klingt, wenn da nicht die Haare wären, die daraufhin schwerlich trocken zu kriegen sind. Liebe ist aber auch äußerliche Sicherheit, die nur gegeben werden kann, wenn die innere Einstellung ein Abbild des ungezwungenen Handelns ist, zu gleichen Teilen beherzt und sanft empfänglich, auf die dienlichste Weise, die, unter Einfluss von Leidenschaft, möglich ist zu zeigen. Darüber hinaus bedarf es lediglich etwas Mut, der jedoch von ganz allein aufgebracht wird, sollte der Wert in dem verehrten Menschen größer sein als die Bedenken über die Kosten, die verursacht werden könnten durch die morbide Präzision des Lebens.

VÉRONIQUE TÜRK

Du hast mir ein ums andere Mal den Wert aberkannt, mich gedemütigt und mir eine Schuld zugewiesen, der ich mir, selbst nach gewissenhafter Reflektion, nicht bewusst werden konnte, weil du mir mehr zuschreibst als ich eigentlich bewirkt habe. Wären deine Bekundungen positiven Ausmaßes, würde ich mich geschmeichelt fühlen, einen kurzen Moment genießerisch verweilen wollen, um gleich darauf peinlich abzuwinken, weil eine innere Stimme sagt, dass ich überbewertet wurde und derart Komplimente mir gar nicht zustehen, da ich schon eine alles betäubende Furcht vor deiner Zuneigung verspüre, denn sie würde, wie ich deinetwegen allzu oft an eigener Haut erfahren musste, nicht der Wirklichkeit entsprechen. Doch auch die Abwertungen werde ich mir nicht länger gefallen lassen, sie genauso von mir weisen wie die Wertschätzungen, denen ich nicht über den Weg traue – ein Aufzucken der Hoffnung hin oder her. Und eines sei dir gesagt: Meine Kosten sind für mein Alter höher angesetzt als deine.

HEINRICH SACHS

Was kostet dich so ein Ausflug denn? Benzin? Das zahle ich dir gerne. Konzentration am Steuer? Die kann ich dir zwar nicht abnehmen, jedoch komme ich dir dafür mit meinem Stillschweigen weitestgehend entgegen, denn dein Fahrstil – gerade unter einem gereizten Zustand – lässt mich Blut und Wasser schwitzen, dass ich fürchten muss, von meinem baldigen Erfolg nichts mehr zu haben, wenngleich der Gedanke, mit dir zu sterben, schon etwas romantisches und endgültiges hat, wobei ich davon ausgehe, dass dein undurchdringbarer Dickschädel schwerer zu knacken ist als eine Nuss, und selbst den heftigsten Aufprall lediglich mit einem Kratzer übersteht, der noch sachgerecht überdeckt wird, bevor die Erste Hilfe geleistet werden kann.

VÉRONIQUE TÜRK

So denkst du über mich? Das ist mehr als enttäuschend und ganz offensichtlich gelogen. Ich bin die Frau, die sich auf dein Verlangen hin natürlich und ungeschminkt zeigt, sowie an deiner Seite verharrt oder dir die saftigsten Brötchen besorgt, wenn du wieder einmal ganze Nachmittage in der Notaufnahme verbringst und niemand sonst sich vor Sorge zerreißt, außer ich.

HEINRICH SACHS

Dafür hast du meinen Dank. Aber der ist dir ja keinesfalls genug. Du willst Gerechtigkeit – ausgleichende Gerechtigkeit –, hofiert und chauffiert, wie eine Prinzessin behandelt werden, jedoch ohne an die Pflichten des königlichen Hauses gebunden zu sein. Ich würde vor dir knien, mich verbeugen, doch nicht aus Liebe oder Respekt, sondern aus Anerkennung deiner Aufopferung alleine dir gegenüber. Aber diese Ehre wird dir nicht zuteil, solange du, in persönlicher Urlaubsstimmung, permanent nach der Sonne Ausschau hältst. Es ist nicht ratsam, das Leben in vollen Zügen zu genießen, denn schon ein wenig Appetit sollte nie mit einem randvollen Teller gestillt werden, der Behaglichkeit und Sättigung verheißt, jedoch nichts als Trägheit und ein falsches Selbstbild hinterlässt, das sich gut und gerne auf einfältige Charaktere – per Kaleidoskop betrachtet – überträgt, doch auf manch vielfältigen Dichter geradewegs durchsichtig erscheint.

VÉRONIQUE TÜRK

Ich arbeite hart!

HEINRICH SACHS

Du lernst... Arbeit ist die Anwendung des Sachverstandes, der gelernt wurde.

VÉRONIQUE TÜRK

Dann lerne ich hart! Das sollte mir nicht abzustreiten sein.

HEINRICH SACHS

Ein herrliches Panorama, findest du nicht? Kurfürst Friedrich Wilhelm schenkte die ehemalige Wasserburg dem General Franz von Hamel, der sie an Benjamin Chevenix de Beville verkaufte, der sie wiederum an König Friedrich Wilhelm I. veräußerte, der sie letztendlich an seinen Sohn, Kronprinz Friedrich, verschenkte. Dieser zog dann mit seiner Frau Elisabeth Christine in den südlichen Flügel des Schlosses. Von den Baumeistern Johann Gottfried Kemmeter und Georg Wenzeslaus von Knobelsdorff wurde das Schloss bis 1740 weitreichend ausgebaut. Schau nur: Das ganze Obergeschoss wurde hinzugefügt und der Ostflügel um zwei Dutzend Meter verlängert. Daraufhin schenkte Friedrich das Schloss seinem Bruder Heinrich – um 1752 zog dieser mit Prinzessin Wilhelmine von Hessen-Kassel ein. Heinrich erweiterte den Park und verschönerte das Schloss an sich. Georg Friedrich von Boumann und Carl Gotthard Langhans finalisierten das Schloss um 1786 nach den Plänen und Entwürfen, die mit Heinrich Jahrzehnte zuvor abgesprochen wurden – wie zum Beispiel die beiden Pavillons. Bis 1945 gehörte das Schloss Rheinsberg dem Haus Hohenzollern.

Sie stellt sich einige Meter vor ihm auf.

VÉRONIQUE TÜRK

Und wie gefällt dir dieses Panorama jetzt?

HEINRICH SACHS

Siehst du, wie du dich sperrst, zu lernen, und mir dabei die Sicht und den Weg versperrst, zu belehren?

VÉRONIQUE TÜRK

Also bin ich offensichtlich für deine Blicke weder durchsichtig noch unscheinbar...

HEINRICH SACHS

Natürlich nicht! Schon im ersten Moment, als meine Augen dich erhaschten, wollten sie nie wieder über dich hinwegsehen.

VÉRONIQUE TÜRK

So wie dein inneres Auge, das Bindeglied zwischen deinem taktvollen Verstand und deinem zumeist aussetzenden Herz, nicht über die ein oder andere Banalität aus meiner Richtung hinwegsehen kann.

HEINRICH SACHS

Den Blick voll und ganz, auf den man liebt!

VÉRONIQUE TÜRK

Dabei siehst du, statt mich, bloß die Gefahren, die um mich kreisen.

HEINRICH SACHS

Nein, nicht die, die um dich kreisen, sondern die, die in dir verborgen sind, von denen du vielleicht nicht weißt, aber auch nicht wissen willst, wenn ich dich auf sie aufmerksam mache. Dein Körper ist ein Minenfeld und dein Geist ein Pulverfass, das jede Sekunde – bei einem bestimmen Auslöser – in die Luft gehen kann.

VÉRONIQUE TÜRK

Der Auslöser, mein Liebster, bist ausnahmslos du.

HEINRICH SACHS

Das ist gelogen. Ich bin darauf bedacht, den Sprengsatz zu entschärfen.

VÉRONIQUE TÜRK

Wenn das der Fall ist, gehst du aber grob fahrlässig mit unseren beiden Leben um, wie oft du schon auf mein inneres Seelenheil herumgehackt hast, stets darum bewusst, die Bombe könnte explodieren.

HEINRICH SACHS

Das Risiko muss und will ich eingehen, auch wenn es mein solides Leben kostet. Das ist mein Einsatz von Liebe. Und tief zu graben, nach Ursachen zu forschen, was die Munition schulmäßig platziert hat, gehört genauso zu meiner Aufgabe, wie unter Einsatz meines Lebens das Unding unschädlich zu machen, wenn du nicht meine Hände von dich stoßen und das Gelingen damit unterbinden würdest.

Auftritt Frau B., die entfernt von beiden nach etwas Ausschau hält.

VÉRONIQUE TÜRK

Komm zu mir!

HEINRICH SACHS

Nein, komm du zu mir! Die Aussicht auf Erfolg ist an dieser Stelle am Größten. Und falls du in die Luft gehen solltest, forderst du nicht noch zivile Opfer, wie diese Frau da, die um das Schilf streift und dir immer näherkommt.

Véronique Türk geht zu Heinrich Sachs. Sie umarmen sich innig.

VÉRONIQUE TÜRK

Rums!

HEINRICH SACHS

Das könnte dir so passen...

VÉRONIQUE TÜRK

Und dir – den Heldentod am Heldendenkmal zu sterben: Der durch seine Tapferkeit und Einsicht verdient hat, dass man sich seiner auf immer erinnere.

HEINRICH SACHS

Das hast du wunderbar abgelesen.

VÉRONIQUE TÜRK

À L'ÉTERNELLE MÉMOIRE

D'AUGUSTE WILHELM PRINCE

DE PRUSSE, SECOND FILS DU

ROI FRÉDÉRIC GUILLAUME

HEINRICH SACHS

Was das wohl zu verheißen hat?

VÉRONIQUE TÜRK

Das ist Französisch. Soll ich dir beim Übersetzen behilflich sein, mein sonst so allwissender Liebling?

HEINRICH SACHS

Nein, ich meine, dass die Frau direkt auf uns zukommt – die muss lebensmüde sein und doch erkennen, wie brenzlig die Situation um uns ist.

VÉRONIQUE TÜRK

Nur Verzweiflung und Neugier führt die Menschen in die Hände des Verderbens.

HEINRICH SACHS

So sind sie alle des Todes!

FRAU B.

Guten Tag! In meiner Verzweiflung muss ich die traute Zweisamkeit leider ein wenig stören...

HEINRICH SACHS (zu Véronique Türk)

Gott sei Dank ist's keine Neugier.

FRAU B.

Denn meine geliebte Katze ist mir ausgebüxt. Und nun bin ich in Sorge und auf der Suche nach ihr.

HEINRICH SACHS

Sie können unbesorgt sein, ihrer Katze wird es überall besser ergehen als hier bei uns, in unser Vertrauen erweckenden, aber in Wirklichkeit für Gefahr bürgenden Nähe.

FRAU B.

Was bedeutet das? Sind Sie etwa krank? Tollwut?

VÉRONIQUE TÜRK

Entschuldigen Sie, mein Freund macht nur Spaß.

FRAU B.

Spaß? Sie sind wohl nicht von hier...

VÉRONIQUE TÜRK

Nein, wir sind aus Berlin und auf den Spuren von Schloss Rheinsberg.

FRAU B.

Das ehrt Sie, gerade weil Sie beide noch so jung sind, aber die Spuren meiner Katze sind entsprechend frischer und mir von höherer Priorität als Kunst und Kultur, die verstaubt und leidlicher zu reinigen ist als ein von Haaren bedeckter Sessel oder ein blümerantes Katzenklosett. Verzeihen Sie, doch hier geht es um ein Leben!

HEINRICH SACHS

Ein Leben, das begrenzt ist und dessen Schuldigkeit alleine darin besteht, Sie, den Besitzer, zu bespaßen und für Abwechslung eines eintönigen Lebens zu sorgen. Dieses ist eine Einstellung, bei der ich weder Spaß mache noch Spaß verstehe.

FRAU B.

Offensichtlich.

VÉRONIQUE TÜRK

Ich muss mich wiederholt für meinen Freund entschuldigen – das Tierreich beschränkt sich auf seinen Mittagsteller und seine spärlichen Räumlichkeiten, in denen Spuren von achtbeinigen Kreaturen an der Wand sich ebenso wenig verwischen lassen, wie das Erzeugnis derer Staubfänger.

HEINRICH SACHS

Insofern bin ich gleichfalls verstaubt, wie das von Ihnen abgewertete, aber mir bedeutsame Kulturgut Schloss Rheinsberg, was mich, für Ihre rettende Suchaktion, mehr als untauglich macht. Womöglich würde ich eine Katze als ein Wesen gar nicht erkennen oder meine Freundin ist, begründet durch ihren süßen, aber schlichtweg hinderlich wirkenden Silberblick, auf dem Weg hierher unbeabsichtigt über Ihren Liebling gefahren, sodass Sie sich die Suche sparen und stattdessen sich ein Buch an diesem herrlichen Grienericksee zu Gemüte führen könnten, das weder haart noch vor Ihnen wegläuft.

FRAU B.

Vergessen Sie erneut sich für Ihren Freund zu entschuldigen – ich bin es leid, diese anzunehmen.

HEINRICH SACHS

Wie wir es leid sind, Madame, über ein Tier uns Gejammere anzuhören, dessen Spuren ausschließlich auf Ihren Armen zu begutachten sind, während vor uns die Spur des großen Kurt Tucholsky auch noch nach vielen Jahrzehnten genauso zur Geltung kommt, als wurde sie gerade erst gelegt.

VÉRONIQUE TÜRK (zu Frau B., die gehen will)

Halt, warten Sie! Wie sieht Ihre Katze denn aus?

FRAU B.

Ich danke Ihnen – und nur Ihnen! Sie ist weiß und übersät mit fuchsigen Flecken. Sie hört auf den Namen Eva...

HEINRICH SACHS

Lächerlich!

FRAU B.

Weil sie die eine Pfote treu in den Himmel streckt, wenn sie gestreichelt werden will.

HEINRICH SACHS

Das ist wiederum lustig. Nur schade, dass ihr Fell nicht braun schimmert, wenn sie schon solch eine Ideologie vertritt.

VÉRONIQUE TÜRK

Ich glaube, wir können Ihnen nicht behilflich sein, Ihre Katze zu finden, auf Grund derer Gesinnung und beispiellosen Talents.

FRAU B.

Typisch Berliner – immer weltoffen und tolerant, aber zwei linke Hände, um einen Flughafen zu bauen. Auf dem Land wird angepackt, in der Stadt genüsslich Kaffee geschlürft und debattiert – hier werden Entscheidungen gewürfelt, weil sie alle vertretbar sind und von allen getragen werden. Das Kollektiv hat in dieser Ortschaft eine gemeinsame Stimme, während bei Ihnen viele Gruppierungen mehrere Sprachen sprechen, doch untereinander sich verstehen wie im alten Babel. Kein Wunder, dass es da keine Effizienz gibt, sondern bloß ein saloppes Dahinraffen.

HEINRICH SACHS

Ich möchte mich da von Ihrer Anschuldigung ausgrenzen – ich bin Thüringer. Ich bin effizient!

VÉRONIQUE TÜRK

Und lässt mich dabei im Regen stehen?!

HEINRICH SACHS

Du darfst unter den Schirm, wenn ich es bin, der ihn hält.

VÉRONIQUE TÜRK

Derjenige, der den Schirm hält, wird in der Regel weniger nass als der, der sich bei ihm Unterschlupf erhofft.

HEINRICH SACHS

Auch ich bekomme ein paar Spritzer ab, das verspreche ich dir, mein Liebes.

VÉRONIQUE TÜRK

Du magst doch die Vorstellung im Regen zu tanzen, also kannst du getrost den Schirm auch voll und ganz mir überlassen.

HEINRICH SACHS

Ich scheue aber den Schirm, genauso wie das Heft des Handels dir zu überlassen, wenn es heißt, dass dunkle Wolken aufziehen, schließlich fehlt dir nicht nur die meteorologische Erfahrung, sondern auch der nützliche Instinkt der Kleidung, der in meinem Alter nicht mehr der Mode unterstellt ist.

VÉRONIQUE TÜRK

Den alles verwüstenden Sturm habe ich durch den Tod meines Vaters zu spüren bekommen.

HEINRICH SACHS

Der dich, verständlicher Weise, zum Wanken gebracht hat.

VÉRONIQUE TÜRK

Aber ich trotze der unberechenbaren Gewalt auch ohne Schirm und Mantel. Meine Haut ist mein Schild, wenn du mir schon keinen Schutz bietest.

FRAU B.

Sie harmonisieren ja beide wunderbar zusammen, wie ein nicht gestimmtes Klavier mit einem sich im Stimmbruch krächzenden Jugendlichen – man will, aber kann einfach nicht die Ohren davor verschließen, weil es einfach dermaßen schief klingt.

VÉRONIQUE TÜRK

Von Ihrer Katze können Sie ja kaum mehr erwarten als ein monotones Miauen.

HEINRICH SACHS

Wir proben noch, Madame. Und der Termin für die Uraufführung wird tagtäglich nach hinten verschoben, um auch Ihnen eines Tages gerecht zu werden, sofern Sie geladen sind und den Preis bezahlen, der von einem privilegierten Zuhörer verlangt wird. Wir sind nicht ganz billig und nur von einem elitären Kreis zu bewundern.

FRAU B.

Dann danke ich für die öffentliche Probe und muss gleichzeitig für die Premiere ablehnen: Die Konzerte im Schlossgarten stillen ausreichend meinen Drang nach Klängen, wenn ich einmal abends wieder nach Eva Ausschau halte.

Auftritt eines Rollstuhlfahrers, der eine Katze auf seinem Schoß sitzen hat.

VÉRONIQUE TÜRK

Ist das Ihre Katze?

FRAU B.

Ja, das ist meine Eva.

Frau B. geht hinüber zum Rollstuhlfahrer und tätschelt ihre Katze, die sofort ihre eine Pfote nach oben reckt.

HEINRICH SACHS

Erstaunlich, wie selbst die Katzen in Brandenburg die deutsche Geschichte verinnerlicht haben.

FRAU B.

Ein braves Kätzchen bist du, wenn du nicht ständig ausreißen würdest.

ROLLSTUHLFAHRER

Sie kam mir am Anstieg des Hügels entgegen und hüpfte ungeniert auf meinen Schoß, als wolle sie mir, wie eine flauschige Decke, die Beine warmhalten.

VÉRONIQUE TÜRK

Dabei wird der Herr in seinen Beinen gar nichts spüren können...

HEINRICH SACHS

Mich verwundert eher die Katze, die sich zu einem Krüppel hingezogen fühlt, obwohl sie es sich zur Aufgabe gemacht hat, jüdischen Mäusen hinterherzujagen.

VÉRONIQUE TÜRK

Vielleicht war der Mann Soldat und wurde verwundet... Katzen haben ein Gespür für wahre Helden.

ROLLSTUHLFAHRER

Sie hat mir die ganze Salami von der Stulle gegessen, die ich mir als Proviant mitgebracht habe.

HEINRICH SACHS

Und für einen exquisiten Gaumen als auch einen vollen Magen können sie sogar dem Aussätzigen ohne Bedenken aus der Hand fressen.

FRAU B.

Wollen Sie die Eva mal streicheln?

HEINRICH SACHS / VÉRONIQUE TÜRK

Nein!

FRAU B.

Scheint, als ob sich die intensiven Proben langsam auszahlen würden. Komm Eva, ich bring' dich zurück in deinen Bunker, bevor diese europäischen Großstädter dich als einen sich herumtreibenden Mischlingsköter verkaufen wollen.

Frau B. nimmt die Katze vom Schoß des Rollstuhlfahrers und geht mit ihr ab.

VÉRONIQUE TÜRK

Die Aussicht ist überwältigend, nur die Ansicht passt nicht ins Bild.

HEINRICH SACHS

Hier klotzt man mit der Weitsicht, aber spart an der Einsicht, wobei diese, statt restauriert, rekonstruiert wird.

ROLLSTUHLFAHRER

Wir sind nicht alle verbittert. Ich für mein Teil werde mich gleich an der Musik erfreuen, die aus dem Schlossgarten ertönen wird. Seien Sie deshalb unbesorgt, ich werde Ihre Privatsphäre nicht stören. Normalerweise sitze ich alleine an dem Hang, aber wenn Sie sich näherkommen wollen, geben Sie einfach Bescheid, dann schließe ich meine Augen und blende die Geräusche, die nicht geblasen oder gezupft sind, bestmöglich aus.

VÉRONIQUE TÜRK