Apologetische, dogmatische und montanistische Schriften - Tertullian - E-Book

Apologetische, dogmatische und montanistische Schriften E-Book

Tertullian

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Beschreibung

Tertullian (ca. 155 n. Chr. - ca. 220 n. Chr.) war ein produktiver frühchristlicher Autor aus Karthago in der römischen Provinz Afrika. Er war der erste Schriftsteller, der ein umfangreiches Werk an lateinischer christlicher Literatur verfasste und ein frühchristlicher Apologet und Polemiker gegen Häresien, einschließlich des zeitgenössischen christlichen Gnostizismus. Tertullian wird als "Vater des lateinischen Christentums" und als "Begründer der westlichen Theologie" bezeichnet. Er schuf neue theologische Konzepte und trieb die Entwicklung der frühen kirchlichen Doktrin voran. Am bekanntesten ist er vielleicht dafür, dass er als erster Schriftsteller in lateinischer Sprache den Begriff Trinität (lateinisch: trinitas) verwendet hat. Tertullian wurde weder von der östlichen noch von der westlichen katholischen Kirche als Heiliger anerkannt. Mehrere seiner Lehren zu Themen wie der eindeutigen Unterordnung des Sohnes und des Geistes unter den Vater sowie seine Verurteilung der Wiederverheiratung von Witwen und der Flucht vor Verfolgung widersprechen den Lehren dieser Traditionen, und seine spätere Ablehnung der Orthodoxie zugunsten des Montanismus hat diese Gemeinschaften dazu veranlasst, ihn nicht als Kirchenvater zu betrachten, obwohl er ein wichtiger kirchlicher Schriftsteller war. Dieser Band beinhaltet seine wichtigsten apologetischen, dogmatischen und montanistischen Schriften.

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Seitenzahl: 737

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Apologetische, dogmatische und montanistische Schriften

 

TERTULLIAN

 

DIE SCHRIFTEN DER KIRCHENVÄTER

 

 

 

 

 

 

Apologetische, dogmatische und montanistische Schriften, Tertullian

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

86450 Altenmünster, Loschberg 9

Deutschland

 

ISBN: 9783849660895

 

Cover Design: Basierend auf einem Werk von Andreas F. Borchert, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=35892522

 

Der Text dieses Werkes wurde der "Bibliothek der Kirchenväter" entnommen, einem Projekt der Universität Fribourg/CH, die diese gemeinfreien Texte der Allgemeinheit zur Verfügung stellt. Die Bibliothek ist zu finden unter http://www.unifr.ch/bkv/index.htm.

 

www.jazzybee-verlag.de

[email protected]

 

 

INHALT:

Apologetische Schriften. 3

Apologetikum (Apologeticum)3

Arznei gegen Skorpionstich (Scorpiace)127

Vom Kranze des Soldaten (De corona militis)162

An Scapula (Ad Scapulam)189

Dogmatische Schriften. 197

Die Prozeßeinreden gegen die Häretiker (De praescriptione haereticorum)197

Montanistische Schriften. 239

Über die Ehrbarkeit (De pudicitia)239

Über die einmalige Ehe (De monogamia)321

Über das Fasten, gegen die Psychiker (De ieiunio adversus psychicos)359

 

 

Apologetische, dogmatische und montanistische Schriften

 

Bibliographische Angaben:

 

Titel Version: Apologetikum (BKV) Sprache: deutsch Bibliographie: Apologetikum/aus dem Lateinischen übersetzt von Dr. K. A. Heinrich Kellner. In: Tertullian, Apologetische, Dogmatische und Montanistische Schriften (Bibliothek der Kirchenväter, 1. Reihe, Band 24) Kempten & München 1915. Unter der Mitarbeit von: Roger Pearse.

 

Titel Version: Arznei gegen Skorpionstich (BKV) Sprache: deutsch Bibliographie: Arznei gegen Skorpionstich/aus dem Lateinischen übersetzt von Dr. K. A. Heinrich Kellner. In: Tertullian, Apologetische, Dogmatische und Montanistische Schriften (Bibliothek der Kirchenväter, 1. Reihe, Band 24) Kempten & München 1915, 183-229. Unter der Mitarbeit von: Roger Pearse und Eva-Marie Laumann.

 

Titel Version: Vom Kranze des Soldaten (BKV) Sprache: deutsch Bibliographie: Vom Kranze des Soldaten/aus dem Lateinischen übersetzt von Dr. K. A. Heinrich Kellner. In: Tertullian, Apologetische, Dogmatische und Montanistische Schriften (Bibliothek der Kirchenväter, 1. Reihe, Band 24) Kempten & München 1915, 230-263. Unter der Mitarbeit von: Roger Pearse und Eva-Marie Laumann.

 

Titel Version: An Scapula (BKV) Sprache: deutsch Bibliographie: An Scapula/aus dem Lateinischen übersetzt von Dr. K. A. Heinrich Kellner. In: Tertullian, Apologetische, Dogmatische und Montanistische Schriften (Bibliothek der Kirchenväter, 1. Reihe, Band 24) Kempten & München 1915, 264-273. Unter der Mitarbeit von: Roger Pearse und Eva-Marie Laumann.

 

Titel Version: Die Prozeßeinreden gegen die Häretiker (BKV) Sprache: deutsch Bibliographie: Die Prozeßeinreden gegen die Häretiker/aus dem Lateinischen übersetzt von Dr. K. A. Heinrich Kellner. In: Tertullian, Apologetische, Dogmatische und Montanistische Schriften (Bibliothek der Kirchenväter, 1. Reihe, Band 24) Kempten & München 1915, 303-354. Unter der Mitarbeit von: Roger Pearse und Eva-Marie Laumann.

 

Titel Version: Über die Ehrbarkeit (BKV) Sprache: deutsch Bibliographie: Über die Ehrbarkeit/aus dem Lateinischen übersetzt von Dr. K. A. Heinrich Kellner. In: Tertullian, Apologetische, Dogmatische und Montanistische Schriften (Bibliothek der Kirchenväter, 1. Reihe, Band 24) Kempten & München 1915, 375-471. Unter der Mitarbeit von: Roger Pearse und Eva-Marie Laumann.

 

Titel Version: Über die einmalige Ehe (BKV) Sprache: deutsch Bibliographie: Über die einmalige Ehe/aus dem Lateinischen übersetzt von Dr. K. A. Heinrich Kellner. In: Tertullian, Apologetische, Dogmatische und Montanistische Schriften (Bibliothek der Kirchenväter, 1. Reihe, Band 24) Kempten & München 1915, 473-519. Unter der Mitarbeit von: Roger Pearse und Eva-Marie Laumann.

 

Titel Version: Über das Fasten, gegen die Psychiker (BKV) Sprache: deutsch Bibliographie: Über das Fasten, gegen die Psychiker/aus dem Lateinischen übersetzt von Dr. K. A. Heinrich Kellner. In: Tertullian, Apologetische, Dogmatische und Montanistische Schriften (Bibliothek der Kirchenväter, 1. Reihe, Band 24) Kempten & München 1915, 519-559. Unter der Mitarbeit von: Roger Pearse und Eva-Marie Laumann.

 

 

 

 

Apologetische Schriften

 

Apologetikum (Apologeticum)

 

1. Kap. Unkenntnis des Christentums ist die Ursache, warum es gehaßt und verfolgt wird.

Ihr Spitzen der römischen Reichsregierung, die ihr an augenfälliger und erhabenster Stelle, sozusagen auf dem höchsten Punkte der Stadt den Vorsitz führt, um Recht zu sprechen, – wenn es euch nicht verstattet ist, offen zu untersuchen und vor aller Augen zu prüfen, was an der Sache der Christen Gewisses sei, – wenn eure Würde bei diesem einen Rechtsfalle allein vor einer sorgfältigen öffentlichen Rechtspflege zurückschreckt oder sich der Untersuchung schämt, – wenn endlich, wie kürzlich geschehen, bei den geheimen Prozessen im Palast1 die allzusehr beschäftigte Feindschaft gegen diese Genossenschaft der Verteidigung den Mund verschließt, – so möge es der Wahrheit vergönnt sein, wenigstens auf dem verborgenen Wege stummer Schriften zu euren Ohren zu gelangen. Sie sucht nicht durch Bitten ihre Sache zu bessern, weil sie über ihre Lage nicht einmal verwundert ist. Sie weiß wohl, daß sie als Fremdling auf Erden weilt und unter Fremden leicht Feinde findet, daß sie im übrigen aber ihre Herkunft, Heimat, Hoffnung, ihren Lohn und ihre Würde im Himmel hat. Eins nur wünscht sie für jetzt: nicht ungekannt verdammt zu werden. Was können denn hierdurch2 die Gesetze, die in ihrem eigenen Gebiete herrschen, verlieren, wenn sie Gehör erhält? Wird etwa deren Macht dadurch in höherem Glänze erstrahlen, daß man die Wahrheit sogar unverhört3 verurteilt? Wenn man sie übrigens unverhört verdammt, so wird man neben der Gehässigkeit dieses ungerechten Verfahrens sich auch noch den Verdacht zuziehen, von der Sache doch eine gewisse Kenntnis zu besitzen4, indem man nicht anhören will, was angehört man nicht verurteilen könnte.

So legen wir euch denn als ersten Beschwerdepunkt vor: den ungerechten Haß gegen den Namen „Christ“. Diese Ungerechtigkeit wird durch eben denselben Titel erschwert und bewiesen, der sie zu entschuldigen scheint, nämlich durch die Unkenntnis. Denn was ist ungerechter als hassen, was man nicht kennt, gesetzt auch, es verdiente Haß? Eine Sache verdient erst dann Haß, wenn man erkennt, ob sie ihn verdient. Fehlt die Erkenntnis, ob der Haß ein verdienter sei, womit wird dann die Gerechtigkeit des Hasses dargetan? Dieselbe ist ja doch nicht aus dem Ausgang, sondern aus der genauen Kenntnis der Sache zu erweisen. Wenn man also deswegen haßt, weil man nicht weiß, wie der Gegenstand, den man haßt, beschaffen ist, warum sollte er denn nicht so beschaffen sein können, daß man ihn nicht hassen darf?! So überführen wir sie des einen durch das andere, daß sie in Unkenntnis sind, wenn sie Haß hegen, als auch, daß ihr Haß ein ungerechter sei, wenn sie sich in Unkenntnis der Sache befinden. Beweis für ihre Unkenntnis, durch welche die Ungerechtigkeit, wenn sie sich damit entschuldigt, erst recht verdammlich wird, ist der Umstand, daß alle, die ehedem, weil sie in Unkenntnis waren, sich dem Hasse überließen, aufhören zu hassen, sobald ihre Unwissenheit aufhört. Aus solchen werden die Christen, sicherlich nach genauer Prüfung, und sie fangen an zu hassen, was sie früher waren, und zu bekennen, was sie haßten, und ihre Zahl ist gerade so groß, als, was ihr mit Unwillen bemerkt, groß unsere Zahl ist5. Die Stadt, schreit man, sei ganz damit erfüllt, auf dem Lande, in den Burgflecken, auf den Inseln seien Christen, man beklagt es als einen Nachteil, daß Leute jeden Geschlechts, jeden Alters und Standes, ja sogar Leute von Rang zu diesem Bekenntnis übergehen. Und doch erhebt man sich infolgedessen auch nicht einmal dazu, in ihm irgendeinen verborgenen Vorzug zu vermuten. Man darf nicht richtiger denken, man darf es nicht näher erforschen; hier allein bleibt der Wissenstrieb der Menschen untätig; man gefällt sich darin, unwissend zu bleiben, während andere sich der gewonnenen Erkenntnis freuen. Um wieviel mehr hätte Anacharsis6 diese gebrandmarkt, weil sie als Unkundige über Kundige zu Gericht sitzen wollen. Sie wollen lieber in Unkenntnis verharren, weil sie schon von Haß erfüllt sind. Somit sprechen sie im voraus das Urteil aus7, die Sache sei derart, daß sie, wenn sie sie kennten, sie sie nicht zu hassen vermöchten, weil, wenn kein Grund für den Haß gefunden wird, es dann, jedenfalls das beste ist, den ungerechten Haß aufzugeben, wenn aber die Schuld ausgemacht ist, dann der Haß nicht nur nichts verliert, sondern dazu noch zu seiner Fortdauer der Ruhm der Gerechtigkeit erworben wird8.

Doch, sagt man, eine Sache wird noch nicht deswegen im voraus als gut beurteilt, weil sie Anziehungskraft für die Leute besitzt; denn wie viele lassen sich zum Schlechten verbilden, wie viele laufen der Verkehrtheit in die Arme! – Wer kann das leugnen? Allein, was wirklich schlecht ist, das wagen auch nicht einmal diejenigen, welche sich haben anlocken lassen, als gut zu verteidigen. Alles Schlechte hat die Natur mit Furcht und Scham übergössen. So wünschen z. B. die Übeltäter, verborgen zu bleiben, sie meiden die Augen der Leute, sie zittern bei ihrer Ergreifung, leugnen bei der Anschuldigung, bekennen nicht einmal auf der Folter leicht und jedesmal, sie trauern sicherlich bei ihrer Verurteilung, sie durchgehen unter Vorwürfen gegen sich selbst ihr früheres Leben, die moralische Schwäche ihres verderbten Charakters schreiben sie dem Fatum oder den Sternen zu9. Denn sie wollen nicht, daß ihnen angehöre, was sie als schlecht erkennen. Beim Christen aber findet sich nichts Ähnliches. Keiner von ihnen empfindet Scham, keiner Reue, als darüber, nicht schon früher Christ geworden zu sein. Wenn er angezeigt wird, rühmt er sich; wenn er angeklagt wird, verteidigt er sich nicht; wenn er verhört wird, bekennt er von selbst; wenn er verurteilt wird, dankt er. Was kann« da Böses sein, wo die natürlichen Kennzeichen des Bösen fehlen? Furcht, Scham, Leugnen, Reue und Trauer? Ist das etwas Böses, worüber der Angeklagte sich freut? Wo angeklagt zu werden Gegenstand des Verlangens ist und die Verurteilung als Sieg10 gilt? Du darfst das nicht Wahnsinn nennen, was nicht zu kennen du überführt bist.

 

2. Kap. Das von den Obrigkeiten gegen die Christen eingehaltene Verfahren verstößt gegen die Prozeßordnung und die Rechtsprinzipien.

Wenn es gewiß ist, daß wir so große Verbrecher sind, warum werden wir von euch anders behandelt als unseresgleichen, die übrigen Verbrecher? Es müßte bei gleicher Schuldbarkeit doch auch die gleiche Behandlung eintreten. Mögen wir nun auch immer gehalten werden, wofür man will – wenn andere dafür gehalten werden, so bedienen sie sich der eigenen und bezahlten Verteidigungsrede, um ihre Unschuld zu beweisen; sie dürfen sich verantworten und für ihre Sache streiten, weil es ja durchaus nicht erlaubt ist, jemanden ohne Verteidigung und Verhör zu verurteilen. Den Christen allein erlaubt man nicht, die Aussagen zu machen, wodurch ihre Sache entlastet, die Wahrheit verteidigt und es dem Richter möglich gemacht wird, nicht ungerecht zu sein, sondern man wartet einzig auf das, was der allgemeine Haß für allein wesentlich hält, nämlich nicht auf die Untersuchung über das Verbrechen, sondern auf das Bekenntnis zu jenem Namen. Wenn ihr hingegen über irgendeinen Verbrecher zu erkennen habt, mag er sich auch – um bei unsern Titulaturen zu bleiben – zu der Schuldbezeichnung: Mörder, Religionsverbrecher, Blutschänder oder Hochverräter bekannt haben, so begenügt ihr euch nicht damit und sprecht ohne weiteres das Urteil, sondern ihr forscht auch nach den damit zusammenhängenden Dingen, nach der Beschaffenheit der Tat, nach Zahl, Ort, Zeit, Mitwissern und Mitschuldigen. In Betreff unser findet nichts derart statt, obwohl man bei den gegen uns erhobenen falschen Anschuldigungen es gerade so gut herauspressen müßte, wieviel Kindsmorde ein jeder schon hinuntergeschlungen habe, wie viele Mal er zur Blutschande dunkel gemacht, wer als Koch und welche Hunde dabei gewesen seien. Welcher Ruhm wäre es für einen Präsidenten, einen ausfindig gemacht zu haben, der schon hundert Kinder gefressen hätte!

Im Gegenteil, wir finden, daß sogar das Nachforschen nach uns verboten ist. Als nämlich Plinius Secundus seine Provinz verwaltete und einige Christen verurteilt hatte, andere aber zu Falle gekommen waren11, fragte er, durch ihre Menge in Verlegenheit gesetzt, beim Kaiser Trajan an, was er in Zukunft tun solle, indem er beifügte, daß er außer dem Eigensinn, nicht opfern zu wollen, in Betreff ihres Religionswesens12 weiter nichts habe in Erfahrung bringen können, als Versammlungen, die zur Zeit der Morgendämmerung gehalten würden zu dem Zwecke, Christus als Gott Lob zu singen und die gemeinsame Sittenzucht zu befestigen, zufolge welcher Mord, Ehebruch, Betrug, Verrat und sonstige Verbrechen verboten seien. Da schrieb Trajan zurück, diese Art Leute sei nicht aufzusuchen, aber wenn sie angezeigt würden, zu bestrafen. Eine Entscheidung, die unvermeidlich verworren ausfallen mußte! Er sagt, wie bei Unschuldigen, man solle nicht auf sie fahnden, und befiehlt, sie doch, gleich Schuldigen, zu bestrafen! Er schont und wütet, er vertuscht und straft! Warum, o Zensur, umgarnst du dich selbst?13 Wenn du verdammst, warum läßest du nicht auch fahnden? Wenn du nicht fahnden läßest, warum sprichst du nicht auch frei? Zur Aufsuchung der Räuber wird in allen Provinzen eine Abteilung Soldaten beordert, gegen Majestätsverbrecher und Hochverräter wird jedermann zum Soldaten, bis auf die Helfer und Mitwisser wird die Nachsuchung ausgedehnt. Den Christen allein darf man nicht aufsuchen, wohl aber denunzieren, als ob die Aufsuchung etwas anderes bezweckte, als vor Gericht zu stellen. Ihr verurteilt also den Denunzierten, den doch niemand aufgesucht wissen wollte. Die Strafe also, so muß ich denken, hat er nicht deswegen verdient, weil er schuldig ist, sondern weil er als ein solcher erfunden wurde, auf den man nicht fahnden darf14.

Aber auch in dem Punkte behandelt ihr uns nicht nach den Formalitäten des Kriminalprozesses, daß ihr bei andern Verbrechern, wenn sie leugnen, die Folter anwendet, um sie zum Geständnis zu bringen, bei den Christen allein aber dazu, damit sie leugnen. Und doch, läge ein Verbrechen vor, so würden wir ganz gewiß uns aufs Leugnen verlegen, ihr aber würdet bemüht sein, uns durch die Folter zum Geständnis zu bringen. Denn ihr könnt unmöglich der Ansicht sein, von dem peinlichen Verfahren zur Ermittlung der Verbrechen sei deshalb abzusehen, weil ihr der festen Überzeugung seid, daß sie infolge des Bekennens zu diesem Namen begangen werden, da ihr doch aus einem Mörder, der bekannt hat, obwohl ihr recht gut wisset, was ein Mord ist, trotzdem jeden Tag auch noch den Hergang des Verbrechens herauszubringen sucht. Um wieviel ungerechter handelt ihr nun, wenn ihr uns, bei denen ihr schon infolge des Bekennens zu jenem Namen das Vorhandensein von Verbrechen voraussetzt, durch die Folter zwingen wollt, von dem Bekenntnis abzulassen und so mit Verleugnung des Namens in gleicher Weise auch die Verbrechen abzuleugnen, die ihr wegen des bloßen Bekenntnisses zu jenem Namen schon als vorhanden voraussetztet.

Aber vielleicht, dünkt mich, ist es nicht euer Wille, daß wir, die ihr für die schlechtesten Menschen haltet, umkommen. Denn so pflegt ihr zum Mörder zu sagen: „Leugne“, vom Religionsverbrecher, er müsse zerfleischt werden, wenn er bei dem Bekenntnis verharrt15. Wenn ihr an Verbrechern nicht in dieser Weise handelt, so gebt ihr uns damit die Erklärung, daß wir unschuldig sind. Denn wie bei ganz Unschuldigen wollt ihr nicht, daß wir in einem Bekenntnis verharren, welches ihr nicht aus gerechten Ursachen, sondern nur notgedrungen verurteilen zu müssen glaubt. Es ruft jemand aus: „Ich bin ein Christ!“ Er sagt, was er ist. Du – willst hören, was er nicht ist. Ihr, die ihr als Vorsitzende bestellt seid, um die Wahrheit herauszubringen, von uns allein bemüht ihr euch Lügen zu hören. „Ich bin“, sagt jener, „das, wovon du erforschen willst, ob ich es bin. Was folterst du mich ungerechter Weise?16 Ich bekenne und du folterst mich?! Was hättest du also getan, wenn ich geleugnet hätte?“ Fürwahr! Wenn andere leugnen, so messet ihr ihnen nicht leicht Glauben bei; – uns glaubt ihr, wenn wir geleugnet haben, sogleich.

Es sollte euch bei diesem völlig ungerechten Verfahren der Verdacht aufsteigen, ob nicht im geheimen irgendeine Macht17 verborgen liege, die euch gegen alle Form, gegen das Wesen des Gerichtsverfahrens, ja gegen die Gesetze selbst zu handeln treibt. Wenn ich nicht irre, so befehlen die Gesetze, die Übeltäter ans Licht zu bringen, nicht sie versteckt zu halten, und schreiben vor, die Geständigen zu bestrafen, nicht aber sie freizusprechen. Dies bestimmen die Senatsbeschlüsse, dies die Verordnungen der Kaiser. Unser Staatswesen, dessen Diener ihr seid, ist eine zivilisierte Regierungsform, keine Tyrannenherrschaft. Denn bei den Tyrannen wurde die Folter auch als Strafe angewandt, bei uns18 ist ihre Anwendung auf das Verhör beschränkt. Beobachtet nur in Bezug auf sie19 eure eigene, gesetzliche Vorschrift, wonach sie nur bis zum Geständnis notwendig ist. Kommt das Geständnis ihr zuvor, so wird sie unterbleiben; dann ist die Sentenz am Platze. An dem Schuldigen muß die verdiente Strafe vollzogen, er darf derselben nicht entzogen werden. Überhaupt wünscht niemand dessen Freisprechung; es ist nicht einmal erlaubt, sie zu wünschen. Deshalb wird auch niemand zum Ableugnen gezwungen. Den Christen aber hält man für einen Menschen, der sämtlicher Verbrechen schuldig ist, für einen Feind der Götter, Kaiser, Gesetze, Sitten, ja der ganzen Natur und – man zwingt ihn zu leugnen, um ihn dann frei zu sprechen, ihn, den man nicht würde freisprechen können, außer wenn er geleugnet hat! Man setzt sich über die Gesetze hinweg. Man will, daß er seine Schuld leugne, um ihn schuldlos zu machen, und zwar gegen seinen Willen und sogar auch noch hinsichtlich der Vergangenheit! Woher kommt eine solche große Verkehrtheit, daß ihr nicht einmal das bedenket, einem, der freiwillig bekennt, sei eher zu glauben, als einem, der gezwungen leugnet, und nicht befürchtet, ob nicht etwa, wer gezwungen ableugnet, ohne Überzeugung ableugne, freigesprochen auf der Stelle nach eurer Gerichtssitzung sich über euren Haß lustig macht und wieder Christ ist?

Da ihr mit uns also in allen Stücken anders verfahrt als mit den übrigen Verbrechern und nur das eine anstrebt, daß wir jenes Namens verlustig werden – wir gehen desselben nämlich verlustig, wenn wir tun, was die Nichtchristen tun –, so könnt ihr daraus ersehen, daß kein Verbrechen zum Prozeß steht, sondern es sich um einen Namen handelt, welcher verfolgt wird durch ein gewisses, ihm feindselig entgegenwirkendes Prinzip20, das in erster Linie das bezweckt, daß die Leute nicht den Willen haben möchten, mit Gewißheit etwas zu erkennen, wovon sie mit Gewißheit erkennen, daß sie es nicht kennen. Daher glauben sie auch in Betreff unser Dinge, die nicht bewiesen werden, wollen von einer Nachforschung nichts wissen, damit nicht bewiesen werde, daß die Dinge gar nicht existieren, welche sie für glaublich zu halten belieben, und so wird der jener feindseligen Macht so verhaßte Name auf bloß angenommene, nicht bewiesene Anschuldigungen hin, auf das bloße Bekennen zu ihm verurteilt. Deshalb werden wir gefoltert, obwohl wir bekennen, bestraft, wenn wir verharren, und freigesprochen, wenn wir ableugnen, weil es ein „Krieg gegen den Namen“ ist. Zum Schluß endlich21, weshalb laßt ihr von der Schuldtafel ablesen22, der N. N. sei ein Christ? Warum nicht auch, er sei ein Mörder, wenn der Christ ein Mörder ist? Warum nicht auch, er sei ein Blutschänder und das, was ihr sonst von uns noch glaubt? Bei uns allein schämet und scheut ihr euch, die Verbrechen mit ihrem Namen (im Schuldprotokoll) öffentlich bekannt zu machen. Wenn das Wort „Christ“ kein Name für irgendein Verbrechen ist, so ist es höchst albern, wenn es „das Verbrechen des bloßen Namens“ ist23.

 

3. Kap. Von dem allgemeinen Hasse gegen den Namen „Christ“ vermögen sich die Heiden selbst keinen vernünftigen Grund anzugeben.

Was soll man dazu sagen, daß manche so mit geschlossenen Augen in den Haß gegen diesen Namen hineinrennen, daß sie, auch wenn sie jemand ein gutes Zeugnis geben, als Vorwurf beifügen, daß er ihn trägt? „Cajus Sejus ist ein braver Mann, nur daß er ein Christ ist.“ Ähnlich ein anderer: „Ich wundere mich, daß Lucius Titius, der doch ein verständiger Mann ist, auf einmal Christ geworden ist!“ Niemandem kommt das Bedenken, ob nicht Cajus etwa gerade deshalb brav und Lucius deshalb klug ist, weil er ein Christ, oder deshalb Christ, weil er gut und klug ist. Man lobt, was man kennt, und tadelt, was man nicht kennt, und zieht gegen das, was man kennt, los mit dem, was man nicht kennt, da es doch gerechter wäre, ein Urteil über geheime Dinge auf Grund von offenkundigen zu fällen, als offenkundige Dinge im voraus zu verdammen auf Grund von etwas Unbekanntem. Andere brandmarken die, welche sie früher vor der Annahme dieses Namens als unstete, gemeine, gottlose Menschen kannten, durch denselben Namen, durch den sie sie loben24; in blindem Hasse verfallen sie auf das Urteil: „Dieses Weib da! Wie ausgelassen, wie vergnügungssüchtig war sie! Dieser Jüngling da! Wie ausschweifend, wie verbuhlt war er! Sie sind Christen geworden.“ So wird ihrer Besserung der Name als eine Schuld zugerechnet. Manche verkaufen sich sogar diesem Hasse auf Kosten ihres eigenen Nutzens und lassen sich den Schaden gern gefallen, wenn sie das nur nicht im Hause haben, was sie hassen. Der Ehemann, der jetzt nicht mehr eifersüchtig zu sein braucht, verstößt seine nunmehr züchtig gewordene Gattin, der früher so geduldige Vater enterbt einen nunmehr gehorsamen Sohn, der früher so nachsichtige Herr verweist den nun treu gewordenen Sklaven von seinem Angesicht. Sobald sich jemand unter dieser Bezeichnung bessert, stößt er an. So hohen Wert hat kein Gut – es wird aufgewogen durch den Haß gegen die Christen.

Wenn es also nun der Haß gegen den Namen ist, welche Schuld können denn Namen haben, wessen können Worte angeklagt werden? Höchstens, daß der Klang eines Namens barbarisch sei oder Unglück verkündend laute, eine Verwünschung enthalte oder schamlos sei. Der Name Christ aber wird, was seine Etymologie angeht, von Salben hergeleitet. Und auch, wenn er von euch falsch Chrestianus ausgesprochen wird – denn selbst den Namen kennt ihr noch nicht einmal genau –, so schließt er den Begriff Milde und Güte in sich25. Man haßt also an ganz schuldlosen Menschen auch noch einen ganz unschuldigen Namen, Aber, so erwidert ihr26, die Genossenschaft wird gehaßt, natürlich in dem Namen ihres Stifters. – Ist das denn etwas Neues, wenn eine Lehre ihren Anhängern eine vom Lehrer hergenommene Benennung beilegt? Nennen sich nicht die Philosophen nach ihren Häuptern Platoniker, Epikuräer, Pythagoräer, oder sogar von ihren Versammlungs- und Standorten Stoiker und Akademiker? Nicht auch die Ärzte nach Erasistratus, die Grammatiker nach Aristarchus und sogar die Köche nach Apicius? Und doch stößt sich niemand an dem Bekenntnis zu einem Namen, der sich mitsamt der Institution vom Urheber herschreibt. Allerdings, wenn jemand nachweist, daß der Stifter schlecht und die Genossenschaft schlecht ist, so weist er auch die Schlechtigkeit und Hassenswürdig-keit des Namens damit nach, infolge des schlechten Charakters der Schule und des Stifters. Und daher hätte es sich gehört, bevor man den Namen verabscheut, den Charakter der Schule an ihrem Urheber oder den Charakter ihres Urhebers an der Schule zu prüfen. Nun aber wird ohne Untersuchung und Erkenntnis beider der Name festgenommen, der Name bekämpft, und für die noch unbekannte Schule wie den noch unbekannten Stifter liegt schon in dem bloßen Worte zum voraus eine Verurteilung, bloß weil sie so genannt, nicht weil sie überführt werden.

 

4. Kap. Ob das Bestehen der christlichen Religion gegen die Staatsgesetze sei. Der Wert oder Unwert menschlicher Gesetze hängt von ihrer Zweckmäßigkeit und Moralität ab.

Nachdem ich somit dies, um die Ungerechtigkeit des öffentlichen Hasses gegen uns zu brandmarken, gleichsam als Vorrede vorausgeschickt habe, will ich nunmehr für unsere Unschuld den Beweis antreten, und zwar werde ich nicht bloß widerlegen, was uns vorgeworfen wird, sondern es auch auf die zurückschleudern, welche es uns vorwerfen, damit die Leute auch daraus erkennen, daß bei den Christen sich nicht findet, was sich bei ihnen selbst, nicht ohne ihr Wissen27, wirklich findet, und damit sie zugleich darüber erröten, daß sie als ganz schlechte Menschen anklagen, ich will nicht sagen die besten, sondern ihresgleichen, wie sie es haben wollen. Wir werden im einzelnen auf das antworten, was wir im geheimen verüben sollen, und was man als offen verübt28 bei uns findet, worin wir für Verbrecher, und worin wir für Toren, worin wir für strafbare und worin wir für lächerliche Menschen gehalten werden.

Indessen, da der von uns vertretenen Wahrheit, weil sie allen Anklagen zu begegnen weiß, zuletzt die Autorität der Gesetze entgegen gehalten und entweder gesagt wird, nach Erlaß der Gesetze dürfe keine Verhandlung weiter statthaben, oder dem notwendigen Gehorsam müsse selbst wider Willen vor der Wahrheit der Vorzug eingeräumt werden, so will ich zuerst in Betreff der Gesetze mit euch, als ihren Schutzherrn, in den Streit eintreten29, Erstens, wenn ihr nach dem Recht30 die Entscheidung fällt und sagt: „Es ist euch nicht erlaubt zu existieren“, und wenn ihr dies ohne jede weitere Untersuchung, die doch menschenwürdiger wäre, einfach als Präjudiz aufstellt, so proklamiert ihr die Gewalt und eine ungerechte Tyrannenherrschaft, wie von einer Zwingburg herunter, wenn ihr das „Erlaubtsein“ (unsere Existenzberechtigung) deshalb verneint, weil ihr es nicht wollt, nicht weil es (moralisch) nicht gestattet werden darf. Gesetzt aber, ihr wolltet es deshalb nicht gestatten, weil es nicht erlaubt werden dürfe, so unterliegt der Grundsatz keinem Zweifel, daß nur das nicht erlaubt werden darf, was schlecht ist, und eben dadurch ist der Schluß auf die Erlaubtheit dessen, was gut ist, gestattet. Wenn ich finde, daß gut ist, was das Gesetz verboten hat, so kann es – infolge des obigen Schlusses – mich unmöglich daran hindern, woran es mich von Rechtswegen hindern würde, wenn es etwas Schlechtes wäre. Wenn dein Gesetz geirrt hat, so ist es, meine ich, von einem Menschen verfaßt; es ist ja doch nicht vom Himmel gefallen.

Wundert ihr euch etwa, daß ein Mensch bei Erlaß eines Gesetzes sich habe irren können, oder daß er, wieder zur richtigen Einsicht gekommen, es verworfen habe? Hat nicht die Verbesserung der Gesetze sogar des Lykurg, welche die Lazedämonier vornahmen, ihrem Urheber solchen Schmerz verursacht, daß er in freiwilliger Verbannung sich selbst zum Tothungern verurteilte? Durchwühlet und fället ihr denn nicht, da neue Erfahrungen täglich die Dunkelheiten des Altertums erleuchten, jenen ganzen alten und wuchernden Wald von Gesetzen mit den neuen Äxten kaiserlicher Re-skripte und Edikte? Hat nicht kürzlich der charakterfeste Kaiser Severus die nichtsnutzigen Papischen Gesetze, welche früher Kinder zu haben gebieten, als die Julischen Gesetze zu heiraten vorschreiben, nach so langer Geltung aufgehoben? Doch es war ja früher Gesetz, daß die Verurteilten31 von ihren Gläubigern in Stücke geschnitten wurden, und dennoch wurde später mit allgemeiner Zustimmung diese Grausamkeit abgeschafft und die Todesstrafe in eine Strafe der Infamie verwandelt. Der angewandte Zwangsverkauf der Güter wollte lieber einem Menschen das Blut ins Gesicht treiben, als es vergießen. Wie viele Gesetze, die ihr verbessern müßtet, sind auch jetzt noch unbemerkt vorhanden! Gesetzen nämlich dient weder die Zahl ihrer Jahre, noch die hohe Stellung ihrer Urheber zur Empfehlung, sondern allein die Billigkeit32. Daher werden sie, sobald sie als ungerecht erkannt sind, mit Recht verurteilt, obwohl sie selbst verurteilen. – Wie wir sie für ungerecht erklären können?! – Sogar für einfältig, wenn sie nämlich einen bloßen Namen bestrafen; wofern aber Taten, so frage ich, warum bestrafen sie denn an uns auf Grund des bloßen Namens Taten, die sie an ändern nur dann ahnden, wenn sie als wirklich begangen erwiesen sind, nicht wenn sie auf Grund eines Namens als erwiesen angesehen werden? Bin ich ein Blutschänder, warum untersucht man es nicht? Bin ich ein Kindsmorder, warum foltert man mich nicht? Habe ich gegen die Götter oder gegen die Kaiser etwas verbrochen, warum hört man mich nicht an, obwohl ich mich zu verteidigen imstande bin? Kein Gesetz verwehrt, zu untersuchen, was es zu begehen verbietet, weil einerseits kein Richter gerechter Weise straft, wenn er noch nicht erkannt hat, daß etwas Unerlaubtes begangen worden sei, und andererseits kein Bürger dem Gesetze getreulich gehorcht, wenn er nicht weiß, von welcher Art das ist, was das Gesetz ahndet. Kein Gesetz schuldet sich allein das Bewußtsein von seiner Gerechtigkeit, sondern denen, von welchen es Gehorsam erwartet. Übrigens, ein Gesetz ist verdächtig, wenn es sich nicht prüfen lassen will; nichtswürdig aber ist es, wenn es, der Gerechtigkeit nicht würdig befunden33, tyrannisiert.

 

5. Kap. Prüfung der Gesetze gegen die Christen. Der Umstand, daß nur schlechte Kaiser Gesetze gegen die Christen erließen, erweckt eine ungünstige Meinung über deren Wert.

Um über den Ursprung solcher Gesetze etwas beizubringen, so gab es ein altes Dekret, kein Kaiser solle einen Gott einführen außer mit Billigung des Senates. Das hat M. Aemilius erfahren mit seinem Gotte Alburnus34. Es gereicht unserer Sache auch der Umstand, daß bei euch die Gottheit von menschlichem Gutdünken abhängt, zum Vorteil. Wenn der Gott dem Menschen nicht zusagt, so wird er kein Gott. Bald wird der Mensch Gott gnädig sein müssen. Tiberius also, zu dessen Zeit der Christenname in der Welt aufkam, berichtete über die ihm aus dem palästinensischen Syrien überbrachten Tatsachen, durch welche daselbst die Wahrheit in Betreff dieser in Frage stehenden35 Gottheit geoffenbart worden war, an den Senat und gab als erster seine Stimme zu Gunsten derselben ab. Der Senat verwarf sie, weil er sie nicht selbst geprüft hatte; der Kaiser blieb aber bei seiner Meinung und drohte den Anklägern der Christen mit Nachteilen. Befragt eure Archive, dort werdet ihr finden, daß zuerst Nero das kaiserliche Schwert gegen diese Genossenschaft, als sie in Rom auftrat, wüten ließ. Daß ein solcher Mensch mit unserer Verdammung den Anfang machte, ist sogar ein Ruhm für uns. Denn wer ihn kennt, wird zu ermessen imstande sein, daß das, was ein Nero verdammt hat, gewiß nur ein sehr großes Gut sein konnte. Auch Domitian, an Grausamkeit ein halber Nero, versuchte es; aber weil er doch wenigstens noch ein Mensch war, so unterdrückte er schnell das Beginnen und rief sogar die von ihm Verbannten zurück. Solche Menschen waren unsere Verfolger, immer waren es Ungerechte, Ruchlose, Wollüstlinge. Ihr selbst seid gewohnt, sie zu verdammen, und ihr pflegt die von ihnen Verurteilten zu begnadigen. Hingegen zeigt uns aus der langen Reihe ihrer Nachfolger bis auf den heutigen Tag, unter den Kaisern, die in göttlichen und menschlichen Dingen weise waren, auch nur einen einzigen Christenverfolger! Wir aber können sogar unter ihnen einen Beschützer aufweisen, wenn man die Briefe des so würdevollen Kaisers Marc Aurel nachsähe, worin derselbe bezeugt, daß jener bekannte Wassermangel in Germanien durch einen Regen, der vielleicht durch das Gebet der Christen erlangt war, beendigt wurde. Befreite er gleich diese Klasse von Leuten nicht öffentlich von der Strafe, so annullierte er sie doch öffenllich auf andere Weise, indem er auch für die Angeber eine Strafe hinzufügte, und zwar eine schlimmere. Was sind das also für Gesetze, welche bloß die Gottlosen, die Ungerechten, die Schand-menschen, die Toren und Wahnsinnigen gegen uns in Vollzug setzen, welche ein Trajan aber zum Teil umging, indem er das Aufsuchen der Christen verbot, welchen ein Vespasian, obwohl Bezwinger der Juden, ein Hadrian, obwohl sonst ein beflissener Nachspürer aller Dinge, ein Pius, ein Verus keinen Nachdruck gab!36 Schlechte Menschen wären doch sicher eher von den besten, ihren natürlichen Widersachern, als von gleich-gesinnten Genossen zur Ausrottung verurteilt worden.

 

6. Kap. Geschichte und eigene Erfahrung lehren, daß Gesetze auch aufgehoben werden können und oft aufgehoben worden sind.

Nun sollten, wünschte ich, diese ehrfurchtsvollen Wächter und Rächer der Gesetze und Einrichtungen der Vorfahren sich ihrerseits hinsichtlich ihrer Treue, ihrer Ehrerbietigkeit und ihres Gehorsams gegen die Beschlüsse der Vorfahren verantworten, ob sie keinen verlassen, ob sie von keinem abgewichen, ob sie nicht gerade die Dinge, die zur Erhaltung der Sittlichkeit notwendig und die geeignetsten waren, aufgehoben haben. Wohin sind denn jene Gesetze gekommen, die den Aufwand und den Ehrgeiz einschränkten, wodurch verordnet wurde, nicht mehr als hundert Aß zu einer Mahlzeit zu verwenden, und auch nicht mehr als eine einzige Henne aufzutragen, und zwar eine ungemästete, wodurch ein Patrizier, weil er zehn Pfund Silbergeschirr gehabt hatte, aus dem Senate ausgestoßen wurde, weil man darin einen großen Schuldtitel des Ehrgeizes erblickte, wonach die Theater, die entstanden, um die Sitten zu korrumpieren, sogleich zerstört wurden, und welche nicht gestatteten, die Abzeichen von Würden und Adel sich vermessen und ungestraft anzumaßen? Denn ich finde, daß diese Hunderter-Gastmähler jetzt diese Benennung bekommen müßten nach den Hunderttausenden von Sesterzen, und daß das Silbermetall zu großen Schüsseln verarbeitet wird nicht für Senatoren – das wäre noch nichts –, sondern für Freigelassene oder sogar für solche, auf denen noch Peitschen zerschlagen werden37. Ich sehe auch, was die Theater anlangt, daß nicht einmal mehr eins oder unbedeckte genügen. Für die Spiele also, damit die schamlose Lust von der Winterkälte nicht leide, haben die Lazedämo-nier zuerst den Gebrauch der schwerfälligen Mäntel erfunden38. Ich sehe auch, daß zwischen ehrbaren Matronen und Dirnen kein Unterschied mehr in der Kleidung geblieben ist. In Betreff der Frauen sind auch jene Anordnungen der Vorfahren, wodurch die Sittsamkeit und Mäßigkeit geschützt wurde, gefallen, indem nämlich keine Gold kannte, außer für einen einzigen Finger, den der Bräutigam sich mit dem Trauring verpfändete, und indem die Weiber sich bis zu dem Grade des Weines enthielten, daß eine Matrone wegen Öffnung der Behälter im Weinkeller von den Ihrigen durch Hunger getötet wurde. Unter Romulus aber wurde eine, die den Wein angerührt hatte, von ihrem Ehemann Metennius ungestraft umgebracht. Daher mußten sie auch ihre Verwandten mit einem Kusse begrüßen, damit man sie nach dem Atem beurteilen könne. Wo ist jenes, sicher nur aus der Sittlichkeit erblühte Glück der Ehen, daß fast sechshundert Jahre hindurch, von Gründung der Stadt Rom an, keine Frau einen Scheidebrief schrieb? Jetzt hingegen ist bei den Weibern kein Glied von Gold unbelastet und von Weingeruch kein Kuß frei, die Scheidung aber ist bereits Gegenstand der Wünsche, gleichsam wie eine natürliche Folge der Ehe. Auch hinsichtlich eurer Götter selbst habt ihr, was eure Väter mit Bedacht dekretiert hatten, aufgehoben, ihr gehorsamen Leute. Den Vater Liber mit seinen Mysterien hatten die Konsuln auf Senatsgutachten nicht bloß aus der Stadt Rom, sondern sogar aus ganz Italien verbannt. Den Serapis, die Isis und den Arpokrates mit seinem Hundskopf, die nicht auf das Kapitol gebracht werden durften, d. h. aus der Ratsversammlung der Götter ausgeschlossen waren, haben die Konsuln Piso und Gabinius – sicher keine Christen – sogar nach Zerstörung ihrer Altäre entfernt, um die aus schändlichem und müßigem Aberglauben hervorgehenden Laster zu verhindern. Diese habt ihr wieder eingesetzt und ihnen die höchste Majestät verliehen. Wo ist die Pietät, wo die Verehrung, die ihr den Vorfahren schuldig seid? In Kleidung, Lebensweise, Hauseinrichtung, Sinnesart, selbst in der Sprache habt ihr euch von den Vorvätern losgesagt. Ihr lobt immer das Altertum, lebt aber Tag für Tag auf eine neue Weise. Daraus geht hervor, daß ihr, indem ihr von den guten Einrichtungen der Vorfahren abweichet, das beibehaltet und bewahret, was ihr nicht solltet39, da ihr das nicht bewahrt, was ihr solltet. Und selbst, was den Punkt betrifft, den ihr als von den Vätern überkommen am treuesten zu beobachten scheint und worin ihr vorzugsweise die Christen als Übertreter bezeichnet, den Eifer in der Verehrung der Götter, worin das Altertum gerade am meisten geirrt hat, so wird er von euch, wie ich seines Ortes zeigen will, gänzlich verachtet und vernachlässigt und gegen das Ansehen der Vorfahren zerstört, obwohl ihr dem nunmehr römisch gewordenen Serapis seine Altäre wieder aufgerichtet habt, und obwohl ihr dem nunmehr italienischen Bacchus eure Raserei opfert. Denn nunmehr beabsichtige ich auf jene bekannte beschimpfende Anklage wegen der geheimen Verbrechen zu antworten, um mir den Weg zu jenen freizumachen, welche mehr der Öffentlichkeit angehören40.

 

7. Kap. Daß bei den Christen thyesteische Mahlzeiten und Blutschande geübt werden, ist noch niemals nachgewiesen worden, sondern reine Erfindung der Fama.

Wir werden große Verbrecher genannt wegen des in Kindermord bestehenden Geheimkultus und des davon bereiteten Mahles und der auf das Mahl folgenden-Blutschande, zu der die Hunde, die das Licht umstürzen, als Kuppler der Finsternis zur Beschwichtigung der Scheu über die ruchlose Lust uns die Gelegenheit bereiten. Man sagt uns das in einem fort nach, und doch sorgt ihr nicht dafür, gerichtlich das zu ermitteln, was man uns schon so lange nachsagt. Folglich ermittelt es entweder, wenn ihr es glaubt, oder glaubt es nicht, wenn ihr es nicht ermittelt! Eure eigene Nachlässigkeit erhebt gegen euch die Prozeßeinrede, daß gar nicht existiere, was ihr nicht zu ermitteln wagt. Ihr stellt dem Folterknecht eine ganz andere Aufgabe bei den Christen: sie sollen nicht sagen, was sie tun, sondern verleugnen, was sie sind.

Die Entstehung unserer Lehre datiert, wie wir schon gesagt haben, von Tiberius an. Mit Verhaßtsein begann die Wahrheit. Sobald sie erschien, wurde sie als Feindin behandelt. Alle, die ihr fremd waren, waren auch ihre Feinde, und zwar im eigentlichen Sinn des Wortes aus Feindseligkeit die Juden, um der Gelderpressung willen die Soldaten, aus natürlichen Ursachen auch unsere Hausgenossen selbst. Täglich werden wir umlagert, täglich verraten, selbst bei unsern Versammlungen und Zusammenkünften häufig überfallen. Wer hat dabei jemals das weinende Kind erwischt? Wer hat die blutigen Zyklopen- und Sirenenschädel dem Richter, wie er sie gefunden, aufbewahrt? Oder wer hat bei seiner Gattin jemals unreine Spuren entdeckt? Wer hätte solche Schandtaten, wenn er sie vorgefunden, verheimlicht oder sie sich abkaufen lassen, während er die Täter selbst vor Gericht zog? Wenn wir uns immer verborgen halten41, so frage ich, wann ist denn verraten worden, was wir treiben? Oder vielmehr, von wem konnte es verraten werden? Von den Schuldigen selbst doch sicher nicht, da ja schon nach dem bei allen Mysterien geltenden Gesetz42 die unverletzliche Pflicht der Verschwiegenheit auferlegt wird. Die samothrazischen und eleusinischen Mysterien werden geheim gehalten, um wieviel mehr noch solche, die, wenn verraten, auch dte menschliche Strafgerechtigkeit herausfordern würden, während die von Gott her drohende noch aufgespart bleibt. Wenn sie demnach nicht selbst ihre eigenen Verräter werden können, so folgt, es sind dem Bunde nicht Angehörige. Und woher sollte diesen die Kenntnis davon kommen, da man immer auch bei den erlaubten43 Mysterien die Uneingeweihten fernhält und sich vor Zeugen hütet? Es müßte denn sein, daß die Gottlosen weniger Scheu empfänden.

Wie es sich mit der Fama verhält, ist allen bekannt. Es ist eine eurer Redensarten: „Die Fama ist ein Übel, und keines ist geschwinder als sie.“44 Warum ist die Fama ein Übel? Weil sie geschwind ist? Weil sie eine Verräterin ist oder weil sie meistens lügt? Sie ist auch nicht einmal dann, wenn sie etwas Wahres weiterträgt, vom Fehler des Lügens frei, indem sie an der Wahrheit Abstriche, Zusätze oder Änderungen vornimmt. Noch mehr, es ist mit ihr so bestellt, daß sie nur besteht, indem sie lügt. Und wirklich, sie lebt nur so lange, als sie nicht beweist45. Sobald sie etwas bewiesen hat, hört sie auf, Fama zu sein; als ob sie sich ihres Amtes, Überbringerin von Nachrichten zu sein, entledigt hätte, übermittelt sie jetzt eine Tatsache. Von jetzt an wird die Tatsache festgehalten, die Tatsache bestimmt zum Ausdruck gebracht. Niemand sagt z. B, mehr: „Das und das soll zu Rom geschehen sein“ oder: „Es geht das Gerücht, der N. N. habe eine Provinz bekommen“, sondern: „Er hat eine Provinz bekommen“ und „das ist zu Rom geschehen“. Für die Fama, die Bezeichnung des Ungewissen, ist kein Platz mehr, sobald etwas gewiß ist. Oder glaubt der Fama sonst jemand, außer ein Unbesonnener? Wer weise ist, glaubt dem Ungewissen nicht. Mag ein Gerücht auch noch so eifrig umhergetragen werden, mag es mit noch so großer Hartnäckigkeit auftreten, alle können und sollten den Umstand würdigen, daß es notwendigerweise irgend einmal von einem einzigen Urheber ausgegangen ist. Von dort schlängelt es sich in die Zungen und Ohren, die es weiterpflanzen, und so kommt es, daß ein Rattenkönig von Gerüchten den Fehler der ersten noch unansehnlichen Ausgeburt so sehr verdeckt46, daß niemand daran denkt, ob nicht etwa jener erste Mund eine Lüge in die Welt setzte, was ja so oft geschieht, entweder durch die Erfindungsgabe der Feindschaft oder die Willkür des freventlichen Urteils oder eine nicht unbekannte, sondern manchen angeborene Lust am Lügen, Gut aber ist es, daß, wie eure eigenen Sprichwörter und Redensarten bezeugen, die Zeit alles an den Tag bringt, nach einer Einrichtung der Natur, welche es so angeordnet hat, daß nichts lange verborgen bleibt, auch was die Fama nicht herumgetragen hat. Mit Recht weiß so lange Zeit hindurch nur die Fama allein etwas von den Verbrechen der Christen. Diese ist es, die ihr als Angeberin gegen uns vorführt, sie, die das, was sie eines Tages ausgestreut und in einem so langen Zeitraum zur feststehenden Meinung gemacht hat, bis heute noch nicht zu beweisen imstande war. Was immer nur als Gerücht herumgetragen wird, das ist immer nicht Tatsache, weil das, was Tatsache ist, aufhört als bloßes Gerücht herumgetragen zu werden47.

 

8. Kap. Diese Anschuldigungen sind auch in sich unsinnig.

Um gegen diejenigen, welche wähnen, dergleichen glauben zu müssen, an das natürliche ehrliche Gefühl zu appellieren: siehe, wir stellen vor Augen den Lohn für diese Schandtaten. Sie verheißen das ewige Leben. Glaubt vorläufig daran48. Denn darauf spitzt sich meine Frage zu, ob der, welcher daran glaubt, den Erwerb desselben mit einem solchen Gewissen für etwas so Hohes ansehen kann49. Komm, senke das Eisen in das Kind, das niemandes Feind, niemandem etwas zuleide getan, vielmehr gleichsam Kind aller ist; oder wenn dies das Amt eines ändern ist, so stehe nur dabei, wenn ein Mensch stirbt, ehe er eigentlich gelebt hat, erwarte die entweichende junge Seele, fange das frische Blut auf, sättige damit dein Brot und iß es mit Freude! Inzwischen zähle während des Mahles die Plätze ab, wo der Platz deiner Mutter, deiner Schwester ist; merke sie dir gut, damit, wenn die Finsternis durch den Hund eintritt, du dich nicht irrestl Denn du würdest einen Frevel verüben, wenn du keine Blutschande begingest. In solche Mysterien eingeweiht und besiegelt lebst du in Ewigkeit. – Ich bitte, antworte mir, ob für so etwas die Ewigkeit der Lohn sein kann? Wenn aber nicht, dann sind auch solche Dinge nicht zu glauben. Wenn du sie auch wirklich glauben solltest, so behaupte ich, du wirst sie nicht wollen, und wenn du sie selbst wollen würdest, so behaupte ich, daß du sie nicht vollbringen kannst. Warum also sollten andere dazu imstande sein, wenn ihr es nicht seid? Warum solltet ihr nicht auch dazu imstande sein, wenn es andere sind? Wir sind, meine ich, wohl von einer anderen Natur. Etwa Hundsgesichter oder Schattenfüßler?50 Wir haben wohl andere Reihen von Zähnen, ganz andere Organe zu blutschänderischer Lust?! Wenn du so etwas von einem Menschen glaubst, bist du imstande, es auch selbst zu tun, du bist selber ja auch ein Mensch, was auch der Christ ist. Wenn du aber so etwas nicht zu tun imstande bist, so darfst du es auch (vom Christen) nicht glauben. Denn auch der Christ ist ein Mensch so gut wie du.

„Es wird ihnen“, sagt ihr, „ohne daß sie es ahnen, zugeschoben und auferlegt. Denn sie wußten noch nicht, daß dergleichen den Christen nachgesagt werde, und sie mußten es natürlich erst für sich selbst beobachten und es vorsichtig ausspionieren.“ – Aber es ist doch, dünkt mich, Sitte, daß diejenigen, welche die Aufnahme begehren, zuerst zum Vorsteher der Mysterien gehen und sich aufschreiben, was für Vorbereitungen zu treffen sind. Der wird dann sagen: „Du brauchst ein noch zartes Kind, eins, das vom Sterben noch nichts weiß, das unter deinem Messer lächelt; dann ein Brot, womit du die Brühe des Blutes auffängst, außerdem Leuchter und Lampen, Hunde und Bissen, welche jene zum Umstürzen der Lichter springen machen. Vor allem wirst du mit deiner Mutter und Schwester kommen müssen.“ Wie aber, wenn diese nicht wollen oder keine da sind? Was gibt’s endlich mit den alleinstehenden Christen, die keine Verwandten haben? Du wirst also, scheint mir, kein rechter Christ sein können, wenn du nicht ein Bruder oder Sohn bist. „Was aber dann, wenn alle diese Dinge ohne Vorwissen der Betreffenden vorbereitet werden?“ Dann werden sie es jedenfalls doch nachher gewahr, und – lassen es sich gefallen und sehen darüber hinweg. Nicht wahr?! – „Ja, sie fürchten Strafe, wenn sie es bekannt machen.“ – Sie? Sie, die verteidigt zu werden verdienten, die es sogar vorziehen, lieber umzukommen, als unter einer solchen Gewissenslast fortzuleben? Gut denn, angenommen jetzt, sie fürchteten sich, warum verharren sie darin? Denn man will – das ist eine logische Notwendigkeit – nicht länger das bleiben, was man, wenn man es vorher gekannt hätte, gar nicht geworden wäre.

 

9. Kap. Bei den Heiden dagegen werden Dinge, wie man sie den Christen aufbürdet, tatsächlich geübt.

Damit meine Widerlegung um so schlagender sei, will ich zeigen, daß Derartiges bei euch teils öffentlich, teils im geheimen verübt wird, was vielleicht der Grund ist, warum ihr es auch von uns geglaubt habt, Kinder wurden in Afrika dem Saturn öffentlich geopfert bis zum Prokonsulat des Tiberius, der die Priester selbst an denselben Bäumen ihres Tempelhains, welche diese Verbrechen mit Schatten bedeckten, wie an ebensovielen Votivkreuzen lebendig aufhängte. Zeuge dessen ist die Kriegstruppe meines Vaters51, die dem genannten Prokonsul bei dieser Verrichtung ihren Dienst leistete. Im geheimen aber besteht die Übung dieser sakralen Schandtat auch jetzt noch fort. Nicht die Christen allein verachten euch; auch wird kein Verbrechen für ewige Zeiten ausgerottet, noch ändert seine Gewohnheiten irgendein Gott. Da Saturn seine eigenen Söhne nicht geschont hat, so blieb er seiner Sitte treu, indem er fremde natürlich auch nicht schonte, indes solche, welche die eigenen Eltern ihm darbrachten52. Sie sprachen gern die Weiheformel, sie liebkosten die Kleinen, damit sie nicht weinten, wenn sie geopfert würden. Und doch ist ein großer Unterschied zwischen Mord und Verwandtenmord. Leute hohen Alters wurden bei den Galliern dem Merkur geopfert. Die Erzählungen aus Taurus überlasse ich den Theatern, Siehe, in der so religiösen Stadt der frommen Äneaden53 ist ein Jupiter, den man zur Zeit seiner Spiele mit Menschenblut wäscht. „Es ist ja das Blut eines Tierkämpfers“, werdet ihr sagen. Das ist, dünkt mich, weniger als Menschenblut. Oder ist es nicht darum noch schändlicher, weil es das Blut eines schlechten Menschen ist? Jedenfalls wird es doch infolge eines Mordes vergossen. Oho! der Jupiter ist Christ, und der einzige Sohn seines Vaters infolge von dessen Grausamkeit!54

Jedoch da es beim Kindermord keinen Unterschied macht, ob er zum Zweck eines Opfers oder aus Willkür geschieht – in Bezug auf den Umstand aber, ob er Verwandtenmord ist, ist ein Unterschied vorhanden55 –, so wende ich mich an das Volk. Wie viele von den hier Herumstehenden, die nach dem Blute der Christen lechzen, oder sogar von euch, ihr gerechten und gegen uns so gestrengen Präsidenten, wollt ihr, daß ich in ihrem Gewissen treffen soll als solche, welche die ihnen geborenen Kinder töten? Wenn aber auch noch die verschiedene Art des Todes nicht gleichgültig ist, so entreißt ihr ihnen jedenfalls auf eine grausamere Weise das Leben, entweder durch Wasser oder setzt sie der Kälte, dem Hungertode oder den Hunden aus; denn durch das Messer zu sterben, würde auch das reifere Alter vorziehen. Wir aber dürfen, da der Mord uns ein für allemal verboten ist, auch den Fötus im Mutterleibe, während noch das Blut zur Bildung eines Menschen absorbiert wird, nicht zerstören. Die Geburt verhindern ist nur eine Beschleunigung des Mordes, und es verschlägt nichts, ob man ein schon geborenes Leben entreißt oder ein in der Geburt begriffenes zerstört. Was erst ein Mensch werden soll, ist schon ein Mensch; ist ja doch auch jede Frucht schon in ihrem Samen enthalten.

Hinsichtlich des Blutgenusses und dergleichen Fabeln der Tragödie56 leset nach, ob nicht irgendwo – ich meine, es ist bei Herodot – erzählt wird, daß gewisse Nationen zur Abschließung von Bündnissen den Armen entzogenes und gegenseitig verkostetes Blut verwenden? Unter Catilina hat man auch etwas Derartiges, ich weiß nicht recht was, verkostet57. Wie man sagt, wird bei gewissen skythischen Völkerschaften jeder Verstorbene von den Seinigen verzehrt. Ich entferne mich etwas zu weit. Heutzutage gibt es hier bei uns blutig Geschnittene zu Ehren der Bellona58. Das mit der hohlen Hand aufgefangene und zum Genüsse gereichte Blut weiht ein. Wo sind diejenigen, welche gegen ein Stück Geld das frische Blut der in der Arena umgebrachten Verbrecher, wenn es aus der Kehle fließt, auffangen und es wie versessen auffangen, um damit die fallende Sucht zu heilen? Ebenso die, welche von den wilden Tieren aus der Arena sich eine Mahlzeit bereiten, die vom wilden Eber, vom Hirschen begehren? Und jener Eber hat im Kampfe den, welchen er blutig verletzt hat, abgewischt, und jener Hirsch hat im Blute des Gladiatoren gelegen. Sogar der Wanst des Bären, der noch mit Menschengedärmen vollgestopft ist, wird begehrt. Mensehen haben das Aufstoßen von einem Fleische, das mit Menschenfleisch genährt wurde. Ihr, die ihr dergleichen esset, wie weit seid ihr denn von den „Mahlzeiten der Christen“ entfernt?!

Ist es vielleicht etwas Geringeres, was jene tun, die in wilder Lust nach menschlichen Gliedern ihr Maul aufsperren, weil sie Lebendige verschlingen? Werden sie etwa weniger durch Menschenblut zur Unfläterei eingeweiht, weil sie etwas lecken, was Blut werden wird?59 Sie verschlingen fürwahr nicht Kinder, sondern vielmehr Erwachsene. Eure Verirrung möge schamrot werden vor uns Christen, die wir nicht einmal Tierblut unter unsern Speisegerichten haben und uns deshalb von Ersticktem und Krepiertem enthalten, damit wir auf keine Weise mit Blut befleckt werden, auch nicht einmal mit dem im Leibe verborgenen. Zur Quälerei60 der Christen bringt ihr ja auch noch Blutwürste herbei, sicherlich doch in der festen Überzeugung, daß gerade das bei ihnen verboten sei, wodurch ihr sie vom rechten Wege abbringen wollt. Wie soll ich es aber qualifizieren, wenn ihr glaubt, die, von denen ihr überzeugt seid, daß sie Tierblut verabscheuen, Seien nach Menschenblut begierig? Es müßte denn sein, daß ihr das letztere etwa selber schmackhafter befunden habt. Gerade Menschenblut und nichts anderes sollte man daher als Probiermittel bei den Christen anwenden in derselben Weise, wie das Brandaltärchen und die Schale mit Räucherwerk. Denn geradeso würden durch das Verlangen nach Menschenblut die Christen als Christen erwiesen werden, wie Sie als solche durch die Verweigerung des Opfers erwiesen, werden, und umgekehrt darf man sie nicht für solche halten, wenn sie es nicht verkosteten, wie man sie nicht für solche hält, wenn sie opferten61. Sicher wird es euch beim Verhör und der Verurteilung der Eingekerkerten nicht an Menschenblut fehlen.

Ferner, wer begeht mehr Blutschande als diejenigen, welche Jupiter selbst zum Lehrer hatten? Ktesias berichtet, daß die Perser sich mit ihren Müttern geschlechtlich verbinden. Aber auch die Mazedonier sind dessen verdächtig, weil sie, als sie zuerst die Tragödie „Oedipus“ hörten, seinen Schmerz über die geschehene Blutschande verlachten und riefen: Ἠλαυνε, εἰςτὴνμητέρα62. Wohlan, bedenkt, welch großen Spielraum zur Herbeiführung von Blutschande eure Verirrungen haben, indem die unterschiedslos getriebene Unzucht reichlich die Werkzeuge dazu liefert! Erstens setzt ihr die Kinder aus, damit sie von einem vorübergehenden Fremden aus Mitleid aufgehoben werden, oder ihr entlaßt sie aus eurer Gewalt, damit sie von bessern Eltern adoptiert werden. Es ist nun unausbleiblich, daß bisweilen die Erinnerung an die Veränderung der Familienangehörigkeit verwischt wird. Sobald aber der Irrtum sich befestigt hat, wird von der Zeit an bereits das Vermittlungsglied für die Blutschande immer reichlicher vorhanden sein, indem die Familie samt dem Verbrechen sich ausbreitet. Dann ist weiterhin die Wollust an jedem Orte, zu Hause, in der Fremde und über See eure Gefährtin. Ihre stete und wahllose Befriedigung kann leicht irgendwo, selbst schon aus einem nur flüchtigen Geschlechtsverkehr, Kinder hervorrufen, ohne daß die Erzeuger selbst es erfahren. Infolge davon trifft dann die so gesäete Nachkommenschaft durch den Verkehr der Menschen mit ihren Blutsverwandten wieder zusammen, und keiner erkennt sie als solche, weil er von der sündhaften Blutsgemeinschaft keine Ahnung hat63; Wir sind vor solchen Vorkommnissen durch die sorgfältigste und treueste Keuschheit gewahrt, und so sicher wir vor Hurerei und jeder Ausschreitung nach der Ehe sind, ebenso sicher sind wir vor dem Eintreten der Blutschände. Manche halten die ganze Macht dieser Verirrung noch viel sicherer durch jungfräuliche Enthaltsamkeit von sich fern; als Greise sind sie noch (rein) wie die Kinder.

Wenn ihr erwogen hättet, daß solche Dinge bei euch vorkommen, so würdet ihr daraus erkannt haben, daß sie sich bei den Christen nicht finden. Dieselben Augen hätten euch beides kundgemacht. Allein beide Arten der Blindheit treffen leicht zusammen: wer nicht sieht, was ist, glaubt dafür zu sehen, was nicht ist. So will ich es bei allen Punkten zeigen. Jetzt zu den Dingen, die offenbar sind.

 

10. Kap. Warum die Christen an der Verehrung der heidnischen Götter nicht teilnehmen wollen. Dieselben sind bloße vergötterte Menschen.

„Ihr ehret die Götter nicht“, wirft man uns vor, „und bringet keine Opfer für die Kaiser.“ Es ist folgerichtig, daß wir, da wir die Götter nun einmal nicht verehren und darum auch nicht für uns selbst opfern, aus demselben Grunde es eben so wenig für andere tun. Daher kommt es, daß wir als eines Religions- und eines Majestätsverbrechens schuldig belangt werden. Dies ist nun die Hauptsache, ja die ganze Sache, und sie ist wahrhaftig einer Untersuchung wert; nur darf nicht die stolze Vermessenheit oder die Ungerechtigkeit zu Gericht sitzen, wovon die eine an der Wahrheit verzweifelt, die andere sie verschmäht. Wir hören auf, eure Götter zu verehren von dem Zeitpunkte an, wo wir erkennen, daß sie keine sind. Das also habt ihr zu verlangen, daß wir beweisen, daß sie keine Götter sind und deshalb nicht verehrt werden dürfen, weil sie nur dann verehrt werden müßten, wenn sie Götter wären. Und anderseits sind die Christen dann zu bestrafen, wenn sie sie nicht verehren, im Glauben sie existierten nicht, obwohl von ihnen feststeht, daß sie existieren64. „Aber für uns“, sagt ihr, „steht es fest, daß sie Götter sind“65. Wir appellieren und berufen uns von euch an euer eigenes Bewußtsein, dieses soll uns verurteilen, dieses uns verdammen, wenn es imstande ist, zu leugnen, daß diese eure Götter alle Menschen gewesen sind. Wenn auch dieses versagen sollte, dann soll es aus den Zeugnissen des eigenen Altertums überführt werden, woraus es sie kennen gelernt hat, wobei bis heute Zeugnis ablegen die Städte, worin jene geboren s’ind, und die Gegenden, wo sie irgendwelche Spuren einer Wirksamkeit hinterlassen haben, wo auch ihre Gräber gezeigt werden. Soll ich die Götter also einzeln durchgehen, so viele und so verschiedene, die neuen und die alten, die griechischen und die der Barbaren, die römischen und die fremden, die gefangenen und die adoptierten, die speziellen und die allgemeinen, die männlichen und die weiblichen, die ländlichen und die städtischen, die Meeres- und Soldatengötter? Langweilig wäre es, auch nur die Titel durchzugehen. Somit will ich die Sache übersichtlich fassen, und zwar nicht, damit ihr sie zum erstenmal kennen lernt, sondern damit ihr sie nochmals kennen lernt; denn obwohl ihr von der Sache eine sichere Kenntnis habt, stellt ihr euch, als hättet ihr sie vergessen66 .

Vor Saturn gab es keinen Gott bei euch, von ihm stammt die ganze Klasse wenigstens der besseren und bekannteren Gottheiten ab. Was also hinsichtlich des Stammvaters feststeht, das wird auch von der Nachkommenschaft gelten. Was nun dasjenige angeht, was die schriftlichen Quellen lehren, so hat weder der Grieche Diodor oder Thallus, noch Cassius Severus67 oder Cornelius Nepos, noch sonst ein über diese Altertümer handelnder Schriftsteller etwas anderes veröffentlicht, als daß Saturn ein Mensch gewesen sei. Bezüglich der Zeugnisse aus den Tatsachen aber finde ich nirgends zuverlässigere als in Italien selbst, wo Saturn nach vielen Unternehmungen und nach seinen Besuchen in Attica sich niederließ, aufgenommen von Janus oder Janes, wie die Salier wollen. Der Berg, auf dem er wohnte, wurde Saturnusberg, die Stadt, welche er abgesteckt hatte, wird bis jetzt Saturnia genannt, ganz Italien endlich wird wie vorher Oenotria, nachher Saturnia beibenannt. Von ihm rühren die Wechseltische und die mit einem Bilde beprägten Münzen her, und daher steht er auch dem öffentlichen Schatz als Schutzgott vor. Indes, wenn Saturn ein Mensch war, so stammte er auch von einem Menschen und gewiß nicht vom Himmel oder von der Erde. Wenn seine Eltern unbekannt waren, so war es ein Leichtes, daß er der Erde oder des Himmels Sohn, als deren Söhne wir ja alle erscheinen können, genannt wurde. Denn wer sollte nicht den Himmel oder die Erde seinen Vater oder seine Mutter nennen, entweder der Ehre und Achtung halber oder auch einer menschlichen Gewohnheit zufolge, wonach die Unbekannten oder unversehens Erschienenen vom Himmel gekommen sein sollen? Daher widerfuhr es dem plötzlich erscheinenden Saturn, daß er überall als ein Himmlischer bezeichnet wurde; denn das gemeine Volk nennt die, deren Abkunft ungewiß ist, Söhne der Erde. Ich schweige davon, daß die damals noch ganz unzivilisierten Menschen es so trieben, daß sie beim Anblick eines jeden beliebigen, noch nicht gesehenen Menschen so außer sich gerieten, als hätten sie einen Gott geschaut, da heutzutage die hochzivilisierten solche zu Göttern machen, deren Tod und Begräbnis sie einige Tage vorher durch öffentliche Trauer anerkannt haben68. Genug nunmehr vom Saturn, wenn es auch kurz war. Auch in Betreff des Jupiter werden wir nachweisen, daß er ein Mensch war und von Menschen abstammte, und daß somit der ganze Schwärm seiner Nachkommenschaft so sterblich ist, als er seinem Ahnherrn gleich ist.

 

11. Kap. Logische und physische Unmöglichkeit des Entstehens von Nebengöttern.

Weil ihr nun aber, wie ihr einerseits nicht zu leugnen wagt, daß die Genannten Menschen gewesen sind, so anderseits als eure Lehre die Behauptung aufgestellt habt, sie seien nach dem Tode Götter geworden, so wollen wir die Ursachen prüfen, die dies etwa bedingt haben könnten. Vorab müßt ihr notwendig zugestehen, daß es irgendeinen höheren Gott, gewissermaßen als Ureigentümer der Gotteswürde, gebe, der aus Menschen Götter gemacht habe. Denn weder konnten die Genannten die Göttlichkeit, die sie nicht hatten, sich selbst zulegen, noch auch konnte ein anderer sie denen, die sie nicht hatten, verleihen, wenn er nicht selbst sie ureigen besaß. Ferner, wenn niemand da gewesen wäre, der Götter hätte machen können, so würde eure Vermutung, sie seien zu Göttern gemacht worden, ganz grundlos sein, indem ihr ja den Macher hinwegnehmt. Denn ganz sicher würden sie, wenn sie sich selbst zu Göttern hätten machen können, niemals Menschen gewesen sein, da ja die Macht zu einer höheren Wesensbeschaffenheit in ihrem Besitz war. Wenn es demnach ein Wesen gibt, das die Götter macht, so kehre ich zur Prüfung der Ursachen zurück, welche es veranlassen konnten, aus Menschen Götter zu machen, und finde keine ändern außer der, jener große Gott wünschte Diener und Helfer bei seinen göttlichen Ämtern zu haben.

Es ist aber erstens etwas Unwürdiges, daß er jemandes Hilfe bedürfte, und zwar noch dazu die eines verstorbenen Menschen, da es viel würdiger gewesen wäre, er, der einst der Hilfe eines toten Menschen benötigt sein sollte, hätte sich von Anfang an irgendeinen Gott gebildet. Jedoch ich finde auch nicht einmal Raum für eine Hilfe. Denn dieser ganze Weltkörper, mag er nun der Lehre des Pythagoras zufolge ungeboren und ungeworden sein, oder nach Plato geboren und geworden, ist doch sicher als in seinem Ursprung ein für allemal nach der Richtschnur einer lauteren. Vernunft disponiert, ausgerüstet und geordnet erfunden worden69. Was alles zur Vollendung führt, konnte nicht unvollendet, sein. Nichts darin brauchte auf Saturn und das Saturnische Geschlecht zu warten. Die Menschen würden Toren sein, wenn sie nicht fest überzeugt wären, daß von allem Anfang an der Regen vom Himmel geflossen sei, die Gestirne gestrahlt, das Tageslicht geglänzt, der Donner gebrüllt und Jupiter selbst die Blitze gefürchtet habe, die ihr in seine Hand gelegt habt; ebenso daß jede Art Frucht vor Bacchus, Ceres und Minerva, ja sogar vor jenem, der der erste Mensch war, reichlich aus der Erde hervorgegangen sei, weil nichts von dem, was zur Entstehung und zur Erhaltung des Menschen vorgesehen ist, erst nach der Entstehung des Menschen konnte erfunden werden. Endlich sollen die Genannten diese zum Leben notwendigen Dinge auch nur aufgefunden, nicht hervorgebracht haben. Was aber aufgefunden wird, war da, und was da war, wird nicht dem zugeschrieben, der es aufgefunden, sondern dem, der es hervorgebracht hat; denn es war da, bevor es aufgefunden wurde. Wenn übrigens Liber deshalb Gott ist, weil er auf den Weinstock aufmerksam gemacht hat, so hat man an Lucull, der zuerst die Kirschen aus Pontus nach Italien verpflanzte, nicht schön gehandelt, weil man ihn nicht apotheosierte, obwohl er doch der Urheber einer neuen Frucht war, weil er sie zuerst kennen lehrte. Wenn folglich das Weltall von Anfang an gut eingerichtet und nach festen Normen zur Erfüllung seiner Aufgaben geordnet dastand, so ist von dieser Seite keine Ürsache vorhanden, Menschen der Gottheit beizugesellen, weil die Ämter und Gewalten, die ihr unter sie verteilt, von Anfang an da waren und dagewesen wären, wenn ihr auch jene nicht zu Göttern kreiert hättet.

Indessen ihr wendet euch nun zu einer ändern Ursache und antwortet, die Verleihung der göttlichen Würde sei in Rücksicht auf zu belohnende Verdienste geschehen. Hierbei werdet ihr, hoffe ich, zugeben, daß jener Götter machende Gott eine vorzügliche Gerechtigkeitsliebe besitze, daß er nicht blindlings, unverdienter und verschwenderischer Weise eine solche Belohnung verliehen habe. Ich will also die Verdienste durchgehen, ob sie von der Art sind, daß sie eine Erhebung in den Himmel, oder nicht vielmehr eher eine Versenkung in den tiefsten Tartarus, den ihr immer dann, wenn es euch genehm ist, als den Kerker der unterweltlichen Bestrafung ausgebt, motivieren würden. Dorthin nämlich pflegen verstoßeh zu werden die, welche sich ruchlos gegen ihre Eltern oder blutschänderisch gegen ihre Schwestern aufführen, die Ehebrecher, die Mädchenräuber, die Knabenschänder, die Grausamen, die Mörder, die Diebe, die Betrüger und diejenigen, die sonstwie irgendeinem eurer Götter ähnlich sind, bei denen ihr von keinem beweisen könnt, daß er von Verbrechen und Fehlern vollständig frei sei, es sei denn, daß ihr in Abrede stellt, er sei ein Mensch gewesen. Wie ihr aber nicht leugnen könnt, daß sie Menschen waren, so treten auch noch diese Schandflecken hinzu, welche auch nicht gestatten, zu glauben, sie seien nachher Götter geworden70. Denn wenn ihr zur Bestrafung derartiger Leute angestellt seid, wenn alle Rechtschaffenen Verkehr, Gespräch, Umgang mit Bösewichten und schändlichen Menschen verschmähen, dabei aber jener große Gott gerade Leute, die diesen gleich sind, sich zu Genossen seiner Herrlichkeit erkoren hat, so muß man fragen, warum in aller Welt verurteilt ihr doch Leute, deren Genossen, ihr anbetet? Ein Hohn gegen den Himmel ist eure Gerechtigkeitspflege. Macht lieber alle großen Verbrecher zu Göttern, um küren Göttern zu gefallen! Die Apotheose ihrer Spießgesellen ist ja eine Ehrenbezeigung für sie.

Jedoch – um die Erörterung einer so unwürdigen Sache fallen zu lassen – ich gebe zu, sie mögen rechtschaffene, unbescholtene und gute Leute gewesen sein – dann aber, wie viele weit bessere Männer habt ihr der Unterwelt überlassen! Einen Sokrates in seiner Weisheit, einen Aristides in seiner Gerechtigkeit, einen Themistokles in seinem Feldherrnruhm, einen Alexander in seiner Hoheit, einen Polykrates in seinem Glück, einen Krösus in seinem Reichtum, einen Demosthenes in seiner Beredsamkeit! Wer von jenen euren Göttern war denn besonnener und weiser als Cato, gerechter und soldatischer als Scipio, erhabener als Pompejus, glücklicher als Sulla, reicher als Crassus, beredter als Tullius? Wieviel würdiger wäre es gewesen, Gott hätte gewartet, bis er sich die genannten Männer als Mitgötler zugesellen konnte, da er ja sicher voraussah, daß bessere kommen würden! Er ist, meine ich, zu eilig gewesen, hat den Himmel nun einmal zugemacht und schämt sich gewiß jetzt, da bessere Leute in der Unterwelt brummen.

 

12. Kap. Die sogenannten Götter der Heiden sind verstorbene Menschen und ihre Bilder bloße Materie.

Ich lasse diesen Punkt nunmehr fallen, in der Überzeugung, auf Grund des wirklichen Zustandes dartun zu können, was sie nicht sind, wenn ich dargelegt haben werde, was sie sind. Was also eure Götter angeht, so sehe ich da einzig und allein Statuen71 von einigen Verstorbenen aus alter Zeit, und ich höre Fabeln und lerne den Kult aus den Fabeln kennen72. Was aber die Götterbilder selbst angeht, so finde ich nichts anderes, als daß der Stoff dazu dem Stoffe gewöhnlicher Gefäße und Geräte verwandt ist, oder gar von denselben Gefäßen und Geräten herrührt, indem er, sozusagen, sein Los durch die Weihe verbessert73 und die Macht der Kunst ihn umgestaltet – und zwar auf eine ganz schmachvolle und sakrilegische Weise. Daher könnte es gerade uns, die wir der Götter wegen Strafen leiden, wahrhaftig zum Tröste in unseren Verfolgungen gereichen, daß sie dasselbe wie wir erleiden müssen, um nur zur Existenz zu gelangen. – An Kreuze und Pfähle hängt ihr die Christen. – Welches Götterbild wird nicht erst in Ton entworfen, der um ein Kreuz oder einen Pfahl herum aufgeschichtet wird? An einem Galgen empfängt also der Leib eurer Gottheit seine erste Weihe! – Ihr zerkratzt mit Krallen uns Christen die Seiten. – Aber bei euren Göttern arbeiten noch viel kräftiger an allen Gliedern Axt, Hobel und Raspet! – Wir müssen unsern Nacken darbieten. – Eure Götter sind ohne das Lötblei, den Leim und die Nägel gar ohne Köpfe! – Wir werden vor die wilden Tiere getrieben. – Verstellt sich, zu solchen, wie ihr sie dem Bacchus, der Cybele und de» Cölestis beigebt. – Wir werden mit Feuer gebrannt. – Das werden jene auch, und zwar von ihrer anfänglichen Masse an! – Wir werden zu den Bergwerken verdammt. – Daher stammen eure Götter! – Wir werden auf Inseln verwiesen. – Es pflegt auch der eine oder andere von euren Göttern auf einer Insel geboren zu werden oder zu sterben! Wenn durch diese Dinge die Gottheit ihre Existenz hat, so werden also die ver-göttlicht, die gestraft werden, und die Leibesstrafen wird man Gottheiten nennen müssen. Offenbar jedoch empfinden eure Götter die Schmach und Schande ihrer Verfertigung so wenig als eure Huldigungen. Was für gottlose Reden und sakrilegische Schmähungen! Knirschet, schäumet! Ihr seid ja dieselben Leute, welche einem Manne wie Seneca, der mit noch mehr und bittereren Worten über euren Aberglauben redete, Beifall zollt74. Wenn wir also Statuen, kalte, euren Toten ganz gleiche Bilder75, von denen die Reiher, Mäuse und Spinnen wissen, was sie sind, nicht anbeten, verdiente diese Ablegung eines erkannten Irrtums nicht vielmehr Lob denn Strafe? Können wir aber als Beleidiger derjenigen angesehen werden, von denen wir fest überzeugt sind, daß sie gar nicht existieren? Was nicht existiert, kann doch nichts von dem erleiden, der existiert76.

 

13. Kap. Dafür spricht auch deren Behandlung seitens ihrer Verehrer selbst und die Art der Verehrung.

„Aber uns gelten sie als Götter“, sagst du. Und wie gottlos, wie sakrilegisch, wie irreligiös gegen diese Götter werdet ihr nun im Gegensatz zu uns erfunden, so nämlich, daß ihr diejenigen vernachlässigt, deren Existenz ihr behauptet, diejenigen zerstört, die ihr fürchtet, diejenigen verspottet, deren Verletzung ihr sogar vor Gericht ahndet77