Äquinoktium - Nadine Erdmann - E-Book

Äquinoktium E-Book

Nadine Erdmann

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Beschreibung

Was steckt wirklich hinter dem Verbrechen in der Wohnanlage der Elderly Flowers? Sky und Connor ermitteln und suchen dabei Hilfe bei den Ghost Reapers. Doch ihre Ermittlungen sind alles andere als ungefährlich und was sie dabei herausfinden, legt einen grausamen Verdacht nahe. Als die Unheilige Nacht anbricht, geraten jedoch alle Ermittlungen in den Hintergrund. Jemand aus ihrer Familie ist verschwunden … Enthält die finalen vier Bände der ersten Staffel.

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Impressum

Unveränderte Neuauflage der in der Greenlight Press erschienenen Originalausgabe

 

Kuneli Verlag, Forstweg 8, 63165 Mühlheim am Main

Copyright © 2024 Kuneli Verlag UG (haftungsbeschränkt)

Alle Rechte vorbehalten.

 

1. Auflage (Oktober 2024)

Coverdesign: Kuneli Verlag

Unter der Verwendung von Bildmaterial von Shutterstock.com

ISBN Epub: 978-3-948194-66-6

www.kuneli-verlag.de

Die Autorin

Nadine Erdmann liebt Bücher und Geschichten, seit sie denken kann. Selbst welche zu schreiben, war aber lange Zeit nur eine fixe Idee und so sollte zunächst ein »anständiger« Beruf her. Sie studierte Lehramt, verbrachte einen Teil ihres Studiums in London und unterrichtete als German Language Teacher in Dublin. Zurück in Deutschland wurde sie Studienrätin für Deutsch und Englisch und arbeitete an einem Gymnasium und einer Gesamtschule in NRW.

 

Der »anständige« Beruf war ihr damit sicher, ihr Herz hing aber mehr und mehr daran, Geschichten zu schreiben. Nach der Krebserkrankung ihrer Schwester entschied sie sich, den Schritt in die Schriftstellerei zu wagen, weil man nicht immer alles auf später verschieben kann. Seitdem veröffentlichte sie drei Reihen (die »CyberWorld«, die »Lichtstein-Saga« und die »Totenbändiger« in ganz unterschiedlichen Genres, die zusammen mit den »Haunted Hunters« im Kuneli Verlag ab 2024 ein neues Zuhause gefunden haben.

Mehr über die Autorin und ihre Werke:

www.nadineerdmann.de

www.facebook.com/Nadine.Erdmann.Autorin

www.instagram.com/nadineerdmann

Ihre Werke im Kuneli Verlag

CyberWorld (2024 als E-Book)

Mind Ripper

House of Nightmares

Evil Intentions

The Secrets of Yonderwood

Burning London

Anonymous

Bunker 7

Lichtstein-Saga (2024 als E-Book, 2025 als Taschenbuch)

Aquilas

Andolas

Fineas

Enyas

Die Totenbändiger (2024 als E-Book, 2025 als Taschenbuch)

Sammelband 1 - Unheilige Zeiten

Sammelband 2 - Äquinoktium

Sammelband 3 - Geminus

Sammelband 4 - Samhain

Sammelband 5 - Zwillingskräfte

Sammelband 6 - Wintersonnenwende

 

Haunted Hunters (ab 2024 als E-Book und Taschenbuch)

Neue Wirklichkeit

Daemons

(noch ohne Titel)

Die Totenbändiger

Äquinoktium

(Sammelband 2 - Äquinoktium 2)

 

 

Nadine Erdmann

 

 

 

Kuneli Verlag

 

Die Totenbändiger im Kuneli Verlag

Sammelband 1; „Äquinoktium 1“ (erster Teil der ersten Staffel)

Titel: Unheilige Zeiten

Titel der enthaltenen Bände:

Unheilige Zeiten

Die Akademie

Vollmondnächte

Feindschaften

 

Sammelband 2: „Äquinoktium 2“ (zweiter Teil der ersten Staffel)

Titel: Äquinoktium

Titel der enthaltenen Bände:

Hinterhalt

Unheilige Nacht

Leichenfunde

Das Herrenhaus

 

Sammelband 3: „Samhain 1“ (erster Teil der zweiten Staffel)

Titel: Geminus

Titel der enthaltenen Bände:

Geminus Obscurus

Geister der Vergangenheit

Säuberung

Newfield

 

Sammelband 4: „Samhain 2“ (zweiter Teil der zweiten Staffel)

Titel: Samhain

Titel der enthaltenen Bände:

Das Manifest

Die Abstimmung

Nachwirkungen

Samhain

 

Sammelband 5: „Wintersonnenwende 1“ (erster Teil der dritten Staffel)

Titel: Zwillingskräfte

Titel der enthaltenen Bände:

Neue Zeiten

Zwillingskräfte

Auszeit

Geisterjagd

 

Sammelband 6: „Wintersonnenwende 2“ (zweiter Teil der dritten Staffel)

Titel: Wintersonnenwende

Titel der enthaltenen Bände:

Nebelzeit

Fatalitäten

Täuschungen

Wintersonnenwende

 

Ab 2025

Die neue Totenbändiger-Trilogie: 13 Jahre später

Äquinoktium

Substantiv, Neutrum. (Plural: Äquinoktien, vom lateinischen aequus 'gleich' und nox 'Nacht') Äquinoktium oder Tagundnachtgleiche werden die beiden Tage im Jahr genannt, an denen der lichte Tag und die dunkle Nacht gleich lang andauern. Die Äquinoktien fallen auf den 19., 20. oder 21. März und den 22., 23. oder 24. September. Frühlings- und Herbstäquinoktium gehören zu den vier Unheiligen Nächten, in denen Geister und Wiedergänger besonders gefährlich sind.

 

Stell dir vor, du lebst in einer Welt, in der Geister zum Alltag gehören.

Jeder sieht sie und jeder weiß, wie gefährlich sie uns Menschen werden können.

In dieser Welt gibt es Verlorene Orte,

die man den Geistern überlassen musste,

und Unheilige Zeiten,

in denen die Toten besonders gefährlich sind.

Eine Handvoll Menschen vermag es, diese Toten zu bändigen.

Du denkst, das macht sie zu Helden?

Weit gefehlt.

Denn mit ihren Kräften können sie nicht nur die Geister der Toten auslöschen,

sie können genauso den Lebenden den Tod bringen.

Willkommen im London der Unheiligen Zeit.

Willkommen in der Welt der Totenbändiger.

Part I

Hinterhalt

Kapitel 1

Freitag, 20.September

Brandgeruch hing in der Luft, als Sky und Connor zur zerstörten Wohnanlage der Elderly Flowers liefen. Sie hatten hinter dem Ring aus Reportern aber außerhalb des Zauns der Anlage geparkt, weil sich im Inneren bereits etliche Autos von Feuerwehr und Polizei, Leichenwagen, Vans der Forensiker, ein Baustellenfahrzeug und etliche zivile Wagen von Kollegen, Statikern und Brandursachenermittlern quetschten. Ein Constable hielt am Tor Wache, ließ Sky und Connor aber mit einem knappen Nicken passieren, als sie ihre Dienstausweise zeigten.

»Himmel«, murmelte Sky betroffen, als sie zum ersten Mal das ganze Ausmaß der Katastrophe sah.

Die schmucken Bungalows, die um eine Grünanlage mit Seerosenteich und liebevoll gepflegten Büschen und Beeten angesiedelt waren, waren kaum wiederzuerkennen. In der letzten Nacht hatten die zehn Häuser im Schein von nostalgischen Laternen gelegen und hätte es nicht die übel zugerichteten Leichen der Bewohner gegeben, wäre die Elderly-Flowers-Wohnanlage das perfekte Idyll gewesen.

Jetzt sah es so aus, als wären Brandbomben in die Häuser eingeschlagen. Fenster und Türen waren herausgeflogen, Dächer halb eingestürzt und von zwei der Bungalows stand kaum noch mehr als die Außenmauern. Alle Häuser wiesen massive Brandspuren auf. Vereinzelt stieg sogar noch immer Rauch aus den Ruinen und verkohlte Deckenbalken ragten in den trüben Morgenhimmel. Die Vorgärten waren ebenfalls ein Opfer der Flammen geworden oder mit Asche und Trümmern verwüstet. Schmutzige Löschwasserpfützen zogen sich über die Straße.

Feuerwehrleute untersuchten in Teams die Häuser, um letzte Glutnester zu finden und die Toten zu bergen. Gerade wurden zwei Leichensäcke in einen Van geladen, die in die Gerichtsmedizin gebracht werden sollten.

Sky schluckte. »Stell dir vor, wir wären noch hier gewesen, als das alles in die Luft geflogen ist.«

»Nein, das stelle ich mir lieber nicht vor«, gab Connor zurück. Auch ihm ging der Anblick nahe.

»Hey ihr zwei!« Chief Inspector Darrow stand mit Theo und einem stämmigen Mann, der die Uniform der Brandermittler trug, vor der Ruine von Haus Nummer 8 und winkte sie zu sich. »Da seid ihr ja schon. Geht es euch gut?« Er musterte die beiden, als sie zu ihnen herüberkamen.

Sky mochte Darrow. Er stand kurz vor der Pensionierung und seine Jahre als leitender Ermittler bei der Mordkommission hatten ihn zu einem aufmerksamen Beobachter gemacht, dem nicht viel entging. Außerdem war er trotz all der Gräueltaten, die er im Laufe seiner Dienstjahre hatte aufklären müssen, nicht abgestumpft oder verbittert, sondern immer noch voller Mitgefühl und bei jedem neuen Fall festentschlossen, ihn zu lösen und den Opfern und ihren Angehörigen Antworten und Gerechtigkeit zu bringen.

»Ja, wir sind okay«, antwortete Connor. »Danke der Nachfrage.«

»Und Gabriel?«

»Er wird wieder«, versicherte Sky. »Aber er darf erst nächste Woche zurück in den Dienst.«

Theo schnaubte, sagte aber nichts, als er sich einen herausfordernden Blick von Sky einfing.

»Sie gehören zu der Spuk Squad, die letzte Nacht hier den Tatort sichern sollte?« Der Blick des Brandermittlers, glitt kurz über die Totenbändigerlinien an Skys Schläfe.

Sky nickte.

»Das sind die Sergeants Hunt und Fry«, stellte Darrow sie vor. »Das ist Chief Etheridge von der Abteilung für Brandursachenermittlung.«

Sky schätzte ihn auf Anfang fünfzig.

»Es tut mir leid, dass einer aus Ihrem Team verletzt wurde. Gut zu hören, dass es nichts Ernsteres ist.«

»Danke, Sir. Können Sie schon sagen, wie es zu dem Feuer gekommen ist?«, fragte Connor.

»Es war Brandstiftung. Den bisherigen Ermittlungen nach wurden die Leichen in den Häusern mit einem Brandbeschleuniger übergossen und angesteckt. Zusätzlich wurden in den Küchen die Gasherde aufgedreht, was zu den Explosionen geführt hat.«

»Durch das Anzünden der Leichen sieht es für uns so aus, als wäre den Tätern wichtig gewesen, Beweise an den Toten zu vernichten«, sagte Darrow. »Denkbar wäre zwar auch, dass jemand die Identitäten der Toten verschleiern wollte, doch bisher sehen wir keinen Grund zu der Annahme. Trotzdem lassen wir die Identitäten natürlich von der Gerichtsmedizin überprüfen. Die Leichen sind zwar stark verbrannt, aber DNA-Tests sollten hoffentlich noch möglich sein. Für uns wäre jetzt aber vor allem wichtig zu wissen, wie ihr die Anlage hier gestern Abend vorgefunden habt. Eure Tatortfotos haben wir bereits gesehen, aber es scheint nur welche aus den ersten drei Häusern zu geben.«

Sky nickte und deutete zu den gegenüberliegenden Bungalows. »Wir waren im Haus Nummer 1 und fanden dort drei Leichen, von denen wir denken, dass es Humphrey und Patricia Townsend waren sowie Stanley Cooper, einer der beiden Pförtner. Cooper war äußerlich unverletzt, daher liegt die Vermutung nahe, dass er von den Geistern der Townsends getötet worden ist. Die Leichen der Townsends wiesen dagegen Anzeichen eines Angriffs durch einen Wiedergänger auf. Gleiches galt für die Leichen, die wir in den beiden Nachbarhäusern Nummer 2 und Nummer 3 gefunden haben.«

»Bevor wir die Anlage weiter systematisch untersuchen und die Geister der Toten bändigen konnten, hörten wir jemanden in Haus Nummer 8 randalieren«, übernahm Connor und wies auf die Ruine des Bungalows, vor dem sie gerade standen. »Wir haben nachgesehen und sind dabei auf einen Wiedergänger gestoßen, der wie von Sinnen war. Wir konnten ihn zwar vernichten und seinen Geist bändigen, aber da Gabriel dabei verletzt wurde, mussten wir die Wohnanlage danach verlassen, um ihn medizinisch versorgen zu lassen.«

Darrow nickte verständnisvoll.

»Ist Ihnen während der Untersuchung des Tatortes irgendetwas Ungewöhnliches aufgefallen, das uns zusätzliche Hinweise geben könnte?«, fragte Etheridge.

»Was den Brand angeht, leider nicht«, antwortete Sky bedauernd. »In den Häusern, in denen wir uns aufgehalten haben, gab es keinerlei Gasgeruch, und die Leichen waren auch nicht mit Brandbeschleunigern übergossen worden. Das hätten wir gemerkt und entsprechend Meldung gemacht. Wer immer hier alles in Brand gesteckt hat, ist erst nach uns hier gewesen.«

»Dann muss er es aber ziemlich knapp abgepasst haben«, klinkte Theo sich ins Gespräch ein und scrollte durch die Informationen auf seinem Smartphone. »Thads Meldung über Gabriels Verletzung kam um kurz nach halb elf und der erste Notruf wegen des Feuers ging um kurz vor Mitternacht bei der Notrufzentrale ein.« Er deutete mit einem Kopfnicken auf das Chaos in der Wohnanlage. »Wer immer das hier vorbereitet hat, muss also kurz nach euch gekommen sein und verdammt schnell gearbeitet haben, um die Gasleitung zu manipulieren und in allen zehn Häusern die Leichen zu übergießen und anzuzünden.«

Sky war nicht oft mit Theo einer Meinung, aber hier musste sie ihm ausnahmsweise mal zustimmen. »Das klingt wirklich verdammt knapp. Könnte das ein Täter alleine überhaupt bewerkstelligen?«, fragte sie an Etheridge gewandt. »Wenn er das Feuer im ersten Haus entzündet, hätte er dann genug Zeit, um in allen anderen Häusern ebenfalls noch Feuer zu legen, bevor im ersten alles durch das Gas in die Luft fliegt?«

Etheridge nickte. »Wenn ein Zünder mit Zeitverzögerung oder Fernsteuerung eingesetzt wurde, könnte es durchaus nur eine Person bewerkstelligt haben. Allerdings müsste sie dann trotzdem sehr schnell gearbeitet und genau gewusst haben, was sie tut, denn zehn Häuser in dieser kurzen Zeit zu präparieren, ist tatsächlich eine Leistung.«

»Haben Sie denn in den Trümmern entsprechende Vorrichtungen gefunden, die auf zeitverzögerte oder ferngesteuerte Zünder hindeuten?«, erkundigte sich Connor.

»Bis jetzt noch nicht. Aber meine Leute werden alles genau untersuchen. Sollten wir etwas Aufschlussreiches finden, melden wir uns bei Ihnen, und natürlich bekommen Ihre Abteilungen unseren Bericht.«

Da Sky und Connor keine hilfreichen Informationen zum Brand beisteuern konnten, verabschiedete Etheridge sich und kehrte zu seinem Team zurück, um sich auf den neusten Stand der Dinge bringen zu lassen.

Als er ging, tauchte Thad am Tor auf und kam zu den vieren herüber. Aufgrund der Vorfälle der letzten Nacht hatte er bei ihrem Commander Bericht erstatten müssen.

»Wie war es bei Pratt?«, fragte Sky.

»Er nimmt unsere Squad als Team außer Dienst, bis Gabriel wieder einsatzbereit ist. Uns so kurz vor Äquinoktium nur zu dritt gegen Seelenlose vorgehen zu lassen, ist ein Risiko, das er nicht bereit ist, einzugehen.«

»Vernünftig«, meinte Darrow.

Thad nickte. »Er will das jetzt auf Stadtratsebene eskalieren lassen, damit wir endlich Verstärkung bekommen.«

Theo schnaubte. »Ich hoffe, das gilt auch für andere Abteilungen und nicht nur für die Spuk Squad. Ich muss jetzt schon seit über einer Woche in der Mordkommission einspringen.«

Darrows eigentlicher Partner war bei der Renovierung seines Hauses von einer Leiter gestürzt und fiel wegen eines gebrochenen Beins noch mindestens zwei Monate für den Außendienst aus.

»Vor Beginn der dunklen Jahreszeit will ich zurück in den Innendienst. Dafür habe ich mich schließlich beworben, nicht fürs Aufklären von Mordfällen.«

Thad bedachte Theo mit einem genervten Blick. »Ich lasse mir vielleicht später ein paar Tränen für dich kommen, okay? Vorher werden wir zwei uns mit Darrow diese Wohnanlage hier vornehmen und sie mit Hilfe der Statiker auf versteckte Kellerräume untersuchen.«

»Was?!«

Sky konnte sich nur mit Mühe ein schadenfrohes Grinsen verkneifen, als sie die Panik in Theos Augen aufflackern sah.

»Ich soll nach einem Keller suchen, in dem die alten Knacker hier vielleicht Geister und Wiedergänger gehalten haben?!«

»Exakt«, gab Thad zurück. »Pratt legt unsere beiden Teams zusammen, bis Gabriel zurück in den Einsatz darf. Solange ermitteln wir gemeinsam, was hier bei den Elderly Flowers passiert ist. Und eine Theorie, die überprüft werden muss, ist die, ob die Bewohner Geistersammler waren und ihnen ein paar der Biester gestern ausgebüxt sind.«

»Ein paar?«, hakte Theo nach und machte keinen Hehl daraus, was er davon hielt. »Das klingt so, als müssten wir damit rechnen, dass da noch mehr sein könnten.«

»Das liegt durchaus im Bereich des Möglichen. Aber keine Sorge.« Thad zog einen Rucksack von seiner Schulter, holte zwei Auraglue-Waffen, Nachfüllkartuschen sowie zwei Magazine mit Silberkugeln heraus und reichte sie Theo und Darrow. »Ihr bekommt dafür die richtige Ausrüstung.«

Theo starrte ihn ungläubig an.

»Ja was?«, fragte Thad ungeduldig. »Im Notfall musst du nur zielen und schießen, genau wie bei menschlichen Angreifern. Das wirst du ja wohl auch als Innendienstler hinkriegen. Wenn du deine Schießprüfung nicht bestanden hättest, hätte Pratt dich kaum der Mordkommission zugeteilt. Also jammere jetzt hier nicht rum, sondern mach deinen Job.«

Wütend nahm Theo die neue Ausrüstung entgegen und warf einen finsteren Blick zu Sky und Connor. »Und das alles nur, weil Gabriel so blöd war, sich von einem Wiedergänger erwischen zu lassen. Ich wette, er musste nur mal wieder den Helden spielen und -«

»Gabriel hat den Helden nicht gespielt«, fiel Sky ihm schneidend ins Wort und musste sich zusammenreißen, um ihm keine reinzuhauen. »Er hat mir das Leben gerettet. Er ist also wirklich ein Held. Und du solltest jetzt besser deine armselige Klappe halten und nicht über Dinge reden, von denen du nicht den Hauch einer Ahnung hast, klar?«

Theo funkelte sie wütend an, doch bevor er etwas erwidern konnte, sagte Darrow: »Kinder, vertragt euch bitte. Wenn unsere Teams in diesem Fall zusammenarbeiten, könnt ihr euch nicht ständig gegenseitig an die Gurgeln gehen.«

»Das zu verhindern, dürfte schwer werden«, meinte Thad trocken. »Aber zum Glück haben wir ja verschiedene Spuren, denen wir nachgehen müssen.«

Er wandte sich Connor und Sky zu. »Ihr zwei fahrt rüber zum Tower und seht zu, dass ihr dort mit einem der Wissenschaftler reden könnt. Vielleicht haben die eine Erklärung für das seltsame Verhalten des Wiedergängers - und für seine roten Augen.«

»Was?!«, schimpfte Theo sofort empört. »Warum soll ich hier nach einem geisterverseuchten Keller suchen, während die beiden irgendwelche harmlosen Wissenschaftler befragen dürfen? Es ist deren Job, in Keller zu kriechen und Geister zu killen, nicht meiner!«

»Du warst aber gestern Nacht nicht hier und hast den Wiedergänger nicht gesehen«, gab Sky genervt zurück. »Es macht mehr Sinn, dass Leute zum Tower fahren, die auch Ahnung von dem haben, wonach sie fragen, oder nicht?«

»Außerdem können wir dann gleich neue Ausrüstung für die nächsten Tage besorgen«, ergänzte Connor.

»Wofür braucht ihr denn Ausrüstung, wenn eure Squad außer Dienst ist?«, ätzte Theo.

»Nur weil wir nicht als Team in den Einsatz gehen können, heißt das nicht, dass wir nicht einzeln in Bereitschaft sind, falls eine andere Squad Unterstützung braucht«, knurrte Sky. »Spuk Squads helfen einander. Nennt man Teamwork und das kann Leben retten. Das ist aber vermutlich etwas, das ein Innendienst-Sesselfurzer wie du nicht nachvollziehen kann.«

Bevor das Wortgefecht noch weiter ausufern konnte, stieß Connor Sky gegen den Arm und wandte sich Richtung Tor. »Komm, wir gehen.« Zu Thad und Darrow gewandt fügte er hinzu: »Wir melden uns, sobald wir neue Infos haben.«

Während sie zum Auto zurückliefen, zog Sky ihr Handy aus ihrer Jackentasche. Gabriel hatte eine Nachricht in ihre Chatgruppe gepostet und wollte wissen, was sie am Tatort erfahren hatten.

Connor stöhnte, als er die Nachricht ebenfalls las. »Wenn wir ihm erzählen, dass wir mit Theo zusammenarbeiten müssen, sollten wir den Fall besser gelöst haben, bis dein Dad Gabe zurück in den Dienst lässt. Sonst haben wir sofort einen neuen Mordfall an der Backe.«

Sky schnaubte. »Wir lassen Theo einfach unauffällig verschwinden. Der ist so ätzend, den vermisst kein Mensch. Im Gegenteil. Vermutlich verleiht das Revier uns noch einen Orden.« Sie kickte mit Wucht einen kleinen Kiesel vom Gehweg in die Hecke. »Willst du Gabe anrufen oder soll ich?«

Connor schlang seinen Arm um sie und zog dabei mit einem vielsagenden Grinsen den Autoschlüssel aus ihrer Hosentasche. »Ruf du ihn an. Ich glaube, es ist besser, wenn ich fahre.«

Kapitel 2

Der quadratische Gebäudekomplex des Towers thronte am südöstlichen Ende der City of London nahe der berühmten Tower Bridge am Themseufer. Gebaut als Ringburg mit zwei Reihen aus dicken Festungsmauern hatte der Tower in früheren Zeiten als Hochsicherheitsgefängnis für besonders grausame Straftäter gedient, bis die Burg vor einem guten Jahrhundert schließlich zu einer Forschungseinrichtung umgewandelt worden war, um Geister und Wiedergänger in ihren unterschiedlichen Stadien zu studieren.

Wissenschaftler erhofften sich, die Seelenlosen durch Beobachtungen und verschiedene Versuchsreihen besser zu verstehen, um so Schutzmaßnahmen für die Bevölkerung sowie wirksame Waffen zur Vernichtung zu entwickeln. Gerade in Ballungsgebieten wie London mussten Lösungen für den Umgang mit Geistern gefunden werden, da die geballte Lebensenergie in Großstädten die Wesen magisch anzog. Hier im Tower waren Auraglue und Silberboxen entwickelt worden und die Wissenschaftler experimentierten unentwegt an neuen, noch besseren Möglichkeiten, Geister zu bekämpfen.

Die Burganlage war riesig und Sky und Connor kannten nur einen Bruchteil des Areals. Sie zeigten ihre Dienstausweise am Tor und wurden wie üblich, wenn sie Geister ablieferten, zum Ostflügel geschickt. Dort befand sich im Keller der Verbrennungsofen, in dem die Geister eingeschmolzen wurden, die man zur Vernichtung freigab.

Jeder Geist, der in eine Silberbox gebannt wurde, musste von den Spuks in seiner Stärke klassifiziert werden. Die Wissenschaftler entschieden dann, ob sie diese Klasse für ihre Versuchsreihen gebrauchen konnten. War der Geist für ein Vorhaben passend, wurde er in eins der Verliese im Westflügel gebracht und dort kontrolliert in einer speziell gesicherten Zelle aus der Silberbox gelassen.

Hatten die Forscher keine Verwendung für ihn, wurde der Geist entweder als Trainingsobjekt eingelagert oder er landete samt Silberbox im Verbrennungsofen. Die extrem heißen Temperaturen, die dort herrschten, sowie die chemische Reaktion des schmelzenden Silbers, das sie umschloss, vernichteten die Geister endgültig. Da Silber sehr kostbar war, wurde es anschließend recycelt und zu neuen Silberboxen oder Silberkugeln verarbeitet. Leider ließ sich dieser Vorgang allerdings nur drei bis vier Mal wiederholen, da das Silber durch die chemische Reaktion bei jedem Einschmelzen von Geistern Qualität einbüßte.

Geister, die zu Trainingszwecken gelagert wurden, dienten vor allem den Spuk-Ausbildern der Polizeischule als Übungsmaterial und wurden regelmäßig zur Ausstattung des Trainingsgeländes abgeholt. Doch auch Privatpersonen mit speziellen Genehmigungen konnten Geister bekommen, um in den Trainingsräumen des Towers gegen sie anzutreten. Viele Totenbändiger nahmen diese Möglichkeit wahr, wenn sie damit begannen, ihren Kindern das Geisterbändigen beizubringen. Da die Trainingsgeister nach Stärken klassifiziert wurden, waren sie berechenbarer als ihre Artgenossen in der freien Natur und konnten den Fähigkeiten der Kinder entsprechend ausgewählt werden.

Nachdem Connor den Wagen geparkt hatte, betraten er und Sky den Tower durch den Seiteneingang, der zur Geisterabgabe führte. Ein älterer, ziemlich umfangreicher Wärter saß am Tresen und lächelte ihnen freundlich entgegen, als sie die beiden Silberboxen mit den gefangenen Geistern der letzten Nacht zu ihm schoben.

»Na, was haben Sie da für uns?« Sein Namensschild wies ihn als Ron Bellard aus.

»Einen Schatten im oberen Kräftespektrum«, gab Sky Auskunft, »und den Geist eines Wiedergängers.« Sie reichte Bellard die entsprechenden Papiere.

»Ein Wiedergänger?« Der Wärter seufzte. »Normalerweise sind die bei unseren Forschern immer heiß begehrt, aber mittlerweile hatten wir dieses Jahr schon so viele von den Biestern hier in London, dass ich tatsächlich nachfragen muss, ob der hier ins Verlies geht oder vernichtet werden soll. Schrecklich, oder? Wer weiß, was an Äquinoktium hier los sein wird. Und die dunklen Monate kommen dann ja erst noch.« Wieder seufzte er und strich sich über seine Glatze. »Ich habe das Gefühl, es wird in jedem Unheiligen Jahr schlimmer.«

Connor deutete auf eine der Boxen. »Den Geist dieses Wiedergängers sollten sich die Forscher auf jeden Fall ansehen. Der Wiedergänger, aus dem er stammt, wies einige ungewöhnliche Merkmale auf. Ich weiß zwar nicht, ob man an seinem Geist noch welche davon wiederfinden kann, aber er sollte definitiv von Experten untersucht werden.«

»Hier gibt es doch sicher ein Forschungsteam, das sich besonders auf Wiedergänger spezialisiert hat, oder?«, erkundigte sich Sky. »Wäre es möglich, dort jemanden zu sprechen? Wir hätten da ein paar dringende Fragen.«

Bellard nickte. »Doktor Michaels.« Er griff nach dem Hörer eines Telefons. »Ich rufe sie an und frage nach, wer aus ihrem Team für Sie Zeit hat.«

»Das wäre klasse, vielen Dank.«

Eine Viertelstunde später saßen sie im Westflügel in Doktor Michaels Büro. Die Silberbox mit dem Geist des besonderen Wiedergängers lag zwischen ihnen auf Michaels' Schreibtisch.

»Das ist wirklich außergewöhnlich«, sagte die Wissenschaftlerin nachdenklich, als Connor und Sky mit ihrem Bericht geendet hatten.

Sky schätzte sie auf Anfang vierzig und sie entsprach in keinster Weise dem typischen Bild einer Wissenschaftlerin mit weißem Kittel, Brille, streng zurückgesteckten Haaren und leicht weltfremdem Auftreten. Fiona Michaels trug Jeans mit einer hellen Bluse, hatte einen unkomplizierten Kurzhaarschnitt und wirkte auch sonst eher praktisch veranlagt. Sky und Connor hatten anhand der Nachfragen der Wissenschaftlerin schnell gemerkt, dass sie Wiedergänger nicht nur theoretisch studierte, sondern selbst schon dem ein oder anderen gegenübergestanden hatte.

Michaels hatte außerdem zwei ihrer Mitarbeiter zu ihrem Gespräch mitgebracht. Lee Joplin und April White waren beide Anfang dreißig, ähnlich lässig gekleidet wie Michaels und sie waren beide Totenbändiger.

»Haben Sie eine Erklärung für die roten Augen?«, fragte Sky. »Oder für die Raserei? Dass Wiedergänger brutal und aggressiv sind, ist zwar nicht ungewöhnlich, aber eigentlich lassen sie das unserer Erfahrung nach nur an ihren Opfern aus und zerlegen nicht ihre Umgebung.«

Michaels schüttelte den Kopf. »Rote Augen bei einem Wiedergänger - dieses Phänomen ist mir in der Tat noch nie untergekommen. Es gäbe aber einiges, was an Ursachen dafür denkbar wäre.«

»Was zum Beispiel?«

»Eine Möglichkeit wäre eine Mutation des Wiedergängers, in etwa so wie ein Gendefekt oder auch schlicht eine Laune der Natur. Eine andere Ursache könnten Krankheiten gewesen sein. Dabei gäbe es zwei verschiedene Möglichkeiten. Zum einen eine Krankheit, die die komplette Kreatur befallen und sich auf irgendeine Art und Weise auch auf ihre Augen ausgewirkt hatte. Zum anderen könnte es natürlich auch etwas gewesen sein, das nur ihre Augen betraf. Eine Infektion durch Bakterien oder Viren zum Beispiel. So etwas könnte durch Umwelteinflüsse ausgelöst worden sein oder auch durch eine Verletzung.«

Sie zögerte einen Moment und schien kurz über etwas nachzudenken, dann fuhr sie fort. »Uns ist bisher noch nie ein kranker Wiedergänger begegnet. Die Exemplare, die wir hier im Tower haben, wurden von uns aus Geistern herangezüchtet. Sie haben keinen Kontakt zur Außenwelt, daher ist die Infektionsgefahr durch Krankheiten oder Verletzungen äußerst gering. Aber ich werde gleich veranlassen, dass man uns verschiedene Krankheitserreger schickt, um entsprechende Testreihen zu starten. Das gewalttätige Verhalten, das Sie gestern beobachten konnten, könnte auf eine Art Tollwut hindeuten. Sollte eine solche Seuche unter den Wiedergängern umgehen, oder wenn sie sich an tollwütigen Tieren anstecken können, müssen wir das wissen.«

»Gäbe es denn auch noch andere Ursachen, die zu Gewaltausbrüchen bei einem Wiedergängern führen könnten?«, erkundigte sich Connor.

»Na ja, diese Geschöpfe in Raserei zu treiben, ist eigentlich nicht weiter schwierig«, antwortete Michaels. »Wiedergänger verhalten sich in dem Punkt ähnlich wie wilde Tiere. Wenn sie sich bedroht fühlen oder wenn sich jemand ihrer erlegten Beute nähert, reagieren sie aggressiv. Das werden Sie bei Ihren Einsätzen ja sicher selbst schon zur Genüge beobachtet haben.«

Connor nickte.

»Je nachdem wie sehr man sie reizt, steigert sich die Wut des Wiedergängers und damit auch sein Aggressionsverhalten«, fuhr die Wissenschaftlerin fort. »Gleiches gilt, wenn Wiedergänger gequält werden oder man ihnen Schmerzen zufügt. Auch darauf reagieren sie mit Wut und Aggressivität. Meistens richten die sich als Erstes gegen ihren Peiniger, es kann sich aber auch auf die Umgebung ausweiten. Vor allem, wenn eine Person nicht mehr greifbar ist.«

»Schmerz zufügen? Wie meinen Sie das?«, hakte Connor nach.

»Es gab eine Versuchsreihe, in der wir Wiedergänger verschiedenen Arten und Intensitäten von Licht ausgesetzt haben, um herauszufinden, welche Lichtquellen effektiven Schutz bieten und wie stark diese Quellen sein müssen«, antwortete diesmal Michaels Mitarbeiterin April White. »Je unwohler die Biester sich im Licht gefühlt haben und je mehr Schmerzen die Helligkeit ihnen zugefügt hat, desto aggressiver wurden sie. Und weil kein Mensch bei ihnen im Versuchsraum war, haben sie ihre Wut am Raum selbst ausgelassen und ihn ähnlich zerlegt, wie Sie es beschrieben haben. Die Versuchsreihe wurde videodokumentiert. Wenn Sie wollen, suche ich Ihnen die entsprechenden Dateien heraus und schicke sie Ihnen zu.«

»Gerne. Danke. Als Vergleich zu dem, was wir gestern bei unserem Wiedergänger beobachtet haben, könnte das interessant sein.«

»Das heißt, es könnte durchaus sein, dass man unseren Wiedergänger irgendwo gefangen gehalten und gequält hat und er seine Wut dann an seiner Umgebung ausließ, sobald er draußen war«, rekapitulierte Sky.

»Im Prinzip schon«, schaltete sich nun auch Lee Joplin in das Gespräch ein. »Dagegen spricht jedoch Ihre Beschreibung des Tathergangs. Sie haben die Leichen der Bewohner in unversehrten Häusern der Anlage gefunden und sind erst später auf den randalierenden Wiedergänger aufmerksam geworden. Korrekt?«

»Ja«, bestätigte Sky. »Das bedeutet, dass ihn erst nach dem Morden und Fressen etwas wütend gemacht haben müsste.«

Joplin nickte. »Dann sieht es nicht nach einem Ausbruch aus Gefangenschaft mit entsprechender Raserei aus.«

»Sie sagten, der Wiedergänger hatte Narben oder Striemen am Körper?«, fragte Michaels nach.

»Zumindest glaube ich das«, antwortete Connor. »Ich habe ihn allerdings nur kurz gesehen. Wir waren in einem engen Raum mit dem Biest und unser Partner war bereits verletzt worden. Sobald das Deckenlicht den Wiedergänger geblendet hat, haben wir geschossen und er verwandelte sich zurück in einen Geist. Ich habe ihn nur für eine, vielleicht zwei Sekunden gesehen und mich dabei auf den Kopf konzentriert. Ich bin mir aber relativ sicher, dass sein Oberkörper dunkle Flecken und Striemen aufwies. Und ich glaube auch, dass die Haut an seinem Hals dunkler war als der Rest seines Körpers. Eventuell durch Striemen oder Narben, die eine Kette oder ein Halsband hinterlassen haben könnten. Es wäre allerdings auch möglich, dass das Deckenlicht einfach nur einen täuschenden Schatten geworfen hat.«

Michaels tippte nachdenklich mit ihrem Zeigefinger gegen ihr Kinn. »Körperliche Qualen wie Schläge, Peitschenhiebe oder Elektroschocks würden einen Wiedergänger natürlich auch in Raserei verfallen lassen. Wenn man sie ihm gerade erst zugefügt hatte, könnte das erklären, warum er sich zuerst normal verhalten und die Bewohner getötet hat, um zu fressen, und später dann ausgerastet ist.«

Sky runzelte die Stirn. »Aber das würde bedeuten -«

»- dass jemand mit Ihnen in der Wohnanlage war, der den Wiedergänger vorsätzlich aggressiv gemacht hat«, vollendete White den Satz. »Vielleicht wollte Sie jemand aus dem Weg räumen. Sie sagten, die Wohnanlage sei angezündet worden. Das spricht ja sehr dafür, dass jemand Beweise verschwinden lassen wollte. Vielleicht haben die Täter einen Wiedergänger zum Töten der Bewohner benutzt, um sich selbst nicht die Hände schmutzig zu machen. Aber bevor sie ihre Tat unauffällig zu Ende bringen und wieder verschwinden konnten, sind Sie aufgetaucht. Deshalb haben die Täter den Wiedergänger in Raserei getrieben, um Ihre Aufmerksamkeit zu erregen, und als Sie mit dem Biest abgelenkt waren, sind die Täter geflohen.«

Joplin nickte. »Das klingt für mich ziemlich plausibel. Es würde sowohl die Striemen und Flecken als auch die dunklen Stellen am Hals des Wiedergängers erklären. Er hat eine Kette oder ein Halsband mit Strom getragen, mit dem die Täter ihn kontrolliert haben.«

Sky und Connor tauschten einen kurzen Blick.

»Ist es denn möglich, einen Wiedergänger so abzurichten, dass man ihn kontrolliert töten lassen kann?«, fragte Connor. »Würde er nicht einfach auf jeden Menschen losgehen, auch - oder gerade besonders - auf diejenigen, die versuchen, ihn zu kontrollieren? Wie schafft man es, ihn gezielt auf die Menschen zu hetzen, die man umbringen will, ohne selbst von dem Biest getötet zu werden?«

Joplin hob die Schultern. »Ich schätze, Sie tragen bei Ihren Einsätzen eine Silberweste?«

Connor nickte. »Aber die schützt mich nur, solange andere Opfer attraktiver sind. Sobald die tot und ausgeweidet sind, würde ein Wiedergänger auch auf mich losgehen und mir die Weste vom Leib reißen. Bei den Biestern ist es mit Silber ähnlich wie mit Licht und Eisen. Sie mögen es nicht und es schreckt sie im ersten Moment ab, aber je stärker sie sind, desto weniger lassen sie sich davon aufhalten.«

»Das stimmt«, gab Joplin ihm recht. »Aber es kommt ganz auf die Dosierung an. Mit genügend Licht, Eisen oder Silber zwingt man jeden Wiedergänger in die Knie. Und es gibt schließlich nicht nur Silberwesten. Es gibt auch Schutzanzüge, die komplett mit Silberfäden durchwoben sind. Wir tragen sie hier in den Laboren während unserer Experimente und bisher war noch kein Wiedergänger so stark, dass wir sie uns nicht mit diesen Anzügen vom Leib halten konnten.«

»Gut«, räumte Sky ein. »Aber diese Anzüge kosten ein Vermögen. Wer sich so einen leisten kann, sollte es eigentlich nicht nötig haben, Raubzüge in Seniorenwohnanlagen zu begehen.«

Joplin musterte sie mit einem Grinsen, das ziemlich unverhohlen deutlich machte, dass Sky ihm gefiel. »Das stimmt sicher. Aber die Ermittlerin sind Sie. Alle Fakten sinnvoll miteinander zu verknüpfen, überlasse ich Ihnen. Wir hier können nur sagen, was laut unseren Versuchen und Beobachtungen theoretisch möglich wäre.«

Sky lächelte zurück. »Na, dann fangen wir hier gleich mal mit unseren Ermittlungen an. Wie viele Wiedergänger müssten sich zum jetzigen Zeitpunkt zu experimentellen Zwecken in den Verliesen des Towers befinden und sind die auch wirklich alle hier? Und die gleiche Frage gilt für die Schutzanzüge. Wie viele gibt es davon und sind auch die alle, wo sie sein sollten?«

Joplin lachte auf. »Wow, so werden wir von hilfsbereiten Experten zu Hauptverdächtigen in weniger als zwei Sekunden.« Seine Augen blitzten vergnügt, als er Sky erneut musterte. »Sie wissen, wie Sie sich Freunde machen.«

»Reine Routine«, versicherte Sky mit einem Schmunzeln.

Doktor Michaels erhob sich. »Das verstehe ich. Selbstverständlich werden wir Ihnen unsere Wiedergänger zeigen. Aber ich versichere Ihnen, es gibt hier so viele Sicherheitsvorkehrungen, dass es niemandem möglich wäre, eins der Versuchsobjekte unbemerkt zu entwenden.«

Sie nahm die Silberbox mit dem Geist des besonderen Wiedergängers von ihrem Schreibtisch und reichte sie ihrer Assistentin. »Hol ihn raus und füttere ihn, damit er wieder zu einem Wiedergänger wird. Er wird dann zwar einen neuen Körper bilden, was uns bei der Aufklärung der Ereignisse in der Wohnanlage vermutlich nicht weiterbringen wird. Aber für den Fall, dass es am Geist gelegen hat, sollten wir uns die Kreatur auf jeden Fall genauer ansehen.«

Sky und Connor erhoben sich ebenfalls und als sie gemeinsam das Büro der Wissenschaftlerin verließen, fragte Connor: »Wäre es möglich, dass dieser Wiedergänger aus einer neuen Art von Geist entstanden sein könnte?«

Michaels blieb vor den Aufzügen stehen und drückte den Knopf, um die Kabine zu rufen. »Sicher. Auszuschließen ist so etwas nie. Der Hocus hat sich vor gut hundert Jahren aus den Schattengeistern heraus entwickelt. Es ist daher nicht undenkbar, dass die Seelenlosen weitere Entwicklungen durchlaufen.«

»Füttert Sie Ihre Versuchsobjekte mit Ihrer eigenen Lebensenergie?«, erkundigte Sky sich an White gewandt.

Die nickte. »Meistens machen Lee und ich es. Oder die anderen. Es gibt noch fünf weitere Totenbändiger, die hier im Tower arbeiten.« Sie deutete zu ihrer Chefin. »Aber es gibt auch Normalos, die Lebensenergie spenden. Manche trainieren damit, die Berührungen von Geistern auszuhalten und zu blocken.«

»Um sie zu erforschen und besser zu verstehen, finde ich es sehr hilfreich, die Kräfte dieser Wesen selbst zu spüren, da ich sie so präziser einschätzen kann«, fügte Michaels hinzu und ließ Sky und Connor den Vortritt, als der Aufzug kam und die Türen sich öffneten. »Als Spuk ohne Totenbändigerfähigkeiten geht es Ihnen doch vermutlich ähnlich, nicht wahr?« Sie trat ebenfalls in den Aufzug und drückte einen Knopf für den Kellerbereich.

»Ja, definitiv«, stimmte Connor ihr zu. »Aber wie füttern Sie Wiedergänger? Die brauchen ja nicht nur Lebensenergie, sondern auch Organe, um ihre Körper zu festigen.«

»Wir geben ihnen die Innereien von Schweinen und Rindern. Es ist nicht ihr bevorzugtes Futter und manche verschmähen es zunächst, doch letztendlich siegt immer ihr Hunger und das Verlangen, ihren Körper dauerhaft zu behalten.«

Sie kamen im Keller an und mussten durch eine Sicherheitsschleuse mit Wachpersonal plus Ausweisscanner und Sky und Connor durften nur eintreten, weil Doktor Michaels und ihre beiden Assistenten sie begleiteten und ihre Anwesenheit erklärten.

»Das größte Problem an der Fütterung mit tierischen Organen ist, dass die Gehirne von Rindern oder Schweinen Wiedergänger nicht so intelligent machen wie menschliche Gehirne«, nahm Joplin das Gespräch wieder auf, als sie den Sicherheitsbereich passiert hatten. »Das merken wir jedes Mal, wenn wir menschliche Organe von Spendern bekommen, die ihre Körper nach dem Tod der Wissenschaft zur Verfügung stellen. Wenn ihre Organe nicht für Transplantationen infrage kommen, erhalten wir sie. Und gerade menschliche Gehirne bewirken Wunder, was die Intelligenz von Wiedergängern angeht.«

»Sie sagten, alle Wiedergänger hier in den Verliesen sind von Ihnen gezüchtet?«, fragte Sky nach, als sie am Ende des Gangs an einer Stahltür ankamen, die durch einen Fingerabdruckscanner gesichert war.

»Ja«, antwortete White. »Meistens aus Geistern, in die sich Wiedergänger zurückverwandelt haben, nachdem sie von Spuks mit Silberkugeln getötet wurden.« Sie hielt die Silberbox hoch. »So wie der hier. Wir haben aber auch schon welche aus normalen Geistern herangezüchtet, doch das dauert je nach Stadium des Geistes Wochen bis Monate.«

»Wir arbeiten aber an einem Sedativ«, erklärte Michaels, nachdem sie die Tür geöffnet hatte. »Damit bekämen wir die Möglichkeit, einen Wiedergänger aus freier Wildbahn einzufangen. Eine natürlich entstandene Kreatur zu untersuchen, würde uns sicher noch mal ganz neue Erkenntnisse bringen.«

»Wie weit sind Sie mit der Entwicklung dieses Sedativs?«, erkundigte sich Connor.

Michaels seufzte. »Wir experimentieren mit verschiedenen Betäubungsmitteln, die in Zoos und Safariparks von Tierärzten zur Behandlung von Großwild eingesetzt werden, doch bisher haben wir noch keine Zusammensetzung gefunden, die so zuverlässig wirkt, dass wir sie für einen Feldtest freigeben könnten.«

Sie liefen durch einen weiteren Gang, dessen linke Seite aus einer großen Fensterfront bestand, die den Blick auf ein Labor freigab. Sechs Personen in Kitteln arbeiteten in der Mitte des Raums an verschiedenen Versuchstischen, auf denen Apparaturen mit Kolben und Reagenzgläsern aufgebaut waren. An den Wänden standen weitere Tische mit Zentrifugen, Inkubatoren, Laptops und Glaskästen, in denen man nur mit Handschuhen hantieren durfte.

Michaels deutete in den Raum. »Aber die Kollegen geben natürlich nicht auf.«

Sky runzelte die Stirn. »Wenn es noch kein wirksames Betäubungsmittel für Wiedergänger gibt, wie sollte es dann jemand schaffen, so einem Biest eine Kette oder ein Halsband umzulegen? Sobald man es versuchen würde, würde der Wiedergänger ausrasten und um sich schlagen. Bei der Kraft der Biester wären solche Schläge tödlich, völlig egal, ob man einen Schutzanzug trägt. Und selbst wenn man es schaffen sollte, einem Wiedergänger eine Art Leine anzulegen, würde er sich sicher mit aller Kraft dagegen wehren. Ohne die Möglichkeit ihn ruhiger oder zahmer zu machen, hätte man kaum eine Chance, ihn zu halten, geschweige denn, ihn irgendwie zu führen, um ihn bestimmte Personen töten zu lassen.«

Micheals schüttelte den Kopf. »Nicht unbedingt. Nur weil wir noch kein Mittel für Feldversuche freigegeben haben, heißt das nicht, dass es noch keine gibt, die funktionieren. Sie funktionieren nur nicht zuverlässig genug oder haben unerwünschte Nebenwirkungen.«

»Was heißt das?«, hakte Connor nach.

»Bislang ist die Wirkungsdauer der Mittel unberechenbar, was den Einsatz zu gefährlich macht, weil keiner sicher gewährleisten kann, wie lange der Wiedergänger sediert bleibt«, erklärte White. »Außerdem rufen die bisherigen Mittel eine erhöhte Aggressivität hervor, sobald die betäubende Wirkung nachlässt.«

»Okay«, meinte Sky. »Das würde zum Tatort in der Wohnanlage passen.«

Joplin bedachte sie mit einem verschmitzten Seitenblick. »Lassen Sie mich raten, jetzt möchten Sie auf jeden Fall auch noch den Vorrat unserer Betäubungsmittel überprüfen.«

Sky hob den Daumen. »Aber so was von.«

Knapp zwei Stunden später packten Sky und Connor einen neuen Vorrat an Silberboxen, Silberkugeln und Auraglue-Kartuschen in den Kofferraum ihres Dienstwagens. Die Überprüfung der Verliese hatte nichts Auffälliges ergeben. Die Wiedergänger waren vollzählig, ebenso die Schutzanzüge. Auch der Vorrat an Betäubungsmitteln stimmte mit den Angaben in den Bestandslisten überein, obwohl man diese Listen im Computer sicher leicht manipulieren konnte. Doch solange gegen keinen der Mitarbeiter des Towers ein begründeter Verdacht bestand, würde es schwer sein, eine Genehmigung zu bekommen, um die Computereinträge von der IT-Crowd der Polizei überprüfen zu lassen.

Sie stiegen in den Wagen und Connor steuerte das Tor an.

»Lass uns noch irgendwo anhalten und einen Kaffee trinken, bevor wir aufs Revier fahren, um einen fröhlichen Informationsaustausch mit Theo abzuhalten.« Sky unterdrückte ein Gähnen. Nach all der Aufregung am Abend zuvor war sie zwar todmüde ins Bett gefallen, doch wirklich erholsamen Schlaf hatte sie nicht gefunden. Zweimal war sie aus wirren Träumen aufgeschreckt und hatte danach ewig gebraucht, um wieder einzuschlafen.

»Nope.« Connor fädelte sich gekonnt in den Verkehr entlang der Themse ein. »Um des lieben Friedens willen bekommst du vor dem Gespräch besser kein Koffein.« Er grinste fies.

Sky schnaubte und knuffte ihm empört gegen den Oberschenkel. »Mieser Verräter. Wenn ich das gewusst hätte, hätte ich doch den Kaffee angenommen, den Joplin mir angeboten hat.«

Jetzt war es Connor, der schnaubte. »Ich bin mir ziemlich sicher, der Typ wollte dir nicht nur einen Kaffee anbieten.«

Sky schmunzelte. »Eifersüchtig?«

Er warf ihr einen Seitenblick zu. »Ich denke nicht, dass ich dafür einen Grund habe, oder?«

Da sie gerade an einer roten Ampel warten mussten, beugte Sky sich zu ihm herüber und gab ihm einen Kuss. »Nein, natürlich nicht.« Dann trat jedoch ein spitzbübisches Funkeln in ihre Augen. »Jedenfalls nicht, solange du beim nächsten Coffee Shop anhältst und ich meinen Kaffee bekomme.«

Kapitel 3

Das Gebrabbel von London News Network drang in seinen Schlaf und das warme Gewicht von Watson lag auf seiner Hüfte. Der kleine Katzenjunge genoss es, dass Gabriel den Vormittag auf der Couch verbrachte. Er hatte sich schon vor Stunden zu ihm gekuschelt, als hätte er sich mit der Erzieherfraktion des Hauses verbündet, um aufzupassen, dass Gabriel Ruhe hielt und sich schonte.

Als ob er dafür einen Aufpasser gebraucht hätte. Alleine den Weg aus seinem Zimmer im zweiten Obergeschoss hinunter ins Wohnzimmer hatte sein Kreislauf schon als Zumutung empfunden - und die Wunden an Schulter und Brust sahen das ganz ähnlich. Auch jetzt puckerten sie wieder leicht. Das Schmerzmittel ließ nach. Für die Nacht hatte sein Vater ihm etwas gespritzt, ebenso heute Morgen, als er sich die Wunden noch einmal angesehen hatte, bevor er in seine Praxis gefahren war. Laut ihm sah alles den Umständen entsprechend gut aus und Gabriel sollte jetzt auf Tabletten umschwenken, wenn die Schmerzen zu schlimm wurden. Alle vier Stunden eine. Nicht mehr und nicht öfter.

Gabriel seufzte tief und blinzelte, um die bleierne Müdigkeit zu vertreiben, die ihm seit der Nacht in den Knochen steckte.

»Hey, Sleepyhead. Rise and shine.«

Die unerwartete Stimme ließ ihn zusammenzucken, was seine Schulter mit einer heftigen Schmerzwelle quittierte.

»Hey«, stöhnte er durch zusammengebissene Zähne. »Was machst du denn hier?«

»Ich würde jetzt gerne sagen: einem heißen Kerl beim Schlafen zusehen. Aber das wäre gelogen.« Matt musterte ihn kritisch, als Gabriel sich in Zeitlupentempo aufsetzte. Er war kreidebleich und kämpfte sichtlich mit Kreislaufproblemen, als er sich erschöpft gegen die Sofalehne sinken ließ. »Du siehst echt beschissen aus.«

Gabriel schloss die Augen und lehnte den Kopf gegen die Rückenlehne. »Danke. An deinen Komplimenten solltest du dringend arbeiten.«

»Das sollte gar keins sein. Du siehst wirklich beschissen aus.«

»Lass du dich von einem Wiedergänger aufschlitzen, dann schauen wir mal, wie heiß du am nächsten Morgen aussiehst.«

Matt lächelte erleichtert, weil es seinem Freund zumindest so gut ging, dass er schon wieder kontern konnte.

Watson kuschelte sich erneut an Gabriel und legte demonstrativ eine Pfote auf dessen Oberschenkel, als wollte er ihm damit zu verstehen geben, dass sich aufzusetzen genehmigt war, aufstehen aber noch nicht zur Debatte stand. Gabriel streichelte dem kleinen Kater übers Fell, dann zwang er seine Augen wieder auf und sah zu Matt hinüber, der anscheinend gut versorgt mit Kaffee und Keksen auf der zweiten Couch herumgelungert und Nachrichten geschaut hatte.

»Hat Sky dir erzählt, was passiert ist?«

»Yep. Auch, dass du dein Leben riskiert hast, um ihres zu retten.«

Müde rieb Gabriel sich über die Augen. »Ich wünschte, sie würde da keine so große Sache draus machen. Ich hab sie bloß zur Seite gestoßen. Es war einfach ein Reflex.«

Matt musterte ihn durchdringen. »Ja, klar.«

Die Ironie in seiner Stimme war nicht zu überhören, doch Gabriel fühlte sich zu k. o., um die Sache auszudiskutieren. Außerdem klopfte der Wundschmerz in seiner Schulter mittlerweile deutlich heftiger und er warf einen Blick auf die Uhr, die auf dem Kaminsims stand. Kurz nach halb zwei. Also konnte er einen der Schmerzkiller schlucken, bevor es noch schlimmer wurde. Das Höllenfeuer, das direkt nach der Attacke in Schulter und Brust gebrannt hatte, brauchte er nämlich definitiv kein zweites Mal. Er beugte sich vor, merkte aber sofort, wie sein Kreislauf wieder verrücktspielte.

Verdammt.

Sein Blutdruck war zu niedrig, seit ihm gestern einiges der lebenswichtigen Flüssigkeit verloren gegangen war. Ächzend sank er zurück.

»Was brauchst du?« Matt schwang sich von der zweiten Couch und kam zu ihm herüber.

»Wasser«, murmelte Gabriel genervt, weil sein Körper ihm gerade Grenzen setzte, die ihm nicht passten. »Und eine von den Pillen.« Er deutete zum Sofatisch, wo sein Dad alles für ihn bereitgestellt hatte.

Matt reichte ihm Wasserglas und Tablette und drückte dabei kurz Gabriels Hand. Dann wandte er sich einer bunten Teekanne zu, die auf einem Stövchen ebenfalls auf dem Sofatisch stand.

»Deine Granny hat mir eingeschärft, dir den hier zu geben, sobald du aufwachst.« Er goss eine Tasse ein und tauschte sie gegen das Wasserglas, nachdem Gabriel die Schmerztablette geschluckt hatte. »Ist irgendein Wundermittel, das dich schnell wieder auf die Beine bringen soll.« Er verzog mitfühlend das Gesicht. »Ich hoffe, es schmeckt besser als es riecht.«

Übles ahnend stöhnte Gabriel. »Vermutlich nicht. Wo ist Granny überhaupt?« Er sah zum Durchgang, der auf den Flur hinausführte. »Wundert mich, dass sie noch nicht hier aufgetaucht ist, um nach mir zu sehen.«

»Sie ist vor einer Viertelstunde mit deiner Mum zum Einkaufen gefahren, weil ich versprochen hab, bei dir zu bleiben und aufzupassen, dass du dich nicht von der Couch wegbewegst.«

Matt warf sich wieder auf das zweite Sofa und strich seine bunten Haare zurück, die wie immer in Stirn und Nacken ein bisschen zu lang waren. Kein Mensch wusste, was Mutter Natur sich bei seinen Haaren gedacht hatte. Nicht nur, dass sie in einem wilden Mix aus rosa und hellblauen Strähnen kreuz und quer durcheinander wucherten, sie wuchsen auch sofort nach, sobald er sie kurz schneiden ließ. Färben funktionierte auch nicht. Das Einzige, das funktioniert hatte, waren Strähnchen in Schwarz und Dunkelgrün. Die schienen seinem Schopf sogar so gut zu gefallen, dass die Haare jetzt in dieser Farbe nachwuchsen.

Gabriel runzelte die Stirn. »Sorry, dass sie dich so eingespannt haben. Wenn du zu einem Job musst, dann geh ruhig. Ich bin okay.«

Matt bedachte ihn mit einer hochgezogenen Augenbraue. »Also okay sieht definitiv anders aus. Und keine Sorge. Ich hab den Krankendienst freiwillig angeboten. Den Job kriegen die anderen heute auch alleine hin. Im Moment haben wir keine wirklich gefährlichen Einsätze. Nur jede Menge reiche Schnösel, die vor Äquinoktium noch mal die Sicherungen an ihren Häusern überprüfen lassen wollen, obwohl die meisten von ihnen sich halbe Eisenfestungen haben bauen lassen. Da brauchst du nur von außen einen kurzen Blick drauf zu werfen, um zu sehen, dass da kein Seelenloser reinkommt. Mal ganz davon abgesehen, dass zig Magnesiumlampen, die in deren Straßen und auf deren Grundstücken stehen, sowieso alles Untote auf einen Kilometer Abstand halten.« Er rollte die Augen, grinste dann jedoch geschäftstüchtig. »Aber natürlich nehmen sich die Ghost Reapers trotzdem die Zeit und überprüfen gewissenhaft alle Zugänge zu Grundstücken und Häusern auf mögliche Schwachstellen.«

»Natürlich«, gab Gabriel todernst zurück. »Immerhin werdet ihr nach Stunden bezahlt.«

Matts Grinsen wurde noch ein bisschen breiter. »Exakt. Und die reichen Schnösel schätzen es sogar, wenn wir uns viel Zeit nehmen. Bei denen scheint nur das einen Wert zu haben, wofür sie ordentlich zahlen müssen. Dann empfehlen sie uns sogar gerne weiter. Es gewinnen also beide Parteien.«

Gabriel lächelte. »Es freut mich, dass es für dich so gut läuft. Wirklich. Das hast du echt verdient.«

Nachdem Gabriel trotz rebellischer Teenagerphase und jeder Menge gemeinsamen Mistbauens mit Matt sein Abitur geschafft hatte, verhalf Thad ihm und Sky als zwei der ersten Totenbändiger zu Ausbildungsplätzen an der Polizeiakademie. Für Matt hatte Thad sich ebenfalls eingesetzt, doch da er kein Abitur vorweisen konnte, war er abgelehnt worden. Edna hatte ihm damals zwar angeboten, ihm dabei zu helfen, sein Abitur nachzuholen, doch Matt hatte abgelehnt. Er war ein Praktiker und wollte mit knapp zwanzig nicht noch mal die Schulbank drücken. Und wenn die Polizei ihn nicht wollte, dann eben nicht. Ein paar Jahre lang hatte er sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser gehalten und seinen Eltern im Mean & Evil ausgeholfen, bis er vor gut zwei Jahren die Ghost Reapers gegründet hatte, eine Agentur, an die sich Menschen mit Geisterproblemen wenden konnten.

Matt erwiderte das Lächeln und wies dann auf die Tasse in Gabriels Hand. »Ich sehe dich nicht trinken, also los. Ich will keinen Ärger mit deiner Grandma. Sie hat diesen Blick drauf. Genau wie Lorna. Echt furchteinflößend.«

Gabriel schnitt eine Grimasse. »Ich glaube, diesen Blick perfektionieren Eltern und Großmütter im Laufe der Zeit.« Er nahm einen Schluck vom Tee und hatte das Gefühl, all seine Geschmacksnerven würden gepeinigt aufschreien.

Mitfühlend zog Matt die Nase kraus. Alleine der Geruch schreckte ihn schon ab. Er deutete zum Sofatisch, auf dem neben Teekanne, Wasser und Tabletten ein hellblauer Pappkarton stand. Daisey's Pasties schnörkelte sich in einem Schriftzug, der aussah wie weißer Zuckerguss, über den Deckel.

»Ich hab dir Donuts mitgebracht. Vielleicht helfen die dabei, das fiese Gebräu hinunterzuwürgen.«

»Donuts?«

Mit einem verschmitzten Blick hob Matt die Schultern. »Na, die essen Polizisten doch so gerne, oder nicht? Und nach deinem heldenhaften Einsatz gestern hast du dir definitiv welche verdient.«

»Ich glaube, du verwechselst da was. Donuts sind was für amerikanische Streifencops. Ich bin ein britischer Spuk.«

Matt lachte auf. »Ach so! Was hätte der werte Herr denn stattdessen lieber gehabt? Ein paar Gurkensandwiches? Oder Plum Pudding?«

Gabriel verzog das Gesicht. »Okay, ich glaube, so britisch bin ich dann doch nicht.«

»Dann also doch einen Donut.« Matt wollte sich wieder von der Couch schwingen, um Gabriel die Schachtel zu geben, doch der winkte ab.

»Im Moment nicht. Aber danke. Nicht nur fürs Mitbringen.«

»Kein Ding.«

Sie schwiegen eine Weile, als auf dem Nachrichtensender die Werbepause endete und ein Sprecher die aktuellen Schlagzeilen aus London verkündete. Dazu gehörte natürlich der Brand in der Elderly-Flowers-Seniorensiedlung.

»Euer Fall ist schon den ganzen Vormittag über in den Top News.« Matt nahm sich einen der Kekse, die Ella und Jaz gebacken hatten. »Sky hat mir heute früh alles von letzter Nacht erzählt, aber in den Nachrichten halten sie einiges davon zurück. Da berichten sie nur vom Feuer und spekulieren, was die Ursache gewesen sein könnte.«

»Vermutlich, um die Bevölkerung vor der Unheiligen Nacht nicht zu beunruhigen. Wenn rauskäme, dass ein Wiedergänger den Eisenzaun der Wohnanlage überwunden und die Bewohner abgemetzelt hat …« Gabriel seufzte und sparte sich weitere Ausführungen.

»War es denn wirklich der Wiedergänger? Sky meinte, der Tatort wäre seltsam gewesen. Wisst ihr dazu mittlerweile mehr?«

Gabriel erzählte ihm das, was Sky ihm im Telefonat nach ihrem Treffen mit Thad, Darrow und Theo am Tatort erzählt hatte, und er spielte ihm eine Sprachnachricht vor, die Sky nach ihren Ermittlungen im Tower geschickt hatte. Auch da hatte sie zuerst versucht, ihn anzurufen, doch das Schmerzmittel, das sein Vater ihm am Morgen gespritzt hatte, hatte ihn müde gemacht und er war noch mal eingeschlafen. Die Sprachnachricht war gerade zu Ende, als sie hörten, wie die Haustür geöffnet wurde. Kurz darauf erschienen Sky und Connor im Wohnzimmer.

»Hey. Du bist wach. Und du hast Besuch, sehr schön«, stellte Sky erfreut fest, als sie Matt sah. Nicht, dass sie etwas anderes erwartet hatte, nachdem sie ihn am Morgen mit dem geschockt hatte, was am Abend zuvor geschehen war. »Wie fühlst du dich?« Sie musterte ihren Bruder. »Du siehst immer noch ziemlich bescheiden aus.«

Gabriel verdrehte die Augen. »Ihr seid alle wirklich wahnsinnig aufbauend, wisst ihr das? Wie wäre es denn mal mit einem netter formulierten Satz wie: Dafür, dass du dich mit einem tollwütigen Wiedergänger angelegt hast, siehst du echt schon wieder bombig aus!«

Sky grinste und wühlte ihm liebevoll durch die zerzausten Haare. »Okay, hast recht. Wir arbeiten daran, versprochen.« Sie zog ihre Jacke aus und warf sie über die Sofalehne. »Aber zuerst brauche ich ein Sandwich und einen heißen Tee. Es ist echt kühl geworden. Und nach dem Dienstgespräch, bei dem ich eine Stunde lang Theo aushalten musste, brauche ich jetzt definitiv Schokolade.«

»So viel Frust?«, fragte Gabriel mitfühlend.

»Nee. Eher eine Belohnung dafür, dass ich Theo nicht an die Gurgel gegangen bin.«

Matt lachte. »Ich hab Donuts von Daisey's mitgebracht. Da sind auch welche mit Schokolade dabei.«

»Echt? Oh Mann, ich liebe dich!«

Connor ließ sich neben Matt auf die Couch fallen und begrüßte ihn mit einem Fistbump. »Sie meint das nur platonisch.«

Wieder lachte Matt und sah neckend zwischen Sky und Connor hin und her. »Bist du dir da ganz sicher?«

»Yep, Heiratspläne schmiedet sie nur mit Lee Joplin vom Tower, weil ich sie nicht mit einer Überdosis Koffein im Blut in das Dienstgespräch mit Theo hab ziehen lassen.«

Sky warf ein Sofakissen nach ihm. »Will sonst noch jemand ein Sandwich?«, fragte sie dann und als alle bejahten, dolchte sie ihre Zeigefinger Richtung Connor und Matt. »Na, dann schwingt eure hübschen Hintern mal mit mir in die Küche und helft.«

Kapitel 4

Zehn Minuten später saßen die vier mit Tee, Kaffee und Sandwiches wieder zusammen im Wohnzimmer und Connor und Sky berichteten, welche neuen Ergebnisse das Dienstgespräch gebracht hatte.

»Bei der Obduktion fanden sich Spuren eines Betäubungsmittels in den Körpern«, sagte Sky zwischen zwei Sandwichbissen. »Die Gerichtsmedizin kann es aber noch nicht für alle Toten bestätigen. Einige sind so stark verbrannt, dass die Tests an diesen Leichen vermutlich keine Erkenntnisse bringen werden. Aber bei den bisher Untersuchten konnten sie es jedes Mal nachweisen. Fragt mich jetzt nicht nach der genauen chemischen Bezeichnung, aber es ist irgendein verdammt starkes Zeug, das einen Menschen sofort ausknockt, sobald man es ihm verabreicht.«

»Okay«, meinte Gabriel nachdenklich. »Das heißt, wir gehen dann jetzt davon aus, dass sich gestern Nachmittag zur Teezeit irgendjemand Zugang zur Wohnanlage und in die einzelnen Häuser verschafft hat. Dort hat er den Bewohnern ein Betäubungsmittel verpasst und als alle ausgeschaltet waren, hat er den Wiedergänger auf sie losgelassen, um es wie einen Angriff der Bestie aussehen zu lassen.«

Connor nickte. »Yep. Wir haben uns gewundert, wieso keiner der Bewohner geschrien hat, als plötzlich der Wiedergänger in ihren Häusern stand. Die Antwort haben wir jetzt: Sie haben ihn gar nicht gesehen. Der oder die Täter haben sie vorher betäubt.«

»Klingt ja fast schon human.« Matt nahm einen Schluck Kaffee. »Aber warum das Ganze? Ich verstehe, dass man einen Mord verschleiern und als Wiedergängerattacke tarnen will. Aber warum wollte irgendjemand die alten Leute überhaupt umbringen?«

»Das wissen wir noch nicht«, seufzte Sky. »Raubmord wäre naheliegend, aber laut der Gerichtsmediziner war das Betäubungsmittel so stark, dass es die Bewohner für mehrere Stunden ausgeschaltet hätte. Damit hätten die Täter mehr als genug Zeit gehabt, Geld und Wertsachen in den Häusern zu suchen und wieder zu verschwinden. Sie hätten niemanden umbringen müssen. Schon gar nicht so kompliziert mit einem Wiedergänger, denn den zu händeln, ohne selbst dabei draufzugehen, ist ja nun mal ziemlich riskant.«

»Yep.« Gabriel verzog das Gesicht und rieb sich vorsichtig über seine verletzte Schulter. »Außerdem haben wir in den Häusern keinerlei Hinweise darauf gefunden, dass da irgendwas nach Wertsachen durchwühlt worden ist.«

»In wie vielen Häusern wart ihr denn?«, fragte Matt und nahm sich ein zweites Sandwich.

»In dreien. Von zehn«, antwortete Connor. »Das vierte hatte der Wiedergänger zerlegt, falls da also irgendwas durchwühlt worden ist, war das nicht mehr zu erkennen. In den anderen Häusern waren wir nicht und durch das Feuer und die Explosionen dürfte es schwer festzustellen sein, ob dort nach Wertsachen gesucht wurde und irgendwas fehlt.«

Matt nickte. »Raubmord klingt irgendwie trotzdem eher unwahrscheinlich, wenn ihr mich fragt«, nuschelte er an einem Sandwichbissen vorbei. »Wie Sky schon sagte, um die alten Leute auszurauben, hätte man sie nicht töten müssen, und die Sache mit dem Wiedergänger wäre viel zu kompliziert. Und warum dann on top noch alles anzünden? Wenn jemand die Morde einem Wiedergänger in die Schuhe schieben wollte, wäre er vielleicht damit durchgekommen. Aber mit Brandstiftung wird es dann doch wieder ziemlich verdächtig.«

Connor nickte ebenfalls. »Ja, so richtig passt da nichts zusammen.«

Gabriel stellte den Teller mit seinem Sandwich weg. Der richtige Appetit fehlte ihm - oder er war ihm von Grannys widerlichem Kräutertrank genommen worden. »Vielleicht ist das der Schlüssel zur Antwort. Es war ein Irrer, der irgendwelche kranken Fantasien ausleben wollte. Er hat die Bewohner betäubt, hatte dann Spaß daran, den Wiedergänger auf sie zu hetzen und zuzusehen, wie er sie ausweidet. Und ganz zum Schluss steckt er alles in Brand. Entweder um Spuren zu verwischen oder weil ihm so ein riesiges Feuer, das es garantiert in die Nachrichten schafft, den ultimativen letzten Kick gibt.«

»Das wäre aber wirklich megagestört«, meinte Connor stirnrunzelnd.

Gabriel schnaubte zynisch. »Nicht mehr, als irgendein Irrer, der Totenbändigerkinder in Kisten einsperrt und zig Leuten die Kehlen aufschlitzt.«

Sky seufzte. »Stimmt. Aber gleich zwei so Irre hier in London? Wie wahrscheinlich ist das?«

»Im Großraum London leben knapp fünfzehn Millionen Menschen«, warf Matt ein. »Ich denke nicht, dass zwei solche Irren da wirklich so unwahrscheinlich sind.«

Sky stöhnte wenig erbaut, stellte ihren leeren Teller weg und nahm ihren Tee. »Okay, mag sein, dass es prozentual gesehen wirklich nicht unwahrscheinlich ist. Aber dass sie sich beide Camden als Stadtteil aussuchen, wäre schon ein ziemlich seltsamer Zufall, oder?«

»Vor dreizehn Jahren war der Tatort nicht in Camden«, gab Gabriel zu bedenken. »Das Herrenhaus lag in Wimbledon. Und die Leichen, die wir unter Golders Hill gefunden haben, waren dort nur abgelegt worden. Der Tatort muss also nicht in Camden gewesen sein.«

»Könnte es sein, dass es ein und derselbe Irre ist?«, warf Matt in den Raum. »Vielleicht hat er irgendwie mitbekommen, dass ihr die neuen Leichen gefunden habt und jetzt will er euch mit diesem seltsamen Tatort und dem Brand in der Wohnanlage ablenken. Wenn ihr in einem neuen Fall ermitteln müsst, habt ihr keine Zeit, den Leichenfunden nachzugehen und einen dreizehn Jahre alten Fall wieder aufzurollen.«

Die drei ließen sich das für einen Moment durch den Kopf gehen.

»Das wäre ziemlich krass«, murmelte Sky.

»Macht aber von allen bisherigen Theorien am meisten Sinn«, meinte Connor. »Und dass dieser Dreckskerl mit krass keine Probleme hat, ist ja offensichtlich. Wer zweimal achtundsiebzig Menschen die Kehlen durchschneidet, Zeugen tötet und mit kleinen Kindern tödliche Experimente durchführt, hat mit Sicherheit auch keine Skrupel, einundzwanzig Rentner plus zwei Pförtner umzubringen.«

Gabriel nickte finster. »Und wenn er Experimente mit Totenbändigerkindern und Geistern macht, besitzt er auch sicher Schutzkleidung wie diesen Silberanzug, den der Täter von gestern getragen haben muss, damit der Wiedergänger nicht auch ihn zerfleischt.«

»Die Vorstellung, dass es jemanden gibt, der so krank ist, ist trotzdem heftig.« Seufzend rieb Sky sich übers Gesicht und massierte kurz ihre Schläfen. »Denn ganz ehrlich, bei dem muss doch jedes bisschen Menschlichkeit fehlen. Das ist ein Monster - und er läuft frei herum.«

»Aber wenn es wirklich ein und derselbe Täter sein sollte, haben wir mit seiner neuen Tat eine echte Chance, ihn zu erwischen.« Voller Genugtuung ballte Gabriel die Hand zur Faust.

»Freu dich nicht zu früh. So wahnsinnig viele neue Hinweise, denen wir nachgehen könnten, haben wir gar nicht«, gab Connor zu bedenken. »Die Aufzeichnungen der Überwachungskameras an der Wohnanlage wurden durch das Feuer zerstört und außerhalb der Anlage liegt die nächste Kamera der Verkehrsüberwachung zu weit entfernt, als dass deren Aufnahmen uns helfen würden.«

»Gibt es keine Überwachungskameras an den Häusern in der Nachbarschaft?«, fragte Matt. »Wohlhabende Leute installieren die ja gerne auf ihren Grundstücken. Vielleicht gibt es da eine Kamera, die was eingefangen hat.«

»Das überprüft Theo, aber ich mache mir keine großen Hoffnungen«, antwortete Sky. »Die Elderly-Flowers-Anlage liegt zwar in einer ganz guten Gegend, aber es ist trotzdem Camden und kein Viertel der Superreichen. Die Leute dort haben eher in Eisensicherungen und Magnesiumlampen investiert, nicht in lückenlose Videoüberwachung.«

»Ich schätze, unsere besten Chancen, eine Spur zu dem Kerl zu finden, sind der Schutzanzug, der Wiedergänger und das Betäubungsmittel, das er brauchte, um das Biest kontrollieren zu können«, meinte Connor. »Eventuell könnte uns auch noch das Mittel weiterhelfen, mit dem die Senioren betäubt wurden, falls das etwas Besonderes ist und nicht bei Dealern an jeder zweiten Straßenecke oder im Darknet gekauft werden kann. Da sollten wir in der Gerichtsmedizin noch mal nachhören, sobald sie ihre Untersuchungen abgeschlossen haben.«

Sky goss sich Tee nach und wärmte ihre Finger an der Tasse. »Okay, obwohl ich nicht glaube, dass wir damit weiterkommen werden. Und beim Schutzanzug sieht es ganz ähnlich aus, fürchte ich. Ja, das Ding ist schweineteuer und es gibt nur zwei Firmen, die sie herstellen. Aber wir haben keine Ahnung, wann unser Täter sich das Ding gekauft hat. Es gab diese Anzüge schon vor dreizehn Jahren. Und selbst wenn er sich zwischendurch eine neue Version gekauft hat, weil die Dinger weiterentwickelt wurden und heute deutlich besser sind als damals, sind das sicher hunderte von Kundenbestellungen, die wir durchgehen müssen.«

»Nicht zu vergessen, der Schwarzmarkt«, warf Matt ein. »Wenn alte Anzüge in Betrieben ausgemustert und gegen neue ersetzt werden, ergeben sich immer Möglichkeiten, inoffiziell so was zu erwerben. Diese Spur zu verfolgen, dürfte daher wirklich schwierig sein. Und vermutlich führt sie zu nichts.«

»Damit bleiben dann nur der Wiedergänger und das Betäubungsmittel«, seufzte Sky.

»Und die beiden Schattengeister«, fügte Connor hinzu. »Die können nicht von den Bewohnern stammen, dafür waren sie zu zeitnah verstorben. Also muss dieser Kerl nicht nur den Wiedergänger, sondern auch die beiden Schatten mit in die Wohnanlage gebracht haben.«

»Das hinzubekommen, ist aber nicht weiter schwer«, sagte Matt. »Für die Geister reichen einfache Silberboxen. Man fängt die Biester ein und lässt sie wieder frei. Das kann jeder, der mit Silberboxen und Auraglue-Waffen umgehen kann. Also zum Beispiel alle unabhängigen Geisterjäger - und auch alle Spuk Squads.«

»Super«, ächzte Connor. »Ermittlungen in den eigenen Reihen. Was für ein Spaß.«

Gabriel schüttelte den Kopf. »Das glaube ich nicht. Spuks und Geisterjäger sind ja nicht die Einzigen, die an Silberboxen und Auraglues herankommen. Laut neuem Waffengesetz kann die jetzt jeder kaufen. Das gilt zwar erst seit diesem Jahr, aber im Darknet oder auf dem Schwarzmarkt war es auch schon vorher kein Problem, an die Sachen heranzukommen - wenn man bereit ist, genug Cash dafür hinzublättern. Und Jamal wird sicher auch nicht der einzige Tüftler unter der Sonne sein, der eigene Silberboxen zusammenbasteln kann.«

Jamal war der Technik-Nerd der Ghost Reapers. Um in der Dunkelheit mit seinen Kollegen Geisterjagen zu gehen, fehlte ihm die nervliche Konstitution, doch er betrieb gemeinsam mit seinen Eltern ein Elektronikgeschäft, in dem sie Alarmanlagen sowie Schutz- und Abwehrsysteme gegen Geister und Wiedergänger entwickelten. Zusätzlich bastelte Jamal ständig an Dingen herum, um den Ghost Reapers ihre Arbeit zu erleichtern.

Sky nahm einen Schluck Tee und spielte dann am Henkel ihrer Tasse herum. »Okay, also sind die Schattengeister auch keine große Hilfe. Die Spur dürfte ähnlich im Sande verlaufen wie die des Schutzanzugs. Bleiben noch der Wiedergänger und das Betäubungsmittel. So ein Biest einzufangen, gefangen zu halten und mit irgendwelchen Drogen zu kontrollieren, ist schwierig und das bekommen sicher nicht viele Menschen hin. Zumal Doktor Michaels meinte, dass die Forschung noch kein zuverlässiges Betäubungsmittel gefunden hat. Sicher mag es auch da private Tüftler geben, die an so was herumexperimentieren, vor allem, wenn es solche Spinner sind, die sich Geister oder Wiedergänger als eine Art Haustier halten. Aber in den Forscherteams des Towers arbeiten die besten Wissenschaftler des Landes und wenn die noch kein zuverlässiges Mittel gefunden haben, wer dann?«

»Echt jetzt?« Matt bedachte sie mit einem schiefen Blick.

Sky erwiderte ihn stirnrunzelnd. »Hm? Was meinst du?«

Ungläubig sah Matt von ihr zu Gabriel, doch der blickte ihn genauso verwirrt an. »Nicht euer Ernst!« Matt schüttelte den Kopf und fuhr sich durch seinen Haarschopf. »Ich weiß ja, dass eure Mum euch von den dunkleren Seiten unserer Community ferngehalten hat, aber habt ihr wirklich keine Ahnung?«

»Wovon denn?«, knurrte Gabriel ungeduldig.

»Vom Fight Club.«

»Welcher Fight Club?«, fragte Connor sofort.Für ihn als Normalo, der fernab von jeglichen Totenbändigern in einem kleinen Dorf in Sussex aufgewachsen war, war noch immer vieles aus der Welt seiner Freunde neu, obwohl er Sky und Gabriel jetzt schon seit fünf Jahren kannte.

»Es gibt in Brixton einen Fight Club. Höchst illegal und dementsprechend natürlich auch ziemlich geheim.« Matt sah wieder von Sky zu Gabriel. »In unserer Community ist er allerdings ein eher offenes Geheimnis.«

»Warum?«, wollte Sky wissen. »Weil er von Totenbändigern betrieben wird?«

»Exakt. Dort werden verschiedene Arten von Kämpfen gezeigt. Totenbändiger gegen Geister. Totenbändiger gegen Wiedergänger. Totenbändiger gegen Totenbändiger. Es gibt relativ harmlose Veranstaltungen, in denen nur Showkämpfe laufen, aber es finden auch Wettkämpfe statt, in denen es ziemlich heftig zugeht. Die Leute können dann Wetten darauf abschließen, wie die Kämpfe ausgehen.«

»Sag mir bitte nicht, man wettet da auf Leben und Tod«, hakte Sky nach.

Matt hob die Schultern. »Klar. Bei den Kämpfen gegen Geister und Wiedergänger ist das eigentlich immer der Fall. Treten zwei Totenbändiger gegeneinander an, ist es seltener, dass die Kontrahenten wirklich bis zum Äußersten gehen.«

»Aber es kommt vor, dass sich zwei von uns duellieren, bis einer stirbt? Ernsthaft?!« Fassungslos schüttelte Sky den Kopf. »Das ist barbarisch!«

Wieder hob Matt bloß die Schultern. »Der Tod eines Totenbändigers interessiert weder die Behörden noch die Gesellschaft sonderlich, deswegen interessiert es auch keinen, ob wir uns untereinander irgendwas antun. Im Gegenteil. Wenn sie davon wüssten, fänden sie es vermutlich sogar noch cool, dass wir uns gegenseitig abmurksen.«

»Ja, aber deshalb müssen wir es doch nicht tatsächlich tun!«, ereiferte Sky sich aufgebracht.

»Für viele Totenbändiger ist es immer noch schwierig, Jobs zu bekommen. Und wenn sie einen bekommen, werden sie oft ausgebeutet und schlecht bezahlt. Die Kämpfer im Fight Club verdienen ziemlich gut und manche sind in der Szene echte Stars. Niemand wird gezwungen, zu kämpfen. Sie machen alles freiwillig und jeder bestimmt selbst, welches Risiko er oder sie eingehen will.«

Connor schnaubte sarkastisch. »Aber ich wette für die spektakulären Kämpfe auf Leben und Tod kassieren sie deutlich mehr. Also wird es mit Sicherheit immer wieder Kämpfer geben, die zu viel riskieren, weil ein Batzen Kohle ziemlich verführerisch ist.«

»Sicher. Aber das ist deren Entscheidung«, gab Matt zurück. »Und sind wir ehrlich: Ihr Spuks macht ja auch nichts anderes. Ihr werdet dafür bezahlt, dass ihr jeden Abend da rausgeht und euer Leben beim Geisterbändigen riskiert. Es mag nicht so eigennützig sein wie im Fight Club, weil ihr für die Sicherheit der Stadt sorgt. Aber das Prinzip ist eigentlich das gleiche: Ihr riskiert für Geld euer Leben. Der große Unterschied besteht nur darin, dass ihr für die Risiken und Gefahren, die ihr dabei auf euch nehmt, lachhaft schlecht bezahlt werdet und nicht annähernd die Anerkennung und Wertschätzung bekommt, die ihr dafür verdienen würdet. Schon gar nicht Gabe und Sky. Ich finde es daher kein bisschen verwerflich, wenn Totenbändiger im Fight Club kämpfen und so versuchen, sich ein besseres Leben aufzubauen.«

Connor schwieg.

»Woher weißt du so viel über den Club?«, wollte Gabriel wissen.

Matt grinste schief. »Hallo? Informationen und Connections gehören zu meinem Geschäft. Das weißt du.«

»Nein, komm mir nicht mit diesem Blabla.« Gabriel spießte seinen Blick in seinen Ex. »Du hast dort selbst gekämpft, stimmt's?«

Matt zuckte leichthin mit den Schultern. »Vielleicht.«

»Ernsthaft?«, fuhr Gabriel ihn an. »Bist du bescheuert? Wann?«

»Hey, reg dich nicht auf. Das ist für deinen Blutdruck heute bestimmt nicht so genial.«

»Scheiß auf meinen Blutdruck! Wann?«

Matt schnaubte und verdrehte die Augen. »Sagen wir einfach, meine rebellische Phase dauerte länger als deine. Aber es ist schon ewig her, okay?«

Gabriel ließ ihn weiterhin nicht aus den Augen. »Fünf Jahre?«

Matt und er hatten sich getrennt, als Gabriel mit Sky auf die Polizeiakademie gegangen waren. Zum einen, weil die Ausbildung anspruchsvoll war und ihm kaum Freizeit gelassen hatte, zum anderen, weil sie einfach nicht mehr gut füreinander gewesen waren. Sie waren wie Feuer und Dynamit und hatten gemeinsam immer schlimmeren Mist gebaut, der ihnen immer häufiger und immer gefährlicher um die Ohren geflogen war. Sie waren wütend auf die Gesellschaft gewesen, die sie dafür ablehnte und diskriminierte, dass sie Totenbändiger waren - etwas, das sich keiner von ihnen ausgesucht hatte. Doch sie waren es gerne und wollten sich für ihre Fähigkeiten nicht schämen müssen oder ständig unter Generalverdacht gestellt werden. Sie hatten gegen die Ungleichbehandlung rebelliert und Wut und Frust zu oft in Alkohol ertränkt, der sie leichtsinnige und selbstzerstörerische Dinge hatte tun lassen.

Als Gabriel an der Polizeiakademie aufgenommen worden war, hatten die strengen Strukturen der Ausbildung und das harte körperliche Training ihm dabei geholfen, sich wieder in den Griff zu bekommen. Die Polizei war bereit, ihm eine Chance zu geben, und er hatte allen beweisen wollen, dass Totenbändiger genau die verdienten. Sein Kontakt zu Matt war damals für fast ein Jahr abgebrochen, doch schließlich hatten sie sich wieder zusammengerauft und heute war Matt einer seiner besten Freunde. Hin und wieder auch mit gewissen Vorzügen.

»Könnte hinkommen. Aber ich denke nicht, dass mein Lebenslauf jetzt hier das Thema ist, oder?«, gab Matt zurück.

»Das heißt, du denkst, jemand aus dem Fight Club könnte hinter der Sache stecken?«, hakte Connor nach.

Abwehrend hob Matt die Hände. »Das habe ich nicht gesagt. Ich war schon ewig nicht mehr in dem Club und hab keine Ahnung, wer da gerade rumhängt und wie die alle drauf sind. Der Boss ist aber immer noch derselbe.«

»Aber wenn sie in diesem Club gegen Geister und Wiedergänger kämpfen, sollten wir uns dort auf jeden Fall mal umsehen«, befand Connor. »Es wird da ja nicht nur die Kämpfer geben, sondern auch Personal, also etliche Leute, die sich an Geistern und Wiedergängern bedienen könnten. Und vermutlich haben sie auch Möglichkeiten, Wiedergänger auf gewisse Weise zu kontrollieren, oder nicht?«

Matt nickte zögernd. »Vermutlich. Wenn ein Wiedergänger einen Kampf gewinnt, müssen sie ihn ja irgendwie ruhigstellen, um den Ring räumen zu können.«

»Stimmt«, sagte Connor zynisch. »Wenn sie die Biester einfach töten, wäre das eine Verschwendung von Ressourcen und Kapital.«

»Exakt.«

Sky verzog das Gesicht. »Hab ich schon deutlich genug gemacht, dass ich diesen Club abartig und barbarisch finde?«

Matt klopfte ihr auf die Schulter und lächelte schief. »Das solltest du dir aber lieber nicht anmerken lassen, wenn wir in den Club gehen.«