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In dieser wissenschaftlichen Arbeit wird die Revolutionsbewegung der letzten 4 Jahre seit Ausbruch des sogenannten „Arabischen Frühlings“ in den Kontext der Demokratisierungsforschung gestellt. Zielsetzung ist es, die Gründe zu benennen, warum der Arabische Frühling, der anfänglich insbesondere in der westlichen Forschungs- und Medienlandschaft als Hoffnungsträger eines Frühlings der Demokratie galt, keinen Regionen übergreifenden Demokratisierungsprozess in den arabischen Staaten eingeleitet hat, beziehungsweise zu derart unterschiedlichen „Ergebnissen“ geführt hat. Von den 17 - mehr oder weniger stark - betroffenen Ländern des Arabischen Frühlings, in denen sich ein Großteil der Bevölkerung gegen Unterdrückung und soziale Ungerechtigkeit erhob, werden zwei relevante Fallbeispiele, namentlich Tunesien und Syrien, für den qualitativen Vergleich gewählt. Mithilfe des theoretischen Rüstzeugs der Transitionsforschung soll zum einen untersucht werden, ob und wie der Arabische Frühling einen Demokratisierungsprozess in den beiden Fallbeispielen eingeleitet hat und zum anderen, welche internen und externen Faktoren zu einer Verhinderung, beziehungsweise Umsetzung, der Reformprozesse geführt haben. Diese Arbeit ist die Masterthesis der Autorin und wurde im August 2015 in gekürzter Form an einer deutschen Universität eingereicht. Jeglicher Erlös, den die Autorin durch den Verkauf dieses Werks über BoD erzielt, wird ohne Abzüge einer Notunterkunft für Flüchtlinge in Berlin – der NUK Friedrichshagen - zugutekommen.
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Seitenzahl: 178
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Vielen Dank an dieser Stelle an meine Eltern,
Sieglinde und Bernhard
sowie meine Schwester Katja, für die
spontane Unterstützung beim Fertigstellen
dieser Masterarbeit.
Das Jahr 2011 veränderte die politische Situation in den Ländern Nordafrikas und des Nahen Ostens gravierend.
Der Sturz eines seit 23 Jahren autokratisch herrschenden Staatspräsidenten durch eine zivilgesellschaftliche Protestbewegung inspirierte die Bevölkerungen in vielen Teilen der arabischen Welt zu ähnlichen Protesten, die anfänglich in kleineren kosmetischen Reformen oder politischen Machtwechseln mündeten.
Die intensivere internationale Kommunikation und die gezielte Nutzung der neuen sozialen Medien bewirkten die schnelle Ausbreitung der regionalen Protestwellen und führten zu einem Regionen übergreifenden Aufstand. Getragen wurden diese Proteste vor allem von den jungen urbanen Intellektuellen und/oder sozial, regional, ethnisch oder konfessionell diskriminierten Bevölkerungsgruppen in der Peripherie. Die bisher politisch wenig in Erscheinung getretene Jugend spielte im Arabischen Frühling eine entscheidende Rolle.
Doch der Arabische Frühling löste keinen - wie anfänglich medial spekuliert - Demokratisierungsprozess in der arabischen Welt aus, sondern implizierte in seiner Gesamtheit vielmehr äußerst autoritäre Polizeistaaten und/oder provoziert den Zerfall von Nationen. Und selbst in Tunesien - dem einzigem Lichtblick des Arabischen Frühlings - mangelt es weiterhin an sozialen Rechten und Perspektiven, gerade für die jungen, hoch gebildeten Menschen im Land: Denn Freiheit allein kann man nicht essen! So birgt die hohe Arbeitslosigkeit und siechende Wirtschaft Tunesiens sowie der wachsende Zustrom zum islamistischen Lager mit zunehmender Bedrohung durch islamistischen Terror extremstes Konfliktpotenzial. Der Weg in die Demokratie gestaltet sich auch im letzten verbliebenem Hoffnungsträger steinig; Das politische System ist fragil.
Zeitgleich markiert der Arabische Frühling einen historischen Moment des Umbruchs und eines (noch offenen) Neuorientierungsprozesses. Denn die Revolutionen haben nicht nur die Innenpolitik in den betroffenen Ländern erschüttert, sondern sind im Prozess eine Neuausrichtung der regionalen Ordnung in der MENA-Region herbeizuführen. Die Frage, die uns in den kommenden Jahren beschäftigen wird, lautet folglich, ob die alte Ordnung aus Zeiten des europäischen Kolonialismus (weiterhin) Bestand haben kann oder ob es zukünftig einer neuen Staats- und Gesellschaftsordnung bedarf.
Diese wissenschaftliche Arbeit, die als Abschlussarbeit in gekürzter Form im Rahmen des Studiums der Politikwissenschaft an einer deutschen Universität eingereicht wurde, soll ein Grundlagenverständnis über die Herrschaftsstrukturen sowie die Auswirkungen und Entwicklungen des Arabischen Frühlings in den beiden gewählten Fallbeispielen – Tunesien & Syrien – geben.
Aufgrund der Aktualität und Relevanz der Thematik hat sich die Autorin entschlossen, die Forschungsergebnisse frei zugänglich zu machen. In der Erwartung, mit diesem Beitrag in kleinem Maße zu einem besseren Verständnis und zur Aufklärung über die komplexe Konfliktlage in der MENA-Region beizutragen und verbunden mit der Hoffnung, dass zukünftig langfristige konstruktive Problemlösungsansätze geschaffen werden.
Wünschenswert wäre dies allemal! – und dies nicht nur für die bereits im fünften Jahr unter Krieg und Terror leidenden Menschen in Teilen des Nahen Ostens und Nordafrikas, sondern insgesamt für eine friedlichere Welt. (Jeglicher Erlös der Autorin, der durch den Verkauf dieser Abschlussarbeit über BoD zustande kommt, wird ohne Abzüge einer Notunterkunft für Flüchtlinge in Berlin – der NUK Friedrichshagen – zugutekommen.)
In dieser Arbeit werden die Entwicklungen der arabischen Welt der letzten 4 Jahre, d.h. seit Ausbruch der Proteste Ende Dezember 2010, in den Kontext der Demokratisierungsforschung gestellt und bisherige Konzepte neu hinterfragt. Zielsetzung ist es, die Gründe zu benennen, warum der „Arabische Frühling“, der als Hoffnungsträger eines Frühlings der Demokratie galt, keinen Regionen übergreifenden Demokratisierungsprozess eingeleitet bzw. zu derart unterschiedlichen „Ergebnissen“ in den arabischen Gesellschaften geführt hat.
Kapitel I: Einführung in die Problemstellung und Methodik
1.1 Einleitung
1.2 Forschungsfragen und Hypothese
1.3 Methodik und Quellen
Kapitel II: Theoretischer Rahmen zur Erklärung von Demokratisierungsprozessen
2.1 Demokratiekonzeption nach Dahl
2.2 Transitionsforschung
2.2.1 Makrotheoretischer Ansatz
2.2.1.1 Modernisierungstheoretischer Ansatz
2.2.1.2 Strukturalistischer Theorieansatz
2.2.1.3 Kulturalistischer Theorieansatz
2.2.2 Akteurstheoretischer Ansatz
2.2.2.1 Dankwart A. Rüstow
2.2.2.2 Guillermo O' Donnell/ Philippe C. Schmitter
Kapitel III: Arabischer Frühling
3.1 Hintergründe und Ursachen
3.2 die arabische „Staatengemeinschaft“
3.2.1 Tunesien
3.2.2 Syrien
Kapitel IV: Praktischer Rahmen zur Analyse des Demokratisierungsprozesses
4.1 Angewandtes Demokratiekonzept nach Dahl
4.1.1 Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit
4.1.2 Meinungsfreiheit
4.1.3 Informations- und Pressefreiheit
4.1.4 Aktives Wahlrecht
4.1.5 Passives Wahlrecht
4.1.6 Recht der Werbung um Wählerstimmen und Unterstützung
4.1.7 Freie und faire Wahlen
4.1.8 Institutionen, die die Regierung an den Wählerwillen binden
4.1.9 „Stabilität“
4.2
Zwischenfazit: Auf dem Weg zur Demokratie?
4.2.1 Die „tunesische Demokratie“
4.2.2 Der „syrische Bürgerkrieg“
Kapitel V: Theoriesymbiose: Analyse der Variablen
5.1 Makrostrukturelle Aspekte
5.1.1 Sozioökonomische Faktoren
5.1.2 Soziostrukturelle Faktoren
5.1.3 Kulturelle Faktoren: Islamverständnis
5.1.4 Nationale Einheit
5.1.5 Legitimationsbasis des autoritären Regimes
5.1.6 Geopolitische Bedeutung
5.2 Mikropolitische Aspekte: Akteure
5.2.1 Politischer Akteur: Regierung
5.2.2 Politischer Akteur: Opposition
5.2.3 Sicherheitskräfte
5.2.4 Zivilgesellschaft
5.2.5 Externe Akteure: Strategische Partnerschaften
5.3 Zwischenfazit
Zusammenfassung der Ergebnisse
6.1 Fazit
Anhang
7. Literaturverzeichnis
"Political democracy, then, usually emerges from a nonlinear,
highly uncertain, and imminently reversible process [...]."1
Die Arabische Welt befindet sich in Aufruhr und Umbruch. Seitdem Ende Dezember 2010 die ersten Proteste in Tunesien ausbrachen, ist eine ganze Region nicht mehr zur Ruhe gekommen. Doch was mit den Massenprotesten begann und anfänglich vielerorts als demokratischer Funke und Hoffnungsträger interpretiert wurde, weitete sich unvermittelt wie ein Flächenbrand auf weitere Länder des Nahen Ostens und Nordafrika aus und hat indessen zu einer höchst angespannten, ungewissen und fragilen Lage der arabischen Welt geführt. Während die westliche Medienlandschaft bereits Mitte 2011 von der „vierten Demokratisierungswelle“2 oder dem Schlagwort „Araber kämpfen für Freiheit“3 sprach, titelte selbige bereits einige Monate später ernüchtert, dass aus dem „Arabischen Frühling“ ein „arabischer Herbst“4 bzw. „arabischer Winter“5 geworden war. Vier Jahre später lässt sich rückblickend folgende Bilanz aus dem Arabischen Frühling ziehen: Vier Staatsoberhäupter wurden gestürzt; Mehrere Staaten bildeten ihre Regierungen um oder reformierten diese oberflächlich; Zwei Staaten befinden sich in Bürgerkriegen, wovon einer einen Stellvertreterkrieg darstellt, der die gesamte Region und Staatlichkeit in Frage stellt; Einem einzelnen Staat scheint der demokratische Weg gelungen zu sein. Von einer Demokratisierungswelle in der MENA-Region kann keineswegs gesprochen werden. - Das einzige, von dem gewiss gesprochen werden kann ist, dass die Ereignisse von vor (über) vier Jahren ein politisches Erwachen und einen Wendepunkt in der arabischen Welt dargestellt haben. Die Richtung, die sie genommen haben, hat jedoch niemand erwartet noch hätte sie vor der sogenannten „Arabellion“ vorhersagen können.
Der Auslöser des Arabischen Frühlings war die Selbsttötung eines jungen, perspektivlosen Mannes in Tunesien, dessen verzweifelte Tat sinnbildlich für die Missstände und Konflikte in seinem Land stand, gegen die er mit dieser Tat rebellierte. Daraus entwickelten sich umgehend landesweite soziale Proteste gegen staatliche Willkür und für eine größere Teilhabe am wirtschaftlichen Fortschritt. Angesichts der Repression, mit der das Regime auf die Demonstranten reagierte, kam es alsbald zu Forderungen einer radikalen Veränderung des politischen Systems bis hin zu eindeutigen Rücktrittsforderungen des autoritären Machthabers. Das wirkte wie eine Initialzündung auf die arabischen Nachbarländer und gab den Auftakt zu einem grenzüberschreitenden Aufstand, der einen regionalen Dominoeffekt auslöste, der die in der arabischen Welt über mehrere Jahrzehnte dominierende Staats- und Gesellschaftsordnung komplett aus den Fugen brachte. So kam es innerhalb kürzester Zeit in fast allen arabischen Staaten zu Protesten und Revolten gegen die eigene Staatsmacht. Doch die ähnlichen Ausgangslagen in den arabischen Gesellschaften führten in den Ländern der MENA-Region zu komplett differierenden „Ergebnissen“.6 Dieses Phänomen wirft die Frage auf, warum die Arabellion in den verschiedenen, doch geographisch, historisch und kulturell verwandten Staaten der Arabischen Welt, die sich allesamt durch ein autoritäres System kennzeichneten, zu derartig verschiedenen „Produkten“ geführt hat. Eben diese Problematik dient als Ausgangspunkt für die vorliegende Arbeit. Es soll der Frage nachgegangen werden, warum der Arabische Frühling keinen Regionen übergreifenden Demokratisierungsprozess ausgelöst hat bzw. warum er zu derart unterschiedlichen „Ergebnissen“ in den arabischen Gesellschaften geführt hat?
In der bisherigen Forschung zum Arabischen Frühling ist der vergleichenden Analyse, die die Gründe für die unterschiedlichen Entwicklungen der einzelnen Staaten der Arabischen Liga erklären könnte, bisher wenig nachgegangen worden. Der Forschungsschwerpunkt liegt in der deskriptiven Natur der einzelnen Fälle, die Ursachen, Verlauf und Herausforderungen betreffen. Im Mittelpunkt steht dabei die Bedeutung sozialer Medien und Netzwerke, d.h. die Rolle des Internets, die für die blitzartige und rasche Ausbreitung der Proteste des Arabischen Frühlings ausschlaggebend war. In dieser Arbeit spielt diese Fokussierung kaum eine Rolle. Vielmehr steht der Vergleich, mit der Zielsetzung eine Erklärung für die unterschiedlichen „Ergebnisse“ der Revolutionen zu liefern, im Forschungsinteresse. Die Ergebnisse dieser Vergleichenden Studie erscheinen von großer Relevanz, als dass sie die Faktoren und Kombinationen aus Faktorenbündeln herausfiltern werden, die die verschiedenen Entwicklungen in den einzelnen arabischen Staaten ausgelöst und vorangetrieben haben. Daraus lässt sich schlussendlich ableiten, was in den einzelnen Ländern demokratieförderlich bzw. - hinderlich gewirkt hat. Der langfristige „Nutzen“7 besteht darin, dass zukünftige Demokratisierungsbestrebungen bzw. - prozesse in der Region erfolgreich gefördert bzw. unterstützt werden können.
Um die Forschungsfrage der vorliegenden Arbeit beantworten zu können, sollen Theorien und Konzepte herangezogen werden, die sich mit ähnlichen Problemlagen und Entwicklungen beschäftigt haben. Den Schlüssel hierfür liefern die Theorien der Transitionsforschung. Diese recht junge Forschungsrichtung entstand Ende der 70er Jahre in den Vereinigten Staaten als im Zuge der sogenannten dritten Demokratisierungswelle die erfolgreich verlaufenden Transitionsprozesse in Südeuropa und später in Lateinamerika analysiert wurden. „Transition“ bezeichnet dabei einen politischen Prozess, der den Wechsel von Herrschaftstypen beinhaltet. Die Demokratie ist nur eines vieler möglicher Ergebnisse von Transitionen, stellt aber in dieser Arbeit mit dem Titel: „Arabischer Frühling“ – (K)eine Chance für Demokratie in der arabischen Welt?, den Dreh- und Angelpunkt dar. Ob die Transitionsprozesse des Arabischen Frühlings dabei im Sinne einer Demokratisierung stehen, gilt es hier zu erörtern. Fakt ist jedoch, dass in dieser Arbeit die Messlatte bei der Demokratie angesetzt wird. Das nicht nur, weil es sich hierbei um jene Herrschaftsform handelt, die direkt durch das Volk legitimiert wird, sondern weil der Wunsch des Großteils der Akteure des Arabischen Frühlings nach Gerechtigkeit, Freiheit, Würde und Respekt sich im Demokratieverständnis am besten widerspiegelt.
Als erstes und (bis heute) einflussreiches Einführungswerk der Transitionsforschung gilt die 1986 herausgegebene "Transitions from Authoritarian Rule" - Studie von Guillermo O'Donnell, Philippe C. Schmitter und Laurence Whitehead. Diese soll auch in dieser Arbeit als Grundlage herangezogen und durch weitere Forschungen ergänzt werden. In diesem Kontext wird sich die Frage stellen, inwieweit die vor allem anhand der dritten Demokratisierungswelle entwickelten Theorien der Transitionsforschung zur Erklärung der jetzigen Ereignisse dienen können. Auf theoretisch-konzeptioneller Ebene soll einem synthetischen Ansatz gefolgt werden, der verstärkt die Akteurstheorie fokussiert und in die Makrotheorien einbettet. Ein besonderes Augenmerk soll mit Bezug auf die arabische Welt dem kulturellen Kontext gewidmet werden, um zu analysieren, ob und welchen Einfluss insbesondere der politische Islam und die ethnische Fragmentierung auf Erfolg oder Scheitern der Demokratisierungsprozesse gehabt haben. Als Ausgangs- und Vergleichsbasis dieser Arbeit wird das minimale prozedurale Demokratiekonzept des Politikwissenschaftlers Robert Alan Dahl8 herangezogen, das als Grundvoraussetzung für den praktischen Teil dieser Arbeit dient. Darauf aufbauend wird im zweiten anwendungsorientiertem Teil die Qualitativ Vergleichende Untersuchung stattfinden.
Für diese vergleichende Studie werden zwei arabische Staaten gewählt, in denen der durch den Arabischen Frühling ausgelöste Transitionsprozess trotz vergleichsweise ähnlicher Ausgangslage nicht zu einem selben „Ergebnis“ geführt hat. Bei diesen prägnanten Fallbeispielen handelt es sich um Tunesien und Syrien, die als jeweilige Repräsentanten ihrer Region stehen sollen. Grund für diese Wahl ist das offensichtlich gegensätzliche „Ergebnis“ des politischen Wechselprozesses in beiden Ländern, wobei Tunesien in der internationalen Medien-und Forschungslandschaft als einziges Vorbild für einen erfolgreichen Demokratisierungsprozess in der arabischen Welt gilt, während Syrien der Staatszerfall droht. Offensichtlich ist dabei, dass aufgrund des unabgeschlossenen Prozesscharakters des Arabischen Frühlings keine abschließenden Urteile über seine Ergebnisse gefällt werden können. Die induktive Vorgehensweise dieser Arbeit soll jedoch erlauben die Forschungsfrage dieser Arbeit beantworten zu können sowie (vorsichtige) Rückschlüsse über die politischen Wechselprozesse der Region zu ziehen.
Zwecks Annäherung an das Thema dieser Arbeit: „Arabischer Frühling“ – (K)eine Chance für Demokratie in der arabischen Welt?, wird eine Forschungsfrage gestellt, die in der Folge beantwortet werden soll. Die Forschungsfrage lautet:
Was sind die Gründe dafür, dass der „Arabische Frühling“, der als Hoffnungsträger eines Frühlings der Demokratie galt, keinen Regionen übergreifenden Demokratisierungsprozess in den arabischen Staaten eingeleitet hat?
Aus dieser Fragestellung lassen sich zwei Teilfragen ableiten, die untersucht und beantwortet werden müssen, um eine Antwort auf die Forschungsfrage geben zu können:
Hat der Arabische Frühling einen Demokratisierungsprozess in den arabischen Staaten eingeleitet?
9
Was sind die spezifischen Kennzeichen der Region und Faktoren (interner und externer Natur), dass sich einige Länder der Arabischen Liga nicht demokratisieren und der Entwicklung gegenüber resilient waren während (nur) ein einzelner Staat den Demokratisierungsweg einschlug?
10
Forschungstheoretisch lässt sich diese Arbeit in der Transitionsforschung verorten, die sich wiederum in Demokratisierungsforschung und Konsolidierungsforschung unterteilt. Da hier jedoch nur eine sehr kurze Zeitspanne für den Untersuchungsgegenstand des politischen Regimewechsels angelegt wird und der Prozess als nicht abgeschlossen betrachtet werden muss, ist diese Arbeit in der Demokratisierungsforschung einzuordnen. Diese untersucht diejenigen Faktoren, die einen Demokratisierungsprozess auslösen und vorantreiben.
Der Untersuchungsgegenstand soll dabei auf 4 Jahre eingegrenzt werden, daher bei Ausbruch der Arabellion im Dezember 2010 ansetzen und im Dezember 2014 enden. Es wird in dieser Arbeit davon ausgegangen, dass die Konsolidierung einer Demokratie ein über Jahrzehnte oder gar Generationen stattfindender komplexer Prozess ist und der Herausbildung einer entsprechenden politischen Kultur bedarf, weshalb die Aspekte der Konsolidierungsforschung nicht Bestandteil dieser Arbeit sein werden.11 Konzeptionell wird einer akteurstheoretischen Perspektive gefolgt, die wie es der Politikwissenschaftler Samuel P. Huntington 1991 in seinem Buch "The Third Wave" prägnant formuliert, besagt:
"A democratic regime is installed not by trends but by people. Democracies are created not by causes but by causers. Political leaders and publics have to act." 12
Folglich stehen die Akteure bzw. Akteursgruppen als bestimmender Faktor für die Verläufe, Formen und „Ergebnisse“ des Arabischen Frühlings im Mittelpunkt. Zugleich wird angenommen, dass die einen Transitionsprozess tragenden Interaktionen zwischen den verschiedenen Akteuren nicht im luftleeren Raum stattfinden, sondern in einen historischen, kulturellen, gesellschaftlichen und ökonomischen Raum eingebettet sind.13 Erst eine primäre Analyse dieser Rahmenbedingungen erlaubt es den Ermessensspielraum der Handlungsmöglichkeiten der Akteure in den jeweils zu untersuchenden Transitionsprozessen einzuschätzen. Ein einzelner theoretischer Zugang kann keinen politischen Wechselprozess erklären, weshalb diese Arbeit einen komplementären Ansatz anstrebt. Eine forschungsstrategische Synthese aus Makrotheorien und Akteurstheorien14 erscheint folglich für die vergleichende Untersuchung sinnvoll.
Mit der detaillierten Bearbeitung der Demokratiekonzeption, daher dem „Polyarchie Konzept“ von Robert Alan Dahl, soll theoretische Vorarbeit geleistet werden, die es ermöglicht, zum einen zu überprüfen, inwiefern ein Demokratisierungsprozess in den beiden gewählten arabischen Staaten eingeleitet wurde und zum anderen ein Demokratiebegriff vorgegeben werden, der als Orientierungs- und Ausgangspunkt des in dieser Arbeit zugrunde gelegten Demokratieverständnisses gilt. Es wird ein minimales, prozedurales Demokratiekonzept gewählt, da dies flexibler auf die Besonderheiten von Transitionsländern eingehen kann – und die Messlatte nicht an dem besonders anspruchsvollen Demokratieverständnis von Staaten mit jahrzehntelanger demokratischer Tradition ansetzt.
Um die Forschungsfrage beantworten zu können, wird der qualitative Vergleich als Instrument des Erkenntnisfortschritts gewählt. Hierbei wird mit der Konkordanz-Methode gearbeitet, die besagt, dass zwischen den Vergleichsobjekten eine ausreichende Grundgesamtheit an beobachtbaren Gemeinsamkeiten gegeben sein muss, die die feststellbaren Unterschiede signifikant werden lässt. Dem folgend werden zwei Fallbeispiele gewählt; Im Konkreten Tunesien und Syrien als zwei Staaten der arabischen Welt. Beide Länder gehören der „Arabischen Liga“ an, was als Indikator für starke kulturelle und historische Gemeinsamkeiten spricht. Beide Staaten wurden vor der Arabellion autoritär regiert. Trotz dieser ähnlichen Ausgangslage hat die Arabellion in den beiden Staaten zu offensichtlich gegensätzlichen „Ergebnissen“ geführt, weshalb sich die beiden Länder für eine qualitative Untersuchung auszeichnen, um fallbezogen die spezifischen Unterschiede der Bedingungsfaktoren, die besonders auf den Transitionsprozess hingewirkt haben, herausarbeiten und vergleichen zu können. Es wird dabei davon ausgegangen, dass es nicht die „eine“ zentrale Ursache bzw. Ursachen sind, die die Richtung des politischen Wechselprozesses bestimmen, sondern dass es sich um Kombinationen aus je nach Fallbeispiel variierenden Faktoren handelt. Denn Transitionsprozesse unterliegen dem Einfluss derart vieler - auch regionalspezifischer - Variablen, dass Schlüsse von einem Staat auf den anderen oder gar regionenübergreifend nur auf sehr hohem Abstraktionsniveau gezogen werden können.
Aus diesem Grund wurde in dieser Arbeit die Qualitativ Vergleichende Methode mit kleiner Fallzahl einer quantitativ standardisierten Vorgehensweise vorgezogen. Die qualitative Untersuchung erlaubt eine intensivere Auseinandersetzung mit den Parallelitäten als auch Partikularitäten der gewählten Fallbeispiele, die in dieser Arbeit als entscheidend für die unterschiedlichen Entwicklungen in beiden Ländern betrachtet werden.
1 O'Donnell/Schmitter 1986: 70
2 U.a. Josef Joffe (18.06.2011), Mitherausgeber der deutschen Wochenzeitung „Die Zeit“, in Anlehnung an den Politikwissenschaftler Samuel P. Huntington (1991) und sein Konzept der „Wellen der Demokratisierung“, in dem er die weltweit stattgefundenen Demokratisierungsprozesse historisch in drei Demokratisierungswellen einordnet, in denen vermehrt autokratische Systeme in demokratische Herrschaftsformen gewechselt sind.
3 u.a. vgl. eurotopics.net
4 u. a. Tagesspiegel, Zeit Online
5 u.a. Die Welt, Spiegel Online
6 „Ergebnis(se)“ bzw. „Produkt(e)“ wird in dieser Arbeit mit Bezug auf die Resultate des Arabischen Frühlings in Anführungszeichen gesetzt, da aufgrund des unabgeschlossenen Prozesscharakters des Arabischen Frühlings von keinem abschließenden Ergebnis gesprochen werden kann, sondern nur von einer eingeschlagenen Richtung des politischen Wechselprozesses, der zudem nicht unumkehrbar ist.
7 Hierbei soll keine normative Wertung des Konzeptes der Demokratie bzw. etwaige Definierung/ Positionierung in welchem Akteursinteresse dieser Nutzen liegen könnte, abgegeben werden.
8 Dahl 1971: Polyarchy: Participation and Opposition
9 siehe Kapitel 4.2.: Zwischenfazit: Auf dem Weg zur Demokratie?
10 siehe Kapitel 5.3.: Zwischenfazit: Analyse der Variablen
11 Da die Trennlinie zwischen Demokratisierungsforschung und Konsolidierungsforschung in der Wissenschaft jedoch nicht klar definiert ist, werden u. U. auch Bereiche letzterer tangiert.
12 Huntington 1991: 107
13 Ebd.
14 Bzgl. der Akteurstheorien steht die 1986 von O'Donnell/ Schmitter/ Whitehead herausgegebene "Transitions from Authoritarian Rule"- Studie im Fokus und wird in Kapitel II explizit vorgestellt, da sie als Schlüsselwerk dieser Forschungsrichtung gilt. Nichtsdestotrotz wird mit Bezug auf den akteurstheoretischen Ansatz auch Huntington zitiert, der in seinem 1991 herausgegebenem Werk "The Third Wave. Democratization in the Late Twentieth Century" einen induktiven Akteursansatz vorstellt, dessen Aussagen nicht im Widerspruch zu O'Donnell/Schmitters stehen.
Der Versuch die „Demokratie“ zu definieren und eine universelle Begriffsdefinition vorzugeben, scheitert an der Tatsache, dass der legitime Pluralismus zugrunde gelegter Normen bestenfalls eine Definitionskonkurrenz, aber keinen Definitionskonsens zulässt.15 Daher soll in dieser Arbeit keine normativ-wertorientierte Definition gegeben werden, sondern der Demokratiebegriff auf der Grundlage eines minimalen Konsens verschiedener Demokratiekonzeptionen erschlossen werden, wofür sich eine rein prozedurbezogene Definition anbietet.
Der Demokratiebegriff Robert Alan Dahls als Verständnis eines prozeduralen Minimums erfüllt diesen Konsens vortrefflich, da er die Reduzierung auf ein Verfahren unter Verwendung einer beschränkten Anzahl an definitorischen Kriterien berücksichtigt.
Der US-amerikanische Politikwissenschaftler Robert Alan Dahl gehört zu den einflussreichsten Demokratietheoretikern der vergleichenden Politikwissenschaft der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts. Seine Demokratie- und Polyarchiekonzeption von 1971 ist eine Weiterentwicklung des Demokratiekonzeptes, das sich dicht an den Vorstellungen der Demokratie, wie sie von der Antike bis in die Moderne gedacht wurde, orientiert und andererseits auch in den existierenden Demokratien dieses Jahrhunderts tatsächlich wieder finden lässt.16 Dahls Polyarchiebegriff kann daher als die unvollkommene Annäherung an ein demokratisches Idealsystem verstanden werden, das den realen liberalpluralistischen Demokratien des 21. Jahrhunderts mit ihren gegebenen politischen Realitäten entspricht.17
Die Schlüsselfrage, die Dahl in seinem Hauptwerk seiner Demokratieforschung „Polyarchy, Participation and Opposition“ von 1971 stellt, fragt nach den Bedingungen die einen politischen Wechselprozess in eine Demokratie begünstigen bzw. behindern:
"Given a regime in which the opponents of the government cannot openly and legally organize into political parties in order to oppose the government in free and fair elections, what conditions favor or impede a transformation into a regime in which they can?" 18
Um in eine legitimierte Vielherrschaft, d.h. eine Demokratie zu gelangen, muss jenes beschriebene Regime einen Demokratisierungsprozess durchlaufen. Die Termini Demokratie und Demokratisierung sind hierbei untrennbar miteinander verknüpft.19
Als Ausgangspunkt verwendet Dahl einen Demokratiebegriff der sich an Jean-Jacques Rousseaus Vorstellung einer Identität von Regierenden und Regierten orientiert.20 Eines der Schlüsselkriterien der Demokratie sieht Dahl in der kontinuierlichen proaktiven Reaktionsbereitschaft der Regierung auf die Präferenzen ihrer Bürger, die als politisch Gleiche betrachtet werden.21 Da er diese Idealvorstellung der Demokratie jedoch für nicht-umsetzbar hält, wandelt er jenen idealen Demokratiebegriff in „seinen“ realen Polyarchiebegriff, den er mit einer real existierenden Demokratie gleichsetzt, um.22 Dahl hebt sich somit den herkömmlichen Begriff der „Demokratie“ als das nicht zu erreichende Ideal einer komplett demokratischen Herrschaftsform auf, die er für utopisch hält.
Dahls realer Polyarchiebegriff hingegen, setzt sich aus acht Kategorien bzw. institutionellen Garantien zusammen, die es in dem jeweiligen Nationalstaat zu institutionalisieren bedarf.23 Diesen acht institutionelle Garantien umfassenden Polyarchiebegriff unterteilt er in zwei theoretische Dimensionen: einerseits „Public Contestation“, den politischen Wettstreit und andererseits „Participation“, die Partizipation.24