Arme Leute & Der Doppelgänger - Fjodor Michailowitsch Dostojewski - E-Book

Arme Leute & Der Doppelgänger E-Book

Fjodor Michailowitsch Dostojewski

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Beschreibung

Der Band beinhaltet die ersten Dichtungen Dostojewskis: den Briefroman der »Armen Leute« und die Petersburger Geschichte, wie Dostojewski sie ausdrücklich nannte, vom »Doppelgänger«. Die eine ist in der Reihenfolge der Werke Dostojewskis mit dem Jahre 1845, die andere mit dem Jahre 1846 verbunden. Null Papier Verlag

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Fjodor M. Dostojewski

Arme Leute & Der Doppelgänger

Fjodor M. Dostojewski

Arme Leute & Der Doppelgänger

Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2024Klosterstr. 34 · D-40211 Düsseldorf · [email protected]Übersetzung: H. Röhl 3. Auflage, ISBN 978-3-954181-54-4

null-papier.de/angebote

Inhaltsverzeichnis

Vor­be­mer­kung

Arme Leu­te

Der Dop­pel­gän­ger

1. Ka­pi­tel

2. Ka­pi­tel

3. Ka­pi­tel

4. Ka­pi­tel

5. Ka­pi­tel

6. Ka­pi­tel

7. Ka­pi­tel

8. Ka­pi­tel

9. Ka­pi­tel

10. Ka­pi­tel

11. Ka­pi­tel

12. Ka­pi­tel

13. Ka­pi­tel

Dan­ke

Dan­ke, dass Sie sich für ein E-Book aus mei­nem Ver­lag ent­schie­den ha­ben.

Soll­ten Sie Hil­fe be­nö­ti­gen oder eine Fra­ge ha­ben, schrei­ben Sie mir.

Ihr Jür­gen Schul­ze

99 Welt-Klas­si­ker

Der Tee der drei al­ten Da­men

Arme Leu­te und Der Dop­pel­gän­ger

Der Vam­pir

Der selt­sa­me Fall des Dr. Jekyll und Mr. Hyde

Der Idi­ot

Jane Eyre

Effi Briest

Ma­da­me Bo­va­ry

Ili­as & Odys­see

Ge­schich­te des Gil Blas von San­til­la­na

und wei­te­re …

Vorbemerkung

Der Band bringt die ers­ten Dich­tun­gen Do­sto­jew­skis: den Brief­ro­man der »Ar­men Leu­te«, und die Pe­ters­bur­ger Ge­schich­te, wie Do­sto­jew­ski sie aus­drück­lich nann­te, vom »Dop­pel­gän­ger«. Die eine ist in der Rei­hen­fol­ge der Wer­ke Do­sto­jew­skis mit dem Jah­re 1845, die an­de­re mit dem Jah­re 1846 ver­bun­den.

Die »Ar­men Leu­te« wa­ren zu ih­rer Zeit ein Er­eig­nis: sie wirk­ten, trotz Go­gol, der vor­her­ge­gan­gen war, wie der Ein­bruch ei­ner neu­en Li­te­ra­tur­rich­tung, der na­tu­ra­lis­ti­schen, die auf die ro­man­ti­sche folg­te, und lenk­ten mit ei­nem Male die Auf­merk­sam­keit von ganz Jung-Ruß­land auf den neu­en Dich­ter. Heu­te le­sen wir das Werk nicht we­gen sei­nes zeit­li­chen und li­te­ra­ri­schen Wer­tes, den wir in sei­ner Trag­wei­te kaum noch ver­ste­hen, son­dern um des Ewi­gen und Ly­risch-Mäch­ti­gen wil­len, von dem es in sei­ner rüh­ren­den Fri­sche und scheu­en Men­sch­lich­keit voll ist.

Der »Dop­pel­gän­ger«, mit den dunklen, un­heim­li­chen und un­be­re­chen­ba­ren Mäch­ten, die wie ein näch­ti­ges Schat­ten­spiel in dem Dich­ter leb­ten, kün­de­te den spä­te­ren Do­sto­jew­ski an: nicht Do­sto­jew­ski den Idyl­li­ker, der nur sel­ten mehr durch­bre­chen soll­te, son­dern Do­sto­jew­ski den Fa­ta­lis­ten und Tra­gi­ker. Schon in den »Ar­men Leu­ten« war die un­ge­mei­ne Psy­cho­lo­gie in der Men­schen­schil­de­rung auf­ge­fal­len, aber es war eine Psy­cho­lo­gie der Nähe und In­nig­keit ge­we­sen. Jetzt, in dem »Dop­pel­gän­ger«, wur­de eine Psy­cho­lo­gie des Ab­grun­des und der Er­schüt­te­rung dar­aus, und man ahn­te be­reits, daß sie zu ei­ner gan­zen Wel­t­an­schau­ung und rus­si­schen Men­schen­an­schau­ung aus­wach­sen konn­te. -- Das Dop­pel­gän­ger­pro­blem selbst lag in der Zeit. Poe hat­te ihm im Wil­liam Wil­son den ro­man­ti­schen Hel­den ge­ge­ben, E. Th. A. Hoff­mann in den Eli­xie­ren des Teu­fels aus ihm eine ro­man­ti­sche Aven­tü­re ge­zo­gen. Do­sto­jew­ski da­ge­gen -- und eben dies kenn­zeich­ne­te ihn so -- brach­te das­sel­be Pro­blem mit der ir­ren Phan­tas­tik zu­sam­men, die das Wirk­li­che, das Graue, der All­tag be­sit­zen kann, und ließ es in Wahn­ge­bil­den aus dem kran­ken Hirn ei­nes Men­schen stei­gen, der äu­ßer­lich zu­nächst nicht an­ders ist wie Tau­sen­de um ihn.

Mo­el­ler van den Bruck

Arme Leute

»Nein, ich dan­ke für die­se Mär­chen­dich­ter! An­statt et­was Nütz­li­ches, An­ge­neh­mes, Er­qui­cken­des zu schrei­ben, krat­zen sie da die kleins­ten Klei­nig­kei­ten aus der Erde her­vor und schnüf­feln über­all her­um!... Ich wür­de Ih­nen ein­fach ver­bie­ten, zu schrei­ben! Zum Bei­spiel, was soll das: man liest... un­will­kür­lich denkt man doch nach, -- aber... aber... es kom­men ei­nem nur alle mög­li­chen Un­ge­reimt­hei­ten in den Kopf. Nein, wirk­lich, ich wür­de ih­nen ver­bie­ten, zu schrei­ben, ganz ein­fach und un­ter al­len Um­stän­den: schlank­weg ver­bie­ten!«

Fürst W. F. Odo­jew­skij.

8. April.

Mei­ne un­schätz­ba­re War­wa­ra Ale­xe­jew­na!

Ges­tern war ich glück­lich, über alle Ma­ßen glück­lich, wie man glück­li­cher gar nicht sein kann! So ha­ben Sie Ei­gen­sin­ni­ge doch we­nigs­tens ein­mal im Le­ben auf mich ge­hört! Als ich am Abend, so ge­gen acht Uhr, er­wach­te (Sie wis­sen doch, mei­ne Lie­be, daß ich mich nach dem Dienst ein bis zwei Stünd­chen et­was aus­zu­stre­cken lie­be), da hol­te ich mir mei­ne Ker­ze -- und wie ich nun ge­ra­de mein Pa­pier zu­recht­ge­legt habe und nur noch mei­ne Fe­der spit­ze, schaue ich plötz­lich ganz un­ver­se­hens auf -- da: wirk­lich, mein Herz be­gann zu hüp­fen! So ha­ben Sie doch er­ra­ten, was ich woll­te! Ein Eck­chen des Vor­han­ges an Ihrem Fens­ter war zu­rück­ge­schla­gen und an ei­nem Blu­men­topf mit Bal­sa­mi­nen an­ge­steckt, ge­nau so, wie ich es Ih­nen da­mals an­zu­deu­ten ver­such­te. Da­bei schi­en es mir noch, daß auch Ihr lie­bes Ge­sicht­chen am Fens­ter flüch­tig auf­tauch­te, daß auch Sie aus Ihrem Zim­mer­chen nach mir aus­schau­ten, daß Sie gleich­falls an mich dach­ten! Und wie es mich ver­droß, mein Täub­chen, daß ich Ihr lie­bes, rei­zen­des Ge­sicht­chen nicht deut­lich se­hen konn­te! Es hat ein­mal eine Zeit ge­ge­ben, wo auch wir mit kla­ren Au­gen sa­hen, mein Kind. Das Al­ter ist kei­ne Freu­de, mei­ne Lie­be. Auch jetzt ist es wie­der so, als flim­mer­te mir al­les vor den Au­gen. Ar­bei­tet man abends noch ein biß­chen, schreibt man noch et­was, so sind die Au­gen am nächs­ten Mor­gen gleich rot und trä­nen so, daß man sich vor frem­den Leu­ten fast schä­men muß. Aber doch sah ich im Geis­te gleich Ihr Lä­cheln, mein Kind, Ihr gu­tes, freund­li­ches Lä­cheln, und in mei­nem Her­zen hat­te ich ganz die­sel­be Emp­fin­dung, wie da­mals, als ich Sie ein­mal küß­te, Wa­rin­ka -- er­in­nern Sie sich noch, En­gel­chen? Wis­sen Sie, mein Täub­chen, es schi­en mir so­gar, als ob Sie mir mit dem Fin­ger droh­ten. War es so, Sie Un­art? Das müs­sen Sie mir un­be­dingt aus­führ­lich er­zäh­len, wenn Sie mir wie­der ein­mal schrei­ben.

Nun, wie fin­den Sie denn un­se­ren Ein­fall, ich mei­ne, das mit Ihrem Fens­ter­vor­hang, Wa­rin­ka? Gar zu nett, nicht wahr? Sit­ze ich an der Ar­beit, oder lege ich mich schla­fen, oder ste­he ich auf -- im­mer weiß ich dann, daß auch Sie dort an mich den­ken, sich mei­ner er­in­nern, und auch selbst ge­sund und hei­ter sind. Las­sen Sie den Vor­hang her­ab, so heißt das: »Gute Nacht, Ma­kar Ale­xe­je­witsch, es ist Zeit, schla­fen zu ge­hen!« He­ben Sie ihn wie­der auf, so heißt das: »Gu­ten Mor­gen, Ma­kar Ale­xe­je­witsch, wie ha­ben Sie ge­schla­fen, und wie steht es mit Ih­rer Ge­sund­heit, Ma­kar Ale­xe­je­witsch? Ich selbst bin, Gott sei Dank, ge­sund und wohl­ge­mut!«

Se­hen Sie nun, mein Seel­chen, wie fein das er­son­nen ist. So sind gar kei­ne Brie­fe nö­tig! Schlau, nicht wahr? Und die­se kniff­li­che Er­fin­dung stammt von mir! Nun was -- bin ich nicht er­fin­de­risch, War­wa­ra Ale­xe­jew­na?

Ich muß Ih­nen doch noch be­rich­ten, mein Kind, daß ich die­se Nacht recht gut ge­schla­fen habe, ei­gent­lich ge­gen alle Er­war­tung gut, wo­mit ich denn auch sehr zu­frie­den bin; zu­mal man in ei­ner neu­en Woh­nung, schon aus Un­ge­wohnt­heit, sonst nie­mals gut zu schla­fen pflegt; es ist eben doch im­mer nicht al­les so, wie es sein muß. Als ich heu­te auf­stand, war es mir ganz wie -- wie -- nun, wie so ei­nem lich­ten Fal­ken ums Herz -- froh und sor­gen­frei! Was ist das doch heu­te für ein schö­ner Mor­gen, mein Kind! Un­ser Fens­ter wur­de auf­ge­macht: die Son­ne scheint her­ein, die Vö­gel zwit­schern, die Luft ist er­füllt von Früh­lings­düf­ten und die gan­ze Na­tur lebt auf, -- nun, und auch al­les an­de­re war ge­nau so, wie es sich ge­hört, ge­nau wie es sein muß, wenn es Früh­ling wird. Ich ver­sank so­gar ein Weil­chen in Träu­me­rei und da­bei dach­te ich nur an Sie, Wa­rin­ka. Ich ver­glich Sie in Ge­dan­ken mit ei­nem Him­mels­vö­gel­chen, das so recht zur Freu­de der Men­schen und zur Ver­schö­ne­rung der Na­tur er­schaf­fen ist. Da­bei dach­te ich auch, daß wir, Wa­rin­ka, wir Men­schen, die wir in Sor­gen und Ängs­ten le­ben, die klei­nen Him­mels­vög­lein um ihr sor­gen­lo­ses und un­schul­di­ges Glück be­nei­den könn­ten, -- nun und Ähn­li­ches mehr, al­les von der Art, dach­te ich. Das heißt, ich mach­te nur so ent­fern­te Ver­glei­che... Ich habe da ein Bü­chel­chen, Wa­rin­ka, in dem ist von sol­chen Din­gen die Rede, und al­les ist ganz aus­führ­lich be­schrie­ben. Ich schrei­be das des­halb, weil ich nur sa­gen will, daß es doch sonst im­mer ver­schie­de­ne Auf­fas­sun­gen gibt, nicht wahr, mei­ne Lie­be? Jetzt aber ist es Früh­ling, und da kom­men ei­nem gleich so an­ge­neh­me Ge­dan­ken, so geist­rei­che und er­fin­de­ri­sche oben­drein, und so­gar zärt­li­che Träu­me­rei­en kom­men ei­nem. Die gan­ze Welt er­scheint ei­nem in ro­si­gem Licht. Des­halb habe ich auch dies al­les ge­schrie­ben. Üb­ri­gens habe ich es meist dem Bü­chel­chen ent­nom­men. Dort äu­ßert der Ver­fas­ser ganz den­sel­ben Wunsch, nur in Ver­sen:

»Ein Vo­gel, ein Raub­vo­gel möch­te ich sein!«

Und so wei­ter. Dort kom­men auch noch ver­schie­de­ne an­de­re Ge­dan­ken vor, aber -- nun, Gott mit Ih­nen! Doch sa­gen Sie, wo­hin gin­gen Sie denn heu­te mor­gen, War­wa­ra Ale­xe­jew­na? Ich hat­te mich noch nicht zum Dienst auf­ge­macht, da gin­gen Sie be­reits fröh­lich über den Hof, hat­ten schon wie ein Früh­lings­vög­lein Ihr Zim­mer­chen ver­las­sen. Und wie mein Herz sich freu­te, als ich Sie sah! Ach, Wa­rin­ka, Wa­rin­ka! Grä­men Sie sich doch nicht! Mit Trä­nen hilft man kei­nem Kum­mer, glau­ben Sie mir, ich weiß es, weiß es aus ei­ge­ner Er­fah­rung. Jetzt le­ben Sie doch so ru­hig und sor­gen­los, und auch mit Ih­rer Ge­sund­heit geht es bes­ser. -- Nun, was macht Ihre Fe­do­ra? Ach, was ist das für ein gu­ter Mensch! Sie müs­sen mir al­les ganz ge­nau be­schrei­ben, Wa­rin­ka, wie Sie mit ihr le­ben und ob Sie auch mit al­lem zu­frie­den sind? Fe­do­ra ist mit­un­ter et­was brum­mig, aber Sie müs­sen das nicht wei­ter be­ach­ten, Wa­rin­ka. Gott mit ihr! Sie ist doch eine gute See­le.

Ich habe Ih­nen schon frü­her von un­se­rer The­resa ge­schrie­ben -- sie ist gleich­falls eine gute und treue Per­son. Was hab’ ich mir doch um un­se­re Brie­fe für Sor­gen ge­macht! Wie soll­te man sie be­för­dern? Da kam uns denn zu un­se­rem Glück die­se The­resa, kam wie von Gott ge­sandt. Sie ist eine gute, be­schei­de­ne, stil­le Per­son. Aber un­se­re Wir­tin ist wahr­haft er­bar­mungs­los, so ver­steht sie es, sie aus­zu­nut­zen. Die Arme wird mit Ar­beit ganz über­häuft.

Doch in was für eine Wild­nis bin ich hier ge­ra­ten, War­wa­ra Ale­xe­jew­na! Das ist mir mal eine Woh­nung, das muß ich sa­gen! Frü­her leb­te ich doch in ei­ner sol­chen Ein­sam­keit, Sie wis­sen ja: fried­lich, still, wenn ein­mal eine Flie­ge flog, hör­te man es. Hier aber -- Lärm, Ge­schrei, Ge­ze­ter! Aber Sie wis­sen ja noch gar nicht, wie das hier ei­gent­lich al­les ist. Den­ken Sie sich un­ge­fähr einen lan­gen Kor­ri­dor, einen ganz dunklen und un­sau­be­ren. Rechts ist die Brand­mau­er, ohne Fens­ter, ohne Tü­ren; links aber ist Tür an Tür, ganz wie in ei­nem Ho­tel, so eine lan­ge Rei­he Tü­ren. Und hin­ter je­der Tür ist nur ein Zim­mer, Num­mer Sound­so­viel, und in je­der die­ser Num­mern woh­nen zwei bis drei zu­sam­men, je nach­dem, und die zah­len ge­mein­sam die Mie­te. Ord­nung dür­fen Sie nicht ver­lan­gen -- das ist hier wie in der Ar­che Noah! Doch sind es, glau­be ich, trotz­dem gute Men­schen, alle sind sie so ge­bil­det, so­gar ge­lehrt. Un­ter an­de­ren wohnt hier ein Be­am­ter -- ein sehr be­le­se­ner Mann: er spricht von Ho­mer, und noch von ver­schie­de­nen an­de­ren Schrift­stel­lern, von al­lem spricht er, -- ein klu­ger Mensch! Dann woh­nen hier noch zwei ehe­ma­li­ge Of­fi­zie­re, die im­mer nur Kar­ten spie­len. Dann ein See­mann, der eng­li­sche Stun­den gibt. -- War­ten Sie mal, ich wer­de Sie ein­mal zum La­chen brin­gen, mein Kind: ich wer­de in mei­nem nächs­ten Brief alle die Leu­te sa­ti­risch be­schrei­ben, das heißt, wie sie hier hau­sen, und zwar ganz aus­führ­lich!

Un­se­re Wir­tin ist ein sehr klei­nes und un­sau­be­res al­tes Weib, geht den gan­zen Tag in Pan­tof­feln und in ei­nem Schlaf­rock um­her und schimpft un­un­ter­bro­chen die The­resa. Ich woh­ne in der Kü­che, oder rich­ti­ger ge­sagt -- Sie müs­sen sich das so den­ken: hier ne­ben der Kü­che ist noch ein Zim­mer (un­se­re Kü­che ist, muß ich Ih­nen sa­gen, rein und hell und sehr an­stän­dig), ein ganz klei­nes Zim­mer­chen, so ein be­schei­de­nes Win­kel­chen ei­gent­lich nur... oder noch rich­ti­ger wird es so sein: die Kü­che ist groß und hat drei Fens­ter, und bei mir ist nun par­al­lel der Qu­er­wand eine Schei­de­wand an­ge­bracht, so daß es so­zu­sa­gen noch ein Zim­mer­chen gibt, eine Num­mer »über den Etat«, wie man sagt. Al­les ist ge­räu­mig und be­quem, und so­gar ein Fens­ter habe ich und über­haupt al­les, -- mit ei­nem Wort noch­mals, es ist al­les gut und be­quem. Das ist also mein Win­kel­chen. Aber nun müs­sen Sie nicht etwa den­ken, Kind, daß ir­gend et­was da­bei sei und ich einen Hin­ter­ge­dan­ken habe: weil das im­mer­hin nur eine Kü­che ist! Das heißt, ge­nau ge­nom­men lebe ich ja in dem­sel­ben Raum, nur hin­ter ei­ner Schei­de­wand, aber das hat nichts zu sa­gen! Ich lebe hier ganz heim­lich und mäus­chen­still, ganz be­schei­den und ru­hig. Habe hier mein Bett auf­ge­stellt, einen Tisch, eine Kom­mo­de, zwei Stüh­le, ja­wohl, ge­nau ein Paar, und habe das Hei­li­gen­bild auf­ge­hängt. Es gibt ge­wiß bes­se­re Woh­nun­gen, so­gar viel bes­se­re, aber die Haupt­sa­che ist doch die Be­quem­lich­keit; ich woh­ne ja hier nur des­halb, weil ich es so am be­quems­ten habe -- Sie brau­chen nicht zu den­ken, daß ich es aus ir­gend­ei­nem an­de­ren Grun­de tue. Ihr Fens­ter­chen liegt mir ge­ra­de ge­gen­über, über den Hof, und der Hof ist auch nur so ein klei­nes Höf­chen, da sieht man Sie denn ganz deut­lich hin und wie­der im Vor­über­ge­hen, -- das ist doch im­mer et­was ge­sel­li­ger für mich Ar­men, und auch bil­li­ger.

Bei uns hier kos­tet selbst das kleins­te Zim­mer mit der Be­kö­s­ti­gung zu­sam­men fünf­und­drei­ßig Ru­bel mo­nat­lich. Das ist nichts für mei­nen Beu­tel! Mein Win­kel­chen aber kos­tet nur sie­ben Ru­bel, und für die Be­kö­s­ti­gung zah­le ich fünf, wäh­rend ich frü­her für al­les in al­lem run­de drei­ßig Ru­bel zahl­te, da­für aber auf vie­les ver­zich­ten muß­te: so konn­te ich nicht im­mer Tee trin­ken, jetzt da­ge­gen, oh, da bleibt mir noch ge­nug für Tee und Zu­cker. Es ist, wis­sen Sie, doch so -- tat­säch­lich: man schämt sich ir­gend­wie, wenn man kei­nen Tee trin­ken kann, Wa­rin­ka. Hier woh­nen nur Leu­te, die ihr Aus­kom­men ha­ben, und da ge­niert man sich eben. Und ei­gent­lich: nur we­gen der an­de­ren trinkt man ihn, den Tee, Wa­rin­ka, nur des An­se­hens we­gen, weil es hier zum gu­ten Ton ge­hört. Mir wäre es ja sonst ganz gleich, ich bin nicht ei­ner, der viel auf Genüs­se gibt.

Und dann, was man so noch als Ta­schen­geld braucht -- denn ir­gend et­was hat man doch im­mer nö­tig -- nun, sei es ein Paar Stie­fel, ein Klei­dungs­stück -- wie­viel bleibt denn da üb­rig? So geht denn mein gan­zes Ge­halt auf. Ich kla­ge ja nicht, ich bin ganz zu­frie­den. Für mich ge­nügt es. Hat es doch schon vie­le Jah­re ge­nügt! Hin und wie­der gibt es auch noch Gra­ti­fi­ka­tio­nen.

Nun, le­ben Sie wohl, mein En­gel­chen. Ich habe da ein paar Blu­men ge­kauft, zwei Töpf­chen, ei­nes mit Bal­sa­mi­nen und ei­nes mit Gera­ni­um -- nicht teu­er. Vi­el­leicht lie­ben Sie auch Re­se­da? Auch Re­se­da ist zu ha­ben, schrei­ben Sie nur. Aber al­les recht aus­führ­lich, ja? Üb­ri­gens müs­sen Sie da nicht ir­gend­wie et­was arg­wöh­nen, Kind, ich mei­ne -- was mich be­trifft, und daß ich jetzt so ein Zim­mer ge­mie­tet habe. Nein, nur die Be­quem­lich­keit ver­an­laß­te mich dazu, nur, daß es in al­lem so be­quem war, das ver­lei­te­te mich. -- Ich habe doch, das muß ich Ih­nen noch sa­gen, Kind, ich habe doch Geld ge­spart, ich habe et­was bei­sei­te ge­legt: oh ja: ich be­sit­ze schon et­was! Ach­ten Sie nicht dar­auf, daß ich so still und zag­haft bin, daß es aus­sieht, als kön­ne mich eine Flie­ge mit den Flü­geln um­sto­ßen. Nein, mein Kind, ich bin gar nicht so schwach und habe ge­ra­de den Cha­rak­ter, den ein Mensch mit ru­hi­gem Ge­wis­sen und in der Fes­tig­keit, die uns un­se­re An­stän­dig­keit gibt, ha­ben muß. Le­ben Sie wohl, mein En­gel­chen. Da habe ich schon gan­ze zwei Bo­gen voll­ge­schrie­ben und es ist be­reits höchs­te Zeit zum Dienst. Ich küs­se Ihre Fin­ger­chen, Wa­rin­ka, und ver­blei­be

Ihr er­ge­bens­ter Die­ner und treues­ter Freund

Ma­kar Dje­wusch­kin.

P. S. Um ei­nes bit­te ich Sie noch: ant­wor­ten Sie mir recht aus­führ­lich, mein En­gel­chen. Ich sen­de Ih­nen hier eine Düte Kon­fekt, Wa­rin­ka; ver­schmau­sen Sie es mit Be­ha­gen und ma­chen Sie sich um Got­tes wil­len kei­ne Sor­gen um mich und neh­men Sie mir nur nicht ir­gend et­was übel. Und nun le­ben Sie wohl, mein Kind.

8. April.

Sehr ge­ehr­ter Ma­kar Ale­xe­je­witsch!

Wis­sen Sie, daß man Ih­nen end­lich ein­mal die Freund­schaft wird kün­di­gen müs­sen? Ich schwö­re Ih­nen, gu­ter Ma­kar Ale­xe­je­witsch, es fällt mir furcht­bar schwer, Ihre Ge­schen­ke an­zu­neh­men. Ich weiß doch, wie­viel sie kos­ten und was das für Ihren Beu­tel aus­macht, zu wie­viel Ent­beh­run­gen Sie sich des­halb zwin­gen, wie Sie sich das Not­wen­digs­te selbst ver­wei­gern. Wie oft habe ich Ih­nen schon ge­sagt, daß ich nichts nö­tig habe, ganz und gar nichts, daß es nicht in mei­nen Kräf­ten steht, die Wohl­ta­ten, mit de­nen Sie mich über­schüt­ten, zu er­wi­dern. Und wozu die­se Blu­men? Die Bal­sa­mi­nen, nun, das gin­ge noch an, aber wozu nun noch Gera­ni­um? Es braucht ei­nem nur ein un­be­dach­tes Wort zu ent­schlüp­fen, wie zum Bei­spiel mei­ne Be­mer­kung über Gera­ni­um, da müs­sen Sie auch schon so­fort Gera­ni­um kau­fen. So et­was ist doch be­stimmt teu­er? Wie wun­der­voll die Blü­ten sind! So leuch­tend rot, und Stern steht an Stern. Wo ha­ben Sie nur ein so schö­nes Exem­plar auf­ge­trie­ben? Ich habe den Blu­men­topf auf das Fens­ter­brett ge­stellt, an die sicht­bars­te Stel­le. Auf das Bänk­chen vor dem Fens­ter wer­de ich noch an­de­re Blu­men stel­len, las­sen Sie mich nur erst reich wer­den! Fe­do­ra kann sich nicht ge­nug freu­en -- un­ser Zim­mer ist jetzt ein rich­ti­ges Pa­ra­dies, so sau­ber und hell und freund­lich. Aber wozu war denn das Kon­fekt nö­tig? Üb­ri­gens: ich er­riet es so­gleich aus Ihrem Brief, daß ir­gend et­was nicht rich­tig ist: Früh­ling und Wohl­ge­rü­che und Vo­gel­ge­zwit­scher -- nein, dach­te ich, soll­te nicht gar noch ein Ge­dicht fol­gen? Denn wirk­lich, es feh­len nur noch Ver­se in Ihrem Brief, Ma­kar Ale­xe­je­witsch. Und die Ge­füh­le sind zärt­lich und die Ge­dan­ken ro­sa­far­ben -- al­les, wie es sich ge­hört! An den Vor­hang habe ich über­haupt nicht ge­dacht. Der Zip­fel muß an ei­nem Zwei­ge hän­gen ge­blie­ben sein, als ich die Blu­men­töp­fe um­stell­te. Da ha­ben Sie es!

Ach, Ma­kar Ale­xe­je­witsch, was re­den Sie da und rech­nen mir Ihre Ein­nah­men und Aus­ga­ben vor, um mich zu be­ru­hi­gen und glau­ben zu ma­chen, daß Sie al­les nur für sich al­lein aus­ge­ben! Mich kön­nen Sie da­mit doch nicht be­trü­gen. Ich weiß doch, daß Sie sich des Not­wen­digs­ten um mei­net­wil­len be­rau­ben. Was ist Ih­nen denn ein­ge­fal­len, daß Sie sich ein sol­ches Zim­mer ge­mie­tet ha­ben, sa­gen Sie doch, bit­te! Man be­un­ru­higt Sie doch, man be­läs­tigt Sie dort, das Zim­mer wird ge­wiß eng und un­be­quem und un­ge­müt­lich sein. Sie lie­ben Stil­le und Ein­sam­keit, hier aber -- was wird denn das für ein Le­ben sein? Und bei Ihrem Ge­halt könn­ten Sie doch viel bes­ser woh­nen. Fe­do­ra sagt, daß Sie frü­her un­ver­gleich­lich bes­ser ge­lebt hät­ten als jetzt. Ha­ben Sie wirk­lich Ihr gan­zes Le­ben so ver­bracht, im­mer ein­sam, im­mer mit Ent­beh­run­gen, ohne Freu­de, ohne ein gu­tes, lie­bes Wort zu hö­ren, im­mer in ei­nem bei frem­den Men­schen ge­mie­te­ten Win­kel? Ach Sie, mein gu­ter Freund, wie Sie mir leid tun! So scho­nen Sie doch we­nigs­tens Ihre Ge­sund­heit, Ma­kar Ale­xe­je­witsch! Sie er­wäh­nen, daß Ihre Au­gen an­ge­grif­fen sei­en, -- so schrei­ben Sie doch nicht bei Ker­zen­licht! Was und wozu schrei­ben Sie denn noch? Ihr Dien­stei­fer wird Ihren Vor­ge­setz­ten doch wohl oh­ne­hin schon be­kannt sein.

Ich bit­te Sie noch­mals in­stän­dig, ver­schwen­den Sie nicht so­viel Geld für mich. Ich weiß, daß Sie mich lie­ben, aber Sie sind doch selbst nicht reich... Heu­te war ich eben­so froh, wie Sie, als ich er­wach­te. Es war mir so leicht zu­mut. Fe­do­ra war schon lan­ge an der Ar­beit und hat­te auch mir Ar­beit ver­schafft. Dar­über freu­te ich mich sehr. Ich ging nur noch aus, um Sei­de zu kau­fen, und dann setz­te ich mich gleich­falls an die Ar­beit. Und den gan­zen Mor­gen und Vor­mit­tag war ich so hei­ter! Jetzt aber -- wie­der trü­be Ge­dan­ken, al­les so trau­rig, das Herz tut mir weh.

Mein Gott, was wird aus mir wer­den, was wird mein Schick­sal sein! Das Schwers­te ist, daß man so nichts, nichts da­von weiß, was ei­nem be­vor­steht, daß man so gar kei­ne Zu­kunft hat, und daß man nicht ein­mal er­ra­ten kann, was aus ei­nem wer­den wird. Und zu­rück­zu­schau­en, da­vor graut mir ein­fach! Dort liegt so­viel Leid und Qual, daß das Herz mir schon bei der blo­ßen Erin­ne­rung bre­chen will. Mein Le­ben lang wer­de ich un­ter Trä­nen die Men­schen an­kla­gen, die mich zu­grun­de ge­rich­tet ha­ben. Die­se schreck­li­chen Men­schen!

Es dun­kelt schon. Es ist Zeit, daß ich mich wie­der an die Ar­beit ma­che. Ich wür­de Ih­nen gern noch vie­les schrei­ben, doch dies­mal geht es nicht: die Ar­beit muß zu ei­nem be­stimm­ten Tage fer­tig wer­den. Da muß ich mich be­ei­len. Brie­fe zu er­hal­ten ist na­tür­lich im­mer an­ge­nehm: es ist dann doch nicht so lang­wei­lig. Aber wes­halb kom­men Sie nicht selbst zu uns? Wirk­lich, warum nicht, Ma­kar Ale­xe­je­witsch? Wir woh­nen ja jetzt so nahe, und so­viel freie Zeit wer­den Sie doch wohl ha­ben. Also bit­te, be­su­chen Sie uns! Ich sah heu­te Ihre The­resa. Sie sieht ganz krank aus. Sie hat mir so leid ge­tan, daß ich ihr zwan­zig Kope­ken gab.

Ja, fast hät­te ich es ver­ges­sen: schrei­ben Sie mir un­be­dingt al­les mög­lichst aus­führ­lichst -- wie Sie le­ben, was um Sie her­um vor­geht -- al­les! -- Was es für Leu­te sind, die dort woh­nen, und ob Sie auch in Frie­den mit ih­nen aus­kom­men? Ich möch­te das al­les sehr gern wis­sen. Also ver­ges­sen Sie es nicht, schrei­ben Sie es un­be­dingt! Heu­te wer­de ich un­ab­sicht­lich ganz ge­wiß kei­nen Zip­fel des Vor­han­ges an­ste­cken. Ge­hen Sie frü­her schla­fen. Ges­tern sah ich noch um Mit­ter­nacht Licht bei Ih­nen. Und nun le­ben Sie wohl. Heu­te ist wie­der al­les da: Trau­er und Trüb­sal und Lan­ge­wei­le! Es ist nun ein­mal so ein Tag! Le­ben Sie wohl.

Ihre

War­wa­ra Do­bros­se­loff.

8. April.

Sehr ge­ehr­te War­wa­ra Ale­xe­jew­na!

Ja, mein Kind, ja, mei­ne Lie­be, es muß wohl wie­der ein­mal so ein Tag sein, wie er ei­nem vom Schick­sal öf­ter be­schie­den ist! Da ha­ben Sie sich nun über mich Al­ten lus­tig ge­macht, War­wa­ra Ale­xe­jew­na! Üb­ri­gens bin ich selbst dar­an schuld, ich ganz al­lein! Wer hieß mich auch, in mei­nem Al­ter, mit mei­nem spär­li­chen Haar­rest auf dem Schä­del, auf Aben­teu­er aus­ge­hen... Und noch eins muß ich sa­gen, mein Kind: der Mensch ist bis­wei­len doch son­der­bar, sehr son­der­bar. Oh du lie­ber Gott! Auf was er mit­un­ter nicht zu spre­chen kommt! Was aber folgt dar­aus, was kommt da­bei schließ­lich her­aus? Ja, fol­gen tut dar­aus nichts, aber her­aus kommt da­bei ein sol­cher Un­sinn, daß Gott uns be­hü­te und be­wah­re! Ich, mein Kind, ich är­ge­re mich ja nicht, aber es ist mir sehr un­an­ge­nehm, jetzt dar­an zu­rück­zu­den­ken, was ich Ih­nen da al­les so glück­lich und dumm ge­schrie­ben habe. Und auch zum Dienst ging ich heu­te so stolz und stut­zer­haft: es war solch ein Leuch­ten in mei­nem Her­zen, war so wie ein Fei­er­tag in der See­le, und doch ganz ohne al­len Grund, -- so froh­ge­mut war ich! Mit förm­li­cher Schaf­fens­gier mach­te ich mich an die Ar­beit, an die Pa­pie­re -- und was wur­de schließ­lich dar­aus? Als ich mich dann um­sah, war wie­der al­les so wie frü­her -- grau und nüch­tern. Über­all die­sel­ben Tin­ten­fle­cke, wie im­mer die­sel­ben Ti­sche und Pa­pie­re, und auch ich ganz der­sel­be: wie ich war, ge­nau so bin ich auch ge­blie­ben, -- was war da für ein Grund vor­han­den, den Pe­ga­sus zu rei­ten? Und wo­her war denn al­les ge­kom­men? Da­her, daß die Son­ne ein­mal durch die Wol­ken ge­schaut und der Him­mel sich hel­ler ge­färbt hat­te. Nur des­halb -- dies al­les? Und was kön­nen das für Früh­lings­düf­te sein, wenn man auf einen Hof hin­aus­sieht, auf dem al­ler Un­rat der Welt zu fin­den ist! Da muß ich mir also nur so aus Al­bern­heit al­les ein­ge­bil­det ha­ben. Aber es kommt doch bis­wei­len vor, daß ein Mensch sich in sei­nen ei­ge­nen Ge­füh­len ver­wirrt und in die Wei­te schweift und Un­sinn re­det. Das kommt von nichts an­de­rem, als von al­ber­ner Hit­zig­keit, in der das Herz eine Rol­le spielt. Nach Hau­se kam ich nicht mehr wie an­de­re Men­schen, son­dern schlepp­te mich heim: der Kopf schmerz­te. Das kommt dann schon so: eins zum an­de­ren. Ich muß wohl mei­nen Rücken er­käl­tet ha­ben. Ich hat­te mich, recht wie ein al­ter Esel, über den Früh­ling ge­freut und war im leich­ten Man­tel aus­ge­gan­gen. Auch das noch! In mei­nen Ge­füh­len aber ha­ben Sie sich ge­täuscht, mei­ne Lie­be! Sie ha­ben mei­ne Äu­ße­run­gen in ei­nem ganz an­de­ren Sinn auf­ge­faßt. Nur um vä­ter­li­che Zu­nei­gung han­delt es sich, Wa­rin­ka, denn ich neh­me bei Ih­nen, in Ih­rer bit­te­ren Ver­waist­heit, die Stel­le Ihres Va­ters ein, das sage ich aus rei­ner See­le und aus rei­nem Her­zen. Wie es auch sei: ich bin doch im­mer­hin Ihr Ver­wand­ter, wenn auch nur ein ganz ent­fern­ter Ver­wand­ter, viel­leicht wie das Sprich­wort sagt: das sie­ben­te Was­ser in der Sup­pe, aber im­mer­hin: Ihr Ver­wand­ter blei­be ich den­noch, und jetzt bin ich so­gar Ihr bes­ter Ver­wand­ter und ein­zi­ger Be­schüt­zer. Denn dort, wo es am nächs­ten lag, daß Sie Schutz und Bei­stand such­ten, dort fan­den Sie nur Ver­rat und Schmach. Was aber die Ge­dich­te be­trifft, so muß ich Ih­nen sa­gen, mein Kind, daß es sich für mich nicht schickt, mich auf mei­ne al­ten Tage noch im Dich­ten zu üben. Ge­dich­te sind Un­sinn! Heu­te wer­den in den Schu­len die Kin­der ge­prü­gelt, wenn sie dich­ten... da se­hen Sie, was Dich­ten ist, mei­ne Lie­be.

Was schrei­ben Sie mir da, War­wa­ra Ale­xe­jew­na, von Be­quem­lich­keit, Ruhe und was nicht noch al­les? Mein Kind, ich bin nicht an­spruchs­voll, ich habe nie­mals bes­ser ge­lebt, als jetzt: wes­halb soll­te ich jetzt an­fan­gen zu mä­keln? Ich habe zu es­sen, habe Klei­der und Schuh -- was will man mehr? Nicht uns steht es zu, Gott weiß was für Sprün­ge zu ma­chen! -- bin nicht von vor­neh­mer Her­kunft! Mein Va­ter war kein Ad­li­ger und be­zog mit sei­ner gan­zen Fa­mi­lie ein ge­rin­ge­res Ge­halt, als ich. Ich bin nicht ver­wöhnt. Üb­ri­gens, wenn man ganz auf­rich­tig die Wahr­heit sa­gen soll, so war ja wirk­lich in mei­ner frü­he­ren Woh­nung al­les un­ver­gleich­lich bes­ser. Man war frei­er, un­ab­hän­gi­ger, ge­wiß, mein Kind. Na­tür­lich ist auch mei­ne jet­zi­ge Woh­nung gut, ja sie hat in ge­wis­ser Hin­sicht so­gar ihre Vor­zü­ge: es ist hier lus­ti­ger, wenn Sie wol­len, es gibt mehr Ab­wechs­lung und Zer­streu­ung. Da­ge­gen will ich nichts sa­gen, aber es tut mir doch leid um die alte. So sind wir nun ein­mal, wir al­ten Leu­te, das heißt, wenn wir Men­schen schon an­fan­gen, äl­ter zu wer­den. Die al­ten Sa­chen, an die wir uns ge­wöhnt ha­ben, sind uns schließ­lich wie ver­wandt. Die Woh­nung war, wis­sen Sie, ganz klein und ge­müt­lich. Ich hat­te ein Zim­mer­chen für mich. Die Wän­de wa­ren... ach nun, was soll man da re­den! -- Die Wän­de wa­ren wie alle Wän­de sind, nicht um die Wän­de han­delt es sich, aber die Erin­ne­run­gen an all das Frü­he­re, die ma­chen mich et­was weh­mü­tig... Son­der­bar -- sie be­drücken, aber den­noch ist es, als wä­ren sie an­ge­nehm, als däch­te man selbst doch gern an all das Alte zu­rück. So­gar das Un­an­ge­neh­me, wor­über ich mich bis­wei­len ge­är­gert habe, so­gar das er­scheint jetzt in der Erin­ne­rung wie von al­lem Schlech­ten ge­säu­bert und ich sehe es im Geis­te nur noch als et­was Trau­tes, Gu­tes. Wir leb­ten ganz still und fried­lich, Wa­rin­ka, ich und mei­ne Wir­tin, die se­li­ge Alte. Ja, auch an die Gute den­ke ich jetzt mit trau­ri­gen Ge­füh­len zu­rück. Sie war eine bra­ve Frau und nahm nicht viel für das Zim­mer­chen. Sie strick­te im­mer aus al­ten Zeug­stücken, die sie in schma­le Bän­der zer­schnitt, mit el­len­lan­gen Strick­na­deln Bett­de­cken, da­mit al­lein be­schäf­tig­te sie sich. Das Licht be­nutz­ten wir ge­mein­schaft­lich, des­halb ar­bei­te­ten wir abends an dem­sel­ben Tisch. Ein En­kel­kind­chen leb­te bei ihr, Ma­scha, ich er­in­ne­re mich ih­rer noch, wie sie ganz klein war -- jetzt wird sie drei­zehn sein, schon ein großes Mäd­chen. Und so un­ar­tig war sie, so aus­ge­las­sen, im­mer brach­te sie uns zum La­chen. So leb­ten wir denn zu drei­en, sa­ßen an lan­gen Win­ter­aben­den am run­den Tisch, tran­ken un­se­ren Tee, und dann mach­ten wir uns wie­der an die Ar­beit. Die Alte be­gann oft Mär­chen zu er­zäh­len, da­mit Ma­scha sich nicht lang­wei­le oder auch, da­mit sie nicht un­ar­tig sei. Und was das für Mär­chen wa­ren! Da konn­te nicht nur ein Kind, nein, auch ein er­wach­se­ner, ver­nünf­ti­ger Mensch konn­te da zu­hö­ren. Und wie! Ich selbst habe oft, wenn ich mein Pfeif­chen an­ge­raucht hat­te, auf­ge­horcht, habe mit Span­nung zu­ge­hört und die gan­ze Ar­beit dar­über ver­ges­sen. Das Kind­chen aber, un­ser Wild­fang, wur­de ganz nach­denk­lich, stütz­te das ro­si­ge Bäck­chen in die Hand, öff­ne­te sei­nen klei­nen Kin­der­mund und horch­te mit großen Au­gen; und wenn es ein Mär­chen zum Fürch­ten war, dann schmieg­te es sich im­mer nä­her, im­mer angst­vol­ler an die Alte an. Uns aber war es eine Lust, das Kind­chen zu be­trach­ten. Und so saß man oft und be­merk­te gar nicht, wie die Zeit ver­ging, und ver­gaß ganz, daß drau­ßen der Schnee­sturm wü­te­te. --

Ja, das war ein gu­tes Le­ben, Wa­rin­ka, und so ha­ben wir fast gan­ze zwan­zig Jah­re ge­mein­sam ver­lebt. -- Doch wo­von rede ich da wie­der! Ih­nen wer­den sol­che Ge­schich­ten viel­leicht gar nicht ge­fal­len und mir sind die­se Erin­ne­run­gen auch nicht so leicht, -- na­ment­lich jetzt in der Däm­me­rung. The­resa klap­pert dort mit dem Ge­schirr -- ich habe Kopf­schmer­zen, auch mein Rücken schmerzt ein we­nig, und die Ge­dan­ken sind alle so selt­sam, als schmerz­ten sie gleich­falls: ich bin heu­te trau­rig ge­stimmt, Wa­rin­ka!

Was schrei­ben Sie da von be­su­chen, mei­ne Gute? Wie soll ich denn zu Ih­nen kom­men? Mein Täub­chen, was wer­den die Leu­te dazu sa­gen? Da müß­te ich doch über den Hof ge­hen, das wür­de man be­mer­ken und dann fra­gen, -- da gäbe es denn ein Ge­re­de und dar­aus ent­stün­den Klatsch­ge­schich­ten und man wür­de die Sa­che an­ders deu­ten. Nein, mein En­gel­chen, es ist schon bes­ser, wenn ich Sie mor­gen bei der Abend­mes­se sehe; das wird ver­nünf­ti­ger sein und für uns bei­de un­schäd­li­cher. Sei­en Sie mir nicht böse, mein Kind, weil ich Ih­nen einen sol­chen Brief ge­schrie­ben habe. Beim Durch­le­sen sehe ich jetzt, daß al­les ganz zu­sam­men­hang­los ist. Ich bin ein al­ter un­ge­lehr­ter Mensch, Wa­rin­ka; in der Ju­gend habe ich nichts zu Ende ge­lernt, jetzt aber wür­de nichts mehr in den Kopf ge­hen, wenn man von neu­em mit dem Ler­nen an­fan­gen woll­te. Ich muß schon ge­ste­hen, mein Kind, ich bin kein Meis­ter der Fe­der und weiß, auch ohne frem­de Hin­wei­se und spöt­ti­sche Be­mer­kun­gen, daß ich, wenn ich ein­mal et­was Spa­ßi­ge­res schrei­ben will, nur Un­sinn zu­sam­menschwat­ze. -- Ich sah Sie heu­te am Fens­ter, ich sah, wie Sie den Vor­hang her­a­blie­ßen. Le­ben Sie wohl, Gott schüt­ze Sie! Le­ben Sie wohl, War­wa­ra Ale­xe­jew­na.

Ihr Freund, der ganz un­ei­gen­nüt­zig Ihr Freund sein will,

Ma­kar Dje­wusch­kin.

P. S. Ich wer­de, mei­ne Lie­be, über nie­man­den mehr Sa­ti­ren schrei­ben. Ich bin zu alt ge­wor­den, Kind, um mü­ßi­ger­wei­se noch Scher­ze zu ma­chen. Man wür­de dann auch über mich la­chen, denn es ist schon so, wie un­ser Sprich­wort sagt: Wer ei­nem an­de­ren eine Gru­be gräbt, der -- fällt selbst hin­ein.

9. April.

Ma­kar Ale­xe­je­witsch!

Schä­men Sie sich denn nicht, mein Freund und Wohl­tä­ter, sich so et­was in den Kopf zu set­zen! Ha­ben Sie sich denn wirk­lich be­lei­digt ge­fühlt? Ach, ich bin oft so un­vor­sich­tig in mei­nen Äu­ße­run­gen, aber dies­mal hät­te ich doch nicht ge­dacht, daß Sie mei­nen harm­los scherz­haf­ten Ton für Spott hal­ten könn­ten. Sei­en Sie über­zeugt, daß ich es nie­mals wa­gen wer­de, über Ihre Jah­re oder Ihren Cha­rak­ter zu scher­zen. Ich habe es nur -- wie soll ich sa­gen --: aus Leicht­sinn ge­schrie­ben, aus Ge­dan­ken­lo­sig­keit, oder viel­leicht auch nur des­halb, weil es ge­ra­de furcht­bar lang­wei­lig war... was aber tut man mit­un­ter nicht al­les aus Lan­ge­wei­le? Au­ßer­dem glaub­te ich, daß Sie sich selbst in Ihrem Brief ein we­nig lus­tig hät­ten ma­chen wol­len. Nun macht es mich sehr trau­rig, daß Sie un­zu­frie­den mit mir sind. Nein, mein treu­er Freund und Be­schüt­zer, Sie täu­schen sich, wenn Sie mich der Ge­fühl­lo­sig­keit und Un­dank­bar­keit ver­däch­ti­gen. In mei­nem Her­zen weiß ich al­les, was Sie für mich ta­ten, als sie mich ge­gen den Haß und die Ver­fol­gun­gen schänd­li­cher Men­schen ver­tei­dig­ten, nach sei­nem wah­ren Wert zu schät­zen. Ewig wer­de ich für Sie be­ten, und wenn mein Ge­bet bis hin zu Gott dringt und er mich er­hört, dann wer­den Sie glück­lich sein.

Ich füh­le mich heu­te ganz krank. Schüt­tel­frost und Fie­ber wech­seln un­un­ter­bro­chen. Fe­do­ra be­un­ru­higt sich sehr. Es ist üb­ri­gens ganz grund­los, was Sie da schrei­ben -- und wes­we­gen Sie sich fürch­ten, uns zu be­su­chen. Was geht das die Leu­te an? Sie sind mit uns be­kannt und da­mit Bas­ta!

Le­ben Sie wohl, Ma­kar Ale­xe­je­witsch. Zu schrei­ben weiß ich nichts mehr, und ich kann auch nicht: füh­le mich wirk­lich ganz krank. Ich bit­te Sie noch­mals, mir nicht zu zür­nen und von mei­ner ste­ten Ver­eh­rung und An­häng­lich­keit über­zeugt zu sein, wo­mit ich die Ehre habe zu ver­blei­ben

Ihre dank­ba­re und er­ge­be­ne

War­wa­ra Do­bros­se­loff.

12. April.

Sehr ge­ehr­te War­wa­ra Ale­xe­jew­na!

Ach, mein Lie­bes, was ist das nun wie­der mit Ih­nen! Je­des­mal er­schre­cken Sie mich! Ich schrei­be Ih­nen in je­dem Brief, daß Sie sich scho­nen sol­len, sich warm an­klei­den, nicht bei schlech­tem Wet­ter aus­ge­hen, daß Sie in al­lem vor­sich­tig sein sol­len, -- Sie aber, mein En­gel­chen, hö­ren gar nicht dar­auf, was ich sage! Ach, mein Täub­chen, Sie sind doch wirk­lich noch ganz wie ein klei­nes Kind­chen! Sie sind so zart, wie so ein Stroh­hälm­chen, das weiß ich doch. Es braucht nur ein Wind­chen zu we­hen und gleich sind Sie krank. Des­halb müs­sen Sie sich auch in acht neh­men, müs­sen Sie selbst dar­auf be­dacht sein, sich nicht der Ge­fahr aus­zu­set­zen und Ihren Freun­den nicht Kum­mer, Sor­ge und Trüb­sal zu be­rei­ten.

Sie äu­ßer­ten im vor­letz­ten Brief den Wunsch, mein Kind, über mei­ne Le­bens­wei­se und al­les, was mich um­gibt und an­geht, Ge­nau­e­res zu er­fah­ren. Gern will ich Ihren Wunsch er­fül­len. Ich be­gin­ne also -- be­gin­ne mit dem An­fang, mein Kind, dann ist gleich mehr Ord­nung in der Sa­che.

Also ers­tens: die Trep­pen in un­se­rem Hau­se sind ziem­lich mit­tel­mä­ßig; die Pa­ra­de­trep­pe ist noch ganz gut, so­gar sehr gut, wenn Sie wol­len: rein, hell, breit, al­les Guß­ei­sen und wie Ma­ha­go­ni po­lier­tes Holz­ge­län­der. Da­für ist aber die Hin­ter­trep­pe so, daß ich lie­ber gar nicht von ihr re­den will: feucht, schmut­zig, mit zer­bro­che­nen Stu­fen, und die Wän­de sind so fet­tig, daß die Hand kle­ben bleibt, wenn man sich an sie stüt­zen will. Auf je­dem Trep­pen­ab­satz ste­hen Kis­ten, alte Stüh­le und Schrän­ke, al­les schief und wa­cke­lig, Lap­pen sind zum Trock­nen auf­ge­hängt, die Fens­ter­schei­ben ein­ge­schla­gen; Wasch­kü­bel ste­hen da mit al­lem mög­li­chen Schmutz, mit Un­rat und Keh­richt, mit Eier­scha­len und Tischres­ten; der Ge­ruch ist schlecht... mit ei­nem Wort, es ist nicht schön.

Die Lage der Zim­mer habe ich Ih­nen schon be­schrie­ben; sie ist -- da­ge­gen läßt sich nichts sa­gen -- wirk­lich be­quem, das ist wahr, aber es ist auch in ih­nen eine et­was dump­fe Luft, das heißt, ich will nicht ge­ra­de­zu sa­gen, daß es in den Zim­mern schlecht riecht, aber so -- es ist nur ein et­was fau­li­ger Ge­ruch, wenn man sich so aus­drücken darf, in den Zim­mern, ir­gend so ein süß­lich schar­fer Mo­der­ge­ruch, oder so un­ge­fähr. Der ers­te Ein­druck ist zum min­des­ten nicht vor­teil­haft, doch das hat nichts zu sa­gen, man braucht nur ein paar Mi­nu­ten bei uns zu sein, so ver­geht das, und man merkt nicht ein­mal, wie es ver­geht, denn man fängt selbst an, so zu rie­chen, die Klei­der und die Hän­de und al­les riecht bald eben­so, -- nun, und da ge­wöhnt man sich eben dar­an. Aber alle Zei­si­ge kre­pie­ren bei uns. Der See­mann hat schon den fünf­ten ge­kauft, aber sie kön­nen nun ein­mal nicht le­ben in un­se­rer Luft, da­ge­gen ist nichts zu ma­chen. Un­se­re Kü­che ist groß, ge­räu­mig und hell. Mor­gens ist es al­ler­dings et­was duns­tig in ihr, wenn man Fisch oder Fleisch brät und es riecht dann nach Rauch und Fett, da im­mer et­was über­ge­gos­sen wird, und auch der Fuß­bo­den ist mor­gens meist naß, aber abends ist man da­für wie im Pa­ra­dies. In der Kü­che hängt bei uns ge­wöhn­lich Wä­sche zum Trock­nen auf Schnü­ren, und da mein Zim­mer nicht weit ist, das heißt, fast un­mit­tel­bar an die Kü­che stößt, so stört mich die­ser Wä­sche­ge­ruch zu­wei­len ein we­nig. Aber das hat nichts zu sa­gen: hat man hier erst et­was län­ger ge­lebt, wird man sich auch dar­an ge­wöh­nen.

Vom frü­he­s­ten Mor­gen an, Wa­rin­ka, be­ginnt bei uns das Le­ben, da steht man auf, geht, lärmt, pol­tert, -- dann ste­hen näm­lich alle auf, die einen, um in den Dienst zu ge­hen oder sonst wo­hin, man­che nur so aus ei­ge­nem An­trie­be: und dann be­ginnt das Tee­trin­ken. Die Ssa­mo­wa­re ge­hö­ren fast alle der Wir­tin, es sind ih­rer aber nur we­ni­ge, des­halb muß ein je­der auf­pas­sen, wann die Rei­he an ihn kommt; wer aus der Rei­he fällt und mit sei­nem Tee­känn­chen frü­her geht, als er darf, dem wird so­gleich, und zwar tüch­tig, der Kopf zu­recht ge­rückt. Das ge­sch­ah mit mir auch ein­mal, gleich am ers­ten Tage... doch was soll man da­von re­den! Bei der Ge­le­gen­heit wur­de ich dann auch mit al­len be­kannt. Nä­her be­kannt wur­de ich zu­nächst mit dem See­mann. Der ist so ein Of­fen­her­zi­ger, hat mir al­les gleich er­zählt: von sei­nem Va­ter und sei­ner Mut­ter, von der Schwes­ter, die an einen As­ses­sor in Tula ver­hei­ra­tet ist und von Kron­stadt, wo er län­ge­re Zeit ge­lebt hat. Er ver­sprach mir auch sei­nen Bei­stand, wenn ich sei­ner be­dür­fen soll­te, und lud mich gleich zu sich zum Abend­tee ein. Ich such­te ihn dann auch auf -- er war in dem­sel­ben Zim­mer, in dem man bei uns ge­wöhn­lich Kar­ten spielt. Dort wur­de ich mit Tee be­wir­tet und dann ver­lang­te man von mir, daß ich an ih­rem Ha­zard­spiel teil­neh­men soll­te. Woll­ten sie sich nun über mich lus­tig ma­chen oder was sonst, das weiß ich nicht, je­den­falls spiel­ten sie selbst die gan­ze Nacht, auch als ich ein­trat, spiel­ten sie. Über­all Krei­de, Kar­ten, und ein Rauch war im Zim­mer, daß es einen förm­lich in die Au­gen biß. Nun, spie­len woll­te ich na­tür­lich nicht, und da sag­ten sie mir, ich sei wohl ein Phi­lo­soph. Da­rauf be­ach­te­te mich wei­ter nie­mand und man sprach auch die gan­ze Zeit kein Wort mehr mit mir. Doch dar­über war ich, wenn ich auf­rich­tig sein soll, nur sehr froh. Jetzt gehe ich nicht mehr zu ih­nen: bei de­nen ist nichts als Ha­zard, der rei­ne Ha­zard! Aber bei dem Be­am­ten, der ne­ben­bei so et­was wie ein Li­te­rat ist, kommt man abends gleich­falls zu­sam­men. Und bei dem geht es an­ders her, dort ist al­les be­schei­den, harm­los und an­stän­dig, -- ein be­hag­lich tüch­ti­ges Le­ben.

Nun, Wa­rin­ka, will ich Ih­nen noch bei­läu­fig an­ver­trau­en, daß un­se­re Wir­tin eine sehr schlech­te Per­son ist, eine rich­ti­ge Hexe. Sie ha­ben doch The­resa ge­se­hen, -- also sa­gen Sie selbst: was ist denn an ihr noch dran? Ma­ger ist sie wie eine Schwind­süch­ti­ge, wie ein ge­rupf­tes Hühn­chen. Und da­bei hält die Wir­tin nur zwei Dienst­bo­ten: die­se The­resa und den Fal­do­ni. Ich weiß nicht, wie er ei­gent­lich heißt, viel­leicht hat er auch noch einen an­de­ren Na­men, je­den­falls kommt er, wenn man ihn so ruft, und des­halb ru­fen ihn denn alle so. Er ist rot­haa­rig, ir­gend­ein Fin­ne, ein schie­len­der Gro­bi­an mit ei­ner auf­ge­stülp­ten Nase: auf die The­resa schimpft er un­un­ter­bro­chen, und viel fehlt nicht, so wür­de er sie ein­fach prü­geln. Über­haupt muß ich sa­gen, daß das Le­ben hier nicht ganz so ist, daß man es ge­ra­de gut nen­nen könn­te... Daß sich zum Bei­spiel abends alle zu glei­cher Zeit hin­le­gen und ein­schla­fen -- das kommt hier über­haupt nicht vor. Ewig wird ir­gend­wo noch ge­ses­sen und ge­spielt, manch­mal wird aber so­gar so et­was ge­trie­ben, daß man sich schämt, es auch nur an­zu­deu­ten. Jetzt habe ich mich schon ein­ge­lebt und an vie­les ge­wöhnt, aber ich wun­de­re mich doch, wie so­gar ver­hei­ra­te­te Leu­te in ei­nem sol­chen So­dom le­ben kön­nen. Da ist eine gan­ze arme Fa­mi­lie, die hier in ei­nem Zim­mer wohnt, aber nicht in ei­ner Rei­he mit den an­de­ren Num­mern, son­dern auf der an­de­ren Sei­te in ei­nem Eck­zim­mer, also et­was wei­ter ab. Stil­le Leut­chen! Nie­mand hört von ih­nen was. Und sie le­ben alle in dem einen Zim­mer­chen, in dem sie nur eine klei­ne Schei­de­wand ha­ben. Er soll ein stel­len­lo­ser Be­am­ter sein -- vor etwa sie­ben Jah­ren aus dem Dienst ent­las­sen, man weiß nicht, wes­halb. Sein Fa­mi­li­enna­me ist Gorsch­koff. Er ist ein klei­nes, grau­es Männ­chen, geht in al­ten, ab­ge­tra­ge­nen Klei­dern, daß es or­dent­lich weh tut, ihn an­zu­se­hen -- viel schlech­ter als ich! So ein arm­se­li­ges, kränk­li­ches Kerl­chen -- ich be­geg­ne ihm bis­wei­len auf dem Kor­ri­dor. Die Kniee zit­tern ihm im­mer, auch die Hän­de zit­tern und der Kopf zit­tert, von ei­ner Krank­heit viel­leicht, oder Gott mag wis­sen, wo­von. Schüch­tern ist er, alle fürch­tet er, geht je­dem scheu aus dem Wege und drückt sich ganz still und lei­se längs der Wand an den Men­schen vor­über. Auch ich bin ja mit­un­ter et­was schüch­tern, aber mit dem ist das gar kein Ver­gleich! Sei­ne Fa­mi­lie be­steht aus sei­ner Frau und drei Kin­dern. Der äl­tes­te Kna­be ist ganz nach dem Va­ter ge­ra­ten, auch so ein kränk­li­ches Kerl­chen. Sei­ne Frau muß ein­mal gut aus­ge­se­hen ha­ben, das sieht man jetzt noch... sie geht aber in so al­ten, arm­se­li­gen Klei­dern -- oh, so al­ten!! Wie ich hör­te, schul­den sie der Wir­tin be­reits die Mie­te; we­nigs­tens be­han­delt sie sie nicht gar zu freund­lich. Auch hör­te ich, daß Gorsch­koff selbst ir­gend­wel­che Unan­nehm­lich­kei­ten ge­habt ha­ben soll, wes­halb er ver­ab­schie­det wor­den sei, -- war es nun ein Pro­zeß oder et­was an­de­res, viel­leicht eine An­kla­ge, oder ist eine Un­ter­su­chung ein­ge­lei­tet wor­den, das weiß ich Ih­nen nicht zu sa­gen. Arm sind sie, furcht­bar arm, Gott im Him­mel! Im­mer ist es still in ih­rem Zim­mer, so still, als wohn­te dort kei­ne See­le. Nicht ein­mal die Kin­der hört man. Und daß sie mal un­ar­tig wä­ren oder ein Spiel­chen spiel­ten -- das kommt gar nicht vor, und ein schlim­me­res Zei­chen gibt es nicht. Ein­mal kam ich abends an ih­rer Tür vor­über -- es war ge­ra­de ganz un­ge­wöhn­lich still bei uns -- da hör­te ich ganz lei­ses Schluch­zen, dann ein Flüs­tern, dann wie­der Schluch­zen, ganz als wei­ne dort je­mand, aber so still, so hoff­nungs­los ver­zwei­felt, so trau­rig, daß es mir das Herz zer­rei­ßen woll­te -- und dann wur­de ich die hal­be Nacht die Ge­dan­ken an die­se ar­men Men­schen nicht los, so daß ich lan­ge nicht ein­schla­fen konn­te.

Nun le­ben Sie wohl, Wa­rin­ka, mein Freund­chen! Da habe ich Ih­nen jetzt al­les be­schrie­ben, so, wie ich es ver­stand. Heu­te habe ich den gan­zen Tag nur an Sie ge­dacht. Mein Herz hat sich um Sie ganz müde ge­grämt. Denn se­hen Sie, mein Seel­chen, ich weiß doch, daß Sie kein war­mes Män­tel­chen ha­ben. Und ich ken­ne doch die­ses Pe­ters­bur­ger Früh­lings­wet­ter, die­se Früh­jahrs­win­de und den Re­gen, der da­zwi­schen noch Schnee bringt, -- das ist doch der Tod, Wa­rin­ka! Da gibt es doch sol­che Wet­ter­um­schlä­ge, daß Gott uns be­hü­te und be­wah­re! Neh­men Sie mir, Herz­chen, mein Ge­schreib­sel nicht übel; ich habe kei­nen Stil, Wa­rin­ka, ganz und gar kei­nen Stil. Wenn ich doch nur ir­gend­ei­nen hät­te! Ich schrei­be, was mir ge­ra­de ein­fällt, da­mit Sie eine klei­ne Zer­streu­ung ha­ben, also nur so, um Sie et­was zu er­hei­tern. Ja, wenn ich was ge­lernt hät­te, dann wäre es et­was an­de­res; aber so -- was habe ich denn ge­lernt? Mei­ne Er­zie­hung hat we­nig ge­kos­tet!

Ihr ewi­ger und treu­er Freund

Ma­kar Dje­wusch­kin.

25. April.

Sehr ge­ehr­ter Ma­kar Ale­xe­je­witsch!

Heu­te bin ich mei­ner Ku­si­ne Ssa­scha be­geg­net! Ent­setz­lich! Auch sie wird zu­grun­de ge­hen, die Ärms­te! Auch habe ich zu­fäl­lig auf Um­we­gen er­fah­ren, daß Anna Fe­do­row­na sich über­all nach mir er­kun­digt und na­tür­lich al­les aus­for­schen will. Sie wird wohl nie­mals auf­hö­ren, mich zu ver­fol­gen. Sie soll ge­sagt ha­ben, daß sie mir al­les ver­zei­hen­wol­le! Sie wol­le al­les Vor­ge­fal­le­ne ver­ges­sen und wer­de mich un­be­dingt be­su­chen. Von Ih­nen hat sie ge­sagt, Sie sei­en gar nicht mein Ver­wand­ter, nur sie selbst sei mei­ne nächs­te und ein­zi­ge Ver­wand­te, und Sie hät­ten kein Recht, sich in un­se­re An­ge­le­gen­hei­ten ein­zu­mi­schen. Es sei eine Schan­de für mich und ich müs­se mich schä­men, mich von Ih­nen er­näh­ren zu las­sen und auf Ihre Kos­ten zu le­ben... Sie sagt, ich hät­te das Gna­den­brot, das sie uns ge­ge­ben, ver­ges­sen -- hät­te ver­ges­sen, daß sie mei­ne Mut­ter und mich vor dem Hun­ger­to­de be­wahrt, daß sie uns er­nährt und ge­pflegt und fast zwei­ein­halb Jah­re lang nur Un­kos­ten durch uns ge­habt, und daß sie uns au­ßer­dem eine alte Schuld ge­schenkt habe. Nicht ein­mal Mama will sie in ih­rem Gra­be in Ruhe las­sen! Wenn mei­ne Mut­ter wüß­te, was sie mir an­ge­tan ha­ben! Gott sieht es!...

Anna Fe­do­row­na hat auch noch ge­sagt, daß ich nur aus Dumm­heit nicht ver­stan­den habe, mein Glück fest­zu­hal­ten, daß sie selbst mir das Glück zu­ge­führt und sonst an nichts schuld sei, ich aber hät­te es nur nicht ver­stan­den -- oder viel­leicht auch nicht ge­wollt -- für mei­ne Ehre ein­zu­tre­ten. Aber wes­sen Schuld war es denn, großer Gott! Sie sagt, Herr Bü­koff sei durch­aus im Recht, man kön­ne doch wirk­lich nicht eine jede hei­ra­ten, die... doch wozu das al­les schrei­ben!

Es ist zu grau­sam, sol­che Un­wahr­hei­ten hö­ren zu müs­sen, Ma­kar Ale­xe­je­witsch!

Ich weiß nicht, was es heu­te mit mir ist. Ich zit­te­re, ich wei­ne, ich schluch­ze. An die­sem Brief schrei­be ich schon seit zwei Stun­den. Und ich war schon in dem Glau­ben, sie wer­de doch we­nigs­tens ihre Schuld ein­ge­se­hen ha­ben, das Un­recht, das sie mir zu­ge­fügt hat, -- und da re­det sie so!

Bit­te, re­gen Sie sich mei­net­we­gen nicht auf, mein Freund, um Got­tes wil­len nicht, mein ein­zi­ger gu­ter Freund! Fe­do­ra über­treibt ja doch im­mer: ich bin gar nicht krank. Ich habe mich nur ges­tern auf dem Wol­koff-Fried­hof ein we­nig er­käl­tet, als ich die See­len­mes­se für mein to­tes Müt­ter­chen hör­te. Wa­rum ka­men Sie nicht mit mir? -- ich hat­te Sie doch so dar­um ge­be­ten. Ach, mei­ne arme, arme Mut­ter, wenn du aus dem Gra­be stie­gest, wenn du wüß­test, wenn du wüß­test, was sie mit mir ge­tan ha­ben!...

W. D.

20. Mai.

Mein Täub­chen Wa­rin­ka!

Ich sen­de Ih­nen ein paar Wein­trau­ben, mein Herz­chen, die sind gut für Ge­ne­sen­de, sagt man, und auch der Arzt hat sie emp­foh­len, ge­gen den Durst, -- also dann es­sen Sie mal die Träub­chen, Wa­rin­ka, wenn Sie durs­tig sind. Sie woll­ten auch gern ein Ro­sen­stöck­chen be­sit­zen, Kind, da schi­cke ich Ih­nen denn jetzt wel­che. Ha­ben Sie aber auch Ap­pe­tit, Herz­chen? -- Das ist doch die Haupt­sa­che. Gott sei Dank, daß nun al­les vor­über und über­stan­den ist, und daß auch un­ser Un­glück bald ein Ende neh­men wird. Dan­ken wir da­für dem Schöp­fer! Was aber nun die Bü­cher be­trifft, so kann ich vor­läu­fig nir­gend­wo wel­che auf­trei­ben. Es soll hier je­mand ein sehr gu­tes Buch ha­ben, hör­te ich, ei­nes, das in sehr ho­hem Stil ge­schrie­ben sei; man sagt, es sei wirk­lich ein gu­tes Buch, ich habe es selbst nicht ge­le­sen, aber es wird hier sehr ge­lobt. Ich habe ge­be­ten, man möge es mir ge­ben, und man woll­te es mir auch ver­schaf­fen. Nur -- wer­den Sie es wirk­lich le­sen? Sie sind ja so wäh­le­risch in sol­chen Sa­chen, daß es schwer hält, für Ihren Ge­schmack ge­ra­de das Rich­ti­ge zu fin­den, ich ken­ne Sie doch, mein Täub­chen, ich weiß schon, wie Sie sind! Sie wol­len wohl nur Poe­sie ha­ben, die von Lie­be und Sehn­sucht han­delt, -- des­halb wer­de ich Ih­nen auch Ge­dich­te ver­schaf­fen, al­les, al­les, was Sie nur ha­ben wol­len. Hier gibt es ein gan­zes Heft mit ab­ge­schrie­be­nen Ge­dich­ten.

Ich lebe sehr gut. Sie müs­sen sich über mich be­ru­hi­gen, Kind. Was Ih­nen die Fe­do­ra wie­der er­zählt hat, ist al­les gar nicht wahr, sie soll nicht im­mer lü­gen, sa­gen Sie ihr das. Ja, sa­gen Sie es ihr wirk­lich, der Klatsch­ba­se!... Ich habe mei­nen neu­en Uni­form­rock gar nicht ver­kauft, ist mir nicht ein­ge­fal­len! Und wes­halb soll­te ich ihn ver­kau­fen, sa­gen Sie doch selbst? Ich habe noch vor kur­z­em ge­hört, wie man da­von sprach, daß man mir eine Gra­ti­fi­ka­ti­on von vier­zig Ru­beln zu­spre­chen wer­de, wes­halb soll­te ich da ver­kau­fen? Nein, Kind, Sie sol­len sich wirk­lich nicht be­un­ru­hi­gen. Sie ist arg­wöh­nisch, die Fe­do­ra, und miß­trau­isch, das ist gar nicht gut von ihr. War­ten Sie nur, auch wir wer­den noch mal gut le­ben, mein Täub­chen! Nur müs­sen Sie erst ge­sund wer­den, mein En­gel­chen, das müs­sen Sie um Chris­ti wil­len: das ist doch mein größ­ter Kum­mer, da­mit be­trü­ben Sie mich Al­ten doch am meis­ten. Wer hat Ih­nen ge­sagt, daß ich ab­ge­ma­gert sei? Das ist auch eine Ver­leum­dung! Ich bin ganz ge­sund und mun­ter und habe so­gar so zu­ge­nom­men, daß ich mich schon selbst zu schä­men an­fan­ge. Bin satt und zu­frie­den und mir fehlt nichts, -- wenn nur Sie wie­der ge­sund wä­ren! Nun, und jetzt le­ben Sie wohl, mein En­gel­chen; ich küs­se alle Ihre Fin­ger­chen und ver­blei­be

Ihr ewig treu­er, un­wan­del­ba­rer Freund

Ma­kar Dje­wusch­kin.

P. S. Ach, Herz­chen, was ha­ben Sie da nur wie­der ge­schrie­ben! Daß Sie sich doch im­mer et­was ins Köpf­chen set­zen müs­sen! Wie soll ich denn so oft zu Ih­nen kom­men, Kind -- das fra­ge ich Sie, -- wie? Etwa im Schut­ze der nächt­li­chen Dun­kel­heit? Aber wo die Näch­te her­neh­men, jetzt gibt es ja gar kei­ne, in die­ser Jah­res­zeit. Ich habe Sie aber auch so, En­gel­chen, wäh­rend Ih­rer Krank­heit fast gar nicht ver­las­sen, als Sie be­wußt­los im Fie­ber la­gen. Doch ei­gent­lich weiß ich es selbst nicht mehr, wie ich mei­ne Zeit ein­teil­te und mit al­lem doch noch fer­tig wur­de. Aber dann stell­te ich mei­ne Be­su­che ein, denn die Leu­te wur­den neu­gie­rig und be­gan­nen zu fra­gen. Und es sind oh­ne­hin schon Klatsch­ge­schich­ten ent­stan­den. Ich ver­las­se mich aber ganz auf The­resa, sie ist zum Glück nicht schwatz­haft. Aber im­mer­hin müs­sen Sie es sich doch selbst sa­gen, Kind, wie wird denn das sein, wenn alle über uns schwat­zen? Was wer­den sie denn von uns den­ken und was sa­gen? Des­halb bei­ßen Sie mal die Zähn­chen zu­sam­men, Herz­chen, und war­ten Sie, bis Sie ganz ge­sund ge­wor­den sind: dann wer­den wir uns schon ir­gend­wo au­ßer­halb des Hau­ses tref­fen kön­nen.

1. Juni.

Bes­ter Ma­kar Ale­xe­je­witsch!

Ich möch­te Ih­nen so gern et­was zu Lie­be tun, um Ih­nen mei­nen Dank für Ihre Mü­hen und die Op­fer, die Sie mir ge­bracht, zu be­zei­gen, dar­um habe ich mich ent­schlos­sen, aus mei­ner Kom­mo­de mein al­tes Heft her­vor­zu­su­chen, das ich Ih­nen hier­mit zu­sen­de. Ich be­gann die­se Auf­zeich­nun­gen noch in der glück­li­chen Zeit mei­nes Le­bens. Sie ha­ben mich so oft mit An­teil nach mei­nem frü­he­ren Le­ben ge­fragt und mich ge­be­ten, Ih­nen von mei­ner Mut­ter, von Po­krow­skij, von mei­nem Auf­ent­halt bei Anna Fe­do­row­na und schließ­lich von mei­nen letz­ten Er­leb­nis­sen zu er­zäh­len, und Sie äu­ßer­ten so leb­haft den Wunsch, die­ses Heft ein­mal zu le­sen, in dem ich -- Gott weiß wozu -- ei­ni­ges aus mei­nem Le­ben er­zählt habe, daß ich glau­be, Ih­nen mit der Zu­sen­dung die­ses Hef­tes eine Freu­de zu be­rei­ten. Mich aber hat es trau­rig ge­macht, als ich es jetzt durch­las. Es scheint mir, daß ich seit dem Au­gen­blick, in dem ich die letz­te Zei­le die­ser Auf­zeich­nun­gen schrieb, noch ein­mal so alt ge­wor­den bin, als ich war, zwei­mal so alt! Ich habe das Gan­ze zu ver­schie­de­nen Zei­ten nie­der­ge­schrie­ben. Le­ben Sie wohl, Ma­kar Ale­xe­je­witsch! Ich habe jetzt oft schreck­li­che Lan­ge­wei­le und nachts quält mich mei­ne Schlaf­lo­sig­keit. Ein höchst lang­wei­li­ges Ge­ne­sen!

W. D.

I.

Ich war erst vier­zehn Jah­re alt, als mein Va­ter starb. Mei­ne Kind­heit war die glück­lichs­te Zeit mei­nes Le­bens. Ich ver­brach­te sie nicht hier, son­dern fern in der Pro­vinz, auf dem Lan­de. Mein Va­ter war der Ver­wal­ter ei­nes großen Gu­tes, das dem Fürs­ten P. ge­hör­te. Und dort leb­ten wir -- still, ein­sam und glück­lich... Ich war ein rich­ti­ger Wild­fang: oft tat ich den gan­zen Tag nichts an­de­res, als in Feld und Wald um­her­zu­strei­fen, über­all wo ich nur woll­te, denn nie­mand küm­mer­te sich um mich. Mein Va­ter war im­mer be­schäf­tigt und mei­ne Mut­ter hat­te in der Wirt­schaft zu tun. Ich wur­de nicht un­ter­rich­tet -- und dar­über war ich sehr froh. So lief ich schon früh­mor­gens zum großen Teich oder in den Wald, oder auf die Wie­se zu den Schnit­tern -- je nach­dem --: was mach­te es mir aus, daß die Son­ne brann­te, daß ich selbst nicht mehr wuß­te, wo ich war und wie ich mich zu­recht­fin­den soll­te, daß das Ge­strüpp mich kratz­te und mein Kleid zer­riß: zu Hau­se wür­de man schel­ten, aber was ging das mich an!

Und ich glau­be, ich wäre ewig so glück­lich ge­blie­ben, wenn wir auch das gan­ze Le­ben dort auf dem Lan­de ver­bracht hät­ten. Doch lei­der muß­te ich schon als Kind von die­sem frei­en Land­le­ben Ab­schied neh­men und mich von all den trau­ten Stel­len tren­nen. Ich war erst zwölf Jah­re alt, als wir nach Pe­ters­burg über­sie­del­ten. Ach, wie trau­rig war un­ser Auf­bruch! Wie wein­te ich, als ich al­les, was ich so lieb hat­te, ver­las­sen muß­te! Ich weiß noch, wie krampf­haft ich mei­nen Va­ter um­arm­te und ihn un­ter Trä­nen bat, er möge doch we­nigs­tens noch ein Weil­chen auf dem Gute blei­ben, und wie mein Va­ter böse wur­de und wie mei­ne Mut­ter auch wein­te. Sie sag­te, es sei not­wen­dig, es sei­en ge­schäft­li­che An­ge­le­gen­hei­ten, die es ver­lang­ten. Der alte Fürst P. war näm­lich ge­stor­ben und sei­ne Er­ben hat­ten mei­nen Va­ter ent­las­sen. So fuh­ren wir nach Pe­ters­burg, wo ei­ni­ge Pri­vat­leu­te leb­ten, de­nen mein Va­ter Geld ge­lie­hen hat­te -- und da woll­te er denn per­sön­lich sei­ne Geldan­ge­le­gen­hei­ten re­geln. Das er­fuhr ich al­les von mei­ner Mut­ter. Hier mie­te­ten wir auf der Pe­ters­bur­ger Sei­te1 eine Woh­nung, in der wir dann bis zum Tode des Va­ters blie­ben.

Wie schwer es mir war, mich an das neue Le­ben zu ge­wöh­nen! Wir ka­men im Herbst nach Pe­ters­burg. Als wir das Gut ver­lie­ßen, war es ein son­nig hel­ler, kla­rer, war­mer Tag. Auf den Fel­dern wur­den die letz­ten Ar­bei­ten be­en­det. Auf den Ten­nen lag schon das Ge­trei­de in ho­hen Hau­fen, um die gan­ze Scha­ren leb­haft zwit­schern­der Vö­gel flat­ter­ten. Al­les war so hell und fröh­lich!

Hier aber, als wir in der Stadt an­lang­ten, war statt des­sen nichts als Re­gen, Herbst­käl­te, Un­wet­ter, Schmutz, und vie­le frem­de Men­schen, die alle un­freund­lich, un­zu­frie­den und böse aus­sa­hen! Wir rich­te­ten uns ein, so gut es eben ging. Wie­viel Sche­re­rei das gab, bis man den Haus­halt end­lich ein­ge­rich­tet hat­te! Mein Va­ter war fast den gan­zen Tag nicht zu Hau­se und mei­ne Mut­ter war im­mer be­schäf­tigt, -- mich ver­gaß man ganz. Es war ein trau­ri­ges Auf­ste­hen am nächs­ten Mor­gen -- nach der ers­ten Nacht in der neu­en Woh­nung. Vor un­se­ren Fens­tern war ein gel­ber Zaun. Auf der Stra­ße sah man nichts als Schmutz! Nur we­ni­ge Men­schen gin­gen vor­über, und alle wa­ren so ver­mummt in Klei­der und Tü­cher, und alle schie­nen sie zu frie­ren.

Bei uns zu Hau­se herrsch­ten gan­ze Tage lang nur Kum­mer und ent­setz­li­che Lan­ge­wei­le. Ver­wand­te oder nahe Be­kann­te hat­ten wir hier nicht. Mit Anna Fe­do­row­na hat­te sich der Va­ter ent­zweit. (Er schul­de­te ihr et­was.) Es ka­men aber ziem­lich oft Leu­te zu uns, die mit dem Va­ter Ge­schäft­li­ches zu be­spre­chen hat­ten. Ge­wöhn­lich wur­de dann ge­strit­ten, ge­lärmt und ge­schri­en. Und wenn sie wie­der fort­ge­gan­gen wa­ren, war Papa im­mer so un­zu­frie­den und böse. Stun­den­lang ging er dann im Zim­mer auf und ab, mit ge­run­zel­ter Stirn, ohne ein Wort zu spre­chen. Auch Mama wag­te dann nichts zu sa­gen und schwieg. Und ich zog mich mit ei­nem Buch still in einen Win­kel zu­rück und wag­te mich nicht zu rüh­ren.

Im drit­ten Mo­nat nach un­se­rer An­kunft in Pe­ters­burg wur­de ich in eine Pen­si­on ge­ge­ben. War das eine trau­ri­ge Zeit, an­fangs, un­ter den vie­len frem­den Men­schen! Al­les war so tro­cken, so kurz an­ge­bun­den, so un­freund­lich und so gar nicht an­zie­hend: die Leh­re­rin­nen schal­ten und die Mäd­chen spot­te­ten, und ich war so ver­schüch­tert -- wie ein Wild­ling kam ich mir vor. Die­se pe­dan­ti­sche Stren­ge! Al­les muß­te pünkt­lich zur be­stimm­ten Stun­de ge­sche­hen. Die Mahl­zei­ten an der ge­mein­sa­men Ta­fel, die lang­wei­li­gen Leh­rer -- das mach­te mich an­fangs halt­los! Ich konn­te dort nicht ein­mal schla­fen. So man­che lan­ge, lang­wei­li­ge, kal­te Nacht habe ich bis zum Mor­gen ge­weint. Abends, wenn die an­de­ren alle ihre Lek­tio­nen lern­ten oder wie­der­hol­ten, saß ich über mei­nem Buch oder dem Vo­ka­bel­heft und wag­te nicht, mich zu rüh­ren, doch mit mei­nen Ge­dan­ken war ich wie­der zu Hau­se, dach­te an den Va­ter und die Mut­ter und an mei­ne alte gute Kin­der­frau und an de­ren Mär­chen... ach, was für ein Heim­weh mich da er­faß­te! Je­des kleins­ten Ge­gen­stan­des im Hau­se er­in­nert man sich, und selbst an den noch denkt man mit ei­nem so ei­gen­tüm­li­chen, weh­mü­ti­gen Ver­gnü­gen. Und so denkt man und denkt man denn, -- wie gut, wie schön es doch jetzt zu Hau­se wäre! Da wür­de ich in un­se­rem klei­nen Eß­zim­mer am Tisch sit­zen, auf dem der Ssa­mo­war summt, und mit am Tisch sä­ßen die El­tern: wie warm wäre es, wie traut, wie be­hag­lich. Wie wür­de ich, denkt man, jetzt Müt­ter­chen um­ar­men, fest, ganz fest, o, so mit al­ler In­brunst um­ar­men! -- Und so denkt man wei­ter, bis man vor Heim­weh lei­se zu wei­nen an­fängt, und im­mer wie­der die Trä­nen schluckt -- die Vo­ka­beln aber ge­hen ei­nem nicht in den Kopf. Wie­der kann man die Auf­ga­be für den nächs­ten Tag nicht: die gan­ze Nacht sieht man nichts an­de­res im Traum, als den Leh­rer, die Ma­da­me und die Mit­schü­le­rin­nen; die gan­ze Nacht träumt man, daß man die Auf­ga­ben ler­ne, am nächs­ten Tage aber weiß man na­tür­lich nichts. Da muß man wie­der im Win­kel kni­en und er­hält nur eine Spei­se. Ich war so un­lus­tig, so wort­karg. Die Mäd­chen lach­ten über mich, neck­ten mich und lenk­ten mei­ne Auf­merk­sam­keit ab, wenn ich die Auf­ga­be her­sag­te, oder sie knif­fen mich, wenn wir in lan­ger Rei­he paar­weis zu Tisch gin­gen, oder sie be­klag­ten sich bei der Leh­re­rin über mich. Doch wel­che Se­lig­keit, wenn dann am Sonn­abend­a­bend mei­ne alte gute Wär­te­rin kam, um mich ab­zu­ho­len! Wie ich sie um­arm­te -- ich wuß­te mich kaum zu las­sen vor Freu­de -- mein gu­tes Alt­chen! Und dann klei­de­te sie mich an, im­mer »hübsch warm«, wie sie sag­te, wenn sie mir die Tü­cher um den Kopf band. Un­ter­wegs aber konn­te sie mir nie schnell ge­nug fol­gen und ich -- konn­te doch nicht so lang­sam ge­hen wie sie! Und die gan­ze Zeit er­zähl­te ich und schwatz­te ich ohne Un­ter­laß. Ganz aus­ge­las­sen vor Freu­de, lief ich ins Haus und warf mich den El­tern um den Hals, als hät­ten wir uns seit neun Jah­ren nicht ge­se­hen. Und dann be­gann das Er­zäh­len und Fra­gen, und ich lach­te und lief um­her und fei­er­te mit al­lem und al­lem Wie­der­se­hen. Papa be­gann als­bald erns­te­re Ge­sprä­che: über die Leh­rer, über Ma­the­ma­tik, über die fran­zö­si­sche Spra­che und die Gram­ma­tik von L’Ho­mond, -- und alle wa­ren wir so gu­ter Din­ge und zu­frie­den und ge­sprä­chig. Auch jetzt noch ist mir die blo­ße Erin­ne­rung an jene Stun­den ein Ver­gnü­gen.

Ich gab mir die größ­te Mühe, gut zu ler­nen, um mei­nen Va­ter da­mit zu er­freu­en. Ich sah doch, daß er das Letz­te für mich aus­gab, wäh­rend ihm selbst die Sor­gen über den Kopf wuch­sen. Mit je­dem Tage wur­de er fins­te­rer, un­zu­frie­de­ner, jäh­zor­ni­ger; sein Cha­rak­ter ver­än­der­te sich sehr zu sei­nem Nach­teil. Nichts ge­lang ihm, al­les schlug fehl und die Schul­den wuch­sen ins Un­ge­heu­er­li­che.

Die Mut­ter fürch­te­te sich, zu wei­nen oder auch nur ein Wort der Kla­ge zu sa­gen, da der Va­ter sich dann nur noch mehr är­ger­te. Sie wur­de kränk­lich und schwäch­lich und ein bö­ser Hus­ten stell­te sich ein. Kam ich aus der Pen­si­on, so sah ich nur trau­ri­ge Ge­sich­ter: die Mut­ter wisch­te sich heim­lich die Trä­nen aus den Au­gen und der Va­ter är­ger­te sich. Und dann ka­men wie­der Vor­wür­fe und Kla­gen: er er­le­be an mir kei­ne Freu­de, ich bräch­te ihm auch kei­nen Trost, und doch gebe er für mich das Letz­te hin, ich aber ver­stän­de noch im­mer nicht, Fran­zö­sisch zu spre­chen. Mit ei­nem Wort, ich war an al­lem schuld; al­les Un­glück, alle Mi­ßer­fol­ge, al­les hat­ten wir zu ver­ant­wor­ten, ich und die arme Mama. Wie war es aber nur mög­lich, die arme Mama noch mehr zu quä­len! Wenn man sie an­sah, konn­te ei­nem das Herz bre­chen! Ihre Wan­gen wa­ren ein­ge­fal­len, die Au­gen la­gen tief in den Höh­len -- wie eine Schwind­süch­ti­ge sah sie aus.

Die größ­ten Vor­wür­fe wur­den mir ge­macht. Ge­wöhn­lich be­gann es mit ir­gend­ei­ner klei­nen Ne­ben­säch­lich­keit und dann kam oft Gott weiß was al­les zur Spra­che, -- oft be­griff ich nicht ein­mal, wo­von Papa sprach. Was er da nicht al­les vor­brach­te!... Zu­erst die fran­zö­si­sche Spra­che, daß ich ein großer Dumm­kopf und un­se­re Pen­si­ons­vor­ste­he­rin eine fahr­läs­si­ge, dum­me Per­son sei, sie sor­ge nicht im ge­rings­ten für un­se­re sitt­li­che Ent­wi­cke­lung; dann -- daß er noch im­mer kei­ne An­stel­lung fin­den kön­ne und daß die Gram­ma­tik von L’Ho­mond nichts tau­ge, die von Sa­pols­kij sei be­deu­tend bes­ser; daß man für mich viel Geld ver­schwen­det habe, ohne Sinn und Nut­zen, daß ich ein ge­fühl­lo­ses, hart­her­zi­ges Mäd­chen sei, -- kurz, ich Arme, die ich mir die größ­te Mühe gab, fran­zö­si­sche Vo­ka­beln und Ge­sprä­che aus­wen­dig zu ler­nen, war an al­lem schuld und muß­te alle Vor­wür­fe hin­neh­men. Aber er tat es ja nicht etwa des­halb, weil er uns nicht lieb­te: im Ge­gen­teil, er lieb­te uns über alle Ma­ßen! Es war nun ein­mal sein Cha­rak­ter ...

Oder nein: es wa­ren die Sor­gen, die Ent­täu­schun­gen und Mi­ßer­fol­ge, die sei­nen ur­sprüng­lich gu­ten Cha­rak­ter so ver­än­dert hat­ten: er wur­de miß­trau­isch, war oft ganz ver­bit­tert und der Verzweif­lung nahe, be­gann sei­ne Ge­sund­heit zu ver­nach­läs­si­gen, er­käl­te­te sich und -- starb dann auch nach kur­z­em Kran­ken­la­ger, so plötz­lich, so un­er­war­tet, daß wir es noch ta­ge­lang nicht fas­sen konn­ten! Wir wa­ren wie be­täubt von die­sem Schla­ge. Mama war wie er­starrt, ich fürch­te­te an­fäng­lich für ih­ren Ver­stand. Kaum aber war er ge­stor­ben, da ka­men schon die Gläu­bi­ger in Scha­ren zu uns. Al­les, was wir hat­ten, ga­ben wir ih­nen hin. Un­ser Häu­schen auf der Pe­ters­bur­ger Sei­te, das Papa ein hal­b­es Jahr nach un­se­rer An­kunft in Pe­ters­burg ge­kauft hat­te, muß­te gleich­falls ver­kauft wer­den. Ich weiß nicht, wie es mit dem Üb­ri­gen wur­de, wir blie­ben je­den­falls ohne Ob­dach, ohne Geld, schutz­los, mit­tel­los... Mama war krank -- es war ein schlei­chen­des Fie­ber, das nicht wei­chen woll­te -- ver­die­nen konn­ten wir nichts, so wa­ren wir dem Ver­der­ben preis­ge­ge­ben. Ich war erst vier­zehn Jah­re alt.