Arsène Lupin, Meisterdieb und Gentleman - Maurice Leblanc - E-Book

Arsène Lupin, Meisterdieb und Gentleman E-Book

Leblanc Maurice

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Beschreibung

Arsène Lupin – Meisterdieb, Gentleman und Verwandlungskünstler. Niemand ist vor ihm sicher, und doch kann man ihm nicht widerstehen. Mit unvergleichlichem Charme und einem Verstand, der dem eines Detektivs in nichts nachsteht, stiehlt Lupin nicht nur die wertvollsten Juwelen und geheimnisvollsten Artefakte, sondern auch die Herzen seiner Gegner. In dieser Sammlung brillanter Abenteuer tritt Lupin gegen die Elite der Pariser Gesellschaft an, trickst die Polizei mit Leichtigkeit aus und wird zur Legende der Unterwelt. Ob ein spektakulärer Raub an Bord eines Luxusdampfers oder das Lösen eines scheinbar unknackbaren Geheimnisses – Lupin ist immer einen Schritt voraus. Doch hinter der Maske des Gauners verbirgt sich ein Code der Ehre, der ihn von gewöhnlichen Kriminellen unterscheidet. Erleben Sie den Auftakt zu den Geschichten des wohl raffiniertesten Diebes aller Zeiten, dessen scharfsinnige Intrigen und unerwartete Wendungen Leser:innen seit über einem Jahrhundert begeistern. "Arsène Lupin, Meisterdieb und Gentleman" – ein Klassiker voller Spannung, Witz und Eleganz. Wer wird Lupin je aufhalten können? Null Papier Verlag

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Maurice Leblanc

Arsène Lupin, Meisterdieb und Gentleman

Erstes Buch der Serie

Maurice Leblanc

Arsène Lupin, Meisterdieb und Gentleman

Erstes Buch der Serie

Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2025Klosterstr. 34 · D-40211 Düsseldorf · [email protected]Übersetzung: Jürgen Schulze 1. Auflage, ISBN 978-3-962819-27-9

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Inhaltsverzeichnis

Wi­d­mung

VOR­WORT

DIE VER­HAF­TUNG DES AR­SÈ­NE LU­PIN

AR­SÈ­NE LU­PIN IM GE­FÄNG­NIS

Die Flucht von Ar­sè­ne Lu­pin

DER MYS­TE­RI­Ö­SE REI­SEN­DE

DAS HA­LS­BAND DER KÖ­NI­GIN

DIE HER­Z­SIE­BEN

DER TRE­SOR DER FRAU IM­BERT

DIE SCHWA­R­ZE PER­LE

SHER­LOCK HOL­MES KOM­MT ZU SPÄT

Dan­ke

Dan­ke, dass Sie sich für ein E-Book aus mei­nem Ver­lag ent­schie­den ha­ben.

Soll­ten Sie Hil­fe be­nö­ti­gen oder eine Fra­ge ha­ben, schrei­ben Sie mir.

Ihr Jür­gen Schul­ze

Kri­mis bei Null Pa­pier

Der Frau­en­mör­der

Eine De­tek­ti­vin

Hem­mungs­los

Der Mann, der zu viel wuss­te

Noch mehr De­tek­ti­v­ge­schich­ten

Sher­lock Hol­mes – Sam­m­lung

Eine Kri­mi­na­l­ge­schich­te & Das graue Haus in der Rue Ri­che­lieu

Der Dop­pel­mord in der Rue Mor­gue

In­di­sche Kri­mi­na­le­r­zäh­lun­gen

Kri­mi­na­l­ge­schich­ten

und wei­te­re …

Widmung

An Pier­re LAFITTE

Mein lie­ber Freund,

Du hast mich auf einen un­er­war­te­ten Weg ge­führt, der mir große Freu­de und li­te­ra­ri­sche In­spi­ra­ti­on ge­schenkt hat. Da­her er­scheint es mir nur an­ge­mes­sen, dei­nen Na­men am An­fang die­ses ers­ten Ban­des zu er­wäh­nen und dir mei­ne lie­be­vol­le und auf­rich­ti­ge Aner­ken­nung aus­zu­drücken.

M. L.

VORWORT

„Er­zähl uns doch, du, der du so gut Ge­schich­ten er­zäh­len kannst, eine über Die­be…“

„Al­so gut“, ant­wor­te­te Vol­taire, oder ein an­de­rer Phi­lo­soph des 18. Jahr­hun­derts, denn die­se An­ek­do­te wird meh­re­ren die­ser ein­zig­ar­ti­gen Ge­sprächs­part­ner zu­ge­schrie­ben.

Und er be­gann:

„Es war ein­mal ein Steuer­ein­trei­ber…“

Der Au­tor der A­ben­teu­er des Ar­sè­ne Lu­pin, der eben­so char­mant er­zäh­len kann, hät­te an­ders be­gon­nen:

„Es war ein­mal ein ade­li­ger Ein­bre­cher…“

Die­ser un­ge­wöhn­li­che Auf­takt hät­te die Zu­hö­rer ver­blüfft. Die Aben­teu­er von Ar­sè­ne Lu­pin, eben­so un­glaub­lich und pa­ckend wie die von Ar­thur Gor­don Pym, ta­ten mehr. Sie be­geis­ter­ten nicht nur ein an­spruchs­vol­les Pub­li­kum, son­dern zo­gen die brei­te Mas­se in ih­ren Bann. Seit die­ser fas­zi­nie­ren­de Cha­rak­ter in Ich weiß al­les er­schie­nen ist, hat er Hun­dert­tau­sen­de von Le­sern er­schreckt, fas­zi­niert und amü­siert. Nun wird er, nach­dem er das Ma­ga­zin er­obert hat, tri­um­phal als Buch in die Biblio­the­ken zie­hen.

Ge­schich­ten von De­tek­ti­ven und be­rüch­tig­ten Gau­nern üben seit je­her eine star­ke Fas­zi­na­ti­on aus. Balzac, nach­dem er Mme de Mor­sauf ver­las­sen hat­te, leb­te das dra­ma­ti­sche Le­ben ei­nes Kri­mi­nal­be­am­ten: Er tausch­te die Li­lie des Tals ge­gen den Aus­rei­ßer aus der Gos­se. Vic­tor Hugo er­fand Ja­vert, der Jean Val­jean jag­te, eben­so wie der an­de­re „In­spek­tor“ Vau­trin ver­folg­te. Bei­de Schrift­stel­ler dach­ten an Vi­docq, die­sen selt­sa­men Wolf-Hirsch, der zum Wach­hund wur­de, des­sen Ge­heim­nis­se so­wohl der Poet von Die Elen­den als auch der Ro­man­cier von Ru­bem­pré ein­fin­gen. Spä­ter fas­zi­nier­ten Mon­sieur Le­co­qs Aben­teu­er die An­hän­ger des Kri­mi­nal­ro­mans, und M. de Bis­marck und M. de Beust fan­den, so­wohl vor als auch nach Sa­do­wa, ge­mein­sa­me Be­geis­te­rung für die Er­zäh­lun­gen von Ga­bo­ri­au.

Und so trifft ein Schrift­stel­ler auf sei­nem Weg auf eine Fi­gur, die er zu ei­nem iko­ni­schen Cha­rak­ter formt, wo­durch er selbst li­te­ra­ri­schen Ruhm er­langt. Glück­lich ist der­je­ni­ge, der aus dem Nichts ein We­sen schafft, das bald so le­ben­dig ist wie die Le­ben­den: De­lo­bel­le oder Prio­la! Der eng­li­sche Ro­man­cier Co­nan Doy­le mach­te Sher­lock Hol­mes be­rühmt. Mau­ri­ce Le­blanc hat sei­nen ei­ge­nen Sher­lock Hol­mes er­schaf­fen, und ich glau­be, seit den Aben­teu­ern des be­rühm­ten eng­li­schen De­tek­tivs hat kaum ein an­de­res Aben­teu­er die Neu­gier so ge­weckt wie die von Ar­sè­ne Lu­pin, ei­ner Ab­fol­ge von Er­eig­nis­sen, die heu­te als Buch ver­füh­ren.

Der Er­folg von M. Le­blan­cs Er­zäh­lun­gen war in der mo­nat­li­chen Zeit­schrift über­wäl­ti­gend. Dort, wo der Le­ser sich einst mit den ba­na­len Int­ri­gen des Fort­set­zungs­ro­mans zu­frie­den gab, sucht er nun – in ei­ner si­gni­fi­kan­ten Ent­wick­lung – nach Li­te­ra­tur, die ihn un­ter­hält und den­noch li­te­ra­risch an­spruchs­voll bleibt.

Vor etwa ei­nem Dut­zend Jah­ren be­gann der Au­tor, wenn ich mich recht er­in­ne­re, sei­ne Kar­rie­re im al­ten „Gil Blas“. Sei­ne ori­gi­nel­len, kla­ren und kraft­vol­len Er­zäh­lun­gen ka­ta­pul­tier­ten ihn so­fort in die obers­te Rie­ge der Schrift­stel­ler. Der Au­tor, ge­bür­ti­ger Nor­man­ne aus Rou­en, stamm­te aus ei­ner an­ge­se­he­nen Fa­mi­lie, ver­gleich­bar mit Grö­ßen wie Flau­bert, Mau­passant und Al­bert So­rel, letz­te­rer eben­falls ein Meis­ter der Kurz­ge­schich­te. Sein De­bütroman „Ei­ne Frau“ er­reg­te be­trächt­li­che Auf­merk­sam­keit, ge­folgt von meh­re­ren psy­cho­lo­gi­schen Stu­di­en wie „Das Werk des To­des“, „Ar­mel­le und Clau­de“ so­wie „Die Be­geis­te­rung“. Zu­dem ver­fass­te er das ge­fei­er­te Drei­ak­ter-Stück „Das Mit­leid“ für An­to­i­ne und über­zeug­te mit sei­nen präg­nan­ten Kurz­ro­ma­nen, in de­nen Mau­ri­ce Le­blanc be­son­ders bril­lier­te.

Eine be­son­de­re Vor­stel­lungs­kraft ist er­for­der­lich, um solch ver­dich­te­te Dra­men und kur­ze Ge­schich­ten zu er­fin­den, die die Es­senz gan­zer Bän­de ein­fan­gen – ähn­lich wie meis­ter­haf­te Vig­net­ten fer­ti­ge Ge­mäl­de dar­stel­len. Die­se ein­zig­ar­ti­gen Er­zähl­qua­li­tä­ten ver­lang­ten nach ei­nem grö­ße­ren Rah­men, und der Au­tor von „Ei­ne Frau“ be­gann, sich nach vie­len ori­gi­nel­len Er­zäh­lun­gen zu fo­kus­sie­ren.

Da­mals be­geg­ne­te er der char­man­ten und über­ra­schen­den Fi­gur des Ar­sè­ne Lu­pin. Die Ge­schich­te die­ses Die­bes aus dem 18. Jahr­hun­dert, der sei­ne Op­fer mit ge­witz­ter Ele­ganz be­stahl und die Mar­qui­ses glei­cher­ma­ßen er­schreck­te und ver­zau­ber­te, ist be­kannt. Ar­sè­ne Lu­pin ist gleich­sam der En­kel die­ses Ga­no­ven, der das Pub­li­kum glei­cher­ma­ßen in Angst und Be­wun­de­rung ver­setz­te.

„Man kann Sher­lock Hol­mes mit Lu­pin und Mau­ri­ce Le­blanc mit Co­nan Doy­le ver­glei­chen“, er­klär­te mir Mon­sieur Mar­cel L’Heu­reux, als er mir die Druck­fah­nen des Wer­kes sei­nes Kol­le­gen zeig­te und Aus­ga­ben über­brach­te, in de­nen ‚Ich weiß al­les‘ die Hel­den­ta­ten von Ar­sè­ne Lu­pin il­lus­trier­te. „Si­cher­lich tei­len bei­de Au­to­ren ge­wis­se Merk­ma­le: die Kraft der Er­zäh­lung, die Kunst­fer­tig­keit im Int­ri­gen­auf­bau, das Ge­schick der Ge­heim­hal­tung, die prä­zi­se Ver­knüp­fung der Fak­ten und die Spar­sam­keit der Mit­tel. Doch welch Über­le­gen­heit in der The­men­wahl und der Qua­li­tät des Dra­mas selbst! Be­ach­ten Sie die­sen Kunst­griff: Wäh­rend bei Sher­lock Hol­mes je­des Mal ein neu­er Dieb­stahl oder ein neu­es Ver­bre­chen im Fo­kus steht, wis­sen wir hier von vorn­her­ein, dass Ar­sè­ne Lu­pin der Tä­ter ist. Der Reiz liegt dar­in, die ver­floch­te­nen Fä­den zu ent­wir­ren und dem be­rühm­ten Gent­le­man-Dieb ins Auge zu se­hen. Die­se Schwie­rig­keit wur­de per­fekt ge­meis­tert, und es wäre kaum ge­schick­ter zu be­werk­stel­li­gen ge­we­sen als von Mau­ri­ce Le­blanc. Durch Metho­den, die selbst der er­fah­rens­te Le­ser nicht durch­schaut, bleibt die Span­nung bis zum Schluss ei­nes je­den Aben­teu­ers er­hal­ten. Bis zur letz­ten Zei­le herr­schen Un­ge­wiss­heit, Neu­gier­de und Span­nung, und die Wen­dung ist stets un­er­war­tet, mit­rei­ßend und be­un­ru­hi­gend. Ar­sè­ne Lu­pin ist tat­säch­lich eine Fi­gur, die längst le­gen­där ist und Be­stand ha­ben wird. Le­ben­dig, ju­gend­lich, vol­ler Hei­ter­keit, Un­vor­her­seh­bar­keit und Iro­nie – ein Dieb und Ein­bre­cher, Gau­ner und Hoch­stap­ler, wie auch im­mer man ihn be­zeich­nen mag, ist er doch ein aus­ge­spro­chen sym­pa­thi­scher Schur­ke! Er stiehlt mit be­zau­bern­der Un­be­küm­mert­heit, vol­ler Iro­nie und mit Ch­ar­me und Esprit. Er ist ein Di­let­tant, ein Künst­ler! Mer­ken Sie sich: Ar­sè­ne Lu­pin stiehlt nicht, er amü­siert sich beim Steh­len. Er wählt aus und gibt, wenn nö­tig, zu­rück. Er ist edel und char­mant, rit­ter­lich und fein­füh­lig, und sei­ne Ta­ten er­schei­nen so ge­recht­fer­tigt, dass man un­will­kür­lich auf den Er­folg sei­ner Un­ter­neh­mun­gen hofft und sich dar­über freut – so­gar die Moral scheint auf sei­ner Sei­te. All dies, so be­to­ne ich, weil Lu­pin die Schöp­fung ei­nes Künst­lers ist und Mau­ri­ce Le­blanc bei der Er­schaf­fung sei­nes Wer­kes nicht ver­ges­sen hat, dass er vor al­lem ein Schrift­stel­ler im bes­ten Sin­ne des Wor­tes ist.“

Herr Mar­cel L’Heu­reux, ein aus­ge­wie­se­ner Ken­ner li­te­ra­ri­scher Wer­ke und selbst Au­tor be­mer­kens­wer­ter Ro­ma­ne, äu­ßer­te sei­ne Mei­nung zu die­sem iro­nisch amüsan­ten Buch, das trotz der ver­füh­re­ri­schen Pa­ra­do­xi­en sei­nes Pro­tago­nis­ten kei­nes­falls amo­ra­lisch ist. Nach der Lek­tü­re tei­le ich sei­ne An­sicht. Zwei­fel­los hät­te der cha­ris­ma­ti­sche Lu­pin kei­nen Montyon-Preis ver­dient. Doch wur­de der Fra Dia­vo­lo, der un­se­re Groß­müt­ter in der Opéra-Co­mi­que zur­zeit von Aria­ne und Blau­bar­t be­zau­ber­te, lan­ge vor der Er­fin­dung sol­cher Aus­zeich­nun­gen, für sei­ne Tu­gend ge­ehrt?

Dort er­scheint er, Mit ro­ter Fe­der auf dem Hut …

Ar­sè­ne Lu­pin ist ein Fra Dia­vo­lo un­se­rer Zeit – nur dass er kei­nen Kar­ren führt, son­dern einen Re­vol­ver, und ge­klei­det ist er nicht in eine ro­man­ti­sche Samt­wes­te, son­dern in einen ma­kel­lo­sen Smo­king. Ich wün­sche ihm den lan­gan­hal­ten­den Er­folg des un­wi­der­steh­li­chen Ban­di­ten, den Au­ber be­sang. Doch was wünscht man ei­nem Ar­sè­ne Lu­pin, dem die Sym­pa­thi­en der All­ge­mein­heit si­cher sind? Die Be­geis­te­rung, die das Ma­ga­zin ent­facht hat, wird das Buch fort­set­zen.

Ju­les Cla­re­tie

DIE VERHAFTUNG DES ARSÈNE LUPIN

Selt­sa­me Rei­se – ob­wohl sie so viel­ver­spre­chend be­gann! Noch nie war eine mei­ner Rei­sen un­ter glück­li­che­ren Vor­zei­chen ge­st­ar­tet. Die Pro­vence, ein schnel­ler und kom­for­ta­bler Trans­at­lan­tik­damp­fer un­ter der Füh­rung ei­nes ge­sel­li­gen Ka­pi­täns, war per­fekt. An Bord be­fand sich eine er­le­se­ne Ge­sell­schaft. Be­zie­hun­gen ent­stan­den, Ge­sprä­che wur­den an­ge­regt, und wir emp­fan­den das ex­qui­si­te Ge­fühl, von der Welt iso­liert, auf uns selbst zu­rück­ge­wor­fen zu sein. Es war fast so, als be­fän­den wir uns auf ei­ner un­be­kann­ten In­sel und wä­ren ge­zwun­gen, ein­an­der na­he­zu­kom­men.

Und wir ka­men uns nä­her …

Ha­ben Sie je be­dacht, wie ori­gi­nell und un­vor­her­seh­bar die­se Ge­mein­schaft ist, die sich noch am Vor­tag fremd war und nun, für ei­ni­ge Tage, un­ter end­lo­sem Him­mel und über wei­tem Meer das engs­te Le­ben teilt? Ge­mein­sam stell­ten wir uns den Lau­nen des Ozeans, dem An­griff der Wel­len, den bö­sen Stür­men und der trü­ge­ri­schen Ruhe des glat­ten Was­sers.

Im Grun­de ge­nom­men er­le­ben wir hier das Le­ben selbst, al­ler­dings in dra­ma­tisch ver­kürz­ter Form mit all sei­nen Stür­men und Hö­hen, sei­ner Mo­no­to­nie und Viel­falt. Vi­el­leicht ist ge­ra­de des­halb die­se kur­ze Rei­se so fes­selnd und in­ten­siv, weil das Ende be­reits in Sicht ist.

In den letz­ten Jah­ren je­doch hat ein neu­es Ele­ment die Über­fahr­ten mit ei­ner be­son­de­ren Span­nung be­rei­chert. Die klei­ne schwim­men­de In­sel bleibt ver­bun­den – Draht­los-Te­le­gra­fie! Wie ein Echo aus ei­ner an­de­ren Welt, die auf ge­heim­nis­vol­le Wei­se Nach­rich­ten sen­det! Die Vor­stel­lungs­kraft kann nicht mehr auf sicht­ba­re Dräh­te zu­rück­grei­fen; das Mys­te­ri­um wird noch tiefer und poe­ti­scher. Man muss sich vor­stel­len, wie die Bot­schaft auf den Flü­geln des Win­des ge­tra­gen wird, um die­ses Wun­der zu er­klä­ren.

So fühl­ten wir uns in den ers­ten Stun­den bei­na­he ver­folgt und es­kor­tiert von die­ser fer­nen Stim­me, die ei­nem von uns ge­le­gent­lich Nach­rich­ten aus der Fer­ne über­mit­tel­te. Zwei Freun­de spra­chen di­rekt mit mir, zehn an­de­re, zwan­zig mehr schick­ten uns über die Wei­te ihre trau­ri­gen oder lä­cheln­den Ab­schieds­grü­ße.

Am zwei­ten Tag je­doch, fünf­hun­dert Mei­len von der fran­zö­si­schen Küs­te ent­fernt, über­brach­te die draht­lo­se Te­le­gra­fie an ei­nem stür­mi­schen Nach­mit­tag fol­gen­de Nach­richt:

„Ar­sè­ne Lu­pin an Bord, ers­te Klas­se, blon­des Haar, Ver­let­zung am rech­ten Un­ter­arm, reist al­lein un­ter dem Na­men R…“

In die­sem Au­gen­blick ent­lud sich ein ge­wal­ti­ger Don­ner­schlag am fins­te­ren Him­mel. Die elek­tri­schen Lei­tun­gen wur­den un­ter­bro­chen, und der Rest der De­pe­sche er­reich­te uns nicht. Vom Na­men, un­ter dem sich Ar­sè­ne Lu­pin ver­barg, er­fuh­ren wir le­dig­lich den An­fangs­buch­sta­ben.

Wäre es eine an­de­re Nach­richt ge­we­sen, glau­be ich fest, hät­ten die Mit­ar­bei­ter der Te­le­gra­fen­sta­ti­on so­wie der Kom­missar an Bord und der Ka­pi­tän das Ge­heim­nis streng ge­wahrt. Doch es gibt Vor­komm­nis­se, die selbst die tiefs­te Ver­schwie­gen­heit zu durch­bre­chen schei­nen. Noch am sel­ben Tag, ohne dass je­mand wuss­te, wie sich die Neu­ig­keit ver­brei­tet hat­te, wuss­ten wir alle, dass der be­rühmt-be­rüch­tig­te Ar­sè­ne Lu­pin sich un­ter uns be­fand.

Ar­sè­ne Lu­pin un­ter uns! Der fes­seln­de Dieb, des­sen Hel­den­ta­ten seit Mo­na­ten in al­len Zei­tun­gen glo­ri­fi­ziert wur­den! Die­ser mys­te­ri­öse Cha­rak­ter, der sich mit dem er­fah­re­nen Ga­ni­mard, un­se­rem bes­ten Po­li­zis­ten, in einen le­bens­ge­fähr­li­chen, dra­ma­ti­schen Kampf ver­wi­ckelt hat­te! Ar­sè­ne Lu­pin, der spie­le­ri­sche Gent­le­man, der aus­schließ­lich in Sch­lös­sern und Sa­lons agiert und nach ei­ner Nacht im An­we­sen des Barons Schor­mann mit lee­ren Hän­den und ei­ner Vi­si­ten­kar­te mit der Auf­schrift „Ar­sè­ne Lu­pin, Gent­le­man-Dieb, kehrt zu­rück, wenn die Mö­bel echt sind“ hin­ter­ließ. Ar­sè­ne Lu­pin, der Mann der tau­send Ver­klei­dun­gen: Chauf­feur, Te­nor, Buch­ma­cher, Ari­sto­krat, Ju­gend­li­cher, Greis, Han­dels­rei­sen­der aus Mar­seil­le, rus­si­scher Arzt, spa­ni­scher Stier­kämp­fer!

Stel­len Sie sich vor: Ar­sè­ne Lu­pin, der auf dem en­gen Raum ei­nes Oze­an­damp­fers sei­ne Wege kreuzt – oder bes­ser ge­sagt: in der klei­nen Welt der Ers­ten Klas­se, wo man sich stän­dig be­geg­net, im Spei­se­saal, im Sa­lon, in der Rau­cher­loun­ge! Ar­sè­ne Lu­pin – das könn­te die­ser Herr sein… oder je­ner… mein Tischnach­bar… mein Ka­bi­nen­ge­nos­se…

„Und das wird noch fünf­mal vier­und­zwan­zig Stun­den so wei­ter­ge­hen!“, rief am nächs­ten Tag Miss Nel­ly Un­der­down aus. „Das ist un­er­träg­lich! Ich hof­fe sehr, dass man ihn bald ver­haf­tet.“

An mich ge­wandt frag­te sie:

„Sa­gen Sie, Mon­sieur d’An­dré­zy, Sie ha­ben doch einen gu­ten Draht zum Ka­pi­tän – wis­sen Sie nichts?“

Wie gern hät­te ich et­was ge­wusst, um Miss Nel­ly zu be­ein­dru­cken! Sie war eine je­ner fas­zi­nie­ren­den Frau­en, die stets im Mit­tel­punkt ste­hen. Ihre Schön­heit so­wie ihr Ver­mö­gen strahl­ten. Sie war stets von Be­wun­de­rern und Ver­eh­rern um­ge­ben.

In Pa­ris von ih­rer fran­zö­si­schen Mut­ter er­zo­gen, war sie auf dem Weg zu ih­rem Va­ter, dem wohl­ha­ben­den Herrn Un­der­down aus Chi­ca­go. Beglei­tet wur­de sie von ei­ner Freun­din, Lady Jer­land.

Von der ers­ten Stun­de an hat­te ich mich als Flirt­part­ner an­ge­bo­ten. Doch im en­gen Rah­men der Rei­se ver­zau­ber­te mich ihr Ch­ar­me, und ich fühl­te mich weit mehr als für einen blo­ßen Flirt be­wegt, wenn ihre großen schwar­zen Au­gen mei­nen be­geg­ne­ten. Trotz­dem nahm sie mei­ne An­nä­he­run­gen freund­lich auf. Sie lach­te über mei­ne Wit­ze und zeig­te In­ter­es­se an mei­nen An­ek­do­ten. Eine sub­ti­le Sym­pa­thie schi­en mei­ner Auf­merk­sam­keit zu ent­spre­chen.

Vi­el­leicht wäre ich nur durch einen ein­zi­gen Ri­va­len ver­un­si­chert wor­den: ein recht gut­aus­se­hen­der, ele­gan­ter und zu­rück­hal­ten­der Jung­ge­sel­le, dem sie manch­mal sei­ne schweig­sa­me Art ge­gen­über mei­nen eher „au­ßer­ge­wöhn­li­chen“ Pa­ri­ser Ma­nie­ren vor­zu­zie­hen schi­en.

Er ge­hör­te zu der Grup­pe von Be­wun­de­rern um Miss Nel­ly, als sie mich frag­te. Wir sa­ßen auf dem Deck, be­quem in Schau­kel­stüh­len. Das Un­wet­ter der ver­gan­ge­nen Nacht hat­te den Him­mel ge­klärt. Die Stim­mung war präch­tig.

„Ich weiß nichts Ge­nau­e­res, Miss,“ ant­wor­te­te ich, „a­ber wer hin­dert uns dar­an, un­se­re ei­ge­ne Un­ter­su­chung an­zu­stel­len, ge­nau­so wie es der alte Ga­ni­mard, Ar­sè­ne Lu­pins Erz­feind, tun wür­de?“

„Oh! Oh! Sie neh­men das wohl nicht sehr ernst!“

„Wa­rum denn nicht? Ist das Pro­blem wirk­lich so kom­pli­ziert?“

„Sehr kom­pli­ziert.“

„Sie ver­ges­sen die Fak­to­ren, die uns zur Ver­fü­gung ste­hen.“

„Wel­che Fak­to­ren?“

„Ers­tens: Lu­pin nennt sich selbst Herrn R…“

„Ei­ne vage Be­schrei­bung.“

„Zwei­tens: Er reist al­lein.“

„Wenn das für Sie reicht!“

„Drit­tens: Er ist blond.“

„Und dann?“

„Dann müs­sen wir nur noch die Pas­sa­gier­lis­te kon­sul­tie­ren und per Aus­schluss­ver­fah­ren vor­ge­hen.“

Ich hat­te die Lis­te in mei­ner Ta­sche, zog sie her­aus und prüf­te sie.

„Zu­erst stel­le ich fest, dass nur drei­zehn Per­so­nen mit dem re­le­van­ten Ini­ti­al für uns von In­ter­es­se sind.“

„Nur drei­zehn?“

„Ja, in der ers­ten Klas­se. Un­ter die­sen drei­zehn Her­ren R… rei­sen neun, wie Sie selbst über­prü­fen kön­nen, mit Fa­mi­lie oder Per­so­nal. Es blei­ben vier un­ab­hän­gi­ge Per­so­nen: der Mar­quis de Ra­ver­dan…“

„Ein Bot­schafts­se­kre­tär“, un­ter­brach Miss Nel­ly, „ich ken­ne ihn.“

„Ma­jor Raw­son…“

„Das ist mein On­kel“, sag­te je­mand.

„Herr Ri­vol­ta…“

„An­we­send“, rief ein Ita­lie­ner von uns, des­sen Ge­sicht von ei­nem auf­fäl­lig schwar­zen Bart ver­deckt war.

Miss Nel­ly lach­te auf.

„Die­ser Herr ist de­fi­ni­tiv nicht blond.“

„Dann bleibt nur der letz­te auf der Lis­te.“

„Und das wäre?“

„Herr Ro­zai­ne. Kennt je­mand Herrn Ro­zai­ne?“

Es gab kei­ne Ant­wort. Aber Miss Nel­ly sprach den zu­rück­hal­ten­den jun­gen Mann an, des­sen Nähe mich be­un­ru­hig­te:

„Nun, Herr Ro­zai­ne, warum sa­gen Sie nichts?“

Alle Bli­cke rich­te­ten sich auf ihn. Er war blond.

Ich ge­ste­he, dass ich in­ner­lich einen klei­nen Schock ver­spür­te. Die pein­li­che Stil­le, die sich über uns leg­te, deu­te­te dar­auf hin, dass auch die an­de­ren An­we­sen­den eine ge­wis­se Un­ru­he fühl­ten. Da­bei war es ab­surd, denn nichts an sei­nem Ver­hal­ten ließ Ver­dacht auf­kom­men.

„Wa­rum ich nichts sage?“ er­klär­te er, „weil ich be­reits auf­grund mei­nes Na­mens, mei­nes Al­lein­rei­sens und mei­ner Haar­far­be zu der­sel­ben Schluss­fol­ge­rung ge­kom­men bin. Des­halb schla­ge ich vor, mich fest­zu­neh­men.“

Er wirk­te da­bei merk­wür­dig ernst. Sei­ne dün­nen Lip­pen wur­den noch blas­ser und sei­ne Adern tra­ten deut­lich her­vor.

Na­tür­lich scherz­te er. Den­noch be­ein­druck­ten uns sein Ge­sichts­aus­druck und sei­ne Hal­tung. Naiv frag­te Miss Nel­ly:

„A­ber Sie ha­ben kei­ne Wun­de?“

„Stimmt“, sag­te er, „die fehlt.“

Mit ner­vö­ser Ges­te roll­te er sei­nen Är­mel hoch und zeig­te sei­nen Arm. Doch plötz­lich hat­te ich einen Ge­dan­ken­blitz. Ich tausch­te einen Blick mit Miss Nel­ly: Er hat­te den lin­ken Arm ge­zeigt.

Und tat­säch­lich, ge­ra­de als ich die­se Be­mer­kung an­brin­gen woll­te, lenk­te et­was un­se­re Auf­merk­sam­keit ab. Lady Jer­land, Miss Nel­lys Freun­din, stürm­te her­bei.

Auf­ge­löst stam­mel­te sie nach ei­ni­ger Mühe:

„Mei­ne Ju­we­len, mei­ne Per­len!… al­les ist weg!…“

Wie sich spä­ter her­aus­stell­te, war nicht al­les ent­wen­det wor­den; noch ver­blüf­fen­der: Es war ge­zielt aus­ge­sucht wor­den! Aus dem Dia­man­tens­tern, dem Ru­bin-An­hän­ger, den zer­bro­che­nen Ket­ten und Arm­bän­dern hat­te man nicht die größ­ten Stei­ne, son­dern die feins­ten, wert­volls­ten aus­ge­wählt, die auf kleins­tem Raum am meis­ten wert wa­ren. Die Fas­sun­gen la­gen dort, auf dem Tisch, ih­rer Ju­we­len be­raubt, wie Blu­men ohne ihre pracht­volls­ten Blü­ten­blät­ter.

Um die­sen Coup durch­zu­füh­ren, hat­te man wäh­rend der Tee­zeit von Lady Jer­land – mit­ten am Tag und auf ei­nem be­leb­ten Gang – die Ka­bi­nen­tür auf­bre­chen, eine gut ver­steck­te Ta­sche fin­den, sie öff­nen und sorg­fäl­tig aus­wäh­len müs­sen!

Un­ter uns herrsch­te ein­hel­li­ge Em­pö­rung: Alle Pas­sa­gie­re wa­ren sich ei­nig, dass Ar­sè­ne Lu­pin hin­ter dem Dieb­stahl steck­te. Sei­ne Hand­schrift war un­ver­kenn­bar – kom­plex, ge­heim­nis­voll, un­durch­schau­bar … und den­noch lo­gisch. Wäre es nicht schwie­ri­ger ge­we­sen, die ge­sam­te Schmuck­mas­se zu ver­ber­gen, als klei­ne, un­ab­hän­gi­ge Ob­jek­te wie Per­len, Sma­rag­de und Sa­phi­re?

Beim Abendes­sen fiel auf, dass die bei­den Plät­ze ne­ben Ro­zai­ne leer blie­ben. Schließ­lich er­fuh­ren wir, dass er vom Ka­pi­tän vor­ge­la­den wor­den war. Sei­ne Fest­nah­me, von der nie­mand über­rascht war, brach­te deut­li­che Er­leich­te­rung. End­lich konn­ten wir auf­at­men. An die­sem Abend wur­de ge­spielt und ge­tanzt. Miss Nel­ly zeig­te eine über­bor­den­de Fröh­lich­keit, was dar­auf hin­deu­te­te, dass sie Ro­zai­nes Auf­merk­sam­kei­ten kaum noch schätz­te. Ihre An­mut vollen­de­te mei­nen Ein­druck von ihr, und ge­gen Mit­ter­nacht, un­ter dem strah­len­den Mond­licht, be­kann­te ich ihr mei­ne Zu­nei­gung mit ei­ner Ehr­furcht, die ihr nicht un­an­ge­nehm war.

Am nächs­ten Tag er­reg­te es großes Er­stau­nen, dass Ro­zai­ne frei­ge­las­sen wur­de, da die Be­wei­se ge­gen ihn nicht aus­reich­ten. Als Sohn ei­nes an­ge­se­he­nen Kauf­manns aus Bor­deaux hat­te er ta­del­lo­se Pa­pie­re vor­ge­legt und kei­ne Ver­let­zungs­spu­ren an sei­nen Ar­men auf­ge­wie­sen.

„Glaubt ihr an Pa­pie­re? An Ge­burts­ur­kun­den?“, ent­rüs­te­ten sich sei­ne Kri­ti­ker. „Ar­sè­ne Lu­pin kann be­lie­big vie­le da­von fäl­schen! Und wer sagt, dass er nicht die Be­wei­se für Ver­let­zun­gen be­sei­tigt hat?“

Ge­gen­ar­gu­men­te be­sag­ten, Ro­zai­ne sei be­wie­se­ner­ma­ßen zum Zeit­punkt des Dieb­stahls an Deck ge­we­sen. Doch man kon­ter­te: „Muss ein Mann von Ar­sè­ne Lu­pins Ka­li­ber den Dieb­stahl per­sön­lich aus­füh­ren?“

Ein un­um­stöß­li­cher Punkt blieb: Au­ßer Ro­zai­ne reis­te nie­mand al­lein, war blond und hat­te einen Na­men, der mit „R“ be­gann. Wer soll­te sonst in dem Te­le­gramm ge­meint sein?

Als Ro­zai­ne uns kurz vor dem Mit­ta­ges­sen un­ge­niert ge­gen­über­trat, er­ho­ben sich Miss Nel­ly und Lady Jer­land und ver­lie­ßen den Tisch. Die Angst war spür­bar.

Eine Stun­de spä­ter kur­sier­te eine hand­schrift­li­che No­tiz un­ter der Crew, den See­leu­ten und Pas­sa­gie­ren al­ler Klas­sen: M. Louis Ro­zai­ne setz­te eine Be­loh­nung von zehn­tau­send Fran­cs für die Er­grei­fung von Ar­sè­ne Lu­pin oder die Rück­ga­be der ge­stoh­le­nen Ju­we­len aus. „Wenn mir kei­ner im Kampf ge­gen die­sen Schur­ken bei­steht“, sag­te Ro­zai­ne zum Ka­pi­tän, „wer­de ich ihm selbst das Hand­werk le­gen.“

Ro­zai­ne ge­gen Ar­sè­ne Lu­pin, oder eher, wie das Gerücht be­sag­te, Ar­sè­ne Lu­pin ge­gen sich selbst – ein span­nen­des Duell ent­fal­te­te sich! Die­se Span­nung zog sich über zwei Tage hin. Ro­zai­ne war über­all zu se­hen, misch­te sich un­ter die Crew, stell­te Fra­gen und spio­nier­te. Nachts konn­te man sei­nen Schat­ten ver­fol­gen.

Der Ka­pi­tän zeig­te ma­xi­ma­len Ein­satz. Die Pro­vence wur­de von oben bis un­ten durch­kämmt. Alle Ka­bi­nen wur­den durch­sucht, mit der plau­si­blen Er­klä­rung, dass die Ge­gen­stän­de ir­gend­wo, nur nicht in der Ka­bi­ne des Tä­ters, ver­steckt sein könn­ten.

„Man wird doch si­cher­lich et­was fin­den?“, frag­te Miss Nel­ly mich. „So ge­ris­sen wie er ist, kann er Dia­man­ten und Per­len doch nicht un­sicht­bar ma­chen.“

„Vi­el­leicht doch“, er­wi­der­te ich, „es sei denn, wir durch­su­chen die In­nen­sei­ten un­se­rer Hüte, Ja­cken und al­les, was wir bei uns tra­gen.“

Da­bei hielt ich ihr mei­ne Ka­me­ra, eine 9 × 12, vor, mit der ich nicht auf­hör­te, sie in den un­ter­schied­lichs­ten Po­sen zu fo­to­gra­fie­ren.

Klingt es nicht plau­si­bel, dass alle Ju­we­len von Lady Jer­land in ei­nem Gerät von die­ser Grö­ße Platz fän­den? Man tut so, als wür­de man Fo­tos ma­chen, und schon ist der Trick voll­bracht.

„A­ber ich habe ge­hört, dass kein Dieb agiert, ohne Spu­ren zu hin­ter­las­sen.“

„Es gibt eine: Ar­sè­ne Lu­pin.“

„Wa­rum?“

„Weil er nicht nur dar­an denkt, et­was zu steh­len, son­dern auch alle Um­stän­de be­denkt, die ihn ver­ra­ten könn­ten.“

„An­fangs schie­nen Sie zu­ver­sicht­li­cher.“

„A­ber seit­dem habe ich ihn bei der Ar­beit be­ob­ach­tet.“

„Und was den­ken Sie jetzt?“

„Mei­ner Mei­nung nach ist sämt­li­che Mühe ver­ge­bens.“

Tat­säch­lich führ­ten die Er­mitt­lun­gen zu kei­nem Er­geb­nis oder zu­min­dest nicht zu ei­nem, das den Auf­wand recht­fer­tig­te: Die Uhr des Kom­man­dan­ten wur­de ge­stoh­len.

Wutent­brannt ver­stärk­te er sei­ne Be­mü­hun­gen und über­wach­te Ro­zai­ne, mit dem er mehr­fach sprach, noch in­ten­si­ver. Am nächs­ten Tag, in ei­ner iro­ni­schen Wen­dung, fand man die Uhr zwi­schen den Hemd­kra­gen des stell­ver­tre­ten­den Kom­man­dan­ten.

All dies hat­te et­was Wun­der­ba­res an sich und of­fen­bar­te den hu­mor­vol­len Stil von Ar­sè­ne Lu­pin, dem Ein­bre­cher, ge­wiss, aber auch dem Ge­nuss­men­schen. Er ar­bei­te­te zwei­fel­los aus Lei­den­schaft und Be­ru­fung, doch eben­so aus Ver­gnü­gen. Er er­weck­te den Ein­druck ei­nes Herrn, der sich an sei­nem ei­ge­nen Stück er­freut, laut über sei­ne geist­rei­chen Kom­men­ta­re und die von ihm ge­schaf­fe­nen Sze­nen in der Ku­lis­se la­chend.

Un­zwei­fel­haft war er ein Künst­ler auf sei­ne Wei­se, und als ich Ro­zai­ne, dun­kel und grüb­le­risch, be­trach­te­te und über sei­ne zwei­fel­los dop­pel­te Rol­le nach­dach­te, konn­te ich eine ge­wis­se Be­wun­de­rung nicht un­ter­drücken.

In der Nacht zu­vor hör­te der Wa­ch­of­fi­zier an der dun­kels­ten Stel­le des Decks ein Wim­mern. Er nä­her­te sich und fand einen Mann, des­sen Kopf in einen di­cken, grau­en Schal ge­wi­ckelt und des­sen Hand­ge­len­ke mit ei­ner dün­nen Schnur zu­sam­men­ge­bun­den wa­ren.

Man be­frei­te ihn, half ihm auf und küm­mer­te sich um ihn.

Die­ser Mann war Ro­zai­ne.

Er war Ro­zai­ne, der auf ei­ner sei­ner Ex­pe­di­tio­nen an­ge­grif­fen, nie­der­ge­schla­gen und aus­ge­raubt wor­den war. Eine an sei­ne Klei­dung ge­hef­te­te Vi­si­ten­kar­te trug die Wor­te: „Ar­sè­ne Lu­pin nimmt dan­kend die zehn­tau­send Fran­cs von Herrn Ro­zai­ne an.“

In Wirk­lich­keit be­fan­den sich zwan­zig Tau­send-Franc-Schei­ne in dem ge­stoh­le­nen Geld­beu­tel.

Na­tür­lich wur­de Ro­zai­ne be­schul­digt, die­sen Über­fall in­sze­niert zu ha­ben. Doch ab­ge­se­hen da­von, dass es ihm un­mög­lich ge­we­sen wäre, sich selbst so zu fes­seln, un­ter­schied sich die Hand­schrift auf der Kar­te deut­lich von Ro­zai­nes Hand­schrift und äh­nel­te statt­des­sen frap­pie­rend der von Ar­sè­ne Lu­pin, wie sie von ei­ner al­ten Zei­tung an Bord nach­ge­bil­det wor­den war.

Folg­lich war Ro­zai­ne nicht Ar­sè­ne Lu­pin. Ro­zai­ne war Ro­zai­ne, der Sohn ei­nes Kauf­manns aus Bor­deaux! Und die An­we­sen­heit von Ar­sè­ne Lu­pin wur­de er­neut be­stä­tigt – und durch eine un­glaub­li­che Tat!

Pa­nik brach aus. Nie­mand wag­te es mehr, al­lein in sei­ner Ka­bi­ne zu blei­ben oder sich an ab­ge­le­ge­ne Orte zu be­ge­ben. Vor­sich­tig blieb man in Grup­pen mit ver­trau­ten Per­so­nen. Und den­noch spal­te­te ein in­stink­ti­ves Miss­trau­en selbst die engs­ten Freund­schaf­ten. Denn die Be­dro­hung ging nicht mehr nur von ei­ner über­wach­ten Per­son aus und war da­durch we­ni­ger fass­bar. Ar­sè­ne Lu­pin war nun­mehr … je­der­mann. Un­se­re über­reiz­te Fan­ta­sie schrieb ihm eine un­er­mess­li­che und um­fas­sen­de Macht zu. Man mut­maß­te, er kön­ne die un­er­war­tets­ten Ver­klei­dun­gen an­neh­men, sei es als der re­spek­ta­ble Ma­jor Raw­son oder der edle Mar­quis de Ra­ver­dan, oder gar – denn auch die an­kla­gen­den Ini­tia­len gal­ten nicht mehr – als je­mand, den wir alle kann­ten, mit Frau, Kin­dern, Be­diens­te­ten.

Die ers­ten ka­bel­lo­sen Nach­rich­ten lie­fer­ten kei­ne neu­en In­for­ma­tio­nen. Der Ka­pi­tän er­wähn­te nichts da­von, und die­ses Schwei­gen war we­nig be­ru­hi­gend.

Der letz­te Tag schi­en end­los. In stän­di­ger Angst vor ei­nem dro­hen­den Un­heil leb­ten wir in Un­ge­wiss­heit. Es war klar, dass es dies­mal nicht nur um einen Dieb­stahl oder einen ein­fa­chen An­griff ge­hen wür­de. Ein Ver­bre­chen, ein Mord, so schi­en es, stand be­vor. Nie­mand glaub­te, Ar­sè­ne Lu­pin wür­de sich mit den bis­he­ri­gen Dieb­stäh­len zu­frie­den­ge­ben. Als un­an­ge­foch­te­ner Herr des Schif­fes, mit den Be­hör­den macht­los, konn­te er tun, was ihm be­lieb­te, und über Le­ben und Ei­gen­tum ver­fü­gen.

Die­se ner­ven­auf­rei­ben­den Stun­den hat­ten für mich je­doch einen ge­wis­sen Reiz, denn sie brach­ten mir das Ver­trau­en von Miss Nel­ly ein. Sie war von den Er­eig­nis­sen über­wäl­tigt und von Na­tur aus be­sorgt, so­dass sie bei mir Schutz und Si­cher­heit such­te, die ich ihr gern bot.

Im Stil­len war ich Ar­sè­ne Lu­pin dank­bar. War er nicht der Grund, warum wir uns nä­her­ka­men? Dank ihm durf­te ich von Lie­be träu­men, von Fan­tasi­en we­ni­ger schil­lern­der Na­tur. Wa­rum nicht zu­ge­ben, dass ich, als Spross ei­ner alt­ein­ge­ses­se­nen aber et­was ver­blass­ten poi­te­vi­ni­schen Adels­fa­mi­lie, dar­an dach­te, den Ruhm mei­nes Na­mens wie­der­her­zu­stel­len?

Ich spür­te, dass Nel­ly die­se Träu­me nicht ab­sto­ßend fand. Ihr er­mu­ti­gen­des Lä­cheln und die Sanft­heit ih­rer Stim­me lie­ßen mich hof­fen.

Wir blie­ben bis zum letz­ten Mo­ment ge­mein­sam am Ge­län­der, wäh­rend die Sil­hou­et­te der ame­ri­ka­ni­schen Küs­te all­mäh­lich nä­her­kam.

Die Durch­su­chun­gen wa­ren un­ter­bro­chen. Alle war­te­ten ge­spannt – von der ers­ten Klas­se bis zu den Aus­wan­de­rern im Zwi­schen­deck – auf den Mo­ment, der das Rät­sel lö­sen soll­te. Wer war Ar­sè­ne Lu­pin wirk­lich? Un­ter wel­chem Na­men, un­ter wel­cher Mas­ke ver­barg sich der be­rüch­tig­te Ar­sè­ne Lu­pin?

Die­ser ent­schei­den­de Au­gen­blick brach schließ­lich an. Selbst nach hun­dert Jah­ren wür­de ich je­des De­tail da­von in Erin­ne­rung be­hal­ten.

„Sie sind ganz blass, Miss Nel­ly“, be­merk­te ich, als sie schwach an mei­nem Arm hing.

„Und Sie!“, ant­wor­te­te sie, „ah, Sie ha­ben sich ver­än­dert!“

„Se­hen Sie, die­ser Mo­ment ist auf­re­gend, und ich freue mich, ihn mit Ih­nen zu er­le­ben, Miss Nel­ly. Manch­mal scheint Ihre Erin­ne­rung…“

Sie hör­te nicht mehr zu, vor Auf­re­gung au­ßer Atem. Die Gang­way wur­de her­ab­ge­las­sen, doch be­vor wir sie über­que­ren konn­ten, be­tra­ten Zoll­be­am­te, Uni­for­mier­te und Bo­ten das Schiff.

Miss Nel­ly mur­mel­te:

„Es wür­de mich nicht wun­dern, wenn Ar­sè­ne Lu­pin wäh­rend der Über­fahrt ent­kom­men wäre.“

„Vi­el­leicht hat er dem Tod die Ehre vor­ge­zo­gen und sich lie­ber in den At­lan­tik ge­stürzt, um der Ver­haf­tung zu ent­ge­hen.“

„Ma­chen Sie kei­ne Wit­ze“, sag­te sie leicht ge­reizt.

Plötz­lich zuck­te ich zu­sam­men, und auf ihre Fra­ge hin er­klär­te ich:

„Se­hen Sie den al­ten Mann am Ende der Gang­way?“

„Mit dem Re­gen­schirm und dem oliv­grü­nen Geh­rock?“

„Das ist Ga­ni­mard.“

„Ga­ni­mard?“

„Ja, der be­rühm­te Po­li­zist, der ge­schwo­ren hat, Ar­sè­ne Lu­pin ei­gen­hän­dig zu ver­haf­ten. Kein Wun­der, dass wir kei­ne In­for­ma­tio­nen von der an­de­ren Sei­te des Ozeans er­hal­ten ha­ben. Ga­ni­mard selbst war an Bord! Und er dul­det kei­ne Ein­mi­schung.“

„Dann wird Ar­sè­ne Lu­pin si­cher ver­haf­tet?“

„Wer weiß? An­geb­lich hat Ga­ni­mard Lu­pin nie an­ders als ver­klei­det ge­se­hen. Es sei denn, er kennt sei­nen Deck­na­men…“

„Oh!“, sag­te sie mit der ty­pi­schen Neu­gier ei­ner Frau, „wenn ich doch nur bei der Ver­haf­tung da­bei sein könn­te!“

„Las­sen Sie uns ge­dul­dig sein. Si­cher hat Ar­sè­ne Lu­pin die Prä­senz sei­nes Wi­der­sa­chers be­merkt. Er wird viel­leicht erst dann ge­hen, wenn das Auge des Al­ten müde ge­wor­den ist.“

Der Aus­schif­fungs­vor­gang be­gann. Ge­las­sen und auf sei­nen Re­gen­schirm ge­stützt, schenk­te Ga­ni­mard der sich zwi­schen den Ge­län­dern drän­gen­den Men­ge kaum Be­ach­tung. Ein Schiffs­be­am­ter, der hin­ter ihm stand, flüs­ter­te ihm ge­le­gent­lich et­was zu.

Der Mar­quis de Ra­ver­dan, Ma­jor Raw­son, der Ita­lie­ner Ri­vol­ta und vie­le an­de­re pas­sier­ten. Dann sah ich Ro­zai­ne auf uns zu­kom­men.

Ar­mer Ro­zai­ne! Er schi­en im­mer noch mit sei­nem miss­li­chen Schick­sal zu rin­gen.

„Vi­el­leicht ist er der Tä­ter“, be­merk­te Miss Nel­ly. „Was den­ken Sie?“

„Es wäre span­nend, Ga­ni­mard und Ro­zai­ne zu­sam­men auf ei­nem Foto zu ha­ben. Wür­den Sie mei­ne Ka­me­ra neh­men? Ich habe so viel zu tra­gen.“

Ich hän­dig­te ihr die Ka­me­ra aus, aber es war zu spät. Ro­zai­ne war schon vor­bei. Der Be­am­te flüs­ter­te Ga­ni­mard et­was ins Ohr. Ga­ni­mard zuck­te mit den Schul­tern, und Ro­zai­ne ging wei­ter.

Doch wer war dann Ar­sè­ne Lu­pin?

„Ja“, frag­te sie laut, „wer ist er?“

Es blie­ben nur noch rund zwan­zig Per­so­nen. Sie be­ob­ach­te­te jede ein­zel­ne mit der ban­gen Er­war­tung, dass er sich nicht un­ter ih­nen be­fin­den könn­te.

„Wir kön­nen nicht län­ger war­ten“, sag­te ich schließ­lich.

Sie trat vor, ich folg­te ihr. Wir hat­ten kaum zehn Schrit­te ge­tan, als Ga­ni­mard uns den Weg ver­sperr­te.

„Was ist los?“, rief ich aus.

„Ei­nen Mo­ment, mein Herr, wo­hin so ei­lig?“

„Ich be­glei­te die Dame.“

„Ei­nen Mo­ment“, wie­der­hol­te er ein­dring­lich.

Er mus­ter­te mich ge­nau und sag­te dann, wäh­rend er mir in die Au­gen sah:

„Sind Sie Ar­sè­ne Lu­pin, nicht wahr?“

Ich lach­te.

„Nein, Ber­nard d’An­dré­zy, der ganz ge­wöhn­li­che.“

„Ber­nard d’An­dré­zy starb vor drei Jah­ren in Ma­ze­do­ni­en.“

„Wenn Ber­nard d’An­dré­zy tot wäre, wür­de ich nicht hier ste­hen. Hier sind mei­ne Pa­pie­re.“

„Sie sind sei­ne Pa­pie­re. Wie Sie in ih­ren Be­sitz ka­men, klä­ren wir spä­ter.“

„A­ber das ist ab­we­gig! Ar­sè­ne Lu­pin ist un­ter dem Na­men R ge­reist.“

„Ja, eine wei­te­re List von Ih­nen, um eine falsche Fähr­te zu le­gen. Sie sind sehr ge­wieft, mein Freund. Aber die­ses Mal hat sich das Blatt ge­wen­det. Nun, Lu­pin, zei­gen Sie Grö­ße im Ver­lie­ren.“

Ich zö­ger­te kurz. Mit ei­nem ge­ziel­ten Schlag traf er mei­nen rech­ten Un­ter­arm, wor­auf­hin ich auf­schrie. Er hat­te die Wun­de ge­trof­fen, von der im Te­le­gramm die Rede war.

Ich muss­te mich fü­gen. Ich wand­te mich Miss Nel­ly zu. Sie stand da, bleich und zit­ternd.

Ihr Blick traf mei­nen und wan­der­te dann zu dem Ko­dak, den ich ihr ge­ge­ben hat­te. Sie mach­te eine ab­rup­te Be­we­gung, und ich war mir si­cher, dass ihr al­les klar wur­de. Ja, ge­nau dort, im klei­nen Gerät, das ich ihr an­ver­traut hat­te, be­vor Ga­ni­mard mich auf­hielt, wa­ren die zwan­zig­tau­send Franc von Ro­zai­ne so­wie die Per­len und Dia­man­ten von Lady Jer­land ver­steckt.

In die­sem fei­er­li­chen Mo­ment, als Ga­ni­mard und zwei sei­ner Ge­hil­fen um mich tra­ten, war mir al­les gleich­gül­tig, mei­ne Fest­nah­me, die Feind­se­lig­keit der Men­ge, al­les – au­ßer der Ent­schei­dung, die Miss Nel­ly in Be­zug auf das von mir An­ver­trau­te tref­fen wür­de.

Ob man die­sen ma­te­ri­el­len und ent­schei­den­den Be­weis ge­gen mich fand, dar­an dach­te ich nicht ein­mal. Die Fra­ge war, ob Miss Nel­ly sich ent­schlie­ßen wür­de, die­sen Be­weis of­fen­zu­le­gen.

Wür­de ich von ihr ver­ra­ten wer­den? Durch sie zu­grun­de ge­hen? Wür­de sie sich als un­ver­söhn­li­che Fein­din er­wei­sen oder als Frau, die die Ver­ach­tung mit ei­nem Hauch von Mil­de und un­frei­wil­li­ger Sym­pa­thie mil­dert?

Sie ging an mir vor­bei, und ich ver­beug­te mich tief vor ihr, ohne ein Wort zu sa­gen. Un­ter den an­de­ren Pas­sa­gie­ren misch­te sie sich in die Men­ge und be­gab sich zur Gang­way, den Ko­dak in der Hand.

Zwei­fel­los, dach­te ich, scheut sie sich da­vor, in der Öf­fent­lich­keit zu han­deln. In ei­ner Stun­de, in ei­nem Mo­ment, wird sie es tun.

Doch mit­ten auf der Fuß­gän­ger­brücke ließ sie ab­sicht­lich et­was ins Was­ser fal­len, zwi­schen die Kai­mau­er und das Schiff.

Dann sah ich, wie sie weg­ging.

Ihre ele­gan­te Sil­hou­et­te ver­schwand in der Men­ge, tauch­te kurz auf und ver­schwand er­neut. Es war end­gül­tig vor­bei.