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Glaubst du an Liebe auf den ersten Blick? Oder an Wunschfeen, die Herzenswünsche erfüllen? Prinzessin Alessandra glaubt in erster Linie daran, dass sie ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen sollte. Sie möchte nicht von einer Fee abhängig sein oder auf den edlen Prinzen in glänzender Rüstung warten, der sie und ihren Vater rettet. Stattdessen ist sie bereit, jedes Risiko einzugehen, um den König vor dem Tod zu bewahren. Dass sie dabei nicht nur einen Drachen, sondern auch noch den Stallburschen Nathaniel und dessen Wunschfeerich an ihrer Seite hat, könnte ihre Aufgabe leichter gestalten. Könnte … denn Nathaniel und sie verbindet eine ganz besondere Magie, die sie erst noch akzeptieren müssen. Und selbst dann ist es nicht sicher, ob sich ihre Geschichte wirklich zum Guten wenden kann.
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Seitenzahl: 347
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Inhaltsverzeichnis
Titel
Informationen zum Buch
Impressum
Widmung
Prolog
Kapitel 1 - Alessandra
Kapitel 2 - Nathaniel
Kapitel 3 - Alessandra
Kapitel 4 - Nathaniel
Kapitel 5 - Alessandra
Kapitel 6 - Nathaniel
Kapitel 7 - Alessandra
Kapitel 8 - Nathaniel
Kapitel 9 - Alessandra
Kapitel 10 - Nathaniel
Kapitel 11 - Alessandra
Kapitel 12 - Nathaniel
Kapitel 13 - Alessandra
Kapitel 14 - Nathaniel
Kapitel 15 - Alessandra
Kapitel 16 - Nathaniel
Kapitel 17 - Alessandra
Kapitel 18 - Nathaniel
Kapitel 19 - Alessandra
Kapitel 20 - Nathaniel
Kapitel 21 - Alessandra
Kapitel 22 - Nathaniel
Kapitel 23 - Alessandra
Kapitel 24 - Nathaniel
Kapitel 25 - Alessandra
Kapitel 26 - Alessandra
Kapitel 27 - Alessandra
Kapitel 28 - Alessandra
Kapitel 29 - Alessandra
Kapitel 30 - Nathaniel
Kapitel 31 - Alessandra
Kapitel 32 - Nathaniel
Kapitel 33 - Tharibor
Dank
B. E. Pfeiffer
Aschenglitzer
Kein Herzenswunsch ohne Feerich
Märchen
Aschenglitzer – Kein Herzenswunsch ohne Feerich
Glaubst du an Liebe auf den ersten Blick? Oder an Wunschfeen, die Herzenswünsche erfüllen?
Prinzessin Alessandra glaubt in erster Linie daran, dass sie ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen sollte. Sie möchte nicht von einer Fee abhängig sein oder auf den edlen Prinzen in glänzender Rüstung warten, der sie und ihren Vater rettet. Stattdessen ist sie bereit, jedes Risiko einzugehen, um den König vor dem Tod zu bewahren. Dass sie dabei nicht nur einen Drachen, sondern auch noch den Stallburschen Nathaniel und dessen Wunschfeerich an ihrer Seite hat, könnte ihre Aufgabe leichter gestalten. Könnte … denn Nathaniel und sie verbindet eine ganz besondere Magie, die sie erst noch akzeptieren müssen. Und selbst dann ist es nicht sicher, ob sich ihre Geschichte wirklich zum Guten wenden kann.
Die Autorin
Bettina Pfeiffer wurde 1984 in Graz geboren und lebt heute mit ihrem Mann und ihren beiden Kindern in Baden bei Wien.
Seit ihrer Kindheit liebt sie es, sich Geschichten auszudenken. Besonders als Ausgleich zu ihrem zahlenorientierten Hauptjob taucht sie gern in magische Welten ab und begann schließlich, diese aufzuschreiben. So entstand recht schnell die Idee für die ›Weltportale‹ und andere magische Geschichten im Genre Fan-tasy/Romantasy.
Inspiration dafür findet sie immer wieder durch ihre Kinder, mit denen sie gern auf abenteuerliche Entdeckungsreisen geht.
www.sternensand-verlag.ch
1. Auflage, Juni 2019
© Sternensand Verlag GmbH, Zürich 2019
Umschlaggestaltung: Juliane Schneeweiss
Lektorat/Korrektorat: Sternensand Verlag GmbH | Martina König
Korrektorat: Sternensand Verlag GmbH | Jennifer Papendick
Satz: Sternensand Verlag GmbH
ISBN (Taschenbuch): 978-3-03896-047-8
ISBN (epub): 978-3-03896-048-5
Alle Rechte, einschließlich dem des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
Dies ist eine fiktive Geschichte. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.
Für meine Tochter.
Weil du meine wilde Prinzessin bist.
Und für meinen Sohn.
Weil du meinen Tag erhellst.
Das kleine Mädchen versuchte, es sich auf dem Boden vor seiner Mutter bequem zu machen. Ihre bauschigen Röcke störten sie und sie hätte sie am liebsten zerrissen. Aber das durfte sie nicht. Sie war eine Prinzessin und man erwartete von ihr, sich so zu kleiden. Zumindest der Kronrat, soweit die Prinzessin es verstand. Ihre Eltern hätten es nicht so streng genommen, aber andere verlangten das. Warum sie allerdings nicht einmal bei ihrer kurzen Vorlesezeit mit ihrer Mutter, der Königin, etwas Bequemes tragen durfte, verstand sie immer noch nicht. Ebenso wenig, wieso das Königspaar sich nicht über den Kronrat hinwegsetzte. Aber es gab nun einmal Dinge, die sie noch nicht begriff, und so fügte sie sich widerwillig.
»… Und so erschlug der Prinz den Drachen und rettete die Prinzessin aus höchster Not …«
So endete fast jede Geschichte in dem Märchenbuch, das ihre Mutter ihr vorlas.
»Warum kann nicht einmal die Prinzessin den Prinzen retten?«, schmollte sie und verschränkte die Arme. »Oder der Drache der Gute sein? Das ist doch doof.«
Die Königin lächelte. »Weil wir in einer Welt leben, in der die Männer denken, sie wären klüger und mutiger als Frauen, mein Kind«, antwortete sie, schlug das Buch zu und legte es weg. »Aber manchmal ist es auch schön, von einem Prinzen gerettet zu werden.«
»Ich will ganz sicher nicht von einem Prinzen gerettet werden«, verkündete das Mädchen.
»Oh Alessandra«, schmunzelte die Königin. »Eines Tages wirst du einen Prinzen treffen, dem du dein Herz schenkst. Und auch wenn der Rest der Welt denkt, er würde dich retten … wenn er der Richtige ist, werdet ihr euch gegenseitig beschützen.«
»Macht Papa das?«
Die Königin nickte. »Dein Papa ist ein guter Mann, Alessandra. Er hat mich zwar vor keinem Drachen gerettet, aber er hilft mir und gesteht mir mehr Freiheiten zu, als ich mir wünschen könnte. Genau wie dir.«
Die Prinzessin krabbelte auf den Schoß ihrer Mutter und schmiegte sich an sie. »Ist Papa traurig, dass ich ein Mädchen bin?«
»Wie kommst du denn darauf?«, fragte die Königin entsetzt.
»Die Diener reden darüber. Sie sagen, ihr könnt keine Kinder mehr bekommen und es wäre für den König so schrecklich, nur eine Tochter zu haben.«
Die Königin atmete tief durch, dann lächelte sie und strich ihrer Tochter über die hellbraunen Locken, die sich langsam dunkel färbten. »Mein Schatz, das ist Unsinn. Dein Papa könnte dich nicht noch mehr lieben, wenn du ein Junge wärst. Es ist nur schwierig, den Kronrat zu überzeugen, dass du nach ihm Königin wirst oder mehr lernen solltest, als zu tanzen und wie man mit dem Fächer umgeht.« Sie lächelte noch wärmer. »Aber das muss nicht deine Sorge sein. Du hast noch viele Jahre Zeit, bis du Königin wirst. Bis dahin können wir uns doch ein paar Geschichten ausdenken, in denen die Prinzessin den Prinzen rettet. Was meinst du?«
»Ja, aber nicht vor Drachen.« Alessandra grinste breit. »Ich mag Drachen nämlich.«
Drei Schritte fehlten ihr noch. Nur drei kleine Schritte, dann wäre sie frei. Dann müsste sie keine Benimmregeln lernen, kein Buch auf ihrem Kopf balancieren und nicht zum gefühlt tausendsten Mal beim Tanzen versagen.
Drei Schritte.
»Euer Hoheit!«, hallte die Stimme ihrer Gouvernante durch den Korridor.
Alessandra blieb stehen. Vielleicht hatte die alte Dame sie nicht gesehen. Wenn sie es sich nur fest genug wünschte …
»Bei allen Wunschfeen, was habt Ihr da an?«
Sie hatte sie gesehen. Drei Schritte hatten ihr gefehlt und der Tag wäre gerettet gewesen.
Langsam drehte sie sich um. »Ich dachte, heute wäre meine Reitstunde«, log sie schnell und wippte auf ihren Füßen vor und zurück. »Es ist so ein herrlicher Tag, findet Ihr nicht, Lady Margret?«
Doch die Gouvernante, eine stämmige Frau Ende fünfzig, mit grauen Haaren und tief ausgeschnittenem Dekolleté, das so gar nicht zu ihrer sonst eher zurückhaltenden Art passen wollte, verschränkte die Arme und verzog ihr Gesicht. »Ihr wisst sehr gut, dass heute keine Reitstunde ansteht«, schnaubte sie. »Und selbst für diesen Unterricht wäret Ihr unpassend angezogen.«
Alessandra blickte an sich hinab. Sie trug braune Wildlederhosen, eine beige Tunika und eine Weste in der Farbe der Hose. Ihre Stiefel waren abgetragen und ihre Haare zu einem lockeren Zopf zusammengebunden.
Drei Schritte, dachte sie und seufzte.
»Was würde Euer Vater dazu sagen? Ihr wisst doch, wie schlecht es ihm geht. Wollt Ihr ihn auch noch mit solch ungebührlichem Verhalten belasten?«
Die Prinzessin senkte schuldbewusst den Kopf. Ihr Vater lag schon seit Wochen krank darnieder und kein Arzt wusste einen Rat. Auch nicht die Feen und Zauberer, die man zu Hilfe gerufen hatte. König Stephan war beim Volk beliebt und jeder fürchtete sich vor dem Tag, an dem er vielleicht …
Alessandra wollte nicht weiterdenken. Ihre Mutter, Königin Vanya, wich nicht von der Seite ihres Gemahls. Auch sie litt und Alessandra wollte ihnen nicht noch mehr Kummer bereiten, indem sie eine weitere Tanzstunde schwänzte und der Kronrat ihrer Mutter Vorhaltungen machte.
»Schön, ich gehe mich umziehen«, flüsterte sie mit hängenden Schultern.
»Beeilt Euch bitte, Euer Tanzpartner wartet bereits.«
»Der sollte sich freuen, wenn ich kein aufgeblasenes Kleid trage und ihm auf die Zehen trample.«
»Aber Prinzessin … Daran trägt das Kleid keine Schuld.« Die Gouvernante schmunzelte und scheuchte sie zu ihrem Zimmer.
Das wusste Alessandra. Sehr gut sogar. Aber es wäre einfacher gewesen, eine Drehbewegung zu vollführen, ohne den gewaltigen Reifrock und die zehn Lagen Stoff, die schwer auf ihren Schultern lasteten.
Fast so schwer wie die Aussicht, vielleicht bald Königin zu sein. Sie war erst siebzehn, sie wollte weder Königin sein noch irgendeinen Prinzen heiraten. So sehr ihr Vater auch gekämpft hatte, den Thron konnte sie nur besteigen, wenn sie heiratete und ihr Mann zum König wurde. Aus diesem Grund hatte man trotz der Krankheit des Königs verkündet, dass demnächst drei Bälle stattfinden sollten, damit die Prinzessin einen geeigneten Ehemann erwählen konnte.
Während Alessandra auf ihr Zimmer ging und sich auszog, knurrte sie. Allein die Vorstellung! In welcher Zeit lebten sie? Sie hatte gedacht, all die Geschichten und Sagen, die ihre Mutter ihr als Kind vorgelesen hatte, waren aus längst vergangener Zeit. Märchen eben, in denen ein schneidiger und ebenso aufgeblasener Prinz einen Drachen erlegte, um die holde Prinzessin aus höchster Not zu retten. Wie lächerlich sie das immer gefunden hatte! Aber nichts hatte sich an dem Weltbild von vor fünfhundert Jahren geändert. Drachen galten immer noch als böse, Frauen mussten von Männern gerettet werden und natürlich waren Feen immer gut und erfüllten Wünsche.
Aber zumindest in Soleil, dem Königreich ihres Vaters, stimmte das nicht immer. Alessandra hatte sich mit einem recht jungen Drachen angefreundet. Er hieß Darbur, war vermutlich erst vierhundert Jahre alt und lebte in einer Höhle im Wald. Sie hatte ihn zufällig kennengelernt, als es ihr vor rund einem Jahr gelungen war, ihrer Tanzstunde zu entfliehen. Bei einem Ritt durch den Wald war sie auf den Drachen gestoßen, der in einer Falle für Wild feststeckte. Sie hatte ihn befreit, obwohl er sie zornig angeknurrt hatte. Es hatte mehrere Besuche im Wald bedurft, sein Vertrauen zu gewinnen. Aber nun fühlte sie sich glücklich darüber, ihn ihren Freund nennen zu dürfen.
Er war nicht böse, sondern sang für sein Leben gern, wenn er badete, und wusste viel über die Welt. Vermutlich war er dennoch ein Kleinkind für einen Drachen, denn er reichte Alessandra – wenn er auf allen vieren stand, was so gut wie nie vorkam, da Darbur eitel war und es hasste, auf den Händen zu gehen, mit denen er auch aß – gerade einmal bis zur Schulter.
Eigentlich hatte die Prinzessin ihn besuchen wollen, um ihm wieder seine geliebten Äpfel und Pfirsiche zu bringen und mit ihm über ihren Vater zu sprechen. Der Drache hatte versprochen, sich zu erkundigen, was dem König fehlen könnte. Sie hoffte, er würde sich nicht um sie sorgen, wenn sie jetzt nicht erschien.
Was die Feen betraf, konnte sie sich keine Meinung bilden. Es gab durchaus gute Feen, die Wünsche erfüllten, aber genauso gab es weniger gute unter ihnen. Manche waren sogar richtig boshaft und ließen Wünsche absichtlich schiefgehen. Wieder andere nutzten ihre Kräfte, um anderen Lebewesen zu schaden. Man nannte sie dunkle Feen und die Grenze zwischen einer Wunschfee und einer dunklen war nicht immer eindeutig zu ziehen.
Alessandra hatte einmal von einem Mädchen gehört, das sich gewünscht hatte, auf einen der königlichen Bälle gehen zu können. Ihre Familie war arm gewesen und sie konnte sich kein Kleid leisten. Die Fee, die ihren Wunsch erfüllen sollte, hatte sie als Putzhilfe zum Ball geschickt. Nicht ganz das, was Alessandra sich vorgestellt hätte, und doch galt dieses Wesen als ungefährlich.
Und das Bild der Frauen und Männer … Sie stand den meisten Männern weder in Intelligenz noch Können nach. Trotzdem wurde sie belächelt und nicht ernst genommen. Weil sie eine Frau war. Prinzessin hin oder her.
Es war einfach ungerecht. Dumme Regeln von dummen alten Männern.
Als ihre Kammerzofe erschien, um ihr in das viel zu enge Korsett zu helfen und sie mit gefühlten fünf Tonnen Stoff einzuhüllen, schnaubte sie. Sie hasste es, sich so aufzuputzen, nur weil es erwartet wurde.
Mit Wut im Bauch stapfte sie bewusst unelegant zu dem Salon, in dem der Sohn eines Herzogs bereits wartete. Er war ein wenig älter als sie und so eingebildet, dass er seine Nase wahrscheinlich nicht mehr normal halten konnte, sondern immer in den Himmel heben musste. Obwohl er kaum größer als Alessandra war, versuchte er immer, von oben auf sie herabzublicken.
Ob er ihr damit zeigen wollte, dass er mindestens genauso wertvoll war wie sie oder sogar besser, wusste sie nicht. Dass er sehr von sich eingenommen war, wusste sie hingegen sehr genau. Er war zwar nur etwa ein Jahr älter als sie, aber er benahm sich, als wäre er weltgewandt. Dabei zeigte seine blasse Haut, dass er das Haus kaum verlassen konnte. Sie mochte es nicht, ihn anzusehen. Seine wässrig blauen Augen und diese scheußliche weiße Perücke, die bei manchen Adeligen gerade modisch war, erinnerten sie an einen alten Mann.
»Da seid Ihr ja endlich«, näselte er.
Noch etwas, das sie hasste. Dieses nasale Sprechen der Aristokraten.
»Rupert, verzeiht, dass ich Euch warten ließ«, lächelte sie falsch. Sie hatte längst gelernt, dass man seine wahren Gefühle am besten hinter einem gut gehaltenen Fächer verbarg. »Ich hoffe, Euch war nicht langweilig.«
Er grunzte, obwohl es eher wie ein Schnarchen klang. »Natürlich nicht. Ich habe die Teppiche bewundert.«
Diesmal grunzte Alessandra. Dieser Herzogsspross war noch langweiliger, als sie bisher gedacht hatte. »Wie schön. Haben sie sich seit dem letzten Mal verändert?«
Er hob eine Augenbraue und schnarchte erneut. »Sie sind wunderschön, ganz gleich, wie oft man sie betrachtet.« Er hüstelte. »Wollen wir?«
Rupert hielt ihr den Arm hin und wartete. Wie immer hatte Lady Margret ein Streichquartett im Raum platziert und stand persönlich neben ihnen, um den Takt mitzuklatschen. Alessandra war froh darüber. Sie verstand noch immer nicht, wozu man einen Dreivierteltakt und einen Viervierteltakt unterscheiden können musste.
Rupert wusste es natürlich. Er konnte tanzen, als hätte er nie etwas anderes gemacht. Was vielleicht sogar der Wahrheit entsprach. Schließlich wusste sie nicht, worin Herzogssöhne ausgebildet wurden, außer sich hochnäsig zu benehmen.
Sie nahmen Aufstellung, Rupert ergriff galant ihre Hand, legte seine unter ihr Schulterblatt und sie tanzten zur Musik und dem Klatschen der Gouvernante. Die Röcke hinderten Alessandra daran, sich richtig zu drehen, und sie musste sich ein Fluchen verkneifen, als sie fast wieder vom Gewicht des Kleides mitgerissen wurde. Immer wieder stolperte sie oder stieg ihrem Tanzpartner auf die Füße, was er mit einem Zischen quittierte, aber ansonsten weitermachte, als wäre nichts geschehen.
Die Musik endete und Alessandra atmete erleichtert auf. Bis ihre Gouvernante neben ihr stand.
»Ihr macht überhaupt keine Fortschritte«, meinte sie tadelnd und hob den Zeigefinger. »Dabei geben wir uns solche Mühe. Der Ball ist in wenigen Tagen und Ihr beherrscht den Eröffnungstanz noch immer nicht.«
»Ich bemühe mich wirklich, Lady Margret«, seufzte Alessandra. »Aber dieses Kleid! Diese Röcke! Muss das sein?«
»Prinzessin«, stöhnte die Gouvernante und rieb sich die Schläfen. »Ihr habt Eure Ballkleider gesehen. Sie sind noch ausladender als dieses und Herzog Rupert ist ein ausgezeichneter Tänzer. Auf dem Ball werdet Ihr auf Prinzen treffen, die vermutlich nicht so gut tanzen können.«
Alessandra verschränkte die Arme. »Und Ihr denkt, es ist wirklich notwendig, dass ich tanze? Dass ein Mann um meine Hand anhalten würde, nur weil ich mich anmutig durch den Ballsaal drehe?«
Sie hatte es als Scherz gemeint. Als ob sie irgendeinen aufgeblasenen Prinzen, der sie genauso hochnäsig anstarrte wie Rupert, beeindrucken oder gar heiraten wollte.
Aber Lady Margret seufzte tief. »Ja, das denke ich. Wie eine Frau tanzt, erzählt den Männern viel über ihre Persönlichkeit.«
Alessandra zog die Augenbraue hoch. Deswegen also mochte Rupert sie nicht. Sie bewegte sich nicht anmutig genug und ließ sich nicht richtig von ihm führen. Was wohl daran lag, dass sie ihn nicht ernst nehmen konnte. Am liebsten hätte sie mit den Schultern gezuckt und wäre gegangen. Aber dann dachte sie an ihren Vater und ließ den Kopf hängen. Er sorgte sich um sie, wollte, dass sie sicher war, wenn es mit ihm zu Ende ging. Das hatte er immer wieder betont, solange er noch bei Bewusstsein gewesen war …
Tränen traten in ihre Augen, aber sie fächelte sie mit ihrer Hand weg, hustete und verlangte nach einem Glas Wasser, hielt sich daran fest. Rupert sollte nicht merken, wie es in ihr aussah. Er tratschte gern und die Aristokraten hatten sowieso schon genug an ihr auszusetzen.
Sie war nicht damenhaft genug. Nicht dünn genug. Nicht leise genug. Sprach zu oft aus, was sie dachte. Aber dazu hatten ihre Eltern sie ermutigt. Und genau so wollte sie auch sein. Sie wollte sich nicht verstellen, nicht so tun, als wäre sie eines von diesen Mädchen, die für aufwendige Frisuren und schöne Kleider lebten. Sie wollte lesen und reiten und nicht über Kreuzstichmuster und die Farbe der Vorhänge sprechen.
»Euer Hoheit!«, ertönte die Stimme von Lady Margret.
Alessandra schreckte hoch und ließ beinahe das Wasserglas fallen.
»Ihr habt mir nicht zugehört, nicht wahr?« Die Gouvernante stemmte ihre Hände in die Hüften. Trotzdem wirkte ihr Blick fast … mitfühlend. So, wie sie sonst immer gewesen war. Aber in letzter Zeit verhielt sich Lady Margret deutlich strenger und Alessandra fragte sich, warum.
»Verzeiht, ich war in Gedanken bei meinem Vater«, flüsterte Alessandra.
Lady Margret nickte. »Wir alle wünschen ihm, dass er bald gesund wird.« Dann wurde sie wieder ernst. »Also, auf ein Neues, Prinzessin.«
Sie klatschte in die Hände und die Musiker machten sich für ihren Einsatz bereit. Auch Rupert wartete bereits in der Ausgangsposition auf sie. Seufzend ging Alessandra zu ihm, ergriff seine Hand und bemühte sich, die Schrittfolge nicht durcheinanderzubringen oder auf ihren Saum zu treten.
Doch so sehr sie es wollte und so oft sie es auch versuchten, sie konnte einfach keine Besserung feststellen. Vielleicht war sie nicht für dieses Leben geschaffen. Aber … was konnte sie schon dagegen machen?
Staub wirbelte durch die Luft und glitzerte in den Sonnenstrahlen wie winzige Goldstückchen. Leider war es kein Gold, das auf ihn herabrieselte, sondern eben Staub. Gewöhnlicher, widerlicher Staub. Gemischt mit dem Geruch von Pferdeäpfeln. Und Urin.
Wenn es nur nicht so heiß gewesen wäre! Dann wäre der Staub nicht auf seiner Haut kleben geblieben und er hätte sich nicht noch schlechter gefühlt. Nathaniel, oder Nate, wie er lieber genannt wurde, hatte seit Tagen kaum gegessen und sein Magen rebellierte bei dem Geruch noch mehr gegen die Leere. Die Arbeit in diesem Stall war seine erste seit Wochen und er hatte noch keinen Lohn bekommen. Aber selbst wenn, er hätte alles seiner Stiefmutter übergeben müssen, die noch sein Vormund war. Obwohl er bereits zwanzig Jahre zählte und der Einzige in der Familie war, der arbeitete. Zumindest seitdem sein Vater nicht mehr lebte.
Doch anstatt sich allein durchzuschlagen, musste er die zweite Frau seines Vaters und die beiden Töchter durchfüttern. Sie brachten das kleine Erbe seines Vaters durch, der einst ein erfolgreicher Kaufmann gewesen war, und beschlagnahmten jeden Lohn, den Nathaniel nach Hause brachte. Dafür bekam er noch nicht einmal anständige Kleidung oder gar ein richtiges Mahl.
Wenn er nichts verdiente, strichen sie ihm das Essen. Er bekam nur die Reste dessen, was sie verspeisten. Und sie ließen nicht viel übrig. Aber selbst wenn er eine Arbeit fand und seinen Lohn ablieferte, bekam er kaum etwas Anständiges in den Magen.
Er hasste die Situation, aber das Gesetz band ihn an seine Stiefmutter, zumindest bis er einundzwanzig wurde. Leider war er auch danach dafür verantwortlich, dass sie versorgt war. Er bezweifelte, dass er den Spieß umdrehen und sie dann wie eine Sklavin würde behandeln können. Sie hatte es immerhin auch geschafft, dass sein letzter Arbeitgeber ihn für geistig zurückgeblieben hielt und ihr den Lohn auszahlte anstatt ihm.
Nathaniel hasste sie dafür. Er hatte gesehen, wie sie seinen Vater um den Finger gewickelt hatte. Er hatte sich zu Tode geschuftet, hatte weite Reisen gewagt und kaum noch geschlafen, damit seine neue Frau schöne Kleider tragen konnte, die weit über seinen finanziellen Möglichkeiten gelegen hatten. Und genau das musste Nathaniel jetzt auch machen. Nur dass er zusätzlich seine Stiefschwestern auszustatten hatte. Schließlich sollten sie einen guten Ehemann finden. Was schwierig werden würde, denn Nathaniel fand, dass sie genauso unansehnlich waren wie ihr Charakter. Da half auch das teuerste Kleid nichts. Er würde sie nie loswerden. Bis ans Ende seiner Tage würde er Gelegenheitsarbeiten annehmen müssen und doch nie etwas erreichen.
Dabei war er früher zur Schule gegangen. Er wollte Kaufmann werden, genau wie sein Vater. Mit exquisiten Dingen handeln, exotische Länder bereisen und Abenteuer erleben. Diesen Traum hatte er gemeinsam mit seinem Vater begraben.
Die Glocke zur Mittagspause klingelte. Nathaniel stellte die Mistgabel an ihren Platz zurück und schlurfte in den großen Hof vor dem Schloss. Die Königsfamilie besaß zu viele Pferde, fand er. Niemand brauchte einen so großen Stall und so viele Arbeiter. Aber sie bezahlte gut und verpflegte die Leute, die sie beschäftigte, mittags mit einem warmen Essen. Es war einfach und doch köstlicher als das meiste, das er in den letzten Tagen zu sich genommen hatte.
Er holte sich einen Teller und hielt Ausschau nach Drake, den er von einer früheren Arbeitsstelle gut kannte. Er stammte aus einer armen Familie, aber im Gegensatz zu Nathaniel freute er sich darauf, nach Hause zu gehen. Sie hatten sich zusammen hier beworben und waren beide genommen worden.
Drake war redselig, aber Nathaniel mochte ihn. Allerdings hatte sein Freund eine Schwester, die er ihm schon lange unbedingt vorstellen wollte. Schon bei dem Gedanken, vielleicht noch jemanden versorgen zu müssen, wurde Nathaniel schlecht. Schlechter als von dem Geruch im Stall bei der Hitze.
Als er seinen Freund entdeckte, ging er zu ihm und setzte sich auf den freien Platz ihm gegenüber.
»Siehst müde aus«, meinte Drake und grinste. »Wieder ein Mädchen abgeschleppt? Du weißt doch, dass meine Schwester dich kennenlernen will.«
»Ich hatte für meine Stiefmutter noch einiges zu erledigen, als ich heimgekommen bin«, knurrte Nathaniel und schaufelte den Eintopf in sich hinein. Wenn er sich beeilte, konnte er vielleicht einen Nachschlag bekommen.
»Sie denkt wohl wirklich, du bist ihr Leibeigener«, murmelte sein Freund.
»Rechtlich gesehen bin ich das wohl«, stimmte Nathaniel zu und aß schneller. Kaum war der Teller leer, sprang er auf, um sich noch etwas zu holen, und jubelte innerlich, als er tatsächlich noch eine große Portion erhielt.
Drake stocherte in seinem Essen herum, als Nathaniel zurückkam. Er kannte seinen Freund mittlerweile: Drake dachte über irgendetwas nach.
»Iss, bevor es kalt wird oder die Pause rum ist«, forderte er ihn auf, damit Drake nicht auf die Idee kam, seine Gedanken mit ihm zu teilen, während er sein eigenes Essen verschlang.
»Ich frage mich nur, wie man dir helfen könnte«, überlegte Drake laut.
»Gar nicht. Ich bin an diese Familie gebunden, weil mein Vater dachte, er hätte sich verliebt. Vielleicht war er verliebt, aber sie war es nie.«
Er musste daran denken, wie seine Stiefmutter ihm zum ersten Mal gegenübergestanden hatte. Damals war Nathaniel sieben Jahre alt gewesen und diese Frau wirkte einschüchternd und schön. Mittlerweile wusste er, dass ihre Schönheit nichts anderes als das Resultat vieler kosmetischer Zauberprodukte war. Er hatte sie einmal gesehen, als sie gerade aufgewacht war. Ihm lief es immer noch kalt den Rücken hinunter, wenn er daran dachte.
Jedenfalls hatte sie es geschafft, dass sein Vater alles getan hatte, um sie glücklich zu machen. Nach seinem Tod vor drei Jahren hatte Pandora, so hieß seine Stiefmutter, verkauft, was sie nicht mehr brauchte, darunter fast alles, das Nathaniel oder seiner Mutter gehört hatte. Außerdem musste Nathaniel in der Küche schlafen, da sie sein Zimmer untervermietete. Selbst wenn er Arbeit hatte, war er der Hausdiener seiner Familie, musste die Wäsche machen, kochen, putzen …
Er schob seinen leeren Teller von sich und lehnte sich auf seinem Stuhl zurück. Mehr als einmal hatte er versucht, zu fliehen. Alles war besser, als dort zu leben, wo nichts mehr an die schönen Tage erinnerte, die er mit seinen Eltern verbracht hatte. Aber magische Fährtenleser, die man in dem Fall, dass jemand verschwand, beauftragte, konnten jeden aufspüren. Und so war er schnell von den Stadtwachen an seine Stiefmutter übergeben worden. Mit guten Ratschlägen an Pandora, wie man ein Kind tröstete, das weglaufen wollte. Als ob er jemals Trost von dieser Person erhalten hätte.
»Aber irgendeine Möglichkeit muss es geben!«, beharrte Drake.
Nathaniel seufzte. »Ich habe alles durchdacht. Bis ich einundzwanzig bin, ist sie mein Vormund und danach bin ich für sie verantwortlich. Nein, mir fällt keine Möglichkeit ein, das zu ändern, außer, sie heiratet noch einmal. Und glaube mir, selbst wenn sie noch teurere Kleider und stärkere magische Kosmetik benutzt, wird sie es kaum schaffen, jemanden zu finden.«
»Man soll die Hoffnung nicht aufgeben«, grinste sein Freund.
Aber Drake hatte leicht reden. Er durfte seinen Lohn großteils behalten und wenn der Arbeitstag sich dem Ende neigte, hatte er frei. Nathaniel hatte schon längst jede Hoffnung verloren, dass er einmal ein selbstbestimmtes Leben würde führen können.
Die Glocke läutete erneut und alle Arbeiter standen auf und brachten ihr Geschirr zurück, bevor sie wieder an ihre Plätze gingen.
»Wir sehen uns später«, rief Drake ihm zu, aber Nathaniel war in Gedanken schon längst beim kommenden Abend.
Der Schneider sollte sie aufsuchen, da seine Stiefmutter es irgendwie geschafft hatte, eine Einladung auf die königlichen Bälle zu ergattern. Sie wollte ihre Töchter dort möglichst gut unter die Haube bringen. Nathaniel fürchtete sich vor der Rechnung für die bestellten Kleider, aber andererseits hegte er die Hoffnung, dass er dann zumindest die beiden dummen Mädchen los wäre und vielleicht sogar seine Stiefmutter, die dann bestimmt mit einer ihrer Töchter in einem schöneren Haus würde wohnen wollen.
Wenn er sie nicht mehr versorgen musste, war er in etwas unter einem Jahr frei. Das war die letzte Hoffnung, an die er sich klammerte. Die letzte, die er sich noch erlaubte. Die kommenden Tage würden darüber entscheiden, ob er für immer ein Leibeigener bleiben würde oder nicht.
Nathaniel nahm seine Mistgabel auf und arbeitete in der Pferdebox weiter, die er vor der Mittagspause begonnen hatte. Er trug die Pferdeäpfel zu dem Schubkarren, tauschte das Stroh aus und reinigte den Futtertrog, bevor er frisches Wasser vom Brunnen holte.
Als er zurückkam, stieß er mit jemandem zusammen und ließ den Eimer fallen. »Verdammt, jetzt muss ich noch einmal gehen! Kannst du nicht besser aufpassen?«, schnaubte er und sah sein Gegenüber an.
Seine Augen weiteten sich. Ein Mädchen mit langem, seitlich geflochtenen Zopf stand in schäbiger Reitkleidung vor ihm. Ihre Haare waren dunkel, aber sie schimmerten im Licht ein wenig rötlich, und sie besaß die schönsten bernsteinfarbenen Augen, die er jemals gesehen hatte. Sie hatte ihre Lippen zu schmalen Strichen zusammengepresst und funkelte ihn zornig an. Er fand sie trotzdem umwerfend.
»Was soll ich denn sagen? Ich habe das ganze Wasser abbekommen!«
Er schluckte ein Grinsen hinunter und ließ seinen Blick über ihren Körper schweifen. Tatsächlich triefte ihre Kleidung und sie stand in einer kleinen Pfütze.
»Tja, dann werden wir beide wohl das nächste Mal besser aufpassen müssen«, meinte Nathaniel und zuckte mit den Schultern.
Sie hob eine Augenbraue.
Ihr Gesicht war makellos. Hätte sie keine schäbige Kleidung getragen, hätte er sie für die Tochter eines Herzogs gehalten, denn alles an ihr wirkte gepflegt. Vielleicht war sie eine Dienerin im Schloss, die einen freien Tag hatte.
»Für gewöhnlich entschuldigt man sich«, murmelte sie und tippte mit ihrem Fuß auf den Boden. Wasser spritzte dabei hoch, aber er ignorierte es.
Nathaniel verschränkte die Arme und hob das Kinn. »Finde ich auch. Du solltest dich wirklich entschuldigen.«
»Was?«, lachte sie und verschränkte ebenfalls die Arme. »Ich soll mich entschuldigen? Wohl eher du!«
»Nicht einmal, wenn du die Prinzessin wärst, würde ich mich bei dir entschuldigen.«
Ihre Augenbraue wanderte noch höher und ihre Mundwinkel verzogen sich zu einem breiten Lächeln. »Ist das so?«, fragte sie schnippisch.
Sie wollte ihn reizen! Nathaniel trat einen Schritt näher, bis seine Füße die Pfütze berührten. »Ja, das ist so.« Es freute ihn, dass sie zu ihm aufsehen musste. »Also, was ist jetzt mit der Entschuldigung?«
Er war überrascht, als sie ebenfalls einen Schritt auf ihn zu machte und jetzt so dicht vor ihm stand, dass er ihre Wärme fühlen konnte. Und die Nässe ihrer Kleidung.
»Du solltest dir überlegen, wie du mit anderen Menschen sprichst«, raunte sie. »Du weißt nie, wann du ihnen wiederbegegnest oder wer sie wirklich sind.«
»Oh, Verzeihung, Hoheit«, entgegnete er gespielt dramatisch und bemühte sich, diese nasale Art, zu reden, zu imitieren. »Habe ich Euch beleidigt?«
Ihre Miene blieb unverändert, obwohl ihre Mundwinkel zuckten. Sie setzte gerade zu einer Erwiderung an, als ein Tumult am anderen Ende des Stalls ausbrach.
»Gütiger Himmel, Euer Hoheit!«, ertönte eine Frauenstimme, gefolgt von schweren Schritten mehrerer Personen.
Nathaniel hob den Blick und erstarrte. Die Frau, die gerade mit gerafften Röcken durch den Stall lief, gehörte definitiv dem Hofstaat an. Und sie wurde von zwei uniformierten Männern begleitet. Seine Augen wanderten zu der jungen Frau vor sich, die immer noch ihn ansah. Allerdings wirkte sie jetzt nicht mehr kämpferisch, sondern vielmehr verzweifelt.
Sie drehte sich langsam um. »Lady Margret«, murmelte sie und ließ die Arme sinken.
»Prinzessin, bei allen Wunschfeen, wir hatten doch vereinbart, dass Ihr nicht ohne Begleitschutz ausreitet!«
Ein eiskalter Schauer lief Nathaniel durch den Körper, als er ihren Hinterkopf anstarrte.
Die Prinzessin. Das war Prinzessin Alessandra!
Am liebsten hätte er sich mit der Hand gegen die Stirn geschlagen, aber er rührte sich nicht.
»Ich hätte auf die beiden gewartet«, schnaubte Alessandra. »Ich wollte nur zu meinem Pferd …«
»Wie seht Ihr überhaupt aus, Durchlaucht?« Die Gouvernante blieb vor der Prinzessin stehen, schwer atmend und mit so weit aufgerissenen Augen, dass Nathaniel sicher war, er könnte in das Innere ihres Kopfes blicken. »Wir hatten doch vereinbart, dass Ihr in angemessener Kleidung ausreitet.«
»Aber in den Reitkleidern kann ich nicht …«
»Ihr seid die Prinzessin und keine Bauerstochter.« Die ältere Frau seufzte. »Vergebt mir diese Sprache, Hoheit. Von Euch wird ein gewisses Auftreten erwartet und dazu gehören angemessene Reitkleidung und ein Damensattel.«
»Und genau deswegen wollte ich allein reiten«, murmelte die Prinzessin.
Nathaniel musste sich ein Schmunzeln verkneifen. Sie war anders, als er erwartet hatte. Aber in positivem Sinne.
»Doch Ihr habt Glück, Lady Margret. Ich hatte einen kleinen Unfall und muss mich jetzt ohnehin umziehen gehen.«
Der Blick der Gouvernante wanderte erst über die Prinzessin, verfinsterte sich und schoss dann zu Nathaniel. »Hat Euch dieser Stallbursche etwa belästigt?«
Noch ehe Nathaniel etwas erwidern konnte, wurde er von den beiden Männern gepackt und auf die Knie gezwungen. Seine Hände wurden auf seinem Rücken festgehalten, während seine Hose sich mit dem schmutzigen Wasser vollsog. Sein Kopf wurde fest nach unten gedrückt und er überlegte, ob er sich wehren sollte, unterließ es jedoch. Er wusste, er hatte keine Chance gegen zwei gut genährte Soldaten der königlichen Garde.
Dann war die Prinzessin also doch so, wie er erwartet hatte. Sie hatte ihn gewarnt und jetzt ließ sie ihn für seine Frechheit bestrafen.
»Lasst ihn los!«, hörte er sie jedoch sagen. »Es war nicht seine Schuld. Ich habe nicht aufgepasst und bin in ihn hineingelaufen.«
Nathaniel wollte seinen Ohren nicht trauen.
»Ich sagte, ihr sollt ihn loslassen!«, befahl sie schärfer und die Männer lockerten ihre Griffe und zogen ihn hoch.
»Nun, dann hoffe ich, dieser Bursche kommt für den Schaden auf«, fauchte die Gouvernante.
Nathaniel konnte sie schon jetzt nicht leiden.
»Aber Lady Margret«, begann Alessandra und Nathaniel bemerkte überrascht, dass sie dabei lächelte. »Ihr habt doch selbst gesagt, dass diese Kleidung die einer Bauerstochter ist. Welchen Schaden soll er also wiedergutmachen?«
Die ältere Dame stieß den Atem aus. »Wie Ihr meint, Prinzessin. Ich begleite Euch zu Eurem Gemach, damit Ihr Euch umziehen könnt. Die Männer werden inzwischen die Pferde vorbereiten.«
»Geht schon vor, ich möchte dem Stallmeister noch etwas mitteilen«, meinte Alessandra.
Es schien der Gouvernante nicht zu gefallen, aber sie nickte. »Ich warte vor dem Stall.« Der Ton ließ durchklingen, dass sie nicht viel Geduld hatte, aber sie ging tatsächlich.
Die uniformierten Männer holten inzwischen Zaumzeug und verschwanden ebenfalls. Nur Nathaniel und die Prinzessin blieben zurück. Sie verschränkte die Arme wieder und sah ihn erschöpft an.
»Der Stallmeister ist …«, begann Nathaniel, aber sie schüttelte den Kopf.
»Ich habe nichts mit ihm zu besprechen«, flüsterte sie. »Ich wollte nur sichergehen, dass sie dich zufriedenlassen.«
Er schluckte und neigte seinen Kopf. »Ich … danke Euch. Vergebt mir, wenn ich …«
»Nicht«, sagte sie schnell und hob die Hand. »Es war schön, einmal keine Prinzessin zu sein. Ich hoffe allerdings, dass dir kein Nachteil daraus entsteht. Ich werde dafür sorgen, dass man dich deswegen nicht entlässt.«
Nathaniel schluckte erneut. »Ihr seid sehr gütig, Hoheit.«
Er wollte sie ansehen, aber er wagte es nicht mehr. Sie war die Prinzessin. Und sie war wunderschön und kein bisschen arrogant, wie er erwartet hatte.
»Verrätst du mir deinen Namen?«, fragte sie.
Er sah nun doch auf. »Nathaniel, Euer Hoheit.«
Er nahm jedes Detail an ihr wahr, wollte es für immer in seiner Erinnerung verankern. Denn außer der Erinnerung an sie würde ihm nichts bleiben.
»Nathaniel«, schmunzelte sie. »Dann danke ich dir für diesen kurzweiligen Moment. Ich habe ihn wirklich genossen.«
Nathaniel verneigte sich und erhob sich erst wieder, als ihre Schritte verklungen waren. Dann schlug er sich mit der Hand gegen die Stirn.
Die Prinzessin. Er hatte die Prinzessin mit Wasser übergossen und anschließend verlangt, dass sie sich dafür entschuldigte. Was für ein Dummkopf er doch war!
Er hob den Eimer auf und lief zum Brunnen zurück. Er musste die verlorene Zeit wieder aufholen. Und noch viel wichtiger … Er musste sich von diesen Augen ablenken, die er nie wieder sehen würde.
Sie stieß den Atem aus, als sie ihr Pferd mit diesem fürchterlichen Damensattel erblickte. Sie hasste ihn, denn sie konnte sich überhaupt nicht darin bewegen oder so reiten, wie sie wollte.
Deswegen hatte sie versucht, sich heimlich davonzustehlen. Dummerweise war sie mit dem Stallburschen zusammengestoßen und anstatt ihm klarzumachen, wer sie war, und anschließend einfach in nasser Kleidung zu reiten, hatte sie mit ihm diskutiert. Und es genossen.
Er sah gut aus, dieser Nathaniel. Seine hellbraunen Haare waren seitlich gescheitelt, und diese Augen! Sie wirkten unglaublich groß und besaßen einen grünlichen Einschlag, obwohl sie eher braun waren. Sie sah noch sein schiefes Lächeln vor sich und dieses markante Kinn.
Es hatte ihr Spaß gemacht, diesen Schlagabtausch mit ihm zu führen. Für einen kurzen Moment hatte er sie wie eine normale Frau behandelt. Etwas, das ihr sonst nie widerfuhr. Aber dann hatte er erfahren, wer sie wirklich war, und das Trotzige, das sie so genossen hatte, war verschwunden.
Als ihre Leibwache ihn in die Knie gezwungen hatte, war ihr der Geduldsfaden gerissen. Er hatte nichts Unrechtes getan! Wenn sie eine Kammerzofe gewesen wäre, hätte niemand auch nur einen Finger gerührt. Weil nichts geschehen war! Sie waren zusammengestoßen und hatten sich unterhalten. Nicht mehr, nicht weniger.
Bevor sie sich umziehen gegangen war, hatte sie deswegen doch den Stallmeister aufgesucht und sichergestellt, dass Nathaniel nicht entlassen wurde, ganz gleich, was Lady Margret eventuell fordern würde. Nicht, dass die Gouvernante boshaft war, aber man wusste nie. Der Stallmeister hatte zugestimmt, denn offenbar leistete Nathaniel gute Arbeit, und Alessandra hatte klargemacht, dass es ihr Wunsch war, ihn zu behalten.
Als sie jetzt zu ihrem Pferd ging, hielt sie Ausschau nach dem Stallburschen, konnte ihn aber nicht entdecken. Enttäuscht wollte sie in ihren Sattel steigen und schnaubte unprinzessinnenhaft, als einer ihrer Leibwächter sie hineinhob. Als er auch noch nach den Zügeln ihres Pferdes griff, stöhnte sie.
»Ihr wisst, dass ich sehr gut reiten kann«, meinte sie mit einem Augenrollen.
»Gewiss, Hoheit, aber Lady Margret hat eindeutige Befehle gegeben, da Ihr Euch so kurz vor dem Ball nicht verletzen sollt.«
Alessandra entschied, das Spiel eine kurze Zeit mitzuspielen. Bis sie die Mauern des Palastes hinter sich gelassen hatten. Das Königsschloss lag umgeben von einem schützenden Wall am Rand der Hauptstadt und die Wälder dahinter waren dicht und fast undurchdringlich. Für gewöhnlich mieden die Stadtbewohner sie, denn man verirrte sich zu leicht darin und außerdem lebte Darbur dort. Deswegen umrundete Alessandra bei ihren Reitstunden meist die Stadt oder durchquerte sie, um auf den gepflasterten Straßen, die ganz Soleil durchzogen, bis zur nächsten Stadt zu reiten.
Für diese Reitstunde verfolgte sie aber andere Pläne. Sie wollte in den Wald und die Tatsache, dass ihre Begleiter nicht neben ihr ritten, sondern sie wie ein kleines Kind an den Zügeln führten, spielte ihr in die Karten.
Alles in ihr kribbelte, als sie durch das gesicherte Tor der Palastmauer schritten. Sie verkrampfte ihre Hände um den Sattelknauf und zählte gedanklich bis zwanzig.
Ihre Stute Crysanthen und sie verstanden sich blind. Alessandra beugte sich vor, schnalzte mit der Zunge, das Tier befreite sich aus dem Griff der Wache und sprintete los.
Sie ließen die entsetzten Rufe der Leibwächter hinter sich und brachen durch das dichte Unterholz in den Wald. Alessandra verwünschte erneut den unpraktischen Damensattel, in dem sie sich bei dem Tempo, welches das Pferd vorlegte, nur schwer halten konnte. Sie griff nach den losen Zügeln und Crysanthen wurde langsamer, trabte wie von selbst zu dem Ort, an den die Prinzessin wollte.
Verborgen mitten im Wald, lag eine Höhle, die von den meisten Menschen der Hauptstadt Estrella gefürchtet wurde. Man erzählte sich von den Monstern, die dort angeblich hausten. Nur Alessandra hatte keine Angst, dort hinzureiten. Denn sie hatte mit diesem ›Monster‹ Freundschaft geschlossen.
Vor dem Eingang zur Höhle hielt sie an und stieg ab. Ihre Stute zog sich zurück, um zu grasen. Obwohl sie diesen Ort anfangs nicht gemocht hatte, fühlte sie sich nun ebenfalls wohl und fürchtete den Drachen nicht länger.
Alessandra löste den Sack, den sie am Sattel hatte befestigen lassen. Sie stellte sich vor die Höhle, holte einen Apfel heraus und biss geräuschvoll hinein.
Es dauerte nicht lange, da hörte sie schwere Schritte und scharfe Krallen, die über den Steinboden kratzten. Als das grüne Gesicht eines Drachen erschien, grinste die Prinzessin und biss noch einmal in den Apfel.
»Erst kommst du nicht zu unserer vereinbarten Zeit und dann isst du auch noch meine Äpfel?«, schmollte Darbur, streckte sich und breitete die dunkelgrünen Flügel aus.
»Verzeih mir, ich wurde gestern leider erwischt«, entschuldigte Alessandra sich und hielt den Sack vor die Nase des Drachen. »Aber ich habe dir dafür extraschöne Äpfel und Pfirsiche mitgebracht.«
Darbur schnupperte daran und ließ sich auf seine Hinterbeine nieder. Er war einer jener Drachen, die auf zwei Beinen gehen konnten, wenn sie wollten, setzte sich jedoch zum Essen immer hin. Er war in etwa so groß wie eine ausgewachsene Stute, selbst die Kopfform glich der eines Pferdes. Nur dass sein Maul voller scharfer Zähne und seine Stirn übersät von spitzen Dornen war. Grünlich-blaue Schuppen überzogen seinen gesamten Körper und seine Flügel, die er auf dem Rücken trug, waren riesig.
Drachen waren für ihre Schätze gejagt und für ihre Klugheit gefürchtet worden. Ihre Vorderbeine glichen Armen mit viel zu langen, scharfen Krallen an den Fingern, die wie Klauen aussahen. Sie lasen viel und besaßen angeblich alle Bücher, die jemals geschrieben worden waren. Natürlich auf die gesamte Welt verteilt.
Alessandra hatte nie verstanden, warum die Menschen die Drachen fürchteten und nicht verehrten. Es waren sehr weise Wesen.
»Ich weiß, du hast es nicht leicht«, murmelte er mit tiefer Stimme und streckte seine langen Finger nach dem Sack aus.
Alessandra reichte ihm den Beutel und setzte sich ihm gegenüber hin.
»Ich würde nicht mit dir tauschen wollen, Prinzessin. So viele Vorschriften. Und diese Kleider!«
Sie rollte mit den Augen. »Wem sagst du das. Und in einem so abscheulichen Ding muss ich in ein paar Tagen tanzen.« Sie seufzte. »Kannst du mich nicht entführen, Darbur?«
Er lachte und warf sich einen Pfirsich in den Mund. Der Saft der Frucht quoll aus seinem Maul und er wischte sich mit dem Arm darüber. »Du weißt, dass Drachen so etwas nicht machen?«
»Ja«, meinte sie und schüttelte den Kopf. »Was soll ich nur tun? Mein Vater ist immer noch krank, wird immer schwächer und niemand weiß, wie lange er noch leben wird. Deswegen will der Kronrat mich lieber heute als morgen verheiraten, weil ja nur ein Mann König werden kann.« Sie sprang auf und ballte ihre Fäuste. »Dabei erklärt mir jeder, dass kein anständiger Prinz mich wählen würde, weil ich nicht einmal richtig tanzen kann! Was sagt denn die Fähigkeit, sich in einem unförmigen Kleid anmutig zu drehen, darüber aus, wie ich als Mensch bin?«
»Nichts«, grunzte Darbur, bevor er noch einen Pfirsich im Ganzen in seinen Mund schob und hinunterschluckte. »Ist doch absolut lächerlich. Du bist schön, klug und freundlich. Du musst nicht tanzen können.«
»Na, laut dem Kronrat bin ich nicht dünn genug und zu groß, meine Haare haben die falsche Farbe und meine Nase ist zu platt. Außerdem interessiert es keinen Prinzen, ob ich hundert Bücher im Jahr lese oder weiß, wie man schwierige mathematische Formeln löst. Am besten wäre es, ich würde nicht einmal meinen Namen schreiben können und keine eigene Meinung haben.«
»Menschenmänner sind doch bescheuert«, meinte Darbur und leckte sich die Finger ab. »Wärst du ein Drache, würde ich dich sofort um deine Hand bitten, sobald ich alt genug dazu wäre. Du hast alles, was man sich wünschen kann.«
Sie setzte sich neben ihn und verbarg ihr Gesicht in den Händen. »Bin ich aber nicht. Ich bin eine Prinzessin, und offenbar eine ziemlich schlechte.«
»Ich wünschte, ich könnte dir helfen«, sagte der Drache beruhigend und legte eine seiner Klauen auf ihren Rücken. »Ich habe übrigens wegen deines Vaters bei den anderen Drachen um Rat gefragt. Bisher habe ich aber keine Antwort bekommen. Noch gebe ich die Hoffnung allerdings nicht auf. Lodring könnte etwas wissen, aber er ist noch nicht von seiner Sommerfrische zurück.«
Sie sah auf. »Was ist denn Sommerfrische bei Drachen?«
»Na ja, es gibt Berge, die Feuer spucken. Ist sehr entspannend für uns, in der geschmolzenen Lava zu schwimmen.«
Alessandra riss die Augen auf. »Es gibt wirklich Berge, die Feuer spucken?«