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Eine Liebe für die Ewigkeit? Mila befindet sich mitten im ewigen Kampf zwischen Licht und Schatten. Ihre große Liebe Asher versucht alles, um sie aus den Fängen des grausamen Rólan zu befreien. Doch Rólan ist nicht der Einzige, der Milas mysteriöse Kräfte für sich nutzen will. Um sich selbst und ihre Freunde zu beschützen, macht sie sich auf die Suche nach dem Ursprung ihrer Gabe. Und was sie dabei herausfindet, bedroht nicht nur ihre gemeinsame Zukunft mit Asher, sondern auch das Schicksal der gesamten Welt. Seit Jahrhunderten hat sich Asher aus den Problemen der Ewigen herausgehalten. Doch dann ist Mila aufgetaucht. Unsterblich hat er sich in das Mädchen mit den besonderen Kräften verliebt. Aber sowohl die Seite der Dunkelheit als auch die des Lichts sind hinter ihr her. Asher bleibt nichts anderes übrig, als sich einzumischen, denn für Mila würde er alles tun: Für sie bittet er sogar seinen mächtigen Bruder Elarian um Hilfe. Selbst ein Bündnis mit seinen Feinden geht er für sie ein. Für Mila würde er die gesamte Welt ins Chaos stürzen - aber ist ihre Liebe das wirklich wert? Im rasanten Abschluss der Ashes and Souls-Dilogie führt Ava Reed Leser ab 14 Jahren zurück in die fantastische Welt der Ewigen. Eine epische Liebesgeschichte, die Romantasy-Fans begeistern wird!
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Seitenzahl: 375
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Kapitel 1 – Mila – Manche Dinge lagen …
Kapitel 2 – Asher – Etwas in Asher …
Kapitel 3 – Tariel – Das erste Mal …
Kapitel 4 – Mila – Jedes Mal wenn …
Kapitel 5 – Asher – Das Gefühl, dass …
Kapitel 6 – Asher – Sofort weg da …
Kapitel 7 – Tariel – Mit trockenem Mund …
Kapitel 8 – Mila – Oh, süße Mila …
Kapitel 9 – Asher – Du weißt, dass …
Kapitel 10 – Mila – Berlin. Wie hätte …
Kapitel 11 – Asher – Gib mir etwas …
Kapitel 12 – Tariel – Was tust du …
Kapitel 13 – Mila – Er war hier …
Kapitel 14 – Asher – Konzentrier dich ermahnte …
Kapitel 15 – Asher – Leg sie auf …
Kapitel 16 – Tariel – Hatte er das …
Kapitel 17 – Asher – Bist du sicher …
Kapitel 18 – Mila – Alles war ruhig …
Kapitel 19 – Elarian – Mila saß auf …
Kapitel 20 – Tariel – Mach endlich die …
Kapitel 21 – Elarian – Ich erinnere mich …
Kapitel 22 – Mila – Er wollte sterben …
Kapitel 23 – Asher – Warum grinst du …
Kapitel 24 – Tariel – Und Tariel konnte …
Kapitel 25 – Mila – Das Essen war …
Kapitel 26 – Elarian – Nicht ohne Grund …
Kapitel 27 – Asher – Was Elarian vorhatte …
Kapitel 28 – Mila – Konzentrier dich forderte …
Kapitel 29 – Tariel – Das führt alles …
Kapitel 30 – Asher – Vollkommen fasziniert schaute …
Kapitel 31 – Mila – Tariel? Zech? Mila …
Kapitel 32 – Tariel – Seine Wunden begannen …
Kapitel 33 – Elarian – Sie kamen. Und …
Kapitel 34 – Mila – Wie lange Asher …
Kapitel 35 – Mila – Wir sind nicht …
Kapitel 36 – Elarian – Es war keine …
Kapitel 37 – Mila – Übelkeit hatte sich …
Kapitel 38 – Asher – Bist du wahnsinnig …
Kapitel 39 – Mila – Nach der Hitze …
Kapitel 40 – Tariel – Das ist nicht …
Kapitel 41 – Mila – Die Welt fühlte …
Kapitel 42 – Asher – Mach dich nicht …
Kapitel 43 – Mila – Alles war still …
Kapitel 44 – Mila – Die Luft war …
Kapitel 45 – Asher – Wisst ihr, wo …
Kapitel 46 – Mila – Die Zeit stand …
Kapitel 47 – Mila – Milena Diese Stimme …
Epilog
Namensregister
Danksagung
Für jeden, der all die Graustufen zwischen dem Licht und der Dunkelheit sieht.
Jedes Gute trägt Böses in sich,jedes Böse das Gute.Die Frage ist,welchem wir mehr Gewicht geben.
Ist etwas noch gut,wenn wir dafür etwas Schlechtes tun müssen?Und bleibt etwas gut,auch wenn daraufhin etwas Schlimmes folgt?Welche Grenzen existieren,wie dünn sind sie und –würdet ihr sie überschreiten?
Wie würdet ihr euch entscheiden?
Manche Dinge lagen jenseits der Vorstellungskraft. Man konnte sie nicht glauben, bis man sie selbst erlebt oder gesehen hatte.
Genauso erging es Mila jetzt. Sie wusste, dass sie nicht wie jeder andere war. Ihre Andersartigkeit, ihr Fluch, war ihr bekannt, doch nie hätte sie sich vorstellen können, wie schlimm es wirklich um sie stand – oder wie schlimm es noch werden würde.
In diesem Moment wünschte sie sich, sie hätte hartnäckiger nach Antworten gesucht, als ihre Mutter am Leben gewesen war. Dann hätte sie diesen Fluch vielleicht längst abgelegt …
Lüge. Es war eine Lüge. Ein Wunschtraum. Etwas, das sie sich einzureden versuchte, aber von dem sie wusste, dass es niemals passiert wäre.
Vor allem spielte nichts davon eine Rolle – kein wenn, kein falls, kein hätte und kein könnte – denn nichts davon änderte etwas an ihrer Lage.
Mila war gefangen, gebunden an einen Stuhl in einem unbekannten Raum, dem sie nicht entkommen konnte. Müde und nur durch Schmerzen wach gehalten, saß sie gegen die Fesseln gelehnt da und unterdrückte mit der restlichen Kraft, die ihr geblieben war, ein Schluchzen. Obwohl Rólan und Kerym nicht hier waren und ihr und Reia für kurze Zeit etwas Ruhe gewährten, würde sie ihnen diese Genugtuung nicht gönnen und so offensichtlich Schwäche zeigen. Nein, sie würde ihrer Verzweiflung und ihrer Angst, genauso wie ihren Tränen, nicht nachgeben. Noch nicht … noch nicht.
Auch wenn es ihr schwerfiel.
Asher, dachte sie bei sich und beinahe wäre ihr sein Name laut über die aufgeplatzten Lippen gekommen. Mila hatte seine Worte gehört – in ihrem Kopf. Leise, sanft und gleichwohl eindringlich. Sie waren da gewesen – sie war sich sicher. Dabei hatte sie den Gedanken und die Frage an ihn zuvor nicht bewusst fortgeschickt, vorhin nicht bewusst ihre Macht verwendet. Wie auch? Mila wusste nicht, wie. Man konnte es nicht von einem auf den anderen Tag erlernen. Es existierte keine Anleitung für das, was in ihr war – für ihren Fluch, ihre Gabe. Mittlerweile fand sie dafür nicht einmal mehr einen passenden Namen, der es beschreiben konnte, weil Mila immer weniger wusste, je mehr sie darüber erfuhr. Es klang verrückt, aber so war es. Je mehr sie ihre Macht erfühlte, umso weniger war ihr klar, wer sie wirklich war und was alles in ihr ruhte. Jede Grenze, die ihr Leben irgendwie in einer Form gehalten hatte, war verwaschen und wurde von Sekunde zu Sekunde mehr fortspült.
Asher, wo bist du? Wieder und wieder formte sie den Satz in Gedanken und schickte ihn ins Nichts.
Keine Antwort. Nicht mehr. Nur das Echo seiner früheren Worte: Ich bin bei dir. Halte durch.
Waren sie real gewesen? Oder war es auch ein Wunschtraum? Eine Lüge? Es war das Letzte, woran sie sich klammern konnte …
Ihr wütendes Schnauben verwandelte sich in ein Röcheln.
Entführt. Hilflos. Verletzt. Beschämt – sie hasste dieses Gefühl und wollte es nicht zulassen. Doch jeder, der stark sein konnte, durfte auch schwach sein. Ihr war bewusst: Sie sollte sich nicht dafür schämen, aber sie konnte es nicht verhindern.
Mila konnte einfach nicht glauben, dass das gerade passierte. Nur wegen ihr war auch Reia hier und litt. Sie litt fürchterlich. Rólan und Kerym hatten mit irgendjemandem den Deal gehabt, sie auszuliefern – und Mila hatte in ihrer leichtsinnigen Wut der Kälte nachgegeben und ungewollt ihre Macht herausgelassen. Rólan würde nicht aufhören. Er behandelte sie wie Ware, die er erstanden hatte, und das widerte Mila an.
Wer hatte sie kaufen wollen? Tariel? War er so viel niederträchtiger als gedacht? Mila fragte sich zum tausendsten Mal, wie sie so blind hatte sein können.
Erneut schaute sie hinab, ließ ihren Blick nach unten und wieder hinaufgleiten. Die entzündete Wunde an ihrem Oberschenkel brannte noch immer wie Feuer. Ein leicht goldener Schimmer umrundete die Stelle, an der Rólan ihre Haut mit einem Messer langsam aufgeschlitzt hatte. Er hatte es genossen. Was danach jedoch zum Vorschein gekommen war, war nicht nur für ihn eine Überraschung gewesen: rotgoldenes Blut. Die Tropfen waren über ihr Bein geflossen und hatten ihre Spuren hinterlassen. Mittlerweile waren sie versiegt, das Blut geronnen, aber die Schmerzen waren geblieben.
Halb ewig, halb endlich. Das hatte Rólan gesagt. Konnte das stimmen? Sie kniff die Augen fest zusammen und konzentrierte sich auf ihre Atmung.
»Mila?«, ertönte es leise von der Seite. Reia war halb am Schlafen, sie war am Ende ihrer Kräfte. Die Fesseln, die sie ihr angelegt hatten, absorbierten ihre Magie und machten sie kampfunfähig. Fesseln, die Mila nun auch trug. Kerym hatte sie vor wenigen Momenten ekelhaft grinsend über die anderen Stricke gelegt und festgezurrt. Milas Finger waren jetzt vollkommen taub und der Schmerz in ihren Handgelenken glich einer nervtötenden Hintergrundmelodie, die drohte, niemals aufzuhören.
»Es tut mir leid.« Mila wusste nicht, wie oft sie diese vier Wörter gewispert hatte, seit sie hier waren. Und obwohl diese Nachricht immer dringender und stärker wurde, wurde die Kraft, mit der sie gesagt wurde, immer weniger. Sie konnte sie nur noch monoton vor sich hin sagen. Wahrscheinlich, weil sie sonst vollkommen unter ihnen zusammenbrechen würde.
»Es ist nicht deine Schuld. Mila, sieh mich an.«
Es dauerte ein paar Sekunden, bis sie Reias Bitte nachkam, erst die Lider und gleich hinterher leicht ihren Kopf hob. Dabei bemühte sie sich, die Wunden, die das Gesicht ihrer Freundin zierten, nicht anzustarren. Die Fesseln machten sie sterblich. Solange sie daran gebunden war, war sie mehr Mensch als Ewige. Zumindest hatte Rólan die Fähigkeiten seines kleinen Spielzeugs so angepriesen. Reias Lippen waren aufgeplatzt, über ihrem rechten Auge prangte eine längliche Wunde, ihr Haar war zerzaust und ihre Haut wirkte kränklich. Ihre Lippen zitterten, um ein Lächeln bemüht.
»Wir kommen hier raus. Und dann treten wir den zwei Idioten so richtig in den Arsch!«, zischte sie.
Beinahe hätte Mila aufgelacht. Reias Kampfgeist war noch da, auch wenn es nicht danach aussah.
»Ich muss dir etwas sagen.« Mila verzog das Gesicht bei dem Versuch zu schlucken. Ihr Rachen war trocken und brannte unbeschreiblich. »Ich habe … Ich …« Wie sollte sie das nur erklären? Was, wenn sie abgehört wurden? Davon ging Mila aus. Ansonsten wären die beiden tatsächlich dümmer, als ihnen guttat. »Ich habe an etwas gedacht und … es kam eine Antwort.«
Wie Mila es auch drehte und wendete, sie hatte keine Ahnung, wie sie es Reia anders mitteilen konnte, ohne es auszusprechen. Sie hoffte, ihre Freundin würde verstehen, was sie meinte. Doch diese legte die Stirn in Falten und Mila sah ihr deutlich an, wie sie angestrengt nachdachte. Mila wartete ab und erst nach einer gefühlten halben Ewigkeit setzte sie von Neuem an.
»Reia, ich habe in meinem Kopf gesprochen und …«
Da weiteten sich Reias Augen – das rechte nur, so weit es ihr in diesem Zustand gelang. Mila war klar, dass sie es begriffen hatte.
»Das kann nicht sein«, stotterte Reia leise. »Das ist nicht möglich.«
»Es war da, in meinen Gedanken«, murmelte Mila, und wenn sie ehrlich war, konnte sie nichts anderes glauben. Auch wenn sie nur ein einziges Mal eine Antwort bekommen hatte. Sie hatte schon einmal mit Asher auf diese Art kommuniziert, aber sie wusste nicht genau, wie das Ganze funktionierte.
»Nein.« Reia schüttelte leicht ihren Kopf. »Es gibt da Grenzen.« Sie fixierte Mila mit einer Mischung aus Ernsthaftigkeit und Mitleid. »Ich wünschte, es wäre anders«, fügte sie hinzu und Mila wollte ihr nicht glauben. Sie holte Luft, war gerade dabei, etwas zu entgegnen, als sich die Tür öffnete.
»Ich hoffe, ihr habt euch gut erholt.«
Rólan hatte seinen Anzug gegen legere Kleidung getauscht. Lediglich ein schwarzes Seidenhemd stach neben der Jeans und den dunklen, sportlichen Schuhen heraus. Er rieb sich mit den Fingern übers Kinn, während er auf Mila zukam und sie musterte. Mila hasste es. Dieses Gefühl, wenn sein Blick über sie flog. So als würde er sie überall berühren. Sein süffisantes Grinsen widerte sie mehr denn je an und sie würde es ihm aus dem Gesicht kratzen, sobald sie diese Fesseln los war. Dieser Gedanke trieb sie an und hielt sie bei Bewusstsein. Das, und Mim und Pan. Wie gern hätte sie Reia von ihnen erzählt, aber sie konnte das Risiko nicht eingehen, dass Rólan den Armreif und das, was in dem Stein gefangen war, bemerkte. Nein, Mila durfte Mim und Pan nicht verlieren.
»Kerym, bitte setz dich zu Reia. Ich werde mich jetzt ganz in Ruhe der bezaubernden Halbsterblichen vor mir widmen.«
Etwas in Asher zerfiel – und fügte sich zu etwas Dunklem und Gefährlichem neu zusammen, das begann, ihn von innen zu zerfressen. Tore, die er vor Jahrhunderten in sich verschlossen hatte, barsten und Kräfte, die er eingesperrt hatte, wurden befreit. Durch die Angst um Reia, seine älteste und beste Freundin, und die Sorge um Mila, die er gerade erst gefunden hatte und nicht gehen lassen wollte.
Selbst jetzt, nachdem sie beschlossen hatten, Elarian um Hilfe zu bitten, nach Neheva zu reisen und somit alle Konsequenzen dieser Entscheidung in Kauf zu nehmen, tobte ein Sturm der Furcht und der Wut in ihm. Er würde alles tun, was nötig war. Ja, das würde er …
Bereits als er Mila das erste Mal gesehen hatte, war etwas in ihm erwacht. Neugierde, Anziehung, Faszination. Nach und nach hatte Mila sich in sein dunkles Herz geschlichen.
Liebe. Tiefe Sehnsucht. Er hatte sich diesen Gefühlen nie ganz verschlossen, aber er war stets auf Abstand gegangen. Diese Art von Emotionen war nichts mehr als eine Schwäche. Etwas, das seinen Schutzschild jederzeit einreißen könnte und das für jeden, der darauf lauerte, ihn zu vernichten, ein gefundenes Fressen war.
Doch das war ihm egal. Jetzt war es nicht mehr von Bedeutung. Denn er hatte sich in all den Jahrhunderten, in denen er gelebt hatte, zum ersten Mal wahrhaftig verliebt und das lehrte ihn nun Demut. Weil er sich selbst aufgeben würde für sie und weil er sich diese Schwäche zugestand. Weil er verflucht noch mal jeden Preis zahlen würde, den Elarian von ihm verlangte, um sie zu finden und wieder in seine Arme schließen zu können.
Asher würde für Mila jeden zugrunde richten. Er würde die Welt in Schutt und Asche legen und das Gleichgewicht eigenhändig niederreißen, wenn es sein müsste.
Denn er liebte Mila. Und es war egal, was sein Verstand ihm sagte und was angeblich richtig war. Es war egal, wie lange er sie kannte, weil Zeit keine Rolle spielte. Nur er wusste, was er fühlte, und er würde sich vor niemandem dafür rechtfertigen.
Die Welt wollte gegen ihn kämpfen? Gegen ihn und gegen Mila? Gut! Asher würde ihnen nicht nur einen Kampf geben, er würde ihnen Krieg bringen und dabei würde er zu der Waffe werden, die er einst gewesen war. Zu dem, was er eigentlich hinter sich gelassen hatte: die schwärzeste Nacht und die tiefste Dunkelheit. Denn die Dunkelheit war er und er war die Dunkelheit.
Sie hatten es nicht anders gewollt. Sie hatten es nicht anders verdient. Der Wunsch nach Vergeltung hatte sich tief in seinem schwarzen Geist eingebrannt.
»Lass uns gehen.« Er blickte Ceto entschlossen an, während er die Hand hob und das Feuer aller Kerzen in seinen Gemächern erlöschen ließ. Gemeinsam mit ihm teleportierte Asher sich in den Gang der Ewigkeit. Zu den Türen, die jeden Ort miteinander verbanden. Zu der einen, die verschlossen war – und es besser bleiben sollte. In den hintersten Winkeln wartete sie, schlief und wollte nicht gestört werden.
Die bordeauxrote Tür mit den schwarzen, öligen Schlieren stand Asher gleich einem Mahnmal gegenüber, sprach lautlose Drohungen aus und ihre Energie umfloss sie wie ein lebendiges Wesen. Ihre Aura alleine konnte Ewige in die Knie zwingen und ihnen sogar den Tod bringen, aber heute war es Asher, der sie zu Fall bringen würde. Nichts würde ihn aufhalten. Er machte sich nicht einmal mehr die Mühe, seine Energie zurückzuhalten. Nicht alles ließ er los, aber mehr, als er seit langer Zeit getan hatte. Ceto war genauso wütend und entschlossen, nichtsdestotrotz bemerkte Asher seine unterschwellige Unsicherheit. Nicht das, was sie vorhatten, war der Grund dafür, sondern Asher selbst.
Goldene Linien durchbrachen Ashers Haut, zogen Risse darin, fein und filigran. Schwarze Tinte und dunkler Rauch vermischten sich, umgaben und schützten ihn und waberten über den dunklen Marmor zu seinen Füßen. Sein ureigenes Selbst fühlte er stärker denn je. Wie den Äther der Welt, der stetig durch seine Adern pulsierte, pochend und lebendig wie ein zweites Herz.
»Ich will Reia und Mila so sehr finden wie du«, begann Ceto zögernd und musterte Asher intensiv. »Aber ich muss noch einmal fragen: Bist du dafür bereit? Für alles, was kommt? Für das in dir …?«
»Konzentrier dich.«
»Du hast diesen Teil von dir weggeschlossen, Asher. Vielleicht …«
Asher drehte sich aufgebracht zu seinem Freund um, brüllte ihn an und baute sich vor ihm auf. »Vielleicht was? Vielleicht sollten wir etwas anderes probieren? Noch mehr Zeit verschwenden?«
Ceto wich die Farbe aus dem Gesicht. Er schluckte schwer, blieb jedoch standhaft.
»Du solltest aufpassen«, presste er hervor und Asher wusste, was er meinte. Sofort zog er sich zurück, damit Ceto wieder Luft bekam. Schwer hustend stand Ceto da und fluchte dabei, soweit es ihm möglich war.
»Scheiße! Verfluchter Dämonendreck! Schattenschiss!« Sein Ausbruch ergab keinen Sinn, aber es war deutlich, dass er seine Wut rauslassen musste.
»Entschuldige«, brachte Asher mühsam hervor.
»Ich verstehe das. Wirklich, ich weiß, was du seit Lyahs Tod in dir vergraben und aufgegeben hast. Welchen Teil deiner selbst du weggeschlossen hast. Jetzt hast du angefangen, die Tore zu öffnen, und ich würde lügen, wenn ich sage, dass ich keine Angst hätte. Aber, verflucht! Ich bin dein Freund. Wenn du das noch mal machst, werde ich dich verprügeln, auch wenn ich dabei ins Gras beißen muss.« Ceto deutete mit dem Finger auf ihn und war kurz davor, seinen Bruder damit in die Brust zu piksen.
Asher schmunzelte einen Wimpernschlag lang, bevor er Ceto zunickte. »Ich werde mir deine Worte merken. Und jetzt lass uns gehen. Reia und Mila warten.«
Beide wandten sich der Tür zu und atmeten tief durch.
»Was denkst du: Wie schlimm ist es?«, murmelte Ceto mit belegter Stimme, obwohl Asher sich sicher war, dass er es gar nicht wissen wollte.
»Schlimm«, gab er zu. »Reia kann gut kämpfen. Sie hat mit Sicherheit alles getan, was sie konnte. Trotzdem fehlt jede Spur von ihnen.«
»Mim und Pan?«
»Sind bei Mila«, antwortete Asher leise.
»Meinst du …?«
»Ja«, bestätigte er knapp und ihm war klar, dass Ceto verstand. Entweder die beiden waren tot oder noch in dem Stein an Milas Armreif gefangen. Bei allem, was ihm heilig war, hoffte er auf Letzteres.
Während Asher beide Hände hob und an den Türrahmen legte, bündelte er seine Energie, kanalisierte sie und ließ sie gezielt wie eine Waffe hinausfließen. Das Holz fing an, unter seinen Handflächen zu pochen und sich zu winden. Der Rahmen erwachte, bewegte sich plötzlich, Ranken traten hervor, wuchsen aus dem Holz, und der Marmor unter ihren Füßen begann zu zerbrechen. Die ölige Flüssigkeit an der Tür floss nun daran hinab, mehr und mehr davon.
Ein Bann lag auf dieser Tür, dem Portal nach Neheva. Aber er ging nicht von dieser Seite aus. Das war gar nicht nötig. Nein, der Eingang war von der anderen Seite verschlossen worden. Von Elarian. Viel zu wenige kannten diese Tür überhaupt. Und niemand von jenen hatte es seit ewigen Zeiten gewagt, sie zu öffnen.
Bis jetzt.
Asher presste die Zähne zusammen, sein Kiefer mahlte und er brüllte auf, als der Bann sich in seinen Körper fraß, sich die Ranken in seinen Rücken bohrten und ihn umschlangen – nicht wie ein Freund, sondern wie ein wildes Tier, das vor Hunger starb.
Ceto hielt sich an Ashers Schulter und zugleich an der Wand fest, weil er das Gleichgewicht verlor. Natürlich war er bemüht, Asher zu helfen, sandte seine Kraft wieder und wieder aus, aber so mächtig er auch war, hierfür war er zu schwach.
Die Tür knackte und knarzte, hielt stur seinem Willen stand und absorbierte immer mehr von Ashers Energie, ohne sich zu öffnen. Seine Hände waren blutverschmiert und ölig, seine Knöchel traten stark hervor. Eine neue Welle seiner Energie ließ den Gang erbeben und wirbelte Staub und Dreck um Ceto und ihn herum auf, sodass sie für einen Augenblick den Großteil ihrer Sicht verloren. Mit der nächsten Welle prallte seine Macht auf die des Banns und Asher knickte ein, fiel auf die Knie. Aber er hielt sich weiter an der Tür fest und unterbrach die Verbindung nicht. Trotz all seiner Kraft, trotz des Monsters, das er begonnen hatte, in sich zu entfesseln, wusste er nicht, wie lange er das hier ertragen konnte. Der Bann war wie Gift, das sich in ihm ausbreitete, wie eine Schlange, die ihn langsam und genüsslich erwürgte.
Mila.
Ihr Gesicht erschien vor seinem inneren Auge. Zuerst lächelte sie ihn an, anschließend zog sie einen Schmollmund und musterte ihn kritisch, furchtlos, so wie sie es häufig tat. Und anstatt aufzugeben, dem Chaos in ihm Platz zu machen, beschwor er mehr von der Dunkelheit in sich, einen Sturm, der den Gang der Ewigkeit beinahe zum Einsturz brachte.
Es war ihm gleich. Er würde diese Tür öffnen – auf die eine oder andere Art.
Ceto brüllte etwas, aber Asher verstand ihn nicht. Weiter und weiter entfesselte er den Äther, zog ihn aus jedem Winkel seiner selbst und dieses Ortes.
Plötzlich konnte er den Bann der uralten Tür in sich spüren, das lebendige Schloss, und er griff danach, hielt an der Magie fest, nur um sie zurückzuschicken, gleich einem Bumerang. Schneller, kraftvoller, wütender.
Ein weiterer Schrei brach aus Asher heraus, sein Atem überschlug sich und sein Brustkorb brannte. Es roch nach verbranntem Öl, modrigem Holz und Schwefel.
Es war heiß und es wurde dunkel.
Und mit einem Schlag, mit einem explosionsartigen Ruck, dehnte sich die Tür aus und es war vorbei. Er hatte es geschafft.
Von dem Eingang und dem Korridor selbst war fast nichts übrig, beinahe nur Schutt und Asche. Ashers Finger rutschten vom Holz ab und rissen dabei Splitter mit sich. Blut rann warm über sein Gesicht – vielleicht war es auch Öl, er wusste es nicht. Die Ranken hatten ihn ziemlich heftig erwischt und einige Treffer an seinen Armen und Schläfen erzielt, aber besonders an seinem Rücken.
Bevor er schwer atmend nach vorne kippte, gestattete er sich ein Grinsen. Elarian hatte ihn nicht aufgehalten. Noch nicht. Dieser Gedanke gab ihm neue Kraft.
Und Mila war bei ihm, das wusste er. Er stellte sich vor, wie sie seinen Namen sagte, und nahm ihre Stimme in seinen Gedanken wahr. War das Einbildung?
»Auch wenn meine Worte dich nicht finden können, ich bin bei dir«, wisperte er. »Kämpfe, Mila. Kämpfe!«
Ich bin bei dir. Halte durch.
Das erste Mal, seit er denken konnte, war Tariel betrunken. Er hatte Götterwein probiert. So nannten die Ewigen ihn, weil es das einzige Gemisch war, das ihre Sinne benebeln konnte. Eine spezielle magische Formel wurde diesem Getränk beigemischt. Es war hochkonzentrierter, flüssiger Äther mit etwas Honig. Diese Weine waren selten, denn das Mischverhältnis musste genau passen, ansonsten wirkten sie nicht – oder sie vergifteten denjenigen, der sie trank.
Um Tariel herum drehte sich alles. Er war in Micaels Heim. Dort hatte er den Wein im hintersten Winkel der Küche gefunden – mit einem Bann geschützt und einem Unsichtbarkeitsmantel umgeben. Verborgen, aber nicht unauffindbar.
Nun saß Tariel auf Micaels buntem, kariertem Lieblingssessel, umgeben von all dem Menschenkram, den dieser so geliebt hatte, und schaute sich alles genau an. Schallplattenspieler, Poster, drei verschiedene Gameboys – zumindest hatte Micael die Geräte so genannt. Tariel hatte keine Ahnung, was man damit machte. Ein überdimensionaler Fernseher, ein alter Computer, unhandlich und eckig, Musikinstrumente, sogar eine Popcornmaschine stand in der Ecke.
Verflucht! Was hatte er an diesem Schrott gefunden? Wieso hat er sich all das hierhingestellt und es genossen? Es schien, als wäre Micael lieber ein Mensch gewesen als ein Ewiger. Hatte er sich deshalb gegen ihn und den Rat gestellt? Nein, das glaubte Tariel nicht. Aber wieso hatte er dann sterben müssen …?
Tariel nahm einen weiteren großen Schluck und musste husten, weil das Getränk wie die Hölle brannte. Welch Ironie! Dennoch wärmte es ihn von innen und gab ihm das Gefühl, nicht vollkommen leer zu sein.
Erst vor kurzer Zeit hatte er geschworen, dass Micaels Tod nicht umsonst gewesen wäre und er Mila finden würde. Diese Mission zu Ende zu bringen, war sein Ziel. Und sosehr er an das glaubte, wofür der Rat stand und was seine Welt ausmachte, so sehr verachtete er all das in diesem Moment vollkommen.
Man hatte ihnen gesagt, große Fehler ließen die Welt im Chaos versinken. Es gäbe nur eine Chance, dies zu verhindern: sie zu eliminieren. Tariel hatte daran geglaubt und nach diesem Mantra gelebt. Doch zum ersten Mal fragte er sich, ob dies der einzige Weg war. Sofort schüttelte er den Kopf, um diese Gedanken zu vertreiben. Er durfte sich nicht verunsichern lassen.
Ein weiterer Schluck folgte, dann noch einer. Der Schwindel wurde stärker, die Flasche rutschte aus seiner Hand, entglitt seinen Fingern und die goldene Flüssigkeit besudelte Micaels geliebten Sisalteppich.
»Scheißdreck!«, fluchte Tariel leise, beugte sich vor und schloss die Augen. Er bettete den Kopf auf seine Hände, während er die Ellenbogen auf seine Knie stützte.
Heute würde er trauern. Morgen würde er sich auf den Weg machen. Er würde Mila finden und … das ganze Spiel beenden, damit die Welt zurück ins Gleichgewicht fand. Ja, er tat das Richtige! Und vielleicht würde er es danach schaffen, Raquel zu bestrafen, für das, was sie gemacht hatte. Ihr einen Schlag zu verpassen, den sie nicht so schnell vergaß. Sie war eine Ewige, eine Lichte, aber er würde ihr nie verzeihen, was sie Micael angetan hatte.
Ja, er tat das Richtige …
»Es tut mir leid. Es tut mir so leid«, nuschelte er wieder und wieder, ohne genau zu wissen, was es war, das ihm so leidtat.
Jedes Mal wenn Reia aufschrie, schrie Mila mit. Jedes Mal wenn stattdessen Mila an der Reihe war und sie vor Schmerzen das Bewusstsein verlor, holte Rólan sie zurück in die Realität, zurück ins Hier und Jetzt. Er gönnte ihnen keine Pause mehr, seine Geduld war aufgebraucht und seine Maske war endgültig gefallen. Mila hatte längst geahnt, was darunter verborgen lag.
»Wir wissen beide, dass du das nicht mehr lange durchhältst.«
Sein Gesicht war nun ganz dicht vor Milas, sein Atem wallte ihr entgegen, sein Schweiß roch süßlich und seine vor Gier und Zorn funkelnden Augen brannten sich in ihre. Mit einer Hand umklammerte er fest ihr Kinn und hielt ihren Kopf oben. Ein Lächeln formte sich auf seinen Lippen. Mila fragte sich, wie jemand wie Rólan so klingen konnte – angenehm, nahezu feinfühlig. Die Stimme passte ganz und gar nicht zu ihm.
»Und falls dir dein eigenes Leben egal ist, solltest du wissen, dass Reia auch nicht mehr lange durchhalten wird. Siehst du die Schnüre in Keryms Händen?« Er beugte Milas Kopf ein Stück. Sie erkannte pechschwarze, dicke Stricke, die mit irgendetwas beschmiert waren. Plötzlich regten sie sich. Die Schnüre bewegten sich von allein. »Sie sind mit einem Zauber belegt. Sobald Kerym sie loslässt, werden sie sich um Reias Hals schlingen, und mit jeder Frage, die du mir nicht beantwortest, werden sie sich enger und enger schnüren, bis deine geliebte neue Freundin qualvoll vor deinen Augen erstickt.«
Rólans Lachen erfüllte den Raum, während er Milas Kinn ruckartig losließ, sodass ihr Kopf nach vorn kippte.
Nein! Das konnte er nicht tun. Ihr Blick fand Reias und ihre Freundin lächelte sie warm an und nickte. Mila wusste, was das hieß: Halt durch. Lass nicht zu, dass sie gewinnen. Gib nicht nach.
Aber konnte sie das? War es das wert? War sie selbst es wert?
»Nein«, hauchte sie und war machtlos gegen das Gefühl und die Enge in ihrer Brust und Kehle, gegen den Druck, der sich aufbaute, und die Tränen, die zu fließen begannen. Was sollte sie nur tun?
Rólan trat ein, zwei Schritte zurück, breitete dabei die Arme aus, als wollte er eine Frage stellen, bevor er sie abwartend vor der Brust verschränkte. Schräg hinter ihm trat Kerym zu Reia und die Vorfreude, die sich auf seinem Gesicht widerspiegelte, ließ Mila erschaudern.
Mila starrte Rólan stumm an und hoffte, er würde den Hass und die Abscheu, die sie für ihn empfand, darin sehen.
»Du bist töricht«, spuckte er nur aus und gab Kerym ein Zeichen. Sogleich ließ er den breiten Strick los, der sich wie ein Parasit an Reia heftete. Diese wehrte sich so gut sie konnte, mobilisierte alles an Kraft, das ihr geblieben war – dennoch war sie chancenlos.
»Aufhören!«, schrie Mila, ruckelte an den Fesseln, an dem Stuhl und zog sich dabei weitaus tiefere Wunden zu.
»Oh, es kann aufhören. Du musst nur kooperieren«, erwiderte Rólan. Das Seil lag nun fest um Reias Hals und streckte ihn auf unnatürliche Weise.
»Dein Blut schimmert golden. Du bist kein reiner Mensch. Was bist du?«
»Ich weiß es nicht!«, rief Mila.
»Welche anderen Fähigkeiten besitzt du, außer etwas Rauch und Nebel zu erzeugen und so stur und nervtötend zu sein? Warum beschützt Asher dich?«
Statt zu antworten, brüllte Mila vor Frust auf, wobei ihre Stimme keine zwei Sekunden lang hielt, bevor sie brach und verstummte. Tonlos schrie sie weiter, weinte leise und fluchte in Gedanken. Sie wollte auf keinen Fall etwas verraten, doch noch weniger wollte sie Reia verlieren. Wenn sie nur irgendwie den Turmalin berühren könnte, wenn sie nur Mim und Pan befreien könnte …
Rólan schnalzte gekonnt mit seiner Zunge, schüttelte spielerisch den Kopf – als würde es ihm leidtun und ihm all das hier missfallen.
»Mila, Mila, Mila. Sag mir, was du weißt, oder ich gebe Kerym ein Zeichen, dass er fortfahren darf.«
Die Kälte, die sie einnahm, war nicht die, die sie kannte. Ihre Macht schlief oder wurde von den Ketten absorbiert. In ihr war nichts, das sie erspüren konnte. Nur Müdigkeit. Nur Leere. Nur diese normale, nicht magische Kälte …
»Da ist nichts«, brachte sie hervor.
»Vielleicht glaubst du das sogar. Aber es stimmt nicht.« Rólan gab Kerym, ohne zu zögern, ein Zeichen und augenblicklich keuchte Reia auf.
»Bitte nicht«, flehte Mila und es war ihr gleich, dass sie bettelte.
»Was weißt du?«, keifte Rólan, trat erneut schnellen Schrittes vor sie und ohrfeigte sie so kräftig, dass sie samt Stuhl zur Seite kippte und auf den Boden krachte. Für einen Moment verschlug es ihr den Atem. Sofort zog er sie wieder hoch, stellte den Stuhl aufrecht und schlug wieder zu. Mila spürte, wie ihr Gesicht anschwoll.
»Lass mich weitermachen«, drängte Kerym mit einem wahnsinnigen Ausdruck in den Augen. Er konnte es anscheinend kaum erwarten, Reia noch mehr leiden zu sehen.
»Halt die Klappe, du Idiot!«
Mila konnte Blut schmecken. Sie versuchte, es auszuspucken, vor allem, weil sie den metallischen Geschmack hasste. Ihr Körper pochte, brannte und fror zugleich. Er war wie ein Gemisch aus Feuer und Eis.
Was weißt du?
Wer bist du?
Was versteckst du?
Warum wirst du beschützt?
All diese Fragen prasselten beständig auf Mila ein, drohten, sie unter sich zu begraben, ertönten wieder und wieder in ihr wie ein endloses Echo.
Bin ich kaputt? Bin ich zerbrochen?, fragte Mila sich plötzlich und sie hoffte, dass es nicht so war. Aber selbst wenn nicht, so war sie sich nicht sicher, wie lange das so bleiben würde.
Reia röchelte und kniff die Augen zusammen. Das Atmen fiel ihr deutlich schwerer. Kerym beugte sich zu ihr, drückte seine Nase in ihr Haar und sog ihren Duft tief ein. »Na, wie fühlt sich das an? Die Sterblichkeit?«, fragte er Reia und sein Grinsen wurde breiter und breiter.
»Lasst sie gehen! Dann sage ich euch, was ihr wissen wollt.« Milas Blick fand Reias. Sie lächelte ihre Freundin an, wobei sie die Risse in ihren trockenen Lippen spürte.
»Oh nein, die Zeit für Verhandlungen dieser Art ist abgelaufen. Du wirst es uns verraten, so oder so. Bevor oder nachdem Reia tot ist. Die Entscheidung liegt bei dir.«
»Du bist ein Monster«, spuckte Mila ihm entgegen.
»Deine Meinung ist mir herzlich egal, Halbling. Du bist nicht das eine und nicht das andere. Denkst du nicht, Monster würde besser zu dir passen?« Sein dreckiges Lachen ertönte, bevor seine Miene erneut zu Stein gefror.
Mila zuckte bei seinen Worten zusammen.
»Bring es zu Ende, Kerym. Jetzt.«
Rólan drehte sich um und wollte gehen. Reia würde sterben.
»Nein!«, krächzte Mila, bäumte sich auf und wehrte sich ein letztes Mal so sehr gegen die Fesseln, dass ihr Stuhl ins Wanken geriet. »Du hast gewonnen. Du hast gewonnen …« Schluchzend flehte sie und bettelte. »Ich sag dir alles, was ich weiß. Alles. Aber lass Reia am Leben. Bitte, lass sie leben.«
Rólan hielt inne. Kerym beobachtete ihn genau wie auch Mila, während Reia tapfer um jeden Atemzug kämpfte. Gleich würde sie das Bewusstsein verlieren.
Er hob die Hand und machte eine lockere Bewegung, die Kerym dazu brachte, mit den Zähnen zu knirschen. Das konnte nur eines bedeuten: Rólan gab das Zeichen aufzuhören. Mila spürte die Erleichterung in jeder Faser ihres Körpers, als Kerym wütend den Zauber löste und damit die Schlinge um Reias Hals. Ihr Kopf kippte zur Seite und sie keuchte. Immer wieder gab sie leise rasselnde Geräusche von sich, die Mila kaum ertrug. Reias Hals war dick, blau und grün. Manche Stellen leuchteten hell- oder tiefrot.
Rólan drehte sich um und kam zurück. Gelassen, ruhig, aufmerksam. Er materialisierte sich einen Stuhl, setzte sich vor Mila und richtete seine Kleidung. »Lass mich das nicht bereuen.«
Mila nickte. In ihrem Kopf arbeitete es unaufhörlich. Konnte sie mehr Zeit schinden? Konnte sie noch irgendetwas tun?
»Was weißt du?«
Mila zögerte – solange es ihr möglich war. »Nicht viel. Ich kam nach Prag, um meine Wurzeln zu finden. Ich bin dort geboren.«
Rólan beugte sich vor. »Halt mich nicht hin.«
Natürlich war Mila bewusst, dass das nicht das war, was er wissen wollte.
»Ich … ich bin anders.«
»Kerym!«
»Nein! Warte! Ich meine, ich war schon immer anders. Ich …« Mila rang nach Worten und nach Luft. Alles tat ihr weh. »Ich bin in Prag Ewigen begegnet. Jemandem, der mir … wehtun wollte. Asher hat mich gerettet.« Sie versuchte, die Dinge nur zu umreißen, so viel wie nötig und so wenig wie möglich preiszugeben.
»Was meinst du mit anders?«
»Ich konnte Dinge, die andere nicht konnten.«
»Und was?«, knurrte er.
Mila schwieg.
»Zwing mich nicht, ein weiteres Mal fragen zu müssen«, drohte Rólan und Mila spürte bereits seine Macht, die an ihrer Haut kratzte.
»Graue Menschen«, brachte Mila hervor. »Ich sehe graue Menschen.«
»Graue Menschen. So ein Schwachsinn! Das ist alles?« Mit zusammengezogenen Augenbrauen musterte er sie skeptisch. »Das glaube ich kaum.«
Er beugte sich vor und legte seine große Hand auf ihren Oberschenkel, direkt auf die Wunde, die er ihr zugefügt hatte. Mila wusste, wenn er zudrückte, würde sie vor Schmerz zergehen.
»Sie sind grau, weil sie bald sterben werden. Das kann ich sehen«, presste sie hervor.
»Unglaublich«, hauchte Rólan und ein Glänzen trat in seine Augen, das Mila einschüchterte. Begierig, neugierig. »Du siehst tatsächlich graue Menschen? Und das heißt, sie sterben bald … Kannst du noch mehr, kleine Mila?«
Der Druck seiner Finger nahm merklich zu. Er war noch nicht zu fest, aber bald. Kerym stand währenddessen wie bisher neben Reia, die kaum die Augen offen halten konnte. Seine Finger zuckten, als könnte er sie kaum davon abhalten, Reia zu erwürgen.
»Nein.« Mila log und Rólan wusste es. Sie war schon immer eine schlechte Lügnerin gewesen.
Kraftvoll presste er seinen Daumen in die rote, erhitzte Wunde, die er vor Stunden mit seinem Messer verursacht hatte. Sein Gesicht glich einer Fratze. Mila keuchte, riss den Mund auf, aber kein Ton verließ ihn. Tränen rannen über ihr Gesicht.
Asher!
Ihr Blut quoll aus der bereits leicht entzündeten und stark geschwollenen Wunde, während Rólan seinen Daumen drehte und weiter hineinbohrte. Die Übelkeit folgte sofort. Mila lehnte sich zur Seite und übergab sich vor Schmerzen.
Rólan zog sich zurück, wischte seine Finger ausgiebig und genüsslich an Milas Kleid ab, das ohnehin nur noch wie ein Stofffetzen an ihr hing, und wartete.
»Möchtest du deine Antwort ändern?«
Der Geschmack in Milas Mund war so ekelerregend, dass sie beinahe ein weiteres Mal gewürgt hätte. Als sie sich aufrichtete, verzog Rólan das Gesicht.
»Du siehst ja grauenvoll aus.« Er zauberte ein Taschentuch hervor, wischte Mila das Gesicht sauber und schmiss es danach zu Boden, neben ihre nackten, eiskalten Füße. »Viel besser. Also?«
Seine Stimme war angenehm, wohlklingend und spielerisch. Lockend. Auf keinen Fall würde sie sich von ihm einwickeln lassen.
»Machen wir mit etwas anderem weiter. Warum wollte man dir wehtun? Wegen deiner Gabe, richtig?«
Mila nickte erschöpft. Zu mehr war sie nicht in der Lage.
»Sehr gut, du machst das wunderbar. Und Asher hat dich gerettet. Wieso tut er das immer wieder?« Rólan legte gespielt nachdenklich einen Finger an sein Kinn. Reste von Milas Blut klebten daran.
Bei der Frage musste sie an Asher denken, an seine Augen, sein Grinsen, seinen Kuss – sie musste damit aufhören! Schnell sah sie fort, denn sie hatte deutlich gespürt, wie Wärme in ihr Gesicht gestiegen war.
»Oh, ich verstehe. Das ist – wahrlich aufschlussreich.« Ungläubig lachte er auf. »Und jetzt verrate mir endlich, was genau es mit deiner Gabe auf sich hat.«
Fieberhaft suchte Mila nach einem Ausweg, doch bevor sie antworten konnte, erblickte sie Rólans Messer, mit dem er einen weiteren Riss in ihr Bein zog.
»Zwing mich nicht, Reias Schicksal unwiderruflich zu besiegeln. Ein zweites Mal werde ich Kerym nicht aufhalten. Meine Geduld ist am Ende!«
Sich vor Schmerzen krümmend schrie Mila in Gedanken erneut Ashers Namen.
Das Gefühl, dass ihm etwas entging, er etwas nicht bemerkte, das er definitiv bemerken sollte, saß tief. Und das war nicht Cetos genervte und zugleich sorgenvolle Stimme, die auf ihn einredete.
Immer wieder dämmerte Asher leicht weg. Ein fauler Geschmack lag auf seiner Zunge und die Dunkelheit in ihm wollte mehr, obwohl er geschwächt war. Mehr Zerstörung, mehr Kämpfe, mehr von allem.
Das Öffnen der Tür und das Freilegen des Portals hatten ihn mehr Kraft gekostet, als er gedacht hatte und zugeben wollte. Ein leichtes Stöhnen entwich ihm, das er jedoch schnell im Keim erstickte. Jeder seiner Muskeln war angespannt, unter Strom, und so gern er sofort weitergegangen wäre: Er brauchte einen Moment …
»Scheiße! Asher, hörst du mich?«
Ceto drehte ihn zur Seite, sodass er sich setzen musste. Ashers Gegenwehr war, das musste er zugeben, nicht besonders groß. Eine Pause war das Letzte, wofür sie Zeit hatten. Trotzdem sackte sein Kopf gegen die Überreste des Türrahmens. Eine der Ranken, die in seinem Rücken steckte, brach ab und bröckelte zu Boden. Asher verzog das Gesicht.
»So ein Dreck!« Ceto fluchte zu viel. Oder noch nicht genug – je nachdem, welchen Blickwinkel man einnahm. »Ich schwöre dir, wenn du nicht gleich antwortest, muss ich dir eine knallen!«
Asher hörte ihn, aber er konnte sich gerade nicht rühren. Er driftete immer wieder ein bisschen weg.
Und … er hörte Mila schreien! Ganz dumpf in den hintersten Winkeln seines Verstandes schrie sie seinen Namen. Sie hatte Schmerzen.
Asher keuchte auf.
»Ich hab dich gewarnt«, begann Ceto zur gleichen Zeit, als Asher die Kraft fand, seine Lippen zu bewegen.
»Mila«, flüsterte er erstickt mit zugepressten Augen.
»Ja, wir finden sie. Sie und Reia!«
»Nein«, murmelte Asher. »Sie schreit, wir müssen …«
»Asher!« Ceto rüttelte an ihm, ohne dabei an Ashers Schmerzen zu denken. Es war ihm anscheinend egal.
»Ich muss zu ihr …«
Ceto gab ihm schließlich eine schallende Ohrfeige. »Reiß dich zusammen! Du weißt, es ist unmöglich, dass du ihre Stimme hörst. Das funktioniert so nicht. Wir sind in einer anderen Sphäre. Sie steht nicht neben dir, ist nicht in Reichweite. Du halluzinierst! Verstehst du mich?«
Nein, er konnte Mila deutlich wahrnehmen. Er musste sich beeilen. Seine Augen öffnend atmete er tief durch und erhob sich mit Cetos Hilfe wankend aus den Trümmern.
»Ich kann sie hören«, beharrte Asher und fixierte Ceto genau. Dieser widersprach nicht. Asher wusste, er glaubte ihm nicht. Er wusste selbst, dass es nicht sein konnte, aber … »Vielleicht ist es Einbildung, aber …« Träge fuhr er sich übers Gesicht.
»Ich weiß, Bruder. Ich weiß.«
Ceto legte ihm eine Hand auf die Schulter. Umgehend holte Asher mit letzter Kraft aus und schlug ihm ins Gesicht.
»Jetzt sind wir quitt«, sagte er nur, bevor er den fluchenden Ceto durch das Portal zog.
Neheva. Erst ein einziges Mal war er hier gewesen. Zu Beginn, kurz nachdem Elarian diese Sphäre geschaffen und sich dorthin zurückgezogen hatte. Manche sagten, Elarian sei dem Wahnsinn verfallen, andere, er sei gebrochen. Beides traf zu. Asher konnte ihn nicht nur verstehen, er war auch schuld daran, dass Elarian verschwunden war. Sein Bruder hatte allen Grund, ihn und diese Welt zu hassen.
Das Portal zu überwinden war ebenfalls eine Hürde gewesen. Es war nicht wie die anderen, kein normaler Durchgang, sondern ein weiteres Schloss, ein weiterer Test, den Elarian sich erdacht hatte. An jeder Abzweigung hatte es versucht, sie zu verschlingen, ins Nichts zu ziehen oder zu erdrücken. Ceto hatte dieses Mal die meiste Arbeit gehabt. Er hat Asher durch das Portal geschoben und gelotst, weil dieser noch zu benebelt und geschwächt gewesen war, um es allein zu schaffen.
Nun waren sie da. Neheva. Ein wundervoller Name, der Elarian und jeden anderen Ewigen an das erinnern sollte, was verloren gegangen war.
Ein Leben. Lyah. Lyah-Neheva.
Asher schluckte schwer und blickte sich um. Das Portal hatte sich geschlossen. Ceto und er standen in einer Halle, die einer Ruine glich. Die Trümmer wirkten so alt wie die Zeit. Antiker Kalk- und Sandstein. Die Ecken dieses Raumes waren von Spinnweben besetzt und die Steine an vielen Stellen kaputt, am Zerfallen. Staub hatte sich über die Fenster und den Boden gelegt wie ein zartes Tuch. Hier und da fiel Licht durch kleine milchige Fenster. Der Boden war durchbrochen von den Ranken, die Asher bereits hatte kennenlernen dürfen. Ab und an zuckten sie, zogen sich an den Säulen empor und umschlangen sich gegenseitig. Mit jedem Brocken, der sich von der Wand oder der meterhohen Decke löste, ertönte ein ohrenbetäubendes Krachen.
Ehrfürchtig legte Ceto den Kopf in den Nacken und drehte sich um die eigene Achse.
»Das ist ja riesig. Riesig, dreckig und unheimlich. Was bitte soll dieser Ort hier sein?«
»Elarian will keinen Besuch. Wie es scheint, hat sich nichts geändert.«
»Das merkst du erst jetzt?« Mit hochgezogenen Augenbrauen sah er ihn überrascht an. »Du denkst nicht, dass die uralte, verriegelte Tür mit dem Bann, der dich beinahe umgebracht hätte, und den fleischfressenden Monsterranken deutlich genug war? Oder das Portal, in dem sich noch weitere hundert Portale verbergen? Nein?«
Asher seufzte und sein Lid begann zu zucken. »Bring mich nicht dazu, dir noch eine reinzuhauen. Ich warne dich.«
Jetzt war nicht die Zeit für Sarkasmus und Spielereien. Dafür war Asher zu angespannt, zu konzentriert. Seine Macht war nicht so erschöpft wie sein Körper – und das war gefährlich. Wenn er die Kontrolle verlor … Ceto sollte sich besser zusammenreißen. Trotz der Strapazen, die er hinter sich hatte, war Asher ihm noch immer überlegen.
In dem Moment, in dem Ceto etwas erwidern wollte, hob Asher die Hand und stoppte ihn. Es war zu ruhig. Sie sollten hier nicht zu lange verweilen.
»Tu mir einen Gefallen«, bat er leise. »Zieh bitte die restlichen Ranken aus meinem Rücken.«
»Es blutet noch.«
»Ich weiß.«
»Da ist nur noch eine kleine und … warte.« Cetos Finger fuhren über Ashers Schulterblatt und es brannte wie die Hölle, als sie neben einer der Wunden innehielten. »Eine steckt noch in der Haut. Ich muss …«
»Tu es«, unterbrach Asher ihn und hielt still. Er wusste, was kommen würde. Wahrscheinlich hatte die Ranke sich festgehakt.
»Mach schon!«, presste er hervor, als Ceto sich nicht rührte.
Wenige Sekunden später spürte er den Druck in der Wunde und biss so fest die Zähne zusammen, dass sein Kiefer schmerzte. Die Hände zu Fäusten geballt stand er da und konnte ein Keuchen und Knurren nicht unterdrücken, als Ceto die Ranke schließlich mit einem Ruck aus seinem Rücken riss.
»Scheißdreck!«, fluchte Ceto leise. »Die haben Widerhaken am Ende.« Asher drehte sich schwer atmend zu ihm um und konnte erkennen, wie sein Bruder die Rankenreste angewidert von sich warf. »Elarian ist ein Mistkerl.«
Asher entgegnete nichts. Er hatte Schlimmeres verdient. »Komm. Wir müssen weiter. Sei auf der Hut. Das hier ist zu …«
»Einfach. Ich weiß.« Sie maßen sich mit Blicken und nickten einander zu. »Dahinten ist eine weitere Tür. Wir sollten sie uns mal ansehen.«
Jeder Schritt, jeder Atemzug kostete Kraft. Das war es, was Elarian wollte: Seine Gegner schwächen, sie auszehren, sie brechen, bevor sie zu ihm kamen, sodass er sie nur noch anpusten musste, damit sie umfielen.
Kritisch musterte Asher die hohe filigrane Tür, auf die sie zugingen. Makellos weiß. Ohne Flecken, ohne Staub und ohne Dreck. Sie stach aus diesem grauen Ort hervor wie ein Diamant. Misstrauisch blieb er davor stehen, nahm sich Zeit, die er nicht hatte, und überlegte. Was würde hinter dieser Tür lauern?
»Was denkst du?«
»Ich hab keine Ahnung«, murrte Ceto. »Aber selbst wenn, würde es keinen Unterschied machen. Wir würden durch die Tür gehen, oder?« Seine Frage war keine. Das war ihnen beiden klar. Was auch immer dahinter lag, sie würden sich ihm stellen.
»Bereit?«, fragte Asher entschlossen.
»Scheiße nein, du etwa?«
»So sehr, wie man es in Neheva sein kann.« Asher materialisierte ein Schwert, wiegte es in der Hand und schwang es. Ceto tat es ihm gleich. Zwei Langdolche erschienen und ein freches Grinsen bildete sich auf seinem Gesicht.
»Lass uns gehen und Elarians Arsch aufreißen.«
Asher grinste zurück und nickte, bevor er seine freie Hand auf die Tür legte. Er hinterließ dunkle Flecken auf der zuvor so reinen Fläche, schmierte Blut und Dreck darauf. Mit geschlossenen Augen streckte er seine Fühler aus und suchte nach einer Energiesignatur. Aber er fand nichts.
»Eigenartig«, murmelte er und versuchte es erneut. »Die Tür ist … nur eine Tür.« Mit Bedacht ließ er seine Hand sinken und seine Gedanken kreisten.