Mondlichtkrieger - Ava Reed - E-Book

Mondlichtkrieger E-Book

Ava Reed

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Beschreibung

Teil 1 – Mondprinzessin Teil 2 – Mondlichtkrieger . Und der Mond schuf sich Kinder aus seinem Staub, aus seinem Herzen und aus den Sternen … Sie haben sich gefunden und sie haben sich verloren. Jetzt sinnt Juri nach Rache und will nichts mehr, als das Versprechen halten, das er Lynn gab. Aber kann er das schaffen, ohne sich selbst zu verlieren? Mondprinzessin - Lovelybooks Leserpreis 2016 Fantasy & Science Fiction

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Mondlichtkrieger

Ava Reed

Copyright © 2018 by

Astrid Behrendt

Rheinstraße 60

51371 Leverkusen

http: www.drachenmond.de

E-Mail: [email protected]

Lektorat: Tanja Selder

Korrektorat: Michaela Retetzki

Layout: Michelle N. Weber

Illustrationen: Melina Goldberg (Melis Art)

Umschlagdesign: Alexander Kopainski

www.kopainski.com

Bildmaterial: Shutterstock

ISBN 978-3-95991-417-8

Alle Rechte vorbehalten

Für das Leben und die Hoffnung.

Für die Liebe und das Glück.

Für zweite Chancen.

Für dich.

Inhalt

Vorwort

1. Juri

2. Lynn

3. Juri

4. Juri

5. Malik

6. Juri

7. Juri

8. Lynn

9. Juri

10. Malik

11. Juri

12. Juri

13. Lynn

14. Malik

15. Juri

16. Juri

17. Malik

18. Juri

19. Juri

20. Malik

21. Juri

22. Juri

23. Juri

24. Lynn

25. Juri

26. Lynn

Epilog

Übersicht

Danksagung

Über die Autorin

Bücher von Ava Reed

Vorwort

Für alle, die Mondprinzessin nicht gelesen haben: Legt dieses Buch am besten erst einmal zur Seite, denn Mondlichtkrieger ist der zweite und finale Teil.

Mondlichtkrieger war nie geplant, denn Mondprinzessin war für mich der Anfang der Geschichte und auch das Ende.

Bis ihr kamt.

Dieses Buch hier habe ich für euch geschrieben. Für jeden Leser, der Lynn in sein Herz geschlossen hat, für jeden, der auch eine Tia möchte und sich in Juri verliebte. Für jeden, der mehr sieht als nur Sterne, wenn er den Blick hebt.

Danke. Danke für all eure zauberhaften Worte.

Egal, ob ihr das Ende von Mondprinzessin mochtet oder nicht: Für mich gab es nie ein anderes. Es hat sich richtig angefühlt, damals und heute. Weil es trotz allem Hoffnung in sich trägt, weil man, wenn man die Augen schließt, alles weiterspinnen und seiner Fantasie freien Lauf lassen kann. Weil man sich selbst aussuchen kann, was weiter passiert und wie. Manche von euch haben sich dennoch gewünscht, dass ich es aufschreibe. Und das habe ich getan. Ich habe die Hoffnung, die Verzweiflung und Trauer, den Wunsch nach Rache, die am Ende des ersten Teils bleiben, genommen und daraus einen zweiten Teil gemacht. Für jeden, der am Ende von Teil eins nicht glauben wollte, dass es das wirklich gewesen ist, geht es nun weiter mit Juri.

Ich weiß nicht, ob ich euch hiermit die Geschichte und das Ende geben konnte, das ihr euch wünscht oder vorstellt, aber ich hoffe, Mondlichtkrieger wird euch berühren. Ich hoffe, er kann eurer Fantasie und vor allem euren Herzen gerecht werden. Denn die Mondprinzessin war von Beginn an gedacht für alle Träumer und Romantiker. Für jeden mit Mut im Herzen und Liebe in der Seele. Für alle, die es schaffen, in jedem Tag die versteckten Wunder dieser Welt zu sehen.

Ihr seid ein Teil davon. Vergesst das nicht.

Rache

vengeance

revenge

intikam

месть

vendetta

venĝo

‹÷‚¬

hämnd

wraak

vingança

oтмъщение

venganza

Und der Mond schuf

sich Kinder aus seinem Staub,

aus seinem Herzen und aus den Sternen …

Wenn sie starben, vergingen sie nicht.

Sie wurden wieder zu dem, was sie waren.

Zu Licht, Staub und Herz. Zu einem leuchtenden,

funkelnden Stern am Himmelszelt, mit Erinnerungen

aus vergangener Zeit, ohne Körper, aber voller Sehnsucht.

Bis wieder alles vergessen ist, bis aus Licht,

Staub und Herz wieder ein Kind wird.

Ein ewiger Kreislauf, bis heute.

Tag um Tag.

Kapitel 1

Juri

Wenn man etwas verliert, das man aufrichtig und innig liebte, ist es möglich, dass man einen Teil seiner selbst ebenso verliert.

Einen Teil … oder alles.

»Ich verlasse dich nicht. Ich werde da oben sein und für dich leuchten – jede Nacht. Ich werde auf dich warten. Hab Mut im Herzen und Liebe in der Seele.«

Meine Hände greifen nach dir, halten dich fest. Ich höre deine Worte, sie sind wie ein Flüstern. Ich schreie und schreie, bis meine Lunge sich anfühlt, als würde sie Feuer fangen. Ich sehe dein Lächeln, ich sehe das letzte Mal dein Gesicht – bevor du mit Tia verblasst. Ich kann dir nicht helfen. Ich kann dich nicht retten.

Ich verliere dich!

Schweißgebadet wache ich auf. Mein keuchender Atem erfüllt das Zimmer, das T-Shirt klebt an mir, alles dreht sich, mir wird übel und ich kneife die Augen zusammen, um mich nicht übergeben zu müssen. Verfluchte Scheiße!

So leise wie möglich hebe ich die Beine über die Bettkante und setze mich aufrecht hin. Kira schläft am Ende des Bettes, so wie jede Nacht. Dort oder direkt neben mir.

»Es tut mir leid«, dringt ihre verschlafene Stimme zu mir. Ich will sie nicht immerzu wecken, auch heute nicht. Genauso wenig wie ich wieder und wieder dasselbe träumen will. Aber das liegt nicht in meiner Macht, ich kann es nicht verhindern.

Wie kann etwas so schön und gleichzeitig so grausam sein? Ich bin zerrissen. Jede Nacht sehe ich Lynns Gesicht vor mir – ihres und Tias. Jede Nacht stirbt Lynn in meinen Armen und ich kann nichts dagegen tun. Es fühlt sich real an. Der Traum gibt mir das Gefühl, ich könne noch etwas ändern, es besser machen. Er ist eine Lüge.

Ich stütze mich auf meinen Oberschenkeln ab, beuge mich vornüber und warte. Darauf, dass mein Puls sich beruhigt, mein Herz weniger und gleichmäßiger schlägt und die Übelkeit abklingt. Darauf, dass aus der Hitze Kälte wird und mein Körper versteht, dass nichts davon passiert ist – nicht heute Nacht.

Aber es wird nicht besser. Jetzt ist einer dieser Augenblicke, der mich unter sich begräbt und mir keine Chance lässt, ihm zu entkommen. Leise stöhnend hebe ich meinen Kopf und drücke mich mit beiden Händen von der Matratze ab. Ich gehe einen Schritt – dann umfasst mich bereits ein Hauch von Nichts.

Mein Zimmer habe ich hinter mir gelassen. Ich stehe woanders, habe mich teleportiert so weit es ging. Ein Schritt, ein weiterer. Ein tiefer Atemzug.

Jedes Mal ist es wie eine Reise in die Vergangenheit. Wie ein neuer Versuch, zu ändern, was nicht mehr zu ändern ist. Jedes Mal höre ich sie in meinem Kopf: Mut im Herzen, Liebe in der Seele. Und ich antworte still: Hoffnung im Herzen und Träume in der Seele.

Gute Träume, die viel zu selten da sind. Und starke Hoffnung. Weil es das ist, was ich brauche. Weil ich ohne beides nicht mehr hier wäre. Nicht aufrecht stehen könnte oder die Kraft finden würde, Tag um Tag aufzustehen und zu kämpfen.

Vielleicht werde ich am Ende nicht stark genug sein. Doch nichts und niemand dieser oder anderer Welten wird mich davon abhalten können, es zu versuchen.

Alles in mir schreit nach Rache!

Alles in mir will Malik für das büßen lassen, was er getan hat. Egal, wie er es rechtfertigte.

Alles in mir will Lynn zurück.

Seit dem Moment, in dem sie zu Sternenstaub wurde. Seit einundachtzig Tagen, drei Stunden und unzähligen Minuten und Sekunden. Seit einer Ewigkeit.

Hier, in diesem Raum, zwischen diesen Wänden und auf diesem Boden, weiß ich, dass dieses Ziel das einzige ist, das mich zusammenhält.

Meine Aufmerksamkeit lässt Momenten wie diesen, in denen vergangene Zeiten mich einholen, nach, meine Reaktionen sind nicht so gut wie üblich, deshalb bemerke ich die Schritte hinter mir erst sehr spät. Dumpfe, vertraute Schritte, die an diesem Ort beinahe so oft erklingen wie meine. Im Augenwinkel sehe ich Faras eintreten, während ich mitten im Raum stehend verharre und auf diesen einen Punkt auf dem Boden blicke. Er ist immer noch rot. Der ganze Raum ist wie zuvor, nichts wurde verändert. Wir wollten es so, als Mahnmal, als Erinnerung. Als Andenken an sie, das niemand kennt oder gesehen hat, außer uns beiden und unseren Seelentieren. Aber in Nächten wie diesen ist der Drang, das Blut aus dem Gestein des Bodens zu reißen, so stark, dass ich mich kaum traue zu atmen.

»Einundachtzig Tage«, sagt Faras nur, als er neben mich tritt. »Ich wünschte, ich hätte etwas tun können.«

Ich antworte nicht. Diese Unterhaltung, die eigentlich keine ist, führen wir beinahe jedes Mal, wenn wir uns hier begegnen. Er nennt mir die Tage von Lynns Abwesenheit und wünscht sich mehr und mehr, es wäre nicht passiert. Obwohl er leidet, wird er wie die anderen niemals verstehen können, wie sehr ich mir wünsche, dass es anders gelaufen wäre. Besser aufgepasst zu haben.

Fehler verfolgen einen – die einen mehr, die anderen weniger. Wir können sie verdrängen oder aus ihnen lernen. Die größten Fehler sind die, von denen man sich mit allem, was einen ausmacht, wünscht, sie wären nie passiert. Weil sie etwas schlimmer gemacht haben. Weil sie nicht klein und unbedeutend waren, nicht dazu da, um etwas zu lernen. Nein. Nur um dich zu zerstören. Und das Leben hat keinen Knopf, mit dem man es anhalten oder gar zurückspulen kann. Es läuft weiter und weiter, es zieht dich mit. Egal wohin.

Meine Brust wird enger, schnürt sich zu, das Blut vor mir verflüssigt sich, breitet sich über dem Boden aus und fließt auf mich zu. Meine Erinnerung und meine Angst vermischen sich mit meiner Vorstellungskraft. Ich schlafe schlecht. Ich weiß das. Trotzdem kann mich erst Faras’ Hand auf meiner Schulter zurück in die Realität holen, in der das Blut längst getrocknet ist und wie alte Farbe auf kühlem Stein liegt.

»Ich werde Malek finden und ich werde Lynn wiedersehen.« Jedes Mal, wenn ich hier bin, spreche ich die Worte aus, damit ich fester daran glauben kann. Sie sind während jedes Atemzugs mein Anker, auch wenn mir klar ist, dass sie sich wie ein Gift in mir ausgebreitet haben. Das weiß ich, weil ich sie in jeder Faser meines Körpers spüre, weil sie sich in jeden Moment der Ruhe drängen. Sie sind wie ein Stück Gefängnis und Freiheit zugleich. Sie sind ein Antrieb – und es ist mir egal, ob er mich am Ende ganz zerstören wird.

»Ich weiß«, sagt Faras und der Griff seiner Hand wird stärker, bevor er sie von meiner Schulter hebt und ohne ein weiteres Wort den Raum verlässt.

Mein Kopf dreht sich in seine Richtung, es ist das erste Mal, dass ich ihn anblicke, und dabei sehe ich nur noch seinen Rücken und wie er von seiner Teleportation verschluckt wird. Wir sehen uns beim nächsten Albtraum, schießt es mir durch den Kopf. Spätestens aber in zwei Tagen zur offiziellen Beisetzung der Königsfamilie. Zu Lynns. Zu Tias.

Tief einatmend schließe ich für einen Moment die Augen, genieße die Stille und die kalte, abgestandene Luft, bevor ich ein letztes Mal meinen Blick durch den dunklen Raum schweifen lasse. Trotz der Dunkelheit ist mir klar, wo welcher Stein sitzt, wie er geformt ist. Zu oft schon war ich hier, habe mir alles durch den Kopf gehen lassen. Bin von Seite zu Seite getigert, wahnhaft, um alles zu analysieren und Wege zu finden, wie es hätte verhindert werden können. Seitdem lasse ich das Licht aus. Nur die wenigen Strahlen des Korridors sind da und fallen auf den Boden vor mir.

Ich trete zurück, drehe all dem Übel meinen Rücken und gehe aus dem Raum, um mich vor der Tür zurück in mein Zimmer zu teleportieren, in dem Kira auf mich wartet. Sie liegt auf dem Bett, an dem Platz, an dem ich sie zurückgelassen habe. Ich wäre ein Narr, wenn ich glauben würde, dass sie nach meinem Verschwinden erneut Ruhe gefunden hat. Eine Entschuldigung wäre angebracht, aber mein Mund ist versiegelt, meine Lippen fühlen sich an, als hätte man sie zusammengeschweißt, der Geschmack in meinem Mund ist widerlich, mein Magen rumort. Kira sagt so wenig wie ich, aber es wäre auch nicht nötig gewesen, dass sie Worte für mich findet. Sie macht sich Sorgen, sie ist in Trauer, ist genauso wenig sie selbst wie ich. Vielleicht wegen mir.

Als ich mich erneut ins Bett lege, die Arme hinter dem Kopf verschränke, kriecht Kira vorsichtig zu mir und legt ihren Kopf auf meinen Bauch. Sie tröstet mich, auf ihre Weise, bevor sie etwas sagt, das mich erneut zu Boden reißt. Kira war schon immer beides: der Anker und der Sturm. Sie ist meine Wahrheit, mein bester Freund und mein größter Kritiker. Sie ist die, die mich ausgleicht.

»Was ist, wenn wir es nicht schaffen?«, flüstert sie und ich finde keine Antwort auf ihre Frage. Weil ich es nicht in Erwägung ziehen, nicht glauben will.

Ich weiß es nicht.

Kapitel 2

Lynn

Wenn man gefangen ist zwischen Licht und Dunkelheit, zwischen jetzt und immer, ohne Zeit und ohne Herzschlag. Wenn man nicht ist und trotzdem etwas fehlt. Wenn man fühlt, und nicht erklären kann, was oder weshalb …

Ich bin anders. Ich sehe mich um, sehe all die anderen Sterne und frage mich, ob sie in ihrer Stummheit so laut schreien wie ich. Ob sie in ihrer Ruhe so aufgewühlt sind und sie so viele Fragen plagen. Bis ich hinabsehe und etwas erblicke, das ich zu kennen glaube. Etwas, das mich berührt und alle Gedanken vertreibt. Alle Fragen, bis auf eine:

Wer bist du?

Kapitel 3

Juri

Das Leben besteht aus Momenten, in denen man fällt, und aus solchen, in denen man sich erhebt.

Alles ist wie vorher.

Nichts ist wie vorher.

Es ist nur eine große Lüge.

Und es ist das letzte Mal, dass ich meine Mondkriegeruniform tragen werde. Bis heute haben wir alle nicht nur versucht, Maliks Anschlag zu verkraften, sondern es auch geschafft, den Palastsaal wiederaufzubauen. Die Bühne sieht aus wie neu, der Mondstein glänzt, zeigt seine schönsten Seiten, die Wände und Böden strahlen. Keine Asche mehr, kein Staub, keine Trümmer und kein Blut. Der neue Anblick verleitet dazu, all den Schrecken zu vergessen, der hier geschah. All die Verletzten, all die Toten. Malik hat auf einen Schlag beinahe ein ganzes Königshaus ausgelöscht. Eigentlich hat er es geschafft, denn Faras entspringt einer anderen Blutlinie. Viele haben hier in diesem Saal ihren Bruder verloren oder ihre Schwester, die Eltern oder das Kind. Sich selbst. Das ist es, was Menua in Trauer versinken ließ. Verlust und Angst. Es ist nicht so leicht, diese Dinge zu reparieren wie diesen Saal.

Die Angestellten laufen aufgeregt und nervös umher, kontrollieren die Arrangements ein letztes Mal. Die Palastwache ist angespannter denn je, ebenso Faras’ Leibgarde, Harú und Kilan. Ich habe die beiden Hauptmänner selbst auf diesen Posten gesetzt, nachdem Faras mich zu seiner rechten Hand ernannt hatte. Er hat es nicht begründet, das musste er auch nicht. Und ich habe geschworen, ihn zu unterstützen, bis die Zeit gekommen ist.

Bis heute.

Während Faras letzte Vorbereitungen vor der Bühne trifft, tragen mich meine Beine in eine andere Richtung. Kira folgt mir stumm. Noch ist Zeit. Wenig, aber sie ist da und ich möchte sie nutzen.

Wenn der Druck und der Schmerz in mir kaum zu bändigen sind, komme ich hierher, auf den Balkon. An den Ort, an dem ich Lynn das erste Mal küsste, an dem ich ihr alles versprach und alles gesagt hätte, was sie hätte hören wollen. An den Ort, an dem ich sie bereits verloren hatte, ohne es zu wissen. Dieser Balkon wird von Hoffnung getragen. Wir wurden von ihr getragen, als wir auf ihm standen und nicht ahnten, was vor uns lag. Ja, wir waren voller Träume und Hoffnung.

Meine Lunge saugt die Luft ein. Es ist Nacht. Unten leuchten so viele Sterne wie oben. Das Volk Menuas steht vor den Toren, mit Kerzen und Fackeln, und jedes Licht sieht von hier aus wie ein Stern. Sie erstrecken sich so weit ich sehen kann und ich folge ihnen bis zum Horizont, dann lege ich den Kopf in den Nacken und schaue nach oben. Ich lebe und ich kämpfe. Weil ich es ihr versprochen habe. Weil ich sie sehe, wenn ich meine Augen schließe. Weil ich mir keinen Ort vorstellen kann, an dem es sie nicht mehr geben soll.

»Komm, es ist so weit«, höre ich Kira neben mir sagen, während sie mich mit ihrer Schnauze anstupst. Aber ich rühre mich nicht. Ich starre weiter in den Himmel, zu den Sternen – nein, ich schaue zu zwei Sternen, den beiden einzigen, die mich interessieren. Nebeneinander, klein und groß.

Meine Hand wandert zu Lynns Langstock. Jim. Ich erinnere mich an unsere erste Begegnung und an ihren ersten Moment auf Menua. Ich sehe sie bildhaft vor mir, wie sie mich skeptisch mustert und wie sie nachdenkt. Wie sie ihre Nase krauszieht. Ihr wachen, großen Augen. Mutig und ängstlich zugleich, genau wie ihr Herz. Es ist egal, wo ich bin, und es ist egal, wo ich stehe, ich höre ihre Stimme in meinem Kopf und sehe ihr Lächeln vor mir.

Kira stupst mich erneut an, dieses Mal kräftiger und drängender. Wir müssen gehen, ich weiß. Und in diesem Moment werde ich das Gefühl nicht los, dass ich eine sehr lange Zeit nicht mehr hier werde stehen können, um die vergangene Hoffnung zu spüren und den Zauber dieses Ortes.

Ruckartig löse ich mich von dem Anblick der Sterne und der Lichter Menuas und gehe mit Kira hinein. Drinnen ist es warm, die dicke Luft schlägt mir entgegen, aber sie wirkt beinahe tröstlich und gemütlich. Die Atmosphäre ist erfüllt von Trauer und Freude zugleich, von Abschied und Neubeginn.

Meine Schritte verlangsamen sich, als ich Harú wahrnehme, der direkt auf mich zukommt. Das passt sehr gut.

»Sind die Wachen auf ihren Posten? Sind die Nebeneingänge verschlossen und stehen dort Wachen?« Harú nickt zu jeder meiner Fragen.

»Ich habe eben alles überprüft. Der Zugang nach oben ist ebenfalls durch Wachen versperrt und gesichert. Für heute haben wir ihnen die Gesellschaft und die Rückendeckung ihrer Seelentiere gestattet. Ganz, wie du gewünscht hast«, berichtet er mir. Lynn hätte es so gewollt. Sie hat sich gleich zu Beginn darüber gewundert, warum die Bewohner Menuas nicht mit ihren Seelentieren durch den Palast laufen durften. Sie tat es einfach. Faras macht es seit einigen Tagen ebenso. Tay, eine Hyänendame, begleitet ihn und ist stets auf der Hut. Ich denke, er möchte damit irgendetwas wiedergutmachen. Vielleicht genießt er auch nur ihre ständige Nähe und ihren Halt. So wie ich den von Kira.

»Danke, Harú. Geh zum König. Ich werde die Wachen und Krieger am Eingang etwas unterstützen und sie ein letztes Mal einweisen.« Er nickt mir erneut zu, bevor er verschwindet und ich hoffe, er hat nicht gemerkt, dass ich eigentlich nur wegwill von hier und die Verantwortung, die auf meinen Schultern liegt, gerade nicht stemmen kann. Im Foyer kann ich versuchen, unbemerkt am Rand zu stehen. Zumindest nachdem jeder genau weiß, was zu tun ist und bis die Zeremonie beginnt.

»Wirst du es schaffen?«

»Komm, lass uns nach unten gehen, Kira.«

»Du weichst mir aus«, meckert sie. Zu Recht. »Seit Wochen. Ich bin nicht dein Feind.« Ihr Tonfall ist leise, aber nachdrücklich.

»Das habe ich nie behauptet.«

»Dann schließ mich nicht aus!«

»Glaub mir, du willst kein Teil von mir sein, Kira. Nicht von dem, der ich gerade bin. Der ich bald sein muss.«

»Aber das bin ich doch längst«, flüstert sie und ich kann nicht anders, als mich ein Stück nach unten zu beugen, um meine Hand auf ihren Kopf zu legen und über ihr Fell gleiten zu lassen. Ich würde ihr gerne sagen, dass es mir leidtut. Weil nichts davon ihre Schuld ist. Aber ich schlucke die Worte herunter, weil mit ihnen weitere hinauswollen würden. Ich darf dem nicht nachgeben. Nicht, weil ich dadurch Schwäche zeigen würde, denn das wäre mir egal. Es wäre egal, weil man auch in schwachen Momenten stark ist. Vielleicht gibt es keine, in denen man stärker ist. Und in diesem Augenblick leuchtet Kira auf, heller als zuvor, als könne sie meine Gedanken hören. Nein, weil ich mich dann in all den Worten und ausgesprochenen Dingen verlieren könnte. Worte sind immer realer als Gedanken.

Mit steifen Bewegungen gehe ich in Richtung Foyer, in dem Dutzende Wachen und Krieger warten. Heute tragen sie alle ihre Waffen klar ersichtlich. Ihre Schwerter, Dolche, Stöcke und Wurfmesser. Ihre Begleiter weichen nicht von ihrer Seite. Seit dem Anschlag wurden die Sicherheitsvorkehrungen massiv erhöht. Nicht nur auf Menua, auch auf den anderen Planeten. Faras war gezwungen, sehr zeitnah Versammlungen beizuwohnen und sich mit den Vertretern der Planeten zu beraten, anstatt zu trauern und sich selbst die Zeit zu nehmen, die er brauchte. Viele der anwesenden Vertreter kannten Malik. Zumindest dachten sie das. So wie ich.

Ich bleibe am Ende des Ganges stehen, sehe mich um. Alles ist vorbereitet, sanftes Licht erstrahlt, die kleinen Fackeln am Rand lassen Schatten an den Wänden tanzen; der schwarze Teppich, der sich im Zwielicht seinen Weg vom Eingang in den großen Saal bahnt, scheint mit uns mit zu trauern. Auch die kleinen weißen aufgenähten Sterne können daran nichts ändern. Niemand lacht. Jeder ist angespannt. Ich kann es nicht verhindern, aber genau das bringt mich erst recht dazu, zu grinsen, für ein, zwei kleine Sekunden, die viel länger scheinen, als sie sind. Weil Lynn gelacht hätte. Sie hätte eine Grimasse geschnitten oder die Augen verdreht, weil die Ernsthaftigkeit in diesem Palast so greifbar ist. Sie hätte andere zum Lachen gebracht. Zum Leben. Zum Fühlen. Egal wie. Weil sie eben Lynn war, das Mädchen, das eine Prinzessin war, ohne es zu wissen. Das Mädchen, das so viel mehr sein wollte und nicht sehen konnte, dass es das schon längst war.

Ich räuspere mich, mein Kiefer knackt, als ich die Zähne zu fest aufeinanderpresse und versuche, zu vergessen und festzuhalten zugleich. Es ist, als würde man mit sich selbst kämpfen. Mein Nacken ist angespannt, ich kreise leicht den Kopf, drehe ihn, um die Verspannung zu vertreiben, achte auf meine Atmung. Es ist schwer, sich auf das Hier und Jetzt einzulassen, wenn man etwas herbeisehnt, das noch seine Zeit braucht.

Und da sehe ich sie. Überall hängen Girlanden aus Lunaria. Sie glänzen silbergolden im Schein des Feuers. Mir ist nicht klar, wie lange ich sie betrachte, aber irgendwann gleitet mein Blick zurück zu Kira. Ich nicke ihr zu, rücke meine Schwerter und Lynns Stock zurecht. Der Anzug sitzt, die Waffen ebenso. Ich bin bereit. Egal für was oder wen.

»Ich werde mit dir kämpfen. Ich werde immer bei dir sein. Obwohl ich mir sicher bin, dass uns Rache keinen Frieden bringt … Dass uns dein Versprechen keines bringen kann, und auch wenn ich glaube, dass Lynn das nicht gewollt hätte … Ich folge dir überallhin.« Kiras Stimme dringt zu mir, laut und klar, aber nur für mich bestimmt. Ihre Worte bedeuten mir so viel, obwohl sie Zweifel wecken. Wahrscheinlich werde ich nie wissen, ob es das Richtige war. Verflucht, wer weiß das schon? Aber ich habe es versprochen. Er hat es verdient. Er wird danach nie wieder jemandem schaden. Nie wieder so viele Menschen verletzen. Obwohl Kira keine andere Wahl gehabt hätte, so ist es tröstlich zu wissen, dass sie an meiner Seite ist, weil sie will, nicht weil sie muss.

Meine Aufmerksamkeit richtet sich ein letztes Mal auf die Mondblumen und Erinnerungen, bevor sie sich auf die Krieger und Wachen richtet, die mich größtenteils mustern und abwartend ansehen. Ich erwidere ihre Blicke, halte ihnen stand, ohne zu wissen, was sie mir sagen wollen. Ihre Begleiter sind teils ruhig und abwartend, andere leuchten immer wieder hell auf, weil ihre Anspannung so groß ist, sie sind sichtbar nervös.

Ich trete mit Kira ins Foyer und erhebe meine Stimme.

»Die Gäste werden bald eintreffen. Lasst sie ein, seid freundlich, begrüßt sie. Gleichzeitig überprüft sie, denkt daran, diskret zu sein, aber gründlich.« Ich schlucke schwer. »Weist ihnen den Weg in den Hauptsaal. Aram, geh und bereite den König bei Einlass vor, damit er die Gäste ebenso begrüßen kann. Seid wachsam.« Die letzten Worte lösen sich nur schwer, verlassen nur widerwillig meinen Mund. Sie klingen wie eine Drohung, ohne dass ich es verhindern kann. Nach einem kurzen Moment nicke ich den Mondkriegern zu und trete zur Seite. Eigentlich will ich unbemerkt am Rand das Geschehen beobachten und danach direkt zu Faras zurückkehren, doch etwas in mir zieht mich woanders hin.

Mein Gefühl. Bei diesem Gedanken muss ich beinahe lachen. Es hat mich getrübt, was Malik anging. Etwas, das ich noch verarbeite. Dem eigenen Gefühl nicht mehr trauen zu können, ist etwas, das ich niemandem wünsche.

Zuerst bleibe ich stehen, versuche das Gefühl weiter zu ergründen, bis ich merke, dass ich keine andere Wahl habe, als ihm zu folgen. Also gebe ich dem Sog nach. Ich spüre Kiras Verwirrung, sehe sie in ihren Augen, aber sie fragt nicht, was ich vorhabe. Sie folgt mir still, aber wachsam die Treppen hinauf in den ersten Stock, geht mit mir durch die langen Flure, vorbei an unzähligen Zimmern. Und zeitgleich mit mir merkt sie, wohin uns mein Gefühl gebracht hat. Sie bleibt stehen, als ihr klar wird, wohin es geht.

»Nein.«

Schwer atmend und mit anschwellendem Druck in der Brust drehe ich mich zu ihr.

»Ich muss, Kira. Es wird Zeit.« Bis eben war mir das nicht klar. Jetzt schon. Und ich kann nicht einfach zurückgehen, da ich dem Drang so leicht nachgegeben habe und ihm gefolgt bin. Ich muss weitergehen.

»Nein«, flüstert sie und das erste Mal in all der Zeit ist sie es und nicht ich, die ihren Schmerz und ihre Trauer nicht verbergen kann. Ihr Licht flimmert, flackert, bricht.

»Du kannst draußen warten, wenn du das willst. Aber ich muss das tun«, erwidere ich so verständnisvoll wie möglich.

»Warum? Warum jetzt und warum überhaupt? Wir waren nicht da, seit …« Sie beendet den Satz nicht und das ist auch nicht nötig. Seit dem Ball, seit diesem Tag waren wir nie wieder hier oben und erst recht nicht in Lynns Zimmer. Wir haben zu viel in unserem gesessen, in Versammlungen und Konferenzen. Ich war zu oft in einem anderen Raum, getränkt von Blut und Tod. Aber nie hier.

»Wenn ich es erklären könnte, würde ich es tun. Wir werden morgen nicht mehr hier sein, vielleicht nie wieder. Ich weiß nicht, was die Zukunft bringt. Ich kenne den Plan, das Ziel, aber nicht das Ende. Ich muss …« Ja, was? Ein letztes Mal alles sehen? Abschied nehmen? Es ist egal und das wäre es ebenso, wenn ich es wüsste.