Atlan 36: Eine Welt für Akon-Akon (Blauband) - Marianne Sydow - E-Book

Atlan 36: Eine Welt für Akon-Akon (Blauband) E-Book

Marianne Sydow

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Beschreibung

8000 Jahre vor Beginn der irdischen Zeitrechnung: Atlan von Gonozal, Kristallprinz und offizieller Thronfolger des riesigen Arkon-Imperiums, wurde seines Thrones beraubt. Seit der Ermordung seines Vaters regiert Imperator Orbanaschol III. über Tausende von Sonnensystemen. Orbanaschol sieht sich mehr denn je vom rechtmäßigen Thronfolger bedroht; sein Ziel ist, den geflüchteten Atlan zu beseitigen. Er beauftragt den Magnortöter Klinsanthor - ein gefährliches Wesen, von dem nur noch uralte Legenden und Mythen berichten. Unterdessen erwachte der rätselhafte Fremde, dessen Name Akon-Akon auf die verleugneten Stammväter der Arkoniden hinweist. Der Junge von Perpandron zwingt die Besatzung der ISCHTAR unter seinen Willen und lässt das Schiff auf der Wasserwelt Ketokh landen. Akon-Akon sieht sich als Herrscher, doch seine Unerfahrenheit erweist sich ebenso als Hemmschuh wie seine Arroganz ... Enthaltene ATLAN-Heftromane: Heft 233: "Eine Welt für Akon-Akon" von Marianne Sydow Heft 234: "Die Wassermenschen von Ketokh" von Clark Darlton Heft 235: "Revolte der Parias" von Clark Darlton Heft 236: "Station der Geister" von Marianne Sydow Heft 237: "Hexenkessel der Transmitter" von Dirk Hess Heft 238: "Das Erbe der Akonen" von H.G. Francis

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Nr. 36

Eine Welt für Akon-Akon

1.

1240. positronische Notierung, eingespeist im Rafferkodeschlüssel der wahren Imperatoren. Die vor dem Zugriff Unbefugter schützende Hochenergie-Explosivlöschung ist aktiviert. Fartuloon, Pflegevater und Vertrauter des rechtmäßigen Gos’athor des Tai Ark’Tussan. Notiert am 34. Prago des Tedar (Bordzeit) gleich 3. Prago des Ansoor eines ruhenden Beobachters nach Dilatationskorrektur gemäß Arkon-Standard, im Jahre 10.499 da Ark.

Bericht des Wissenden. Es wird kundgegeben: Nach wie vor sind wir in einem Albtraum gefangen, wie er kaum schlimmer sein könnte. Nicht einmal ich hatte mit dem gerechnet, was nach dem Abflug von Perpandron mit uns passierte. Zwar hatte mir der eher verzweifelt wirkende Versuch, auf der Welt der Goltein-Heiler Hilfe für Atlans Vater zu suchen, grundsätzlich nicht gefallen – aber dieses Abenteuer hatten wir unbeschadet überstanden. Nicht einmal die Machenschaften der selbst ernannten Seelenheiler konnten uns am Abflug hindern.

Eine Analyse von Atlans Bericht über die Abenteuer in der fremdartigen subplanetaren Stadt lieferte leider statt Antworten nur neue Fragen. Die geheimnisvolle Strahlung, die die Leichen von Tieren und Pflanzen zu zerfallen hinderte, das merkwürdige Kugelschalengebilde der Stadt, das silbrige Licht, die Riesenkäfer- und Flügeltierroboter, die goldene Würfelhalle mit dem schwarzen Sockel und dem vermeintlichen Omirgos sowie der Junge von Perpandron selbst entzogen sich einer klaren Beurteilung.

Eine Untersuchung des Wachen, wie der Seelenheiler Klemir-Theron laut Atlan den jungen Mann genannt hatte, führte zu dem Ergebnis, dass er ohne Zweifel noch lebte, keinerlei gesundheitlichen Schaden zeigte und ganz und gar arkonoid war, obwohl er damit nicht zwangsläufig ein Arkonide sein musste. Wir schätzten sein biologisches Alter auf nicht mehr als sechzehn Arkonjahre, über die Dauer seines Tiefschlafs – oder wie immer die Konservierung zu umschreiben war – ließ sich nur spekulieren.

Der Junge ist 180 Zentimeter groß, das Gesicht weist den edlen Schnittadliger Familien auf und entspricht dem arkonidischen Schönheitsideal. Seine Augen sind ungewöhnlich groß und von leuchtendem Rot. Das silberne Haar reicht ihm bis auf die Schultern. Auf der Brust und auf dem Rücken gibt es stark fleckige Hautpigmentierungen. Sie wirken merkwürdigerweise keineswegs abstoßend, aber irgendwie störend. Ähnliches gilt für die sternförmigen Markierungen der Handflächen, die nicht aufgemalt sind, sondern in die Haut eingegraben zu sein scheinen wie eine Tätowierung – je nach Betrachtungswinkel schillern sie auffallend.

Der Fremde war noch bewusstlos, als beim Rückflug nach Kraumon nach der zweiten Transition am 28. Prago des Tedar 10.499 da Ark ein unsichtbarer Gegner ohne Warnung zuschlug. Eine Emotiostrahlung hielt uns um Griff, der wiederbelebte Körper von Atlans Vater wurde von einer fremden Macht übernommen und kontrolliert – wie sich später herausstellte, zweifellos von Klinsanthor, dem Magnortöter. Eine beängstigende Fähigkeit, die an jene unserer Erzfeinde erinnert: Als »Individualverformer« konnte das Vecorat genannte Fremdvolk rein geistig den eigenen Individualkörper verlassen und auf einen anderen überzuspringen, verbunden mit dem Bewusstseinsaustausch des Opfers, das im Vecorat-Körper zur Handlungsunfähigkeit verurteilt war.

Insgesamt führte die ISCHTAR unter dem Diktat der fremdgesteuerten Gonozal-Marionette vier Hyperraumsprünge durch. Unser Raumer – mit einem Durchmesser von dreihundert Metern ein »abgespeckter« Schlachtkreuzer – war beim Start von Kraumon generalüberholt gewesen, zum Teil mit Neueinbauten versehen und auf den neuesten Stand gebracht. Nach der Schlacht von Marlackskor war die Manövrierfähigkeit nur noch eingeschränkt gegeben; es gab diverse Schäden an der Hülle wie auch im Inneren. Chefingenieur Hagor Quingallen und seine Leute hatten ihr Bestes versucht, aber eine planetare Werft konnten sie mit reinen Bordmitteln nicht ersetzen. Die Gewaltmanöver der Transitionen sowie unser Flug durch die Sternenballung extrem eng stehender Sonnen irgendwo im Zentrumsbereich der Öden Insel taten das Ihre. Wir können froh sein, dass die ISCHTAR überhaupt noch einigermaßen fliegt.

Nur kurz war die Begegnung mit einer scheibenförmigen Raumstation von rund 3000 Metern Durchmesser, von deren Unterseite gitterähnliche und chromfunkelnde Konstruktionen in den Raum ragten. Über der Oberseite dieses gewaltigen Objekts spannte sich ein annähernd halbkugeliger Schirm. Und aus diesem Gebilde meldete sich der Magnortöter miteiner kurzen Botschaft, nachdem er den als Träger verwendeten Gonozal-Körper verlassen hatte: »Ich hätte euch vernichten können. Aber ich will erst die Entwicklung auf Arkon abwarten. Klinsanthor sagt dies.«

Wenige Tontas später erwachte der Junge von Perpandron. Er sprach Altarkonidisch, genauer: Altakona. Nur Adlige auf Arkon müssen diese Sprache lernen, verwendet wird sie kaum noch. Das Satron – von Same Arkon trona, »hört Arkon sprechen« – ist aus dem Altakona der »Stammväter« hervorgegangen, welches wiederum der auf Artefakten gefundenen alten und toten Sprache Lemu gleicht. Ob und welche Zusammenhänge bestehen, weiß niemand mehr, sie verloren sich in den zurückliegenden Jahrtausenden.

Mit Blick auf den Jungen war es möglicherweise ein erster Hinweis auf die Dauer seiner Konservierung. Die zeitkorrigierte Anzeige eines ruhenden Beobachters gemäß Arkon-Standard hatte die neunte Tonta am 3. Prago des Ansoor 10.499 da Ark erreicht, als er in seiner typischen Arroganz verkündet hatte, sein Name sei Akon-Akon. Auch das wies auf die seit Jahrtausenden von den Arkoniden verleugneten Stammväter.

Nach den Befreiungs- und Unabhängigkeitskriegen waren sie verschwunden, niemand hatte seither etwas von ihnen gehört. Und sollte es doch der Fall gewesen sein, unterlag es strengster Geheimhaltung. Offiziell jedenfalls ist nichts über ihr Schicksal bekannt. Es heißt, dass sie vernichtend geschlagen wurden, aber genaue Daten fehlen. Sie könnten sich zurückgezogen haben, um von einem vergessenen Winkel der Öden Insel aus erneut gegen Arkon vorzugehen. Abgesehen davon ist so viel Zeit vergangen, dass die Berichte über die damaligen Ereignisse vielfach verfälscht und mythologisch verbrämt sind. Es begann schon zur Zeit von Imperator Gwalon I. und setzte sich unter seinen Nachfolgern massiv fort. Von eingeweihten Kreisen abgesehen, ist heute nicht einmal mehr der Begriff Stammväter Allgemeingut. Ich für meinen Teil weiß zwar etwas mehr, aber das tut derzeit nichts zur Sache …

Ich frage mich, ob Akon-Akon eine Waffe der Akonen sein könnte, die eigentlich viel früher hätte zum Einsatz kommen sollen. Seine Fähigkeit der selektiven Hypnosuggestion, stärker als jeder mir bekannte Psychostrahler, hält uns jedenfalls im Bann. Nicht einmal Atlans Extrasinn und sein Monoschirm helfen, und auch ich kann mich gegen die Befehle nicht wehren. Die Macht dieses Jungen ist gigantisch. Wir müssen gehorchen. Fatal ist hierbei, dass der Bursche von Raumfahrt nicht die geringsteAhnung hat und von völlig falschen Voraussetzungen ausgeht. Viele seiner Handlungen, Reaktionen und auch sein Wissen scheinen programmiert zu sein. Zunächst hielt er die ISCHTAR für eine Stadt! Die Zustände an Bord waren zeitweise mehr als chaotisch – und das dürfte noch die Untertreibung des Jahrhunderts sein. Und die ganze Zeit über rasten wir mit neunzig Prozent der Lichtgeschwindigkeit dahin – vergingen für uns kaum dreißig Tontas, waren es für einen ruhenden Beobachter knapp neun Pragos.

Akon-Akon will zu einem Planeten, sieht uns als sein Volk. Wie formulierte er es? »Ihr, meine Sklaven, alle diese starken Männer und die schönen Mädchen, mit denen ich viele Kinder haben werde. Ihr seid mein Volk. Ich habe euch ausgewählt, indem ich in eurer Mitte das Bewusstsein wiedererlangt habe.« Und das ist sein völliger Ernst. »Ich scherze niemals! Wir alle werden auf diesem Planeten landen und dort die Keimzelle eines neuen Volkes sein. Eines Volks von fähigen Sklaven. Ich als absoluter Herrscher.«

Mit einer weiteren Transition haben wir den Rand des zuvor bereits entdeckten Sonnensystems erreicht. Das Zentrum der Sternenkonzentration, in das Klinsanthor die ISCHTAR entführt hat, ist nun knapp acht Lichtjahre entfernt. Astronomin Algonia Helgh glaubt inzwischen eine gewisse Ähnlichkeit zu einem Sternhaufen entdeckt zu haben, den wir bei der Suche nach dem Dreißigplanetenwall aus der Ferne kartografiert hatten; ob es sich tatsächlich um die Ketokh-Ballung handelt, muss vorläufig offenbleiben, aber es wäre ein erster Anhaltspunkt für unsere Position. Fest steht, dass sich in beiden Fällen mehrere hundert Sonnen in einem Raumsektor von kaum zehn Lichtjahren Durchmesser drängen. Sollte es die Ketokh-Ballung sein, ist das galaktische Zentrum knapp 1900 Lichtjahre und Kraumon fast 13.000 Lichtjahre entfernt.

Die angesteuerte blaue Riesensonne – provisorisch Ketokhs Stern getauft – wird von insgesamt achtundzwanzig Planeten umkreist. Zwei sind Sauerstoffwelten innerhalb der Lebenszone und nach arkonidischen Maßstäben bewohnbar – Nummer sieben und Nummer acht. Damit haben wir Akon-Akons Auftrag, eine Welt für ihn zu finden, fast gelöst. Für unser persönliches Problem gilt das nicht, sein Einfluss hält uns nach wie vor im Bann.

An Bord der ISCHTAR: 12. Tonta am 3. Prago des Ansoor 10.499 da Ark

»Wir müssen ihn benachrichtigen«, brummte Fartuloon missmutig. »Ich bin gespannt, welchen der Planeten er sich aussucht. Wer meldet sich freiwillig?«

Wir sahen uns unbehaglich an, denn jeder scheute sich, Akon-Akon persönlich gegenüberzutreten. Mit viel Mühe hatten wir uns so weit von ihm frei gemacht, dass wir das Raumschiff steuern konnten. Ein einziger Blick in die übergroßen roten Augen würde uns wieder in willenlose Untertanen des Jungen von Perpandron verwandeln.

In Gedanken verfluchte ich zum wiederholten Mal die Idee, auf der Welt der Goltein-Heiler zu landen, denn damit hatte das ganze Unglück angefangen. Aber ich hatte gehofft, meinem Vater helfen zu können, der nach seiner Wiederbelebung als seelenloses Wesen dahinvegetierte. Meine Hoffnungen hatten sich nicht erfüllt, stattdessen fanden wir Akon-Akon und nahmen ihn mit.

Zu diesem Zeitpunkt hatten wir uns ziemlich wenig dabei gedacht, denn der Junge befand sich in einer Art Tiefschlaf, aus dem ihn niemand wecken konnte. Erst während des Fluges war er dann aus irgendeinem Grunde zu sich gekommen. Seit er aktiv war, glich die ISCHTAR einem Tollhaus. Und er beherrschte uns restlos. Selbst Vorry, der Magnetier, der beim besten Willen nicht als übermäßig sensibel zu bezeichnen war, konnte sich der Ausstrahlung des Jungen nicht entziehen. Selektive Hypnosuggestion hatte mein Ziehvater und Lehrmeister die Fähigkeit genannt. Damit hatte der Einfluss zwar einen Namen, geholfen hatte es uns aber nicht.

»Nach der Landung verbessern sich hoffentlich unsere Chancen«, fuhr der Bauchaufschneider fort. »Solange er an Bord ist, können wir nichts gegen ihn unternehmen, aber ein Planet sollte uns genug Möglichkeiten bieten, ihn loszuwerden.«

»Verlangt er noch einmal von mir, vor ihm auf die Knie zu fallen«, knurrte Ra aus dem Hintergrund, »bringe ich ihn um.«

»Versuch’s doch«, empfahl Fartuloon trocken.

Ra schwieg. Er wusste natürlich, dass Akon-Akon unangreifbar war. Nicht einmal der Versuch, ihn mit einem umprogrammierten Medoroboter auszuschalten, hatte funktioniert.

»Die Frage erübrigt sich«, sagte Sonnenträgerin Karmina da Arthamin. »Der hohe Herr beliebt, selbst zu kommen.«

Wenig später marschierte der Vorbote des nahenden Zuges zum Hauptschott herein.

»Der Herrscher naht!«, schrie er mit überschnappender Stimme und tanzte wie besessen durch die Zentrale. Dazu schwenkte er ein Bündel bunter Stoffstreifen. Die Tücher waren mit duftenden Essenzen präpariert und verströmten die verschiedensten Gerüche. Fartuloon hielt sich demonstrativ die Nase zu, Ra verdrehte die Augen. Der Bote Akon-Akons achtete nicht darauf, drehte sich wie ein Kreisel um seine eigene Achse, sprang auf ein Instrumentenpult und breitete die Arme aus, um seine Botschaft zu verkünden. »Macht Platz für Akon-Akon. Bereitet euch vor auf den Anblick seiner Herrlichkeit und verbannt aus euren Herzen alles Düstere, damit ihr seinen Glanz nicht mit schmutzigen Gedanken befleckt …«

»Du wirst gleich selbst befleckt sein«, versprach Ra grimmig. »Nimm deine plumpen Füße von den Instrumenten, sonst könnte es passieren, dass ein paar Sicherungen durchbrennen. Oder willst du uns Akon-Akons Herrlichkeit im Dunkeln präsentieren?«

Der Mann blickte den Barbaren verblüfft an, stieg von dem Pult und fuhr mit seinem Monolog fort. Aber die Unterbrechung hatte ihm etwas von seinem Schwung genommen, zumal seine Worte rasch in einem zunehmenden Getöse untergingen. In den drei Tontas seit der Verkündung seines Namens hatte es der Junge von Perpandron fertiggebracht, seiner »Würde« einen beeindruckenden äußeren Rahmen zu verleihen.

Eine Schar von Frauen führte den Zug an. Sie tanzten in flatternden, hemdartigen Kleidern herein, schwangen bunte Tücher und sangen ein altes arkonidisches Kampflied. Die Begleitung lieferte die nachfolgende Kapelle. Bis auf eine Ghad-Flöte, die einem der Maschinisten gehörte, gab es an Bord der ISCHTAR kein richtiges Musikinstrument, aber unter Akon-Akons Einfluss waren allerlei Geräte zweckentfremdet worden. Leere Behälter verschiedener Größe, mit dünnen Fäden an einem metallenen Rahmen befestigt, bildeten ein Glockenspiel. Aus einem metergroßen Trichter drangen urwelthafte Laute, Metallplatten schlugen rasselnd und scheppernd zusammen, und das Dröhnen improvisierter Trommeln lieferte den Rhythmus zu dieser »Musik«.

Der Kapelle folgten die Leibwächter des Jungen. Es war kaum zu glauben, dass es sich bei diesen wild aussehenden Männern um zivilisierte Raumfahrer handelte. Sie waren bis auf winzige, blutrote Lendenschurze völlig unbekleidet. Ihre Körper glänzten von den Ölen, mit denen sie sich eingerieben hatten. Bunte Farbstreifen verwandelten die Gesichter der zwanzig Männer in boshafte Grimassen. Jeder hatte sich mit einem Speer und einem langen, leicht gebogenen Schwert bewaffnet – sprich: zweckentfremdeten Metallstücken. Um ihre Fußgelenke schlangen sich geflochtene Synthetikbänder, an denen kleine Glocken hingen. Keine Ahnung, woher sie die hatten.

Die Wächter verteilten sich schnell und schweigend und nahmen an den Wänden Aufstellung. Vor der nüchternen, technisch orientierten Umgebung dieses Raumes wirkten sie geradezu lächerlich, außerdem war ihr Auftritt völlig überflüssig. Niemand vermochte es, Akon-Akon anzugreifen. Warum also diese Demonstration?

Er ist unsicher geworden, raunte mein Extrasinn. Die Erkenntnis, nicht am vorbestimmten Ort erwacht zu sein, war für ihn ein Schock. Außerdem misstraut er vor allem dir und Fartuloon. Ihr habt zu viel Initiative bewiesen.

Von dumpfen Trommelwirbeln begleitet, hielt Akon-Akon endlich Einzug in die Zentrale. Sechs Raumfahrer trugen eine schwere, glänzende Metallplatte, in deren Mitte der Junge mit untergeschlagenen Beinen auf einem Haufen bunter Kissen saß. Seine riesigen Augen schweiften gelassen umher, sein edel geformtes Gesicht blieb völlig ausdruckslos. Auf einen kaum merkbaren Wink hin setzten die Träger die Sänfte ab. Akon-Akon erhob sich und trat auf uns zu. Vergeblich bemühte ich mich, ihn als das zu behandeln, was er war: ein ungebetener Gast an Bord, der sich eine Menge Frechheiten herausnahm und uns durch seine Arroganz in direkte Gefahr brachte. Die Augen zwangen mich auf die Knie.

Akon-Akon war etwas kleiner als ich, hager, ohne schwächlich zu wirken. Unter normalen Bedingungen hätte er in einem Kampf gegen mich keine Chance gehabt – aber die Bedingungen waren eben nicht normal. Ich war nicht einmal mehr fähig, den Kopf zu bewegen und mich umzusehen.

»Ihr habt eine Welt gefunden?« Akon-Akon wandte sich in Altarkonidisch an Fartuloon und mich. Allerdings brauchte er viele seiner Befehle nicht direkt auszusprechen und übersetzen zu lassen. Seine »Untertanen« gehorchten inzwischen so gut, dass er sie mit Blicken zu lenken vermochte. Seine Stimme drang wie durch eine Watteschicht an meine Ohren. Ich konnte nur stumm nicken. »Wie sieht sie aus?«

»Es sind zwei Planeten«, begann ich stockend. »Wir warten auf deine Entscheidung. Du musst uns sagen, welcher von ihnen dir besser gefällt.«

»Ich möchte diese Planeten sehen.«

Ein Teil der psychisch bedingten Lähmung fiel von mir ab. Ich rief die bislang gewonnenen Informationen auf Bildflächen und Holos, doch der Junge warf nur einen flüchtigen Blick darauf. »Damit kann ich nichts anfangen«, protestierte er. »Gibt es keine besseren Bilder?«

»Wir sind noch zu weit entfernt.«

»Dann fliegt näher heran.«

»Die beiden Planeten befinden sich, relativ zur Sonne gesehen, an entgegengesetzten Punkten ihrer Umlaufbahn«, mischte sich Fartuloon ein. »Wir müssen uns jetzt entscheiden, welchen wir anfliegen wollen, oder wir verlieren Zeit.«

Akon-Akon wurde unsicher. Ich merkte es, weil ich mich freier bewegen konnte. Fartuloon blinzelte mir zu und legte wie zufällig die Hand auf sein Skarg. Ich schüttelte vorsichtig den Kopf. Die Wächter beobachteten uns argwöhnisch. Bei der ersten falschen Bewegung würde sich auch Akon-Akon wieder voll auf uns konzentrieren.

»Erklär mir die Bedeutung dieser Zeichen und Bilder«, wandte sich der Junge an mich.

Ich setzte ihm Punkt für Punkt die Unterschiede auseinander, die sich anhand der Daten für die beiden Welten ergaben. Nummer acht war uns mit 14,8 Milliarden Kilometern Entfernung näher als Nummer sieben mit 15,7 Milliarden; der Planet befand sich innerhalb der Lebenszone, aber das Klima war recht rau und unterlag starken Schwankungen. Nummer sieben schien mir für eine Landung besser geeignet zu sein, obwohl der größte Teil seiner Oberfläche von Wasser bedeckt war. Die mittleren Temperaturen lagen etwas unter Arkonnorm. Auch die Schwerkraft war normal. Für einen Umlauf benötigte die Welt fast 750 Pragos. Bei einer Eigenrotation von 22,5 Tontas ergaben sich 661 planetare Tage pro Jahr.

»Gibt es auf einem der Planeten intelligente Wesen?«

»Wir können diese Frage jetzt noch nicht beantworten. Intelligenz lässt sich mit der Fernortung nicht messen. Sobald wir näher sind, können wir vielleicht Spuren einer Besiedlung erfassen, aber sollte es dort Wilde geben, die sich auf den Bau von Laubhütten beschränken, werden wir sie erst kennenlernen, wenn wir ihnen gegenüberstehen.«

»Das ist schlecht.« Der Junge von Perpandron kletterte wieder auf seine Sänfte, machte es sich auf den Kissen bequem und ließ sich zu weiteren Befehlen herab. »Ihr werdet den günstigsten der beiden Planeten ansteuern. Es liegt in eurem eigenen Interesse, keine Fehler zu machen, denn ihr selbst werdet schließlich darunter leiden müssen. Benachrichtigt mich, sobald wir uns der neuen Welt so weit genähert haben, dass ich sie betrachten und beurteilen kann.«

Die Träger wuchteten die Metallplatte in die Höhe und trugen Akon-Akon hinaus. Die Leibwächter marschierten würdevoll hinterher, die Kapelle folgte. Der Letzte, der von dem Gefolge schließlich noch übrig blieb, war der Arkonide mit den duftenden Tüchern. Er stand neben dem Schott und schien nicht recht zu wissen, was er jetzt tun sollte. Ra, der sehr stark unter dem demütigenden Gefühl litt, als Sklave behandelt zu werden, ging langsam auf ihn zu, betrachtete ihn von oben bis unten, schnupperte an den Tüchern und ließ sich plötzlich auf den Boden fallen.

»Bote des Herrschers«, winselte er, tastete nach dem rechten Bein des Mannes und zwang ihn, ihm den Fuß auf die Schulter zu setzen. Verblüfft sah der »Herold« auf den demütig vor ihm kauernden Barbaren.

»Bist du jetzt auch übergeschnappt?«, fragte Vorry interessiert.

Ra lachte übermütig und richtete sich abrupt auf. Der Bote Akon-Akons flog in einem fast perfekten Salto rücklings durch das geöffnete Schott. »Guten Flug. Und die allerbesten Grüße an den Herrn der Welten.«

»Das war nicht nötig«, sagte ich, als der Bote davongeschlichen war. »Der arme Kerl kann schließlich nichts dafür. Er wird von Akon-Akon beeinflusst, genau wie wir auch.«

»Unsinn.« Ras gute Laune war verflogen. »Ein paar von den Kerlen spielen sehr gerne mit. Hast du das noch nicht gemerkt?«

Ich schwieg bedrückt, machte mir große Sorgen um die Mannschaft der ISCHTAR. Ra hatte den wunden Punkt getroffen. Es schien wirklich so, als seien einige unserer Leute voll auf den Kurs des Jungen eingeschwenkt. Die Hingabe, mit der sie diesen rätselhaften Fremden bedienten, ließ sich nicht mehr nur mit Akon-Akons unheimlichen Fähigkeiten begründen. Es steckte mehr dahinter.

»Ist er weg?« Algonia Helgh betrat vorsichtig die Zentrale, sah sich nach allen Seiten um und erkundigte sich nach den Ereignissen. »Er hat uns also die Wahl gelassen. Ginge es nach mir, würden wir Nummer acht ansteuern. Am besten einen der Pole. Sollen ihm die Zähne klappern und die Finger frieren, da wird er seine Arroganz schon vergessen.«

Fartuloon schüttelte den Kopf. »Der nicht. Er wird uns eher zu Eisklumpen erstarren lassen, als selbst auch nur die leiseste Erkältung in Kauf zu nehmen. Atlan, was gedenkst du zu tun?«

Ich war der Kommandant dieses Schiffes, in dem sich gut fünfhundert Personen aufhielten. Zugegeben, Algonias Vorschlag hatte seine Reize, aber das Risiko, dass nicht Akon-Akon der Leidtragende war, erschien mir zu groß. »Nummer acht fällt aus«, entschied ich. »Wir steuern die Wasserwelt an, fortan Ketokh genannt.«

Wir gingen an unsere Plätze. Wir mussten mit den wenigen Leuten, die Akon-Akon uns für den Bordbetrieb zugestand, dieses Raumschiff beherrschen – dies allerdings nur in technischer Hinsicht. Die Impulstriebwerke fuhren hoch und beschleunigten die ISCHTAR. Die Hauptstrecke würden wir mit siebzig Prozent der Lichtgeschwindigkeit zurücklegen und dennoch zur Überwindung der Distanz etwa zehn Tontas Bordzeit benötigen. Zeitkorrigiert waren es für einen ruhenden Beobachter dagegen vierzehn Tontas.

Deine Zukunft wird von Akon-Akon bestimmt, raunte der Extrasinn. Du musst ihn unschädlich machen.

Das weiß ich auch, dachte ich ärgerlich zurück. Aber kannst du mir verraten, wie ich das anstellen soll?

Der Extrasinn schwieg.

Während beim Anflug die obligatorischen Fernmessungen liefen, nutzte ich diese einigermaßen ereignislose Zeit dazu, uns allen wenigstens eine kurze Pause zu verschaffen. Ich konnte mich kaum noch daran erinnern, wann ich das letzte Mal richtig und gut geschlafen hatte. Den anderen ging es nicht viel besser. Fartuloon protestierte zwar, als ich ihn für die erste Freiwache einteilte, aber das half ihm wenig. Vorry blieb bei mir – das Tonnenwesen brauchte nur wenig Schlaf.

»Ob es auf dem Planeten genug Eisen gibt?«, erkundigte er sich besorgt. »Ich habe einen gewaltigen Hunger. Eigentlich könntest du mir als altem Freund wenigstens ein Gleiterchen oder so servieren.«

Ich musterte schläfrig die Kontrollen. Es war alles in Ordnung. »Du bist und bleibst ein Vielfraß. Aber wie wäre es, wenn du deinen Hunger nutzbringend anwendest und Akon-Akons Kabinenwände anknabberst?«

»Ich wüsste nicht, was ich lieber täte. Leider geht es nicht. Einer der Leibwächter hat mir vorhin sein Schwert wie einen Köder vor die Nase gehalten. Ich hätte so gern zugeschnappt, aber ich konnte es nicht. Was wirst du tun, wenn wir auf dem Planeten gelandet sind?«

»Ich weiß es nicht. Vielleicht sollte man ihn in die Schleuse stellen und ihm einen Tritt geben. Und dann – Alarmstart. Aber das sind Wunschträume.«

»Ein Roboter wäre seinem Einfluss nicht unterworfen. Ich hasse es, Grundnahrungsmittel zu verschwenden, aber in diesem Fall heiligt der Zweck die Mittel.«

»Ich habe versucht, eine Maschine so zu programmieren, dass sie den Jungen betäubt.« Ich seufzte. »Hat nicht geklappt. Es sieht so aus, als müssten wir uns mit Akon-Akon noch einige Zeit abfinden.«

Das Gespräch versandete, später kam die Ablösung. Ich wankte in meine Kabine, ließ mich, so, wie ich war, ins Bett fallen und war sofort eingeschlafen.

Als mich Fartuloons dröhnende Stimme aus dem Schlaf riss, hätte ich ihn am liebsten hinausgeworfen, aber der Bauchaufschneider hielt sich vorsichtshalber außerhalb meiner Reichweite auf.

»Unser Gast wird ungeduldig«, sagte er. »Er fragt ständig nach, ob wir unserem Ziel nicht endlich nahe genug wären, um es optisch erfassen zu können.«

»Was habe ich damit zu tun? Schaltet die Bildübertragung ein, dann sieht er es doch selbst.«

»Das reicht ihm nicht. Er hat dich allem Anschein nach ins Herz geschlossen und möchte von dir persönlich über die Lage aufgeklärt werden.«

Wütend kletterte ich aus dem Bett, rückte meine Kleidung zurecht und machte mich auf den Weg.

Es gelang mir, Akon-Akon zu beruhigen, obwohl ich dafür sehr viel Geduld brauchte. Der Junge verstand von Raumfahrt so gut wie gar nichts. Er war darauf eingestellt, auf einem Planeten zu erwachen, dort eine funktionierende Zivilisation vorzufinden und sie unter seine Herrschaft zu zwingen. Darüber hinaus war er fest davon überzeugt, nahezu allwissend zu sein – ein Umstand, der die Verständigung mit ihm ungeheuer schwer machte. Er hatte offenkundig nicht die geringste Absicht, etwas hinzuzulernen, meine rein sachlichen Erklärungen waren ihm eigentlich gleichgültig. Ihn plagte nur die Angst, dass wir ihn hintergehen könnten – einfach weil wir von Dingen sprachen, die er nicht verstand.

Endlich gab er sich mit dem Angebot zufrieden, das weitere Geschehen auf dem Bildschirm zu verfolgen, bestand aber darauf, dass die Sprechverbindung zwischen ihm und uns ständig nach beiden Seiten offen blieb. Das war ausgesprochen lästig.

Nach mehrmaligem Quartierwechsel hatte er es sich nun in einem Hangar gemütlich gemacht. Dort gab es eine Reihe abgeteilter kleinerer Räume, die er mit allem verfügbaren Luxus ausgestattet hatte – seine Gemächer, in die er sich zurückzog, wenn er ruhen wollte. Was leider viel zu selten vorkam, denn Akon-Akon verfügte über schier unerschöpfliche Energie. Der Rest der Halle war unter beträchtlichem Arbeitsaufwand in eine Arena verwandelt worden. Von einer pomphaft geschmückten Galerie aus beobachtete Akon-Akon seine Leibwächter, die dort unten trainierten, ab und zu gab es auch blutige Schaukämpfe, zu denen alle seine Untertanen »eingeladen« wurden.

Zwischendurch mussten die weiblichen Besatzungsmitglieder »unserem Herrscher« huldigen, indem sie für ihn sangen und tanzten. Akon-Akon hatte sehr exotische Vorstellungen über Tänze und Musik. Unsere Raumfahrerinnen waren in dieser Richtung kaum vorbelastet. Sie waren kampferprobt und tapfer, klug und tüchtig – aber keine brachte Erfahrungen aus der Unterhaltungsbranche mit. Daher fielen ihre Darbietungen ziemlich kläglich aus, was man durch eine überlaute Geräuschkulisse auszugleichen versuchte. Und diesen ganzen Lärm mussten wir nun in der Zentrale über uns ergehen lassen.

Als wir mit der Normaloptik Einzelheiten der Oberfläche auf die Schirme projizieren konnten, ließ Akon-Akon das Programm in der Halle unterbrechen. »Warum landen wir immer noch nicht?«

Ketokh hatte einen Durchmesser von 13.280 Kilometern, die Achsneigung betrug achtzehn Grad. Ein rötlicher Mond umkreiste den Planeten in einer mittleren Distanz von 455.000 Kilometern mit einer synodischen Umlaufzeit von knapp 35 planetaren Tagen.

»Wir haben eine Ein-Tonta-Umlaufbahn erreicht«, sagte Fartuloon so geduldig, als spräche er mit einem kleinen Kind. »Bevor wir zur Landung ansetzen, müssen wir einen geeigneten Platz finden. Wir umkreisen auf einer genau berechneten Bahn mehrmals den Planeten, um nichts zu übersehen.«

Akon-Akon schwieg. Sein Gesicht, das von einem Schirm starrte, zeigte einen beinahe verächtlichen Ausdruck.

Unter uns zog das riesige Meer vorbei. Es gab viele Inseln von beträchtlicher Ausdehnung, zwischen denen sich Ketten kleiner Inseln erstreckten. Blaugrüne Flächen auf dem äquatorialen Hauptkontinent zeigten das Vorhandensein von Vegetation an. Wir sahen auch einige tätige Vulkane und schneebedeckte Gebirgsketten, die in ihrer groben Y-Form die Landmasse in drei Bereiche gliederten. In Küstennähe gab es Objekte, die uns in helle Aufregung versetzten. Es waren zum Teil riesige Gebilde, die offensichtlich nicht auf natürliche Weise entstanden waren. Städte! Mehr noch – schwimmende Städte!

Dort unten gab es eine fremdartige Zivilisation, die einen relativ hohen Stand der Technik erreicht haben musste. Auf den Landflächen der Inseln und des Kontinents selbst gab es kaum sichtbare Spuren einer Besiedlung. Das ließ den Schluss zu, dass es sich bei den Eingeborenen um Wasserbewohner handelte. Da sie sich schwimmende Städte gebaut hatten, mussten sie imstande sein, sich auch außerhalb des nassen Elements für längere Zeit wohlzufühlen, aber sie entfernten sich vermutlich nicht allzu weit vom Wasser. Dennoch waren sie dabei, auch das Festland zu erforschen. An den Küsten gab es zahlreiche kleinere Anlagen – Brückenköpfe einer wassergebundenen Zivilisation am Rand der Großinseln und des Hauptkontinents.

»Das sieht nicht sehr einladend aus«, brummte Fartuloon missmutig nach der dritten Umkreisung. »Hoffentlich bekommen wir keinen Ärger mit den Fremden. Ich möchte wetten, dass sie ein kriegerisches Volk sind.«

»Was bringt dich auf diese Idee?«

»Du brauchst dir nur die Anlage ihrer Städte und Brückenköpfe anzusehen. Solche Gebilde entstehen nur in einer straff organisierten Gesellschaft, in der das Schicksal Einzelner unwichtig ist.«

»Das mag in vielen Fällen zutreffen, aber hier sollten wir mit unseren Schlussfolgerungen vorsichtig sein. Es sind fremde Wesen. Sie haben ein anderes Weltbild und andere Auffassungen davon, was nützlich oder schön ist. Außerdem scheinen sie sich auf das Meer und schmale Küstenstreifen zu beschränken. Wenn wir im Zentrum des Hauptkontinents landen, werden wir kaum mit ihnen in Berührung kommen.«

»Und wenn sie uns angreifen? Sie könnten die Landung beobachten und nach uns suchen.«

Ich sah ihn verwundert an. So kannte ich den alten Bauchaufschneider gar nicht. Fartuloon strich sich verlegen durch den Bart und zuckte mit den Schultern. »Ich habe ein ungutes Gefühl. Wahrscheinlich ist es besser, den anderen Planeten …«

»Das kommt nicht infrage«, sagte Akon-Akon überraschend. »Es hat lange genug gedauert. Ich möchte endlich meine Welt in Besitz nehmen.«

»Und die Eingeborenen?«

»Ich habe keine Angst vor ihnen. Wir landen!«

Damit war die Entscheidung gefallen. Fartuloon betrachtete das Bild auf den Schirmen noch immer mit größter Abneigung, und auch ich hatte plötzlich das Gefühl, einen schwerwiegenden Fehler zu begehen, aber gegen Akon-Akons Befehl kam keiner von uns an. Wir wählten ein breites, lang gezogenes Tal im Herzen des Hauptkontinents, fast 2000 Kilometer von den Küsten entfernt. Es gab dort einen Fluss und relativ reiche Vegetation. Die felsigen Hügel und Berge ringsum boten eine gute Deckung gegen mögliche Angreifer.

Wir setzten am frühen Morgen Ortszeit knapp nördlich des Äquators auf – es war die zehnte Tonta am vierten Prago des Ansoor 10.499 da Ark nach Dilatationskorrektur gemäß Arkon-Standard. Wir hatten Akon-Akons Auftrag erfüllt und mit Ketokh eine Welt für ihn gefunden.

»Wir verlassen das Schiff«, verkündete der Junge von Perpandron. »Versammelt euch vor der Schleuse. Ich werde euch sagen, was ihr zu tun habt. Atlan, du kommst sofort zu mir.«

Die ISCHTAR dröhnte vom Geräusch hastiger Schritte, als ich mich gehorsam auf den Weg machte. Niemand vermochte sich dem Befehl zu widersetzen. Mir fiel auf, dass keiner der Raumfahrer daran dachte, die Ergebnisse der üblichen Analysen abzuwarten. Es nahm auch niemand Gepäck oder Waffen mit nach draußen. Schweigend eilten sie nach unten, der Bodenschleuse entgegen. Die meisten wirkten missmutig, aber auf einigen Gesichtern entdeckte ich auch den Ausdruck einer fast hysterischen Freude.

Besorgt stieß ich das Schott zum Hangar auf. Akon-Akon saß auf einem Kissenstapel und sah dem geschäftigen Treiben seiner Untertanen zu. Die zwanzig Leibwächter bildeten einen Halbkreis. Alle anderen, die in der Halle waren, packten Kissen, Decken und Dekorationsstücke zusammen, verfrachteten alles in Kisten und schleppten diese keuchend nach draußen, als gäbe es an Bord keine Roboter, die diese Arbeiten übernehmen könnten. Kein Zweifel – auch Akon-Akon zog um. Er entdeckte mich und winkte mich zu sich. »Du wirst übersetzen, was ich sage.«

Ich begegnete dem Blick seiner Augen. Es war, als tauchte ich in warmes Wasser, das mich mit wohliger Müdigkeit ausfüllte und jede Initiative wegspülte. Verzweifelt riss ich mich zusammen. »Alle Leute verlassen das Schiff. Das ist sehr unvorsichtig. Wenigstens die Beobachtungsstationen sollten besetzt bleiben.«

»Wir werden das Schiff nicht mehr brauchen. Dies ist meine Welt, sie ist groß genug – jedenfalls für die nächste Zeit. Du hast selbst gesagt, dass die Eingeborenen in der Nähe der Küsten bleiben. Wer also sollte uns angreifen? Das, was ich zu sagen habe, betrifft alle Personen an Bord. Jeder soll es hören.«

Damit war das Thema für ihn beendet. Mir dagegen wurde klar, dass es kaum hätte schlimmer kommen können. Solange sich die ISCHTAR im Raum befand, hatte sich Akon-Akon auf unsere Hilfe verlassen müssen. Dadurch waren wir innerhalb der gegebenen Grenzen frei gewesen. Jetzt änderten sich die Machtverhältnisse. Mir gefiel diese Entwicklung ganz und gar nicht. Ich spielte sogar mit dem Gedanken, bei der Übersetzung einige absichtliche Fehler einzuflechten, aber bei dem Gedanken blieb es dann auch.

Als alle anderen das Schiff verlassen hatten, gab Akon-Akon den Sänftenträgern einen Wink. Sie wuchteten die Platte hoch. Ich hatte die zweifelhafte Ehre, mich gleich hinter dem »Herrscher« in den Zug einreihen zu müssen. Ganz vorn tanzten wieder etliche in weiße Tücher gehüllte Frauen, gefolgt von der Kapelle. Die Sänfte wurde von den martialisch aussehenden Wächtern umringt, hinter mir johlte der Kern der persönlichen Diener des Jungen. So marschierten wir unter ungeheurem Getöse zur Bodenschleuse. Die Tänzerinnen und die Kapelle wurden mit lautem Jubel begrüßt. Akon-Akon wartete, bis der Höhepunkt der Spannung erreicht war und er mit einer leichten Handbewegung die Kapelle verstummen ließ. Die »Musiker« und die Frauen wichen zur Seite, die Leibwächter verteilten sich schnell. Das Gemurmel der draußen wartenden Leute riss ab, eine erwartungsvolle Stille trat ein.

Ich beobachtete dieses Theater mit gemischten Gefühlen. Der Junge verstand in dieser Hinsicht zweifellos sein Handwerk. Als die Sänfte auf die geneigte Bodenrampe getragen wurde, ertönten die ersten Hochrufe. Sie steigerten sich zu einem Orkan der Sympathiekundgebung, als sich Akon-Akon erhob. Für Augenblicke stand er regungslos da. Ich sah, wie seine unheimlichen Augen leuchteten. Er genoss es, sich bejubeln zu lassen, obwohl er wissen musste, dass dieser Jubel größtenteils erzwungen war. Akon-Akon hob die Arme, schlagartig herrschte wieder Ruhe. Er winkte mir, ich übersetzte, was er sagte – natürlich wortgetreu.

»Ihr werdet an diesem Platz eine Siedlung bauen – Akonia. Auf dem niedrigen Hügel dort drüben werdet ihr das Hauptgebäude errichten. Eine breite Straße soll bis zum Fluss führen, am Ufer werdet ihr eine breite Treppe anlegen. Die Arbeit hat sofort zu beginnen, die Fertigstellung der Siedlung ist das erste und vordringlichste Ziel. Ihr werdet dieses Tal nicht verlassen und auch das Schiff nur betreten, um Werkzeug und Geräte zu holen, die für die Bauarbeiten dringend benötigt werden. Ihr alle werdet eure volle Kraft einsetzen, um das Ziel so schnell wie möglich zu erreichen.«

Akon-Akon hob erneut die Hände. Künstlicher Jubel brandete auf. Der Junge ließ die Arme sinken, die Rufe verstummten. Die Sänftenträger hoben die Platte auf und trugen sie über die Rampe einem Hügel entgegen. Akon-Akons persönliche Dienerschar folgte wie ein Haufen gehorsamer Marionetten. Noch ehe der Junge den Hügel erreicht hatte, auf dem er sich für die Dauer der Bauarbeiten einzurichten gedachte, waren die ersten Werkzeuge ausgegeben. Die Arbeit begann.

Ächzend richtete Fartuloon sich neben mir auf, rieb sich mit schmerzverzogenem Gesicht den Rücken und schob die Schutzmaske zurück. Die blaue Sonne stand im Zenit, es war der zweite planetare Tag seit der Landung. »So geht das nicht weiter«, beschwerte er sich, während er die dicken Schweißtropfen wegwischte, die sich auf seiner Stirn gebildet hatten und auf der Glatze glänzten. »Wir müssen uns schleunigst etwas einfallen lassen. Ich habe keine Lust, für den Rest meines Lebens Sklavenarbeit für diesen eingebildeten Kerl zu verrichten.«

Ich ließ den Thermostrahl langsam weiterwandern und schaltete das improvisierte Schweißgerät erst ab, als die beiden Kunststoffplatten fest miteinander verbunden waren. Nachdenklich sah ich mich um. Überall dasselbe Bild: Die Mannschaft der ISCHTAR arbeitete mit erzwungenem Feuereifer. Mit erstaunlicher Geschwindigkeit veränderte sich die Umgebung. Eine ganze Anzahl von Häusern war im Rohbau bereits fertiggestellt. Die meisten Gebäude wurden aus Platten zusammengesetzt, die aus dem Schiff stammten, andere jedoch bekamen solide Steinwände. Eine Gruppe Raumfahrer zerschnitt dicke Baumstämme, die sie gestern herantransportiert hatten, in saubere Bretter und Balken, andere verarbeiteten das Holz zu Türen und Möbeln. Wege wurden angelegt, die breite Treppe, die zum Fluss hinunterführen sollte, war bereits halb fertig. Neben gelben Sandhaufen türmten sich Stapel sauberer Steinplatten, mit Desintegratoren zurechtgeschnitten.

Es gab keinen Widerstand gegen Akon-Akons Befehl, obwohl wir nicht die geringste Lust hatten, uns auf diesem Planeten anzusiedeln. Der Logiksektor sagte: Der Ort, der hier entsteht, ist keineswegs als Übergangslösung geplant. Akonia soll eine solide Stadt werden, die der gesamten Mannschaft Platz bietet.

»Einen Vorteil hat diese Schufterei«, murmelte ich. »Es gibt keine Schaukämpfe mehr.«

»Dafür unterliegen immer mehr Leute endgültig dem Einfluss des Jungen. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis die letzte Chance zum Widerstand verpasst ist.«

»Wir können nichts tun, das weißt du selbst. Wir können nur warten und hoffen, dass sich Akon-Akon irgendeine Blöße gibt. Er muss doch auch einen wunden Punkt haben.«

»Dieser miese kleine Schmarotzer.« Fartuloon schnaufte verächtlich und warf einen wütenden Blick in die Richtung des Hügels, auf dem Akon-Akon saß und das Treiben seiner Untertanen beobachtete.

»He, du da!«

Wir fuhren herum. Das fotografische Gedächtnis lieferte den Namen des Mannes. Er hieß Ferentok. Der Arbtan war mir einmal ziemlich unangenehm aufgefallen, meine Ahnung schien sich zu bestätigen – Ferentok gehörte zu denen, die sich auch ohne Beeinflussung zu Akon-Akon bekannten. Seine Treue war offensichtlich belohnt worden. Er spielte den Aufseher. Ein schwerer Impulsstrahler baumelte an seiner Hüfte. In der rechten Hand hielt er einen langen, biegsamen Stock.

»Hier wird gearbeitet, nicht geredet!«, brüllte er. »Passt auf, dass ich euch nicht noch einmal beim Herumtrödeln erwische! Ich werde gut auf euch achten.«

»Mach, dass du weiterkommst«, empfahl Fartuloon verächtlich. »Und hüte deine Zunge. Vergiss nicht, dass du zur Besatzung der ISCHTAR gehörst. Der Kommandant des Schiffes ist immer noch Atlan.«

»Wir sind aber nicht mehr im Schiff, wir brauchen keinen Kommandanten mehr. Ihr solltet euch daran gewöhnen, dass die alten Zeiten vorbei sind. Wir widmen unser Leben einem neuen Ziel. Los jetzt, an die Arbeit, oder soll ich euch Beine machen?«

Ruhe bewahren, mahnte der Extrasinn. Dieser Mann ist nicht repräsentativ für die Meinung der Besatzung.

Fartuloon hatte keinen lautlosen Partner, es hatte schon zu lange in ihm gebrodelt. Mit zwei schnellen Schritten erreichte er Ferentok, riss ihm den Stock aus der Hand und schleuderte ihn zur Seite. »Du hast einen Eid geschworen. Für Atlan und Arkon – auf Leben und Tod. Du scheinst ein wenig vergesslich zu sein, darum will ich dich daran erinnern, dass dort dein Kommandant steht. Nimm Haltung an und entschuldige dich für dein Verhalten.«

Ferentok wich einen Schritt zurück. Für einen Augenblick schien es, als würde er sich besinnen, aber dann fuhr seine Hand nach unten. Fartuloon war schneller. Die Hand des Arkoniden hatte den Strahler noch nicht einmal angehoben, da blitzte es kurz auf. Ferentok stieß einen gellenden Schrei aus und ließ die Waffe fallen. Aus einer Wunde am rechten Arm sickerte Blut und tränkte den Stoff der Uniform. Fartuloon steckte das Skarg gelassen wieder weg, wandte sich um und blinzelte unwillig. »Diese Bekkar.«

Der Schrei lockte einige Neugierige herbei. Zwei Männer nahmen sich Ferentoks an und führten ihn schweigend weg. Akon-Akons Aufseher erging sich in Flüchen und wilden Drohungen. Einer der Helfer befahl ihm, den Mund zu halten. Als Ferentok nicht darauf reagierte, hielt der andere ihm ein langes Messer vor die Nase. »Sei endlich still«, sagte er drohend. »Sonst könnte es passieren, dass ich deine Wunde versehentlich etwas vergrößere.«

Ich sah den Männern nach, die langsam wieder an ihre Arbeit zurückkehrten. Wut stieg in mir hoch. Sie alle waren plötzlich Fremde, Leute, mit denen ich kaum noch etwas gemeinsam hatte. Ich hatte immer geglaubt, ein gutes Verhältnis zu ihnen zu haben. Einige kannte ich sehr gut, hatte mit ihnen schon allerlei Abenteuer durchgestanden und sie als großartige Kameraden schätzen gelernt. Jeder Einzelne hatte für sich allein die Entscheidung getroffen. Sie hatten den Eid unserer verschworenen Gemeinschaft abgelegt.

An Bord unserer Raumschiffe herrschte Disziplin, genau wie auf den Schiffen der arkonidischen Flotte – und doch war alles ganz anders. Disziplin war notwendig, aber es gab bei uns keine unüberwindbaren Mauern zwischen den einzelnen Dienstgraden. Gerade dadurch, dass wir unsere Kräfte nicht bei internen Intrigenspielen zersplitterten, hatten wir uns bisher gegen Orbanaschol behaupten können. Diese Leute, die jetzt mit gesenkten Köpfen über die Baustelle schlichen, waren für mich keine Werkzeuge oder Kanonenfutter. Wenn es sein musste, hätte ich für jeden mein Leben eingesetzt, und sie wussten das. Sie hatten sich bedingungslos auf meine Seite gestellt, weil sie sicher sein durften, dass sie sich auf mich verlassen konnten. Und jetzt war das alles zerbrochen. Voller Hass starrte ich zu dem Hügel, auf dem Akon-Akon saß, der Junge von Perpandron, der drauf und dran war, die Arbeit von Jahren mit einem Schlag zu vernichten.

Nach einer Weile blieb ein Mann neben uns stehen, Jorn Asmorth. Der Techniker war groß und schlank, seine Hände tasteten nervös an seiner Uniformjacke entlang, nachdem er einen Stapel Bretter abgelegt hatte. »Wir können nicht viel tun«, sagte er nervös. »Sie dürfen das alles nicht zu ernst nehmen, Kristallprinz. Im Grunde hassen wir alle den Jungen, aber die meisten können es nicht mehr zum Ausdruck bringen.«

Er schulterte seine Last wieder und ging weiter. Fartuloon schaute böse. »Immerhin«, murmelte er, während er sich wieder an die Arbeit machte, »scheint es doch noch ein paar Leute zu geben, die den Verstand nicht völlig verloren haben.«

»Mehr, als du glaubst. Das Dumme ist nur, dass uns das nicht weiterhilft. Du siehst es ja an uns. Wir haben den festen Willen, Akon-Akon nicht zu unterstützen, und trotzdem bauen wir diese verdammte Hütte.«

»Wir müssten den Versuch machen, aus seiner Reichweite zu kommen. Er hat verboten, dass wir das Tal verlassen – ich bin sicher, dass er seine Gründe hat. Vermutlich kann er uns nicht auf große Entfernung beherrschen. Kämen wir weit genug weg, wären wir wahrscheinlich frei.«

»Er hat befohlen, die Siedlung zu bauen. Akonia! Keiner ist psychisch dazu fähig, diesen Platz zu verlassen, ehe Akon-Akon den Befehl gibt. Könnten wir wenigstens anständig mit ihm sprechen. Es gibt genug Gründe, um ihm eine Erkundung des gesamten Tales schmackhaft zu machen. Aber er lässt ja niemanden an sich heran.«

Fartuloon lächelte matt. »Das wird sich bald ändern. Die Arbeit geht immer langsamer voran, die Leute sind total erschöpft. Er wird wissen wollen, was dagegen unternommen werden kann. Wie ich ihn kenne, wird er dich rufen lassen. Und dann – nun, du weißt selbst, worauf es ankommt.«

Noch am Abend traf genau das ein, was Fartuloon vorhergesagt hatte. Ein Bote brachte mir die Nachricht, dass ich sofort zu Akon-Akon kommen sollte. Ich hatte ihn seit der Szene auf der Bodenrampe nur von Weitem gesehen. Unsere Dolmetscherkünste hatte er in dieser Zeit nicht gebraucht. Seine Diener und Dienerinnen wussten auch so, was sie zu tun hatten; einige trugen sogar Translatoren.

Der Junge von Perpandron hatte auf dem Hügel ein Schutzdach errichten lassen. Darunter saß er wie eine Statue mit untergeschlagenen Beinen auf seinem Kissenstapel und rührte sich kaum vom Fleck. Er schien keinen Schlaf zu brauchen, jedenfalls hatten wir noch nicht bemerkt, dass er sich jemals ausruhte.

Es war schon fast dunkel, als ich den schmalen Pfad betrat, an dessen Ende Akon-Akon auf mich wartete. Starke Scheinwerfer tauchten die Baustelle in grelles Licht. Die Arbeit ging auch während der Nacht weiter. Akon-Akon konnte zufrieden sein. Die Frauen und Männer der ISCHTAR arbeiteten, bis die Müdigkeit sie übermannte, und sie schufteten weiter, sobald sie wieder aufwachten. Mahlzeiten im eigentlichen Sinne gab es nicht. Wer Hunger oder Durst hatte, lief zu einem Versorgungszelt und verzehrte seine Ration auf dem Rückweg zum Arbeitsplatz. Wir alle waren nach zwei planetaren Tagen der totalen Erschöpfung nahe.

Mein Weg führte in eine andere Welt. Der Pfad schlängelte sich zwischen einigen Büschen hindurch, führte über einen mit kurzem, hartem Gras bewachsenen Hang und endete vor einem von der Natur geschaffenen Podest aus grauem Gestein. Der aromatische Rauch schmorender Duftkräuter wehte mir entgegen. Jemand spielte auf der Ghad-Flöte eine sanfte, heitere Melodie. Im rötlichen Schein der Kräuter in den Glutpfannen sah ich weiß gekleidete Arkonidinnen, die auf nackten Füßen lautlos hin und her huschten und Schalen und Becher vor dem Jungen absetzten. Eine Frau kam mit einem schweren Krug ganz nah vorüber, der betäubende Duft einer besonders kostbaren Weinsorte, die Fartuloon in den Lagerräumen des Schiffes gebunkert hatte, stieg mir in die Nase.

Die Wut in mir wuchs. Während sich meine Leute kaum noch auf den Beinen halten konnten, trank Akon-Akon in aller Ruhe unseren Wein und dezimierte darüber hinaus unsere ohnehin spärlichen Vorräte an frischen Nahrungsmitteln. Für uns gab es nur fade Konzentrate und klares Wasser. Meine Hände begannen zu kribbeln. Ich wünschte mir, diesen hageren Jungen nach allen Regeln der Kunst verprügeln zu können – stattdessen blieb ich am Rand der steinernen Plattform stehen und wartete demütig, bis er mich zu bemerken geruhte.

»Die Arbeit geht nicht schnell genug voran«, sagte Akon-Akon mit vollem Mund. »Nach dem, was am ersten Tag geschafft wurde, hätten heute viel mehr Häuser fertig werden müssen. Warum trödelt ihr so herum? Gefällt euch mein Plan nicht mehr?«

»Er hat uns noch nie gefallen, das weißt du sehr gut. Du zwingst uns, nach deinem Willen zu handeln, aber unsere Gefühle kannst du nicht beseitigen.«

»Du bist unverschämt.« Er hob die Hand und winkte Karmina da Arthamin, die mit dem vollen Weinkrug neben einer Glutpfanne wartete. Die Sternsymbole auf den Innenflächen seiner Hände leuchteten schwach rötlich. Die Sonnenträgerin huschte eifrig herbei und füllte den Becher des Jungen, das gewaltige Brodeln in ihr war ihrem Gesicht nicht anzusehen. Er sah ihr lächelnd nach, ehe er sich wieder mit mir beschäftigte. »Ich glaube nicht, dass ich dich später werde gebrauchen können. Obwohl du ohne deine Unarten sicher ein guter Sklave wärst … Aber das hat noch Zeit. Ich will heute nur von dir wissen, warum sich die Arbeit verzögert. Gib Antwort!«

»Die Leute sind erschöpft. Sie arbeiten Tag und Nacht, kommen kaum zum Schlafen und erhalten minderwertige Nahrung. Ketokhs Tag dauert bekanntlich zweieinhalb Tontas länger als unser Standard! Was erwartest du also von ihnen?«

»Willst du damit sagen, dass ich ein schlechter Herrscher bin?«

Er blitzte mich zornig an. Ich musste trotz allem lächeln. Es war absurd. Dieser Bursche übte die totale Macht über uns aus, aber im Grunde genommen war er unglaublich dumm.

Du irrst dich, bemerkte mein Extrasinn. Er ist nicht dumm, sondernzu stark auf das ihm mitgegebene Wissen fixiert. Dadurch wird seine Lernfähigkeit wenigstens vorübergehend eingeschränkt. Das gibt dir eine Chance. An Bord akzeptierte er dich und einige andere Leute notgedrungen als Berater, weil er sonst hilflos gewesen wäre. Du kannst diese Position wieder erringen. Stell dein Wissen heraus, zeige ihm, dass du ihm auch hier überlegen bist. Aber sei vorsichtig.

»Auch der beste und weiseste Herrscher kann sich nicht um alles selbst kümmern«, sagte ich bedächtig. »Er braucht Leute, die ihn gut beraten und die Ausführung seiner Pläne überwachen. Die Arbeit hier ist sehr schlecht organisiert. Die technischen Mittel werden nur ungenügend genutzt; dadurch wird viel Arbeitskraft verschwendet. Vorhandenes Fachwissen wird fast gar nicht berücksichtigt. Hoch qualifizierte Techniker sind damit beschäftigt, Steinplatten zu formen, während sich andere mit Dachkonstruktionen herumplagen, von denen sie nichts verstehen. Die Arbeitszeit ist völlig ungeregelt, es gibt keine Ruhepausen, keine Möglichkeit, sich zu erholen. Nicht einmal für regelmäßige Mahlzeiten ist gesorgt. Wir haben kaum Unterkünfte, die Leute schlafen oft genug auf dem blanken Boden. Das alles schwächt sie! Die Leistung sinkt! Geht es so weiter, werden sie bald so erschöpft sein, dass sie überhaupt nichts mehr tun können. Viele werden sogar sterben! Am Ende stehst du als Herrscher ohne Volk da!«

Er musterte mich nachdenklich. »Du wirst diese Aufgabe übernehmen. Du wirst die Arbeit so einteilen, dass die vorhandenen Möglichkeiten optimal ausgeschöpft werden, und auch für alles andere sorgen. Ich bin schließlich kein Gork. Natürlich darf es keine Trödeleien geben, aber kranke oder tote Untertanen sind für mich wertlos.«

Das ist ja köstlich. Ausgerechnet ich sollte nun dafür sorgen, dass die Wünsche dieses Tyrannen voll und ganz erfüllt wurden. Aber andererseits brachte mich das genau in die Position, von der der Logiksektor gesprochen hatte. Vielleicht ergab sich sogar eine Möglichkeit, Fartuloons Gedanken in die Tat umzusetzen und einen ausgedehnten Ausflug zu unternehmen. Ich überlegte bereits, wie ich Akon-Akon in dieser Richtung beeinflussen konnte, aber der Junge nahm mir die Arbeit ab.

»Mir scheint, du hast manchmal ganz brauchbare Ideen. Sprich dich nur aus: Was ist noch notwendig, um unser weiteres Leben auf diesem Planeten angenehm zu gestalten?«

»Wir müssen die Umgebung erforschen. Wir haben Vorräte, aber die reichen nicht auf Dauer. Es ist daher wichtig, rechtzeitig einheimische Nahrungsquellen zu erschließen. Unsere Kenntnisse über diesen Planeten sind insgesamt ungenügend. Wir wissen fast nichts über die Jahreszeiten, wann der Winter kommt und wie lange er dauert, wie viele Vorräte also herbeigeschafft werden müssen. Je mehr sich die Siedlung ausdehnt, desto mehr Rohstoffe brauchen wir. Wir sollten nach ihnen suchen, ehe es zur Notlage kommt. Wir müssen herausfinden, welche spezifischen Krankheiten Ketokh für uns bereithält und wie wir uns vor ihnen schützen können. Sobald wir auf geeignete Pflanzen und Tiere gestoßen sind, können wir uns durch die Landwirtschaft und Tierhaltung von der Natur unabhängiger machen, aber auch dazu sind Vorarbeiten nötig – Bodenuntersuchungen, die genaue Vermessung der Umgebung, die Ausarbeitung von Bewässerungsplänen und so weiter, aber das hat noch etwas Zeit. Vorrangig sind die Erkundung des Tales und die Bestimmung der Tier- und Pflanzenarten, die für uns essbar sind. Außerdem wäre es wichtig zu erfahren, ob uns von den Eingeborenen Gefahren drohen und wie wir uns ihnen gegenüber verhalten sollen.«

Akon-Akon hatte aufmerksam zugehört. Ich war verblüfft, dass diese Aufzählung solchen Eindruck auf ihn machte. Es handelte sich um die simpelsten Grundlagen jeder Siedlungstechnik. Jedes arkonidische Schulkind hätte dem Jungen diesen Vortrag halten können.

»Der letzte Punkt ist vorerst unwichtig. Die Eingeborenen kommen erst viel später dran. Aber alles andere leuchtet mir ein. Ich sehe, du hast Erfahrungen auf diesem Gebiet. Du wirst also auch diese Arbeiten leiten. Der Bau von Akonia bleibt vorrangig. Ich muss meine Bestimmung erfüllen, aber ich kann es nicht, ehe die Voraussetzungen für das Gelingen geschaffen sind.«

Ich wollte ihn fragen, wovon er eigentlich sprach, aber meine Zunge war wie gelähmt. Solange ich mich wie jetzt in unmittelbarer Nähe dieses Jungen befand, wurde der Zwang, der von ihm ausging, fast unerträglich. Er trank den Becher Wein aus und lachte fast übermütig. »Akonia wird eine Mustersiedlung werden. Und du, als der Organisator, wirst stolz auf sie sein. Vielleicht lasse ich mir sogar eine kleine Belohnung für dich einfallen, wer weiß?« Er zwinkerte mir zu und warf bedeutsame Blicke auf die Frauen, die ihn zu bedienen hatten. Abrupt wechselte seine Stimmung. Herrisch streckte er den rechten Arm aus. »Geh an deine Arbeit, schick ein Dutzend Männer her. Sie sollen Holz und Kräuter bringen, es wird mir zu kühl. Dharana, komm her und reib meine Füße, sie sind kalt. Wo bleibt der Wein, mein Becher ist leer und meine Zunge trocken. Bewegt euch, ihr faulen Weiber …«

Es störte ihn nicht, dass seine Dienerinnen kein Wort von dem verstanden, was er rief. Ich hörte ihn hinter mir in der Dunkelheit schimpfen, während ich im Laufschritt ins Lager eilte. Erst als ich den Fuß des Hügels erreichte, schwächte sich der Einfluss des Jungen so weit ab, dass ich ein normales Tempo einschlagen konnte.

Fartuloon kam mir entgegen und machte ein noch düstereres Gesicht, als ich es von ihm gewohnt war. »Während du mit unserem hochverehrten Herrscher geplaudert hast, gab es hier den ersten schweren Unfall. Einem Mann ist eine schwere Steinplatte aufs Bein gefallen. Der Knochen ist völlig zersplittert, wir haben nicht einmal die richtigen Medikamente, um seine Schmerzen zu lindern. Die Leute sind total übermüdet.«

Ich zog ihn mit und kletterte auf den erstbesten Stapel Baumaterial. Das Signal zum Sammeln dröhnte über die Baustelle. »Es wird sich einiges ändern«, sagte ich, während von allen Seiten Akon-Akons erschöpfte »Untertanen« herbeiwankten. »Ich habe ein ganzes Bündel von Vollmachten bekommen.«

In Stichworten berichtete ich von dem Gespräch. Fartuloon nickte zufrieden. »Was willst du als Erstes tun?«

»Dafür sorgen, dass wir morgen einigermaßen ausgeruht sind. Wir haben viel Arbeit vor uns. Zunächst organisieren wir die Abläufe. Wir müssen die Kommandos zusammenstellen, die sich mit den verschiedenen Forschungsarbeiten befassen. Zu einer Gruppe werden wir beide gehören.«

Fartuloon grinste. Ich erklärte den Wartenden, dass ich in Akon-Akons Auftrag für bessere Arbeitsbedingungen zu sorgen hatte. Mein Entschluss, eine allgemeine Schlafpause einzulegen, wurde von allen mit Begeisterung aufgenommen. Weniger erfreut war man über den Befehl, dass sich alle, die sich noch halbwegs auf den Beinen halten konnten, am Rand des Lagers einfinden sollten. Die Begründung dafür hellte die Gesichter aber wieder auf.

2.

Persönliches Log Karmina da Arthamin, aufgezeichnet am 5. Prago des Ansoor 10.499 da Ark: Ich bin eine Angehörige der Kator-Khasurn des Tai Ark’Tussan, gehöre also zum Unteren Adel der »Edlen Dritter Klasse«, auch Kleiner Kelch genannt; mein Titel ist der einer Ter-moas – einer »Ter-Erlauchten Erster Klasse«. Es gibt Leute, die mir vorwerfen, dass ich wie ein Mann spreche: beherrscht, sachlich, hart. Schon vor langer Zeit habe ich mich entschlossen, mich jeglicher moralischer Bewertung zu enthalten, sofern dadurch die Einigkeit der Arkoniden gefährdet wird. Eine Politikerin bin ich ganz ohne Zweifel nicht; ich denke und handele in den Kategorien eines Militärs. Trotz meiner erst 27 Arkonjahre bin ich ein hochdekorierter Orbton im Rang eines Has’athor und trage die gelbe Sonnenscheibe mit glattem Rand als Admiral Vierter Klasse zu Recht.

Stationiert war ich bis vor Kurzem im Hauptstützpunkt Amozalan. Dort wurde aus Einheiten der 4. Imperiumsflotte die Kampfflotte Marlackskor zusammengestellt. Zum Einsatz kamen das 1. und 2. Einsatzgeschwader Amozalan, insgesamt 24 Flottillen plus Reserve, Nachschub, Tender und Stabs-Lakan. Oberbefehlshaber des 1. Einsatzgeschwaders war Keon’athor Merlon da Lantcor. Als einer seiner Stellvertreter lernte ich bei der Schlacht um Marlackskor den Kristallprinzen Atlan kennen.

Ich weiß, dass die Auseinandersetzung um die Herrschaft über das Tai Ark’Tussan von jeher mit allen Mitteln geführt wurde. Deshalb interessierte mich nicht, wie Orbanaschol III. an die Macht kam – jetzt ist er der Imperator. Wir befinden uns im Krieg gegen die Methans! Würden wir uns in inneren Angelegenheiten verzetteln, wäre das der Untergang des Imperiums. Ich hielt Atlan für einen elenden Piraten, der sich nicht einmal scheute, das Durcheinander einer heldenmütig geführten Raumschlacht auszunutzen, um Geiseln in seine Gewalt zu bringen.

»Haben Sie überhaupt kein Verantwortungsbewusstsein oder Ehrgefühl, dass Sie uns so in den Rücken fallen, statt ebenfalls zu kämpfen?«, warf ich ihm vor. Und bei anderer Gelegenheit: »Atlan, Sie sind nicht nur ein Rebell, Krimineller, Lügner und Verräter, sondern auch ein Feigling! Die Kampfflotte ist vom Untergang bedroht, und Sie ziehen sich zurück, statt unseren Leuten zu helfen, über die Sie herrschen wollen.« Ich bedauerte sogar, dass ich nicht in der Lage war, Orbanaschol seinen Kopf zu bringen. Nicht, um die ausgesetzte Belohnung zu kassieren, sondern um das Reich von einem Unruheherd zu befreien, der angesichts der Bedrohung durch die Methans gefährlich ist und deshalb beseitigt gehört.

Aber ich habe mich getäuscht. Ein Feigling ist der Kristallprinz ganz gewiss nicht, ein Rebell schon. Mit seiner Initiative wurden bei der Schlacht viele Schiffe und Raumfahrer gerettet. Andere dagegen musste er opfern. Es hat gedauert, bis ich meinen Fehler einsah. Erst Lantcors Rücksichtslosigkeit mir gegenüber und Atlans Befehl, bei meinem Eroberungsversuch der ISCHTAR keine tödlichen Waffen einzusetzen, öffneten mir endgültig die Augen. Obwohl ich ihn noch nicht lange kenne, habe ich ihn inzwischen bei etlichen wichtigen Situationen beobachten können. Vergleiche ich Atlan und Orbanaschol miteinander, schneidet der fette Mann im Kristallpalast von Arkon I nicht sehr schmeichelhaft ab. Am meisten jedoch imponiert mir die unverbrüchliche Treue, mit der so verschiedenartige, sogar völlig fremde Wesen wie Ra und Vorry zu dem jungen Arkoniden halten.

Mittlerweile schließe ich nicht einmal mehr aus, dass seine Motive richtig sind, die er mit folgenden Worten beschrieb: »Ich kämpfe um mein Recht! Mein Vater wurde von Orbanaschol gewaltsam beseitigt, Mordkommandos hetzten meine Mutter und mich. Niemand nimmt mir das Recht, das mir als Kristallprinz gebührt. Abgesehen davon wüsste ich nicht, warum ich vorzeitig aufgeben sollte, solange uns niemand entdeckt hat.«

Und dann kamen wir nach Perpandron, fanden diesen … Jungen. Er war noch ohne Bewusstsein, gefangen in einer Art Konservierung, als die fremde Macht die ISCHTAR ins Zentrum der Öden Insel steuerte, indem sie sich des wiederbelebten Gonozal bemächtigte. Kurz darauf begann an Bord das Grauen; der Junge von Perpandron schwang sich mit seinen geistigen Kräften zum Herrscher über die Besatzung der ISCHTAR auf. Pragos der Demütigung folgten, der ständigen Belastung: versuchter Widerstand und Abscheu einerseits und der Zwang zum Gehorchen andererseits, von einem Wesen, das mir an Jahren, Herkunft und Klugheit namenlos unterlegen ist.

Das alles summierte sich. Als er mit den Worten »Sterne? Eine Karte? Ortungsstation?« wieder einmal sein Unverständnis verdeutlichte, erreichte ich einen Punkt, an dem Selbstdisziplin und Beherrschung nicht mehr funktionierten. Ich sprang aus dem Sessel und war mit zwei Schritten bei dem Jungen. Ich holte aus und schlug ihm, ehe jemand eingreifen konnte, mit der flachen Hand rechts und links ins Gesicht. Die schallenden Geräusche dröhnten in meinen Ohren, ebenso der spitze Schrei, ein kurzer Fluch in Altakona. Der Junge taumelte zurück und hob die Hände an die Wangen, sah uns mit weit aufgerissenen Augen an, wirkte demoralisiert. Ich fuhr ihn an: »Du elender Barbar! Du Abschaum! Du verdienst nicht, die Luft in diesem Schiff zu atmen. Gib sofort die Befehle. Wir haben es satt, vor dir herumzukriechen. Ich kann dich nicht einmal mehr verachten!«

Dann schluchzte ich auf, sah Atlan verzweifelt an und rannte in panischer Eile stolpernd aus der Zentrale. Es ist wichtig, mir das alles wieder und wieder bewusst zu machen. Denn inzwischen ist ein neues Stadium der Tortur erreicht. Auf Befehl des Jungen, der sich als Akon-Akon vorgestellt hat, sind wir auf einem Planeten gelandet, den der Kerl als Herrschaftsbereich betrachtet, mit uns als seinen Sklaven.

Ketokh: Morgen des dritten planetaren Tages – 16. Tonta am 6. Prago des Ansoor 10.499 da Ark

Erstaunlicherweise ordneten sich selbst die überzeugten Parteigänger des Jungen meinen Befehlen unter. Ich hatte zumindest mit Reibereien gerechnet, wurde jedoch angenehm enttäuscht. Vielleicht lag das aber auch daran, dass noch allen trotz des langen Schlafes die Müdigkeit in den Knochen steckte. Die erste Maßnahme an diesem Morgen betraf wiederum unser leibliches Wohl. Ich schickte einen Trupp ins Schiff und ließ aus den Automatküchen Unmengen heißer Getränke und Frühstücksrationen herbeischaffen. Selbstverständlich wäre es weniger umständlich gewesen, gleich geschlossen in der ISCHTAR zu essen, aber der Befehl Akon-Akons, dem Kugelraumer fernzubleiben, wenn es irgend ging, ließ sich nicht so einfach umgehen. Immerhin war das seit Langem die erste vernünftige Mahlzeit – von heißen Getränken ganz zu schweigen.

In einer Plastikhütte bauten wir ein paar Tische und Stühle auf. Die Experten aller Fachrichtungen wurden gerufen, ihre Vorschläge und Erfahrungen protokolliert. Als wir über die laufenden Arbeiten eine ausreichende Gesamtübersicht hatten, konnten wir endlich ein genaues Programm aufstellen. Fartuloon begab sich mit diesen Listen in die ISCHTAR und traktierte dort den Bordrechner. Da es genaue Unterlagen über die besonderen Fähigkeiten jedes Mannschaftsmitglieds gab, hatten wir bald die Leute zusammengestellt, die für den jeweiligen Aufgabenbereich am besten geeignet waren. Jede dieser Gruppen wurde in vier Schichten aufgeteilt, in denen ein Schichtleiter für seine Leute verantwortlich war.

Eine weitere Plastikhütte wurde mit allen erforderlichen Mitteln ausgestattet und zum Sanitätszentrum erklärt. Einer der Bauchaufschneider musste sich immer dort aufhalten, andere wurden den übrigen Gruppen zugeordnet, mussten sich jedoch nach einem genauen Dienstplan für Notfälle bereithalten. Wir waren rund fünfhundert Personen. Fünfzig Mannschaftsmitglieder, fast ausschließlich Frauen, beanspruchte Akon-Akon als feste Dienerschar. Weitere fünfzig wurden den Erkundungstrupps zugeordnet. Alle anderen arbeiteten weiterhin am Aufbau der Siedlung, wobei nun jedoch mehr Gewicht auf für uns lebenswichtige Dinge wie der Bau fester Wohnbaracken und die Trinkwasserversorgung gelegt wurde. Alles in allem erledigten wir an diesem Vormittag ein ungeheures Arbeitspensum.

Akon-Akon beobachtete unser Treiben von seinem Hügel. Er mischte sich nicht ein, und das war mehr, als ich erwartet hatte. Am späten Nachmittag hatten wir auch die Pläne für unsere Expeditionen fertig. Ra, Fartuloon und ich standen auf der letzten Liste. Wir hatten uns entschlossen, Jorn Asmorth und Gerlo Malthor mitzunehmen. Beide machten einen zuverlässigen Eindruck. Malthor, ein schon etwas älterer Arkonide, war Pilot und Navigator und gehörte zu denen, die schon in der ISCHTAR eine bemerkenswerte Widerstandskraft gegen Akon-Akon gezeigt hatten. Wir wagten es nicht, weitere Mitglieder unserer Kerntruppe aufzustellen, denn am Ende wäre Akon-Akon doch misstrauisch geworden.

Bei Sonnenuntergang legten wir müde und ausgelaugt die langen Listen mit Daten und Namen zur Seite. Am nächsten Morgen wollten wir aufbrechen. Unser offizielles Ziel war die Erkundung der Hügel in südlicher Richtung. Inoffiziell war es unsere Absicht, so weit wie möglich zu laufen. Wir rechneten damit, dass uns ein von Akon-Akon erzeugter innerer Zwang an einem bestimmten Punkt zum Umkehren zwingen würde, aber wir wollten es wenigstens versuchen.

Zu beiden Seiten des Flusslaufs, der im westlichen Talbereich von Süden nach Norden floss, stieg der Boden sanft an, bildete weiche Wellen und niedrige Hügel. Dahinter formten Bäume und Buschgruppen dunkle Klumpen, zwischen denen die letzten Fetzen des Morgennebels hingen. Weiter südlich begann das von Felsen durchsetzte Gebiet, das unser eigentliches Ziel war. Rund hundert Kilometer südlich stieg das Land schnell an und wuchs zur Gebirgskette mit Siebentausender-Gipfeln. Irgendwo dort hatte der Fluss seine Quelle; im Tal erreichte er eine Breite zwischen hundert und dreihundert Metern.

Wir kamen gut voran. Der Boden war mit niedrigem, hartem Gras bewachsen, das uns beim Gehen nicht behinderte. Auch hier gab es Gebüsch und verkrüppelte Bäume, aber sie bildeten nur vereinzelte, voneinander isolierte Vegetationsinseln, die sich leicht umgehen ließen. Beim Blick zurück wurde der dreihundert Meter durchmessende Kugelrumpf der ISCHTAR nur langsam kleiner. Das Schiff stand auf den abgespreizten Teleskop-Landestützen nur wenige hundert Meter vom Fluss entfernt.

Die durch Akon-Akon gesteuerte hektische Aktivität hatte uns bisher kaum Zeit gelassen, uns mit unserer Umgebung zu befassen. Die Landschaft war durchaus reizvoll. Zwischen den Grashalmen leuchteten winzige Blüten in allen nur denkbaren Farben. Auch die Büsche und Bäume blühten, einige sahen wie zu groß geratene Sträuße aus. Die Blumen waren in ihrer Form fremdartig, zeigten aber alle Anzeichen einer hoch entwickelten Pflanzenwelt. Damit verbesserte sich die Chance, später genießbare Früchte ernten zu können.