Attentat auf Honecker und andere Besondere Vorkommnisse - Jan Eik - E-Book

Attentat auf Honecker und andere Besondere Vorkommnisse E-Book

Jan Eik

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Beschreibung

Gab es 1983 wirklich ein vertuschtes Attentat auf Erich Honecker? War der tödliche Hubschrauberabsturz 1978 von Werner Lamberz, Mitglied des Politbüros des Zentralkomitees der SED, inszeniert? Steckte hinter dem Großbrand im neuen Funkhaus in der Nalepastraße 1955 mehr als ein Sabotageakt? Wurde Hitlers Leiche in einer Nacht- und Nebelaktion an einem geheimen Ort in Ostdeutschland begraben? In der DDR brodelte regelmäßig die Gerüchteküche. Was die einer rigiden Zensur unterworfenen Zeitungen und Staatssender meldeten, war oft nur zu einem Bruchteil wahr. Offiziell bekannt wurde lediglich, was den Herrschenden ins politische Konzept passte. Doch jenseits des offiziell Verlautbarten gab es ein ganzes Feld von Gerüchten, die sich aus Verheimlichtem und staatlicher Fehlinformation speisten. Eine Abteilung der Staatssicherheit beschäftige sich mit sogenannten Besonderen Vorkommnissen: Ereignissen, die so heikel waren, dass nicht – oder jedenfalls nicht ungefiltert – über sie berichtet werden sollte. Jan Eik und Klaus Behling haben für ihr Buch spektakuläre Geheimnisse aus der DDR-Geschichte aufwendig recherchiert und erklären präzise und spannend die Wahrheit hinter den Gerüchten. Nachdem sie erstmals vor zehn Jahren solche Fälle zusammentrugen, haben sie ihren Fundus mysteriöser Vorgänge nun aktualisiert und erweitert. Kompetent klären sie über geheimnisvolle Todesfälle und Unglücke, Geheimnisse der sowjetischen Besatzer und vertuschte Wirtschaftsverbrechen auf. Ein Geschichtsbuch der besonderen Art: Geschichten, die die DDR bewegten!

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Jan Eik / Klaus Behling

Attentat auf Honecker

und andere Besondere Vorkommnisse

Jaron Verlag

Die Autoren

Jan Eik: J. E.

Klaus Behling: K. B.

Originalausgabe

1. Auflage 2017

© 2017 Jaron Verlag GmbH, Berlin

Alle Rechte vorbehalten. Jede Verwertung des Werkes und aller seiner Teile ist nur mit Zustimmung des Verlages erlaubt. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Medien.

www.jaron-verlag.de

Umschlaggestaltung: Bauer+Möhring, Berlin, unter Verwendung eines Fotos von Harald Hauswald

Satz: Prill Partners | producing, Barcelona

E-Book-Herstellung: Zeilenwert GmbH 2017

ISBN 978-3-95552-236-0

Inhalt

Cover

Titel

Impressum

Ein Wort voraus

Wildost in Klosterfelde

Das „Attentat“ auf Erich Honecker

Das Funkhaus brennt

Die Geschichte einer erfundenen Sabotage

Letzter Ausweg Makarow

Der Tod Erich Apels am 3. Dezember 1965

Ein Hubschrauberabsturz in Libyen

Werner Lamberz’ Tod in der Wüste

Zerstörte Leben

Suizide nach friedlicher Revolution und Wiedervereinigung

Genossen im Goldrausch

Ein Stasi-Offizier als Wirtschaftsverbrecher

Am Leben verzweifelt

Dean Reeds geheimnisumwitterter Abschied

Geheimnisse der „Freunde“

Die verborgenen Seiten der sowjetischen Besatzer

Dank

Abkürzungen

Ausgewählte Literatur

Ein Wort voraus

Die Geschichte der DDR ist reich an „Besonderen Vorkommnissen”. Die Öffentlichkeit wurde über sie eher spärlich informiert, und längst nicht alles stimmte, was man den Untertanen verkündete. So wie angesichts der Mangelwirtschaft die Verteilung von Waren und Dienstleistungen reglementiert war, wurden auch Nachrichten nur sehr dosiert abgegeben. Gerüchte und Wandersagen wurden zu einem Schwarzmarkt der Informationen.

Den hielt eine emsig arbeitende Abteilung im Ministerium für Staatssicherheit (MfS) wachsam im Auge. Ihre Aufgabe war die „Vorkommnisuntersuchung“. Sie erfasste jede Abweichung von dem, was den DDR-Medien zu berichten erlaubt war. Die Männer hatten gut zu tun, denn vierzig Jahre lang war die Lage kritisch in dem engen Land. Und es war Eile geboten, denn Gerüchte breiteten sich in der DDR mit einer Geschwindigkeit von etwa vier Stundenkilometern aus, wie streng geheime Erkenntnisse der Stasi ergaben. Die Fama brauchte etwa sieben Tage, um die 678 Kilometer von Sassnitz bis Eisenach zu bewältigen.

Glücklicherweise gelang es trotz Heimlichtuerei nicht, alle Spuren der verschwiegenen Ereignisse zu beseitigen. Nach dem Ende der DDR kam aus den Akten manches Interessante, bisweilen auch wirklich Sensationelles ans Licht. Die Suche nach den wahren Sachverhalten begann oft mit den Erinnerungen von Zeitzeugen oder mit unter der Hand zugänglich gemachten Informationen der damaligen Ermittler. Der Widerspruch ewiger Besserwisser und frustrierter Nostalgiker blieb nicht aus.

Das vorliegende Buch, das keinen wissenschaftlichen Anspruch erhebt, wohl aber den auf eine fundierte Darstellung von Fakten und die gewissenhafte Suche danach, enthält zusammengefasst die Ergebnisse der Recherchen, die teilweise bis in den Spätherbst 1989 zurückreichen – eine Zeit, in der von Datenschutz noch keine Rede war.

Als das aufsehenerregendste Vorkommnis gilt das angebliche Honecker-Attentat von Klosterfelde. Die „Königsebene“ der DDR war fehlender Offenheit und Öffentlichkeit wegen jahrzehntelang besonders geheimnis- und gerüchteumwittert. Hat es wirklich Versuche gegeben, einen Repräsentanten der DDR umzubringen?

Und war der große Rundfunkbrand im Februar 1955 tatsächlich Folge einer Sabotagehandlung, wie bis heute in Büchern ehemaliger Stasi-Mitarbeiter behauptet wird? Oder ist er nur ein typisches Beispiel für die in der DDR herrschende Willkür in Strafverfolgung und Justiz?

Über die Karriere und den Freitod des Planungschefs Erich Apel Anfang der 1960er-Jahre war ebenfalls wenig bekannt. Wollte er wirklich einen Hauch von Marktwirtschaft in der DDR einführen? Und wer half ihm dabei, bevor er sein Fähnchen in den neuen politischen Wind schwenkte?

Apropos Suizid: Warum gehörte der Tod von eigener Hand zu den vielen Tabuthemen im Land? Und was geschah nach dem unrühmlichen Ende der DDR? Wohlfeile Behauptungen wie die, dass der Schmerz über den verpfuschten Sozialismus „mehr Tote als an der Mauer“ gefordert habe, waren zu hinterfragen.

Doch zurück in die vermeintliche Blütezeit der DDR. 1978 rankten sich um den Hubschrauberabsturz des „Kronprinzen“ Werner Lamberz in der Libyschen Wüste mancherlei Gerüchte. Nach den wahren Hintergründen fragte lange niemand. Es wäre damals wohl auch kaum möglich gewesen, mehr zu erfahren als das, was das „Zentralorgan“ mit dickem schwarzem Trauerrand verkündete. Dafür sorgte zuverlässig die Stasi.

Sie behielt auch die schwarzen Schafe in ihren eigenen Reihen im Auge. Um „das Ansehen des Organs in der Öffentlichkeit nicht zu schädigen“, vertuschten Minister Erich Mielke und seine engsten Vertrauten das größte Wirtschaftsverbrechen der DDR. Es ging um rund dreißig Millionen Mark in Ost- und West-Währung sowie in Gold, die ein einziger Mann mit seiner Helferin beiseitegeschafft hatte.

Rätselhaft erschien der Tod des amerikanischen Paradiesvogels Dean Reed. War der Sozialismus für den „roten Elvis“ von Rauchfangswerder trotz Reisefreiheit und anderer Privilegien so enttäuschend, dass er 1986 keinen anderen Weg als den ins Wasser des Zeuthener Sees sah? Oder steckten geheimnisvolle Bedrohungen hinter dem spektakulären Ableben des Sängers und Schauspielers?

Als nach fast fünfzig Jahren die stets als „Freunde“ titulierten sowjetischen Besatzer ihren Abgang vollzogen, offenbarten sich die dunklen Seiten ihrer Herrschaft. Vom Marmeladen-Klau über Vergewaltigungen bis hin zu grausamen Morden – worüber die Bevölkerung lange nur gemunkelt hatte, ließ sich nun mit Namen, Fakten und Daten belegen. Es waren Ausnahmen, aber sie zeigten, dass die kleine DDR trotz aller Freundschaftsbekundungen bis zum Schluss ein besetztes Land und nicht Herr im eigenen Haus war.

Auch wenn wir viele der alten Geschichten heute mit einem Lächeln über die damaligen Zeiten quittieren können, waren sie doch Ausdruck des Zeitgeists in der DDR. Der war allzu oft bestimmt durch Angst und Misstrauen. Solche Gefühle im Volk zu ignorieren oder gar zu pflegen bekommt den Herrschenden nie. Deshalb werden sie noch einmal erzählt, diese alten Geschichten.

Wildost in Klosterfelde

Das „Attentat“ auf Erich Honecker

Als „Angriff auf das Leben eines Regenten oder einer sonstigen hervorragenden Persönlichkeit“ definierte vor fast 150 Jahren „Meyers Konversationslexikon“ das Attentat. Es fehlte nicht der Hinweis, dass derlei „Mordthaten zum Zweck der Vernichtung des Vertreters einer großen Idee“ bereits auf eine lange Geschichte zurückblickten.

Die DDR war mit spektakulären Ereignissen nicht gerade gesegnet. Hier dominierte der triste Alltag. Doch manchmal schien sich auch hinter ihm Besonderes zu verbergen. Davon war der junge Dieter Müller überzeugt, als er in der gerade ein paar Jahre zuvor gegründeten Deutschen Demokratischen Republik, die so große Pläne mit dem Sozialismus hatte, „Volkskorrespondent“ wurde. Erste Artikel im FDJ-Blatt „Junge Welt“ machten ihn stolz, der Weg ins „Rote Kloster“, der Sektion Journalistik an der Leipziger Uni, schien geebnet. Doch zwischen Ostsee und Erzgebirge war es schon damals eng. 1956, nach dem Abitur auf dem Hallenser Giebichenstein-Gymnasium „Thomas Müntzer“, ging Dieter Müller in den Westen.

Dass er dort zu Dieter Bub wurde, entdeckte die Stasi erst später. Da arbeitete er bereits als „Stern“-Korrespondent in Ost-Berlin und machte Mielkes Männern in der Normannenstraße so richtig Ärger. Seine Heimatredaktion in Hamburg hatte nämlich eine Riesenstory auf die Titelseite gehoben, die in Ost-Berlin alle Alarmglocken schrillen ließ. Am 11. Januar 1983 verkündete das Magazin: „Der STERN enthüllt, was die DDR zu vertuschen sucht: DAS ATTENTAT!“

In ein seitenfüllendes Foto Erich Honeckers war das bläuliche Bild eines Mannes mit einem Fernglas um den Hals eingeklinkt. Daneben stand: „Ofensetzer Paul Eßling, der Mann, der Honecker erschießen wollte.“ Eine Doppelseite zeigte eine wilde Schießerei zwischen zwei Leuten aus abrupt gebremsten Autos als Comic. Dass dort mehr Fahrzeuge zu sehen waren, als an dem Ereignis tatsächlich beteiligt waren, machte die Geschichte noch dramatischer. Überschriften verkündeten: „Anschlagsversuch auf der 109“ und „Von der Stasi in die Zange genommen“.

Die Meldung selbst war eher dünn: „Ein Ofensetzer aus einem Dorf bei Berlin versuchte Silvester auf den DDR-Staatsratsvorsitzenden zu schießen. Der Attentäter verfehlte sein Ziel. Erich Honecker entkam und überlebte. Dem Schützen blieb nur der Selbstmord. Er schoss sich in den Kopf und starb auf der Stelle. Ein Sicherheitsbeamter wurde mit schweren Verletzungen ins Krankenhaus gebracht.“

So war es dem Korrespondenten Dieter Bub in Ost-Berlin zu Ohren gekommen, und zu seiner Chronistenpflicht gehörte es, das an seine Redaktion weiterzugeben. Dass seine Zeitschrift eine so große Geschichte daraus machen würde, hatte er nicht erwartet, erzählte der Journalist später. Aber der „Stern“ hatte in jenem Jahr ohnehin kein besonders gutes Händchen für Sensationen: Vier Monate später blamierte sich das Blatt mit den vermeintlichen Tagebüchern Adolf Hitlers, die es zu entdecken geglaubt hatte.

Anders als die falschen Hitler-Tagebücher verbrannte die Story um das Honecker-Attentat nicht knapp zehn Millionen Mark. Allerdings flog Dieter Bub aus der DDR: Nach vier Jahren erfolgreicher journalistischer Arbeit musste er das Land innerhalb von 48 Stunden verlassen. Im Rückblick endete damit für ihn die „aufregendste Zeit [s]eines Lebens, Abenteuer, Herausforderung – und Albtraum“.

Albträume schien das „Besondere Vorkommnis“ dem vermeintlichen Opfer Erich Honecker nicht bereitet zu haben – obwohl es am Silvestertag 1982 tatsächlich einen Amoklauf eines in einer tiefen persönlichen Krise steckenden, alkoholisierten Handwerksmeisters gegeben hatte. Trotzdem ließ der höchste Repräsentant des Staates vorsorglich ein Dementi verfassen. Denn auch wenn der „Stern“ nicht auf der „Postzeitungsvertriebsliste“ der DDR zu finden war – solch eine Meldung lief nur Minuten nach Erscheinen des Blattes über die westlichen Rundfunk- und Fernsehstationen, und die wurden in seinem Reich vom Volk mit höchster Aufmerksamkeit verfolgt.

Und so landete am 11. Januar 1983 um 15.23 Uhr auf den Fernschreibern eine Meldung der Pressestelle des Ministeriums des Innern der DDR.

„Selbstmord nach Fahrerflucht“

Der 11. Januar 1983 war ein Dienstag – jener Tag der Woche, an dem die wöchentliche Sitzung des Politbüros des Zentralkomitees (ZK) der SED stattfand, auf der das Land hinter verschlossenen Türen regiert wurde. Was nach draußen drang, waren meist weniger aufsehenerregende Beschlüsse als ritualisierte Phrasen über die Rolle der Bedeutung und die Bedeutung der Rolle.

So war es auch an diesem Tag. Die Agenda dieser ersten Sitzung im neuen Jahr umfasste 23 Punkte mit 22 Beschlussvorlagen, die sich etwa mit „Maßnahmen zur Arbeit mit den Thesen des ZK der SED zum Karl-Marx-Jahr“ und „Schlußfolgerungen für die Erhöhung von Ordnung, Disziplin und Sicherheit im Eisenbahnwesen“ befassten. Das angebliche Attentat auf den „Generalsekretär des Zentralkomitees der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, Vorsitzenden des Staatsrates der Deutschen Demokratischen Republik und Vorsitzenden des Nationalen Verteidigungsrates der DDR“, das der „Stern“ Stunden zuvor vermeldet hatte, wurde nicht einmal erwähnt.

Natürlich wusste Erich Mielke von den Geschehnissen, denn die „Staatssicherheit“ der DDR war schließlich sein Job. Er hatte bereits in den Abendstunden des 31. Dezember 1982 erfahren, dass jenes „Besondere Vorkommnis“ keinen terroristischen Hintergrund befürchten ließ. Selbstverständlich informierte er seinen obersten Dienstherrn und setzte die üblichen Allheilmittel bei allen Abweichungen vom normierten DDR-Alltag ein: Die Zeugen wurden zum Schweigen verpflichtet, alle Informationen über das Ereignis mit der höchsten Geheimhaltungsstufe versehen – kurzum, das Ganze wurde vertuscht. Für den innersten Führungszirkel der SED gab es eine Meldung von dreißig Zeilen. Für einen Tagesordnungspunkt auf der Politbürositzung reichte das nicht.

Doch nun war die Geschichte in der Welt, und der Allgemeine Deutsche Nachrichtendienst (ADN) meldete: „Die Pressestelle des Ministeriums des Innern weist Falschmeldungen westlicher Agenturen und Presseorgane über einen Verkehrszwischenfall am 31. Dezember 1982 in Klosterfelde, Kreis Bernau, zurück. An diesem Tag war es zu einer schweren Verkehrsgefährdung durch den Fahrer eines Pkw vom Typ Lada gekommen. Nach Feststellung der Volkspolizei stand der Fahrer des Pkw unter starkem Alkoholeinfluss. Eine ärztliche Untersuchung ergab eine Blutalkoholkonzentration von 2,5 Promille. Nach schwerer Gefährdung des Straßenverkehrs war der Pkw-Fahrer den Aufforderungen, die Fahrt zu stoppen, nicht gefolgt, sondern beging Fahrerflucht. Als er durch eine Streife der Volkspolizei gestellt wurde, schoß der Volltrunkene aus einer Handfeuerwaffe. Dabei wurde ein Streifenangehöriger der Verkehrspolizei schwer verletzt. Bevor es gelang, den Täter festzunehmen, beging er mit seiner Schußwaffe Selbstmord.“

Eine derartige Meldung schien geradezu prädestiniert, im täglichen Nachrichtenstrudel unterzugehen. Davon, dass der „Verkehrszwischenfall“ den ersten Mann im Staate betraf, war nichts zu lesen, und gelernte DDR-Bürger stolperten allenfalls darüber, dass einer der ihrigen eine Schußwaffe besessen hatte.

Dass illegaler Waffenbesitz im Lande unnachsichtig verfolgt und rigide bestraft wurde, wusste jeder. Waffen von Jägern und Sportlern unterlagen strengsten Sicherheitsbestimmungen. Die Russen ballerten hin und wieder illegal herum, doch das galt ohnehin als Tabuthema. Allerdings munkelte man über „personengebundene“ Pistolen von SED-Funktionären bis hinunter zu den Kreisleitungen. Was steckte also hinter der merkwürdigen Meldung?

Den „Stern“ bekamen seinerzeit nur wenige DDR-Bürger zu sehen. Den meisten entgingen also auch die Fotos, die in der Zeitschrift abgedruckt waren: von der Straße der Roten Armee in Klosterfelde (mit eingeklinkter Kartenskizze), von der aus einem noblen Pelzkragen blickenden Freundin Paul Eßlings und von dessen geschiedener Frau mit den beiden Kindern am Wohnzimmertisch.

In den Westmedien verschwand die Geschichte recht schnell wieder. Die Konkurrenzblätter wollten offenbar nicht allzu viel Reklame für den „Stern“ machen und beschränkten sich auf kleinere Berichte.

Das Formelle regelte Botschafter Wolfgang Meyer vom DDR-Außenministerium. Am 14. Januar 1983 bestellte er den Korrespondenten Dieter Bub ein, um ihn wegen der „von der Springer-Presse zur Hetze gegen die DDR ausgeschlachteten Falschmeldung” zu rügen. Dass die Illustrierte „Stern“ mit Springer nichts zu tun hatte, überstieg offenbar die Vorstellungskraft der DDR-Funktionäre, die nur eine zentral gesteuerte Presse kannten.

Bub gab zu, gegen die Arbeitsordnung für auswärtige Korrespondenten verstoßen und ohne Genehmigung recherchiert zu haben. Das war schließlich sein tägliches Brot. Informationen über das wahre Leben in der DDR aus dem SED-Zentralorgan „Neues Deutschland“ zu gewinnen gelang nicht einmal seinen östlichen Kollegen. Überdies erwähnte er, die Geschichte vom Attentat sei mehreren Medien unmittelbar nach Neujahr gegen Geld angeboten worden.

Auf dem üblichen Dienstweg informierte Botschafter Meyer das „Große Haus“, und Hausherr Erich Honecker entschied kurzerhand, den unangenehm aufgefallenen Journalisten hinauszuwerfen. Zwei Stunden nach der ersten Unterredung teilte Meyer Bub den Entzug seiner Akkreditierung mit. Er habe die DDR „auf Grund grober Verletzungen der gesetzlichen Bestimmungen, wegen wahrheitswidriger und verleumderischer Berichterstattung” zu verlassen. Das war keine sonderlich dramatische Sanktion, denn Bub war bereits der vierte westdeutsche Korrespondent, den ein solches Verdikt traf.

Spurensuche in der märkischen Provinz

Das Holzverarbeitungswerk mit seiner seit Anfang der 1950er-Jahre betriebenen Produktion beliebter Küchenmöbel gibt es schon lange nicht mehr, und auch an die frühere Groß-LPG Pflanzenproduktion mit über 4000 Hektar Land von Schönerlinde bis Zerpenschleuse, Agrochemischem Zentrum und großem Kartoffellagerhaus erinnern sich nur noch die Alten. Klosterfelde ist ein 3000-Seelen-Ort wie hundert andere rund um Berlin. Das alte märkische Angerdorf gehört inzwischen zur Gemeinde Wandlitz.

Aus der dort gelegenen und streng bewachten „Waldsiedlung“ rauschten früher die beiden großen Citroën CX Prestige auf der F 109 durch Klosterfelde, wenn Erich Honecker in die Schorfheide zur Jagd fuhr. Der SED-Chef hatte dieses „Spitzenerzeugnis der französischen Industrie“ – so der zufriedene Nutzer drei Wochen, nachdem die DDR am 8. Juli 1978 mit Frankreich ihr bis dahin größtes Joint Venture über den Bau eines Pkw-Gelenkwellenwerks in Mosel abgeschlossen hatte – von Citroën-Generaldirektor Raymond Ravenel geschenkt bekommen. Seine Politbüro-Genossen fuhren derweil jene Volvo 264 TE (Top Executive), die die DDR-Staatsführung bei dem Turiner Autohersteller Bertone mit einem um siebzig Zentimeter verlängerten Radstand erworben hatte. Auch das Stasi-Begleitkommando nutzte – wenn auch in kleinerer Ausführung – die kantigen Autos aus Schweden.

Derartige Nobelkarossen sind heute auf der Straße durch Klosterfelde nicht mehr zu bestaunen. Daran, dass auch damals dafür nie viel Zeit blieb, erinnert sich ein ehemaliger Volkspolizist: „Die sind hier immer nur durchgerast. Wir hatten da nichts zu melden.“ Und auch, dass eines der auf der Ostseite der Bahnlinie nach Berlin stehenden bungalowartigen Wochenend- und Wohnhäuser mal jenem Mann gehört hatte, der am Silvester 1982 starb, wissen nur noch wenige.

In einem der ältesten und dürftigsten Häuser an der Dorfstraße wohnte die Mutter des angeblichen Attentäters Paul Eßling. Dessen hinterbliebener Sohn Ralf lebte auf dem weitläufigen väterlichen Anwesen. Man unternahm damals keinen Versuch, den anfangs nicht einmal Volljährigen von dort zu vertreiben. Lange noch fuhr er das zur Straftat benutzte Kraftfahrzeug, das man ihm mit zersplitterter Türscheibe und ohne den Schonbezug des Fahrersitzes zurückgegeben hatte.

Die meisten der Zeugen, die die Stasi am Silvesterabend 1982 und in den Tagen danach vernommen hatte, wohnten auch nach dem Ende der DDR noch am Ort. Dasselbe gilt für den Arzt, der den Tod des Ofenbaumeisters Paul Eßling festgestellt hatte. Der Mediziner, der gut über seinen Nachbarn informiert war, wurde in einem „Operativen Vorgang“ unter dem Decknamen „Landarzt” überwacht. Informationen über ihn sammelte unter anderem der inoffizielle Mitarbeiter (IM) „Hans Berger”, der überdies CDU und Kirche im Ort bespitzelte.

Paul Eßling, ein Vierteljahr vor seinem 43. Geburtstag auf so schreckliche Weise ums Leben gekommen, galt als ehrgeiziger Eigenbrötler. Aufgewachsen war er auf dem großväterlichen Grundstück im Ort. Seinen Vater lernte er erst kennen, als der aus der Kriegsgefangenschaft heimkehrte. Da war Paul schon fast neun Jahre alt. Die Ehe der Eltern wurde geschieden, und der Junge geriet vollständig unter den Einfluss von Vater und Großvater. Beide waren Handwerksmeister alter Schule, hart zu Untergebenen, Frauen und Kindern, dabei arbeitsam und trinkfest. Paul wurde wie sie.

Als Paul Eßlings eigene Ehe im Herbst 1981 geschieden wurde, zog die Frau mit den beiden Töchtern nach Berlin. Der 15-jährige Ralf blieb beim Vater, der zunehmend in eine tiefe Lebenskrise geriet, aus der er keinen Ausweg fand.

Paul Eßlings Urne ruht heute auf dem kleinen Friedhof an der Dorfkirche. Die von der Mutter geforderte Erdbestattung war damals nicht zugelassen worden. „Sie haben mir den Jungen erschossen!“ Das blieb ihre feste Überzeugung über all die Jahre, in denen man nur hinter vorgehaltener Hand über den Tod von Paul Eßling sprach. Niemand sagte ihr eindeutig, was wirklich geschehen war.

Zur Urnenbeisetzung Anfang Februar 1983 durfte nicht einmal eine Traueranzeige erscheinen. Keinerlei Aufsehen erregen, lautete Mielkes eindeutiger Befehl. Davon hatte es in den westlichen Medien schon mehr als genug gegeben. So blieben nur die Gerüchte – wie jenes, in der Asche Paul Eßlings läge noch die Kugel, als hätte nicht einmal eine Obduktion stattgefunden.

Dabei waren schon damals, 1983, alle an den Untersuchungen Beteiligten der Ansicht, dass jede Geheimniskrämerei in dieser Sache völlig unnötig, ja schädlich wäre. Schließlich seien alle Ermittlungen unter strenger Beachtung der gesetzlichen Vorschriften durchgeführt worden. Ein Sektionsprotokoll wurde angefertigt, es gab die Vernehmungsprotokolle der Zeugen und die Tatortuntersuchungen. Nur eine Anklage wurde nie erhoben. Denn der Beschuldigte war tot.

Die „Repräsentantenfahrt“

Sieben Jahre später neigte sich die Geschichte der DDR ihrem Ende zu. Statt an die Vergangenheit dachten die Menschen an die Zukunft. Für das Konvolut von vier säuberlich gebundenen Akten im Archiv des noch amtierenden Militäroberstaatsanwalts der DDR, Generalmajor Gierke, interessierte sich niemand, denn was in jenen Monaten an Stasi-Geschichten ans Licht kam, schien viel spannender.

Dabei klang schon der Kurztitel des Aktenpakets so ganz anders, als es die Gerüchte ein paar Jahre zuvor hätten erwarten lassen: „Todesursachenuntersuchung Paul Eßling – Bericht über den Abschluss der Untersuchung zum versuchten Mord an dem Angehörigen des MfS, Oberleutnant L., Rainer, am 31.12.1982 während seines Dienstes zur Absicherung einer Repräsentantenfahrt Ortslage Klosterfelde / Bernau und damit unmittelbar in Zusammenhang stehende Todesermittlungssache Eßling, Paul.“

Es ging also um einen „versuchten Mord“ an einem Stasi-Mitarbeiter. Und was war eigentlich eine „Repräsentantenfahrt“?

Letzteres lässt sich schnell klären. Die „Gleicheren unter den Gleichen“ im Arbeiter- und Bauernstaat wurden im SED-Kaderwelsch nicht Volksvertreter, sondern Repräsentanten genannt. Ließen sie sich irgendwohin bewegen, ganz egal, ob zum Staatsakt oder zum Freizeitvergnügen, war das eine Repräsentantenfahrt. Doch warum und wie sollte bei solch einer Kurzreise jemand ermordet werden, und wer war der darin verwickelte Repräsentant?

Eine Rekonstruktion. Der letzte Tag im Leben des Paul Eßling, ein Freitag, an dem, wenn überhaupt, nur bis mittags gearbeitet wurde, war ein trüber, schneeloser Wintertag. Am Vormittag hatte Paul seine Mutter aus ihrem Häuschen im Dorf abgeholt. Sie bereitete in der Küche des komfortablen Flachbaus am Wald, in dem ihr Sohn wohnte, das Mittagessen vor: Kartoffelsalat, wie der ihn liebte. Paul hatte seine Beziehungen zum Fleischer genutzt und dazu Filet besorgt. Sein 16-jähriger Sohn Ralf war unterdessen mit dem Moped ins Nachbardorf gefahren, um ein Stündchen auf seinem Pferd zu reiten, während der rastlose Meister selbst wie gewohnt in seinem weiträumigen Werkstatt- und Lagergebäude herumwerkelte.

Gegen 11.30 Uhr erschien Paul im Haus, um zu telefonieren. Dann verschwand er, ohne ein Wort zu sagen. Seine Mutter hörte den Wagen davonfahren. Sie wunderte sich nicht darüber, sie kannte ihren Sohn. Als der Enkel vom Reiten heimkehrte, trug sie das Essen auf.

Etwa zur selben Zeit setzten sich in der Liebermannstraße in Berlin-Weißensee zwei kräftige junge Männer um die dreißig in einen Volvo 164 E. Beide trugen die grünen Uniformen und weißen Mützen der Volkspolizei (VP). Vielleicht waren sie ein wenig sauer, ausgerechnet Silvester Dienst schieben zu müssen, aber als Offiziere des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) waren sie militärische Disziplin gewohnt. Auch die Verkleidung war nichts Neues für die beiden. Sie versahen an diesem Tag den „Sicherungsdienst der Verkehrspolizei im Rahmen des Personenschutzes führender Repräsentanten von Partei und Regierung“. Ihr Dienstauftrag lautete, die Fahrt des Generalsekretärs der SED, Erich Honecker, von Wandlitz aus in Richtung Schorfheide zu begleiten. Der erste Mann im Staate wollte zum Jahresausklang noch ein bisschen seinem liebsten Hobby frönen, der Jagd.

Unter dem Kommando von Oberst Rudolf Knaut waren in der Abteilung 7 (Nahsicherung) der Hauptabteilung Personenschutz im MfS insgesamt 300 Mann ausschließlich für derartige Schutzaufgaben vorgesehen. Die beiden „Verkehrspolizisten“ gehörten zur Unterabteilung 2 (Personensicherung Honecker, Stoph und Sindermann).

Pünktlich um 13.00 Uhr schloss sich der Volvo am Tor der Waldsiedlung als „Nachläufer“ den beiden Citroën an, dem „Hauptwagen“ und dessen Begleitfahrzeug, dem „Kommandowagen“, der auch als Funkzentrale fungierte. In Wandlitz bog die kleine Kolonne auf die F 109 nach Norden ab, durchfuhr mit den üblichen neunzig Stundenkilometern den Ort, in dem laut Straßenverkehrsordnung wie überall in geschlossenen Ortschaften Tempo fünfzig erlaubt war, und näherte sich der nächsten Kreuzung. Von links, aus Richtung Stolzenhagen, kam ein dunkelgrüner Lada heran, hielt am Stoppschild kurz an und bog unmittelbar vor dem Hauptwagen auf die F 109 ein. Die „Sicherungsfahrt“ musste „sehr stark abbremsen“, wie in den Akten vermerkt wurde, dann überholten die beiden Citroën den Lada 1300 ohne Schwierigkeiten, während der Volvo hinter ihm blieb.

Möglicherweise warf der „führende Repräsentant“ in diesem Augenblick einen Blick auf den Fahrer des Autos, der verkrampft hinter seinem Lenkrad saß und vergeblich versuchte, das Tempo mitzuhalten. Für seine Personenschützer war alles in Ordnung, sie hatten die wichtigste Regel befolgt: Der Konvoi musste rollen und durfte sich durch keinen Zwischenfall aufhalten lassen. Trotzdem sollte auf die „Personifizierung und Abstrafung“ des Verkehrsrowdys im Lada nicht verzichtet werden. Seitdem am 14. September 1973 Georg Ewald, Politbüro-Kandidat und Landwirtschaftsminister in Thüringen, bei solch einer Kolonnenfahrt tödlich verunglückt war, herrschten strengste Bestimmungen für derlei Zwischenfälle.

So erhielt der Kommandant des Volvo, Oberleutnant Rainer L., ein ehemaliger Betonbauer, aus dem Kommandowagen per Funk die Anweisung, den Lada zu stoppen. Sein Kraftfahrer, Oberleutnant Horst H., schaltete Blaulicht und Sirene ein und versuchte, den Lada zu überholen. Der drängte nach links. Oberleutnant L. wies aus dem geöffneten Fenster mit dem schwarz-weißen Regulierstab unmissverständlich nach rechts.

Die beiden Citroën waren längst vorbei und weit voraus. Der Lada-Fahrer unternahm einen letzten verzweifelten Versuch, schneller zu sein als die vermeintliche Polizei. Starren Blicks überholte er den Volvo rechts mit ungefähr neunzig Stundenkilometern.

„Der ist doch besoffen!“, sagte L. zu seinem Fahrer. Der setzte erneut zum Überholen an. Ein in Gegenrichtung fahrender Trabant schaffte es gerade noch, auf den unbefestigten Randstreifen auszuweichen.

Das ungleiche Wettrennen endete hinter den ersten Häusern von Klosterfelde. Ein entgegenkommender Lkw, der auf das Sondersignal hin hielt, versperrte die Hälfte der Fahrbahn und nahm dem Lada jede Fluchtmöglichkeit. Der Wagen kam anderthalb Meter hinter dem Volvo zum Stehen, in dem Horst H. mit laufendem Motor und eingelegtem Gang wartete, um einem eventuellen Auffahrunfall zu entgehen.

Rainer L. stieg aus und bedeutete dem Lkw-Fahrer, er könne weiterfahren. Dann ging er auf den Lada zu. „Was soll denn das hier werden?“, rief er. Er war sicher, es mit einem Betrunkenen zu tun zu haben. Immerhin war Silvester.

Der Lada-Fahrer, mittelgroß und mit einer schwarzen Lederjacke bekleidet, war ebenfalls ausgestiegen und stand hinter der Fahrertür seines Wagens.

High Noon auf der Straße der Roten Armee

12.00 Uhr mittags war seit gut einer Stunde vorbei, doch die sprichwörtliche High-Noon-Spannung lag in der Luft, als plötzlich das Unerwartete geschah: Der Mann aus dem Lada griff unter seiner Jacke zur Hüfte, zog eine Pistole und schoss.

L. spürte einen stechenden Schmerz in der linken Brusthälfte und wich unwillkürlich ein paar Schritte zurück. Sein Kollege und Genosse Horst H., ausgebildet für alle Situationen, die beim „Schutz von Repräsentanten“ auftreten könnten, hielt im ersten Augenblick nicht für möglich, was sich da wenige Meter von ihm entfernt abspielte. Er zog seine 9-mm-Makarow und lud durch. Noch im Aussteigen begriffen und ohne über das Visier zu zielen, schoss er zweimal am Mittelholm des Volvo vorbei auf den Mann, der gebückt hinter der Lada-Tür stand und mit seiner Pistole hantierte. Die Türscheibe splitterte. Der Mann in der Lederjacke hob wiederum seine Waffe, in Kopfhöhe diesmal, zielte auf die eigene Schläfe und schoss ein zweites Mal. Dann brach er neben dem Hinterrad seines Autos zusammen.

Mit der Waffe in der Hand näherte sich Horst H. vorsichtig dem am Boden Liegenden und stieß dessen Pistole mit dem Fuß zur Seite. Erst als er sicher war, dass der Mann handlungsunfähig war, steckte er seine Makarow ein.

Inzwischen war Oberleutnant L. zum Dienstfahrzeug gewankt. „Das Schwein hat mit Platzmunition geschossen, das drückt!“, sagte er gepresst. Der Schmerz über dem Herzen verstärkte sich. Erst als er im Auto saß, entdeckte er das Blut auf seiner Uniform. Er setzte einen Funkspruch an die Zentrale ab und forderte einen Rettungswagen an.

Oberleutnant Horst H. kümmerte sich um den Mann auf der Fahrbahn, brachte ihn in eine stabile Seitenlage, wie er es gelernt hatte, und legte ihm den Sitzbezug aus dem Lada unter den Kopf. Eine Krankenschwester, die angehalten hatte, um zu helfen, machte ihm klar, dass der Mann, dessen Blut in breitem Strom über die Straße rann, tot war.

Auch der Fahrer des Lkw S 4000 und sein Sohn waren hinzugetreten. Angeblich hatten sie bei laufendem Motor die Schüsse nicht gehört, wohl aber beim Blick nach hinten den Lada-Fahrer zusammenbrechen sehen. Anwohner, die sich anfangs weder über das gewohnte Sondersignal noch über das Knallen am Silvestertag gewundert hatten, kamen aus den nahen Häusern. Es war ungefähr 13.10 Uhr. Eine Stunde später wurde Oberleutnant Rainer L. mit einem Lungendurchschuss drei Zentimeter über dem Herzen in die MfS-Klinik Berlin-Buch eingeliefert. Sein linker Lungenflügel war zusammengefallen, aus dem Rippenfellraum mussten 800 Milliliter Blut entfernt werden. Sein Zustand war ernst, besserte sich aber rasch.

Erst gegen 15.30 Uhr traf die Untersuchungskommission der Staatssicherheit am „Ereignisort“ ein, an dem nichts verändert worden war. Noch immer lag der Tote unter einer Decke neben seinem Pkw. Über die Identität bestand kein Zweifel. Jeder im Ort kannte den Handwerksmeister Paul Eßling und seinen grünen Lada. Der herbeigerufene Mediziner war Eßlings behandelnder Arzt und Nachbar. Ohne die Leiche unter der Decke vollständig zu untersuchen, diagnostizierte er den Tod durch einen Kopfschuss und stellte den Totenschein aus.

Die Tatortuntersuchung

Alle Ermittlungen und Untersuchungen wurden von Anfang an „zuständigkeitshalber“ von den Kriminalisten und Juristen der Spezialkommission der Hauptabteilung Untersuchung des MfS geführt. Intern hieß der Bereich, dem die Aufklärung aller „öffentlichkeitswirksamen“ Ereignisse und schweren Straftaten zufielen, Vorkommnisuntersuchung. Er war für die kriminalistischen Untersuchungen etwa bei Flugzeug- und Eisenbahnunglücken, spektakulären Kindesmorden oder Straftaten zuständig, von denen „Repräsentanten” betroffen waren.

In Klosterfelde, wo die vielbefahrene F 109 von der Volkspolizei seit Stunden großräumig abgesperrt war, lautete der Befehl, alle Untersuchungen am Ereignisort in kürzester Frist abzuschließen, um das entstandene Verkehrschaos so rasch wie möglich abzubauen. Inzwischen sprach bereits die ganze Gegend von der Schießerei.

Die Kriminalisten des MfS fanden in unmittelbarer Nähe des Volvo zwei 9-mm-Hülsen aus der Makarow von Horst H. Eine nicht abgeschossene 7,65-mm-Patrone lag drei Meter vom Kopf des Toten entfernt auf der Fahrbahn. Eine leere 7,65-mm-Hülse hatte der Tote in der Jackentasche, eine zweite wurde am nächsten Tag nach aufwendigen Sucharbeiten mit Metalldetektoren am gegenüberliegenden Straßenrand gefunden. Deren Projektil steckte in der Oberbekleidung des verletzten Oberleutnants, wie sich herausstellte.

Man brachte die Leiche Paul Eßlings in den Hof des nächstgelegenen Hauses an der heutigen Berliner Chaussee. Von dort wurde sie am Abend zur gerichtsmedizinischen Untersuchung abtransportiert. Zwei Einsatzfahrzeuge der Feuerwehr standen bereit, um sofort nach dem vorläufigen Abschluss der Untersuchungen – inzwischen war es längst dunkel – die Fahrbahn zu reinigen.

Aus kriminalistischer Sicht war das eine Fehlentscheidung. Wohl deshalb wurden die zweite 7,65-mm-Hülse und das zweite Projektil niemals gefunden. Ungeklärt blieb vorerst auch der Verbleib eines der beiden Makarow-Geschosse. Später gaben die beiden Zeugen im Lkw dazu einen Hinweis: Die Ladeklappe ihres S 4000 wies eine einen halben Zentimeter tiefe Mulde wie von einem Geschoss auf.

Drei Anwohner an der Straße wurden noch am Silvesterabend in Wandlitz vernommen. Zwei hatten gesehen, dass der Lada-Fahrer zuerst auf den Verkehrspolizisten geschossen hatte, bevor er seine Waffe gegen die eigene Schläfe richtete. Die Zeugenaussagen widersprechen sich allerdings, was die Anzahl der Schüsse betraf.

Als ein Berliner Journalist mehr als elf Jahre später die Zeugen, darunter auch die Insassen des Lkw, noch einmal befragte, wollten nicht mehr alle zu ihren damaligen Aussagen stehen. Grund genug für die Staatsanwaltschaft in Neuruppin, erneut Ermittlungen im Fall Paul Eßling aufzunehmen, weil sie nun davon ausging, die Staatssicherheit habe seinerzeit Druck auf die Zeugen ausgeübt.

Das ist insbesondere hinsichtlich der ersten Vernehmungen am Silvesterabend unwahrscheinlich. Die Zeugen schilderten unabhängig voneinander, dass Eßling zuerst geschossen und später die Waffe gegen sich selbst gerichtet habe. Ein Versuch, die Zeugen zu beeinflussen, wäre auch logisch nicht erklärbar. Die Stasi musste ihren noch unter Schock stehenden und bis dahin nicht vernehmungsfähigen Oberleutnant des Personenschutzes nicht vor dem viel später im Raum stehenden Vorwurf bewahren, er hätte „einen Amokschützen und potenziellen Mörder hingerichtet“. Und hätte Horst H. nach einem aufgesetzten Nahschuss – der wurde im Nachhinein für möglich gehalten – unter den Augen der Zeugen seiner Tat die Leiche in die stabile Seitenlage gebracht und ihr den Schonbezug unter den Kopf gelegt? Die Aussagen von H., der erst am 6. Januar 1983 aktenkundig vernommen wurde, und Rainer L., dessen Vernehmung sogar erst am 2. Februar erfolgte, stimmten, abgesehen von geringfügigen Details, überein.

Wie nicht anders zu erwarten, verpflichtete die Staatssicherheit alle Zeugen zu absoluter Verschwiegenheit über den Vorfall. Paul Eßlings Mutter erfuhr erst am Neujahrstag vom Tod ihres Sohns. Am Silvesternachmittag hatte sie der Enkel, der noch keinen Führerschein besaß, auf Schleichwegen zu ihrem nur wenige Hundert Meter vom Ereignisort entfernten Haus direkt an der F 109 gefahren. Abends tauchte zweimal die Volkspolizei jeweils in Begleitung eines Zivilisten bei ihr auf. Beim ersten Besuch erkundigte man sich, ob sie ihren Reisepass bereits verlängert habe – als Rentnerin durfte sie mit diesem Dokument in den Westen fahren – und welche Westkontakte sie besitze. Der zweite Besuch galt ihrem Enkel. Doch der feierte bei Freunden im Nachbarort Silvester. Die Schießerei am Ortseingang von Klosterfelde war auch dort das beherrschende Thema. Erst als er nachts gegen 2.30 Uhr heimkehrte und die Untersuchungskommission im Hause antraf, erfuhr er, dass es sich bei dem Toten um seinen Vater handelte.

Das Sektionsprotokoll

Am Neujahrstag 1983 begann um 10.00 Uhr morgens an der Militärmedizinischen Akademie Bad Saarow unter Aufsicht des Militärstaatsanwalts Oberstleutnant Möller die Sektion der Leiche des Paul Eßling. Oberst Medizinalrat Professor Dr. sc. med. Schmechta, Leiter des Instituts für Gerichtliche Medizin, nahm sie selbst vor.

Der mit einer Fotodokumentation versehene ausführliche Leichenöffnungsbericht klärte die Todesursache eindeutig. Da er in diesem Fall das wichtigste Dokument ist, sei er hier, trotz der schwer verständlichen Mediziner-Sprache, ausführlich zitiert:

Die Leichenöffnung des E. ergab Befunde einer Schußverletzung des Kopfes und einer Schußverletzung des Rumpfes in Höhe des Beckens. Bei der Kopfschußverletzung befindet sich der Einschuß in der rechten Schläfenregion oberhalb des oberen Ohrmuschelrandes und ist der Ausschuß links der Kopfmitte lokalisiert. Das Geschoß hat den Schädel in Querrichtung und unter einem geringgradig ansteigenden Winkel durchsetzt. Die Einschußverletzung wies die Zeichen eines sog. absoluten Nahschusses auf (Waffe der Hautoberfläche aufgesetzt bzw. Schußentfernung bis 0,5cm). Eine außergewöhnlich starke Beschmauchung war in der Umgebung der Schädeleinschußöffnung und an der harten Hirnhaut darunter ausgeprägt. Bei der zweiten Schußverletzung handelt es sich um einen Durchschuß des Körpers von der rechten Unterbauchregion zur linken Gesäßseite mit einem geringen Winkel nach unten (Schußrichtung gering absteigend gegenüber der Horizontalen). Nahschußzeichen waren mit bloßem Auge nicht nachweisbar. Todesursache des E. ist die Schußverletzung des Kopfes infolge der Hirngewebszerreißungen und der Schädelknochenberstungsbrüche.

Beim Entkleiden des Toten fand sich in seiner Turnhose das 9-mm-Projektil der Makarow. Es handelte sich mit großer Wahrscheinlichkeit um dieselbe Kugel, die vorher die Scheibe des Lada durchschlagen hatte. Weiter verzeichnete die Sektionsdiagnose:

Schußverletzung des Kopfes: Beschriebene Einschußverletzung der rechten Schläfenregion 5,5cm oberhalb des oberen Ohrmuschelansatzes (166cm oberhalb der Fußsohle). Feiner sog. Schmutzsaum der Wundränder. Zeichen des absoluten Nahschusses: Ausbildung einer Pulverschmauchhöhle mit verstreuten grauschwärzlichen Pulverschmauchablagerungen unter der Hautoberfläche, unter dem Muskelüberzug des rechten Schläfenmuskels und zwischen den Muskelfasern desselben. Die 1cm breite grauschwarzeBeschmauchung in der Umgebung der Knocheneinschußlücke. Rötliche Verfärbung der Muskelfasern des rechten Schläfenmuskels um den Schußkanal. Pfennigstückgroße grauschwarze Beschmauchung der harten Hirnhaut unter der Schädeleinschußöffnung. Handtellergroße frische dunkelrote Kopfschwartenblutung der Stirn- / Scheitelregion. Längsovale 1,5cm mal 0,8cm große Einschußverletzung des Schädels am vorderen oberen Rand der rechten Schläfenbeinschuppe. Trichterartige Erweiterung nach innen. Fetzige, etwa 3cm Zerreißung der harten Hirnhaut unter der Einschußöffnung. Von der Schädeleinschußöffnung strahlig ausgehende Schädelbrüche in Richtung des rechten Stirnbeinhöckers, zur Scheitelmitte und zum rechten Scheitelbeinhöcker sowie in Kopflängsrichtung zur rechten Hinterhauptseite … Vereinzelte frische rote Punktblutungen in der Umgebung der Hirnschußverletzung … Etwa 3cm mal 3,5cm große Schädelknochenausschußverletzung an der Stirnbein-Scheitelbeingrenze links der Pfeilnahtkreuzung. Trichterförmige Erweiterung der Knochenlücke nach außen (Durchmesser an der inneren Knochentafel etwa 2 mal 2cm). Von der Knochenausschußverletzung ausgehende strahlig angeordnete Schädelberstungsbrüche … Heraussprengung von 2 jeweils etwa 5 mal 5cm großen Scheitelbeinfragmenten am Hinterrand der Knochenausschußöffnung. Zerreißung der harten Hirnhaut unter der Schädelausschußöffnung. Beschriebene Ausschußverletzung der Kopfschwarte links hinter der Kopfmitte 12cm oberhalb der linken Augenbraue (169cm oberhalb der Fußsohle).

Schußverletzung des Rumpfes: … Einschußverletzung des rechten Unterbauches (94cm oberhalb der Fußsohle) … Schußverletzung der rechten äußeren Hüftschlagader von ovalärer Gestalt und etwa 0,6 mal 0,8cm Durchmesser … Zerreißung der Hinterwand der Harnblase mit etwa 2cm mal 3cm großer Eröffnung der Harnblase. Geronnenes Blut in der Harnblase. Schußkanal durch dielinken inneren Hüftmuskeln am Unterrand des linken Darmbeines und durch die linksseitige Gesäßmuskulatur. Ausschußverletzung der Haut der linken Gesäßhälfte 86cm oberhalb der Fußsohle.

Allgemeines stärkeres Hirnoedem. Deutliche Blutarmut der inneren Organe. Wenig flüssiges Leichenblut. Stärkere netzartige Kohlefarbstoffablagerung unter dem Lungenfell beider Lungen. Verfettung der Leber.

Eine sogenannte Stanzmarke vom Aufsetzen der Waffe in der rechten Schläfenregion fehlte. Auch an der 7,65-mm-Waffe waren keine Hautpartikel oder andere direkte Spuren eines aufgesetzten Nahschusses festzustellen.

Ob auch die Makarow-Pistole auf solche Spuren untersucht wurde, geht aus dem Protokoll nicht hervor. Es fand jedoch eine eingehende Untersuchung der Schussspuren statt, bei der die Schmauchelemente Antimon, Blei und Kupfer unter der Haut des Schläfenlappens und an der (rechten) Schusshand Eßlings nach der atomabsorptionsspektrofotometrischen Methode bestimmt und verglichen wurden. Das Gewichtsverhältnis der Blei- und Kupferspuren an der Einschussstelle stimmte mit denen der Wischspuren von Eßlings rechter Hand überein. Daraus ergab sich laut Gutachten zweifelsfrei der Nachweis eines absoluten Nahschusses, den E. sich selbst beigebracht hatte.

Die „Stern“-Story und ihre Schwächen

In Klosterfelde und Umgebung begannen in den ersten Januartagen 1983 intensive Nachforschungen der Staatssicherheit, insbesondere im weitverzweigten Kunden- und Bekanntenkreis des Handwerksmeisters. Man war bemüht, „Umfeld und Motivation des Attentäters“ und die Herkunft der Waffe aufzuklären. Diese Ermittlungen waren nach gut einer Woche in den wesentlichen Punkten abgeschlossen. Dass inzwischen die Gerüchteküche brodelte und die Legende vom Attentat selbst den Berliner Pfarrer Rainer Eppelmann erreicht hatte, wusste die Stasi ebenfalls. Wichtigtuerische Informanten schrieben sich die Finger wund – in den Akten findet sich so manch unterhaltsames Schriftstück.

Überraschenderweise hatte jedoch, unbemerkt vom MfS, zur selben Zeit noch jemand in Klosterfelde, Wandlitz und Stolzenhagen recherchiert. Der Mann aus Berlin war in einem unauffälligen Wagen mit DDR-Kennzeichen aufgetaucht und fündig geworden: „Stern“-Korrespondent Dieter Bub, dem ein Ortsansässiger eine Information über den ungewöhnlichen Zwischenfall zugespielt hatte. Zum Erstaunen der Westmedien und zum grimmigen Ärger der DDR-Oberen konnte Bub mit echten Fotos des vermeintlichen Attentäters, seiner Familie, seines Hauses und seiner Freundin aufwarten. Auch trat er Einzelheiten aus dem Familienleben des unglücklich Geschiedenen breit, die in Klosterfelde die Spatzen von den Dächern pfiffen.

Der Westkorrespondent, der sich ohne Genehmigung des Außenministeriums auf verbotenem Terrain bewegte und sein Risiko kannte, kam an die tatsächlichen Augenzeugen nicht heran. Der „Stern“ schmückte deshalb seine fünfseitige Titelstory mit allerlei erfundenen Details aus. „Die anderen Stasi-Männer reißen ihre Kalaschnikows hoch …“, heißt es da etwa. Ein Foto des angeblichen Tatorts und die bereits erwähnte fantasievolle Zeichnung, auf der Eßlings Lada von zwei Volvos in die Zange genommen wird, während ein dritter Bewachungswagen und ein Polizeifahrzeug zu Honeckers Citroën aufschließen und weiterrasen, gehören dazu. Selbst die vermeintlichen Wagenspuren der Aktion entdeckte Bub auf dem unbefestigten Randstreifen vor dem Haus Berliner Chaussee 5. Das lag allerdings 200 Meter vom Ereignisort entfernt, die Reifenspuren stammten von den Absperrfahrzeugen.

Das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“, wohl nicht ganz ohne Neid auf Bubs waghalsige Recherchen, zweifelte die Darstellung des Kollegen an:

„In diesem Moment [in dem Paul Eßling auf das Ende des Honecker-Konvois stieß, J. E.]“, folgert Stern-Bub, „muß den Ofensetzer aus Klosterfelde die kalte Wut gepackt haben.“ Sein einziger Beleg: Eßling habe nach Aussagen von Bekannten häufig „unbeherrscht auf Honecker und die SED-Regierung geschimpft. Wenn er nur könnte, wollte er es denen schon zeigen“ – ein Indiz, an dem gemessen es in der notorisch unzufriedenen DDR-Bevölkerung von potenziellen Attentätern nur so wimmeln müßte. Der Stern weiß noch mehr. Zwar saß Eßling nach Bubs Schilderung allein im Auto, doch der Leser ist Live dabei: „Ohne den Fuß vom Gaspedal zu nehmen, holt er seinen Revolver aus dem Handschuhfach und entsichert ihn.“ Ob Eßling es Honecker tatsächlich zeigen wollte oder ob der Amok-Fahrer aus privatem Kummer einfach durchdrehte und, als er gestoppt wurde, den ersten besten anschoß, bevor er sich selbst umbrachte, oder ob er in einer Kurzschlußhandlung in jedem Fall Selbstmord begehen wollte – das wußte in Wahrheit Eßling allein. In der SED zirkuliert noch eine andere Version: Danach tötete Eßling möglicherweise nicht sich selbst, sondern wurde von Sicherheitsbeamten erschossen; unsinnig ist in jedem Fall die Stern-Behauptung, der Staatsratsvorsitzende sei „nur knapp einem Attentat entkommen“.

Auch Marlies Menge, von 1978 bis 1990 für die Wochenzeitung „Die Zeit“ in Ost-Berlin, machte sich so ihre Gedanken. Am 14. Januar 1983 schrieb sie in ihrem Blatt: „Ein Ofensetzer, so hieß es, sei es gewesen. Er habe seine Öfen bei Mitarbeitern von Honecker gesetzt und sich über den üppigen Lebensstil der hohen Genossen geärgert.“ Zutreffend stellt sie fest: „Zunächst wurde über das Motiv gestaunt: Ein Handwerker, der sich über das Wohlleben anderer aufregt! Egal, ob ein Handwerker einen privaten Betrieb hat, mit staatlicher Beteiligung arbeitet oder in einer staatlichen Produktionsgemeinschaft – jeder in der DDR weiß, daß es Handwerkern nicht schlecht geht.“ Und dann äußerte die Journalistin einen Gedanken, der eigentlich auf der Hand lag: „Wenn ihn das gute Leben seiner Auftraggeber wirklich so empört hat, warum hat er dann nicht einen Sprengsatz in einem der Öfen montiert, fragte man sich. Das hätte immerhin mehr Aussicht auf Erfolg gehabt als ein Attentat auf offener Straße.“

Attentat oder nicht – Mielkes Firma wurde nach der „Stern“-Veröffentlichung erst richtig aktiv in Klosterfelde. Angeblich wurden zeitweilig sogar die Telefonverbindungen nach Berlin unterbrochen, doch dabei konnte es sich auch um eine normale Störung im überalterten Telefonnetz der DDR-Post handeln. Jedenfalls war die Staatssicherheit fieberhaft bemüht, Bubs Informanten ausfindig zu machen. Aber nicht einmal die eigenen IM, die es in der Gegend um Wandlitz noch reichlicher gab als anderswo in der DDR, brachten Klarheit in die Angelegenheit. Man vernahm ein Dutzend Leute, doch keiner wusste etwas. Nur eine Frau wollte einen „West-Wagen“ im Ort gesehen haben.

In seiner nächsten Ausgabe vom 18. Januar – Bub war seit Tagen aus der DDR ausgewiesen – schob der „Stern“ noch einmal nach, allerdings nur auf Seite 124: Neue Fakten, neue Fotos – diesmal von einem Flensburger Verwandten der Familie Eßling, Immo Sch., beigesteuert. Von seinen Besuchen bei Paul Eßling wusste Sch. zu berichten, der sei ein höchst eigensinniger Mensch und überdies ein Waffennarr gewesen, keinesfalls jedoch ein Alkoholiker. Ein Attentäter mit 2,5 Promille (die wies ein nach dem gaschromatografischen Verfahren gewonnenes Gutachten dem Toten nach) machte offenbar nicht so viel her wie einer, der aus Zorn auf das Regime zur Waffe griff.

Ob ein geübter Schütze auch oder gerade in diesem Zustand sein Ziel zu treffen vermag, steht auf einem anderen Blatt. Paul Eßling war jedenfalls ein ausgezeichneter Schütze. Die zahlreichen Schießscheiben in seinem Haus bewiesen es, und die GST, die vormilitärische „Gesellschaft für Sport und Technik“, in Klosterfelde bestätigte es den Ermittlern von der Staatssicherheit.

Paul Eßling – ein Mann mit Problemen

Im Ort wusste jeder, was Immo Sch. und der „Stern“ nicht wahrhaben wollten: Paul Eßling hatte getrunken. Und auch die Stasi wusste es. Bereits am 24. Januar 1982 hatte man ihm in Berlin nach einer Verkehrskontrolle die Fahrerlaubnis entzogen. Er hatte mit einem Blutalkoholgehalt von 1,9 Milligramm pro Liter die zulässige Höchstgeschwindigkeit um 19 Stundenkilometer überschritten. Doch der Mann wusste sich zu helfen. Wozu hatte man schließlich gute Bekannte bei einer gewissen Firma? Mit einem Ofensetzer, der noch dazu das nötige Material besorgen konnte, wollte es sich niemand verderben. Ein Kamin für die „Datsche“ war der Gipfel kleinbürgerlichen Wohlstands, und Paul Eßling nutzte das.

Deshalb wandte er sich an Hauptmann T. von der MfS-Kreisdienststelle Bernau, der wiederum den Genossen St. von der HA VII/1, verantwortlich für die Offiziershochschule der VP in Biesenthal, so gut kannte, dass er ihn um Unterstützung angehen konnte. Eine Hand wusch nun mal die andere. Der stellvertretende Leiter der Kreisdienststelle bat die H VII/1, das bei der VP-Inspektion Pankow anstehende „Verfahren gegen Eßling, Paul … einzuziehen und uns zur operativen Nutzung zu übersenden“. Einem solchen Wunsch der Stasi konnte sich die Polizei nicht verschließen – was galten da schon Recht und Gesetz? Eine Begründung für den Deal mit eigennützigem Hintergrund lieferte T. ein Jahr später nach: „E. war mir persönlich bekannt, es bestand ein operatives Interesse resultierend aus bedeutsamen Kontakten … Einfluß auf die Überlegungen … hatte auch, daß Eßling für viele Genossen des MfS gearbeitet hatte und eine Arbeit für einen Genossen der HA XVIII bei Groß Köris zugesagt, aber noch nicht ausgeführt hatte. Im Frühsommer 82 wurde dem E. die Fahrerlaubnis zurückgegeben.“

Trotz der „unbürokratischen“ Regelung seines Vergehens war das Jahr 1982 eine besonders kritische Zeit im Leben Paul Eßlings. Inzwischen hatte er den letzten Halt verloren, den ihm die Familie vorher noch geboten hatte, obwohl er Frau und Kinder mit seinem herrischen Verhalten tyrannisierte. Seine Unausgeglichenheit und ständige Unzufriedenheit schlugen sich immer öfter in einer Unbeherrschtheit seinen Kunden und Bekannten gegenüber nieder. Sein Alkoholkonsum stieg. Darunter litten auch seine letzten persönlichen Beziehungen.

Die 38-jährige Geschäftsfrau Sieglinde St. aus Stolzenhagen, um die er hartnäckig geworben hatte, kündigte ihm ein paar Tage vor Weihnachten an, die Beziehung zu ihm endgültig zu lösen. Eßling war verzweifelt und betrank sich sinnlos. Als der Schnaps alle war, griff er nach vergälltem Brennspiritus. Sogar von einem Suizidversuch ist die Rede. Ein guter Bekannter, den er in der Nacht zum 23. Dezember mehrfach anrief, riet ihm dringend, einen Arzt aufzusuchen.

Ob Eßling am Silvestervormittag in seiner Werkstatt getrunken hatte, bevor er erneut bei Frau St. anrief und seinen Besuch ankündigte, ist ungewiss. Frau St. und ihre Mitarbeiter stießen gerade mit einem Glas Sekt auf den Feierabend an, und sie war nicht bereit, mit ihm zu reden. Als Eßling gegen 12.00 Uhr dennoch vor ihrem Haus aufkreuzte, drohte er: „Ich gehe jetzt rein und räume bei dir auf!“ Sieglinde St. blieb ruhig und sagte, er solle verschwinden. Zwanzig Minuten später war er wieder da, stieg aber diesmal nicht aus seinem Auto aus.

Elf Jahre später erinnerte sich Frau St.: „Kann sein, dass er etwas getrunken hatte, besoffen war er jedenfalls nicht.“ Ausführlicher sprechen mochte sie über die alte Geschichte nicht mehr – zu sehr hatten sie damals die zahlreichen Verhöre durch die Stasi belastet. Die hatte sogar unterstellt, Sieglinde St. sei die „Stern“-Informantin gewesen und habe dafür ein Honorar von 30000 Westmark kassiert. Das wollte jedenfalls der Berliner „Tagesspiegel“ nach dem Ende der DDR von ihr erfahren haben.

Doch zurück zu jenem verhängnisvollen Silvestertag. Wahrscheinlich hatte Eßling zu diesem Zeitpunkt nur einen ersten Schluck aus der Flasche Goldbrand genommen, die er in den zwanzig Minuten zwischen seinen beiden Besuchen in Stolzenhagen im Wandlitzer Imbiss „Zum dicken Kurt“ gekauft hatte. Sein Frust über das abweisende Verhalten der Frau war möglicherweise der Auslöser für die späteren Ereignisse. Auf dem Beifahrersitz neben ihm lagen das Fernglas, das er immer bei sich hatte, und die Flasche Goldbrand, aus der er ungefähr 0,3 Liter getrunken hatte – also sieben bis acht „Doppelte“, was mit dem Blutalkohol-Untersuchungsergebnis übereinstimmt. Ein 23 Zentimeter langes Messer lag griffbereit im Fußraum des Autos. In Eßlings Gürtel steckte die 7,65-mm-Walther-Pistole, mit der er schon öfter Schießübungen veranstaltet hatte.

In seiner Tasche trug Paul Eßling über 1000 Mark bei sich, dazu den Entwurf einer Heiratsannonce für die Zeitung „Wochenpost“: „Die 40 sind überschritten, die erste Ehe ist geschieden. Vater mit 16jährigem Sohn, nur 1,70 groß und auch keine Schönheit, kann auch nicht mit Hochschul-Abschluß glänzen und muß kräftig arbeiten, in schöner Gegend bei Berlin, ortsgebunden, überzeugter Nichtraucher, sucht hübsche, lebenserfahrene Frau, die bereit ist, sich anzupassen, so wie er es auch möchte. Fahrerlaubnis erwünscht, obwohl eigene vorhanden. Bitte Bildzuschriften …“

Der erfolgreiche Handwerker träumte offenbar von einem neuen Leben. Doch seine Abhängigkeit vom Alkohol bestimmte seine Gegenwart. Ein Teufelskreis, aus dem er keinen Ausweg fand.

Die Ermittler der Staatssicherheit stießen in Eßlings Haus und seiner Werkstatt überall auf leere Flaschen. Sechs Tage lang durchsuchten sie unter Aufsicht des Militärstaatsanwalts B. das gesamte Anwesen. Sie durchforschten selbst den Karpfenteich mit Detektorsonden. Die Ausbeute: ein rostiger Nagel.

Ein Waffennarr mit Beziehungen

Aussagekräftiger war, was man im Haus und unter dem Dach des großen Nebengebäudes fand. Kein Zweifel, der Mann, dem das alles gehört hatte, musste ein regelrechter Waffennarr gewesen sein! Über dem Kamin hing eine ganze Kollektion von Waffen: ein Florett, ein indischer Dolch, mehrere Waidmesser und eine Armbrust. Darüber hinaus besaß Paul Eßling eine französische Doppelflinte mit Zielfernrohr, Kaliber 16x 24, dazu 617 Patronen, eine Büchsflinte der Firma C. Franz Keller aus Suhl, Kaliber 11.15/16x 70, eine 8,8-mm-Scheibenbüchse mit gezogenem Lauf, sämtlich um die siebzig Jahre alt. Außerdem Kleinkaliberwaffen, zwei unbrauchbare Revolver, selbstgebaute Schalldämpfer, zwei Druckluftpistolen, insgesamt 1154 Schuss Munition und 360 leere Patronenhülsen. Das Beschlagnahmeprotokoll umfasste 164 Positionen. 31 Gegenstände wurden später auf Anweisung des Staatsanwalts vernichtet, 77 an die Erben zurückgegeben.

Den Grundstock für diese Waffensammlung hatte schon Eßlings Vater, ehemals Blockleiter der NSDAP, gelegt und über die Wirren der Zeit versteckt gehalten. Aus dessen Besitz stammte auch die schlecht gepflegte „Selbstladepistole Cal. 7.65 Walthers-Patent Modell 4“, um 1915 von Carl Walther im thüringischen Zella St. Blasii gefertigt.

Paul Eßling trug diese Pistole am Silvestertag nicht zum ersten Mal bei sich. Er liebte es, bewaffnet umherzufahren. Nach dem Suizid lag die Pistole mit nicht zurückgefahrenem Ladeschlitten als „Spur Nr.3“ auf der Chaussee in Klosterfelde. Hatte Eßling vor dem tödlichen Schuss noch Zeit gefunden, eine Ladehemmung zu beseitigen? Die Patrone sprach dafür. Auch beim Probeschießen im Verlauf der waffentechnischen Untersuchung verklemmten sich immer wieder Patronen im Auswerferfenster der Waffe.

Paul Eßling war nicht nur ein Waffenliebhaber, er wollte seine Waffen auch nutzen. Mit dem „führenden Repräsentanten“, in dessen Nähe er an jenem Silvestertag geriet, teilte er eine besondere Leidenschaft: Er war ein passionierter – um nicht zu sagen manischer – Jäger. Doch im Gegensatz zu dem hohen Würdenträger, der sich dafür riesige Waldgebiete reservierte, ließ man den eigenwilligen Handwerksmeister, dessen charakterliche Schwächen und dessen Neigung zum Alkohol bekannt waren, legal nie zum Schuss kommen. Wer in einer der rund 970 Jagdgesellschaften der DDR auf die Pirsch gehen wollte, musste über eine entsprechende „persönliche politische Eignung“ verfügen, denn geschossen wurde „unter der Führung der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands“. Die Jagdgesellschaft erzog „ihre Mitglieder zu aufrechten Kämpfern für den Sozialismus“, in ihren Lehrstunden nahm Staatsbürgerkunde mehr Raum als die Ausbildung an den Waffen ein. Doch Paul Eßling hatte mit seinem Staat nichts am Hut, er wollte nur schießen.

Dass der ihm das edle Waidwerk vorenthielt, traf ihn tief. Nicht einmal die Politprominenz zweiter Garnitur, die zu seinem Kundenkreis zählte, vermochte ihm da zu helfen. In den Befragungsprotokollen der Staatssicherheit tauchten zahlreiche renommierte Namen auf. Über einen prominenten Autor ist nachzulesen, er habe Eßling zu Hause besucht und sei von dessen Bekannten K. nach Hause gefahren worden. Betroffen bestätigte der Schriftstellerkollege den Vorgang. Bis zu unserem Gespräch darüber hatte er nicht geahnt, dass ihn die flächendeckende Überwachung der Stasi mit dem „Honecker-Attentäter“ in Verbindung gebracht hatte.

Paul Eßling baute seine Kamine auch in Häusern und „Datschen“ der Stasi-Oberen, unter anderem bei Markus Wolf, in mehreren Armee-Objekten und in den „Jagdhütten“ des Sportvereins Dynamo bei Groß-Schönebeck. Er war stolz auf seine Arbeit, die jeder schätzte. Ins Jagdkollektiv wurde er dennoch nicht aufgenommen. „Unsere Jagdgesellschaft ist durch Abtrennung eines Jagdgebiets an eine andere Jagdgesellschaft mit Jägern weit überfordert“, hieß es in einem von mehreren Ablehnungsschreiben auf seine wiederholten Aufnahmegesuche.

Jene „andere Jagdgesellschaft“ hatte in der Schorfheide seit über hundert Jahren ihre eigene Tradition. Diese reichte von Kaiser Wilhelm über den „Reichsjägermeister“ Hermann Göring bis zu Erich Honecker und Genossen. Selbst als Paul Eßlings Munitionslieferant, der Diplom-Staatswissenschaftler K., der als „Versorger“ für die Waldsiedlung Wandlitz tätig war und ein Jahr nach dem Tod des Ofensetzers auf der F 109 in seiner Jagdhütte selbst Suizid beging, sich im angeblichen Auftrag von „General Wolf“ für den Möchtegern-Jäger einsetzte, half das nicht. General Günter Wolf, Chef der Hauptabteilung Personenschutz im MfS, zeichnete für den Butler-Service in der Waldsiedlung Wandlitz verantwortlich. Er hatte seinen Untergebenen nicht nur schriftlich befohlen, ihre Arbeitsaufgaben „zur optimalen und niveauvollen Betreuung und Versorgung der führenden Repräsentanten, ihrer Familienangehörigen und Gäste … jederzeit vorbildlich, mit hoher Einsatzbereitschaft, revolutionärer Wachsamkeit und tschekistischer Meisterschaft zu realisieren“, sondern sie auch allen Ernstes angewiesen, den hohen Herren Genossen jeden Wunsch von den Augen abzulesen, bevor er überhaupt ausgesprochen wurde.

Dass sich ein Stasi-General für Paul Eßling eingesetzt haben soll, bleibt merkwürdig, denn der war bekanntermaßen aufmüpfig. Doch letztlich wog wohl das gängige DDR-Motto „Privat geht vor Katastrophe“ schwerer als das Gemoser des Mannes, den alle brauchten. Als die Stasi nach den „staatsfeindlichen Äußerungen“ Eßlings in Klosterfelde fragte, wollte sie dort niemand bestätigen. Vielmehr wurde der abgängige Mitbürger als ein in „politischer Hinsicht zurückhaltender Mensch charakterisiert“, obwohl es viele besser wussten. Selbst die zahlreichen „ehrenamtlichen Informanten“ der Firma gaben sich unwissend und behaupteten, dass Eßlings Jagdleidenschaft bekannt gewesen sei, nichts jedoch über die Waffen in seinem Besitz gewusst zu haben.

Auch das war ausgesprochen unglaubwürdig. Paul Eßling war häufig im Wald herumgestreift und -geritten und hatte etliche Jäger verärgert. Es war nicht unbemerkt geblieben, dass er gewildert und Rehe und Wildschweine geschossen hatte. Mindestens ein solcher Vorfall war aktenkundig, wie die Stasi herausfand. Außerdem stammte die Munition für Eßlings Jagdwaffen – anders als die von der Deutschen Waffen- und Munitions-AG Berlin Borsigwalde produzierten Vorkriegspatronen für seine Walther-Pistole – aus den 1970er-Jahren. Die konnte in der DDR nur ein ausgewählter Personenkreis besorgt haben.

Das MfS protokollierte all das säuberlich und unternahm weitere umfangreiche Nachforschungen. Aber so recht schien niemand daran interessiert gewesen zu sein, ausgerechnet in der Nähe von Wandlitz in einem schier bodenlosen Sumpf herumzustochern. Vier magere Seiten füllt beispielsweise die bemerkenswerte Tatsache, dass ein Offizier der eigenen Firma, Oberstleutnant Al. von den rückwärtigen Diensten der Hauptverwaltung Aufklärung (HVA), Eßling für Westgeld dessen beide Luftdruckpistolen besorgt hatte.

Ausführlicher dargestellt wurden die charakterlichen Schwächen Paul Eßlings, man ließ zu diesem Zweck sogar ein nachträgliches medizinisches Gutachten anfertigen. In ihm wurde Eßlings wenig geselliges, leicht reizbares und rechthaberisches Wesen hervorgehoben. Besonders nach dem Verlust der Familie habe sich der zu Alkoholmissbrauch neigende ziel- und willenlose Mann – schon Vater und Großvater seien „Potatoren“ gewesen, Quartalstrinker – hilflos und unsicher gefühlt. Aus diesem Persönlichkeitsbild wurde geschlussfolgert, man habe es mit dem „Bilanzselbstmord“ einer „anankastischen [zwanghaften] Persönlichkeit“ zu tun.

Für die Staatssicherheit war das eine annehmbare Lösung des Falls Paul Eßling. Der zwölfseitige, vom Abteilungsleiter Oberstleutnant Lehmann unterzeichnete Abschlussbericht der Hauptabteilung Untersuchung bescheinigte Eßling außerdem, er habe sich in einem „schuldhaft herbeigeführten, die Zurechnungsfähigkeit vermindernden Rauschzustand (Psychose)“ befunden, und kam zu dem Ergebnis, es könne ausgeschlossen werden, dass E. aus einer „feindlichen negativen Haltung heraus gezielt einen Angriff auf eine Repräsentantenfahrt geführt oder geplant hatte“.