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Diese Bergroman-Serie stillt die Sehnsucht des modernen Stadtbewohners nach einer Welt voller Liebe und Gefühle, nach Heimat und natürlichem Leben in einer verzaubernden Gebirgswelt. "Toni, der Hüttenwirt" aus den Bergen verliebt sich in Anna, die Bankerin aus Hamburg. Anna zieht hoch hinauf in seine wunderschöne Hütte – und eine der zärtlichsten Romanzen nimmt ihren Anfang. Hemdsärmeligkeit, sprachliche Virtuosität, großartig geschilderter Gebirgszauber – Friederike von Buchner trifft in ihren bereits über 400 Romanen den Puls ihrer faszinierten Leser. Bürgermeister Fellbacher kaufte jeden Morgen eine Zeitung im Andenken- und Trachtenladen Boller. Sobald er das Rathaus betrat, machte ihm Gina, die Gemeindesekretärin, einen Kaffee. In aller Ruhe las er zum Kaffee die Zeitung. Das war ein festes Ritual. Doch an diesem Morgen gab es keine Zeitung. Der Andenken- und Trachtenladen Boller war geschlossen. Es hing auch kein Schild an der Tür, das die Schließung erklärte. Bürgermeister Fellbacher blickte durch das Glas der Eingangstür. Der Laden sah aus wie immer. Nichts deutete auf unvorhergesehene Vorkommnisse hin. »Der Franz wird verschlafen haben«, murmelte Fellbacher. »Des ist kein Wunder, bei dem Stress, den er hat, so ganz ohne seine Veronika.« Fellbacher ging zur Haustür, die an der anderen Seite des Gebäudes lag. Er drückte auf die Klingel und wartete. Es geschah nichts. »Mei, hat der Franz einen Schlaf«, murmelte er vor sich hin. Fellbacher drückte erneut auf den Klingelknopf und ließ den Finger mindestens zehn Sekunden drauf. Er konnte deutlich hören, wie die Klingel drinnen durch das ganze Haus schallte. Da dann immer noch nichts passierte, gab Fellbacher mit der Klingel das SOS-Signal. Wie auf See üblich, drückte er dreimal kurz, dreimal lang und wieder dreimal kurz. Das wiederholte er etliche Male. »Also, jetzt wird es mir zu dumm«, schimpfte Fellbacher. »Entweder er hat Ohrstöpsel drin oder er schläft einen Rausch aus.« Andere Erklärungen fielen ihm nicht ein. Etwas verärgert, dass er auf seine geliebte Morgenzeitung verzichten musste, ging er über den Marktplatz und die Hauptstraße ins Rathaus. »Grüß Gott, Herr Bürgermeister«, rief Gina fröhlich. »Ich bringe gleich den Kaffee.« »Grüß Gott,
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Seitenzahl: 131
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Bürgermeister Fellbacher kaufte jeden Morgen eine Zeitung im Andenken- und Trachtenladen Boller. Sobald er das Rathaus betrat, machte ihm Gina, die Gemeindesekretärin, einen Kaffee. In aller Ruhe las er zum Kaffee die Zeitung. Das war ein festes Ritual.
Doch an diesem Morgen gab es keine Zeitung. Der Andenken- und Trachtenladen Boller war geschlossen. Es hing auch kein Schild an der Tür, das die Schließung erklärte. Bürgermeister Fellbacher blickte durch das Glas der Eingangstür. Der Laden sah aus wie immer. Nichts deutete auf unvorhergesehene Vorkommnisse hin.
»Der Franz wird verschlafen haben«, murmelte Fellbacher. »Des ist kein Wunder, bei dem Stress, den er hat, so ganz ohne seine Veronika.«
Fellbacher ging zur Haustür, die an der anderen Seite des Gebäudes lag. Er drückte auf die Klingel und wartete. Es geschah nichts.
»Mei, hat der Franz einen Schlaf«, murmelte er vor sich hin.
Fellbacher drückte erneut auf den Klingelknopf und ließ den Finger mindestens zehn Sekunden drauf. Er konnte deutlich hören, wie die Klingel drinnen durch das ganze Haus schallte. Da dann immer noch nichts passierte, gab Fellbacher mit der Klingel das SOS-Signal. Wie auf See üblich, drückte er dreimal kurz, dreimal lang und wieder dreimal kurz. Das wiederholte er etliche Male.
»Also, jetzt wird es mir zu dumm«, schimpfte Fellbacher. »Entweder er hat Ohrstöpsel drin oder er schläft einen Rausch aus.«
Andere Erklärungen fielen ihm nicht ein. Etwas verärgert, dass er auf seine geliebte Morgenzeitung verzichten musste, ging er über den Marktplatz und die Hauptstraße ins Rathaus.
»Grüß Gott, Herr Bürgermeister«, rief Gina fröhlich. »Ich bringe gleich den Kaffee.«
»Grüß Gott, Gina! Kaffee ohne meine Zeitung, der schmeckt nicht. Lass es sein!«
»Keine Zeitung?«, staunte Gina. »Ich kann schnell hinüberspringen und eine holen.«
Sie war gewohnt, dass Fellbacher die Schlagzeilen der politischen Artikel lautstark kommentierte.
»Drüben bei den Bollers ist niemand. Der Laden ist geschlossen. Es steht auch nichts dran. Ich habe an der Haustür Sturm geklingelt, aber niemand hat aufgemacht.«
Gina schaute Fellbacher mit großen Augen an.
»Da staunst du, wie?«
»Das hat es noch nie gegeben. Hoffentlich ist da nichts passiert. Die Geschichte mit der Veronika geht dem Franz sehr zu Herzen. Er wird doch keine Dummheit gemacht haben?«
»Na, des hat er sicherlich net!«, sagte Fellbacher im Brustton der Überzeugung. Doch er bekam einen Riesenschreck bei dem Gedanken.
»Meinst, er könnte eine Eselei gemacht haben? Des wäre schlimm. Oder er kann unter der Last des Kummers zusammengebrochen sein. Vielleicht liegt er irgendwo und braucht Hilfe.«
Fellbacher rieb sich das Kinn. Er dachte einen Augenblick nach.
»Gina, bring mir doch einen Kaffee!«
Gina nickte.
Fellbacher setzte sich an seinen Schreibtisch. Er trommelte nervös mit den Fingern. Als Gina ihm den Kaffee brachte, nickte er nur. Er dachte angestrengt nach. Er musste etwas unternehmen. Doch da war guter Rat teuer. Er konnte die freiwillige Feuerwehr anrufen. Sie könnte die Tür aufmachen. Doch sie brauchte einen guten Grund, und die Polizei musste dabei sein. Aber dann müssten Chris und Wolfi einen Bericht schreiben. Entweder es ist etwas passiert oder es war alles in Ordnung. Wenn der Franz in seiner Wohnung liegt, weil er vor Kummer einen Herzinfarkt hatte, dann würde er froh sein, dass ihm geholfen wird. Wenn aber nix war, dann wäre das Hausfriedensbruch, und es könnte ihm politisch an den Kragen gehen. Die Opposition würde das ausschlachten. Aber nichts tun und abwarten, dazu konnte er sich auch nicht entschließen.
Er trank den Kaffee aus.
»Gina, ich muss noch mal fort«, sagte er knapp.
Fellbacher eilte hinüber zum Pfarrhaus und läutete Sturm. Helene Träutlein öffnete.
»Ich muss ihn sprechen«, sagte er nur, während er die Haushälterin zur Seite schob.
»Heiner, ich bin’s. Heiner, du musst mir helfen«, rief er laut.
Pfarrer Heiner Zandler, ein Jugendfreund des Bürgermeisters, saß in der Küche des Pfarrhauses beim Frühstück. Er stand auf und ging in den Flur.
»Grüß Gott, Fritz! Komm rein«, sagte er.
Pfarrer Zandler setzte sich wieder und frühstückte weiter.
»Grüß Gott, Heiner! Ich brauche deine Hilfe. Hast du einen Dietrich?«
»Wo willst einbrechen? Hast du dich selbst aus dem Rathaus gesperrt?«
»Schmarrn! Ich habe Angst um den Franz Boller. Der Laden ist zu.«
»Das weiß ich. Träutlein wollte die Zeitung holen.«
»Heiner, ich habe Sturm geklingelt. Niemand macht auf. Du weißt, dass Franz unglücklich ist, ja, richtig verzweifelt ist er. Wenn …«
»Sprich net weiter, Fritz! So etwas soll man nicht einmal denken.«
»Das sagst du so einfach. Also, hast du einen Dietrich? Ich will rein und nachsehen, wie es ihm geht. Vielleicht hat er sich auch nur einen Rausch angetrunken oder er streikt, weil er im Leben keinen Sinn mehr sieht, den Laden ohne seine Veronika zu führen. Ich will kein Aufsehen erregen.«
»Lieber machst du dich strafbar?«
»Himmel, was bist für ein Krümelsucher, Heiner. Ich sorge mich, sonst nix. Franz wird es verstehen.«
»Einen Dietrich habe ich nicht, den würde ich dir auch nicht geben. Aber ich habe einen Schlüssel.«
»Was du nicht sagst? Her damit! Wie kommt es, dass du einen Schlüssel hast?«
Pfarrer Zandler wandte sich an Helene Träutlein. Er forderte sie auf, mitzukommen. Zandler hatte es so eingerichtet, dass seine Haushälterin bei Franz nach dem Rechten schaute, so lange Veronika beim Doktor Engler auf der kleinen Krankenstation lag. Er erklärte, dass Träutlein Franz die Wäsche machte und putzte. Aber dass sie für ihn kochte, wollte er nicht.
Gemeinsam gingen sie hinüber zum Haus der Bollers. Pfarrer Zandler schloss auf. Sie stiegen die Treppe hinauf, schauten zuerst in der Küche, dann im Wohnzimmer und dann im Schlafzimmer nach. Sie fanden Franz nicht. Er war auch nicht in einem der Nebenräume des Ladens oder im Lager.
»Herr Pfarrer, ich vermute, Franz war heute Nacht nicht daheim. Das Bett ist unberührt. Sonst, wenn ich zum Putzen komme, lege ich zuerst das Bett zum Lüften ins Fenster. Ich bin sicher, dass er heute Nacht nicht hier geschlafen hat«, sagte Helene Träutlein sichtlich verlegen.
Fritz und Heiner schauten sich an und schmunzelten.
»Der hat kein anderes Madl, bei dem er vielleicht genächtigt hatte«, sagte Fellbacher. »Der Franz ist kein Hallodri.«
Zandler stimmte dem Bürgermeister zu.
»Dann müssen wir Veronika fragen. Vielleicht weiß sie etwas«, sagte Fellbacher.
Zandler stimmte zu. Fellbacher sollte allein mit Veronika sprechen. Der Geistliche hatte einen Termin im Ordinariat und musste fort.
Sie verließen das Haus und schlossen ab.
Dann trennten sie sich. Fellbacher machte sich sofort auf den Weg zur Arztpraxis.
Dr. Martin Engler saß mit seiner Frau Karla und der alten Schwanningerbäuerin beim Frühstück.
Schon im Flur hörte Fellbacher lautes Lachen.
»Grüß Gott!«, sagte Fellbacher.
»Grüß Gott, hast du schon gehört, was heute Nacht passiert ist? Auch wenn Wolfi und Chris keinen Bericht schreiben, werden sie es herumerzählen. Es ist auch zu lustig.«
Martin, Karla und die alte Schwanningerin mussten wieder lachen.
Verwundert setzte sich Fellbacher zu ihnen an den Tisch und schaute erstaunt in die Runde.
»Dich wird die Geschichte auch gleich erheitern, Fellbacher. Hör zu!«, sagte Martin. »Heute Nacht wollte Franz Boller bei seiner Veronika fensterln, die bei mir auf der Krankenstation liegt. Sie konnte in der Dunkelheit nicht erkennen, wer da durch das Fenster wollte. Beherzt wie sie ist, hat sie ihm mit aller Kraft die große emaillierte Waschschüssel übergehauen. Franz liegt jetzt mit einer Gehirnerschütterung ebenfalls hier. Eine Platzwunde musste ich nähen. Die beiden teilen sich ein Krankenzimmer.«
Fellbacher schmunzelte zuerst, dann grinste er und musste schließlich laut lachen.
»Chris und Wolfi mussten auch lachen. Das ist auch ein Ding. Da will ein Ehemann bei seiner eigenen Frau fensterln. Sie hält ihn für einen Einbrecher und schlägt ihn nieder. Die Geschichte könnte ein Film sein. Aber sie ist wahr.«
»Und wie geht es den beiden jetzt?«, fragte Fellbacher.
»Franz sollte noch einige Tage im Bett bleiben. Aber Veronika geht es wieder besser, jedenfalls körperlich. Über den Schock, dass sie betrogen wurde und reingefallen ist, ist sie noch nicht hinweg.«
»Reden die beiden wieder miteinander?«, fragte Fellbacher.
»Na! Franz will reden. Veronika schweigt. Des ist so ein Schwachsinn! Da kann ich nichts machen.«
»Aber ich! Kann ich zu ihnen?«, fragte Fellbacher.
»Sicher!«
»Aufi, dann werde ich jetzt einmal einige Takte mit denen reden.«
Bürgermeister Fellbacher stand entschlossen auf. Er ging hinüber zum Krankentrakt und riss die Tür zum Krankenzimmer auf, ohne anzuklopfen. Dann knallte er sie zu. Die Bollers erschraken beide und zuckten zusammen.
»Franz, wie geht es dir?«, fragte Fellbacher.
»Ich habe einen Brummschädel.«
»Des hast du zu verantworten, Veronika«, schimpfte Fellbacher mit ihr. »Sei froh, dass net mehr passiert ist. Du hast den armen Franz dazu gebracht, in seiner Verzweiflung bei dir hier einzusteigen. Das war so unnötig wie ein Kropf. Also, was ihr beide zusammen habt oder nicht habt, Ehekrise hin oder her, das müsst ihr unter euch ausmachen. Aber dass der Laden zu ist, das kann ich als Bürgermeister net dulden. Ich hatte keine Zeitung zum Frühstück. Da ist mir schon der Tag verdorben. Ich brauche meine Zeitung am Morgen, basta. Ich muss doch wissen, wie der politische Wind weht. Also lasst euch etwas einfallen! Dabei geht es nicht nur um mich. Sollen jetzt alle Leut in Kirchwalden einkaufen? Ich sage es euch: Ich bringe euch dazu, dass ihr wieder aufmacht und zwar noch heute. Tut ihr des net, dann ziehe ich andere Seiten auf. Ich werde sofort Konkurrenz heranholen. Morgen steht da ein Verkaufskiosk, und ihr schaut dumm aus der Wäsche! Habt ihr mich verstanden?«
»Du bist ganz schön sauer, Fritz«, sagte Franz. »Das ist Erpressung.«
»Schmarrn, das ist Notwehr. Also, wie steht es jetzt?«
»Ich muss noch ein paar Tage liegen«, sagte Franz.
»Was ist mit dir, Veronika?«
Veronika Boller brach in Tränen aus.
»Ich kann mich nicht in den Laden stellen. Das schaffe ich net. All die Kunden, die über mich lachen! Es geht wirklich nicht«, jammerte sie. Veronika drehte sich im Bett um und heulte in die Kissen.
Bürgermeister Fellbacher ließ sich auf einen Stuhl sinken. Er seufzte.
»Gut, das sehe ich ein, Veronika. Nun höre auf zu heulen. Des bringt nix. Ich habe eine andere Idee: Ihr gebt mir den Schlüssel für euren Laden. Ich sorge dafür, dass genug Leute da sind, die euch vertreten.«
»Wer soll das sein?«, fragte Franz.
Bürgermeister Fellbacher erläuterte seinen Plan. Anna Baumberger würde die Aufsicht übernehmen und jeden Tag die Abrechnungen machen. Meta Baumberger, Helene Träutlein und Irene, die Frau des Bürgermeisters, würden sich im Laden abwechseln. Gina würde er auch freistellen, damit sie stundenweise oder halbe Tage im Laden sein könnte.
Franz gab Fellbacher den Ladenschlüssel.
»Das wäre das«, sagte Fellbacher. »So bekommen wir die Woche herum. Wenn es Martin erlaubt, dann bist du nächste Woche wieder im Laden. Du musst ja nicht den ganzen Tag verkaufen. Gina und meine Frau werden dich unterstützen, damit du dich nicht übernimmst.«
Franz Boller gefiel der Plan. Ihm war damit eine Sorge genommen.
»Wichtiger ist es mir, dass meine Veronika die Sache überwindet.«
»Franz, da wirst du Geduld haben müssen.«
Martin kam ins Krankenzimmer.
»Du kommst genau im richtigen Augenblick, Martin. Du hast mir gesagt, dass es Veronika körperlich besser geht. Was hältst du davon, wenn sie auf die Berghütte geht? Ich bin davon überzeugt, dass ihr ein Gespräch mit Anna helfen wird. Anna kann ihr klarmachen, dass, wie schlimm es auch ist, das Leben weitergeht. Für Tonis Frau war es nicht einfach, die Sache aufzudecken. Das musst du mir glauben, Martin. Anna wäre es lieber gewesen, die Herren hätten eine saubere Weste gehabt und nicht eine, die vor Dreck steht. Sie ist auch in Sorge, dass Veronika es ihr nachträgt.«
Veronika richtet sich im Bett auf. Sie wischte sich die Tränen mit den Fingern aus dem Gesicht.
»Ich bin der Anna net böse. Wenn sie des net alles entdeckt hätte, wer weiß, in was ich noch geraten wäre. Des kannst du ihr sagen, Fellbacher.«
»Des kannst du der Anna selbst sagen, Veronika«, sagte Martin. »Du ziehst dich jetzt an und packst deine Sachen. Ich fahre dich rauf auf die Oberländer Alm und bringe dich auf die Berghütte. Dort machst du dir einige ruhige Tage, bis Franz wieder auf den Beinen ist. Dann kommt er zu dir. Ihr macht einen schönen Spaziergang und sprecht euch aus. Nach einigen Tagen in den Bergen wirst du dich besser fühlen, Veronika. Toni und Anna werden dich aufbauen. Auf der Berghütte bist du sicher vor Leuten aus Waldkogel. Dort sind nur Hüttengäste. Du kannst Anna in der Küche helfen, dann hat sie mehr Zeit für die Kinder und du tust ein gutes Werk.«
Martin schaute auf die Uhr.
»Wir fahren in einer halben Stunde. Ich warte draußen am Auto.«
Doktor Martin Engler und Bürgermeister Fritz Fellbacher warfen sich Blicke zu.
»Ich gehe auch. Ich muss den Laden organisieren. Also Pfüat euch!«
Der Bürgermeister und der Doktor gingen hinaus.
Eine halbe Stunde später kam Veronika zum Auto. Karla war bei ihr. Sie wollte gleich in die Wohnung über dem Laden gehen und frische Kleidung für Veronika holen, die sie Anna mitgeben wollte, wenn sie am Abend kam, um die Abrechnung zu machen.
Martin nickte. Er hielt Veronika die Autotür auf. Sie stieg ein, setzte die Sonnenbrille auf, die ihr Karla geliehen hatte und band sich ein Kopftuch um, das sie tief in die Stirn zog. Sie wollte nicht erkannt werden. Martin verstand seine Patientin und schwieg. Er fuhr los.
*
Die Sitzung des Ausschusses für die Vergabe von Stipendien war zu Ende. Wie jedes Jahr hatten sich viele Studenten der Universität in San Antonio beworben. Alle waren hochbegabt, ehrgeizig und fleißig. Die Auswahl fiel dem Gremium nicht leicht. Die Satzung schrieb vor, dass der Beschluss einstimmig sein musste. Der Ausschuss bestand aus ehemaligen Studenten, die es zu Ansehen und Vermögen gebracht hatten. Sie spendeten jedes Jahr größere Summen. Weiterhin gehörten dazu mehrere Professoren, die jedes Jahr wechselten.
Professor Dexter Coleman gehörte ebenfalls zum Stipendien-Ausschuss. Er hatte einst an der Universität studiert. Er kam aus einfachen Verhältnissen, seine Eltern hatten auf einer Ranch gearbeitet. Er war eine Leseratte gewesen, und der Rancher hatte ihn gefördert. Die harten Jahre seiner Kindheit hatten seinen Blick geschult. Unter seinen Studenten war ihm ein stiller junger Mann aufgefallen. Er war nur für zwei Jahre nach Amerika gekommen, um dort seine Kenntnisse des amerikanischen Wirtschaftsrechts zu vervollkommnen. Coleman vermutete, dass der junge Mann, der in Deutschland bereits ein abgeschlossenes Jurastudium absolviert hatte, nicht vermögend war. Er war arm, das sah Coleman. Hannes Binder hatte sich nicht um ein Stipendium beworben. Er arbeitete bis spät in der Nacht in einer Hotelwäscherei und trug am Morgen die Zeitungen aus, bevor er an die Universität ging. Er bewohnte ein winziges Zimmer und trug immer denselben Anzug, der auch schon bessere Zeiten gesehen hatte. Coleman hielt den jungen Mann für besonders begabt. Außerdem gefiel ihm seine ruhige und angenehme Art. Er war zurückhaltend, fast scheu.
Nach der Sitzung fuhr Dexter
Coleman über den Highway nach Hause. Unterwegs fiel sein Blick auf ein Richtungsschild. Er überlegte. Seine Frau war abends nicht daheim. Sie traf sich mit anderen Frauen der Kirchengemeinde, um den bevorstehenden Basar vorzubereiten. Da konnte es spät werden.
Statt heimzufahren, entschloss sich Dexter, den Ort seiner Kindheit aufzusuchen, die Ranch von William Young. Er besuchte ihn meistens zu seinem Geburtstag und an den Weihnachtsfeiertagen. Aber heute hatte Dexter Zeit. Der alte Will wird sich freuen, dachte er und bog ab.