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Dieses Buch enthält Prosastücke, die eine Gemeinsamkeit auszeichnet: Sie alle bestehen aus genau einem Satz! Die Zeit der Ruhe am Abend, wenn es darum geht, ein gutes Buch zur Hand zu nehmen; das Kind, das zum ersten Mal beim Frisör zum Haarschnitt sitzt; der Mann, der erläutert, warum die Aussage, Männer würden Sex und Liebe voneinander trennen, nur aus dem Mund einer Frau stammen kann; die Bosnierin, die am Fernsehbildschirm unter den Gefangenen des Konzentrationslagers ihren eigenen Sohn erkennt; die Erinnerung eines Mannes an die erste Begegnung mit der Frau, die ihn nicht mehr ruhig schlafen lässt; der Vater, der den Versuch unternimmt, einer Geburtagskinderschar die Bedeutung des Wortes »Sperma« zu erklären und daran womöglich scheitert; eingefangene und zu Wort geronnene Stimmungen und Gefühle, Ironisches und ein scharfer Blick auf gesellschaftspolitische Missstände und Katastrophen. Denn letzten Endes steht eben alles auf der Kippe. Ein Buch literarischer Miniaturen, die es in sich haben.
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Seitenzahl: 110
abendlich
aufmerksam
augenzwinkernd
ausgelöscht
bedrohlich
beschlossen
betroffen
bissig
bodenständig
charakterlich
chiastisch
dämonisch
delirant
düster
einflussreich
eingepfercht
einsichtlich
entrüstet
fern
filmreif
finanziell
folgerichtig
gedankenlos
gelegentlich
gelogen
gewappnet
glutäugig
glutheiß
grotesk
gründlich
haarig
hanebüchen
hochhackig
industriell
intim
informell
jung
juridisch
kleinkariert
korrigierend
kunststoffarm
lachend
latent
lebensnah
legendär
licht
luftig
magisch
mittellos
namenlos
neidisch
notgedrungen
orgiastisch
orthografisch
porös
quirlig
raffiniert
räudig
riechend
romanesk
sandig
schillernd
sehnsüchtig
selbsterklärend
spitzfindig
suchend
totenstarr
überlegen
überredet
unbedeutend
unerwünscht
unverhohlen
unversehens
ursprünglich
verantwortlich
verbunden
verfressen
versessen
vorbildlich
vorsichtig
wechselhaft
welk
wolkig
xenophil
yuppig
zeitig
zünftig
zyklisch
Ganz still musste es sein, die Lampen ausgeknipst, bis auf die eine, die den Tisch erhellte, wo er, geradezu heimlich, weil niemand davon wusste, die Bücher stapelte, die zuvor noch im Regal gestanden, und er setzte sich nieder, rückte mit dem Stuhl ganz nah zur Tischkante und vergrub das Gesicht in den Handflächen, um zu verschnaufen und sich auf das, worauf er sich den ganzen Tag gefreut hatte, vorzubereiten, er atmete tief ein, schloss die Augen und öffnete sie wieder, nahm die Hände vom Antlitz und wandte sich dem Stapel zu, der, wie er schmunzelnd meinte, im Grunde doch nur eine Menge Papier anhäufte, doch dieses Papier, wovon er so viel besaß, lag ihm sehr am Herzen, immer noch, nach den vielen Jahren, während der kaum eine Stunde Zeit zum Lesen oder gar zum Schmökern gewesen war, er öffnete den Deckel des zuoberst ruhenden Buches, strich mit den Fingern über das Papier, fühlte die sacht eingedrückten Vertiefungen des Druckes, blätterte weiter und führte, in einem Augenblick momentaner Sinnlichkeit, den Band zur Nase und roch daran, schnupperte, als gälte es, das längst verloren Geglaubte wiederzuerkennen, sich in die Tage zwischen Studium und Lektüre zurückzuversetzen, aber dann legte er das Werk neben die anderen, zog ein dünnes Bändchen aus dem verbliebenen Stoß, die lyrische Jahressammlung eines der Renommiertesten, dessen Texte er hin und wieder hervorkramte, um darin zu versinken und den Zwängen, die sich über die Jahre aufgebaut hatten, zumindest für einen Wimpernschlag zu entfliehen, und abermals lächelnd wendete er Seite um Seite, sprang ganz nach hinten und wieder vor, denn es gefiel ihm, der plötzlichen Eingebung seiner Empfindungen nachzugeben, Sätze entlangzuschreiten und an einem bestimmten Wort hängen zu bleiben, sich zurückzulehnen und den Gedanken freien Lauf zu lassen.
Nur zum Spaß halte er Ausschau nach den Geschäftsleuten, eingeschnürt in knallhartes Kragenhemd mit Streifsakko, und als Mascherl ein gordischer Krawattenknoten, immerhin wähne er nicht nur sich selbst verrückt, sondern wisse, dass diese Stadt ein unbändiges Gespür zur Brut von schrägen Geistern habe, und so klammerte er sich am Türpfosten fest, schnellte mit dem Kopf einmal vor und pendelte danach zwischen Passage und Gasse, um den Fluss der Fußgänger zu beobachten, besonders deftige Exemplare herauszufischen und dem Mikroskop seiner nimmersatten Neugier zuzuführen, er habe schließlich ein Recht darauf, den Vorgängen in seiner Nachbarschaft auf den Zahn zu fühlen, verrieten sie doch Gemeines, das nicht nur für ihn, sondern den gesamten urbanen Verwaltungsapparat von Bedeutung sei, dabei denke er gerade einmal an die Auswirkungen auf eine Reihe von Gebührensätzen, aber er sei durch-aus bereit, sein eigenes Feuer, das im Herzen ungeschlacht loderte, hintanzustellen, das heißt: auszudämpfen, bis nur mehr winzigste Flämmchen es wagten, ihr Licht aufzublenden, damit Berufenere die Vorlage aufgriffen und ihre eigenen Schlüsse zögen, wiewohl diese kaum einen Millimeter von seiner beizeiten auf einer Serviette formulierten Analyse abweichen dürften, versicherte er, rümpfte die Nase und sprach anschließend von der Gruppe der Jungen, der Studenten, die sich durch ganz typische Schrittlängen (und nicht etwa die Trinkgewohnheiten) bemerkbar machten, von denen er selbstverständlich jede einzelne genauestens examiniert und verinnerlicht habe, um, sofern ein behördlich ermächtigtes Gremium ihn dazu aufforderte, Bericht zu erstatten, was seiner selbstgewählten und in keinem Lexikon der Welt vermerkten Tätigkeit eine goldene Krone aufsetzte.
Weil es so viel Aufsehen erregte, wenn ich mit beiden Nasenflügeln ähnlich einem Landpferd, das seine Nüstern aufbläst, vibrierte und die Luft in regelmäßigen Stößen, welche mein Umfeld augenblicklich zum Totlachen brachten, auspfiff, um den Kellner davon zu überzeugen, wie viel vernünftiger es wäre, die Zeche wie bereits in den vergangenen Tagen anzuschreiben und unsere Gruppe von hinnen ziehen zu lassen, damit nächtens, beim Mitternachtsgeläute der großen Kathedrale, das prachtvolle Schauspiel abertausender funkelnder und glitzernder Sterne, die mehr als zufällig über das Rückgrat des nun von der Tageshetze ausruhenden städtischen Firmaments sprühten, genug nüchterne Augenpaare als Antipoden vorfände.
Im Endeffekt ist es ein Brennen in dir selbst, im eigenen Körper, das Beweggründe zu einer Antriebskraft stilisiert, es schlummert in uns, da lässt sich nichts drehen und wenden, und ich glaube, dass es durchaus Sinn ergibt, immerhin schlagen wir uns seit Millionen Jahren so recht und schlecht durch, und die Kinder garantieren unser Weiterleben, das Weiterbestehen unserer Kultur, all dessen, wofür wir eigentlich stehen, im Positiven wie im Negativen, denn du weißt ja, diese beiden Seiten lassen sich kaum voneinander trennen, so ist eine Nachkommenschaft keineswegs ein Kuriosum, sondern erfreulich, aber selbstverständlich steht dir die Möglichkeit offen, unbefangen darüber zu entscheiden (einigermaßen zumindest, denn du weißt, bei einzelnen Leuten ist das wie bei den Hottentotten, da kommt halt ab und zu mal ein Kind), es liegt an dir, ob du es willst oder nicht, ob du dich diesem Kreislauf, den wir aus menschlicher Sicht wohl als einen ewigen bezeichnen müssen, unterordnest und dasselbe tust wie die andern oder ob du dich zurücklehnst, nein danke sagst und dein Leben in jeder Beziehung so lebst, wie es dir in den Kram passt, auf Verantwortung in familiärer Hinsicht gänzlich verzichtest und, wie du es ja formuliertest, das Dasein genießt, ohne auf einen Knirps Rücksicht zu nehmen, es steht dir völlig frei, deine Entscheidung zu überlegen und ohne Einfluss von außen zu treffen, es ist auf jeden Fall in Ordnung, wenn du Geschichte andern überlässt (immerhin treten wir ja nicht gerade als kleine oder gefährdete Population auf), du solltest nur alle Argumente in dein Kalkül ziehen und von allen Seiten betrachten, denn manche Ratschläge helfen einem schon weiter, und bedenke, wenn du dich für ein ungebundenes Leben entscheidest und wenn du dich weigerst, eigene Kinder zu zeugen und großzuziehen, dann bist du gewissermaßen der Endpunkt.
Oh ja, es klang lächerlich, geradezu töricht, wenn ich den ungezähmten Bandwurm jener Worte ausspuckte, die in meinem Kopf wie Heidekraut sprossen, denn wer konnte schon allen Ernstes seriös zuhören, wenn ich mich über die behütende und schützende unendlich verdickte Verschalung erging, die über das im Strom jeden Aufruhrs ruhende Gefühl wachte, still und gar heimlich, verborgen vor jedwedem Zugriff bewusster Beeinflussung, ja ich konnte nicht umhin zu glauben, dass ein zufälliges Publikum gar nicht ahnte, worauf es sich einließ, denn ich äußerte Bedenken über ganz bestimmte Regungen, die vorherzusehen immerzu misslänge, die ein fernes, kaum merkliches Aufstoßen unergründlichen Hohlseins verursachten, wobei es mir grotesk vorkam, wenn ich eine Huckepackbegleitung erwähnte, ein Mitgehen huckepack auf jenen winzigen, atomaren Störungen, welche die Essenz des Chaos bildeten und den menschlichen Betrachter, bar jeder informellen Sättigung, erstaunen ließen, doch ich wagte einen neuerlichen Vorstoß, schob den Vorwurf ridiküler Gedanken rasch beiseite und bekannte, in der erlebten Einschüchterung Konkurrenz zu orten, weswegen ich mich mit den albernen Früchten lexikalischer Verschrobenheiten überhaupt erst abgab und am Ende des Tages alles in seine Morpheme zerlegte.
Unmerklich kroch ein feines Erschauern in den Raum, über die frisch gebohnerten Fliesen, das Mahagoniholz der Möblierung und die säuberlich bereit gelegten Notizblöcke in die Körper der Männer, denn es war eine reine Männergruppe, sogar die Sicherheitsberaterin war dem Treffen ferngeblieben, alle Anwesenden empfanden die frische Kälte, die lediglich in ihren Köpfen existierte, hatte die Haustechnik doch extra eingeheizt, um den Herren jegliches Unwohlsein tunlichst zu ersparen, jedenfalls räusperte sich der Verteidigungsminister, holte das leichte, aber unmissverständliche Nicken des Präsidenten ein, zögerte ein paar Sekunden und legte den ungebrauchten Kugelschreiber, dessen Stift er ohne es zu merken in einem fort hinein- und herausgedrückt hatte, neben das Papier, um ihn mit den Fingerspitzen parallel zur Kante auszurichten, bevor er auf die Landkarte zeigte, die auf eine völlig fleckenlose Wand projiziert war, einen Bogen von Norden nach Süden beschrieb und erklärte, dass die Bomber in großer Höhe zirka eine Dreiviertelstunde für den Überflug benötigten.
Völlig schweißüberströmt wache er auf, springe aus dem Bett und beäuge beide Hände, drehe sie hin und her, um zu verifizieren, ob sie auch tatsächlich intakt seien, unverletzt und ohne Spuren einer gewaltsamen Einwirkung, er atmete auf, als hätte er das Erzählte eben erst durchgestanden, schluckte ein paarmal und führte unter bewegtem Mienenspiel aus, er könne diese Dokumentation nicht vergessen, die sie irgendwann im Fernsehen gebracht hätten, über Kriegsherren, die den Dorfbewohnern systematisch die Hände abhacken ließen, was teilweise sogar von Achtjährigen durchgeführt würde, deren Namen bereits in so jungem Alter besudelt und gefürchtet waren, seitdem schlafe er schlecht, leide an Alpträumen und fahre immer wieder hoch, um einer vermeintlichen Abtrennung der Gliedmaßen zu entgehen, er glaube, der Bericht hätte vom liberianischen Bürgerkrieg gehandelt, sofern es nicht der nigerianische war, so genau erinnere er sich nämlich nicht, doch er fürchte sowieso, dass schreckliche Handlungen wie diese in rasender Geschwindigkeit über tausende Kilometer hinweg ausstrahlten, und deshalb sei es eigentlich nicht von Bedeutung, in welchem Land die Menschen dermaßen sinnlos ihre Hände verlören, wieder sah er auf seine Rechte und drehte sie herum, bewegte die Finger, um deren Unversehrtheit zu prüfen, und meinte, er wisse nicht, wie er ohne Hände noch etwas schreiben könnte, habe keine Idee über die Bedienbarkeit einer Tastatur, und dieser Gedanke mache ihn fertig, raube ihm den letzten Nerv und sorge für eine gewisse Panik, der er sich nunmehr täglich aufs Neue stelle, er seufzte, schloss die Augen, beugte sich zu mir und raunte mir zu, dass er jetzt verstanden habe, wie grundlegend und nachhaltig eine Behinderung dieser Art das Leben durcheinanderwirbelte, und umso ängstlicher trete er heute auf die Straße, weil niemand wisse, wer im nächsten Moment auf ihn zukomme und eine Machete oder ein Beil zücke.
Im Grunde sei sie noch nie darauf erpicht gewesen, aber beizeiten mache sie schon mal eine Ausnahme, und überhaupt wisse sie gar nicht, was manche dabei fänden, entspreche der Wunsch des Saugens doch dem Eingeborensten überhaupt, aber was echauffiere sich eine Frau wie sie über derart dümmliche Ausfälle, schließlich wolle sie das Leben genießen, den Abend, der in sinnlich trautem Kerzenschein begonnen habe und nun eine Wendung nehme, die mühelos eine ganze Woche voller Arbeit zum Frohlocken bringe und ein heiteres Abschneiden vergangener Anstrengungen in Aussicht stelle, es wäre doch großartig, könnte sie jeden dieser Augenblicke festhalten und zukünftigen Erinnerungen vermachen, doch sie ahne, dass gewisse Momente lediglich als Flüchtigkeiten genießbar und daher wertvoll seien, deswegen halte sie lieber den Mund und gebe dem lodernden Antrieb nach, der sie allmählich zu verbrennen drohe, und sie verstummte, packte mit beiden Händen zu und schob die Vorhaut mit einem Ruck nach unten, bevor sie aufseufzte, das Haar mit einem Schwung zur Seite warf und die Zähne ins pralle Fleisch rammte.
Keineswegs ergehe ich mich in Anschuldigungen, denn auch in meiner Jugend gab es Religionsunterricht, wie bei jedem Kind dieses Landes, und ich vermag nicht zu sagen, dass ich damals Schaden davongetragen hätte, nein, wir hatten ein lieben Lehrer, einen Pfarrer, und ich kann mich sogar erinnern, einmal der Klassenbeste gewesen zu sein, weil ich ein Krippen-bildchen so schön ausgemalt hatte, ja, diese Erfahrungen prägen einen schon und so käme mir niemals in den Sinn, das ehrliche Bemühen der Gläubigen und den großartigen Inhalt der Lehre in Frage zu stellen, ich weiß ja auch, wie das alles lief, und natürlich geht es um Tatsachen, wenn von einer Kanzel zu hören ist, dass es die Juden waren, die den Heiland zuerst verraten und dann ans Messer geliefert hätten, da sieht man doch wieder das wahrhaft Böse, hat uns der Pfarrer-Lehrer schon damals erklärt, aber das spielt ja heute sowieso keine Rolle mehr, denn jetzt sind sie ja weg, die Juden, aber das hat selbstverständlich nichts damit zu tun, denn der Urgroßvater, der hat noch für den Kaiser gekämpft, und vor allem nach dem großen Krieg, wo man uns alles weggenommen hat, die Kornkammern in Böhmen und die Gemüsehaine im Osten, da sei es uns so richtig dreckig gegangen, und erst die Christlichsozialen und dann die Braunhemden und danach die braven Menschen der Zweiten Republik (und irgendwie sei das sowieso