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Seine Geschichte erzählt Pitar, ein Australopithecus afarensis, der mit seiner Sippe vor Millionen von Jahren am Rand des zentralafrikanischen Regenwaldes in der Nähe der Savanne lebt. Des stets gleichen Alltags überdrüssig, versucht Pitar, aus dem Dunkel der Vorgeschichte emporzusteigen und die Seinen dabei mitzureißen. Es geht um nicht weniger, als den Sinn des Daseins zu begreifen und die Zivilisation zu entdecken. Dass Pitar das Wissen der zukünftigen Menschen vorausahnt und mit rhetorischem Geschick von Dingen spricht, die lediglich den heute Lebenden selbstverständlich sind, macht das Buch mit Augenzwinkern zu einem Spiegel unserer Gesellschaft. Anspielungen an historische Ereignisse, Hommagen an literarische Werke, satirische Betrachtungen und nicht zuletzt der lateinische Sprüche klopfende Kompagnon Carpediem gestalten in sieben Kapiteln eine ganz besondere Schöpfungsgeschichte. Eingebettet in die Veränderungen, denen die Hominidensippe unterliegt, wächst Pitars Liebe zu Maluma und reift im selben Grad, in dem die Frühmenschen zu neuen Ufern aufbrechen. Der siebente Tag jedoch, an dem alle zur Ruhe kommen, mündet in ein Finale, das die beiden Liebenden aus ihrem Paradies vertreibt und ihr Glück im Unbekannten suchen lässt.
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Seitenzahl: 150
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EBNER • HOMINIDE
KLAUS EBNER
Erzählung
Die Herausgabe dieses Buches erfolgtemit freundlicher Unterstützung durchdie Stadt Wien.
wtb 26
A-9020 Klagenfurt/Celovec, 8.-Mai-Straße 12
Tel. + 43(0)463 37036, Fax + 43(0)463 37635
www.wieser-verlag.com
Erste Auflage 2008 bei FZA Verlag, Wien
Copyright © der erweiterten Auflage 2016 bei Wieser Verlag GmbH,Klagenfurt/Celovec
Alle Rechte vorbehalten
ISBN 978-3-99047-066-4
L’homínid es va alçar sobre les dues potes del darrere i va baixar els ulls cap a una terra que ara, de cop, li quedava lluny i bellugadissa.
Quim Monzó
Der Hominide stellte sich auf die zwei Hinterpfoten und senkte den Blick auf eine Erde, die ihm plötzlich unstet und fern vorkam.
Tag 1
Tag 2
Tag 3
Tag 4
Tag 5
Tag 6
Tag 7
Glossar
Allen Ernstes hielt sie mir die aufgebrochene Eischale mit beiden Händen vor die Nase, bis an den Rand gefüllt mit dem schleimigen Straußeneiklar, das zu schlürfen zwar in manchen Situationen, wie etwa auf einem mehrtägigen Streifzug durch die Savanne, durchaus angebracht war, aber jetzt und hier, wo wir einander in trauter Zweisamkeit gegenübersaßen, wie ein Faustschlag aus der Tiefe der menschlichen Vorgeschichte wirkte. Natürlich blieb ich höflich und tat, als freute ich mich über ihre freundlich gemeinte Geste, tippte die Schale – eine Idee zu stark – mit den Fingern an, sagte erschrocken »ups!« und bemühte mich, dem sich zur Seite neigenden, aus ihrem Griff rutschenden und schnurstracks zu Boden sausenden Ei in ehrlicher Betroffenheit nachzustarren.
Maluma seufzte verärgert, schüttelte den Kopf und rief: »Wenn du weniger Geschichten erzähltest, wärst du wohl nicht so ungeschickt!«
Tatsächlich spann ich insgeheim an einer ausführlichen Schilderung dessen, wie Eiklar und Dotter, inmitten der zerschellten Schalensplitter, allmählich in den an dieser Stelle mäßig feuchten Waldboden sickerten, dabei ganze Armeen von Ameisen und Fadenwürmern auf den Plan riefen und einen mehr als reichlichen Beitrag zur tierischen Nahrungskette ablieferten. Indes verlor ich kein Wort darüber, um Maluma nicht zusätzlich zu verärgern; immerhin hatte sie sich bereits von mir fortgewandt und hüpfte aufs benachbarte Gehölz, wo sie die Arme nach oben streckte, einen Ast packte und sich allmählich aus meinem Blickfeld hangelte, dorthin, wo ich den Großteil meiner Brüder wähnte.
Der Wald blieb angenehm friedvoll, und die andern hielten still. Wohl horchte ich auf ungewohnte Geräusche, versuchte mich auf die unmittelbare Umgebung zu konzentrieren und das dichte Blattwerk mit meinen Blicken ein bisschen weiter als sonst zu durchdringen, doch nichts verriet das Kommende. Maluma nachzuhüpfen hatte ich keine Lust, und auf diese Weise verging der ganze Vormittag. Die Sonne stieg in den Zenit, und die Blätter schützten uns vor allzu brennender Hitze. Schattig verlief unser ganzes Leben, dachte ich. In gewisser Weise war das gut so, denn der Schatten schützte uns vor vielen Gefahren.
Ich setzte mich aufrecht, verlor die Berührung zum Stamm in meinem Rücken und spähte ringsum, vielleicht um mich zu vergewissern, dass ich tatsächlich allein war und niemand mich beachten würde. Der Schatten ging mir nicht mehr aus dem Kopf, denn seine schützende Seite verbarg eine zweite, eine Rückseite, abgewandt von uns, dunkel und geheimnisvoll, und je mehr ich darüber nachdachte, desto deutlicher stand mir vor Augen, dass wir nicht das Geringste über diese andere Seite wussten. Seit Kurzem verspürte ich eine seltsame Unruhe, geradezu, als wäre es an der Zeit, die tagtägliche Unauffälligkeit ein für alle Mal zu durchbrechen. Doch was Generation um Generation unauffällig verlaufen ist, wird sich kaum ohne Zutun auffällig verändern. Und Zutun setzt voraus, dass irgendjemand etwas tut, ein Urheber, jemand, der, wenn er schon nicht die Fäden zieht, den Anstoß zur Veränderung gibt. Sollte ich in der Lage sein, etwas anzustoßen? Oder stieß ich lediglich Straußeneier in den Abgrund und mit ihnen die Wertschätzung jenes Wesens, das mir am allerliebsten war?
Mein Herzklopfen wurde stärker. Wäre ich kein Australopithecus afarensis, hätte ich nun schlagartig eine Entwicklungsstufe übersprungen. Wenn ich recht überlegte, lag der Schatten des Waldes nicht nur über unserem Leben, sondern über allem, was wir taten. Was dasselbe ist. Ich streckte den Hals und kratzte mich unter dem Kinn. Was taten wir eigentlich? Wir saßen herum, aßen, was wir fanden, kletterten von Wipfel zu Wipfel, räuberten Wespennester, wir schliefen, neckten einander, kopulierten und zogen die Kleinen groß, damit sie wieder herumsaßen, aßen, was sie fanden, von Wipfel zu Wipfel kletterten, Wespennester räuberten, schliefen, einander neckten, kopulierten und die Kleinen großzogen, obwohl wir den kausalen Zusammenhang dieser beiden Dinge noch gar nicht erkannten. Alles wiederholte sich, alles. Ich seufzte. Es ging doch nicht an, Tausende von Jahren immer nur dasselbe zu tun, auf den Bäumen rumzulungern, sich um die saftigsten Blätter und Früchte zu zanken und dass wir, wenn wir uns einmal auf den Boden wagten, befürchten mussten, von einer durchs Dickicht schleichenden Großkatze angefallen zu werden, die mit ihren Säbelzähnen jeden Brustkorb aufknackte.
Meine Gedanken fingen zu galoppieren an. Ein Grinsen spannte mein Gesicht, weil sich eins ins andere fügte und mir zusehends klar wurde, dass tatsächlich ich es war, der etwas ins Rollen bringen konnte und musste. Und die andern? Meine Kameraden, meine Freunde, die Clique, ach was sage ich: die Verwandtschaft, die Familie, meine Sippe? Kein bisschen helle, die Rotte, tagein tagaus dümpelten sie träge dahin. Also beschloss ich, ein wenig Klarheit ins Dunkel zu bringen, meinen Leuten eine Kerze anzuzünden, nach der Devise, es werde Licht und so.
Wo sollte ich anfangen? Mit wem? Bei wem? Konnte ich sie einzeln zu mir holen und mit ihnen reden? Mit Konrad, meinem Bruder? Vielleicht. Auch ein Gespräch mit Lao, ebenfalls mein Bruder, vermochte ich mir vorzustellen. Doch wenn ich an Costello dachte, den Stärksten unserer Sippe, wurde ich unsicher. Natürlich sind es die Starken, die eine Gruppe anführen, so auch Costello. Wenn ich also bei ihm vorstellig wurde, ihm zuraunte, was mir durch den Kopf ging – nein, dabei hatte ich kein gutes Gefühl, nicht auf diese Weise. Es kam viel besser an, wie der blutjunge Bongo zu agieren. Ihn nannten wir so, weil er immer den Affen markierte: lustig, schalkhaft und tollpatschig, manchmal frech, doch stets bereit, das Gesagte zurückzunehmen, sein Tun als Ulk und das Verstandene als Missverständnis darzustellen. Leider besaß ich nichts von dieser Gabe.
Wir sprachen stets von Brüdern, und niemals wurde zwischen Brüdern und Cousins, Schwägern und Kumpel ein Unterschied gemacht. Sie hießen Konrad, Lao, Costello, Bongo und Carpediem. Und Re. Und dann noch Rhododendron. Thorn nahm hingegen eine Sonderstellung ein, denn aufgrund seines Alters kam er nur als Onkel oder Großvater in Frage. Und schließlich gab es noch die Frauen, unsere Schwestern und Kusinen, Geliebten und Gefährtinnen: Djamila, Lucy, Ruth, Manisha, Akshaya, Ischa. Aber so genau wusste im Grunde niemand über die Verwandtschaftsverhältnisse Bescheid. Schließlich lebten wir seit Ewigkeiten im Geäst und, wenn wir uns sicher genug fühlten, auf dem Boden des Waldes und in den Randgebieten der Savanne. Wenn zwei sich dabei näherkamen, Männchen und Weibchen, dann ergab sich einiges. Männchen und Weibchen, Weibchen und Männchen, Weibchen und Weibchen – ja, auch das gab es. Vor allem, wenn sie uns, den Männchen, mal wieder zeigen wollten, dass sie uns eigentlich gar nicht brauchten. Aber das ist eine andere Geschichte. Wann wir begonnen hatten, von Männlein und Weiblein zu sprechen, entsinne ich mich nicht mehr. Diese sprachliche Veränderung stellte sich dermaßen schleichend ein, dass sie völlig unbemerkt blieb.
Genug der Überlegungen. Ich musste hinaus, das heißt, zu den andern. Wir hielten uns üblicherweise in einem recht überschaubaren Areal auf, sodass es mir ein Leichtes war, den Rest der Sippe zu finden. Sie alle saßen im Geäst zweier Baumkronen, die auf eine Weise ineinanderwuchsen, dass es kaum auffiel, wenn man von den Zweigen des einen Stammes auf die des anderen wechselte und umgekehrt. Costello thronte natürlich in der Mitte, der Pascha unseres Clans, mit dem Bauch offen nach oben, doch immerhin sein Geschlecht hing müde herab, und ich schöpfte Hoffnung, dass er die Rede, die ich zu halten vorhatte, nicht gleich unterbräche, indem er einer der Damen nachstieg. Um ihn, den unangefochtenen Herrscher, hockten sie herum: Lao und Carpediem in leises Gespräch vertieft, Bongo von Zeit zu Zeit aufhüpfend und eine seiner pseudoartistischen Kapriolen zum Besten gebend, Djamila wie gewohnt kokettierend und Lucy mit einem Neugeborenen – ich fasste es kaum, dass sie jeden Winter ein neues Kind zur Welt brachte.
Ich ließ mich auf einer Astgabel nieder, die mir erlaubte, so gut wie allen ins Gesicht zu sehen. Ein prüfender Blick und ein Abwarten, ob Costello mein Ansinnen bereits im Ansatz ersticken würde, doch er schwieg. Daher begann ich meine Stimme zu erheben, die Familie zu adressieren, indem ich die Namen ihrer Mitglieder abwechselnd nannte, jeweils zwei auf einmal, damit niemand der Idee verfiele, mich zu unterbrechen und seinem Namen ein geflissentlich vorgebrachtes »Hier!« entgegenzuhalten. Ich sprach von den Gedanken, die ich mir gemacht hatte, von der Vorstellung eines Aufbruchs, der uns nicht nur vorbehalten war, sondern den wir umgehend angehen mussten, um seine Dynamik – die ich momentan unterstellte – am Gehen zu halten. Nur für einen Wimpernschlag fiel mir auf, welch rhetorischen Quatsch ich eigentlich daherquasselte, denn im Anfang ging es bloß darum, ihre Aufmerksamkeit zu erregen, und dazu war mir zugegebenermaßen jedes Mittel recht. Mit Begeisterung schwadronierte ich vor mich hin und hoffte, die Funken meiner Inbrunst würden übergreifen. Zuerst dachte sich ja niemand etwas dabei, und möglicherweise war der einzige Funkenflug, den meine Halbaffen, wie ich sie kosend zu bezeichnen pflegte, tatsächlich begriffen, jener eines Gewitters, der nach dem Einschlag eines Blitzes ganze Waldflure niederstreckt und das einfache Dasein, das wir fristen, in jedweder Beziehung bedroht. Ich redete und redete und redete. Etwas gelangweilt brummelte Bongo, lange Reden würden die Vernunft zu Asche brennen, doch ich hielt jede Regung in den mich anglotzenden Gesichtern generös für das heiß ersehnte Echo, jedes Hochziehen der Augenbrauen, jedes Naserümpfen. Aber sonst kam da nichts; nicht einmal ein unbeabsichtigtes Niesen gesellte sich zu den gewohnten Geräuschen des Urwalds. Erschreckend lang dauerte mein Monolog, doch als endlich Re den Hals reckte, sich ein kleines Stück vorbeugte und über die Äste in meine Richtung zischte: »Kann den endlich einer abstellen? Ist ja nicht auszuhalten, das Gelaber!«, da wusste ich: Ich hatte gewonnen.
Nun war es nämlich an Costello, mich gewähren zu lassen, und großmütig kam er seiner Aufgabe nach, machte, gewissermaßen belustigt, eine Geste fortzufahren, und die andern zuckten lediglich vorsichtig mit den Achseln, wagten es schon nicht mehr, den Kopf zu schütteln, und atmeten insgeheim wohl auf, dass sie meiner Suada nicht auch noch Applaus spenden mussten.
Ich fuhr daher fort. Mit Billigung Costellos wagte ich mich an den Kern der Sache und wählte eine Taktik, die jedem schmackhaft machte, was ich anstrebte. Mit dem Begriff der Veränderung konnten die Meinen noch nichts anfangen, nicht einmal Lao, wie ich an seinen Augen erkannte, doch ich holte etwas aus und beschrieb ein Leben, das niemand in dieser Form kannte, das allerdings, wie ich durchblicken ließ, durchaus im Bereich des Möglichen lag. Jeder wusste, wie mühselig die permanente Suche nach Früchten war, wenn uns die frugale Blätterkost bereits zum Hals heraushing – Vorräte anlegen klang einfach und sinnvoll. Jeder fühlte die Kälte der Böen, die von der Savanne her bliesen und uns speziell in den Wipfeln zu schaffen machten – ein Zusammenrotten auf dem Boden und die Einrichtung von Windschilden schienen einleuchtend und hilfreich. Jeder kannte die Gefahr, die von den Gestorbenen ausging, weil sie Aasfresser und Jäger anlockte und auf unsere Fährte führte – die Toten verscharren oder von einem Fluss forttreiben lassen lag so nahe, und ich wunderte mich selbst, dass noch niemand vor mir daran gedacht hatte.
Es hätte nichts gebracht, ihnen sofort alles an den Kopf zu werfen, was in dem meinen vor sich ging. Denn schließlich zielte ich darauf ab, für meine Gedanken auch einen Eingang in die Köpfe der andern zu finden, damit sie die Gelegenheit erhielten, sich dort festzusetzen und weiterzuwachsen. Dass ich den Ruf des Kopflastigen besaß, der mir stets vorauseilte, war mir klar. Doch es auf die Spitze zu treiben, hielt ich für gefährlich, denn sobald Costello oder Re eine Spitze erkannten, würden sie diese gegen mich wenden und mich, den ungebremst Redenden, den selbst ernannten Lehrmeister, in die Wüste schicken. Und die lag irgendwo im Norden.
Vorerst ging es um eine Wegbereitung. Denn die Spur, die der Orrorin gelegt hatte, musste endlich zu einem sicheren Pfad werden, wo schon von Schotterwegen und befestigten Straßen ohnehin noch sehr lange keine Rede sein würde. In unmittelbarer Nähe sollte der Pfad zu einem Unterschlupf führen, zu einer Art Behausung, die uns Schutz böte vor den Gefahren der Finsternis. Diese Worte rutschten mir richtig heraus, und etwas verblüfft über mich selbst stellte ich fest, dass ich längst wieder zum Phantasieren zurückgefunden hatte. Jedes der allmählich staunenden Gesichter wollte ich gewinnen, von den Vorteilen einer Zukunft überzeugen, die ich nur schemenhaft auszumalen vermochte. Als erste Behausung, suchte ich die andern zu beschwören, eigneten sich Höhlen, die wir zwar nicht im Dschungel, wohl aber an den felsigen Erhöhungen am Rand der Savanne ausfindig machen konnten. Außerdem boten Windschilde einen gewissen Schutz, und sie waren leicht herzustellen, mit Ästen, Reisig, Blättern. Gewiss wäre eine Unterkunft, eine feste Bleibe also, mit einer gewissen Sesshaftigkeit verbunden, doch wem ginge das stete Nomadenleben nicht auch einmal auf die Nerven? Mich selbst, argumentierte ich, zipfte es furchtbar an, wenn ich mich an die Astgabelungen eines hohen, womöglich fruchtreichen Baumes gewöhnt hatte und plötzlich weiterziehen musste, unter Umständen auf einen Maulbeerbaum oder, schlimmer, ein mächtiges Farngewächs, nur weil der ursprüngliche Wipfel kahlgefressen war. Allmählich kreisten meine Vorschläge immer um dasselbe, und ich misste eine gute Pointe, etwas, das geeignet war, die Begeisterung der Sippe zu wecken und wachzuhalten. Erschöpft verstummte ich; eine kurze Pause, dachte ich, hätte ich mir redlich verdient. Jedoch gab ich den andern damit Raum für ein Gegenmanöver.
»Das sind viele Worte«, begann Lao zögernd, und ich begriff, dass er Mühe hatte, eine runde Formulierung zu finden.
»Ja, viele Worte!«, fing nun Bongo den Ball auf, »Worte, Worte, Worte! Siehst du nicht, wie sie uns zufliegen, über unsere Köpfe purzeln und jeden ganz irre machen? Deine Worte sind Irrlichter, hundertpro! Lästig sind sie und trotzdem leicht zu vertreiben durch jeden Wind.«
Ruth lachte: »Gib Acht auf die luftigen Höhen!«, und Bongo: »Sieh, auch ich bin ein Wind!« Und er blies mir mitten ins Gesicht. Dann reckte er sich und begann seine Pantomime, die alle schon vom Ansatz her zum Prusten und Kichern brachte. Mit den Händen formte er in der Luft ein kugeliges Etwas, dann schaute er nach unten, als vergewisserte er sich, dass niemand zufällig vorbeiging, und schickte das gedachte Paket mit Schwung auf eine Reise abwärts. Im unverhohlenen Gelächter schnatterten alle durcheinander, äfften mein Gehabe nach und zeigten mit dem Finger nach unten, wo meine Worte bereits zerschellt waren und irgendwo auch der Dotter von Malumas Straußenei eintrocknete – denn dieses Bild wollte mir nicht und nicht aus dem Sinn.
Verwirrt wandte ich der Sippe den Rücken zu. Vorsichtig glitt ich hinab und hielt mich dabei ganz nah am Stamm, bis ich mit den Füßen auf dem Boden aufsetzte. War es das?, fragte ich mich still und genoss das Gefühl, mit beiden Beinen auf der Erde zu stehen. Die Mittagszeit war bereits überschritten, und ich freute mich insgeheim auf den Abend, denn ich hatte es mir zur Gewohnheit gemacht, den Sonnenuntergang auf einer felsigen Anhöhe am Übergang zur Savanne zu genießen, den Moment, in dem sich die leuchtende Scheibe dem Horizont zuwendet und ihn berührt, um bald darauf in einem letzten goldgelben Aufflackern mit ihm zu verschmelzen. Mochten sie mich auch Einsiedler schimpfen, es passte zu meinem Charakter. Doch jetzt? War es das schon gewesen? Eine brandige Rede, deren Glut lediglich in meinem eigenen Kopf spukte und gar, wie Bongo gesagt hatte, meine Vernunft zu Asche verwandelte? Wenn es mir gelingen könnte, diese Asche auszustreuen, in alle vier Winde zu verteilen und mit ihr Neues zu schaffen! Sie hatten sich lustig gemacht und mir die Richtung gewiesen, die lediglich nach unten führte – in jedweder Beziehung. Umso mehr überraschte es mich, plötzlich jemanden hinter mir zu hören, einen Sprung auf den Boden, Schritte, Atmen. Langsam wandte ich mich um und traf auf Costellos Blick.
Wortlos starrten wir einander an, während, wie ich erst jetzt merkte, das Geschnatter in den Bäumen völlig verstummt war. In gewisser Weise maß er mich, und ich ließ mich messen. Indes erwiderte ich seinen Blick, ohne meinen Kopf zu senken oder ihm auszuweichen. Nach einer Weile begann er zu lächeln und nickte mir zu. Wohlwollend, wie ich meinte. Dann sagte er: »Es liegt an dir, Pitar.«
War damit zu rechnen gewesen? Er spielte mir den Ball zu, nachdem er diesen aus den Klauen der mokanten Sippe gerettet. Nun lag es an mir, den Pass anzunehmen und auf die Ziellinie zuzusteuern. Ob ich dabei Kunststückchen vollführte oder das Leder kompromisslos ins Tor beförderte, oblag allein meiner Entscheidung, denn schließlich war dieses Leder mein eigenes, weil ich nämlich meine Haut zu Markte trug, und niemand vermochte zu prognostizieren, ob ich damit eine Meisterschaft gewänne. Welche Rolle Costello in diesem Spiel beanspruchte, war mir noch nicht klar, doch ich begann zu ahnen, worauf er hinauswollte, als er fortfuhr: »Du hast Windschilde erwähnt, Höhlen und – habe ich recht gehört? – von Menschenhand geschaffene Bauten?«
So entpuppte sich der Patriarch als aufmerksamer Zuhörer. Vorsichtig führte ich an, dass es das Gebot der Stunde sei, die Baumkronen zu verlassen und nach neuen Kronen zu suchen, im figürlichen wie im abstrakten Sinne. Auf den Boden der Wirklichkeit zu steigen und völlig aufrecht das weitere Schicksal unserer Spezies in die dadurch frei gewordene Hand zu nehmen, hielt ich nicht nur für unumgänglich, sondern auch für überaus verlockend.