Auf Leben und Tod - Eric Wrede - E-Book

Auf Leben und Tod E-Book

Eric Wrede

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Beschreibung

SPIEGEL-Bestsellerautor Eric Wrede schreibt offen über das, worüber die meisten nicht zu sprechen wagen: den Tod

Der Tod gehört zum Leben dazu. Warum fällt es uns dann trotzdem so schwer, über ihn zu reden? Sterben und Abschiednehmen sind in unserer Gesellschaft noch immer ein Tabuthema. Für Eric Wrede, Deutschlands bekanntesten Bestatter und Trauerbegleiter, fängt das richtige Ende genau dort an: mit dem Aufbrechen und Begraben von längst überholten Tabus. Seit Jahren spricht Eric Wrede deshalb in seinem Podcast »The End« mit prominenten Gästen (u.a. Eckart von Hirschhausen, Anke Engelke, Sven Regener oder Sarah Kuttner) und interessanten Expert*innen über alles, was rund um den Tod wichtig ist. Erstmalig gibt es eine Auswahl dieser Interviews nun in Buchform, kommentiert und begleitet von Eric Wrede und seinen Erfahrungen mit dem Tod. Ein Buch über unseren Umgang mit dem Tod, vor allem aber auch ein Buch über das Leben. Wie können wir uns davon frei machen, nur hinter verschlossenen Türen oder auf Beerdigungen offen mit dem Sterben umzugehen?

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Seitenzahl: 264

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Nach seinem ersten Werk The End: Das Buch vom Tod beleuchtet Eric Wrede gemeinsam mit den Gästen seines Podcasts die unterschiedlichsten Facetten von Sterben und Trauer. Dabei geht es ihm vor allem darum, eine neue und offenere Gesprächskultur über das vermeintliche Tabuthema zu schaffen. Von der richtigen Art und Weise, alt zu werden (Journalist Hajo Schumacher), über den Umgang mit trauernden Kindern (Moderator Ralph Caspers) bis zu Judith Holofernes, die mit Eric darüber diskutiert, wie viel Kraft wir Hinterbliebenen aus dem Verlust eines geliebten Menschen ziehen können. Der bekannte Palliativmediziner Achim Rieger spricht ganz offen darüber, wie man sterbende Menschen würdevoll und angemessen in den Tod begleitet. Die Rechtsmedizinerin Josephine Janke berichtet davon, was eigentlich mit einem Körper passiert, wenn das Leben zu Ende geht, während sich Dr. Eckhart von Hirschhausen fragt, wie nachhaltiges Sterben funktionieren kann. Und Bestseller-Autor Sebastian Fitzek geht der ewigen Frage nach, wem wir eigentlich am Ende unseres Lebens etwas schuldig sind – und was bleibt, wenn wir mal nicht mehr da sind.

Eric Wrede, geboren 1980, studierte nach dem Abitur Germanistik und Geschichte, machte sich einen Namen als DJ in Berlin und wurde schließlich Musikmanager bei Motor Music. Nach einigen Jahren in der Musikindustrie entschied er sich für einen harten Cut – und entschloss sich kurzerhand, Bestatter zu werden. 2014 gründete er »lebensnah Bestattungen«. Wrede führt den Radio-Eins-Podcast The End – der Podcast auf Leben und Tod. 2018 erschien das Buch The End: Das Buch vom Tod, das zum Top-10-Spiegel-Bestseller avancierte. Er ist Mitglied bei UNSERTOD, einer Vereinigung von Hospizmitarbeitern, Psychologen, Bestattern und Soziologen – Menschen, die im Rahmen von Trauer, Abschied und Tod arbeiten. Wrede lebt und arbeitet in Berlin.

Eric Wrede mit Alex Raack

Auf Leben und Tod

Gespräche über das, was am Ende bleibt

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Der Verlag behält sich die Verwertung der urheberrechtlich geschützten Inhalte dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44 b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.

E-Book-Ausgabe Oktober 2024

btb Verlag in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Copyright © Eric Wrede

Covergestaltung: Semper Smile, München

Satz und E-Book-Konvertierung: GGP Media GmbH, Pößneck

mn · Herstellung: han

ISBN 978-3-641-31462-0V001

www.btb-verlag.de

www.facebook.com/penguinbuecher

Vorwort

Tod und Trauer sind keine Tabuthemen. Waren sie wahrscheinlich nie. Keine Ahnung, wann dieses Märchen aufgekommen ist. Genützt hat es eigentlich nur einer Industrie, die davon gelebt hat, dass viel zu wenig über sie gesprochen wird – der Bestattungsbranche.

Seit meinem ersten Buch The End: Das Buch vom Tod sind knapp sechs Jahre vergangen. In dieser Zeit ist viel passiert. So viel mehr Menschen haben sich getraut, sich mit dem Lebensende auseinanderzusetzen – auch aufgrund des Buches, wie mir die Reaktionen gezeigt haben. So viel mehr Medien haben die Themen Sterben und Trauern behandelt und darüber berichtet. So viel mehr Bestattungshäuser – vornehmlich junge Unternehmen – haben angefangen, sich für die Individualität von Sterbenden und Trauernden einzusetzen und zu erkennen, was über so viele Jahre in diesem Bereich nicht richtig lief. Falsche Pietät und aufgesetzte Würde haben dazu geführt, dass an den Bedürfnissen der Menschen vorbeigearbeitet wurde. Diese Fehler werden immer noch gemacht. Aber unsere Reise ist ja auch noch nicht zu Ende.

Die Reaktionen auf das Buch und die Erfahrungen bei Lesungen und Veranstaltungen haben mir klargemacht, dass die Menschen gerne über diese Themen sprechen. Nicht nur mit mir, sondern auch untereinander. Über das Trauern, darüber, wie Erinnerungen bewahrt werden, wie man Sterbende begleitet, wie man sie erlebt hat. Diese Gespräche habe ich stets als respektvoll, emotional und hochinteressant erlebt. Es wurde geweint, gelacht, vor allem aber: gelernt. Das Gespräch als Basis der Wissensbildung. Eine Gesellschaft auf der Suche nach ihrem Umgang mit dem Tod muss reden und auch ein bisschen streiten. Und das bitte miteinander.

Auch ich lerne jeden Tag dazu: was Menschen in ihrer Trauer brauchen. Wie man sie dabei unterstützen kann. Und was eigentlich mit uns passiert, wenn wir uns intensiv mit dem unweigerlichen Thema auseinandersetzen. Mir ist längst bewusst geworden, dass es nicht den einen Weg gibt, um richtig mit Trauer und Tod umzugehen. Jeder Mensch ist anders, auch am Ende seines Lebens oder wenn ein anderes Leben zu Ende geht. Ich möchte gerne Helfer bleiben und nicht allwissendes Medium. Als Unterstützer und Begleiter und keine Gefahr für die individuelle Freiheit.

Es wurde mir schnell klar, dass es primär Gespräche und die daraus resultierenden Handlungen sind, von denen eine Veränderung unserer Abschiedskultur ausgeht. Und ich habe angefangen, diese Gespräche in Form eines Podcasts aufzunehmen: The End – der Podcast auf Leben und Tod. Als Interviewgäste lud ich mir Fachleute aus dem medizinischen oder therapeutischen Sektor, Musikerinnen und Musiker, Schauspielerinnen und Schauspieler, Künstler und Betroffene ein. Es dauerte nicht lange, bis der RBB (Rundfunk Berlin-Brandenburg) das Format unterstützte und begleitete. Aus all diesen zahlreichen Gesprächen haben wir für dieses Buch zwölf Stück ausgesucht. Sie berühren bestimmte Themenfelder meiner und unserer Arbeit so sehr, dass wir sie verschriftlichen und kommentieren wollten, um noch einmal einen anderen Zugang zu den behandelten Themen zu schaffen.

Keines dieser Gespräche hat den Anspruch auf Wahrheit, aber jeder gesprochene Satz lädt dazu ein, mitzudenken und vor allem mitzusprechen. Mit uns und mit anderen. Sei es im Gespräch mit dem Palliativmediziner Achim Rieger, der uns erklärt, wie er sterbende Menschen als Arzt und Mensch unterstützen kann. Sei es im Gespräch mit Anke Engelke, die mit ihrem tiefgründigen Humor Fragen aufwirft, die kaum ein Pastor so zu stellen vermag. Oder Rammstein-Keyboarder Flake, wenn er über den perfekten Friedhof sinniert und sich fragt, warum eigentlich keine Spielplätze neben Omas Grabstein stehen.

All diese Gespräche in den Podcasts und nach den Lesungen haben in mir noch einmal etwas verändert. Ich glaube, dass es weiterhin eine wichtige Aufgabe von uns Bestatterinnen und Bestattern bleibt, an den Grundfesten dieser Branche zu rütteln. Es darf bei unserer Arbeit – neben der wirtschaftlichen Notwendigkeit – nicht darum gehen, den Menschen überteuerte Särge, Diamanten oder schreckliche Urnen zu verkaufen, sondern ihnen Raum zu bieten für ihre Emotionen und ihre Trauer. Gemeinsam herauszufinden, was sie in ihrer Trauer brauchen und wie wir ihnen dabei helfen können. Ja, die Branche hat dazugelernt, aber es reicht eben nicht, einen freundlichen Auftritt in den sozialen Medien hinzulegen oder einen nachhaltigen Sarg ins Schaufenster zu stellen. Da ist noch viel zu tun.

Die Veränderung muss aber auch auf der anderen Seite weitergeführt werden. Bei den Menschen, die jemanden verlieren oder wissen, dass sie bald sterben werden. Ich frage mich jeden Tag, wie man diese Menschen unterstützen kann. Egal, ob jung oder alt, konservativ oder alternativ. Die Fragen zum Lebensende müssen so gestellt werden, dass sie jeder beantworten kann und auch möchte. Tod und Sterben werden gerade diesen Menschen als Tabuthemen vorgespielt und sind als diese in ihrem Unterbewusstsein eingebrannt. Machen Sie doch selbst einmal den Test und lesen irgendeinen Artikel oder schauen einen Beitrag zum Thema. Irgendwo wird immer das Wort »Tabu« auftauchen. Für die meisten von uns wird der Tod allerdings vor allem zu einem Tabu, weil uns schlicht die Orientierung fehlt. Es fehlen Wegweiser, um zu zeigen, wie wir über das Sterben sprechen können, ohne gleich pathetisch, anmaßend, altklug oder lebensfremd zu wirken. Dabei ist das gar nicht so schwer, wenn man einmal damit angefangen hat. Die Gespräche in diesem Buch sind ein gutes Beispiel dafür.

Als wir mit dem Projekt begannen, war ich mir nicht sicher, ob wir auch genügend Interviewpartner für diese Idee finden würden. Ich wurde eines Besseren belehrt. Keinen meiner Gäste haben wir zweimal anfragen müssen. Stattdessen war es jeder und jedem offenbar ein dringendes Bedürfnis, über dieses Thema zu sprechen.

Ich bin fest davon überzeugt, dass in diesen Gesprächen, allen aufgenommenen und allen hier noch einmal bearbeiteten, die Kraft liegt zu zeigen, wie wichtig der menschliche Umgang mit Tod und Trauer ist. Wie groß unser Bedürfnis ist, darüber zu reden, wenn wir den richtigen Rahmen finden, und wie viel wir gemeinsam verändern können.

Viel Spaß beim Lesen, Widersprechen, Mitdenken, Mitweinen und Mitlachen.

Euer Eric

Der Publizist Hajo Schumacher über das Altern

»Der Tod ist eine Sau und schlägt meistens unvorbereitet zu.«

Hajo Schumacher, nach eigener Aussage der »klassische überversicherte Deutsche«, hat sich schon viele Gedanken über das Älterwerden gemacht. In seinen Texten, seinen Kommentaren, seinenTV-Auftritten – und vor allem in diesem nachfolgenden Interview. Romantisieren will er das letzte Drittel seines Lebens nicht, romantische Gedanken hat er trotzdem – »auch wenn der Tod keinen Sinn für Romantik hat«, wie er sagt. Welche Pläne hat er für den letzten Abschnitt seines Lebens? Welche Gedanken macht er sich über den Tod? Und welche Rolle spielt dabei eine heruntergekommene Gärtnerei in Brandenburg?

Eric Wrede:Hajo Schumacher, warum interessiert sich einer für das Älterwerden und die Vorbereitungen auf den Tod?

Hajo Schumacher: Bei mir hatte das unterschiedliche Gründe. Als politischer Journalist musste ich mich schon sehr oft mit dem Thema Rente befassen und vor allem mit dem ganzen Mist, der dazu schon verzapft wurde. Verzapft wird, denn erst im letzten Bundestagswahlkampf ging es um die Anhebung des Rentenalters auf 68 – wo doch die Experten wissen, dass die Grenze eher bei 70 Jahren oder noch höher liegen müsste. Dieses Rentenalter stammt noch aus Bismarcks Zeiten. Damals bekamen die Menschen im Schnitt nur ein paar Jahre Rente, weil sie dann nämlich tot waren. Ich selbst bin Jahrgang 1964, der geburtenstärkste Jahrgang aller Zeiten. Das Modell, in dem unsere Kinder unsere Renten zahlen, wird rein rechnerisch bald schon gar nicht mehr möglich sein. Was bedeutet, dass wir Boomer im Alter eher ärmer als reicher werden – wenn wir nicht Vermögen angehäuft oder geerbt haben. Was bei mir beides leider nicht der Fall ist. Automatisch stellt man sich dann die Frage, was mal wie werden wird, wenn es für einen selbst so weit ist.

Meine ersten Berührungspunkte mit dem westdeutschen Rentenmodell reichen zurück in die Zeit kurz nach der Wende. Da saß ich mit meiner Mutter im Flieger zu den Kanarischen Inseln. Mein Sitznachbar war ein sehr fröhlicher älterer Herr, der von seinem Leben erzählte. Der hatte jahrzehntelang bei Daimler gearbeitet und bekam mehr Rente, als wir beiden eines Tages vermutlich zusammen bekommen werden. Das muss die letzte Generation gewesen sein, die sich durch Arbeit den Ruhestand vergolden lassen konnte.

Ich bin da frei von Neid. Aber unsere Generation weiß, dass die Rente eben nicht sicher ist. Und dass es Quatsch ist, sich auf politische Versprechungen oder besondere Rentenmodelle zu verlassen. Dazu kam die persönliche Erfahrung mit meiner Mutter. Die hatte eine dieser klassischen Witwenkarrieren, bei der der Bekanntenkreis im Laufe der Jahre immer kleiner wird und sich die Mobilität nach und nach einschränkt. Irgendwann stürzte sie schwer mit dem Fahrrad. Als ich in ihrer Wohnung in Münster saß, machte ich mir erstmals intensiv Gedanken über dieses Lebensmodell der letzten Jahre. Bei dem man praktisch immer weiter von der Bildfläche verschwindet, bis man irgendwann gar nicht mehr da ist. Da wurde mir klar, dass ich dieses Modell unter keinen Umständen für mich selbst wollte.

Ich muss dabei an meine Oma in Rostock denken. Die hat mit beginnender Demenz und Altersdepression zu kämpfen. Aber alle Angebote, sie zu uns nach Berlin zu holen, lehnt sie ab, weil sie niemandem zur Last fallen möchte. Und auch gar nicht glaubt, dass sie diesen Aufwand wert ist.

»Mir geht es gut«, hat meine Mutter jedes Mal gesagt, wenn man sie gefragt hat. Das war eine Lüge. Mein Vater starb, als ich fünfzehn war. Sie war über dreißig Jahre lang Witwe, wohnte in einem kleinen Eisenbahnerhaus und war fast schon beschämt darüber, dass ihr die Deutsche Bahn die Rente zahlte. Sehr typisch für diese Generation im Rentenalter.

Eric: Ich finde es manchmal krass, wie viel Schmerz diese Generation sich selbst und ihren Nachkommen angetan hat, weil ihnen die Mittel der Kommunikation fehlten. Darüber kann man lange streiten, kann nach den Gründen suchen, kluge Herleitungen finden, doch am Ende bleibt einfach ein immenser Schaden, mit dessen Auswirkungen wir in unserer Arbeit täglich zu tun haben. Familien oder Freunde, die viel zu spät realisieren, dass es Oma schlecht geht. Oder mein Opa, der auch noch stolz darauf war, nur im äußersten Notfall einen Arzt aufgesucht zu haben, und dem dieses Verhalten zum Verhängnis wurde.

Es ist gut und richtig, klar zu formulieren, was man braucht und was einem fehlt. Spätestens die Generation Hajo hat damit angefangen und somit den Weg für eine offenere und ehrlichere Gesellschaft bereitet.

Ich beschreibe Boomer als eine sich wertschätzende Generation, der es wichtig ist, sich auch mal was zu gönnen. Wie siehst du das?

In mir steckt schon noch sehr viel von diesem alten Spirit. Thema Sicherheitsdenken: Ich bin der klassische überversicherte Deutsche. Bausparvertrag, Lebensversicherung, habe ich alles. Selbstverwirklichung war einer der Schlachtrufe meiner Generation. Aber ich habe auch viel von dieser protestantischen Bescheidenheit in mir, die einen immer wieder ermahnt, dass man nicht besser ist als andere und sein Geld gefälligst nicht zum Fenster rausschmeißt. Und letztlich auch dieser Wahn, dass man seinen Kindern unbedingt etwas vererben muss. Meiner Mutter war das sehr wichtig. So anders ticke ich also auch nicht.

Aber du würdest vermutlich nicht jahrzehntelang im Eisenbahnerhaus wohnen, um dort langsam zu vereinsamen.

Das stimmt, wobei ich mich bei den Recherchen für mein Buch (Anm. des Autors: Hajo Schumacher: Restlaufzeit. Wie ein gutes, lustiges und bezahlbares Leben im Alter gelingen kann. Köln 2014) auch von der ja sehr populären Idee des Mehrgenerationenhauses verabschiedet habe. Diese Vorstellung von einem fröhlichen Bullerbü, wo Oma der Enkelin mit den Hausaufgaben hilft, während Papa die Einkäufe für Opa macht und alle glücklich unter einem Dach leben, funktioniert so nur im ZDF. In der Familie, die ich besuchte, blieb die Arbeit vor allem an der Mutter hängen, die als gelernte Krankenpflegerin nicht nur für den Haushalt und die Pflege der Oma zuständig war, sondern auch ihren Mann versorgen musste. Der hatte einen Schlaganfall erlitten. Häusliche Pflege ist ein Riesenthema. Mehr als achtzig Prozent aller alten Menschen werden zu Hause betreut. Dabei ist das eine Wahnsinnsaufgabe. Gerade dann, wenn Oma oder Opa dement sind und eigentlich rund um die Uhr umsorgt werden müssten.

Das ist bei unserer Arbeit auch ein Riesenthema. Nicht selten habe ich Menschen vor mir sitzen, die ihre Angehörigen rund um die Uhr gepflegt haben und für die ich gefühlt der erste normale soziale Kontakt seit Monaten bin. Ich selbst versuche, die unterschiedlichen Generationen in meiner Familie zusammenzubringen. Also zum Beispiel die Urgroßeltern oder Großeltern in der Erziehung unserer Tochter mit in die Verantwortung zu nehmen. Ob ich später mit allen unter einem Dach wohnen möchte, sei mal dahingestellt. Letztlich geht es bei der ganzen Geschichte auch um Geld. Für die Krankenkassen ist es viel günstiger, wenn die Pflege von Familienangehörigen übernommen wird. Klar, dass ihnen viel daran gelegen ist, den Menschen weiszumachen, dass es doch so viel schöner ist, wenn Oma in den eigenen vier Wänden alt wird beziehungsweise stirbt.

Dazu kommt, dass der Job der Pflege in der Regel ein Frauenjob ist – es sind nur ganz selten Söhne oder Schwiegersöhne, die sich um Oma und Opa kümmern. Und Pflege ist ein Knochenjob.

Eine im Rahmen des Forschungsprojekts »Häusliche Pflege« durchgeführte Untersuchung hat ergeben, dass die Gesundheit von pflegenden Personen abhängig ist von der durch die Pflege entstandenen Belastung. Bei 57 Prozent der knapp 2000 Probanden bestand dringender Entlastungsbedarf. Das Ausmaß der körperlichen Beschwerden stand im direkten Zusammenhang mit dem Ausmaß des Gefühls, durch die Pflege belastet zu sein. Je größer die Belastung war, desto eher verschlechterte sich der Gesundheitszustand. Außerdem kam es bei stärker belasteten Pflegepersonen häufiger zu aggressiven Verhaltensweisen. Besonders die eingeschränkte oder oft unterbrochene Schlafenszeit hatte erhebliche Auswirkungen auf die Gesundheit und das Belastungsempfinden. Aus den Ergebnissen der Untersuchung wurden drei Empfehlungen für die Praxis abgeleitet. Erstens: Pflegende Angehörige müssen frühzeitig entlastet werden, um einem Burn-out vorzubeugen. Zweitens: Es braucht ein dichteres Netz an Beratungsstellen, die als Informationsvermittler Hilfe- und Entlastungsmöglichkeiten anbieten. Drittens: Pflegende müssen die bestehenden Angebote auch wahrnehmen.

Ich hatte mal die ehemaligeMTV-Moderatorin Sophie Rosentreter zu Gast. Die arbeitet inzwischen als Pflege- und Demenzexpertin, weil sie erleben musste, wie sich ihre Mutter bei der Pflege der eigenen Mutter zu Tode schuftete. Die ist ein halbes Jahr nach dem Tod ihrer Mama selbst gestorben. Wir wissen jetzt, welche Altersmodelle nicht so gut funktionieren – welche Ideen hast du für die »Restlaufzeit« erarbeitet?

Das waren keine Ideen. Ich habe mir einfach angeschaut, wie es die Generationen vor uns gemacht haben. Und dann festgestellt, dass der größte Fehler darin liegt, das Altsein zu romantisieren. Der Klassiker: Wir kaufen uns mit ein paar guten Freunden einen alten Hof in der Uckermark und machen uns dann alles schön und toll. Dabei liegen die Probleme gerade in den kleinen einfachen Dingen, über die man bei den großen Plänen nicht gesprochen hat. Selbst der beste Freund kann zu einem Fremden werden, wenn er mit dir zusammenwohnt. Auf solche Dinge muss man unbedingt achten.

Hast du denn selbst schon romantisiert?

Ich finde diese Modelle immer noch sehr spannend. Ich bin seit dreißig Jahren verheiratet, mit allen Höhen und Tiefen. Sie ist zum Glück noch da, ich bin zum Glück noch da, aber irgendwann wird einer von uns sterben. Der Tod ist eine Sau und schlägt meistens unvorbereitet zu. Das heißt, es ist nicht verkehrt, den vertrauten Kreis im Freundeskreis zu erweitern, um zu schauen, mit wem so eine Alten-WG funktionieren könnte. Dabei sollte man auch praktisch denken und nicht immer nur die Netten und Lustigen als Kandidaten in Betracht ziehen. Vielleicht braucht man den nachdenklichen Buchhalter sogar am ehesten, denn man glaubt ja gar nicht, wie viele solcher Wohnmodelle an den ungeklärten Finanzen scheitern. Wie geht man damit um, wenn einer viel mehr Kohle hat als der andere? Gründen wir eine Genossenschaft? Wie regeln wir das vertraglich? Es ist faszinierend, wie oft solche Pläne am Kleinscheiß scheitern.

Eric: Eigentlich hatte ich mir fest vorgenommen, die hier abgedruckten Gespräche nicht zu bewerten, doch das Interview mit Hajo war für mich tatsächlich ein sehr prägendes. Weil es so viel in mir bewegt hat. Das hat er durch seine nachvollziehbare Herleitung der Gedanken und die Klarheit seiner Schlussfolgerungen geschafft. Wenn er deutlich macht, dass das Modell Rente ab Mitte sechzig vom Aussterben bedroht ist und wir uns nicht damit belügen dürfen, würde ich das gerne als Flyer in jeden Haushalt schicken. Dafür habe ich zu viele Einzelschicksale von Menschen kennengelernt, die im hohen Alter nach einem Verlust in die soziale Isolation rutschen. Wir brauchen nicht nur einen Plan fürs Alter, wir müssen sogar noch weiterdenken.

Welche Erfahrungen hast du bis jetzt bei der Vorplanung gemacht?

Dass der Tod keinen Sinn für Romantik hat. Vor einiger Zeit ist einer meiner besten Freunde gestorben. Mit 54! Der hatte nachts einen Herzinfarkt und war einfach tot. Der wäre bestimmt ein Kandidat für die WG gewesen.

Auf welche Dinge muss man im Alter besonders achten, wenn es ums Zusammenwohnen geht?

Letztlich kann genauso viel gut und schiefgehen wie in einer Studenten-WG. Eskalationen durch herumliegende Unterwäsche oder zerbrochene Lieblingstassen. Nur dass du in der Studentenbude denkst, dass später alles mal besser wird. Als alter Mensch ist deine Restlaufzeit begrenzt. Da willst du dich noch weniger mit den merkwürdigen Gewohnheiten anderer herumschlagen. Ich finde gerade das Teilen und das Miteinander ist eine Kulturtechnik, die man im Alter erst wieder lernen muss. Gerade wenn man sich viele Jahrzehnte lang in einem anderen Modell bewegt hat. Ich selbst dachte, dass ich im Alter automatisch gelassener werde und es mir noch viel egaler wird, wenn mir einer die Lieblingstasse zerhaut. Aber das Alter bringt ganz schön viel Verschrobenheit mit sich. Auch ich habe meine Rituale, meinen Tagesablauf. Dem entgegenzusteuern, ist eine große Herausforderung. Sich erst mit siebzig konkrete Gedanken über das Alter zu machen, wird schwierig. Darüber sollte man mit fünfzig zumindest schon mal nachgedacht haben.

Was zeichnet denn Wohngemeinschaften aus, die funktionieren?

Dass sie strikte Regeln haben, ausgestattet sind mit Hausordnungen und klaren Leitfäden oder einer Art Benimm-Knigge. Wir Menschen haben einfach individuelle Hemmschwellen oder Sensibilitäten, die zwangsläufig zu Konflikten führen. Finanzen hatte ich bereits angesprochen, ein Riesenthema. Der eine lässt sich das Geld für das Bier aus der Kneipe wiedergeben, der andere lässt jede Woche Runden springen. Das sollte man nicht gleich bewerten, sondern erst mal wahrnehmen und abwägen.

Wir haben recht häufig ältere Menschen bei uns im Laden sitzen, denen es monetär gut geht und die überlegen, ihr großes Haus mit der Familie zu teilen.

Nur: Was bedeutet »mein Haus«? So lange die Besitzer im Haus wohnen, sind sie auch der Boss. Darf man dann einfach das Rosenbeet kappen? Was kommt hier auf den Kompost und was nicht? Wenn Kompromisse gelingen, dann finde ich diese Form von Alterssozialismus einen sehr schönen Ansatz. Vielleicht nicht übertragbar auf die Gesamtgesellschaft, aber zumindest in unserem privaten Kosmos. Es geht immer darum, die richtige Idee für sich selbst auszuloten.

Wie geht das?

Meine Frau und ich haben in den vergangenen Jahren verschiedene Urlaube gemacht, von denen wir dachten, dass man die im Alter bestimmt ganz gut in einen Dauerzustand übertragen kann. Mit dem Wohnmobil durch Europa, noch so ein Klassiker. Auch hier, die romantische Verklärung: Immer wenn die Sonne scheint, machen wir halt, spannen unser Sonnensegel auf, trinken ein kühles Glas Rosé und schauen aufs Meer. Das Problem ist: So ein Wohnmobil ist ganz schön klein. Und man ist auch nicht immer willkommen mit so einem Schiff. In der Pandemie hat sich jede/r Zweite so ein Teil gekauft, alles steht voll damit. Ein andermal sind wir mit Freunden für ein paar Wochen im Ausland gewesen, so eine Art Übergangsmodell für den Winter. Aber da griffen die vorhin genannten WG-Faktoren, gerade was die Kommunikation betrifft. Als lang gedienter Ehepartner weiß man, dass sich kleine Sticheleien zu ziemlichen Schmerzen anhäufen können und man sich am Ende nach jedem zweiten Glas Rotwein auf der Party anfängt zu streiten. Für so was muss man eine neue Kommunikationsform etablieren. Offen, ehrlich, achtsam und gewaltfrei. Ich weiß, dass das aus dem Mund eines Journalisten paradox klingt, aber so ist es.

Der Vorteil bei sämtlichen alternativen Lebensmodellen im Alter soll doch vor allem darin bestehen, nicht zu vereinsamen, im sozialen Miteinander zu sein und nicht zu verblöden.

Und da sind wir bei einem ganz wichtigen Punkt. Ich würde sagen, das ist meine Quintessenz aus den Recherchen und eigenen Erfahrungen: Es muss schon einen Sinn ergeben, warum man sich für ein solches Modell entscheidet. In dem Moment, in dem man zusammenlebt, macht es Sinn, sich gemeinsam um etwas Sinnvolles zu kümmern. Sei es Tomaten züchten, Klimaschutz oder gemeinsam geschriebene Drehbücher. In meinem Beruf fällt es mir nach über vierzig Jahren und acht Bundestagswahlkämpfen immer schwerer, einen Sinn in der täglichen Arbeit zu finden. Umso mehr stellt sich die Sinnfrage, was ich denn eigentlich mit meinem restlichen Leben anfangen will. Und das hat bei mir überhaupt nichts mit Luxus zu tun. Der mit einem guten Freund geteilte Weißwein-Tetrapak von der Tanke ist tausendmal mehr wert als eine Fünfzig-Euro-Flasche im Sternerestaurant bei einer Veranstaltung von Armin Laschet.

Wie soll deine Zukunft aussehen?

Nach all meinen Recherchen werde ich vermutlich mit meiner Frau zusammen eine runtergewirtschaftete Gärtnerei übernehmen und Tomaten züchten. Irgendwie bin ich vernarrt in diese Idee. Und ich habe festgestellt, dass ich den Dingen wahnsinnig gerne beim Wachsen zuschaue. Das erfüllt mich mit Wirksamkeit. Selbstwirksamkeit ist der zweite Punkt, da ist mein ältester Sohn mein größter Lehrmeister. Ich gehöre zu der Aufstieg-durch-Bildung-Generation. Ich dachte, ich müsste das auch auf meine Kinder übertragen. Also noch bessere Bildung, eine noch bessere Uni, ein noch besserer Abschluss, ein noch besseres Leben. Mein Sohn hat stattdessen eine Ausbildung zum Garten- und Landschaftsbauer gemacht und ist das glücklichste Kind auf der ganzen Welt. Er ist Schlagzeuger und macht in seiner Freizeit sehr viel Musik. Sein Job ist ihm schon wichtig, auch das Geldverdienen, aber vor allem möchte er Zeit für seine sonstigen Leidenschaften haben.

Was kannst du von ihm lernen?

Ich habe diese Kombination aus Arbeit und Leben nie so gut hinbekommen. Ich dachte, den Job musst du machen, den auch und den auch, damit wir schick in den Urlaub fahren oder ein anständiges Auto fahren können. Mein Sohn denkt da anders, und davon kann ich nur lernen.

Eric: Wie mir das Herz aufgeht bei diesen Worten! Wie stark kann eine Eltern-Kind-Beziehung sein, wenn ein Vater mit so viel Stolz und Selbstreflexion auf sein Kind schauen kann? Solche Sätze, solche Momente haben mir die Arbeit an dem Podcast besonders wertvoll gemacht. Gesprächssituationen, bei denen es gar nicht um das Sterben und den Tod ging, sondern um das Leben und was wir daraus machen, solange es uns noch gibt. Das kann ich euch, liebe Leserinnen und Leser, nur mit auf den Weg geben: Sprecht offen über die großen Themen des Lebens, und ihr werdet sehr sicher ein besseres Verständnis füreinander entwickeln und euren eigenen Horizont erweitern. Einfach ausprobieren!

Welche Pläne oder Wünsche hast du noch?

Tatsächlich die Zeit haben, mich auf Themen zu konzentrieren, die nicht zwangsläufig mit tagesaktuellem Journalismus zu tun haben. Das wird auch ein Eitelkeitscheck, keine Frage. Oh, jetzt bin ich schon seit drei Monaten nicht mehr zu Lanz eingeladen worden! Das neue Buch hat sich nicht so gut verkauft! Ich muss sagen, dass meine Frau da einen großartigen Job macht. Sie drängt mich nicht, mehr zu arbeiten, damit wir uns irgendwelche Sachen leisten können. Im Gegenteil, sie unterstützt mich eher, mal einen Gang rauszunehmen.

Wo soll deine Gärtnerei dann eigentlich stehen?

Ich denke, dass sich Mecklenburg ganz gut anbietet, auch mit Blick auf den Klimawandel. Relativ günstig, viel Wasser, nicht so heiß.

Und dann sitzt du da, erntest deine Tomaten und stößt abends zum Sonnenuntergang an?

Solche klassischen Wir-haben-es-geschafft-Fantasien hatte ich natürlich auch schon. Wobei in diesem Zusammenhang Altersalkoholismus ein Riesenthema ist. Ich finde es nicht erstrebenswert, mir um elf Uhr mittags auf Gran Canaria die erste Flasche Wein aufzumachen, um mich für den Rest des Tages zu betäuben. Das darf man – auch mit Blick auf pharmazeutische Erzeugnisse – nicht unterschätzen.

Hättest du die Gärtnerei nur mit deiner Frau?

Nein, da stelle ich mir schon eine größere Truppe vor. Wir üben das gerade mit einem kleinen Wochenendhäuschen. Naturgemäß steht das neunzig Prozent der Zeit leer, also sollen in dieser Zeit gerne andere Personen dort wohnen. Abgeben und Teilen, das muss man lernen. Die Gärtnerei stelle ich mir als Open House vor. Ich möchte, dass da einer um zwei Uhr morgens noch auf dem Bass zupfen darf, wenn er möchte. Und ich hoffe dann auf das Geschenk der Altersschwerhörigkeit, damit mich das nicht nervt. Insofern bin ich doch wieder da, wo ich eigentlich nicht hinwollte: dem romantischen Bild einer funktionierenden Gemeinschaft, in der nicht alle zwingend miteinander verwandt sein müssen. Und der Beruf meines Sohnes lässt natürlich auch die Fantasie zu, dass der eigene Nachwuchs an diesem Ort zu finden sein wird.

Gute Freunde kann niemand trennen, wusste schon der Kaiser Franz Beckenbauer. Zwei Studien aus den USA und Australien sind zu dem gleichen Ergebnis gekommen: Gute Freundschaften wirken sich positiv auf die Gesundheit aus und verlängern die Lebenszeit. Der Psychologe William Chopik von der Universität Michigan untersuchte dafür Daten aus Umfragen zu Freundschaft, Glück und Gesundheit von rund 270 000 Menschen verschiedenen Alters aus hundert Ländern und glich die Ergebnisse mit einer Umfrage von knapp 8000 US-Bürgern zu den Themen Freundschaft und chronischer Erkrankung ab. Wer seine Freunde als Belastung empfand, war häufiger chronisch krank. Waren die Freundschaften eine Bereicherung, waren die Teilnehmer in der Regel auch glücklicher und zufriedener. Eine andere Studie aus Australien begleitete 1477 Personen über siebzig Jahren für ein Jahrzehnt, um herauszufinden, welchen Einfluss ein stabiles soziales Netz auf die Gesundheit hat. Das Ergebnis war recht eindeutig: Je enger und besser der Freundeskreis wahrgenommener wurde, desto höher war die Lebenserwartung der Probanden. Merke: Gute Freunde sollte man wirklich nicht trennen.

Ich habe das Segeln für mich entdeckt und mir vor ein paar Jahren ein zwölf Meter langes Segelboot gekauft. Im Winter liegt es vor La Palma, und weil wir leider nicht die ganze Zeit da sein können, dürfen es natürlich auch Freunde und Familienmitglieder nutzen. Wenn ich ans Alter denke, dann sehe ich vor meinem geistigen Auge ähnliche romantisierende Bilder vor mir. Aber wer hätte dann auf meinem Boot oder in meinem Haus das Sagen, wenn ich auch da bin? Würde mir die schöne sonore Stimme von Hajo Schumacher auf den Keks gehen, wenn ich feststelle, dass er morgens in der Küche gerne singt? Aktuell steht die Reduzierung der Arbeitszeit im Vordergrund. Ein befreundetes Bestattungshaus hat ein geniales Modell entwickelt. Man kann ein Dreivierteljahr arbeiten – und hat dann die restlichen Monate frei. Ich glaube, da bin ich eher bei deinem Sohn. Ich liebe meinen Beruf, den habe ich mir ja ganz bewusst ausgewählt. Aber ich habe den auch, weil ich den ziemlich gut von mir suspendieren kann.

Jetzt habe ich aber auch eine Frage: Wie ist es um dein Sicherheitsbedürfnis bestellt?

Als Mitglied der dritten Generation Ost bin ich sehr panisch veranlagt. Ich habe live miterlebt, wie ein ganzes System zusammenbricht und alles auf einmal anders ist. In dieser Hinsicht bin ich ein Zwitterwesen: Ich habe leider vor nichts Angst und doch ein starkes Sicherheitsbedürfnis. Das hat bestimmt auch mit meinem Job zu tun, bei dem man so viele verschiedene Schicksale erlebt.

Und dann kommt dieser Planungswahn, bei dem man kurz denkt, dass man die nächsten zehn Jahre durchorganisieren kann. Aber Arsch lecken, dann wacht dein bester Freund mit vierundfünfzig nicht mehr auf und hinterlässt eine Frau und zwei Kinder.

In dieser Hinsicht lebe ich nach den Erfahrungen, die ich bei der Arbeit mache. Ich hatte nie den großen Sparwahn, habe mein Leben aber auch immer so gelebt, dass ich keine großen Verpflichtungen hatte. Das hat sich durch die Geburt unserer Tochter verändert. Jetzt spüre ich den Druck, meiner Tochter ein schönes Leben zu ermöglichen, eine gute Ausbildung zu finanzieren und so weiter …

Ich möchte dich auf etwas Wesentliches vorbereiten, was all diese schönen Segelbootpläne ein wenig konterkariert: die Schule. Von dem Moment an, wo du der deutschen Schulpflicht unterliegst, bist du bis zu zwölf Jahre lang in Ketten. Das ist der Wahnsinn. Ich will um Gottes willen nicht das deutsche Schulsystem kritisieren oder die Lehrer. Aber all unsere Planungen kreisten und kreisen um den Schulabschluss. Acht Wochen auf dem Segelboot – versuch das mal in den deutschen Weihnachtsferien! Als der Ältere von uns beiden würde ich dir gerne noch einen Tipp mit auf den Weg geben: Meine Ehe hat deutlich an Qualität gewonnen, als wir festgestellt haben, dass permanent aufeinanderzuhocken ganz schön anstrengend sein kann. Und es vollkommen okay ist, wenn einer mal zwei Wochen auf einem Workshop ist. Das war auch die Idee, die ich mit meinem verstorbenen Freund hatte. Wir Jungs hätten den Dezember zur freien Verfügung bekommen, unsere Frauen den Januar. Für was auch immer: Schweigekloster, Surfschule, egal. If you love someone, set him free.

Hast du schon mit deiner Frau darüber gesprochen, wie ihr mal sterben möchtet?

Das ist in unserer Familie ein besonderes Thema. Wie gesagt, mein Vater ist mit Mitte fünfzig gestorben, meine Mutter war sehr lange Witwe. Bei meiner Frau war es andersherum, da ist die Mutter früher verstorben, der Vater wurde immer verschrobener und glitt dann irgendwann in die Demenz. Mein Bruder hat seine Frau verloren. Meine Schwester ist zweimal geschieden … Das Thema Abschied, und wie man damit für sich und mit den anderen umgeht, ist sehr präsent in unserem Leben. Und trotzdem haben meine Frau und ich noch nicht ein Mal darüber gesprochen. Vermutlich haben wir ordentlich Respekt vor Patientenverfügung, Testament und so weiter. Ich habe ein tiefes Vertrauen darin, dass sie das alles schon machen wird, wie es für mich okay wäre, wenn ich mal tot bin.