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»Ihr habt mich ausgeschlossen, mir keine Chance gegeben. Also habe ich mir genommen, was ich wollte.« Aufgewachsen als Sohn kurdischer Eltern im Berliner Wedding machte sich AK AusserKontrolle früh mit spektakulären Einbrüchen, Drogendeals und Überfällen einen Namen. Lieferte sich wilde Verfolgungsjagden mit der Polizei. Saß jahrelang im Knast. Doch dann entschied er sich, statt zur Brechstange zum Mikrofon zu greifen – und mit seiner Musik das zu erreichen, was ihm immer verwehrt wurde: Glück und Anerkennung. In seinem Buch erzählt Davut Altundal, wie AK mit bürgerlichem Namen heißt, erstmals von seinem bewegten Leben zwischen Raub, Knast und der ständigen Angst, aus dem eigenen Land abgeschoben zu werden. Außerdem kommen Weggefährten wie Kontra K und Shindy zu Wort und machen klar: Viele Rapper nennen sich Gangstarapper, aber AK AusserKontrolle ist der Einzige, der wirklich erlebt hat, wovon er rappt. Auf Staat sein Nacken ist die Geschichte von AK AusserKontrolle. Eine Geschichte, die krasser ist als jeder Gangsterfilm – weil sie wahr ist.
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Seitenzahl: 244
Veröffentlichungsjahr: 2020
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Originalausgabe
1. Auflage 2021
© 2021 by riva Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH
Türkenstraße 89
80799 München
Tel.: 089 651285-0
Fax: 089 652096
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Umschlaggestaltung: Ben Baumgarten
Layout, Satz und E-Book: Daniel Förster, Belgern
ISBN Print 978-3-7423-1208-2
ISBN E-Book (PDF) 978-3-7453-0874-7
ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-7453-0875-4
Weitere Informationen zum Verlag finden Sie unter
www.rivaverlag.de
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Ich bin Ausserkontrolle
1. Bandana
2. Zigaretten
3. Dope
4. Investment
5. Batzen
Statement I
6. Lieber Gott
7. Für die Diebe
8. Markenzeichen: Gullideckel
9. Alles schon gesehen
10. Panzaknacka
Statement II
11. Bang Bang
12. Stimme
13. Rein raus
14. Lucky Luke
15. Hallo Baba
Ich bin Davut, Dieb, Drogendealer. Straftäter. In Deutschland geboren, und doch ohne unbefristete Aufenthaltsgenehmigung. Ich bin Kurde. Ich bin Familienvater, Bruder, Sohn. Ich bin Musiker. Ich bin AK – AusserKontrolle …
Wedding, Turiner Straße Ecke Amsterdamer. Internetcafés, Spielos, Dönerbuden. Alles Multikulti. Das komplette Klischee. Es war 2010, Mitte Dezember. Später Nachmittag. Wir waren hier, um das Video zu »Das ist AK« zu drehen. Unser erster richtiger Song. Unser erstes richtiges Musikvideo. Wir waren die Letzten, die am Set erschienen. Fux und ich. Die Jungs warteten schon seit über einer Stunde auf uns. Es fing bereits an zu dämmern. Wir waren spät dran.
»Los«, rief der Kameramann. »Bevor das Licht weg ist.«
Ich hatte schwitzige Hände. Mein Schädel brummte. Ich hatte die ganze Nacht wach gelegen. Kein Auge zugemacht. Ekelhafte Selbstzweifel hatten mich gequält. Machte ich mich zum Affen, wenn ich mich als Rapper zeigte? Fickte ich mich selbst, wenn mich jeder in dem Video sehen konnte? Alles, was ich mir über die Jahre im Milieu aufgebaut hatte, konnte ich mir mit diesem einen Clip kaputt machen. Mit einer Aktion wäre alles im Arsch. Und ich für immer blamiert.
War es das wert?
Rapper sind Opfer. Waren sie für mich schon immer. Von Anfang an stand fest: Ich werde nie so einer. Jeder, der sich auf der Straße auskannte, wusste: Rapper waren Marionetten. Rapper waren diejenigen, die abdrückten. Die Schutzgeld an die Leute zahlten, die wirklich was zu sagen hatten. Jungs wie ich, die auf andere aufpassten, ihnen Schutz boten, ihr Rücken waren. Aber diese Typen, die Rapper, die dort oben auf der Bühne standen? Das waren Witzfiguren. Ohne Rücken waren die nichts. Als Rapper konntest du dir dein hartes Getue in den Arsch stecken. Deine »Karriere« war lächerlich, darauf gab niemand etwas. Ich nicht, und meine Kumpels, mit denen ich die Überfälle durchzog, noch weniger.
Ich hatte meine Karriere auf der Straße gemacht. Über Jahre hatte ich mir einen Ruf erarbeitet, meinen Status verdient. Die Rapper, die ich kannte, wünschten sich ein Standing, wie ich es besaß. Ich war real, sie waren fake. Sie wollten das Cash, überall erkannt werden, berühmt sein. Das war ihr einziger Antrieb – dieser Promi-Quatsch. Genau darauf hatte ich immer geschissen.
Ich, ein Rapper? Du hättest mich damals nicht krasser beleidigen können. Ich war 19 Jahre alt und hatte meine erste Haftstrafe hinter mir. Sechsundzwanzig Monate hatten sie mir aufgebrummt, zwei Jahre Knast. Es waren mehrere Einbrüche und Raub-Delikte zusammengekommen, für die ich mich verantworten musste. Vorher war ich mal mit Untersuchungshaft, mal mit Bewährung davongekommen, aber irgendwann war das Maß voll, und ich war eingebuchtet worden. Es hatte einfach keine Schlupflöcher mehr gegeben, die ich nutzen konnte.
Nachdem ich den Großteil der Haftstrafe abgesessen hatte, ohne mir was zu Schulden kommen zu lassen, durfte ich ein paar Monate früher raus. Ich chillte mein Leben, schlief jeden Tag aus, hing mit den Jungs ab. Ich verspürte keinen großen Druck, etwas tun zu müssen, erst mal ankommen in der Freiheit, dachte ich, ganz easy.
Mein Bro Deniz rief eines Mittags an, ob wir zusammen was essen gehen wollten, und eine halbe Stunde später stand er auch schon unten im Block. Er war immer mit seinem weinroten Benz unterwegs, ein altes Ding, aber ein echter Hingucker und topp gepflegt. Deniz kümmerte sich mehr um sein Auto als um alles andere, deshalb roch es in dem Wagen auch schlimmer als bei Douglas. Wir fuhren zu Imren Grill in der Müllerstraße, nur ein paar Minuten vom Leopoldplatz. Dürüm, Köfte, Adana Kebab, die stabilsten türkischen Gerichte und die heftigste Sesamsauce überhaupt. Ich hatte Bock auf Fasulye, eine traditionelle Bohnensuppe, Deniz bestellte Köfte. Und dann, wie es das Schicksal wollte, kam Hassan durch die Tür.
»Habibi!«
»Hassan, Bro! Was geht? Lebst du noch?«
»Safe, Bruder! Bist du wieder draußen? Haft ist rum, wa?«
»Ja, safe, Bruderherz. Endlich vorbei und wieder zurück im Kiez. Aber hier hat sich nicht viel verändert. Du siehst aus wie immer, Bruder.«
Hassan war ein dunkler Typ. Pechschwarze kurze Haare, Seiten auf null, Vollbart. Der übliche Südländer-Film. Bei uns im Wedding sah gefühlt jeder Zweite so aus, egal ob Libanese, Türke, Kurde oder Jugo. Er war seit jeher dünn und schlaksig. Egal welchen Pulli er trug, er schien immer drei Nummern zu groß zu sein. Seine Hosen wirkten wie Baggys, auch wenn es normale Levi’s 501 waren. Ich kannte Hassan seit frühester Jugend, hatte aber nie wirklich viel mit ihm zu tun gehabt. Er war einfach immer da und irgendwie sympathisch. Bis heute habe ich keine Ahnung, was der Typ eigentlich macht, wie er sein Geld verdient, aber irgendwie schlägt er sich wohl durch.
»Lass mal wieder chillen, Bro. Du hast safe ein paar geile Stories aus dem Knast zu erzählen.«
»Eigentlich gar nicht, Dikka. Totlangweilig da, ohne Witz. Aber lass chillen und einen buffen.«
Hassan erzählte, dass er seit ein paar Monaten eine kleine Wohnung hätte und ich einfach vorbeikommen sollte. Ich nahm das Angebot gern an, weil es immer entspannter war, bei jemandem zu Hause zu chillen, als irgendwo draußen im Park mit den Jungs auf Krampf. Wir tauschten Nummern aus, Deniz und ich nahmen unser Essen mit, verabschiedeten uns von Hassan und verschwanden aus dem Laden.
Abends schrieb ich Hassan direkt eine Nachricht und kündigte mich für den nächsten Nachmittag bei ihm an. Ich hatte ohnehin nichts zu tun.
Am nächsten Tag lief ich nachmittags über die Amsterdamer Straße zu Fuß zu ihm und hatte ein paar Gramm Gras dabei. Er wohnte in einem abgefuckten Altbau in einer Seitenstraße der Amsterdamer. Von draußen sah das Haus aus, als wäre es von Besetzern eingenommen worden. Die Fassade bröckelte, die Fenster waren 100 Jahre alt. Im Treppenhaus fiel der Putz von den Wänden, von der Decke hingen irgendwelche Kabel, richtiges Absturzgebäude. Seine kleine Wohnung dagegen war voll okay. Die klassische Einmannbude. Alles auf den fetten Fernseher ausgerichtet, vor dem eine PlayStation stand. Wir drehten uns zwei Joints ohne viel zu quatschen, und Hassan holte seinen Laptop aus dem Rucksack, noch bevor wir den ersten Zug genommen hatten.
»Feierst du Rap, Bruderherz?«
»Gar nicht, Bro. Warum?«
»Dein Ernst? Rappen ist beste, Bruder. Wenn man Talent hat, kann man mies Cash machen und sich was aufbauen. Ich habe mir ein Programm auf meinen Laptop gezogen, mit dem ich Beats selbst machen kann. Dann schreib ich meinen Text und kann mich mit dem Equipment easy aufnehmen. Ich kann alles selbst machen, keine große Sache, Bro.«
»Lass stecken, Dikka. Ich mach mein Ding, rappen ist nichts für mich.«
Er klappte seinen Laptop auf und ließ Musik laufen. Die Biggie- und Tupac-Songs, die in seiner Playlist in den folgenden Stunden regelmäßig zu hören waren, kannte ich noch, der Rest war mir fremd. Hassan chillte sich in den Sessel und versank in seinen Gedanken. Ich döste vor mich hin und merkte, wie er immer wieder aufstand und anfing, ein paar Zeilen zu rappen, so als wäre ich gar nicht da. Er nahm den Flow des Songs auf, der gerade lief, und quatschte einfach auf Deutsch drauflos. Er nahm ganz simple Doppelreime, Haus auf Maus, machen auf lachen, diese Filme. Dabei fuchtelte er auf krass mit seinen Armen, wie man es von den Ami-Rappern aus den Videos kannte.
Ich nahm ihn nicht ernst, aber ließ ihn machen. Ich wollte ihn nicht rasieren, weil ich merkte, dass er sich richtig reinsteigerte. Er glaubte wirklich, er könnte ein mieser Rapper werden und Cash machen.
Hassan war nicht so hardcore unterwegs wie ich. Er hatte nichts am Hut mit Scheiße bauen oder kriminellen Dingen. Er hat bloß immer viel gekifft. Hassan war einer, der über den Tag verteilt ständig chillen musste, um klarzukommen. Und wenn er nicht chillte, dann war Rap genau sein Ding. Er rappte auf Deutsch, was ich anfangs echt seltsam fand. Rap kannte ich eigentlich nur auf Englisch, dementsprechend verstand ich nie, was die Rapper da von sich gaben. Aber ich war eh nicht der Typ, der sich in die Texte anderer, zumal in einer fremden Sprache, reinsteigerte. Leute, die das taten, die ständig in der Welt dieser Musiker lebten, waren für mich Opfer. Ich war lieber auf der Straße.
Damals war die Straße mein Internet. Im Vergleich zu heute war das eine umgekehrte Welt. Heute kann man sich zu Hause den Laptop in den Schoß legen und die Welt digital ins Haus holen. Man kriegt alles mit und muss dafür nicht mal aus der Tür. Das war anders, als ich ein Teenager war. Wir hatten einen Fernseher in der Wohnung, und das war’s. Man konnte sich das TV-Programm reinziehen und mehr nicht. Wenn man was erleben wollte, musste man raus auf die Straße, da war die Action. Und in meinem Kiez, im Wedding, da war jeden Tag was los. Die Kids spielten Fußball in den Käfigen, die Jugendlichen zockten in den Wettbüros, die alten Typen spielen Tavla auf den Parkbänken, und wer sich auskannte, bekam an bestimmten Ecken sein Dope. Wenn man die Müllerstraße ein paar Schritte hinablief, hörte man ständig eine andere Sprache. Deutsch, Türkisch, Kurdisch, Arabisch oder eine afrikanische Sprache. Es gab Dutzende klassische und Schnellrestaurants. Der Duft von gegrilltem Fleisch und südländischen Gewürzen hing ständig in der Luft, man kriegte automatisch Hunger, wenn man dort herumlungerte.
Als Elfjähriger ging ich manchmal auch ins Jugendzentrum, um mich mit den anderen zu treffen und zu chillen. Und weil sich dort alle in irgendeiner Art für Hip-Hop interessierten, setzte auch ich mich gezwungenermaßen mit der Musik auseinander. Die etwas älteren Jungs dort ermutigten uns mit dem Breakdancen anzufangen, was ein wichtiger Teil der HipHop-Kultur war. Wieder andere waren Sprayer und hatten ständig eine Dose in der Hand, um das nächste Graffiti zu sprühen. Ich verstand schon, was diese Kultur ausmachte – aber ich selbst war nicht wirklich ein Teil davon. Ab und zu versuchte ich ein paar Dinge beim Breakdance. Man war eben ein heftiger Playboy, wenn man ein geile Sachen konnte wie den Helikopter. Das war eigentlich Standard, dass man das draufhatte, und nachdem ich es ein paarmal versucht und ein wenig trainiert hatte, war die Übung auch kein großes Problem mehr. Aber wirklich interessiert hat mich das nicht. Ich hätte niemals gedacht, dass ich eines Tages als Rapper eine Karriere starten würde.
Und dann lief mir Jahre später Hassan über den Weg, und ich landete wieder in dieser komischen Hip-Hop-Welt. Durch ihn checkte ich nach und nach, worum es eigentlich ging. Man versuchte im Hip-Hop eine Message zu vermitteln. Du erzählst, was du machst, denkst und erlebst. Du erzählst über deine Ziele, Träume, Erfahrungen. Du verpackst dein Leben in deine Sprache, rapst in deinem Flow und auf deinem eigenen Beat.
Aber Hassan rappte nur den üblichen Quatsch: Weiber und Kiffen, das waren seine Themen, da kam auch nicht viel mehr. Ich ließ ihn machen, weil ich gern zum Chillen in seine Wohnung kam, aber ich war nicht der Meinung, dass mir diese Musik mal irgendwas geben würde.
Seit 2007 kannte ich einen Typen namens Fux. Ich sah ihn immer wieder, weil er in denselben Kreisen verkehrte wie ich. Wir chillten wie immer bei Hassan auf der Couch, als eines Tages Fux wieder auftauchte. Fux konnte nie stillhalten, war immer voller Energie und redete ununterbrochen. Aber das, was er sagte, war cool. Sein Gelaber nervte nie.
»Du bist doch safe arabischer Kurde aus Mardin«, sagte er zu mir am ersten Tag.
»Woher weißt du das, Dikka?«
»Ich weiß es, Bruder. Du siehst eins zu eins so aus wie meine Kumpels, die aus Mardin kommen. Helle Haare, helle Augen. Ihr seht alle gleich aus. Ganz anders als die anderen Kurden. Ich bin Profi, Bro, ich seh das.«
Ich war baff. Dieser Typ saß gerade mal zehn Minuten mit mir im selben Zimmer und konnte mich schon besser einschätzen als viele, die ich länger kannte. Ich war geflasht, der Junge war mir sofort sympathisch.
»Du bist safe kriminell, Bruder«, schoss er hinterher.
»Was meinst du?«
»Ich seh’s dir an, du ziehst krumme Dinge ab. Ob du mir glaubst oder nicht, ich seh’ so was sofort. Ich hab dafür ’nen Blick.«
Das war irre. Der Typ hatte ein gutes Gespür, und er wusste Dinge über mich, die nicht mal meine Kumpels wussten. Es war, als ob er mich ewig kennen würde. Und zwar nicht oberflächlich, sondern richtig gut. Ich verstand mich mit ihm auf Anhieb.
Wir trafen uns häufiger und lernten uns besser kennen. Fux war das komplette Gegenteil von mir. Er hatte weniger mit meiner kriminellen Welt zu tun. Er hatte das Glück, schon sehr früh von der Musik eingenommen zu sein, sodass er weniger Zeit hatte, um auf der Straße zu sein. Was aber nie ganz gelang, weil er im Schöneberger Brennpunkt lebte. Er lebte im Ghetto und hatte trotzdem auch immer die Musik im Kopf. Die Musik war seine Welt – und darin war er ein Genie. Er konnte sogar mehrere Instrumente spielen.
Wie ich sprach er die Sprache der Straße, wir lachten über dieselben Dinge, kifften zusammen und konnten uns gut unterhalten. Die ganze Zeit redete er davon, wie krass es sei, Musik zu machen, eigene Texte zu schreiben, Beats zu bauen und Storys zu vermitteln. Musik war sein Leben, und er wollte, dass ich sie auch so fühlen könnte wie er.
»Bruder, du musst es probieren. Du kennst die Straße, du hast deine Geschichte, du hast es safe drauf. Komm schon. Hassan hat mir schon oft erzählt, dass du ein mieses Talent bist. Mach was draus.«
An meiner Meinung hatte sich zwar nicht viel geändert, ich hielt Rapper noch immer für Opfer, aber Fux war anders. Fux war kein Opfer, genauso wie Hassan. Das waren stabile Jungs und je mehr ich sie beobachtete, sah ich positive Dinge im Rap.
Er machte einen Beat an.
Ich rappte drauflos.
Fing tatsächlich Feuer.
Vergaß die Zeit.
Fux hatte mir ein Geschenk gemacht, ohne es zu wissen. Obwohl, vielleicht wusste er es auch, so wie er immer alles zu wissen schien. Es bockte mich extrem, mit ihm zusammen den ersten Song zu schreiben. Der Nachmittag flog vorbei, und bevor ich mich versah, war die Nummer im Kasten. Wenn ich ehrlich war, fand ich gar nicht so schlecht, was ich da hörte.
Bald trafen Fux und ich uns jeden Tag. Chillten zusammen in seiner winzigen Einzimmerbude, die eigentlich nur aus einer Couch und einem kleinen Tisch bestand, auf dem ein fetter Fernseher stand. Rechts von der Couch war ein Schreibtisch, Fux’ ganzer Stolz: ein dicker, fetter PC, mit dem wir unsere Tracks machten. Anfang der 2000er-Jahre waren die Dinger noch viel klobiger als heute. Und rauschten mies. Ein klumpiger Bildschirm, eine Maus, eine Tastatur und zwei Tec-Boxen, aus denen der Sound kam. Das war unser ganzes Equipment. Und wir feierten es, als wäre es das fetteste Tonstudio überhaupt.
Fux zeigte mir, wie ich mit Fruity Loops meinen eigenen Beat auf dem PC basteln konnte und pushte mich immer weiter. Ich hatte keinen Bock auf Beats basteln, ich wollte, wenn überhaupt, nur rappen. Er sagte immer wieder, ich sei voll das krasse Talent und müsse mehr daraus machen. Er glaubte so sehr an meine Skills, dass sich seine Worte in meinen Kopf einbrannten. Irgendwann fragte ich mich, ob nicht doch etwas dran sein könnte. Fux hatte so viel Ahnung von der ganzen Sache, er würde mir ja keinen Scheiß erzählen. Texten, Rappen, Beats machen, das ganze Konstrukt eines Songs, das war etwas, was mich anturnte. Zusammen mit Fux ging mir der ganze Prozess leicht von der Hand. Alles fügte sich zusammen, wir harmonierten extrem. Mehr und mehr verstand ich, worauf es bei einem Song ankam. Mir gefiel es, über Lyrics Bilder zu vermitteln und dabei Geschichten aus meinem Leben zu erzählen. Der Rap wurde Teil meines Alltags.
Wenn wir zusammen chillten, guckten wir ständig YouTube-Videos. Mal schauten wir die Videos der besten Ami-Rapper, die gerade ihren Hype hatten, aber vor allem auch altes Zeug von Biggie, Tupac und TechNine. Das waren die wahren Kings, die hatten allen anderen den Weg geebnet. In Deutschland war die Szene noch nicht so ausgeprägt. Fux zeigte mir einen YouTube-Channel, der den nationalen Rappern eine Bühne bot, um auf sich aufmerksam zu machen: Thug Life Entertainment. Das sah alles sehr einfach gemacht aus, und das war es auch. Die schickten einen Typen mit einer halbwegs guten Kamera vorbei und ließen den Rapper in seiner gewünschten Umgebung dann seinen Song performen. Anschließend wurde das Material zusammengeschnitten, das Audiofile drübergelegt, und das war’s. Da wurde nichts investiert oder vorbereitet, es war real und voll auf die Fresse.
Fux wurde ganz aufgeregt, während wir bei ihm in der Wohnung saßen und auf den Laptop starrten. »Wir werden unser Ding auch bei ›Thug Life‹ durchziehen. Die haben keine Wahl, Bruderherz, wir sind eine Macht.«
Er meldete sich extra bei YouTube an, um eine Nachricht an Thug Life schreiben zu können. Er machte keine Faxen und schrieb nur ein paar Sätze: »Wir sind AK aus Berlin und wollen von euch bei ›Thug Life‹ gefeatured werden …«
Fux zweifelte nie. Im Gegensatz zu ihm wurde ich allmählich nervös. Was sollte das alles bringen? Und vor allem: Wo sollte das hinführen? Denn eine Sache war safe: Niemals würde ich auf einer Bühne stehen und rappen. Niemals würde ich mies Cash machen mit meiner Musik und mein Gesicht in einem Video zeigen. Mein Status auf der Straße war mir wichtiger als irgendein Song. Seit ich aus dem Knast gekommen war, hatte ich nicht nur bekifft auf dem Sofa gesessen und an meinen Lines gefeilt. Ich war weiterhin eine ernst zu nehmende Nummer auf der Straße. Ich hatte meine Dinger im Wedding gedreht, das war mein Kiez, und ich hatte in Schöneberg auch einige Dinger abgezogen, was noch viel krasser war. Kiloweise Weed hatte ich denen geliefert, und die Leute verließen sich auf mich. Man kannte mich, alle machten gern mit mir Geschäfte. Es hatte Jahre gedauert, mein ganzes bisheriges Leben, bis ich mir einen Namen gemacht hatte und die Leute endlich checkten, dass ich kein Zinker war.
Aber niemand wollte Geschäfte mit einem machen, der in der Öffentlichkeit stand und die Medien auf sich zog. Sämtliche Partner hätten sofort gewusst, dass die Kripo meine Videos checkte, ein Auge auf mich hatte. Es war keine gute Visitenkarte für mein Business, wenn jeder wusste, dass ich ein Rapper war. Ich wollte mich nicht ruinieren mit nur einem Move. Ich hatte meinen Status, und der durfte unter keinen Umstanden unter der Musik leiden.
Doch dann sah ich zu Fux. Sah, wie sehr er für die Sache brannte. Er hatte enormes Talent, er verdiente diese Chance. Ich entschied, erst mal alles auf mich zukommen zu lassen. Vielleicht würden uns die Jungs von Thug Life ja auch gar nicht einladen.
Aber sie taten es. Fux bekam einen Anruf von Big Baba, einem anderen Rapper aus Schöneberg. Baba bekam mit, dass wir mit Thug Life Kontakt aufnahmen und bot uns an, gemeinsam einen Song zu machen, und auf Thug Life hochzuladen, um so mehr Leute zu erreichen. Wir überlegten nicht lange und ließen uns darauf ein. Fux hatte einige Beats am Start und schickte sie Big Baba. Einer der Beats gefiel ihm sofort und wir einigten uns sofort. Fux und ich schrieben in den kommenden Stunden zwei Sechzehner im Eiltempo, so als hätten wir nie etwas anderes gemacht.
Vier Tage später fuhren wir in der Schwerinstraße nach Schöneberg, wo auch das Studio von Big Baba war. Dort sollte auf die Schnelle ein Video entstehen. Alles auf low key, Hauptsache wir haben was in der Hand, um der Welt zu zeigen, dass wir es draufhaben. Als ich die Kamera sah, bekam ich Paranoia. Soll ich das wirklich riskieren? Rappen machte Spaß, aber soll ich das wirklich machen? Ist es das wert? Aber ich wäre nicht der Mensch, der ich heute bin, wenn ich nicht ein As im Ärmel hätte. Am Abend zuvor packte ich wie aus Reflex zwei Bandanas in meine Jacke, ein rotes und ein weißes. Ich hatte immer welche zu Hause liegen, da ich bei diversen Überfällen und Einbrüchen mit Bandana loszog, wenn ich keine Sturmmaske zur Hand hatte. So schützte ich mich vor Überwachungskameras und jetzt könnte ich mich vor dem Kameramann schützen. Bevor die Kamera losging, reichte ich Fux das rote Bandana.
»Was soll ich damit, Bruder. Wir sind hier nicht auf Beutejagd. Wir drehen ein Musikvideo.«
»Hahaha, Bruder. Glaub mir mal, lass uns lieber auf Nummer sicher gehen und unsere Identität verbergen. Sollte irgendwas schiefgehen, sind wir safe. Ich will mich nicht blamieren. Ich habe zu viel zu verlieren. Und du auch.«
Fux guckte mich skeptisch an, überlegte kurz und griff nach dem Bandana. Mir fiel ein Riesenstein vom Herzen, ich fühlte mich sicherer. Der Kameramann rief: »Es geht los. Jeder auf seine Position.«
Ich band mir das Tuch um, atmete schwer und zog mir die Kappe tief ins Gesicht. Ich vermummte mich, so gut ich konnte, und blickte zu Fux. Er sagte nichts. Wie Cowboys mit ihren Halstüchern standen wir uns gegenüber. Aber wir zogen keine Colts. Wir stürmten auch keinen Juwelierladen, wir raubten niemanden aus. Dieses Mal war alles legal. Und gerade deshalb musste ich mich vermummen.
Der Kameramann guckte verdutzt. »Mein ihr das ernst? Wollt ihr wirklich mit den Tüchern im Gesicht rappen?« Big Baba machte auch ein ratloses Gesicht. Fux und ich reagierten gar nicht auf die Reaktionen der anderen. Wir waren schon im Film. Und wir hatten auch keine Zeit für Diskussionen.
»Ihr seid verrückt«, raunte der Kameramann uns zu. Das Licht war fast weg. Die Kamera lief, ich war im Film. Zwei Wochen später war das Ganze schon online. Ich war sehr gespannt auf die Resonanz und scrollte durch die Kommentare. Mir fiel direkt auf, dass die Leute auf mich und Fux hängen blieben. »Die zwei mit den Tüchern sind krass.« Ich las es überall. Nur positive Reaktionen.
Wir fackelten nicht lange, nur zwei Tage später kontaktierte Fux die Jungs von Thug Life. Wir wollten jetzt unser eigenes Video. Wir ganz allein. Ohne Feature. Thug Life stimmte sofort zu, sie waren begeistert von den Jungs mit den Bandanas. Wir passten perfekt in das Klischee, dass die Menschen vom Hip-Hop hatten. Ein Jackpot für Thug Life. Wir drehten ein zweites Video. »Das ist AK.« Ich fragte mich immer noch: Ist es das Wert? Ich hatte viel zu verlieren. Aber ich zog durch. Ich wollte Musiker werden.
»Bro, wir gehen einen kiffen, das ist nichts für dich.«
»Warum aber?«, fragte ich.
»Du bist zehn, Dikka. Komm mal wieder runter.«
Hamudi und Abdulla wollten eigentlich meinen älteren Bruder Mohammed abholen, aber der war nicht zu Hause. Jetzt hatten sie stattdessen mich am Hals. Ich lief ihnen einfach hinterher, weil ich Langeweile hatte. Es war übel heiß draußen und drinnen in der Wohnung noch viel heißer.
»Erzähl du mir mal besser nicht, was ich tun soll und was nicht«, sagte ich. »Ich will mal probieren, Alter. Da ist nichts dabei.«
Ich konnte es nicht ab, für irgendwas angeblich zu jung zu sein. Das zu hören, spornte mich eher an. Wie erwartet war der Widerstand der beiden nicht sehr groß. So was wie eine Verpflichtung meinem großen Bruder gegenüber gab es nicht. Die beiden waren auch erst 13 Jahre alt und verzogene Bengel einer libanesischen Großfamilie, die mit uns verwandt waren. Ob ich mit zehn kiffte oder nicht, war ihnen völlig egal.
Direkt hinter unserem Wohnhaus war der perfekte Spot, um einen durchzuziehen. Das Hinterhaus, das direkt an den gepflasterten Hof angrenzte, war verwahrlost. Der Putz bröckelte an vielen Stellen, fast jedes Fenster war kaputt. Es glich schon fast einer Ruine, und ich konnte mich nicht erinnern, dass da tatsächlich mal jemand drin gewohnt hätte. Weil das Gebäude im Hinterhof lag, war es nie von irgendwelchen Besetzern oder Obdachlosen in Anspruch genommen worden. Jugendliche hatten sich oft drin versteckt, wenn sie rauchen oder kiffen wollten, aber ansonsten interessierte es einfach niemanden.
»Lass da rein, Alter. Da ist keiner, und wir können entspannt einen rauchen«, sagte ich.
Auch wenn die beiden aus der Gegend kamen und den Kiez kannten, wusste ich besser Bescheid. Das hier war mein Hinterhof, ich ging dort jeden Tag rein und raus und wusste, wo man unentdeckt bleiben konnte. Auch den Jungs war das klar, sie hinterfragten daher nicht, was ich vorschlug. Sie nickten es nur ab. Ich war frühreif, die Jungs wussten das auch und es imponierte ihnen auch, dass ich mit zehn Jahren schon so wortgewandt war und mir nichts habe sagen lassen.
Wir stiegen durch ein Fenster ein, das schon lange kein Glas mehr hatte, liefen hoch bis in den zweiten Stock und setzten uns auf die ersten Stufen der Betontreppe. Falls doch jemand kommen sollte, konnten wir uns noch schnell verstecken. Hamudi zückte den Joint aus seiner kurzen Hose und formte ihn halbwegs gerade. Er war in der Hosentasche aufgeweicht und zerknickt worden. Er steckte ihn sich zwischen die Lippen und zündelte mehrmals mit seinem blauen Feuerzeug am anderen Ende herum. Der Blunt glomm auf, und Hamudi pustete eine fette Rauchwolke aus seinen Backen. Ich hatte vorher schon häufiger mitbekommen, wie die Jugendlichen buffen, aber jetzt war ich endlich dabei. Irgendwie gehört das zum Erwachsensein dazu.
Hamudi gab den Joint an mich weiter. Ich zog an dieser dicken Zigarette und hauchte die Luft ganz vorsichtig wieder aus.
»Was soll jetzt dabei sein, Dikka?«, fragte ich. »Ich spüre gar nichts, ist wie eine normale Kippe!«
»Chill, Bruderherz«, meinte Abdulla. »Das schlägt nicht wie der Blitz ein. Das dauert immer ein bisschen, bis es wirkt. Bleib cool. Hast du überhaupt auf Lunge gezogen?«
»Klar, Dikka! Ich bin kein kleines Kind«, sagte ich.
Ich drückte den Joint wieder zwischen meine Lippen und nahm einen langen Zug. Diesmal hielt ich den Atem bewusst an, nachdem ich gezogen hatte, und konzentrierte mich richtig auf das Gefühl, das ich zu verspüren hoffte. Ich hatte es immer wieder von den Älteren gehört: stoned sein! Alles richtig entspannt und gechillt, ganz ohne Hektik erleben, fett sein. Ich aber spürte: nichts. Richtiger Absturz, dachte ich, das bringt gar nichts. Ich nahm einen dritten Zug, diesmal zog ich noch stärker, inhalierte den Rauch noch intensiver. Es war zu viel. Ich fing an, wie ein Kettenraucher zu husten.
»Gib doch mal ab, Bruderherz«, sagte Abdulla. Er wurde ganz nervös und rieb sich mit beiden Händen seine eh schon roten Augen. Unser Kollege Hamudi schlürfte richtig laut an seiner Capri Sonne.
Das Zeug war nichts für mich. Ich spürte nichts und hustete nur wie ein Idiot. Nach meinem Hustenanfall lachten mich die beiden Jungs aus, und ich wartete immer noch auf den Knalleffekt. Wann setzte es denn endlich ein, dieses gechillte Gefühl, von dem die anderen immer sprachen? Der süßliche Duft, den ich aus dem Park von den Kiffern kannte, entfaltete sich hier in dem vergammelten Hinterhaus auch nicht wirklich, also war ich mehr als enttäuscht von der ganzen Story.
Danach kann ich mich an nichts mehr erinnern. Irgendwann, es war gegen halb sieben abends, wachte ich im Wohnzimmer auf der Couch auf. Ich hatte keinen Plan, was passiert und wie ich hier gelandet war. Der Joint musste mich deutlich mehr weggespült haben, als ich anfangs dachte. Richtig mieser Blackout. Wegen ein paar Zügen. Mit zehn Jahren. Absturz! Mein Mund war total vertrocknet, und im Hals kribbelte es komisch, weshalb ich einen Liter Wasser auf ex trank. Für mich war klar, Kiffen ist nichts für mich. Meine Kollegen, die ein paar Jahre älter waren, schienen darauf kleben zu bleiben und rauchten täglich, aber für mich war das Thema erst mal abgehakt.
Was heute Marihuana ist, war früher Hasch. Alle haben nur Hasch geraucht, diese braunen Brocken aus gepresstem Harz. Gras oder Marihuana ist etwas anderes. Gras sind die getrockneten Knospen derselben Pflanze. Die älteren Jungs haben immer am Bolzer im Park oder am Freizeitpark gekifft. Die waren alle 16, 17. Und die Kollegen haben nicht nur geraucht, sondern auch getickt. Da hat keiner groß auf heimlich gemacht. Da hieß es immer ganz laut und bestimmt nicht hinter vorgehaltener Hand irgendwo im Gebüsch: Wer will ein Heck haben? Oder: Wer hat Platten?
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