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Ein neuer Held auf den sieben Weltmeeren!
Europa, 1792: Der Kontinent steht in Flammen. Viele Männer ziehen in den Krieg, nicht alle freiwillig. Matthew Dankworth ist eigentlich Bürger der noch jungen Vereinigten Staaten von Amerika, wird wegen seines englischen Vaters aber in den Dienst der Royal Navy gepresst - und hart bestraft, als er sich wehrt. Erst als er in seinem Captain Sir Sidney Smith eine verwandte Seele entdeckt, bessert sich seine Situation. Gemeinsam stürzen sie sich in den Kampf gegen das revolutionäre Frankreich. In Toulon hoffen sie, Anhängern des Königshauses zum Sieg über die Revolutionsarmee zu verhelfen. Sie ahnen nicht, dass ihr größter Feind ein aufstrebender Artillerieoffizier ist. Sein Name? Napoleon Bonaparte ...
Ein actionreiches Seefahrer-Abenteuer: Volle Breitseite auf die Langeweile!
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Seitenzahl: 298
Veröffentlichungsjahr: 2025
Cover
Über das Buch
Über den Autor
Titel
Impressum
Motto
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Nachbemerkung & Dank
Über das Buch
Europa, 1792: Der Kontinent steht in Flammen. Viele Männer ziehen in den Krieg, nicht alle freiwillig. Matthew Dankworth ist eigentlich Bürger der noch jungen Vereinigten Staaten von Amerika, wird wegen seines englischen Vaters aber in den Dienst der Royal Navy gepresst - und hart bestraft, als er sich wehrt. Erst als er in seinem Captain Sir Sidney Smith eine verwandte Seele entdeckt, bessert sich seine Situation. Gemeinsam stürzen sie sich in den Kampf gegen das revolutionäre Frankreich. In Toulon hoffen sie, Anhängern des Königshauses zum Sieg über die Revolutionsarmee zu verhelfen. Sie ahnen nicht, dass ihr größter Feind ein aufstrebender Artillerieoffizier ist. Sein Name? Napoleon Bonaparte
Über den Autor
Christoph Hardebusch, geboren 1974 in Lüdenscheid, studierte Anglistik und Medienwissenschaft in Marburg und arbeitete anschließend als Texter bei einer Werbeagentur. Sein Interesse an Fantasy und Geschichte führte ihn schließlich zum Schreiben. Seit dem großen Erfolg seines Debüt-Romans ist er als freischaffender Autor tätig. Mit seinem historischen Seefahrer-Roman erfüllt er sich einen lang gehegten Traum. Christoph Hardebusch lebt mit seiner Frau in München.
Christoph Hardebusch
AufstürmischerSee
HISTORISCHER ROMAN
Vollständige E-Book-Ausgabedes in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes
Originalausgabe
Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover.
Copyright © 2025 by
Bastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6 – 20, 51063 Köln, Deutschland
Bei Fragen zur Produktsicherheit wenden Sie sich bitte an: [email protected]
Vervielfältigungen dieses Werkes für das Text- und Data-Mining bleiben vorbehalten.
Textredaktion: Dr. Arno Hoven, Düsseldorf
Covergestaltung: Guter Punkt, München | www.guter-punkt.de
Covermotiv: © Sebastian /AdobeStock_678915155 (KI-generiert); © Sotheby’s / akg-image
Satz und E-Book-Konvertierung: GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN978-3-7517-6142-0
Sie finden uns im Internet unter luebbe.de
Bitte beachten Sie auch: lesejury.de
»Krieg ist leichter angefangen als beendet.«
Napoléon Bonaparte
Balearische See, September 1793
Erbarmungslos und mit fürchterlicher Wucht traf der erste Schlag seinen nackten Rücken. Das Leder schnitt sich in seine Haut hinein, und die Qual war weitaus schrecklicher, als er es sich vorgestellt hatte. Seine Muskeln verkrampften sich, als die Schmerzwellen durch seinen Leib brandeten, und zwischen seinen Zähnen rang sich ein Stöhnen hervor. Wenigstens kein Schrei. Diese Genugtuung wollte er ihnen nicht geben.
Zwischen der versammelten Besatzung hindurch konnte er das strahlend blaue Meer sehen. Die Sonne funkelte auf dem Wasser. Er vermochte weit in der Ferne einige Masten zu erkennen: Fischerboote, die über ihren Fanggründen dümpelten.
Der zweite Schlag kreuzte die rote Linie entsetzlicher Pein auf seinem Rücken. Sein ganzer Körper zuckte unkontrolliert, wand sich in den Handfesseln. Stöhnend biss er fester auf den schmalen Lederstreifen, den sie ihm zwischen die Zähne gesteckt hatten.
In den Mienen der Männer um ihn herum sah er die unterschiedlichsten menschlichen Regungen. Viele Gesichter waren steinern, bemüht, sich nichts anmerken zu lassen. Andere Zuschauer des grausamen Spektakels wirkten erleichtert: ein uralter Instinkt – besser er als ich. Einige wiederum brachten Mitleid zum Ausdruck, vielleicht geboren aus eigenen schmerzhaften Erinnerungen. Aber auch mehr als einmal zeigte sich Freude, wohl über die Ablenkung von der harten Arbeit. Und sogar Genuss.
Der dritte Schlag war sogar noch schlimmer als die beiden vorhergehenden, was er nicht für möglich gehalten hätte. Wie konnte man den schrecklichsten Schmerz noch steigern?
Sein Blick glitt zu den Offizieren der Fregatte, die vom Achterdeck aus seltsam desinteressiert das blutige Schauspiel beobachteten. Eine Bestrafung wie diese war nichts Persönliches; der Kapitän, Sir Harold Young, hatte sich schlichtweg genötigt gefühlt, den Befehl dazu zu gegeben. Die Offiziere wirkten so, als erledigten sie eine unangenehme Pflicht. Er wollte ausspucken, doch sein Unterkiefer war verkrampft.
Und der vierte Schlag trieb jeden bewussten Gedanken aus seinem Geist. Das Stöhnen wurde zu einem Gurgeln. Kein Schrei, nein – aber nur, weil er keine Luft in der Lunge hatte.
Sein Rücken war nun ein einziger entsetzlicher Schmerz. Keine brennenden Linien mehr, nur noch wundes Fleisch. Seine Beine versagten ihm den Dienst, und er hing in den Handfesseln wie eine Schweinehälfte am Haken. War er für die Offiziere überhaupt noch ein Mensch? Wahrscheinlich nicht. Lediglich Fleisch, das es zu formen galt, bis es bedingungslos gehorchte.
Tränen rannen seine Wangen hinab. Ob er vor Schmerzen oder wegen seines verlorenen Lebens weinte – er wusste es nicht. Nichts wusste er mehr. Die Qual verdrängte alles, wurde zu seiner ganzen Welt.
Fiebrig suchten seine Augen zwischen den Uniformen den blauen Horizont ab. Nach einem Segel, einem Sturm, irgendetwas, das ihm Hoffnung machte. Nach der Lucy Belle, zurückgekehrt, um ihn abzuholen.
Doch da war nur die weite, gleichgültige See.
Die Angst vor dem nächsten Schlag fraß sich durch sein Hirn, war fast schlimmer als die pulsierende Pein.
Der fünfte Schlag traf ihn – härter als alle zuvor. Der Laut, den er ausstieß, war wie der eines Tieres, das in einer Falle saß und um sein Leben bangte. Seine Instinkte drängten ihn zur Flucht, wollten gegen die Fesseln ankämpfen, sich aus ihnen befreien, aber kein Muskel seines Leibes gehorchte ihm noch.
Das grelle Tageslicht auf dem Mittelmeer wurde dunkel. Schatten legten sich über alles, zogen von den Rändern seines Gesichtsfeldes heran, nahmen der Welt alle Farben. Sein Kopf rollte umher, schlug gegen das harte Holz des Mastes.
Doch so einfach entließ ihn die grausame Wirklichkeit nicht aus ihren Klauen. Eine Hand legte sich überraschend sanft auf seinen Nacken, eine zweite drehte sein Gesicht zur Seite. Der Mann vor ihm war nur ein heller Fleck, seine Stimme kam von weit her.
»Matthew? Matthew. Hören Sie mich?«
Aber die Worte riefen ihn zurück, ließen seinen Geist durch die heranströmenden Fluten der Bewusstlosigkeit wieder ans Ufer der Wirklichkeit waten. Sein Blick fokussierte sich. Matthew – der von allen nur Matt genannt wurde – erkannte Bernard Albington, den Schiffsarzt, und nickte ihm mit letzter Kraft zu.
Der Arzt erwiderte die Geste mit ernster Miene, dann sah er zum Kapitän hoch.
»Bindet ihn los!«, ertönte dessen Befehl. Wieder keine Emotion in der Stimme, genauso wenig wie bei der Verkündung der Strafe.
Zwei Seeleute sprangen heran, zerrten Matt hoch und stützten ihn, damit sie die Handgelenke aus den Schlingen ziehen konnten.
»Gute Arbeit, Mister Henry«, befand Sir Harold.
Matt fluchte innerlich, musste ihm aber insgeheim recht geben. Mister Henry hatte mit seinem Leder gute Arbeit an seinem Rücken verrichtet.
»Wir befinden uns im Krieg gegen einen gottlosen Feind«, deklamierte der Kapitän mit befehlsgewohnter, weit tragender Stimme. »Ein Feind, der alles daransetzt, nicht nur sein eigenes Volk, sondern auch alle freien Völker ihrer Bestimmung zu berauben. Unsere glorreiche Heimat vertraut darauf, dass wir alle unsere Pflicht erfüllen. Auf einem Schiff Seiner Königlichen Majestät werden wir keine Befehlsverweigerung dulden. Lassen Sie sich das alle eine Lehre sein. Nur gemeinsam können wir siegen.« Er legte eine kleine rhetorische Pause ein.
Matt hing kraftlos zwischen seinen beiden Befreiern. Nur allzu gern hätte er sich aufgerichtet und eine stolze Haltung eingenommen, sich breitbeinig hingestellt und den Rücken durchgedrückt, aber seine Muskeln waren schwach wie die eines Säuglings.
»Als Untertanen der Krone ist es unsere heilige Pflicht, mit Leib und Leben für unsere Heimat zu kämpfen!«, beschwor Sir Harold seine Männer zum Schluss.
Das entlockte der versammelten Mannschaft ein zaghaftes Jubeln.
»Meine Heimat … ist Boston«, murmelte Matt, dem das Sprechen unsäglich schwerfiel. »Und … ich unterstehe … keiner Krone.«
»Seien Sie um Himmels willen still«, zischte Albington, der sich neben ihn duckte. »Haben Sie noch nicht genug?«
Nur allzu gern hätte Matt behauptet, für sein Heimatland alles ertragen zu wollen. Aber die Vorstellung, wieder an den Mast gebunden zu werden und die Liebkosungen der Peitsche noch ein weiteres Mal ertragen zu müssen, stahl ihm die Stimme.
»Doktor, kümmern Sie sich um ihn! Ich will, dass er so schnell wie möglich wieder Dienst tun kann«, wies der Kapitän den Schiffsarzt an und wandte sich ab.
Damit war das Schauspiel beendet, und Befehle hallten über das Deck der Ephyra, trieben die Besatzung an ihre Posten zurück, stellten die übliche Ordnung her.
Halb wurde er geschleift, halb stolperte Matt zwischen den beiden zu Hilfe geeilten Seemännern, die von Albington unter Deck geleitet wurden. Zum Bug und in seinen Operationssaal hinein, wie er das kleine Kabuff einmal scherzhaft genannt hatte.
Matt wurde auf den niedrigen Tisch gehievt. Dort lag er auf dem Bauch und versuchte, sich so wenig wie möglich zu bewegen – ja nicht einmal zu atmen, da selbst bei jeder winzigen Regung neue Schmerzwellen durch seinen Körper jagten.
Der Schiffsarzt kniete sich neben seinen Kopf hin.
»Sie haben Glück.« Er bemerkte, wie absonderlich das klingen musste, was er da gerade gesagt hatte, und lächelte verlegen. »Nun ja, im Unglück. Mister Henry weiß, was er tut. Saubere Treffer, nicht allzu tief.«
Dann hielt er Matt wieder den Lederstreifen vor den Mund.
»Aber ich muss leider …«
Bevor er den Satz beenden konnte, biss Matt bereits fest zu und schloss die Augen. Seine Lippen bewegten sich, und innerlich schwor er sich, tapfer zu sein.
Doch als die kühle Salbe seine offenen Wunden berührte, schrie er wortlos auf. Bevor der Schmerz sich ins Unerträgliche steigerte, entriss ihn die Dunkelheit gnädig der Tortur.
Balearische See, September 1793
Sein Geist wollte nicht in die grausame Wirklichkeit auftauchen, und so trieb er zwischen Wachen und Schlafen dahin, war sich meist kaum seiner Situation bewusst.
Stattdessen stiegen Erinnerungen in ihm auf, wie Blasen aus einer nächtlichen, dunklen See. Seine Mutter am Pier von Boston, Stolz und Sorge in ihren Augen. Der Moment, als die Lucy Belle den Anker lichtete und gen aufgehende Sonne in die Massachusetts Bay segelte, neuen Abenteuern entgegen. An der Reling der Bootsmann, neu angeheuert, kaum achtzehn Jahre alt. Die längste Fahrt seiner noch jungen Karriere.
Sie sollte mehr als ein Jahr dauern – hin zum Nordwesten Afrikas, an Küsten des Maghreb entlang, vorbei an Gibraltar ins Mittelmeer hinein bis nach Kleinasien. So viele neue Länder, neue Häfen, neue Erfahrungen. Es war unglaublich aufregend gewesen, all das kennenzulernen, die exotischen Eindrücke in sich aufzunehmen und Einblicke in das Leben von Menschen anderer Kulturen zu bekommen. Und trotz der zumeist harten Arbeit an Bord hatte er nahezu jeden Augenblick der langen Reise genossen.
Er hatte an Orten, die ihm noch vor wenigen Monaten unbekannt gewesen waren, Früchte probiert, die so süß und köstlich waren. In den Häfen hatten sie Tiere gesehen, die es daheim höchstens im Zirkus gab. Und natürlich hatte Matt hier und dort Souvenirs nicht nur für sich selbst gekauft, sondern auch Geschenke für seine Mutter.
Doch was Matts Geist nährte und seine Seele berührte, war die Freiheit der grenzenlosen See. Der Blick zum Horizont vom Krähennest, die Endlosigkeit dahinter. Dagegen wirkten die Straßen und Gassen der Heimat klein und insignifikant.
Und dann entschied schließlich der Kapitän, dass es Zeit für die Heimreise war – auf zur Meerenge von Gibraltar und zur langen Fahrt über den einsamen Atlantik.
Schmerzen pochten in der Dunkelheit.
Die Segel vor Gibraltar. Eine Fregatte der Royal Navy, die Ephyra … Nicht ungewöhnlich, in diesen Gewässern ein britisches Schiff zu sehen. Aber dieses Mal sollte die Begegnung anders als erwartet verlaufen. Nicht dass die Briten jemals besondere Freude beim Anblick amerikanischer Schiffe gezeigt hätten. Doch dass sich beim Näherkommen die Kanonenluken öffneten …
Die Schmerzen wurden schlimmer, verfestigten sich zu roten Linien, die in der Finsternis wie glühendes Eisen leuchteten.
Die laute Stimme des britischen Kapitäns, der den Amerikanern befahl, alle Segel zu reffen, und damit drohte, ansonsten zu feuern.
Ein Langboot ruderte zu der Lucy Belle herüber, die jetzt, so nahe der Fregatte, klein und zerbrechlich wirkte, obwohl es das größte Schiff war, auf dem Matt bislang gefahren war.
Hätten die Drohungen es nicht längst deutlich gemacht, so wären die roten Uniformen der Männer in dem Boot ein klares Zeichen für die feindlichen Absichten der Ephyra gewesen: Marinesoldaten, begleitet von einigen wenigen Schiffsoffizieren.
»Bleibt ruhig«, ermahnte Kapitän Diebold seine Männer. »Wir haben nichts zu verbergen.«
Aber die Briten sahen das wohl anders. Das Boot ging längsseits, und die Rotröcke stürmten an Bord, als gelte es, eine feindliche Festung zu erobern. Sie ließen die gesamte Besatzung der Lucy Belle antanzen, vom Kapitän bis zu den Schiffsjungen. Dann baute sich ein britischer Offizier vor ihnen auf.
»Gentlemen, mein Name ist Leutnant Ward von der HMS Ephyra. Sie fahren unter der Flagge der Vereinigten Staaten von Amerika?«
»Ja, Sir«, antwortete Kapitän Diebold. »Und wir haben das Recht …«
»Wie Sie wohl wissen«, unterbrach ihn Ward, »hat Frankreich dem Britischen Empire den Krieg erklärt. Und da wir alle wissen, wie sehr die Kolonien die Franzosen schätzen, müssen wir annehmen, dass Sie und Ihr Schiff mit unseren Feinden im Bund stehen.«
Das Entsetzen war dem Kapitän anzusehen. Matt sah sich um. Alle wirkten genauso verwirrt, wie er sich fühlte.
»Frankreich im Krieg? Aber … wir …«
»Ich will Ihre Dokumente sehen, Kapitän. Alle. Sollte sich auch nur der geringste Hinweis finden, dass die Lucy Belle für Frankreich fährt, werden wir Ihr Schiff aufbringen und Sie und ihre gesamte Mannschaft internieren. Als feindliche Kombattanten, die unter falscher Flagge segeln.«
Ein eisiger Schrecken durchfuhr Matts Glieder. Das war mehr als nur eine Drohung, um sie zur Zusammenarbeit zu bewegen. Ihnen wurde mehr oder weniger unterstellt, auf heimtückische Weise für den Feind der Briten tätig zu sein – ein Vorwurf, der das Todesurteil für sie alle bedeuten konnte.
»Leutnant Ward, ich versichere Ihnen …«
»Falls Sie nicht für unsere Feinde segeln, droht Ihnen keine Gefahr«, gestand der Brite großzügig zu.
Matt sah, wie sehr er das Schauspiel genoss. Was war wohl der Grund dafür? War es die Macht, die er über ihr Schicksal hatte, oder die Abneigung, die von Königen unterdrückte Marineoffiziere wie er gegenüber freien Seeleuten einer freien, demokratischen Nation empfinden mussten?
»Die Lucy Belle ist ein einfaches Handelsschiff. Wir haben auf unserer Fahrt keinen einzigen französischen Hafen angelaufen. Und werden es auch nicht. Im Gegenteil, wir befinden uns auf der Fahrt nach Hause.«
»Gut, dann haben Sie ja nichts zu befürchten«, stellte Ward süffisant fest, bevor er sich an seine Marinesoldaten wandte. »Grant, lassen Sie die Besatzung sichern. Zwei Mann mit mir. Und ich will Augen im Laderaum.«
»Jawohl, Sir.«
Die Effizienz der britischen Marine kratzte über Matts Seele, auch wenn er sich immer wieder sagte, dass alle Disziplin und Effizienz den Rotröcken im Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg, der vor einem Jahrzehnt zu Ende gegangen war, auch nicht geholfen hatte. Jetzt waren die Vereinigten Staaten frei von der Krone, und bestimmten ihr Schicksal selbst. Und die Rotröcke waren mit vor Scham roten Wangen in die Alte Welt zurückgekehrt. Dennoch war es beschämend, ihnen jetzt so ausgeliefert zu sein.
Kapitän Diebold führte den Leutnant und einige der Soldaten in seine Kabine, während vier weitere in den Laderaum hinabstiegen.
Für den Moment entspannte sich die Lage etwas. Natürlich wusste Matt, dass sie nicht für die Revolutionäre in Frankreich schmuggelten, auch wenn sie alle den Willen zur Freiheit von Unterdrückung nur zu gut nachempfinden konnten. Aber er ahnte, dass die Briten noch eine Rechnung mit ihnen offen hatten – insbesondere mit ihrem Heimatland. Aber da Amerika unerreichbar für diese Soldaten war, nun mit der kleinen Lucy Belle. Und im Krieg verschwommen die Grenzen schnell. Seine Mutter hatte ihm nicht viel von den Jahren des Krieges erzählt, aber doch genug. Sein Vater konnte nichts mehr erzählen: Er hatte 1780, als Matt gerade erst sieben Jahre alt war, bei der Schlacht von Springfield sein Leben gelassen.
Die Minuten zogen sich dahin, wurden unerträglich lang. Halb rechnete Matt damit, dass jeden Augenblick Leutnant Ward zurückkommen und sie alle in Haft nehmen würde. Doch die Zeit verstrich, und sie standen immer noch nur auf dem Deck herum und warteten.
»Wie heißt du?«
Überrascht schaute Matt sich um. Er sah, dass einer der Rotröcke, der sich einen Platz im Schatten gesucht und auf ein aufgerolltes Tau gesetzt hatte, ihn zu sich winkte.
Unsicher, was er tun sollte, trat Matt einige Schritte auf den Soldaten zu. Sein Gesicht war wettergegerbt und hatte weit mehr Jahre als Matt gesehen. Die Uniform saß mehr schlecht als recht, und er hatte im Unterschied zu den anderen Rotröcken einige seiner Knöpfe geöffnet. Als er Matts misstrauischen Blick bemerkte, grinste er.
»Keine Sorge. Der Leutnant hat nur Hummeln im Hintern. Die Franzmänner wagen sich nicht aufs Meer, und er will bloß beweisen, was für ein harter Hund er ist. Ich bin übrigens Peter.«
»Matthew.«
Peter wirkte vollkommen entspannt. Er hatte sich lässig auf das Tau gefläzt und seine Muskete unbeachtet neben sich auf das Deck gelegt.
»Der Käpt’n hat gesagt, wir sollen euch Feuer unterm Arsch machen.« Peter grinste noch breiter. »Ein bisschen Rumschreien. So als Ausgleich.«
»Ausgleich?«
»Für 1783. Paris, du weißt schon. Shelburne, der Frieden und so.«
Das verstand Matt. Natürlich kannte er die Geschichten, wie die stolze Kontinentalarmee die Briten zu einem Friedensvertrag gezwungen hatte, der 1783 in Paris unterzeichnet worden war und die Unabhängigkeit der Dreizehn Kolonien besiegelt hatte. Und er konnte auch etwas mit dem Namen Shelburne anfangen: So hieß der Earl und einstige britische Premierminister, der die Friedensunterhandlungen geführt hatte.
»Und du nicht, Peter?«
Der Rotrock winkte ab.
»Ach was. Ist lange her.« Er warf einen abschätzenden Blick zu Matt hoch. »Ich war drüben, weißt du? Hatte einige Freunde da. Gut für euch, sage ich.«
Verwirrt nickte Matt. Damit hatte er nicht gerechnet. Der Soldat schien tatsächlich seinen Frieden damit gemacht zu haben.
»Woher kommst du, Matthew?«
»Boston.«
»Ah, schöner Hafen.« Peter blickte hoch zur Spitze des Mastes, als schwelge er in Erinnerungen. »Gibt es noch diese Schänke da an der South Bay? Wie hieß die noch? Irgendwas mit einem Storch?«
»Ich kenne da keine.«
Peter seufzte.
»Verdammt schade. War ein gutes Loch.«
Stimmen erklangen von unten, dann kehrte Leutnant Ward an Deck zurück. Seufzend erhob sich Peter, knöpfte sich die Uniform zu und hob seine Muskete auf. Er sah Matt an und verdrehte so dramatisch die Augen, dass dieser trotz der ernsten Situation lächeln musste.
»Aufstellung!«, befahl der Leutnant.
»Ja, ja«, murmelte Peter und zwinkerte Matt zu. »Dann grüß mir Boston, wenn du zurückkommst, Matthew …?«
»Dankworth. Matthew Dankworth.«
Während er sich müßig neben Peter in Bewegung setzte, nickte dieser ihm zu.
»Ich kannte mal einen Dankworth. Robert.«
»So hieß mein Vater.«
Das gefährliche Aufblitzen in den Augen des Rotrocks entging Matt nicht, aber dann stand er schon wieder bei den anderen und musste der selbstgerechten Drohrede von Leutnant Ward lauschen.
Mittelmeer, zwischen Menorca und Sardinien, September 1793
»Sie sollten Ihren Widerstand aufgeben, Matthew.«
Die Berührungen waren vorsichtig, und dennoch war jede ein roter Schmerzpunkt in seinem Bewusstsein. Aber er wusste, dass Albington es nur gut meinte.
»Ich bin Bürger der unabhängigen Vereinigten Staaten von Amerika, kein Engländer. Es gab einen Frieden, Doc, mit Vertrag und allem Drum und Dran.«
Der Arzt brummte und tupfte eine weitere verletzte Stelle auf dem Rücken mit einem Tuch ab.
»Das mag alles sein, aber es wird Ihnen jetzt nicht helfen. Der Kapitän wird sich nicht auf eine philosophische Diskussion über Staatsbürgerschaften einlassen. Jede Ihrer Insubordinationen wird entsprechend geahndet werden, und der Peitsche ist es gleich, ob sie amerikanische oder britische Haut trifft.«
Gegen diese Logik gab es keine Argumente. Aber darum ging es Matt nicht. Er wusste selbstverständlich, dass der Kapitän ihn nicht ziehen lassen würde. Wohin auch? Die Lucy Belle hatte längst die Heimreise fortgesetzt – ohne ihren verlorenen Sohn. Nein, nicht verloren. Geraubt. Entführt. Die Briten mochten behaupten, einen der ihren in den Dienst gepresst zu haben, wie es in Kriegszeiten nun mal ihre Art war. Aber Matt wusste tief in seinem Herzen, dass sie ihn entführt hatten. Ganz egal, wer sein Vater gewesen sein mochte, er selbst war Amerikaner.
»Sobald wir in einen Hafen einlaufen oder nach England zurückkehren, können Sie ganz offiziell Beschwerde einlegen.«
Matt schnaubte.
»Wie stehen da die Chancen, Doc?«
Der Schiffsarzt schwieg und kümmerte sich weiter um die Wunden, was Antwort genug war.
»Würden Sie nicht auch alles tun, um nach Hause zurückzukehren, wenn man Sie entführt hätte? Hm?«
Vorsichtiges Tupfen an Stellen, an denen die Wunden fast verheilt waren. Was immer man den Briten auf der Ephyra auch vorwerfen konnte – zumindest Albington erfüllte seine Pflicht mit großer Hingabe und ohne Ansehen der Person.
»Nun ja, aber doch nicht um jeden Preis«, erwiderte er nach einer Weile. »Sohn, Sie scheinen offenbar nicht begreifen zu wollen, was Ihnen alles bevorsteht, wenn Sie dieses Spiel weitertreiben.«
»Für mich ist es kein Spiel.«
Matt musste Albingtons längliches Gesicht nicht sehen, um zu wissen, dass er nun die Miene verzog. Seine Haut war glatt, hatte kaum Falten, und Matt nahm an, dass er nur wenige Jahre älter als er selbst war. Aber dennoch war er eine Respektsperson, und so sah Matt darüber hinweg, dass er ihn mit »Sohn« ansprach.
»Ich will Ihnen nur Leid ersparen. Unnötiges Leid, wie ich betonen möchte.«
Matt zuckte zusammen, als eine Berührung Feuer durch seinen Oberkörper sandte.
»Sie haben nur keine Lust, mich dauernd wieder zusammenzuflicken, Doc.«
»Ha, das trifft auch zu. Sie haben eine gute Haut, Matthew, aber früher oder später ist das egal, wenn Sie häufiger diese Art von Bestrafung erleiden müssen. Und es gibt Schlimmeres …«
Das konnte Matt sich kaum vorstellen. Allein die Erinnerung an die fünf Hiebe konnte ihm immer noch den Schweiß auf die Stirn treiben. Selbst die Schmerzen bei der jetzigen Behandlung waren nichts dagegen, und die waren schlimmer als alles, was er vor seiner Zeit auf der Ephyra erlebt hatte. Er spürte seine Entschlossenheit schwinden und biss wütend die Zähne zusammen. Nein!
»Wenn ich nachgebe, wird aus Unrecht Recht, Mister Albington. Dann schaffe ich Fakten, die sich vielleicht nie wieder umkehren lassen. Und ich habe nicht vor, für eine fremde Nation in einem Krieg zu kämpfen, zumal gegen ein Volk, das sich von seinen Tyrannen befreit hat.«
»Hmpf.«
Es mochte dem Engländer nicht schmecken, aber genau so empfand Matt es. Die Franzosen hatten mit ihrer Revolution den Weg beschritten, den ihnen die Dreizehn Kolonien vor einem Jahrzehnt aufgezeigt hatten. Und auch wenn das Bündnis 1783 in Paris zu einem Ende gekommen war, wusste doch jeder freie Bürger der Vereinigten Staaten, dass Frankreich an ihrer Seite gestanden hatte.
»Die Dinge, die man aus Paris hört …«, begann der Arzt zu entgegnen.
»Sie werden mich nicht davon überzeugen«, fiel ihm Matt ins Wort und hätte beinahe laut gelacht.
»Nun, sei es, wie es sei. Es geht hier nicht um Krieg oder Frieden. Es geht um ihre Haut.« Zum ersten Mal drückte Albington fester zu, und Matt keuchte auf. »Wortwörtlich.«
Jemand klopfte am Eingang gegen einen Balken, dann wurde das Segeltuch davor zur Seite gezogen, und ein Rotrock trat ein. Als Matt den Kopf leicht drehte und bemerkte, dass es Peter war, ballte er unwillkürlich die Fäuste.
»Der Kapitän lässt fragen, wie es aussieht, Sir.«
Matt starrte im nächsten Moment geradeaus, um Peter nicht ansehen zu müssen.
»Nun, der Heilungsprozess schreitet voran, aber wie Sie sehen können, Soldat, ist es noch zu früh für den Dienst. Richten Sie Kapitän Young bitte aus, dass ich den Gefangenen freigebe, sobald es möglich ist.«
»Ja, Sir.«
Halb wandte Peter sich ab, dann schien ihm etwas einzufallen, und er hockte sich neben Matt hin.
»Dein alter Herr war ein Deserteur, Junge. Aber du wirst seine Zeit schon leisten, sozusagen als sein Ersatzmann.«
Dann stand er auf und schlug Matt spielerisch auf die Schulter. Nicht auf eine der Wunden, aber auf eine Stelle in ihrer Nähe und so fest, dass der Schmerz sofort aufflammte. Matt stöhnte.
»Oh, Verzeihung«, sagte Peter mit einem spöttischen Grinsen.
»Raus hier!«, brüllte Albington ihn an. »Noch einmal so was, und ich melde Sie, Soldat!«
Mit einem leisen Lachen hob Peter die Hand salutierend an die Stirn.
»Aye, aye, Sir.«
Aber was auch immer Peter mit dieser Aktion zu erreichen gedachte – in Matt war jetzt die Entschlossenheit, gegen die ihm zugefügte Ungerechtigkeit anzukämpfen, nur noch stärker geworden.
Als der Marinesoldat verschwunden war, beugte sich Albington zu ihm vor.
»Sie hatten wirklich Pech, Matthew. Auf der Ephyra gab es bis vor Kurzem keine Rotröcke, und ich hatte zuvor Sir Harold sogar sagen hören, dass es zu wenige Marinesoldaten gibt. Aber bevor wir die Flotte in Toulon verlassen haben, wurden uns mehrere von ihnen zugeteilt.«
Matt seufzte. Das war allerdings ein Unglück. Ausgerechnet dieses Schiff mit ausgerechnet diesem Rotrock musste sein Schicksal sein.
Mittelmeer, zwischen Menorca und Sardinien, September 1793
Der Seegang ließ die Ephyra so sanft auf und ab gleiten, dass Matt sich in der Hängematte wie in einer Wiege fühlte. Das Holz der Fregatte knarzte, was für ihn als Seemann fast ein Schlaflied war. Und dank der guten Arbeit von Dr. Albington waren die Wunden so weit verheilt, dass nur noch ein feines Jucken an sie erinnerte.
In den letzten Tagen hatten immer wieder neue Patienten die herrliche Eintönigkeit seines Daseins unterbrochen. Nach so vielen Monaten auf See gab es an Bord keine Landrattenkrankheiten mehr, aber kleinere Verletzungen von der harten Arbeit waren nicht ungewöhnlich. Stets bemühte sich der Schiffsarzt gewissenhaft um alle, die seine Hilfe benötigten, so wie er es bei Matt tat.
»Und wie geht es uns heute?«
In seiner Hängematte zuckte Matt zusammen, auf einen Schlag war er hellwach. Er öffnete die Augen und erblickte Albington, der in das Bordlazarett zurückgekehrt war.
»Gut, Doktor.«
Zu gut. Aber das sagte er nicht. Es zeigte sich allein schon im besorgten Blick des Arztes.
»Das ist erfreulich. Bitte lassen Sie mich dennoch einmal auf Ihre Verletzungen sehen.«
Matt setzte sich auf und schob das raue Hemd nach oben. Die Finger des Doktors glitten über seinen Rücken, folgten dem Verlauf der Peitschenhiebe, zogen hier Haut auseinander, um sie dort zusammenzudrücken. Manchmal war da Schmerz – oder besser, die Erinnerung von Schmerz –, aber Matt hielt still.
Albington legte ihm die Hand auf die Schulter.
»Danke.«
»Ich danke Ihnen, Doktor.«
Matt zog das Hemd herab und lehnte sich wieder zurück, geschickt die Bewegung des Schiffes ausnutzend, um sich sanft hinzulegen.
»Nicht nötig, Mister Dankworth. Ich erfülle nur meine Pflicht.«
Matt lächelte. Bei anderen hätte diese Art der Bescheidenheit aufgesetzt wirken können, aber er glaubte, den Schiffsarzt gut genug zu kennen, um sie als aufrichtig einschätzen zu können.
»Ihre Pflicht war es, mich zusammenzuflicken. Sie hingegen haben ein halbes Wunder an mir vollbracht.«
Albington sah ihn an, ein erfreutes Lächeln spielte um seine Mundwinkel.
»Nun, ich muss gestehen, dass ich mit dem Ergebnis recht zufrieden bin. Das Narbengewebe ist noch nicht vollständig ausgebildet, aber es ist flexibel und in Anbetracht der Umstände recht weich. Sie werden es sicher in Zukunft spüren, aber weitaus weniger, als ich zu Beginn befürchtet habe.«
Vorsichtig streckte sich Matt und bewegte die Muskeln seines Rückens. Obwohl der grobe Stoff über die Haut kratzte, war es nicht mehr als ein wenig unangenehm. Kein Vergleich zu den Qualen direkt nach der Bestrafung.
»Ich muss Ihnen recht geben.«
Der Schiffsarzt nickte ihm zu und setzte sich an den kleinen Tisch. Die Räumlichkeiten waren beengt. Im Falle eines Kampfes konnte man das Lazarett erweitern, da es nur durch Segeltuchplanen vom Laderaum abgetrennt war. Aber da es derzeit keine weiteren stationären Patienten gab, bot es momentan nur genug Platz für die Hängematte, einen größeren Tisch, auf dem Matt behandelt worden war, und den kleineren Schreibtisch, an dem Albington meist arbeitete. Die Kajüte des Arztes befand sich direkt daneben, aber dort gab es nur eine Koje und ein wenig Stauraum.
Durch die geöffneten Luken fiel genügend Licht in das Kabuff. Außerdem hatte der Schiffsarzt unbegrenzten Zugang zu Lampenöl, sodass er und Matt lesen konnten, selbst wenn es draußen dunkel wurde. Denn Albington hatte eine kleine Sammlung von Büchern dabei, hauptsächlich medizinische Werke, aber auch einige Romane für seine Erbauung.
»Doktor Albington?« Matt hob eines der Bücher vom Regalbrett neben der Hängematte hoch. »Ich bin damit durch.«
Der Schiffsarzt drehte sich um und schüttelte verwundert den Kopf.
»Schon? Meine Güte! Sind Sie sicher, dass Sie wirklich lesen und nicht einfach nur durchblättern?«
Matt hob ein wenig verlegen die Schultern.
»Ist ja nicht so, als ob ich viel anderes zu tun hätte.«
Ihm hatte die Geschichte gefallen, und es wunderte ihn nicht, dass der Roman in Großbritannien so erfolgreich gewesen war, wie ihm Albington versichert hatte – trotz des sperrigen Titels Love and Madness, a Story too True: in a Series of Letters between Parties Whose Names Would Perhaps be Mentioned Were They Less Known or Lamented.
»Und?«, fragte der Arzt. »Ein wenig sehr sensationalistisch, nicht wahr?«
Matt reichte ihm das Buch.
»Nun, es basiert auf einer wahren Begebenheit, also weiß ich nicht, wie viel davon das Leben selbst schrieb. Aber ich fand den Mord an der Dame schrecklich.«
»Das sind Morde immer«, murmelte Albington und schlug das Buch auf. Seine Hand glitt über das Titelblatt. Dort stand eine handgeschriebene kurze Widmung: Für James – Deine Emily. Mit einem Mal war der Doktor in Gedanken weit weg.
Matt schwieg, um ihn nicht in seinen Erinnerungen zu stören. Zu gern hätte er gefragt, wer jene Emily war, aber es erschien ihm unpassend, im Privatleben seines Wohltäters herumzustochern. Außerdem konnte er sich in etwa zusammenreimen, was jene Frau für den Arzt bedeutete. Hatten nicht viele an Bord eine Emily in der Heimat? Familie, Kinder, Freunde. Sehnsüchte, die in der Ferne nach ihnen riefen – aber nie so laut, wie die See sie rief, wenn sie daheim waren.
Mit einem sichtbaren Ruck riss Albington sich von seinen Gedankengängen und Gedächtnisbildern los und richtete sich auf.
»Ich fürchte, damit haben Sie meine leichte Lektüre durch, mein Freund. Und die langweiligen Bücher über Anatomie und die Schilderungen der zahlreichen Leiden von Seeleuten will und kann ich Ihnen nicht zumuten.«
Matt seufzte. Die Aussicht auf lange Tage ohne Ablenkung von seiner derzeitigen Lage erschien ihm düster.
»Hm.« Albington schürzte die Lippen. »Ich hätte da vielleicht noch …«
»Bitte! Alles ist besser, als ewig an die Decke zu starren und darauf zu warten, dass die Glocke geschlagen wird.«
Der Schiffsarzt grinste.
»Aber es ist kein Roman. Sondern eine philosophische Abhandlung. Schwere Kost! Doch nach dem, wie ich Sie kennengelernt habe, denke ich, dass es Ihnen gefallen könnte.«
Er verschwand in seiner Kajüte und kehrte kurze Zeit später mit einem schmalen Band wieder, den er Matt mit einer kleinen Verbeugung überreichte.
»Dialogues Concerning Natural Religion«, las er leise vor, dann sah er zum Schiffsarzt auf. »Wer ist David Hume?«
»Ein Philosoph. Ist schon vor etlichen Jahren gestorben. Er hat einige sehr bedenkenswerte Thesen aufgestellt. Etwas, ähm, umstritten. Aber das mag auch damit zu tun haben, dass er aus Schottland stammte. Da klingen bei vielen keine guten Erinnerungen mit. Sie wissen schon, die Jakobitenaufstände und …«
Die Worte verklangen, und er führte seinen Gedankengang nicht weiter aus. Bislang war Albington einem Gespräch über die schottischen Aufstände gegen die britische Herrschaft in den rund letzten hundert Jahren immer ausgewichen, und auch jetzt schien er nicht erpicht darauf zu sein, sich auf eine Diskussion einzulassen. Was Matt nur recht war: Welchen Sinn mochte es schon haben, mit Engländern über Aufstände, Revolutionen und Unabhängigkeitskriege zu reden?
»Ich will gar nicht viel über dieses Buch sagen«, hob der Schiffsarzt wieder an, bevor die Stille unangenehm werden konnte. »Behalten Sie einen offenen Geist. Und wenn Sie es gelesen haben, können wir über den Inhalt diskutieren. Es ist in Form von Gesprächen geschrieben und … Ah.«
Er hielt inne, denn er wollte ja nicht im Voraus über den Inhalt dieses Werks sprechen, und lächelte leise. Offenbar beschäftigte ihn das Traktat, und er freute sich auf eine Auseinandersetzung über die darin zu Papier gebrachten Theorien.
Matt nickte.
»Vielen Dank, Doktor.«
Albington erwiderte die Geste und setzte sich zurück an seinen Schreibtisch, wo er ein weitaus gewichtigeres Buch aufschlug, zumindest der Größe nach. Aber Matt hatte schon vor langer Zeit gelernt, dass man die Bedeutung und den Inhalt eines Werkes nicht an seinem Äußerem festmachen konnte.
Er schlug das Büchlein auf, um sich seiner Lektüre zu widmen, doch es fiel ihm schwer, sich auf das Geschriebene zu konzentrieren. Seine Gedanken kehrten immer wieder in die Heimat zurück, nach Boston, die ihm von Albingtons Reaktion auf die Buchwidmung jener unbekannten Emily in Erinnerung gerufen worden war.
Auf ihn wartete weder Frau noch Freundin, nur seine Mutter, die allein war, denn nach dem Tod seines Vaters hatte sie nicht wieder geheiratet. Sobald die Lucy Belle im Hafen einlief, würde sie sich auf den Weg dorthin machen, ihren Sohn unter den Rückkehrern jedoch nicht vorfinden. Was würde sie denken, wenn man ihr von der Entführung berichtete? Wie würde sie reagieren? Matt konnte sich nicht vorstellen, dass sie weinte. Vermutlich wird da mehr Zorn sein. Seine Verachtung für Ungerechtigkeiten jeder Art hatte er von ihr geerbt, so viel war sicher. Und es gab nichts, was sie tun konnte, und das würde ihre Wut nur noch mehr anfachen.
Für einen Moment stellte sich Matt vor, wie sie auf Sir Harold Young zustapfte, die Fäuste in die Seite gestemmt, das helle Haar ordentlich zu Zöpfen geflochten, aus denen sich dennoch einige Strähnen gelöst hatten, die sie unwillkürlich aus ihren Augen wischte. Auf ihrer Miene die Entschlossenheit, von der sie immer sagte, dass sie von ihren deutschen Vorfahren stammte. Eine Entschlossenheit, die sie über den weiten Ozean in ein fremdes Land geführt hatte.
Dieser Anblick konnte einem gestandenen Mann den Angstschweiß auf die Stirn treiben. Matt erlaubte sich ein Lächeln bei der Vorstellung, wie sie in ihrem abgehackten Englisch den Kapitän mit allerlei wohlgesetzten Ausdrücken bedachte. Vermutlich würde Sir Harold danach Matt so schnell wie möglich freilassen.
Aber das waren nur Spinnereien, sinnlose Träumereien. Niemand kam, um ihn zu retten. Seine einzige Hoffnung lag in ihm selbst. Darin, entweder zu beweisen, dass ihm Unrecht angetan wurde, oder, wenn möglich, von Bord zu fliehen.
Es war nur Fahnenflucht, wenn es die eigene Fahne war. Einer anderen Nation gegenüber musste er keine Treue empfinden.
Auch wenn er die anregenden Gespräche mit Albington vermissen würde.
***
»Es tut mir leid.«
Ein einfacher Satz mit schrecklichen Konsequenzen. Albington konnte ihm nicht in die Augen sehen.
Dafür grinste Peter breit.
»Komm mit!«, fauchte der Rotrock. »Du hast lange genug auf der faulen Haut gelegen.«
Ein unfreundlicher Klaps auf den Rücken, wohl um ihn an die Demütigung zu erinnern. So sehr er sich auch bemühte, es zu unterdrücken – Matt zuckte unwillkürlich zusammen, was Peter noch hämischer feixen ließ.
»Treten Sie zurück, Soldat!«, herrschte Albington ihn an. »Was soll das? Jetzt muss ich ihn noch einmal untersuchen!«
Überrascht vom Ausbruch des Schiffsarztes wich Peter tatsächlich zurück.
»Leutnant Ward sagt …«
»Wenn es um Patienten geht, gilt nur ein Wort: meines. Hoffen Sie, dass sich keine Wunden erneut geöffnet haben, sonst werde ich dem Kapitän persönlich Bericht erstatten. Verstanden?«
Der Marinesoldat verschränkte die Arme vor der Brust.
»Der soll sich nicht so anstellen …«
»Verstanden?«
In Peters Gesicht rangen Zorn und Sorge miteinander. Im Zweifelsfall würde der Kapitän immer die Partei eines Offiziers ergreifen. Matt genoss den Moment. Wohl der letzte, in dem er den Launen der Engländer nicht ausgeliefert war. Tatsächlich versprach Peters Blick schmerzhafte Konsequenzen.
Gleichwohl nahm der Rotrock Haltung an, hob den gekrümmten Zeigefinger salutierend an die Stirn und antwortete schmissig: »Jawohl, Sir!«
»Und jetzt raus!«, blaffte der Schiffsarzt. »Ich rufe Sie, sobald ich fertig bin.«
Es widerstrebte dem Marinesoldaten sichtlich, doch er kam dem Befehl ohne weitere Widerworte nach.
Matt setzte sich auf den Behandlungstisch und wollte schon das Hemd anheben, aber Albington legte ihm die Hand auf die Schulter und schüttelte den Kopf. Dann beugte er sich zu ihm herab.