Auferstehung - Heinrich Mann - E-Book

Auferstehung E-Book

Heinrich Mann

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Beschreibung

Wie weit wird ein Mann getrieben, der einst die Menschlichkeit und Liebe verteidigte, wenn ihm die Schattenseiten des Lebens aufgezeigt werden?Don Rocco erreicht gerade rechtzeitig die Villa um seinen Männern und seiner geliebten Donna Carla zu berichten, dass Napoleon Bonaparte jede Minute die Brücke erreichen wird. Sie erwarten ihn bereits sehnsüchtig, denn der junge Eroberer bringt die Menschlichkeit. Doch zu seinem Entsetzen muss Dom Rocco feststellen, dass er von eben dieser Liebe, für die er gekämpft hatte, betrogen wurde. Seine geliebte Carla hat ihn verraten und Don Rocco wendet sich von der Menschlichkeit ab. Er widmet sein Leben von nun an heimtückischen Machenschaften, versucht im Tod zu entkommen und überlebt doch immer. -

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Heinrich Mann

Auferstehung

 

Saga

Auferstehung

 

Coverbild/Illustration: Shutterstock

Copyright © 1911, 2021 SAGA Egmont

 

Alle Rechte vorbehalten

 

ISBN: 9788726894226

 

1. E-Book-Ausgabe

Format: EPUB 3.0

 

Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für gewerbliche und öffentliche Zwecke ist nur mit der Zustimmung vom Verlag gestattet.

Dieses Werk ist als historisches Dokument neu veröffentlicht worden. Die Sprache des Werkes entspricht der Zeit seiner Entstehung.

 

www.sagaegmont.com

Saga Egmont - ein Teil von Egmont, www.egmont.com

I

Kaum dass man inmitten einer angstvollen Stille den Galopp von Hufen gehört hatte, und Don Rocco Ascani stürzte schon selbst in den Gartensaal. Donna Carla schrie auf, wie sie ihn sah. Er brachte hervor: „Es ist aus. Der Herzog hat unterzeichnet. Die Sbirren sind unterwegs.“

Die Freunde riefen durcheinander. Donna Carla aber drückte ihren Gatten in einen Sessel, sie umarmte seinen Kopf, trocknete ihm die Stirn und sagte bebend:

„Wie ich dich liebe!“

Da durchsonnten sich auf einmal seine blauen Augen, er warf aus seiner klaren Stirn die Locken.

,,Die Liebe wird siegen!“ rief er mit einer Stimme wie ein Knabe.

„Was hilfts, wir werden nicht da sein“, murrte Pompeo Balbi; und der alte Renzi:

„Die ganze Brücke über den Sumpf hin werden unsre Galgen stehen.“

Aber Don Rocco, aus dem Fenster die Hand schüttelnd:

„Noch am Galgen werden wir um unsern Sieg wissen. Unsre Feinde werden nichts wissen, sie werden ganz tot sein. Nur die Guten leben weiter.“

„Siehst du sie kommen?“ fragte Paolo Ufrani dumpf aus dem Winkel.

Alle lauschten.

„Die Brücke ist leer. Auf dem Sumpf kein Fischer. Und wie tief die Wolken!“

,,Ist denn keine Hoffnung mehr?“ murmelte jemand.

,,Bonaparte steht in Pavia.“

„Dass sie es wagen! Sie, die verurteilt sind. Jede Stunde kann den Befreier bringen. Sie sind so wenige, wir sind das Volk, sind die Menschheit.“

„Dieser Herzog! Man hat nie gewusst, ob er leben könne. Zwanzig Jahre alt, und ich habe ihn nach Atem ringen sehen. Nur der Anblick seines Goldes verschaffte ihm Luft.“

,,Und sein halb schon abgestorbener Arm langt über Den Sumpf, nach uns, die wir leben.“

Don Rocco sagte:

„Er hat mich geküsst heute früh. Seine geschminkten Lippen waren kalt. Ich fühlte sogleich, dieser Kuss sei das Zeichen. Im Vorzimmer wichen, wie ich hindurchging, alle auseinander. Claudio Pilati rannte mich auf der Treppe an mit einem mörderischen Blick, aber unter dem Mantel steckte er mir einen Schlüssel zu. Ich stieg bis unter das Wasser hinab und entkam aus dem Schloss. Jacopo am Markt hatte sein Pferd bereit, ich erreichte das Tor, bevor die Wache benachrichtigt war. Bei Villa Cappello jagten Reiter aus den Büschen hervor. Am Kopf der Brücke blieben sie zurück. Da sind sie wieder.“

„Bonaparte“, sagte Pompeo Balbi, „verliert in Pavia die Zeit durch diesen Aufstand. Aus Furcht vor dem Gott der Mönche schlagen sie die Göttin der Freiheit vom Thron. Für welches Volk sterben wir?“

Don Rocco breitete vor dem weiten Himmel die Arme aus.

„Du fragst? Für das Volk, das wir in uns tragen. Wer wären wir, wenn wirs nicht schüfen?“

,,Dass das Volk von Lagoscuro nicht aus der Stadt bricht!“

Mehrere sprachen durcheinander.

„Dass die Brücke nicht wimmelt! Sind wir denn allein auf Erden? Ist Rosalino Lanza nicht bis zu Bonaparte gelangt? Keine Botschaft, — und den Manetti hat beim Überschreiten der Grenze eine Kugel getroffen. Ein Käfig! Dies Herzogtum ist ein Käfig. Wir sterben wie Sklaven.“

Da flog die Tür auf. Sie hatten nichts gehört als ihre Verzweiflung; aber auf der Schwelle stampfte und klirrte ein Trupp Bewaffneter um Donna Carla, die eine Flinte hielt.

„Unsre Diener“, sagte sie mit ihrer schwebenden Stimme, „sind unsre Kameraden. Da seht unsre Bauern, und es kommen mehr. Alle haben gewartet, dass man kämpfe.“

Don Rocco lief ihr entgegen, er küsste das Gewehr in ihrer Hand.

,,Donna Carla,“ riefen die Freunde, „wir haben Euch erwartet, um zu siegen!“

Paolo Ufrani kam bleich aus dem Winkel und verneigte sich vor ihr.

„Wir sind allein und abgeschnitten, das Volk ist feige; wir werden sterben, und es ist unnütz. Ich sterbe nicht gern. Doch will ich nicht klagen, da ich nun sagen darf, dass ich Euch, Donna Carla, geliebt habe.“

Don Rocco gab ihm die Hand.

„Cipriano, die Waffen!“ rief er, und der Haushofmeister öffnete die Verstecke. Inmitten des Gedränges sagte Don Rocco:

„O meine Carla, du hast mir so viele glückliche Stunden gegeben, aber von allen die glücklichste ist diese!“

Er sah, noch immer schwindelnd wie am ersten Tage, in ihr kühnes weisses Gesicht.

Dem Gewimmel der Leute entwand sich plötzlich ein von Staub schwarzer Junge und hielt Donna. Carla einen Brief hin.

„Von Rosalino Lanza“, sagte sie. „Bonaparte ist auf dem Marsch, in diesem Augenblick überschreitet er die Grenze.“

Don Rocco griff nach dem Briefe, aber rasch gab sie ihn dem alten Renzi, der ihn weiterreichte.

„Wir sind gerettet!“ riefen mehrere.

„Wir siegen!“ riefen viele, und alle, hinausdrängend:

„Tod dem Tyrannen!“

Don Rocco stand im Saal allein mit Donna Carla; er hob, ohne seine seligen Augen zu senken, ihre Hand bis zu seinen Lippen.

„So wirst du denn belohnt. Was war ich, bevor du mich die Menschen lieben lehrtest! Was aber war die Menschheit, bevor du kamst!“

Sie erwiderte:

„Ich habe dich der Freiheit gewonnen, seitdem lebst du.“

Und er:

„Ich lebe, seitdem du mich liebst.“

Draussen fielen Schüsse, Geschrei schwoll an. Wie sie den Park hinabeilten, sahen sie den Kopf der Brücke von den Ihren besetzt. Jenseits, ganz klein vor der grossen schwarzen Wolke, sprengten herzogliche Reiter umher.

„Wagt euch herüber!“ schrien die Bauern.

Pompeo Balbi sagte:

„Er wird seine Schweizer schicken. Wer wird früher da sein, sie oder Bonaparte?“

Aus dem Waldweg neben dem Park stürzte ein atemloser Mann.

„Er kommt! Er ist vorbei an Forte Principe!“

Die Bauern schrien gegen den Wind:

„Ihr seid besiegt! Er hat das Fort genommen!“

Und als hätte man es drüben verstanden, brach das Glöckchen von San Leone in stürmisches Wimmern aus. Die Reiter des Herzogs teilten sich, sie liessen eine rote goldene Kalesche hindurch, der Minister Vampa stieg aus. Man sah, nun er an die Brücke trat, seine schwarze Seide schillern und einen Blitz seines grossen Sternes. Vor Villa Ascani brüllte es auf, und auf einmal wars leichenstill; ein schmächtiger Körper schnellte aus dem Haufen der Leute auf die Brücke. Er glitt am Boden hin, unter dem Geländer, den grauen Postamenten der Heiligen, kroch und glitt, unsichtbar wie ein Tier, lautlos wie ein Wolkenschatten. Die vor Villa Ascani warfen sich jäh und einmütig zurück gegen den Waldweg, sie fuchtelten hinein, sie schwenkten die Hüte. Der Minister Vampa beschattete die Augen: da sprangs ihm schon an die Brust und riss ihn um. Wie alle zum Ufer stürzten, sahen sie Paolo Ufrani, der zurücklief über die Brücke. Er lief, die Arme leicht ausgebreitet und ohne Hast. Ein Knall: — er fiel auf die Brust.

„Es lebe der Ufrani!“ rief noch das Volk.

„Vielleicht wird er leben?“ sagte Pompeo Balbi zu Don Rocco, der das Gesicht bedeckte. „Vielleicht ist die Tat, an der er starb, schöner als seine schönen Gedichte, durch die er zu leben dachte?“

Don Rocco sagte:

„Länger als uns wird dieses Land dem Lanza danken. Welch Geist! Er hat uns die Philosophie Frankreichs gebracht. Er hat um uns her Menschen geschaffen, er allein. Und welch Freund! Als ich, vor der Hinrichtung des Raimondi, im Schloss das Pulver anzünden wollte — wir waren verraten, die Wache drang ein —, da entreisst mir in der äussersten Sekunde der Lanza die Lunte, er zwingt mich, ihn zu verhaften. Der Herzog nennt mich seinen einzigen Freund; er spielt Komödie, aber ich bin gerettet. Meine Carla, du schuldest mich unserm Rosalino.“

Da Donna Carla schwieg:

„Wie aber, wenn er damals nicht entkommen wäre? Ich müsste mich schämen, noch am Leben zu sein.“

Donna Carla schwieg.

,,Die Schweizer!“ rief man, und durch das Tor San Leone drang ein Trupp.