Die Jugend des Königs Henri Quatre - Heinrich Mann - E-Book

Die Jugend des Königs Henri Quatre E-Book

Heinrich Mann

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Beschreibung

Heinrich Mann hat in zwei Bänden einen umfassenden historischen Roman über das Leben und den Einfluss des französischen Königs Henri Quatre (1553-1610) geschrieben, der ihn tief beeindruckte: Ein Herrscher, dem die Einheit seines Landes und die Humanität mehr am Herzen lag als alles andere, und der bereit war, dafür Opfer zu bringen. Überwiegend im französischen Exil verfasst, schrieb Mann diesen zweibändigen historischen Roman als politische Kritik am Nationalsozialismus.-

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Heinrich Mann

Die Jugend des Königs Henri Quatre

Saga

Die Jugend des Königs Henri QuatreCoverbild / Illustration: http://polona.pl Copyright © 1935, 2020 Heinrich Mann und SAGA Egmont All rights reserved ISBN: 9788726482874

1. Ebook-Auflage, 2020

Format: EPUB 2.0

Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für gewerbliche und öffentliche Zwecke ist nur mit Zustimmung von SAGA Egmont gestattet.

SAGA Egmont www.saga-books.com und Lindhardt og Ringhof www.lrforlag.dk

– a part of Egmont www.egmont.com

I DIE PYRENÄEN

Die Herkunft

Der Knabe war klein, die Berge waren ungeheuer. Von einem der schmalen Wege zum anderen kletterte er durch eine Wildnis von Farren, die besonnt dufteten oder im Schatten ihn abkühlten, wenn er sich hineinlegte. Der Fels sprang vor, und jenseits toste der Wasserfall, er stürzte herab aus Himmelshöhe. Die ganz bewaldeten Berge mit den Augen messen, scharfe Augen, sie fanden auf einem weit entfernten Stein zwischen den Bäumen die kleine graue Gemse! Den Blick verlieren in der Tiefe des blau schwebenden Himmels! Hinaufrufen mit heller Stimme aus Lebenslust! Laufen, auf bloßen Füßen immer in Bewegung! Atmen, den Körper baden innen und außen mit warmer, leichter Luft! Dies waren die ersten Mühen und Freuden des Knaben, er hieß Henri.

Er hatte kleine Freunde, die waren nicht nur barfuß und barhäuptig wie er, sondern auch zerlumpt oder halb nackt. Sie rochen nach Schweiß, Kräutern, Rauch, wie er selbst; und obwohl er nicht, gleich ihnen, in einer Hütte oder Höhle wohnte, roch er doch gern seinesgleichen. Sie lehrten ihn Vögel fangen und sie braten. Mit ihnen zusammen buk er zwischen heißen Steinen sein Brot und aß es, nachdem er es mit Knoblauch eingerieben hatte. Denn vom Knoblauch wurde man groß und blieb immer gesund. Das andere Mittel war der Wein, sie tranken ihn aus jedem Gefäß. Alle hatten ihn im Blut, die kleinen Bauern, ihre Eltern und das ganze Land. Seine Mutter hatte Henri einer Verwandten und einem Erzieher anvertraut, damit er aufwuchs wie das Volk, obwohl er auch hier oben in einem Schloß wohnte, es hieß Coarraze. Das Land hieß Béarn. Die Berge waren die Pyrenäen.

Hier herrschte eine volle Sprache, viele Vokale, und das R rollten sie im Munde. Als seine Mutter in die Wehen fiel, hatte sie nach dem Willen seines Großvaters ein Lied angestimmt um Hilfe von der Mutter Gottes. Adjudat me a d’aqueste hore. Das war die Landessprache und war so gut wie Latein. Daher wurde es dem Knaben nicht schwer, lateinisch sprechen zu lernen, nur sprechen. Sein Großvater verbot, daß er auch schreibe; übrigens hatte es damit Zeit, er war noch klein.

Der alte Henri d’Albret starb drunten in seinem Schloß in Pau, indes der junge Henri auf Coarraze lateinisch sprach, durch den Wald kletterte nach den kleinen Gemsen, isards genannt, die unerreichbar blieben; und das letzte Röcheln des Alten fiel vielleicht zusammen mit einem Freudenschrei des Jungen, während er badete mit Knaben und Mädchen, im Bach unterhalb des großen Wasserfalls, der herrlich sprühte.

Er war ungemein neugierig auf die Körper der Mädchen. Wie sie sich entkleideten und bewegten, ihre Art zu sprechen und zu blicken, alles machte sie zu völlig anderen Wesen als er selbst, besonders aber die Formen ihrer Beine, Hüften, Schultern. Eine von ihnen, deren Brust sich schon entwickelte, begeisterte ihn, er beschloß, um sie zu kämpfen. Dies war nötig, wie er bemerkte; von selbst wählte sie nicht ihn, ein größer gewachsener Junge mit einem hübschen, dummen Gesicht war ihr lieber. Nach den Gründen fragte Henri nicht, jene schönen Wesen hatten vielleicht keine, er aber wußte, was er wollte.

Daher forderte der kleine Knabe den größeren heraus, wer das Mädchen durch den Bach tragen könnte. Dieser war nicht tief, aber er enthielt Strudel und glatte Steine, die fortrollten, wenn man sie ungeschickt betrat. Der Mitbewerber glitt denn auch sofort aus, das Mädchen wäre mit hingefallen, hätte nicht Henri sie aufgefangen. Er kannte in diesem Wasser jeden Schritt, er trug sie hinüber mit all seiner Kraft, denn sie war schwerer als er, der nur ein kleiner, magerer Knabe war. Drüben küßte er sie auf den Mund, überrascht ließ sie es geschehen, und er sagte, indes er sich in die Brust warf:

„Jetzt bist du durch den Bach getragen vom Prinzen von Béarn.“

Das Bauernmädchen sah in sein kleines, leidenschaftliches Gesicht, und dann lachte es, der Ton tat ihm weh bis ins Herz, entmutigte ihn aber nicht. Sie sprang schon ihrem verunglückten Verehrer entgegen, da rief Henri noch: „Aut vincere aut mori!“ Es war einer der Sprüche, die sein Erzieher ihn lehrte; er hatte viel davon erhofft. Wieder eine Enttäuschung, die kleinen Bauern machten sich nichts weder aus dem Prinzen noch aus seinem Latein. Siegen und Sterben war ihnen beides gleich unbekannt. So blieb nur noch eins übrig. Er stieg zurück in den Bach und stürzte absichtlich noch etwas tölpelhafter als vorhin der andere. Auch das alberne Gesicht und das Hinken ahmte er dem Tölpel nach, fluchte dabei mit einer ganz ähnlichen Stimme, alles so vorzüglich, daß sie lachen mußten über den Spaßmacher. Sogar das reizende Mädchen hatte er zu lachen gezwungen!

Darauf ging er schnell fort. Er war nur ein vierjähriger Knabe, hatte aber schon Sinn für Wirkung. Obwohl diese jetzt erreicht war, stritten sich in seiner Brust die Gefühle. Die befriedigte Rache hob nicht die Erinnerung auf. Die bange Sehnsucht wich nicht — trotz dem zuversichtlichen Mut.

Seine Mutter ließ ihn nach Hause kommen, und die erste Zeit sprach er nur von dem Mädchen. Sein Großvater war inzwischen gestorben, er sollte ihn nie mehr Wiedersehen. Aber ihm schien es schlimmer, daß sein Mädchen fern war und nicht kommen durfte.

„Laß sie doch holen, Mama, ich will sie heiraten. Sie ist größer, das macht nichts, ich werde wachsen.“

Erst die nächsten Eindrücke beseitigten ganz plötzlich alles, was er empfunden hatte. Es war ein junges Hoffräulein seiner Mutter.

Im Schloß zu Pau war eine kleine Hofhaltung, kaum mehr als eine erweiterte Familie. Der alte d’Albret war ein Landedelmann gewesen. Er hatte ein festes Schloß gehabt, und in neuester Zeit war es auch zierlich und schön geworden. Von dem Balkon übersah er ein tiefes Tal voll Wein, Öl, Wäldern, die das Auge erfrischten, dazwischen die blinkenden Windungen des Flusses, dahinter die Pyrenäen.

Das Gebirge bot sich dar als geschlossener Zug, wie sonst kein anderes, grün bewaldet bis in den Himmel, und das Auge, das darauf umherging, war glücklich, besonders das des Besitzers. Der alte Landedelmann besaß diese Seite der Pyrenäen samt den vorgelagerten Tälern und Hügeln mit allem was dort wuchs, Früchte, Vieh und Menschen. Er besaß im Westen Frankreichs den südlichsten Winkel, Béarn, Albret, Bigorre, Navarra, Armagnac: die alte Gascogne. Er hieß König von Navarra und wäre wohl nur der Untergebene des Königs von Frankreich gewesen, wenn dieser seine ganze Macht gehabt hätte. Indessen war das Königreich gespalten durch Katholiken und Protestanten, und dies in allen seinen Teilen, schon seit längerer Zeit. Das ergab die beste Gelegenheit für solche Provinzfürsten wie Navarra, sich selbständig zu machen und dem Nachbarn mit bewaffneter Hand wegzunehmen, soviel sie konnten, selbst wenn es nur ein Weinhügel war.

Aber es wurde im ganzen Lande auch gebrandschatzt und getötet im Namen der beiden feindlichen Bekenntnisse. Der Unterschied der religiösen Bekenntnisse wurde tief ernst genommen, er machte aus Menschen, die sonst gar nichts trennte, die alleräußersten Feinde. Einige Worte, besonders das Wort Messe, wirkten so ungeheuer, daß ein Bruder für den andern unverständlich und von fremdem Blut wurde. Es schien natürlich, Schweizer und Deutsche zu Hilfe zu rufen. Diese mußten nur dem richtigen Bekenntnis angehören und, je nachdem, zur Messe gehen oder nicht, dann waren sie dem andersgesinnten Landsmann vorzuziehen und bekamen das Recht, mit zu plündern und zu verwüsten.

Der energische Glaube der gesamten Bevölkerung nützte wenigstens den Führern. Ob sie ihn wirklich teilten oder nicht, jedenfalls konnten sie im Namen der Religion auf räuberische Art und Weise ihr Gebiet erweitern oder doch an der Spitze ihrer kleinen ungesetzlichen Heere ein kostenloses, nicht unangenehmes Leben führen. Der Bürgerkrieg war für einige Leute eine Laufbahn, wenn schon die meisten daran verloren. Indessen blieb diesen ihre Überzeugung.

Der alte d’Albret war ein guter Katholik gewesen, aber ohne Einseitigkeit. Er hatte immer den Sinn dafür behalten, daß auch seine protestantischen Untertanen wieder Kinder zeugten, und diese wurden nützliche Arbeiter, bebauten die Felder, zahlten Abgaben, vermehrten den Reichtum des Landes und seines Herrn. Er ließ sie daher ruhig zur Predigt gehen, und seine Soldaten beschützten die Pastoren wie die Kapläne. Wahrscheinlich bedachte er auch, daß die wachsende Zahl dieser reformierten Protestanten, die sich Hugenotten nannten, seiner eigenen Selbständigkeit eher nützte als schadete, da der Hof in Paris entschieden zu katholisch war. Er selbst gehörte einfach unter die feudalen Herren, die von je das Ihre getan hatten, um den König von Frankreich nicht zu mächtig werden zu lassen. In neuester Zeit bedienten sie sich der Hugenotten, dieses frischen, jungen Glaubens, der den wahren Gott aus der Nähe kannte und dadurch nicht sanfter wurde.

Es waren Empörer gegen die weltliche so gut wie gegen die geistliche Macht. Auch im Lande Béarn hatten die Bauern schon verlangt, man sollte ihnen zeigen, wo in der Bibel etwas von Steuern stehe. Wenn nicht, dann zahlten sie keine! Nun, der Alte verstand mit ihnen umzugehn, sie waren seinesgleichen. Sie machten gern große Worte, behielten aber einen kühlen Kopf. Sie schlugen sich gut, ohne zu vergessen, was es schließlich einbrachte.

Er trug eine Baskenmütze wie sie alle, wenn er nicht grade in Helm und Panzer sein mußte, und er liebte sein Land wie sich selbst, nichts weiter als diesen Umkreis, den er erfassen konnte mit den Augen und allen anderen Sinnen. Als sein Enkel Henri zur Welt kam, hatte er dafür gesorgt, daß es im Schlosse zu Pau geschah, seine Tochter Jeanne mußte eigens eine Reise unterbrechen. Auch hatte er sich nicht damit begnügt, daß sie während ihrer Wehen das Lied in der Landessprache sang, adjudat me a d’aqueste hore, damit der Enkel kein Kopfhänger werde. Kaum war der Knabe geboren, ließ er ihn am Wein des Landes riechen, erkannte sein Fleisch und Blut daran, daß es mit dem Kopf wackelte, und bestrich ihm auch gleich die Lippen mit Knoblauch.

Weil nach zwei Knaben, die nicht leben sollten, dieser letzte doch noch erhalten blieb, hatte der Alte seinen ganzen Besitz und seinen Titel seiner Tochter vererbt. Jeanne war jetzt Königin von Navarra. Ihr Gatte, Antoine von Bourbon, führte Truppen des Königs von Frankreich, als sein entfernter Verwandter und sein General. Er war meistens im Feld. Jeanne hatte ihn sehr geliebt, bevor er anfing, andere Frauen zu suchen; aber ihre Hoffnungen setzte sie niemals auf ihn, er sollte auch bald sterben. Sie hatte viel größere Ansprüche, als er sich erlauben durfte; ihre Mutter war die eigene Schwester Franz’ des Ersten gewesen — der König, der bei Pavia so unglücklich gekämpft hatte gegen Kaiser Karl den Fünften; aber der innere Besitz der Krone Frankreich war durch ihn großartig erweitert.

Jeanne d’Albret war daher eine außerordentlich große Dame, und von den Ländern Béarn, Albret, Navarra, die ein Königreich vorstellten, fühlte sie sich noch nicht befriedigt. Der zur Zeit regierende König von Frankreich aus dem Hause Valois hatte vier lebende Söhne, für die Nebenlinie der Bourbons bestand keine Wahrscheinlichkeit, so bald zur Herrschaft zu kommen. Dennoch vermaß Jeanne sich, ihrem Sohn Henri die ungeheuerste Zukunft vorauszusagen — woran später mit Staunen erinnert wurde, als hätte sie Sehergaben besessen. Sie war nur ehrgeizig. Diese Leidenschaft machte aus einer zarten Frau einen unbeugsamen Charakter, und ihr Vermächtnis wog später schwer im Schicksal ihres Sohnes.

Als sie ihren kleinen Sohn wieder bei sich hatte, unterrichtete sie ihn vor allem in der Geschichte ihres Hauses. Sie achtete nicht darauf, daß er sich so oft wie möglich an das hübsche Fräulein drängte oder barfuß, wie im Gebirge, zu den Kindern auf die Straße lief, voll Neugier nach den rätselhaften Mädchen. Jeanne war keine Beobachterin der Wirklichkeit, sie hatte den Kopf voller Träume, wie eine Frau mit schwacher Lunge. Henri, der lieber wie ein Böckchen umhergesprungen wäre, wurde von dem einen der mütterlichen Arme umschlungen; der andere legte sich um seine noch kleinere Schwester Catherine. Die Königin Jeanne neigte zärtlich ihren fahlblonden Kopf zwischen ihre beiden Kinder. Ihr Gesicht war schmal und feingeschnitten, es war blaß, die Brauen bewegten sich leidend über den dunklen Augen, schon zeigte die Stirn dünne Falten, und die Mundwinkel begannen herabzufallen.

„Wir werden bald nach Paris reisen“, sagte sie. „Denn unser Land muß größer werden. Ich will den spanischen Teil von Navarra hinzuhaben.“

Der kleine Henri fragte: „Warum nimmst du ihn dir nicht?“ Er verbeserte selbst: „Papa sollte ihn erobern.“

„Der König in Paris ist befreundet mit dem König von Spanien“, erklärte ihm die Mutter. „Er läßt es sogar zu, daß die Spanier bei uns einfallen.“

„Ich nicht!“ rief Henri sofort. „Spanien ist mein Feind und wird es bleiben! Weil ich dich liebe!“ sagte er feurig und küßte Jeanne. Ihr fielen davon Tränen aus den Augen und in ihren halbentblößten Busen, den ihr kleiner Sohn liebkoste, als tröstete er sie. „Gehorcht mein Vater immer nur dem König von Frankreich? Das werde ich nicht tun“, versicherte er schmeichlerisch, weil er fühlte, was sie gern hörte.

„Darf ich mitreisen?“ bat die kleine Schwester.

„Auch das Fräulein soll mitkommen“, verlangte Henri.

„Wird unser lieber Vater dort bei uns sein?“ fragte Catherine.

„Vielleicht auch einmal bei uns“, murmelte Jeanne, und sie erhob sich von ihrem graden Sessel, damit sie nicht weiter antworten mußte.

Die Reise

Etwas später trat die Königin Jeanne zum reformierten Bekenntnis über. Das war ein beträchtliches Ereignis — nicht nur für ihr kleines Land, das sie nach Kräften protestantisch machte. Es vermehrte den Mut und den Einfluß der neuen Religion überall. Sie hatte es aber getan, weil ihr Gatte Antoine bei Hof und im Felde immer noch mehr Geliebte nahm. Da er reformiert gewesen und aus Schwäche wieder katholisch geworden war, machte sie es umgekehrt. Ihr Glaubenswechsel geschah vielleicht aus Frömmigkeit, besonders aber um herauszufordern: ihren treulosen Mann, den Hof in Paris, alle, die sie kränkten oder ihr im Wege waren. Ihr Sohn sollte einmal groß werden, und das konnte er nur an der Spitze protestantischer Heere, der Ehrgeiz seiner Mutter erkannte es früh.

Als die Reise nach Paris endlich nahe bevorstand, umarmte Jeanne ihren Sohn und sagte: „Wir reisen, aber du darfst nicht denken, daß es zum Vergnügen ist. Denn wir werden in eine Stadt kommen, wo fast alle gegen die Religion und gegen uns sind. Vergiß es niemals! Du bist jetzt sieben Jahre alt und hast Verstand. Weißt du noch, daß wir schon einmal zu Hofe gingen? Du warst ganz klein und erinnerst dich nicht. Vielleicht, daß dein Vater sich entsinnen würde, wenn er nicht so vieles, was einst war, vergessen und verloren hätte.“

Sie versank in schmerzliches Träumen. Er zog sie am Arm und fragte: „Was gab es denn damals bei Hofe?“

„Der selige König lebte noch. Er fragte dich, ob du sein Sohn sein wolltest. Du zeigtest auf deinen Vater und antwortetest, der sei dein Herr Vater. Darauf fragte der selige König dich, ob du dann sein Schwiegersohn werden wolltest. Du erwidertest ,jawohl‘, und seither geben sie dich bei Hof als den Verlobten der königlichen Prinzessin aus; damit wollen sie uns fangen. Ich sage es dir, damit du nicht alles glaubst und ihnen nicht traust.“

„Fein!“ rief Henri. „Ich habe eine Frau, wie heißt sie?“ „Margot. Sie ist ein Kind wie du, sie konnte die Religion noch nicht hassen und verfolgen. Dennoch glaube ich nicht, daß du Marguerite von Valois heiraten wirst. Ihre Mutter, die Königin, ist eine zu böse Frau.“

Henri sah das Gesicht Jeannes sich verändern bei der Erwähnung der Königin von Frankreich. Er erschrak, und seine Phantasie erhielt einen jähen Anstoß. Im Geist erblickte er eine furchtbar unmenschliche Fratze, eine Klaue, einen dicken Stock, und er fragte: „Ist sie eine Hexe? Kann sie zaubern?“

„Am liebsten möchte sie es“, bestätigte Jeanne. „Aber das ist noch nicht das Schlimmste.“

„Speit sie Feuer? Frißt sie Kinder?“

„Beides; aber es gelingt ihr nicht immer. Denn die Bosheit hat Gott zu unserem Glück mit der Dummheit bestraft. Mein Sohn, von diesem allen darfst du keinem Menschen auch nur ein Wort verraten.“

„Ich werde alles für mich behalten, meine liebe Mama, und werde mich hüten, damit ich nicht gefressen werde.“ Er war im Augenblick ganz erfüllt von seinen Vorstellungen und glaubte daher nicht, daß er sie und die Worte seiner Mutter je werde verlieren können.

„Halte vor allem fest an dem wahren Glauben, den ich dich gelehrt habe!“ sagte Jeanne innig und auch drohend; er erschrak wieder und diesmal tiefer.

Dies war das erste, was Henri von seiner Mutter Jeanne d’Albret hörte über Katharina von Medici; und dann wurde wirklich gereist.

Voran fuhr ein großer alter Wagen aus Leder, er trug den Erzieher des Prinzen, mit Namen La Gaucherie, er trug zwei Pastoren und mehrere Lakaien. Dann folgten sechs bewaffnete Reiter, lauter protestantische Edelleute, dann der mit rotem Samt ausgeschlagene Wagen der Königin, darin saß Jeanne mit ihren beiden Kindern und drei Damen. Den Beschluß des Zuges machten wieder die berittenen Herren „von der Religion“.

Am Anfang der Reise war alles wie zu Hause, die Sprache, die Gesichter, die Landschaft und das Essen. Henri und seine kleine Schwester Catherine unterhielten sich aus dem Fenster mit den Dorfkindern, die im Trab ein Stück mitliefen. Wegen der Wärme des Juli blieben die Wagen geschlossen. Mehrmals übernachtete man noch im eigenen Land, auch in Nérac, der zweiten Residenz; die ganze reformierte Bevölkerung versammelte sich dort am Abend, die Pastoren predigten, Psalmen wurden gesungen. Einige Zeit führte der Weg durch die Guyenne, früher Aquitania, deren Hauptstadt Bordeaux war, und als Vertreter des Königs von Frankreich galt hier Antoine von Bourbon, der Gatte Jeannes. Dann aber begann die Fremde.

Länder eröffneten sich, von denen ein Kind der Pyrenäen nicht einmal im Traum jemals erfahren hatte. Wie die Leute gekleidet waren! Wie sie sich ausdrückten! Man verstand, aber konnte nicht antworten. Die Flüsse waren nicht mehr ausgetrocknet, wie sie im Sommer doch sein müßten. Kein Ölbaum mehr, sogar die kleinen Esel wurden selten. Am Abend blieb die Reisegesellschaft allein unter Unbekannten, und die Protestanten stellten Wachen vor die Türen, den Katholiken hier war nicht zu trauen. Gestern hatten die Pastoren versucht zu predigen, waren aber von der Überzahl der Feinde vertrieben aus dem kahlen Bethaus, das weit draußen vor der Stadt stand; auch die Königin von Navarra mit ihren Kindern war gezwungen worden, eilig zu flüchten. Um so größer war das Glück, an einem Ort eine Mehrheit von Glaubensgenossen zu finden. Dann wurde Jeanne empfangen wie die Abgesandte der Religion, sie war erwartet worden, ihr Ruf war ihr vorausgeeilt, alle wollten ihre Kinder sehen, sie mußte sie auf erhobenen Armen dem Volk zeigen. Die Pastoren predigten, Psalmen wurden gesungen, und ein festliches Gelage setzte ein.

Sie waren schon achtzehn Tage unterwegs, da überschritten sie bei Orleans die Loire. Sie vermieden die Stadt, die bewaffneten Hugenotten lenkten ihre Pferde so nahe wie möglich am königlichen Wagen, ihn gaben sie erst recht nicht frei, als die Boten der Königin von Frankreich erschienen. Es waren Hofleute, die Jeanne artig bewillkommneten, aber sie brachten eine Leibwache von Katholiken mit, und diese erhoben den Anspruch, näher am Wagen zu reiten als die Hugenotten. Die dachten an kein Nachgeben, und es kam zum Handgemenge. Der kleine Henri beugte sich aus dem Fenster und feuerte die Seinen an, in seiner und ihrer Sprache, die anderen verstanden sie nicht. Ein Regenguß trennte die Streitenden, notgedrungen lachten sie und wurden wieder artig. Dunkel hing der Himmel über den ungewohnten Pappeln, die im Winde rauschten. Kühl war es im August und nicht geheuer.

„Was sind das für schwarze Türme, Mama, und warum brennen sie?“

„Die Sonne versinkt hinter dem Schloß von Saint-Germain, wohin wir fahren, mein Kind. Dort wohnt die Königin von Frankreich. Du weißt doch noch alles, was ich dir sagte, und was du mir versprochen hast.“

„Ich weiß es, liebe Mutter.“

Erste Begegnungen

So trat er zuerst denn auf wie ein kleiner Hahn, stolz und kampflustig. Allerdings bekam er anfangs nur Dienerschaft zu sehen, sie trennten ihn aber von seiner Mutter, nur seinen Erzieher behielt er bei sich im Zimmer, und dann wurde Fleisch aufgetragen, so viel Fleisch! Als es auch am nächsten Tage nichts anderes gab, verlangte er dringend nach den heimischen Melonen, dies war ihre Jahreszeit. Er weinte, aß nichts und wurde zu seinem Trost in den Garten geschickt. Der Regen hatte endlich aufgehört.

„Ich will zu meiner Mutter. Wo ist sie?“

Ihm wurde der Bescheid: „Bei Madame Catherine“, und er erschrak, weil ihm bekannt war, das sei die Königin. Er fragte nicht weiter.

Er trug seine beste Kleidung, hinter ihm gingen zwei Herren, sein Erzieher La Gaucherie und Larchant, ein Béarner Edelmann. Auf einer Wiese kamen ihm drei andere Knaben entgegen, auch sie mit Gefolge, aber es war zahlreicher. Henri bemerkte sogleich, daß sie sich nicht benahmen wie Jungen, die spielen wollten; der älteste besonders drehte sich in den Hüften und trug den Kopf hoch, als wäre er ein erwachsener Hofmann; auf seinem weißen Barett saßen Federn.

„Meine Herren“, fragte Henri nach rückwärts, „wer ist der Vogel?“

„Achtung!“ flüsterten sie. „Es ist der König von Frankreich.“

Jetzt hielten die beiden Gesellschaften voreinander an, der junge König stand gegenüber dem kleinen Prinzen von Navarra. Er bewegte sich nicht mehr, sondern wartete auf Henri. Der ließ sich Zeit, ihn zu betrachten. Karl der Neunte hatte nicht nur das weiße Barett, er war ganz und gar in Weiß. Seinen Hals umschloß eine weiße Krause, das Gesicht ruhte darauf, er hielt es halb abgewendet, sein Blick kam von der Seite. Schlau und traurig schien er zu sagen: ,Dich kenne ich schon. Es ist schlimm genug, daß ich euch alle kennen muß.‘

Henri fühlte sich lustig werden, zum erstenmal, seit er hier war. Er hätte laut aufgelacht, aber hinter ihm raunten sie nochmals: „Achtung!“ Da warf der Siebenjährige sich vor dem Zwölfjährigen zuerst in die Brust, dann neigte er den Rumpf bis auf die Füße und streifte mit der rechten Hand im Halbkreis über den Boden. Er wiederholte diese Übung zu beiden Seiten des Königs und endlich sogar in seinem Rücken, mehrere der Herren lächelten darüber. Anders Larchant, der Edelmann aus dem Gefolge Jeannes; er ließ sich vor Karl auf ein Knie nieder und erklärte:

„Sire! Der Prinz von Navarra hat noch keinen großen König gesehen.“

„Er selbst wird nie einer werden“, sagte Karl, ließ die Worte vor sich hinfallen und schloß sogleich wieder fest den Mund unter seiner fleischigen Nase. Jetzt wurde Henri zornig; seine sanften und freundlichen Augen fingen zu blitzen an, er rief:

„Das lassen Sie nicht meine Mutter hören, und auch Ihre nicht, die statt Ihrer regiert!“

Es waren etwas zu geringschätzige Worte, als daß ein König sie hätte hören dürfen; die Herren hinter Karl dem Neunten erschraken. Er selbst schloß nur die Augen; in diesem Augenblick merkte er sich etwas für immer.

Henri hatte sich sogleich beruhigt, unbefangen richtete er das Wort an die beiden anderen Knaben. „Na, und ihr?“ fragte er ermunternd, denn sie erschienen ihm merkwürdig verlegen. Es kam daher, daß er noch keine vornehme Erziehung kannte.

„Ich werde Monsieur genannt“, sagte der erste der beiden Kleinen, er stand im gleichen Alter wie Henri. „Es ist mein Titel, weil ich der älteste unter den Brüdern des Königs bin.“

„Ich heiße einfach Henri.“

„Ach! Ich auch“, rief Monsieur lebhaft wie ein Kind, und beide musterten einander aufmerksam.

„Habt ihr keine Melonen?“ fragte Henri, um gleich ans Ziel zu kommen. Der jüngste der königlichen Brüder lachte hierüber wie bei einem Witz. Man hätte erkennen müssen, daß die kleine Gestalt nur selten laut und glücklich war.

Hoch über den Kindern hing das Laub eines Baumes, darin schrie ein Vogel, alle drei wendeten die Gesichter hinauf. Dann stellten sie fest, daß der König seinen Weg fortsetzte, alle Herren hinter ihm. Die beiden Begleiter des Prinzen von Navarra befanden sich im Gespräch mit den Leuten vom Hofe Frankreichs, sie wurden abgelenkt. Henri flüsterte:

„Man muß sich die Schuhe ausziehen.“

Er tat es schon und begann den Stamm zu erklettern. Unter der Krone angelangt, erklärte er den beiden anderen:

„Ich werde gleich verschwunden sein. Ihr wagt das wohl nicht?“

Als dann der Wipfel ihn wirklich ganz verbarg, wollten sie doch nicht zurückstehen, auch sie stellten ihre Schuhe in das Gebüsch und folgten ihm auf den Baum. Henri erklärte ihnen:

„Hier können sie uns nicht finden. Sie werden uns überall suchen, inzwischen führt ihr mich, ich weiß schon wohin. Nein! Nehmt nicht das Nest aus. Seht ihr nicht, daß es Vögel mit gelben Schnäbeln sind? Solche nisten vor meinem Fenster, zu Haus in Pau. “

Mehrere Herren kehrten zurück, spähten umher, berieten sich und schlugen eine andere Richtung ein. Sofort stiegen die drei Knaben herab, und endlich gelangte Henri an den verabredeten Ort, es war der Gemüsegarten. Die ersehnten Früchte lagen auf der schwarzen Erde, er setzte sich hin, wühlte die Hände, die bloßen Füße hinein und jauchzte leise:

„Hier ist es schön!“

Denn Kräuter würzten die Luft, er schmeckte sie, genoß auf den Lippen alles, Zwiebel, Lattich, Lauch. „Na, und ihr?“ fragte er.

Sie standen und sahen auf ihre halbvergrabenen Füße. „Erde ist Schmutz“, meinten sie. Aber Henri hatte einen Gärtner entdeckt. Der gemeine Mann wollte sich in Sicherheit bringen, sobald er die Prinzen erkannte. Henri rief: „Komm her, oder es geht dir schlecht!“ Da schlich der Tölpel gebückt herbei.

„Zieh dein Messer! Schneide die reifste Melone auf!“ Erst nachdem er schon die Hälfte verschlungen hatte, erklärte er sie für wässerig und sauer. „Das ist das Beste, was ihr habt?“

Der Bursche entschuldigte sich damit, daß es zuviel geregnet habe. Henri sagte: „Ich verzeihe dir.“

Hierauf stellte er die Fragen über den Garten und über die Lebensverhältnisse des Gärtners, wobei er weiteraß. „Du kannst nach Navarra kommen“, sagte er dann, „dort gebe ich dir Melonen zu essen! Sieh nicht so dumm aus! Kennst du Navarra nicht? Es ist ein Land, größer als Frankreich. Auch die Melonen sind größer.“

„Und dein Bauch!“ bemerkte der zweite Henri, der Monsieur genannt wurde. Denn sein fremder Vetter hatte die Frucht ganz allein beendet. „Wenn ich aber noch eine anfange?“ fragte er sogar.

„Vielfraß“, äußerte Henri von Valois, aber es bekam ihm nicht gut. Henri von Bourbon rief:

„Du kriegst meinen Fuß in den Hintern“, und er holte seinen Fuß auch schon aus der Erde. Bevor er aufrecht stand, lief der andere fort und sein kleiner Bruder weinend hinterher. Henri behauptete das Feld.

Ein Kaninchen sprang an ihm vorbei, er hinterher. Es verkroch sich, er störte es auf, aber fangen ließ es sich nicht. Er war schon atemlos von der Jagd. „Henri!“ Da stand seine kleine Schwester und neben ihr ein anderes Mädchen. Es war größer als Catherine und ungefähr in seinem eigenen Alter. Er konnte sich denken, wer es war, sagte aber zuerst gar nichts vor Erstaunen. Seine kleine Schwester erklärte:

„Wir sind gekommen. Margot war neugierig.“

„Sind Sie immer so schmutzig?“ fragte Marguerite von Valois, die Schwester des Königs.

„Ich wollte Melonen essen“, erwiderte er und fühlte sich beschämt. „Warten Sie, ich gebe Ihnen auch eine.“

„Danke, das geht nicht.“

„Ich verstehe. Ihr schönes Kleid könnte Flecken bekommen.“

Sie lächelte, weil sie dachte: ,Und auch mein Gesicht. Ich bin geschminkt, das sieht dieser Bauer nicht.‘

Was für ein Mädchen! Er hatte ihresgleichen nie erblickt. Seine kleine Catherine, die er so sehr liebte, erschien daneben wie eine Gänsemagd, trotz ihrem Sonntagsstaat. Marguerite hatte Farben wie Rosen und Nelken, und die hätten noch froh sein dürfen. Ihr weißes Kleid lag bis zu den Hüften eng an, dann begann es sich weit und steif zu entfalten, schimmernd von Goldstickerei und bunten Steinen. Auch ihre Schuhe waren weiß, etwas Erde hing daran. Henri folgte einer Eingebung; er kniete hin, und mit seinen Lippen entfernte er die Erde. Dann stand er auf und sagte:

„Meine Hände waren nicht sauber genug.“

Sein Ton wurde hierbei unfreundlich, weil das Mädchen überheblich lächelte. Daher nahm er seine Schwester beiseite und flüsterte ihr zu, aber die andere konnte es sicherlich hören:

„Jetzt hebe ich ihr den Rock auf, ich muß doch herausbekommen, ob sie Beine hat wie alle Mädchen.“ Das Lächeln der kleinen Prinzessin wurde starr. Er bemerkte noch: „Ihre Nase ist zu lang. Kathrin, du kannst sie wieder mitnehmen. “

Da verzog sie das Gesicht zum Weinen. Sogleich wurde Henri sehr höflich. „Fräulein, ich bin nur ein dummer Junge vom Lande, und Sie sind ein feines Fräulein“, sagte er bereitwilligst. Seine Schwester berichtete:

„Sie kann Lateinisch.“

Er redete sie in der alten Sprache an und fragte, ob sie schon verlobt sei mit einem Prinzen. Sie antwortete: „Nein“; so erfuhr er, daß die Geschichte, die seine liehe Mutter ihm erzählt hatte, wohl nur ein Märchen war, und sie hatte es geträumt. Indessen dachte er: ,Was nicht ist, kann noch werden.‘ Vorläufig stellte er fest:

„Ihre beiden Brüder sind vor mir davongelaufen.“

„Meine Brüder werden sich vor Ihrem Geruch gefürchtet haben. So riecht kein Prinz“, sagte Marguerite von Valois und rümpfte die zu lange Nase. Henri von Bourbon fühlte sich gekränkt, er fragte heftig:

„Wissen Sie, was das heißt: Aut vincere aut mori?“ Sie antwortete: „Nein. Aber ich werde meine Mutter fragen.“

Herausfordernd sahen die beiden Kinder einander an. Die kleine Catherine sagte ängstlich:

„Achtung, da kommt jemand.“

Es war eine Dame, jedenfalls eine vom Hof, vielleicht sogar die Erzieherin der Prinzessin, denn sie äußerte ihre Mißbilligung.

„Was ist das für ein schmutziger Junge, mit dem Sie sprechen, Fräulein?“

„Es scheint, daß es der Prinz von Navarra ist“, erwiderte Marguerite.

Sofort machte die Dame einen tiefen Knicks. „Ihr Vater ist angekommen, mein Herr, und will Sie sehen. Aber zuerst müssen Sie sich waschen.“

Die Feindinnen

Indessen dies geschah, hatte seine Mutter Jeanne d’Albret ihre Unterredung mit Katharina von Medici. Diese zeigte sich ungemein freundlich, bereit zur Verständigung und abgeneigt allen Streitfragen. Die Protestantin in ihrem Eifer bemerkte es gar nicht, oder sie hielt es für Tücke.

„Die Religion und ihre Feinde werden nie Zusammenkommen!“ behauptete sie hartnäckig. Sie verschwur sich: ,Und hätte ich an der einen Hand mein Königreich und an der anderen meinen Sohn, lieber versenkte ich beide auf den Meeresgrund, als daß ich nachgäbe.‘

„Was ist Religion?“ sagte die dicke schwarze Medici zu der magern blonden d’Albret. „Es wird Zeit, daß wir Vernunft annehmen. Durch unseren ewigen Bürgerkrieg verlieren wir Frankreich, denn ich muß die Spanier hereinlassen, um mit euch Protestanten fertig zu werden. Dabei hasse ich euch nicht, und wenn ich könnte, möchte ich euch eure Religion abkaufen.“

„Sie sind die würdige Tochter eines Florentiner Wechslers“, erwiderte Jeanne mit Verachtung. Was sie selbst hatte hören müssen, erschien ihr noch viel beleidigender. Katharina ließ sich nicht beirren.

„Seien Sie froh, daß ich eine Italienerin bin! Keine französische Katholikin würde Ihnen so günstige Friedensbedingungen anbieten. Ihre Glaubensgenossen sollen alle Freiheiten haben, ihre Religion auszuüben, und auch sichere Zufluchtsorte, befestigte Städte, will ich ihnen geben. Sie müssen nur darauf verzichten, gegen die Katholiken zu hetzen und sie zu überfallen.“

„Ich bin ein zorniger Gott, spricht der Herr!“

Die von Grund auf erregte Jeanne konnte es in dem Stuhl nicht mehr aushalten. Katharina blieb ruhig sitzen, sie faltete ihre fleischigen Hände, die voller Ringe und Grübchen waren.

„Ihr seid zornig“, sagte sie, „weil ihr arm seid. Der Krieg ist euer Geschäft. Ich biete euch Geld, dann braucht ihr ihn nicht mehr.“

Dieses Übermaß von Unverständnis und Mißachtung brachte Jeanne zum Äußersten. Sie hätte auf die Dicke mit Fäusten losgehen wollen. Sie stammelte:

„Und wieviel Geld bekommen die Geliebten meines Gatten, damit sie ihn weiter verführen, gegen die Religion zu kämpfen?“

Katharina nickte nur — grade als ob sie dies und nichts anderes erwartet hätte. Endlich war es heraus. Eine eifersüchtige Frau, diese Glaubensheldin! Eine Antwort war nicht notwendig, die Blonde mit dem Ziegengesicht hätte doch nichts gehört, sie war aus Mangel an Selbstbeherrschung bis gegen die Wand getaumelt und wie ohnmächtig auf die große Truhe hingesunken. In diesem Augenblick öffnete sich eine Tür, die bemalt, vergoldet, aber mit Eisen beschlagen war. Die Wache stieß ihre Hellebarden auf den Boden, und den Saal betrat der König von Navarra, an der Hand seine beiden Kinder.

Antoine von Bourbon wiegte sich in den Hüften als der schöne, begehrte Mann, der er war. Er tat es für alle Fälle, ohne bis jetzt zu erkennen, was hier vorging. Die Fenster lagen in tiefen Nischen, es herrschte Dunkelheit für jeden, der eintrat. An der entfernten Wand glaubte er eine Bewegung zu bemerken, sofort griff er nach seinem Dolch. Da lachte die Königin Katharina von Herzen, wenn auch nur leise in sich hinein.

„Gehen Sie tapfer drauf los, Navarra! Sie sollen sehen, daß ich keinen Mörder versteckt halte — erst recht nicht für einen Mann wie Sie.“

Er hätte die freimütigste Geringschätzung heraushören sollen, aber dafür war er zu eitel. Deshalb verschmähte er es, sich um die verdächtige Wand noch länger zu bekümmern, sondern verneigte sich vor Katharina. Dann sagte er mit Anstand:

„Dies ist mein Sohn Henri, er bittet um Ihre Gunst, Madame.“ Die kleine Schwester wurde nicht beachtet, aus Scham schlug sie die Augen nieder.

Henri betrachtete die Frau und vergaß zu grüßen. Hier saß mitten in einem großen Zimmer, an der Stelle, auf die das meiste Lieht fiel, die schreckliche und böse Katharina von Medici, das war sie. Über seinen Reiseerlebnissen, den neuen Bekanntschaften im Garten und besonders wegen der Melonen hatte er sie so gut wie ganz vergessen; erst jetzt fiel ihm wieder ein, wie sie hätte aussehen müssen. Sie mußte Klauen, einen Buckel, eine Hexennase haben, und so war er auch bereit, sie wiederzuerkennen; leider machte sie es ihm schwer, sie war so gewöhnlich. An der hohen, graden Lehne ihres Sessels erschien sie klein, auch fett war sie, hatte schwammige weiße Wangen und Augen wie Kohlen, die nicht brannten. Sie enttäuschte Henri.

Daher machte sein munterer Blick die Runde durch den Saal, und was fand er? Oh! Er sah schärfer als sein Vater, außerdem liebte er mehr. Daher stürmte er dorthin, wo Jeanne lag oder kauerte.

„Mama! Mama!“ rief er und dachte, noch laufend: ,Also doch! Sie hat ihr etwas getan.‘

„Was hat die böse Madame Catherine dir getan?“ fragte er leise und dringend, während er seine Mutter küßte.

„Nichts. Mir war nur schlecht geworden. Jetzt stehen wir beide auf und sind ganz besonders artig.“ Dann tat sie auch gleich, was sie beschlossen hatte.

Jeanne kam herbei, den Arm um ihren kleinen Sohn, sie lächelte ihrem Gatten entgegen und sagte: „Hier ist unser Sohn“ — ließ Henri aber nicht aus ihrem Arm.

„Ich habe ihn dir mitgebracht, damit du ihn einmal wiedersiehst, mein lieber Mann, denn du kommst selten nach Haus. Besonders will ich ihn auch der Königin von Frankreich vorstellen als ihren kleinen Soldaten, der ihr ebenso dienen soll wie sein Vater.“

„Das ist recht“, erwiderte Katharina gutmütig. „Wenn es aber nach mir geht, leben wir im ganzen Königreich friedlich wie eine Familie.“

„Dann müßte ich wohl meinen Acker bebauen?“ fragte der Kriegsmann Antoine, wenig befriedigt.

„Sie sollten sich mehr um Ihre Frau kümmern. Sie liebt Sie und erleidet Schwächeanfälle, weil Sie ihr fehlen. Ich kann ihr zwar ein kleines Mittel eingeben.“

Jeanne erschauerte; sie wußte genug von den kleinen Mitteln dieser Giftmischerin! „Oh! Das ist nicht nötig“, versicherte sie schnell.

Sie hatte sich noch zusammennehmen müssen, während sie von der Truhe aufstand und herkam; jetzt aber ging die Verstellung schon von selbst, nicht schlechter als bei Katharina. Diese gab sich mütterlich.

„Ihrer Frau, Navarra, habe ich meine Freundschaft angeboten, und ich glaube auch, daß sie mir genau so wohlwill wie ich ihr.“

Jeanne dachte inständig und schnell: ,Mein Sohn soll groß werden, ich werde mit euch noch fertig. Ich werde mit euch fertig, mein Sohn wird groß sein. Ich, die Nichte Franz des Ersten — und diese Krämerstochter!‘

Ihre entzückte und zarte Miene veränderte sich hierbei nicht im geringsten — blieb doch auch das Gesicht Katharinas bei allem, was sie denken mochte, mütterlich. Nur damit verriet die Medici sich, daß sie von den beiden Kindern so gut wie keine Kenntnis nahm, nicht einmal von dem ängstlichen kleinen Mädchen. Wenn eine Frau schon Mütterlichkeit spielt.

„Ich bin aus ganzem Herzen Ihre Freundin!“ rief Jeanne, begeistert, weil sie die andere ertappt hatte.

Vergangene Liebe

Antoine von Bourbon freute sich aufrichtig über den Verlauf der Unterredung. Als sie in ihrem Zimmer allein waren, umarmte er zuerst seine Frau, dann seinen Sohn. Ihm zeigte er aus dem Fenster ein kleines Pferd, das vorübergeführt wurde. „Es ist deins. Du darfst es gleich reiten.“ Schon sprang Henri fort. Die kleine Schwester folgte ihm, um ihn zu bewundern.

Jeanne bekam jetzt ein ganz anderes Gesicht als das entzückte, das sie der Medici gezeigt hatte. Ihr Gatte bemerkte es in seiner großen Zufriedenheit noch nicht. Indessen sah sie ihn an wie zerstreut und sagte:

„Wie heißt doch nur die Frau, mit der du jetzt meistens gesehen wirst? Die dich auf deinem Feldzug begleitet hat und wahrscheinlich auch hierher?“

„Dir wird so vieles zugetragen.“ Er lächelte sogar noch selbstzufrieden, das ertrug sie nur mit Mühe.

„Hast du denn alles vergessen?“ fragte sie plötzlich mit voller, tiefer Stimme. Jeanne überraschte in gewissen Augenblicken mit einer Stimme wie eine Orgel, zu groß, zu klingend für diese schwache Brust. Ihr Gatte hörte sie und war ergriffen, sogleich erinnerte er sich an alles, woran sie wollte, daß er gedenke. Es bedurfte keiner Worte mehr. Sie hatten einander viel und lange geliebt.

Er hatte sie bekommen, nachdem Jeanne ganz allein darum gekämpft hatte, keinem anderen zu gehören. Bevor sie ihn kannte, war sie mit Gewalt verheiratet worden, man trug sie in die Kirche, sie behauptete, nicht gehen zu können; ihr Kleid wog wirklich zu schwer vom vielen Edelgestein. Aber das größere Gewicht hatte ihr Wille, obwohl sie damals noch ein Kind war. Sie verheirateten sie mit Gewalt — gleichviel, der Tag erschien, wenn auch nach Jahren, und Jeanne wurde glücklich mit ihm, durch den sie es sein wollte. Die Reihe der blühenden Tage lief ab, auch kam das frühe Verblühn, ihr eigenes und das ihres Glücks. Jetzt war nichts übrig als nur ihr Sohn, aber das hieß mehr, als sie je vorher besessen hatte. Wollte Antoine dies nur begreifen! Sie hatten den Sohn!

Die Ergriffenheit des Mannes durch ihre Stimme konnte natürlich nicht lange Vorhalten, und seine Erinnerungen an die Zeiten der Leidenschaft wurden von dem Anblick der Armen nicht unterstützt. Er lebte zu sehr von den heute drängenden Aufgaben, einer Belagerung, eines Ränkespiels, einer jungen Frau. Zwar wollte er Jeanne eine halbe Minute, nachdem sie gesagt hatte: „Hast du denn alles vergessen?“ noch umarmen, aber es galt schon nicht mehr der Einigkeit ihrer alten Gefühle, es war nur höflich, daher wies sie ihn zurück.

Antoine bezeugte ihr dennoch, er wäre mit ihr ungewöhnlich zufrieden und freute sich über ihre Mäßigung. Jeanne erklärte ihm, vor allem hätte sie keine Lust, sich vergiften zu lassen. Sie dächte dabei weniger an sich selbst, als an das Interesse der Religion. „Du hast im Grunde recht getan, lieber Mann, daß du wieder katholisch wurdest und in den Dienst des Königs von Frankreich tratest.“

„Sie haben mir das spanische Navarra versprochen.“

„Das werden sie dir nicht geben, denn sie brauchen den König von Spanien gegen uns Protestanten. Deine kleinen Zwecke wirst du nicht erreichen, aber du handelst im Sinne viel Größerer, die du lieber gar nicht mit Namen nennst.“ Sie sagte dies, weil es ihr widerstrebte, ihn mittelmäßig und ohne hohen Ehrgeiz zu wissen.

Er hörte betroffen zu. Er ersparte ihr seine Antwort aus Verlegenheit, aus Nachsicht; denn er hielt sie geistig nicht mehr für gesund. Jeanne fand ihn nicht mehr würdig, sie zu umarmen, aber Vertrauen sollte bestehen in den Angelegenheiten ihres Hauses. Sie sagte:

„Es kann gar nicht anders kommen, als daß einstmals über Frankreich ein protestantischer. Fürst herrscht, wir sind die Entschlossensten, weil wir den wahren Glauben haben. Drüben haben sie nur eine alte Frau mit schlechtem bleichem Fleisch, die an nichts glaubt.“

„Außer an die Astrologie“, bestätigte er, froh, in einem Punkt mit ihr ühereinzustimmen. Er setzte hinzu: „Aber ihre drei Söhne!“

„Die hat sie spät bekommen, sie war lange unfruchtbar — und sieh dir die drei noch lebenden Jungen an!“ behauptete Jeanne, unbeirrbar. „Der vierte ist schon tot, er starb mit sechzehn Jahren, König war er siebzehn Monate lang. Sein Bruder Karl regiert seither ein paar Monate länger, aber er hat auch Augen wie hundert Jahre alt.“

„Nach ihm blieben immer noch zwei“, bemerkte er.

„Ihre Mutter wird sie ebenso sterben lassen. Sie ist eine Frau, die nicht hinblickt, wenn ein Kind in die Tür tritt. Das Königreich besteht für sie nur so lange, wie sie selbst da ist. Hätte sie Religion, sie würde gewiß sein, daß die Hand des Herrn ihren Leib gesegnet hat nicht nur für heut und morgen, sondern auf ewig!“

Jeanne d’Albret sprach diese starken Worte mit sanfter, fester Stimme. Ihrem Gatten war nicht geheuer, und, er bewunderte sie. Um nur wieder festen Boden zu erreichen, sagte er:

„Du solltest Madame Catherine daran erinnern, daß der selige König unseren Sohn mit seiner Tochter verlobt hatte.“

„Daran wird sie mich erinnern“, antwortete Jeanne, „und ich werde bedenken, ob mein Sohn nicht zu gut ist für eine Prinzessin aus diesem niedergehenden Geschlecht.“

Antoine wurde endlich ungeduldig. „Du bist schwer zufriedenzustellen. Der selige König war kerngesund und ist in einem Turnier gefallen. Die Valois können nichts dafür, daß eine Medici ihre Kinder schlecht erzieht.“

„Sprich auch gleich von den schamlosen Sitten, die sie mitgebracht hat an diesen Hof!“ verlangte Jeanne.

Obwohl der Mann einen Auftritt nahen fühlte, konnte er seine Miene nicht beherrschen. Sein ganzer Körper erinnerte sich mit einer unwiderstehlichen Beglückung an die genossene Gunst bei Frauen dieses Hofes; das stand in seinem Gesicht.

Jeanne, noch soeben fein und überlegt, verlor den Kopf, sie fing an zu wettern und zu predigen. Die katholischen Götzenverehrer liebten, ihr zufolge, nur das Fleisch. Rein und streng waren die von der Religion, und ihre Hände hatten Eisen und Feuer, um auszurotten das Verderbte.

O Gott, so zeige Dich doch nur!

Es konnte sein, daß sie im Vorzimmer zu hören gewesen war; jedenfalls wurde die Tür aufgerissen, einige protestantische Herren erschienen darin und verkündeten, der Admiral Coligny sei im Hause, er ersteige die Treppe, er nahe, er sei angelangt. Alle machten Platz, und der protestantische Feldherr trat ein, er legte als Gruß die Hand auf die Brust. Der König von Navarra sogar neigte den Kopf vor diesem alten Mann und damit auch vor der Partei, die er führte. Wenn andere sie nur benutzten ihres Vorteils wegen, dieser hatte die uneigennützige Strenge eines Märtyrers, das stand auf seiner heftigen und traurigen Stirn.

Jeanne d’Albret umarmte den Admiral. Seiner hatte sie grade noch bedurft, um in der Begeisterung auszuschweifen. Sie rief nach allen ihren Leuten, ihren beiden Pastoren, ihren Kindern. Sie brachte ihren Sohn dem Admiral, der auf den Kopf des Knaben die rechte Hand legte und sie nicht fortnahm, solange der erste der Pastoren redete. Er sprach in Worten, die niemand mißverstehen konnte, vom Reich Gottes, das nahe bevorsteht. Wir kommen dran! Alle hörten es, ob es nun gesagt wurde oder nicht. Sie stießen einander in dem überfüllten Zimmer, jeder wollte nach vorn, schon zugreifen, schon haben, die ganze Macht, den ganzen Reichtum, und dies auch noch zur Ehre Gottes!

Der zweite der Pastoren stimmte einen Choral an. „O Gott, so zeige dich doch nur!“ Alle sangen dringend und erwartungsvoll, todesmutig und schon ihres Sieges sicher. Denn wo sangen sie so laut, wo behaupteten sie dreist ihre Sache? Im eigenen Hause der Könige von Frankreich! Sie konnten es wagen, sie wagten es!

Coligny erhob mit beiden Armen den Prinzen von Navarra über alle Köpfe, er ließ ihn dort oben einatmen für sein Leben, was vorging, was diese alle waren. Ein großes Bekenntnis wurde abgelegt von lauter gläubigen Helden. Henri war einverstanden und ergriffen, denn er sah seine liebe Mutter weinen und weinte mit. Sein Vater dagegen hatte, aus Furcht vor den Folgen der schönen Feier, alle Fenster schließen lassen; das machte die Luft im Zimmer fast unerträglich.

Dies alles waren recht gefährliche Überschreitungen der erlaubten Grenzen; Jeanne sah es nachher von selbst ein, ihr Gatte brauchte sie nicht lange zu warnen. Sie beschloß, der Königin Katharina jede beliebige Genugtuung zu geben, denn es bestand wenig Hoffnung, daß Madame Catherine von dem Vorfall nicht in Kenntnis gesetzt wäre. Als aber die beiden guten Freundinnen einander wiedersahen, erwies sich, daß die eine von dem ungehörigen Verhalten der anderen nichts wußte oder vorzog, darüber hinwegzusehen. Anstatt Jeanne Mißtrauen zu zeigen, bat die Königinmutter sie um Hilfe gegen ihre Feinde.

Die schlimmste Gefahr für das Herrscherhaus waren die Guise, das lothringische Geschlecht, das Anspruch auf den Thron machte. Jeanne begriff, daß dagegen die kleine Familie Bourbon für unschädlich gehalten wurde. Die Guise gaben sich weitaus katholischer als die Königin, auch waren sie reich. Beides begünstigte ihre Absichten; sie hatten angefangen, sich dem Volk von Paris als die Retter des Königreichs zu empfehlen. Die armen Könige von Navarra waren hier unbekannt, und sie kamen aus einer entfernten Provinz, die ketzerisch und ein Herd des Aufstandes war. Madame Catherine schnurrte wohlig wie eine alte Katze, sooft sie Jeanne d’Albret erblickte, und Jeanne fühlte sich gedemütigt, aber sie zeigte es nicht.

Sie war klug und ging auf alles ein, sobald die alte Katze wollte. Diese bohrte ein Loch in die Wand ihres Arbeitszimmers, dadurch sah und hörte sie, was Antoine von Bourbon und der Kardinal von Lothringen vielleicht gegen sie vorhatten; und Jeanne mußte mit ihr spähen und horchen, obwohl einer der Beobachteten ihr eigener Mann war. Indessen handelte es sich nicht um ihn, er wurde kaum gefürchtet; gerade das war sehr demütigend, aber Jeanne machte gute Miene. Furcht hatte die alte Katze vor dem Haupt des Hauses Guise, dem reichen Kardinal, der alle ihre Diener bestechen konnte, auch den Navarra. Diesem brauchte er übrigens nur die spanischen Pyrenäen zu versprechen, um sie ihm niemals zu gehen; das kostete nichts.

Katharina und mit ihr Jeanne kamen hinter viele Ränke, denn der Kardinal empfing im Zimmer Antoines, das ihm am unverdächtigsten schien, noch andere Herren. Jeanne staunte über den Leichtsinn ihres Mannes. Wahrscheinlich verstand er nicht einmal alles; durch das Loch in der Wand sah sie ihm an, daß er mit seinen Gedanken bei einer Geliebten weilte. Das war ein Grund mehr für sie, ihm keinen Wink zu geben und ihre Freundin Katharina nicht an ihn zu verraten. Sie nahm sich sogar vor, es mit seiner Geliebten niemals zu einem öffentlichen Auftritt kommen zu lassen. Solche stille Selbstbeherrschung übte Jeanne; denn der Vorteil ihres Sohnes und der Religion verlangte, daß sie mit der alten Katze befreundet wäre.

Dennoch trat der schreckliche Fall ein, daß die Dame, eine Marschallin, ihr begegnete und sogar wagte, sich ihr vorzustellen, ja, einen Kuß zur Begrüßung erwartete sie. Jeanne ertrug es nicht, so vernünftige Vorsätze sie auch gehegt hatte. In diesen Armen, an dieser entblößten Brust lag in den Stunden, deren jede sie selbst immer älter und kränker machte, der einzige Mann, um den sie je gekämpft hatte! Empört starrte Jeanne in das Gesicht, das reizend und sogar lieblich war. Der ganze Betrug des Lebens stieg ihr in den Hals. Wenn sie es auch nicht gewollt hätte, sie drehte der Dame den Rücken und ließ sie stehen.

Die Marschallin aber nahm die Behandlung nicht hin und wich keineswegs. Während die Königin von Navarra andere begrüßte, stand sie dabei, ihr Gesicht war nicht mehr lieblich, und sie sagte laut genug:

„Du kehrst mir den Hintern zu, und küssen willst du mich nicht? Beim heiligen Johann! Um so weniger Küsse beziehst du von deinem Mann; die krieg alle ich!“

Jeanne umgab sich dicht mit ihren Freundinnen, um auf gute Art fortzukommen. Die andere war ein großes, drohendes Weib, ein Zusammenstoß hätte schlimm enden können. Mehrere Herren, die aufmerksam wurden, beschützten Jeanne auf der Flucht.

Aber erst nachher sah es aus, als ob der Vorfall ihr gefährlich werden sollte. Nie hatte sie ihren Mann so zornig gesehn, er sprach davon, sie zu verstoßen, sie einzusperren, und sie wußte, daß nicht allein seine Geliebte ihn aufhetzte. Das Loch in der Wand hatte sie davon überzeugt, daß der Kardinal von Lothringen mit dem armen Antoine machte, was er wollte, und sein Ziel war die Beseitigung Jeannes; dann hatte das Haus Guise keine Mitbewerber mehr, und die Protestanten verloren ihre Königin.

Jeanne begriff vollkommen, daß sie nur bei Madame Catherine ihr Heil suchen konnte. Durch das Loch wurde ihnen beiden bekannt, was die Freunde Antoines ihm einredeten: er könnte die junge Maria Stuart heiraten. Diese war die Witwe des verstorbenen ältesten Sohnes der Medici, eines ihrer Söhne, die nacheinander König hießen, während sie selbst regierte. Katharina war derselben Meinung wie Jeanne, daß diese Verbindung verhindert werden müßte. Sie konnte einen Mann im Haus nicht brauchen, wäre es auch nur der gute Antoine. Hinsichtlich seiner verstanden die Frauen einander.

Katharina wurde hierdurch sogar veranlaßt, sich an einen anderen Plan zu erinnern, die Verlobung ihrer Tochter Margot mit dem kleinen Henri von Navarra. Sie sagte offen, dies wäre der wahre Nutzen des Königreichs, einen Prinzen vom Geblüt und den nächsten Verwandten des Hauses darin aufzunehmen und daran zu fesseln. Einer ihrer Astrologen hatte ihr eröffnet, es würde eine ihrer glücklichsten Handlungen sein. Leider war es zu früh, wegen der Jugend der Kinder. Die Königinmutter bezeugte Jeanne ihre Aufrichtigkeit durch eine Umarmung; aber in den Armen der alten Katze begann Jeanne zu zittern. Ihr war ein gewisses Gerücht über ihre gute Freundin eingefallen. Madame Catherine sollte einen Würdenträger vergiftet haben, damit sie seine Einkünfte für einen anderen frei bekäme. Im gleichen Augenblick sagte Katharina und machte die Umarmung etwas enger:

„Für meine Freunde bin ich zu allem fähig.“

Vielleicht war es Zufall. Jedenfalls belehrte dies Wort die Mutter Henris nochmals, wie sehr geboten es war, die Freundschaft dieser Frau um keinen Preis zu verlieren. Aber in ihrem Innern war zuviel Auflehnung gegen die eigene Einsicht, sie konnte niemals lange klug bleiben. Wenn Jeanne ihre wahre Gesinnung noch so fest im Herzen verschlossen hatte, plötzlich befreite die Wahrheit sich und wurde laut. Der Ton der schmächtigen Jeanne bekam dann etwas Herrisches und Hohes, weil sie im Namen der Religion sprach. Noch im Lauf dieses selben Gespräches forderte sie, und vergaß dabei alle schrecklichen Gerüchte über Madame Catherine:

„Margot muß protestantisch werden! Sonst darf mein Sohn sie nicht heiraten.“

Sie wußte durchaus nicht, wie die andere es aufnehmen würde; aber die blieb genau so freundlich, sie wurde sogar noch vertraulicher. Sie gestand, daß sie überlegte, ob nicht auch sie selbst mit allen ihren Kindern zu der neuen Religion übertreten sollte! Die Protestanten wären vielleicht doch die Stärkeren, und mit ihnen schlüge sie dann die Guise. Vom Glauben sprach sie gar nicht, und Jeanne warf es ihr vor; aber die Predigt, die sie ihr hielt, berührte die gute Freundin Katharina nicht. Sie erwiderte einfach, es wäre besser, das Spiel nicht aufzudecken, und ihre gute Freundin Jeanne sollte nur fortfahren, die Pastoren bei geschlossenen Fenstern predigen zu lassen.

Hierbei öffnete sie ein Fenster und bat Jeanne, hinauszusehen. Im Garten vergnügten sich Margot und Henri. Er schaukelte das kleine Mädchen, es trug heute kein Prachtgewand, nur ein leichtes Gewebe, und das flatterte um sie her bei jedem Schwung der Schaukel. Henri hockte sich auf den Boden, ließ sie über sich hinfliegen und rief:

„Jetzt seh ich deine Beine!“

„Du siehst sie nicht“, rief Margot hinunter.

„Wie die Sonne am Himmel!“ beteuerte er.

„Das ist nicht wahr.“

„Und sie sind dick!“

„Halte sofort die Schaukel an!“

Er tat es nicht, sondern ließ sie von selbst ausschwingen. Margot stieg ab, nahm zuerst seine Hilfe an, und dann schlug sie ihm mit aller ihrer Kraft ins Gesicht.

„Das habe ich verdient“, sagte er und verzog vor Schmerz das Gesicht. Hierauf erfaßte er den Saum ihres Kleides und küßte ihn.

„Fang nicht wieder so an!“ verlangte sie. „Du warst immer nur höflich und artig, das mag ich nicht. Heute zum erstenmal hast du richtig mit mir gesprochen.“

„Weil ich jetzt sicher weiß, daß du Beine hast wie die anderen Mädchen, aber schöner.“

„Nein, du weißt es noch nicht. Warte, bis wir beide größer sind!“

Hierauf schwieg sie, sah ihn nur an und bewegte dabei die rosige Spitze ihrer Zunge zwischen den Lippen. Ihr Gesicht hatte Farben wie ein auf Porzellan gemalter Pfirsich, nicht wie ein wirklicher. Der Junge unterschied niemals genau, ob sie ihn herausforderte oder abwies. Damit die Sache endlich klar würde, fiel er über sie her und küßte sie gewalttätig. Margot verlor davon den Atem und lachte glücklich.

„Du kannst es besser als —“

„Wer?“ fragte er und stampfte mit dem Fuß.

„Niemand“, sagte sie beleidigt.

Droben schloß Madame Catherine das Fenster, sie verhinderte dadurch Jeanne, hinunterzurufen.

„Unsere Kinder verstehen einander“, bemerkte die Dicke mit ihrer gutmütigen Ironie. Die Dünne war krankhaft erblaßt, aber noch immer beherrschte sie sich.

Die Folge war, daß sie ihren Sohn so eng an sich zog, als ob sie noch zu Hause gewesen wären. Er hatte lange keine guten Lehren gehört, seine Mutter bearbeitete ihn jetzt wieder täglich, er sollte das Gefühl nicht verlieren, mit ihr auf feindlichem Gebiet vorzugehen, gegen alle, für die Religion: ihre. Verteidigung, das Werben für sie, die Verhöhnung der Messe, der Heiligenbilder, was alles noch! Henri glaubte an seine Mutter; was sie sprach, nahm vor seinen Augen feste Gestalt an. Über Margot hatte sie ihm kein Wort gesagt, wahrscheinlich schämte Jeanne sich des Vorganges, den sie aus dem Fenster mitangesehen hatte, und verübelte es Katharina, daß sie ihn ihr gezeigt hatte.

Er aber begriff; sein böses Gewissen verriet ihm, was seine liebe Mutter meinte, und plötzlich erklärte er der kleinen Marguerite mit einem Gesicht, vor dem sie erschrak: von ihren Beinen könnte nie mehr die Rede sein, die würden in der Hölle braten! Sie sagte, daß sie es nicht glaube, in Wirklichkeit aber fürchtete Marguerite sich und fragte ihre Mutter um Rat.

Die erste Trennung

Madame Catherine erfuhr noch auf andere Weise von den Umtrieben Jeannes. Es war nicht schwer, weil ihr kleiner Sohn so wenig zurückgehalten wurde. Wenn die Protestantin sich selbst noch Geduld und Heimlichkeit auferlegte, bei Henri versuchte sie es nicht, im Gegenteil. Sie verließ sich darauf, daß die Wahrheit unangreifbar ist, wenn sie aus dem Munde von Kindern kommt.

Henri war glücklich, seiner lieben Mutter gefällig zu sein, noch dazu in Dingen, die ihm so viel Spaß machten wie die Verhöhnung der Katholiken. Inzwischen war er der Anführer einer Bande von Jungen geworden, allen verstand er beizubringen, daß es nichts Lächerlicheres gäbe als Bischöfe und Mönche. Bei der Bande befand sich schon bald der ganze Nachwuchs des Hofes, selbst die Königinmutter kannte nicht den Umfang der Verschwörung, denn wer hätte ihr zu sagen gewagt, daß ihre eigenen Söhne dabei waren. Zuerst hatte Henri den jüngsten der drei Prinzen gewonnen für das neue Vergnügen, sich als geistliche Herren zu verkleiden und in diesem Aufzug das Schloß unsicher zu machen. Sie platzten so ungezogen wie möglich in ernste Beratungen und in Liebesszenen hinein und verlangten noch, daß man ihre Kreuze küßte. Es war für sie ein wirklich lustiger Karneval, trotz der unpassenden Jahreszeit im Herbst.

Der jüngste Prinz, d’Alencon genannt, war der unternehmendste, wenn er auch gleich fortlief. Es konnte aber nicht fehlen, daß auch der zweite, Henri, genannt Monsieur, Lust bekam, mitzutun, und zuletzt juckte es Karl den Neunten selbst, ihn, den christlichen König, das Oberhaupt aller Katholiken. Er zog sich wie ein Bischof an und prügelte die Herren und die Damen mit seinem Krummstab, was sie aus Ehrerbietung auch geschehen ließen. Lachen konnte dieser Knabe nicht, er wurde nur bleicher, sein Seitenblick nur mißtrauischer, und er erregte sich, bis ihm unwohl wurde. Wer stand dabei und freute sich aus unschuldigem Herzen dessen, was er angerichtet hatte? Henri Navarra.

Die „kleinen Lieblinge“ nannte der Hof die Verschwörer und stellte sich, als wären sie nur leicht zu nehmen. Madame Catherine wurde so lange getäuscht, bis einmal vor ihrer Tür ein Lärm entstand, sie glaubte einen Augenblick, es sei um sie geschehn. Bei ihr weilte niemand außer einem italienischen Kardinal, und der sah sich schon um, wo er sich verkröche. Dann ging aber die Tür auf, und herein kam als erster ein Esel, darauf ritt Henri von Navarra, rot gekleidet und mit allen Abzeichen einer hohen kirchlichen Würde. Ihm folgten viele junge Herren mit spitzen Mützen, ausgestopften Bäuchen, Mönchskutten jeden Ordens; sie spornten ihre Grautiere an und sprengten um den Saal, unter Absingung von Litaneien. Die Unberittenen sprangen einander auf die Rücken und wollten sich tragen lassen, dabei stürzten viele, die Möbel mit ihnen, der getäfelte Saal hallte wider von Gesang, Wehgeschrei, Krachen des Holzes, Hufgeklapper und Gelächter.

Auch die Königinmutter lachte anfangs, schon weil es keine Mörder waren. Als sie aber am Ende ihrer eigenen Söhne ansichtig wurde, obwohl die Prinzen sich gerne ihrer Aufmerksamkeit entzogen hätten, da war im Grunde ihre Geduld vorbei, sie ließ es indes nicht sehen. Sie stellte sich, als wäre sie nur zum Schein erzürnt, mit mütterlicher Strenge ermahnte sie alle Knaben, zu achten, was heilig ist, und etwas anderes zu spielen. An die Prinzen wandte sie sich nicht besonders. Nur dem kleinen Navarra gab sie einen gutmütigen Backenstreich.

Dennoch war Katharina über die wahre Gesinnung ihrer guten Freundin Jeanne seitdem belehrt, und das geschah schon im Herbst, zur gleichen Zeit, als die beiden guten Freundinnen das Loch in die Wand bohrten. Jetzt kam es nur noch darauf an, wie gefährlich die Protestantin werden konnte, und das zeigte sich zuerst im Januar, als sie ganz offen nach Paris fuhr, um den Eifer ihrer Religionsgenossen zu beleben und sie aufzuwiegeln. Katharina hatte ihnen erlaubt, öffentlich zu predigen, und sofort mißbrauchte die Königin von Navarra die erlaubten Freiheiten. Katharina schwieg und behielt Jeanne als Vertraute; ihre Art war, die Dinge von selbst zum Ende treiben zu lassen. Auch als dieses ihr erreicht schien, trat sie nicht persönlich hervor; vielmehr übergab der arme Antoine ihre Befehle, wobei er glaubte, es seien seine eigenen. Jeanne sollte den Hof verlassen, und das Härteste war: ohne ihren Sohn.

Der Vater behielt Henri zurück, damit er dem Einfluß der Mutter entzogen und ein guter Katholik würde. Vor noch nicht zwei Jahren hatte derselbe Vater ihn zu einem guten Hugenotten machen wollen. Henri erinnerte sich dessen wohl; aber wenn er gewagt hätte, es auszusprechen, wäre er zu sehr erschrocken — über den Vater, über sich selbst. Er fühlte schon jetzt, daß es im Leben stärkere Beweggründe geben müßte als die einfache Aufrichtigkeit. Als seine Mutter Jeanne von ihm Abschied nahm, weinte er — ach, hätte sie gewußt, über was alles! Sie tat ihm leid; so sehr bedauerte er sich selbst nicht. Immer war sie sein höchster Glaube gewesen, zuerst Jeanne und erst dann die Religion.

Jetzt schluchzte sie, küßte ihn, hatte die Erlaubnis nur noch dies eine Mal, und dann mußte sie fort, wohin ihre Feinde sie schickten, er aber kam gegen ihren Willen in eine katholische Schule. Sie faßte sich zwar, um ihn streng und drohend zu ermahnen, daß er niemals zur Messe gehen dürfte, sonst würde sie ihn enterben. Er versprach es ihr auch, weinte aus dem Herzen und war zu allem Guten entschlossen — aber nicht, weil er es für das Sicherste hielt: das war schon hier vorbei. Seine liebe Mutter ging in die Verbannung für die wahre Religion. Sein Vater verleugnete die Religion, auch er tat gewiß, was er mußte. Seine Eltern liebten einander nicht mehr, sie waren Gegner, kämpften jeder um ihn, und das alles war nicht einfach, er fühlte es. Hätte Madame Catherine wirklich den Buckel und die Klauen gehabt, auch rote Augen und eine triefende Nase, dann wäre das Ganze noch zu verstehen gewesen. So aber stand ein kleiner Knabe allein vor der unsicheren, unerklärlichen Welt, und er selbst sollte nächstens den Fuß darauf setzen!

Er kam in das „Collegium Navarra“, die vornehmste Schule von Paris, auch der Bruder des Königs, der Monsieur genannt wurde, und ein gleichalteriger Guise besuchten sie. Beide hießen mit Vornamen wie der Prinz von Navarra, zusammen waren sie „die drei Henris“.

„Ich war wieder nicht in der Messe“, sagte der Prinz von Navarra voll Stolz zu den beiden anderen, als sie allein einander trafen.

„Du hattest dich versteckt.“

„Erzählen sie das? Dann lügen sie. Ich habe ihnen laut meine Meinung gesagt, und sie haben sich vor mir gefürchtet.“