Liliane und Paul - Heinrich Mann - E-Book

Liliane und Paul E-Book

Heinrich Mann

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Beschreibung

Die burschikose Theaterschauspielerin Liliane angelt sich den erst 17-jährigen Paul; verliebt vertreiben sie sich die Nächte und genießen ein süßen Leben. Als sie eines Abends am Spieltisch ihr letztes Geld verlieren, machen sie die Bekanntschaft eines alten Mannes.

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Seitenzahl: 87

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Liliane und Paul

HEINRICH MANN

Liliane und Paul

Novelle

1. Auflage 2025

ISBN 978-3-911717-04-5

Dromedar Verlag UG (haftungsbeschränkt)

Hanauer Landstraße 204, 60314 Frankfurt am Main

https://dromedar-verlag.de/

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese

Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie;

detaillierte bibliographische Daten sind abrufbar über:

https://www.dnb.de/

Textvorlage für diese Ausgabe ist

›Liliane und Paul‹, 1. bis 10. Tausend,

Paul Zsolnay Verlag,

Berlin, Wien, Leipzig, 1926.

Das Buch

Die burschikose Theaterschauspielerin Liliane angelt sich den erst 17-jährigen Paul; verliebt vertreiben sie sich die Nächte und genießen ein süßen Leben. Als sie eines Abends am Spieltisch ihr letztes Geld verlieren, machen sie die Bekanntschaft eines alten Mannes.

Über den Autor

»Mit fünfundzwanzig Jahren sagte ich mir: Es ist notwendig, soziale Zeitromane zu schreiben. Diese deutsche Gesellschaft kennt sich selbst nicht. Sie zerfällt in Schichten, die einander unbekannt sind, und die führende Klasse verschwimmt hinter Wolken.«

Luiz Heinrich Mann, geboren 1871, wuchs in großbürgerlichen Verhältnissen auf, sein Vater Thomas Johann Heinrich Mann war Kaufmann, Reeder, Konsul und Senator, seine Mutter Julia da Silva-Bruns war die Tochter eines nach Brasilien ausgewanderten Kaufmanns. Ab 1894 veröffentlichte er zum Teil gesellschaftskritische Literatur; bekannt wurde er vor allem durch die Romane ›Professor Unrat‹ (1905) und ›Der Untertan‹ (1918).

Mann engagierte sich für Republik und Demokratie, betrieb Kulturpolitik und wurde 1931 Präsident der Sektion Dichtkunst der Preußischen Akademie der Künste. — Im Februar 1933 wurde er aus der Preußischen Akademie der Künste ausgeschlossen, seine Werke wurden öffentlich verbrannt und aus Bibliotheken und Büchereien entfernt, im August 1933 wurde er ausgebürgert. Mann emigrierte zunächst nach Frankreich, dann in die USA, wo er fast mittellos in Los Angeles und Santa Monica lebte, teils mit Unterstützung durch seinen Bruder Thomas. 1949 wurde er in der neu gegründeten DDR zum Präsidenten der Akademie der Künste gewählt, starb aber im März 1950 im US-amerikanischen Exil in Santa Monica.

Liliane und Paul

Die süße Liliane war noch kindlich jung, aber immerhin schon bekannt beim Metropol-Theater, den Bouffes und an ähnlichen, beträchtlich voneinander entfernten Stätten. Sie wechselte oft und gern das Land. Sie liebte die Außenseite der zivilisierten Welt, ganz gleich wo. Um das Innere sich zu kümmern, hatte sie noch keinen Anlaß gehabt. Ihre Erlebnisse blieben mit Vergnügen an der Oberfläche.

Vor allem durfte es keine versperrten Landesgrenzen geben, das konnte sie aufregen. Wozu ist eine Frau da, wenn man ihr künstlich Hindernisse in den Weg legt! Die Welt gehörte ihr, und wo sie hinkam, war sie erwartet. So fühlte die süße Liliane.

Sie war unbestreitbar ohne nationale Vorurteile. Aber auch soziale beengten sie nicht. Sogar Armut ertrug sie einige Wochen, wenn ein begabter junger Kollege vom Theater sie mit ihr teilte. Nur ihren Schmuck gab sie während dieser unberechneten Zeit einer Bank in Verwahrung.

Nizza war kein Ort, wo man heutzutage ernste Bekanntschaften machte. Was die älteren Kameradinnen erzählten, gab es nicht. Hatten russische Fürsten einmal gelebt? Dann waren sie wahrscheinlich ausgestorben wie die Heiligen und die Märtyrer. In Nizza ward jetzt alltägliche Arbeit getan oder bescheiden privatisiert. Dennoch zog es die süße Liliane mehrmals hierher, als sei ihr hier was Wunder bestimmt.

Leider kam nichts. Es war zu erklärlich, daß nichts kam. Andererseits schien die Welt groß genug, von wer weiß woher konnte wohl einmal ein Schiff eintreffen . . . Denn dieses blaue Meer hatte die Kraft, Liliane immer wieder von einer weißen Jacht träumen zu lassen. Zuerst sah die Jacht noch wie der Schaum aus, bald bekam sie aber Wände und ein Verdeck. Ja, auch die Flagge ward sichtbar, es war jedesmal eine andere. Sogleich sollte die schöne Jacht das Gestade erreichen. Schon bog sie um die Ecke in den Hafen. Da erwachte die Träumerin — und fand sich seufzend wieder zurecht unter dem vorwiegend billigen Publikum der großartigen Strandpromenade. Die hatte nach Aussage der Alten einst schöneren, reicheren Menschen gedient. Aber war das nicht auch nur Prahlerei?

Jachten gab es nicht, Liliane hatte in Theaterstücken von ihnen gehört, und ihr Auge erschuf sie. Es gab nur Autos. Die kamen reichlich an; aber wer ausstieg, stieg alsbald wieder ein. Man konnte allenfalls mitfahren, aber womöglich setzten sie Liliane dann weit fort irgendwo ab, wo sie nichts zu tun hatte. Das war ihr schon begegnet. Dann lieber noch warten, umhüllt von blauer Luft.

Als sie dieses Mal in das gewohnte Nizza zurückkehrte, hatte sie unterwegs geheiratet und sich wieder scheiden lassen. So berichtete sie wenigstens, ohne daß darum jede es gleich glaubte. Sicher schien nur, daß sie stärker geworden war — eine Spur, aber geschulten Blicken entging es nicht. Sie erklärte das Unglück damit, daß ihr Gatte an der Bühne, wo sie spielte, Kapellmeister gewesen sei. Das hatte ihr nicht gutgetan, der Mann in demselben Haus und noch dazu ein böhmischer Kapellmeister, der viel aß. »Er war dumm. Aber ich habe mich wenigstens ausgeruht.«

Obwohl sie jetzt ein wenig stärker war, hatte sie einen Gang wie die Schlankste. Wer so ging, war seiner Sache sicher. Allnächtlich erschien sie in den Tanzbars. Man bemerkte sie schon, wenn sie noch vorn beim Büfett war. Zwischen den ausblickenden Tischen trug sie ihre stolze Gestalt herbei, indes die Musik spielte. Die nackten Arme glänzten hellbraun. Jeder Schritt der schmalen Füße sprach mit klappenden Stöckeln: da bin ich. Im zurückgeworfenen Kopf die Augen, die sich langsam bewegten, forderten den Mut des Mannes heraus. Den Kavalieren und Konsumenten schlug das Herz, so mitleidslos waren Blick und Tritt. Die Kameradinnen fühlten: auch wir sind einzig auf uns gestellt. Man kann den Mut verlieren, die Gesundheit, die Jugendkraft. Wegwerfen kann man sogar sich selbst. Jeder Tag ist ein Ringkampf.

Dieselbe Liliane aber, die allen so großartig den Ernst des Lebens vorführte, was tat sie? Sie las einen Neger auf. Er war hergerichtet wie der feinste Mann, und dazu die Fresse! Sie behielt ihn, es gab kein Zögern. Die Truppe, in der er getanzt hatte, zog weiter, ohne ihn wiedergesehen zu haben. Er blieb eingesperrt in ihrem Hotelzimmer, den Schlüssel trug sie bei sich.

Kurzum, sie machte sich unmöglich. Eine Frau, von der man sagte: sie hat zu Haus einen Neger! Es war zu interessant. Es schreckte ab. Neu eingetroffenen Bewerbern verschwieg sie den Neger. Aber auch diese wurden von den Kameradinnen aufgeklärt und gewarnt.

Da hält kein Erfolg stand. Schon schrumpfte ihr Schmuck ein. Es ward Zeit, daß etwas geschah. Sie ließ sich an das Theater des Strandpalais engagieren, für die Rolle der »großen Trommel« in einer glänzenden Revue. Ihre Formen befähigten sie für die Rolle. Aber auch dies Mittel schlug fehl. Abend für Abend verfügte sie sich nach dem maurischen Palais, das über dem dunkelblauen Meer schwebt; und aus der strahlenden Bühne, zu der aus dunkler Tiefe die sanften Wellen hinausbegehren, verneigte sie sich, damit eine andere, soldatisch gekleidete Frau rückwärts auf ihr Wirbel schlage. Umsonst. »Ich bin in einer Unglücksserie.« Endlich aber bekam sie doch die Karte eines Herrn, der seine ernsten Absichten durch das Beigelegte sofort beglaubigte.

Als sie ihn ansah, stutzte sie kurz, beruhigte sich aber dann. Warum nicht auch ein Siebzehnjähriger? Er war aufgeschossen und unfertig, so schmal wie ein bleichsüchtiges Mädchen. Sie selbst würde neben ihm nicht gewinnen. Auf dem schmalen, blassen Kopf ein breiter Seidenhut, — der Junge nahm ihn ab: wie blickt er? Grau und klar, wie Frauen, aus Augen, geschnitten und gestellt wie bei Frauen. Dabei trägt er einen Siegelring wie ein Familiensohn und weiß nicht, was mit sich anfangen . . . »Wohin führen Sie mich?« fragte sie; worauf es sich zeigte, daß er nichts hier kannte und soeben ankam. Sie war die erste, die er gesehen hatte! »Und hier fehlt’s nicht an Frauen«, sagte sie herausfordernd. Aber der Junge vergab sich nichts durch Komplimente. Er spielte den vornehmen Gönner.

So blieb er erstaunlicher Weise auch dann noch, als er schon längst ihr Freund war. Das war noch nicht da, ein Siebzehnjähriger, der sich jeden Augenblick in der Gewalt hatte. Geld? So viel du willst, Liebe? Immer. Aber sobald du ihm noch anders nahe kommen möchtest, ein Eisblock. Man will doch etwas wissen voneinander. Sie sagte ihm von sich, so viel als nur irgend vernünftig war zu sagen, und einige Male mehr. Er aber verriet weder, woher er kam, noch ob er eine Mutter hatte. Er konnte doch oft das reine Kind sein, hierin aber zeigte er die Hartnäckigkeit eines alten Geschäftsmannes. Seine grauen Augen dachten verstockt: »Von mir bekommt keiner etwas.« Sie wieder dachte: »Wie es dir gefällt, mein Äffchen. Ich halte mich an meinen Neger.«

Denn trübsinnig und dick geworden saß noch immer in ihrem früheren Hotelzimmer der Neger und erwartete sie. Warum ließ sie ihn denn die ganze Zeit vergebens warten? Sie hätte sich ihn holen können in das Luxushotel, wo sie jetzt wohnte. Statt dessen hatte sie ihn einfach freigegeben. Er machte sich nur darum nicht aus dem Staube, weil er hoffte, sie würde sich wieder auf ihn besinnen, und auch weil er kein Engagement mehr fand.

Sie ärgerte sich über sich selbst und ging doch immer nur zu dem Jungen, auch wenn er sie nicht rief. Bei seiner Arbeit brauchte er sie nicht. Sie fühlte, sie komme ihm unerwünscht. Auch langweilte er sie; stundenlang war sein Kopf in den Wolken. Gleichwohl durfte sie nie versäumen, mit anzusehn, welchen Unsinn er trieb. Woher dies? Sie begriff sich nicht. Würde sie, die süße Liliane, früher von irgend jemand sich haben langweilen lassen?

Sie ging in das stille Haus, worin ihr Junge wohnte. Er saß am Tisch und schrieb Musik. Paul! schrie ihr Herz auf, sie selbst aber drückte sich lautlos in die Ecke.

Das erstemal hatte sie noch verlangt, daß er das Geschriebene ihr vorsinge. Ihr kurzfristiger Gatte pflegte es ganz von selbst zu tun. Dieser aber war ein anderer Typ, ihm schmeichelte es nicht; geringschätzig und höflich forderte er sie auf, sich ruhig zu verhalten. So saß sie nun in ihrer Ecke, mit Angstgefühl in der Magengrube. Was würde sie heute wieder antworten, wenn er endlich nach ihren Wünschen fragte? Sie würde zwei Hüte verlangen statt des einen, der sie herführte.

Das hatte er dann davon . . . Aber je länger, umso unausweichlicher ward die Wahrheit. Sie kam nicht wegen des einen Hutes, noch wegen der zwei; sie kam nur zu dem Jungen. Ihr Herz rang um den Aufschrei nach ihm — und lallte nur, wie in der Narkose. Es war betäubt und träumte. Sie selbst stand auf, wie eine Nachtwandlerin, nun er sie fortschickte. Nach all dem Warten schickte er sie einfach fort. »Ich hätte nie geahnt, daß ich einen jungen Menschen aus gutem Hause je lieben würde«, dachte sie nur.