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Das Schöne am Segeln ist, dass sich die Planung meist als wenig nützlich erweist. (Dom Degnon, Autor von Sails Full and By) Keiner der sechs Teilnehmer an Bord einer hochseetauglichen Segelyacht rechnete auf diesem Urlaubstörn durch das Ligurische Archipel mit einer Planabweichung. Das Charterbüro war bekannt für seine Sorgfalt, die angebotenen Yachten entsprachen einem hohen Qualitätsstandard und den mitgebuchten Skipper konnte man bedenkenlos als erfahrenen Seebären bezeichnen. Die einzige Überraschung könnte noch das Wetter bieten, so war die einhellige Meinung der Crew, aber sie hatte sich getäuscht. Das erwartete Champagnersegeln entwickelte sich zu einem Horrortrip.
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Seitenzahl: 191
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Ich danke meiner Frau
Thorina
für alles
Für unsere Kinder
Danke, dass ihr mit an Bord wart
„Das Schöne am Segeln ist, dass sich die Planung meist als wenig nützlich erweist.“
Dom Degnon, Autor von `SAILS FULL and BY`
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Über den Autor
Weitere Informationen
Die Augen des italienischen Obstbauern wechselten ständig zwischen dem Paar, das ihm im Zug gegenübersaß, hin und her. Er hielt einen riesigen Obstkorb gefüllt mit frischen Äpfeln mit beiden Händen fest. Er lächelte leicht, was seine tiefen Falten noch schärfer erscheinen ließ. Der in Italien bei vielen Männern übliche Schnurrbart saß sorgfältig gestutzt auf seiner Oberlippe. Nur die Augenbrauen führten ein wildes Eigenleben. Auf dem Kopf trug er eine graue Schiebermütze aus Filz, die perfekt seinen Schädel bedeckte. Nur wenige wirr hervorstehende ebenso graue Haare stauchten sich in seinem Hemdkragen. Er wirkte, als wollte er endlich die Ruhe beenden, ein Gespräch beginnen, suchte aber noch den angemessenen Weg. Der Obstbauer blickte vorsichtig auf die neben ihm sitzende Frau, die ebenso wie er, eher alt, grau und in sich gekehrt schlafend, kein Interesse an den Insassen des Zugabteils, zeigte. Sie lächelte ab und zu als freute sie sich, wenn sie bei jeder Schwelle leicht im Takt des Waggons wippte, wie alle anderen auch, ohne sich dagegen durch Haltung oder Spannung zu wehren.
Am Fenster flog die Toskana vorbei. Pisa lag längst hinter ihnen, die nächste Station sollte mit Piombino ihr nächster Halt sein. Dort, im Yachthafen von Piombino, in der Rio Marina, wollte er seine Äpfel verkaufen.
Das Paar ihm gegenüber hielt er für Touristen. Der etwa 50jährige Mann trug Segelschuhe, eine leichte Hose mit auffällig vielen ausgebeulten Taschen und eine leichte Windjacke. Sein Gesicht zeigte ein leicht angespanntes Lächeln, vielleicht gepaart mit ein wenig Hochmut. Auf dem Kopf trug er eine dieser Baseball Caps, die fast alle Männerköpfe der westlichen Welt bedeckten und mit der Vorstellung getragen wurden, sich damit mindestens zehn Jahre jünger und sportlicher zu fühlen.
Was für eine alberne Hutmode, dachte der Bauer und strich fast liebevoll mit einer Hand über seinen uralten Filzdeckel. Ein 50-Jähriger, der sich mit der Garderobe eines 20-Jährigen zeigte, war wie ein verbeultes Auto, das neu lackiert worden war. Aber es blieb doch ein altes Auto.
Der Mann sah nun liebevoll seine Begleiterin an und flüsterte etwas in ihr Ohr. Als Strategieberater war seine Devise: ´Sag mir deine Ziele und ich sage dir, wie du sie erreichst´. Er half Wunschzustände Wirklichkeit werden zu lassen, auch seine eigenen. Die junge Frau, etwa in den Zwanzigern, schlank, lang, der Körper wie die Haare, auffallend attraktiv, in der Tasche hatte sie ihre frisch erteilte Approbation, die sie berechtigte, in Deutschland als Ärztin zu arbeiten, strahlte daraufhin den Bauern an. Er lächelte freundlich zurück und fand nun den Mut, eine Frage zu stellen.
„Sei un turista?“
„Ja, wir sind Touristen, sprechen aber leider kein italienisch - non parliamo italia“! Die junge Frau hob bedauernd ihre Schultern. Der Bauer sah jetzt, dass sie einen winzigen Sprachführer ´Deutsch - Italienisch´ in der Hand hielt, in dem sie nun fieberhaft blätterte.
„Oh, vieni dalla Germania!“
„Si, Germania! Do you speak English?“
„No, no, no!“ Er weckte nun seine Nachbarin, indem er nicht wirklich vorsichtig mit dem Ellenbogen in ihre Hüfte stieß. Sie öffnete erschrocken ihre Augen, orientierte sich kurz und fing sofort ein intensives Gespräch mit dem Apfelbauern an, ohne ihr Gegenüber zu beachten.
Die Touristen verfolgen interessiert das äußerst lebendige Gespräch der Beiden, ein ständig lauter werdendes Wortgemetzel, in das besonders die Arme und Hände mit einbezogen wurden. Plötzlich waren beide stumm und guckten das Touristenpaar fragend an.
„Non parli …!“ versuchte die junge Frau noch einmal auf ihre wenigen Sprachkenntnisse hinzuweisen.
„Si, si, si, lo so.“ Das alte Paar versuchte trotzdem weiterhin Dinge mitzuteilen, erklärte ihnen irgendetwas, zeigte ständig mit den Händen in unterschiedliche Richtungen, ja, der Obstbauer schien mit den Händen mehr zu sprechen als mit dem Mund, aber trotzdem verstanden die beiden nur wenig. Die Atmosphäre war plötzlich locker und gelöst. Alle nickten und lachten, bis die alte Frau plötzlich ohne Kommentar aufstand, ihre Sachen zusammensuchte, ein kurzes Arrivederci von sich gab, ein ogni bene - alle Gute - über die Schulter zurückwarf und zügig das Abteil verließ.
Nun bemerkten auch die anderen erst, dass der Zug angehalten hatte. Fritz und Conny waren verblüfft. Sie glaubten aufgrund der Vertraulichkeit und der intensiven Unterhaltung der beiden, ein Ehepaar vor sich gehabt zu haben. So eine fast vertrauliche Entspanntheit zwischen Fremden hatten sie in einem deutschen Eisenbahnabteil bisher nicht erlebt.
„Pomo?“ Im Abteil war es wieder ruhig geworden, nachdem der Zug seine Fahrt fortgesetzt hatte. Der Obstbauer hielt beiden einen seiner Äpfel hin und strahlte vor Freude, als diese mit einem breiten Lächeln angenommen wurden.
„Pomo bene, dolce, mele tedesche acido - deutsche Äpfel sind sauer!“ Er verzog gespielt angeekelt sein Gesicht.
„Si, grazie!“ Die junge Frau klappte ihren Sprachführer zu und zeigte auf ihre Taschen und dann zur Tür, um deutlich zu machen, dass auch sie nun aussteigen werden.
„Mio padre!“ Sie zeigte beim Aussteigen auf ihren Vater. Es war ihr wichtig, dass sie der alte Mann nicht für eine Studentin hält, die mit ihrem Sugardaddy Urlaub machte. Der Alte atmete auf, strahlte und hob beim Aussteigen seinen Daumen.
Auf dem Bahnhof trennten sich ihre Wege. Nach etwa zwei Stunden Flug und zweieinhalb Stunden Bahnfahrt, legten die beiden Reisenden müde, aber das italienische Flair und die hochstehende Sonne genießend, den Rest des Weges zu Fuß zurück.
Der Yachthafen Rio Marina war schnell erreicht. Die Ankunft der Fähre, die sie nach Portoferraio, Elba, bringen sollte, würde sich noch mindestens zwei Stunden hinziehen. So konnten sie in aller Ruhe, ja fast mit südländischer Gelassenheit, die Spuren des Unwetters betrachten, welches eine Woche vor ihrer Ankunft ganze Landstriche verwüstet hatte. Tornados und Extrem-Regenfälle, wahrscheinlich die in dieser Wetterzone oft vorkommende Tramontana Noir, hatten viele Yachthäfen und deren Infrastruktur zerstört. Die Boote und Yachten lagen verstreut und teilweise zertrümmert auf dem Trockenen. Auf Elba, ihrem Zielort, soll der Sturm noch verheerender gewütet haben. Über ihren Zielhafen Portoferraio hatten sie nichts in Erfahrung bringen können. Es war somit gar nicht sicher, ob sie die Segelreise mit weiteren sechs Personen überhaupt antreten könnten.
Fritz und seine Tochter setzten sich am Fährhafen in ein Café und freuten sich, endlich den Flug und die Zugreise hinter sich zu haben, wobei die Zugreise eigentlich durch den Kontakt mit den Einheimischen sehr vergnüglich und eine angenehme Abwechslung für sie gewesen war.
„Was meinst du, weshalb die Italiener so lebensfroh sind? Die beiden Alten waren offensichtlich nicht mit Wohlstand gesegnet und hatten doch genug Lebensfreude für uns vier!“ Conny sah ihren Vater fragend an.
„Ich weiß es auch nicht, aber auffällig ist immer wieder, dass Wohlstand satt und ängstlich macht, also sucht man wohl mehr Wohlstand, um die Angst zu verlieren. Wahrscheinlich eine ständige Hase- und Igel-Geschichte, anders lässt sich die Sucht nach Reichtum wohl nicht erklären. Wer viel oder auch nur etwas hat, muss sich um viel oder das Wenige sorgen und kann viel verlieren. Misstrauen ist dann ein natürliches Mittel, um sich vor dem vermeintlich Bösen zu schützen. Einfach in den Tag hineinleben kannst du nur, wenn du unabhängig und frei bist und wenn dir egal ist, was die Leute über dich denken. Aber ist das Glück? Ich glaube Glück ist das, was die Deutschen ständig suchen, also nicht haben. Vielleicht macht sie das unglücklich! Die Italiener haben ihr Glück in sich, im Wetter, in der Familie und sonst wo gefunden. Sie sind einfach zufrieden mit sich!“
„Ich glaube, den Deutschen geht nicht nur das Wetter auf den Geist, sondern auch das Leben in einem Regelkorsett, das zwar viele Vorteile mit sich bringt, aber auch Freiheiten und die Kreativität erstickt! Ich spürte es am Gymnasium und auch später an der Uni. Klassensysteme beschränken und verhindern eine freie Entwicklung. Wenn Glück die totale Zufriedenheit ist, dann muss man den Schülern und Studenten auch die Möglichkeiten geben, diese zu erreichen, indem individueller unterstützt und geholfen wird. Das braucht aber nicht nur Lehrkräfte und Professoren, die sich der Wissensvermittlung hingeben, sondern auch neue Lehr- und Lernmethoden. Davon sind wir in Deutschland leider noch weit entfernt!“
„Auf jeden Fall hatten wir Glück, dass unser Billigflieger den Zielflughafen gefunden hat!“ Fritz schlug sich vor Freude mit der flachen Hand auf seine Oberschenkel, denn der Flug von Hamburg-Lübeck nach Pisa war aus vielerlei Hinsicht ein einziges Grauen, welches auch der Preis eines Billigtickets nicht kompensierte. Das No-Frills-Konzept der Fluglinie, das man ohne Übertreibung als Kein-Schnickschnack-Konzept übersetzen könnte, und Kosteneinsparungen sichern sollte, sorgte dafür, dass die Bestuhlung enger als normal war, die Rückenlehnen nicht bedienbar waren, ein In-Flight-Entertainment nicht vorhanden war, Lebensmittel, auch Getränke, Geld kosteten, der Hintern schwitzend auf Kunstleder sein Leben fristete und nur soviel getankt wurde, wie es der Normalflug verlangte. Notlandungen sollen aus diesem Grunde schon vorgekommen sein. Aber der negative Höhepunkt war, da waren sich beide einig, die 25-minütige sogenannte Turn-Over-Zeit, also die Zeit zwischen Landung und Abflug, die für das Ent- und Beladen der Passagiere und deren Gepäck mit dem vorhandenen Personal der Luftlinie kaum machbar war. Hier gab es noch Verbesserungspotential, meinten beide grinsend und scherzten, dass das Bodenpersonal auch noch mit Peitschen ausgerüstet werden könnte, um jegliche Zeitverzüge zu unterbinden.
An der Kaimauer sahen sie erneut den Apfelbauern, wie er seine Ware den Herumstehenden anbot. Sein Korb war nach wie vor üppig gefüllt. Das Geschäft lief scheinbar nicht gut. Er sprach gerade mit zwei gut gekleideten Männern, die nach ihrer Meinung auffallend intensiv auf ihn einredeten. Plötzlich zeigte er zu ihrem Café, und beide Männer drehten ihre Köpfe, um dem Finger zu folgen.
„Warten Sie auch auf die Moby Love?“ Ein Mann, wie Fritz und viele andere Mittfünfziger, bisschen zu dick für ihr Alter, spontan sympathisch, leicht rosiges Gesicht, trotzdem sportlich, nautisch gekleidet, volles lockiges, dunkles Haar, auf der Nase eine neue Ray Ban Sonnenbrille, die fast die Hälfte seines glatt rasierten Gesichts abdeckte, sprach beide freundlich lächelnd an.
„Wir, also meine Tochter und ich, warten auf die Fähre nach Portoferraio, warum fragen Sie?“ Er hatte seine Begleitung ausdrücklich als seine Tochter vorgestellt. So gab es keine merkwürdigen Blicke, weder von ihr noch von ihm.
„Auf die warte ich auch. Dann haben Sie wahrscheinlich auch den Segeltörn ´Eine Woche durch das Toskanische Archipel´ gebucht, oder?“
„Ja, das ist richtig“. Beide sahen sich überrascht an.
„Ich heiße Christoph, freue mich euch kennenzulernen, willkommen im Team, segelt ihr schon länger?“
„Fritz und Conny.“ Er zeigt auf sich und seine Tochter. „Ja, aber bisher nur auf der Ostsee. Dort kennen wir mittlerweile so viele Häfen und diese uns, dass wir gefühlt jedes Jahr von einem Zuhause zum anderen segeln. Wir wollten einmal etwas anderes sehen und mit anderen Seglern neue Erfahrungen machen, unsere Kenntnisse erweitern und einfach nur mitsegeln, ohne ständig verantwortungsvoll auf Wetter und Sicht achten zu müssen. Wir waren noch nie gemeinsam mit Dritten, also mit Fremden, Yachtsegeln. Schon gar nicht auf dem Mittelmeer - und als Anfang schien uns der Inselbereich vor dem italienischen Festland ein einfaches Revier, ein Leichtwindrevier, sagte uns der Vercharterer. Manchmal so leicht, dass auch lange Flauten nicht ausgeschlossen sein sollen. Hoffentlich bleibt das Wetter stabil so wie es ist - leichter Wind und blauer Himmel. Die letzte Woche war ja der reinste Horror.“ Er schloss seine ungewöhnlich lange Rede mit bedenklich nach vorn geschobenen Lippen.
Seine Tochter lächelte über sein Duckface, dass er immer dann gern aufsetzte, wenn seine Gedankengänge auch nach dem Sprechen noch weiterliefen.
„Der Wetterbericht sagt ruhiges Wetter voraus.“, schaltete sie sich beruhigend ein. Die beiden nickten und blickten neugierig auf Christoph. Als dieser nicht antwortete ergänzte Fritz:
„Wir kommen aus Hamburg und sind eigentlich Nass- und Sturmphasen gewohnt, aber die Yachten sollten schon im Wasser bleiben und nicht ihr vertrautes Element verlassen, so wie hier letzte Woche.“ Er versuchte Ruhe in die Gedanken zu bringen und keine Zweifel aufkommen zu lassen, auch nicht bei sich. Lächelnd sah er Christoph an. „Woher kommst du, wenn ich fragen darf?“
„Schön, dass ihr nicht meine bayerische Heimat heraushört. Mein bisheriges Leben fand bisher wasserfern und baumnah statt. Ich habe einen kleinen Hof mit Sägewerk in Schrottenbaummühle, das ist nördlich von Passau in Bayern. Das kennt man nur, wenn man dort geboren wurde. Im letzten Winter habe ich die theoretische Prüfung für den BR-Schein erfolgreich in Passau bestanden. Ich will jetzt an Bord, weil ich meine praktische Prüfung ablegen möchte.“ Zufrieden sieht er in die erstaunten Gesichter von Fritz zu Conny und zurück. „Ich kann euch die Betätigung zeigen!“, ergänzte er stolz und griff erst ruhig und dann immer aufgeregter in seine Segeltasche, um dann unkontrolliert und fahrig in ihr herum zu wühlen. Fritz und Conny schauten sich irritiert an.
„Können wir dir helfen, ist alles in Ordnung?“ Fritz redete beruhigend auf Christoph ein. Der sah sich nur suchend um, als würde er seinen gerade gegangenen Weg mit den Augen zurückgehen. Seine anfängliche Ruhe war wie weggeblasen, leichter Schweiß bildete sich auf seiner Stirn. Hektisch fummelte er sich durch sämtliche Taschen seiner Jacke und Hose, um abschließend einfach die ganze Tasche auf den Fliesen des Cafés auszukippen.
„Meine Papiere sind weg. Ich vermisse meine Papiere, meine Ausweise! Auch die Liste der Teilnehmer. Ich habe sie mir extra vorab schicken lassen, aber ich finde nichts wieder. Nur meine Klamotten sind noch da, verflucht!“ Mit weit aufgerissenen Augen sah er beide an. „Ich glaube, ich weiß, wer die Papiere hat!“ Schnell griff er seine Tasche, stopfte alle Kleidungsstücke wieder hinein und verschwand mit ihr eilig in die Richtung aus der er gekommen war.
Fritz und Conny sahen sich achselzuckend an. „Lass uns ein wenig an den Anlegern entlanggehen, bevor uns die Beine einschlafen.“ Sie schnappten sich ihre Taschen und marschierten zur betonierten Kaimauer.
„Das Wasser erinnert mich an unseren letzten Törn auf der Ostsee. Ruhig und einladend, als gäbe es weder Stürme noch Orkane.“
Conny betrachtete interessiert den blauen Himmel, der harmlos und wolkenfrei auf eine schöne Spätsommerwoche hoffen ließ. „Ob hier auch unsere Wetterregeln gelten?“
„Welche meinst du?“ Fritz schaute neugierig zu seiner Tochter.
„Donnert´s im September, gibt es Schnee im Dezember, oder …!“
„Ich glaube, man sollte sich in Italien nicht auf unsere Wetterregeln verlassen.“, unterbricht Fritz lächelnd seine Tochter. „Besser ist es, die Einheimischen zu beobachten, oder noch besser, sie zu befragen.“
„Stürmt es im August, gibt es weder Wein noch Most.“ Alte Bauernregel aus dem Freiburger Raum!“, ergänzt Conny grinsend. Sie hatte an der medizinischen Fakultät der Universität Freiburg nicht nur studiert, sondern während der Zeit der Weinlesen, die für alle Studenten eine gute Gelegenheit war, das Taschengeld aufzubessern, viele Bauernregeln aufgeschnappt, die von den Weinbauern sehr ernst genommen wurden, da sie wie ein Messgerät den Erfolg oder Misserfolg der jährlichen Bemühungen voraussagen.
„Tatsächlich?“ Fritz schaute seine Tochter beeindruckt an. „Unser Skipper soll sich auch sehr gut auf dem Mittelmeer auskennen. Wie heißt er noch …?“
„´Cashew´, wie die Nuss. Wahrscheinlich bringt er davon einige Kilos mit an Bord. Woher sollte er sonst diesen Spitznamen haben.“
„Wenn er gern Cashews ist, wird er wahrscheinlich selber auch viel Gewicht an Bord bringen. Cashews sind übrigens botanisch gesehen Steinfrüchte und zählen zum Schalenobst und bestehen zu mehr als 50 % aus Fett und Kohlehydraten, soviel ich weiß.“
Seine Tochter schwankte nach solchen ungewollt belehrenden Aussagen immer zwischen Bewunderung und Belustigung. Sie wusste das Wissen ihres Vaters zu schätzen, war aber trotzdem oft wegen seiner Besserwisserei genervt.
„Also, Cashew wird sich schon mit Wetter und Winden auskennen, besonders mit der Tramontana, die hier häufig vorkommen soll und aus den Bergen kommend gern überfallartig Richtung Elba zieht. Die ist oft böig und kalt. Vielleicht erwischt uns auch mal der warme Schirokko aus der Sahara, oder der heftige Mistral im Westen, aber soweit westlich werden wir wohl nicht segeln. Eigentlich hoffe ich, dass wir mehr segeln als motoren werden. Wir genießen hier gerade die Ruhe nach dem Sturm - wird schon alles klappen!“ Für Fritz ist das Glas immer mindestens halb voll, es sei denn, es war Bier im Glas, dann ist es immer leer.
Aus der Ferne hörten sie leise den Klang einer klassischen Gitarre. Langsam näherten sie sich der Musik. Ein Straßenmusikant spielte ´Erinnerungen an die Alhambra´, ein Meisterwerk des Spaniers Francisco Tárrega, das hier ohne große Bühne von einem jungen Gitarristen locker und fehlerfrei zelebriert wurde. Vor ihm lag ein Hut, eine Melone, die sich schnell mit Geld füllte.
„Wenn ich das höre, würde ich am liebsten meine Gitarren verschenken.“ Fritz spielte in seiner Freizeit in einer Coverband Rock ´n´ Roll und freute sich, die Riffs von Chuck Berry ausreichend perfekt spielen zu können, aber so etwas… Bewundernd verfolgte er die flinken Finger wie sie sicher und gefühlvoll die richtigen Stellen der Saiten trafen.
„Er ist sicherlich ein Musikstudent, der sich hier sein Studium finanziert. Wir werden ihn wahrscheinlich in gar nicht langer Zeit auf den großen Bühnen der Welt sehen und hören.“ Fritz warf einen weiteren Geldschein in den Hut und freute sich über das dankbare Nicken und die musikalische Entführung in die Alhambra, in die bedeutende Stadtburg von Granada, obwohl ´Sailing´ von den Sutherland Bros, später von Rod Stewart zum Welthit gemacht, inhaltlich besser zu ihrer Situation gepasst hätte.
Das Büro des Vercharterers lag zwischen vielen anderen in einem eher hässlichen Flachbau in der Nähe des Hafens von Portoferraio auf der Nordseite der Insel Elba. So ruhig das Wetter und die See waren, so turbulent ging es innerhalb des Gebäudes zu. Es wurden für heute sieben neue Segelgäste erwartet, alle aus Deutschland. Die Erfahrung hatte gezeigt, dass aus unterschiedlichsten Gründen hier und da einige Gäste zu spät oder gar nicht kamen und damit nicht nur den Umsatz, sondern auch den Plan gefährdeten, vom 15. bis 23. September vollbesetzt im Dreieck zwischen Elba, Korsika und dem italienischen Festland für jeden den erwarteten Segeltraum zu erfüllen. Auf Deutsche traf das bisher allerdings nicht zu. Sie waren stets pünktlich und hatten schon in der Heimat die nötigen Papiere ausgefüllt und zusammengestellt, waren alle neu eingekleidet und perfekt für eine Atlantiküberquerung ausgerüstet!
Dass der Skipper, der sich gern Cashew nennen ließ, bereits da war, brachte auch nicht mehr Ruhe ins Büro. Cashew war sehr genau, ja pingelig, wenn es um ´seine´ Yacht, die ´Christa´, ging. Das konnte so weit gehen, dass ihm der Kartenplotter zu langsam, das gebunkerte Wasser zu alt, der Dieselstand zu niedrig oder das Sprechfunkgerät zu leise war. Vor einem Jahr ließ er alle Leinen austauschen, weil sie nach seiner Meinung von einer anderen Yacht stammten. Dann hieß es, kurzfristig eine Lösung zu finden, da ohne Cashew diese Yacht nicht ablegen würde.
Die ´Christa´ war eine französische Yacht, ein Individualbau einer kleinen Werft, um die zwölf Jahre alt. Sie bot Platz für zehn Personen, hatte vier geräumige Doppelkojen und in den seitlichen Gängen weitere Schlafplätze, zwei Nasszellen, eine gut ausgestattete Pantry, einen gemütlichen Salon, war über sechzehn Meter lang und über vier Meter breit. Der Dieselmotor bot 55 PS und der Tiefgang war mit 2,30 m keine Gefahr für die geplanten Häfen.
„Der prüft jede Schraube.“ Eva, Büroleiterin auf Elba, schlank, keine 30, blond, Bronzehaut, schaute neugierig aus dem Fenster und beobachtete Cashew, wie er mal schleichend, mal liegend und mal stehend das Deck begutachtete.
„Wasser hat keine Balken.“, antwortete ihre Mitarbeiterin Anne, etwas jünger als Eva, brünett und bräuniert, ebenfalls jugendlich schlank und attraktiv, jobbte auf Elba ´um mal etwas anderes zu erleben´. Sie suchte gerade die Teilnehmerliste heraus, um später darauf die Namen der eingetroffenen Gäste abzuhaken. „Es ist kein Zufall, dass er noch nie einen Unfall oder Probleme an Bord hatte. Sorgfalt zahlt sich eben aus!“
„Ja, du hast recht. Mit wem haben wir es denn heute zu tun? Lies mal vor.“ Neugierig sah Eva zu Anne hinüber. „Cashew meinte neulich, dass es immer wieder interessant für ihn ist, die Gruppendynamik fremder Menschen zu erleben, von denen sich die meisten vorher nie gesehen hatten. Besonders auf dem Wasser, wenn es auch mal zu Stresssituationen kommen kann.“
„Da haben wir Winfried, kommt alleine, Kathrin und Achim, Verlobte, Fritz und Conny, Vater und Tochter, Christoph und Bernd, kommen beide alleine und natürlich Cashew, schläft auch alleine.“ Anne grinst übers ganze Gesicht.
„Das warten wir mal ab, die vergangenen Törns hatten schon innerhalb der ersten Tage wechselnde Paare erzeugt.“ Eva grinste zurück und zuckte zusammen, als plötzlich die Tür aufgestoßen wurde.
„Hallo, bin ich hier richtig bei der ´SY Christa´?“ Ein Mittvierziger, athletische Figur, mit einer Kurzhaarfrisur, die man adretter nicht frisieren konnte und mit Armen, die auffallend lang in riesigen Händen endeten, strahlte frisch rasiert und sympathisch in das Büro.
„Wenn du mir deinen Namen sagst, gebe ich dir eine Antwort!“, antwortete sie lächelnd. Beim Segeln wurde jeder geduzt, ob er wollte oder nicht, um sofort die notwendige Vertrautheit zu erzeugen, die während des Segeltörns notwendig war. Auch für Kommandos gab es kein ´Herr´ oder ´Sie´, kein ´bitte´ oder ´danke´, sondern einfach ´klar zur Wende´ - ´ist klar´ - ´über die Fock´. Sie blickte auf die langen Arme, die irgendwo zwischen Hüfte und Knie endeten.
„Winfried aus Braunschweig, gebucht für die ´Christa´.“ Fragend sah er von Anne zu Eva und zurück.
„Da haben wir dich ja. Du bist ja jedes Jahr dabei gewesen, sehe ich gerade.“ Eva blätterte erstaunt durch die Anmeldeformulare. „Hättest du etwas dagegen, wenn ich dich bei Cashew als Co-Skipper vorschlagen würde? Ein Mann mit deiner Erfahrung ist bestimmt eine gute Entlastung für ihn und könnte eine große Hilfe für das Team sein.“
„Mach ich gern. Als Feuerwehrmann könnte ich auch noch die Security übernehmen, ich will mich nicht aufdrängen, aber ich würde es gern machen.“ Sein Lächeln wurde durch unzählige Falten verstärkt, die ihm etwas Abenteuerliches gaben.
„Das muss ich mit Cashew absprechen. Hast du deine Papiere dabei?“ Winfried reichte ihr die vollständig und perfekt ausgefüllten Unterlagen und seine sämtlichen Segelscheine.
„Super, du kannst dich solange in die Sonne setzen, aber bitte nicht zum Anleger gehen, Cashew macht noch die letzten Checks, du kennst ihn ja, ok?“ Winfried nickte wissend und ging wieder nach draußen, um sich dort vor der Tür auf eine Bank zu setzen. Unten auf der Yacht zerrte unterdessen Cashew am Vorstag und an den Wanten von Christa. Nach jedem Test nickte er anerkennend, um sich dann nach unten in den Salon zu begeben.