Kurze Geschichten - Heiner von Einfeld - E-Book

Kurze Geschichten E-Book

Heiner von Einfeld

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Beschreibung

Ein Leben ist die Summe seiner Geschichten. Wollen wir eins oder mehrere kennenlernen, müssen wir also seine Geschichten kennen. Der Autor ermöglicht der Leserin, dem Leser mit diesen Geschichten in das Leben unterschiedlicher Menschen zu blicken, ja, sie sogar eine Zeitlang zu begleiten und sich mit ihnen über unerwartete Wendungen zu wundern oder zu freuen. Da geht es um Träume, deren Erfüllungen mehr enttäuschen als erhofft, um Ängste, die durch Dritte immer wieder geschürt werden, um Jäger, die zur Beute werden, um Vergeltung, die sich selber ahndet, um Spirituelles, das sich in unsere Wirklichkeit schleicht, um eine wunderbare Erbschaft und die Schwierigkeit, das Diesseits zu verlassen. Zum Schluss werden wir in eine Weihnachtsgeschichte entführt, die nicht vor 2000 sondern in 1000 Jahren stattfindet und doch irgendwie in unsere Zeit passt.

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Ich danke besonders meiner lieben Frau Thorina für ihre Unterstützung

Für Maja und Tilman

Inhalt

Traum

Dialog

Lebenskünstler

Mahlzeit

Falle

Heimzahlung

Fügung

Wette

Zweifel

Spaziergang

Schicksal

Hab´n-woll´n-Syndrom

Heilung

Jagd

Schnupperkurs

Marathon

Spuk

Rock ´n´ Roll

Verniedlichung

Heiligabend 2947

Der Autor

Traum

Ja, es war Liebe auf den ersten Blick. Er hatte oft davon gehört, aber nicht wirklich daran geglaubt. Es gab immer irgendetwas, das spontan seine Ablehnung hervorrief. Er wollte aber das Gesamtkunstwerk, das es wahrscheinlich nur in seinem Kopf gab. Nun sah er sie. Eigentlich war er nur zufällig am Hafen vorbei zu einem Kunden gegangen, zu Fuß, um die frische Luft zu genießen. Seine Augenwinkel erhaschten anfangs nur ihre Schemen, aber diese hatten bereits alles, was ihn plötzlich stehen bleiben und sie begeistert betrachten ließ. Er hätte sie nicht beschreiben können, aber konnte sie sofort erkennen. Nichts an ihr störte seine Sinne. Die Proportionen, die Größe, ihre Außenhaut, alles war perfekt. Sie lag direkt am Steganfang. Er konnte schnell, ohne seinen Termin zu gefährden, zu ihr hinunterlaufen und mit Staunen ´seine´ Yacht betrachten. ´Püppi´ las er am Achterschiff. Seine Freude bekam einen kleinen Dämpfer. Gesamtkunstwerke heißen nicht Püppi, wieso Püppi? Er blickte ins Cockpit und entdeckte eine ihn aufmerksam betrachtende Person. „Haben Sie Interesse an dem Schiff? Es steht zum Verkauf. Kommen Sie doch kurz an Bord!“

Er dachte an seinen Termin, entschied sich dann aber doch für seinen Traum. Kunden gibt es viele, Träume, aber? Mühsam erklomm er, sich an Want und Reling umständlich festhaltend, die Yacht.

„Die Schuhe müssen Sie aber ausziehen, ich will keine schwarzen Streifen auf meinem Teakdeck sehen! Kommen Sie zu mir ins Cockpit!“

Vorsichtig schlich er auf Strumpfsocken zum Heck und setzte sich neben den Eigner, wie sich später herausstellte. Nach den üblichen Vorstellungsdialogen, fragte er vorsichtig nach dem Namen ´Püppi´, nach der Bedeutung, der Herkunft.

„Ach, ein Schiff muss immer einen weiblichen Vornamen tragen und es sollte, wenn möglich, der Name der eigenen Tochter sein!“

Er zuckte zusammen, die arme Tochter hieß wie dieses Schiff? Wie grausam. „Muss das so sein?“, fragte er vorsichtig.

„Oh, nein, wenn man sich nicht an diese einfache Regel hält, oder aus verständlichen Gründen nicht halten kann, passiert auch nichts Böses, wie die vielen in den Yachthäfen liegenden Schiffe deutlich zeigen!“

„Ich würde mir auch gern eine Yacht kaufen, bin aber unschlüssig, was die Namensvergabe angeht!“

„Ein neuer Eigner geht mit der Namensvergabe sehr lange schwanger, wesentlich länger als mit der eigentlichen Anschaffung und noch länger als bei der Namensfindung der eigenen Kinder. Will er doch mit diesem Namen allen seine Weltanschauung, seine Ur-Motivation offenbaren! Er will mit möglichst wenigen Worten, sagen: Wenn ihr diesen Namen gelesen und verstanden habt, dann wisst ihr, wes Geistes Kind ich bin!“

„Aber, Püppi?“, antwortete der Besucher und guckte verstohlen auf seine Uhr.

„Gehen wir die Sache einmal sortiert an“, kam der Skipper ins Dozieren „und betrachten die häufigsten Eignergruppen. Da gibt es zunächst Diejenigen, die tatsächlich weibliche Vornamen verwenden: Erika, Karin, Else oder exotischer Elisa und natürlich Püppi!“ Er sah seinen Besucher kurz, nach Bestätigung suchend, an.

Dieser nickte, beeindruckt vom Redeschwall und der Sachkenntnis des Eigners.

„Das sind die Regelkonformen, die Angepassten!“, führte er weiter aus. „Sie beugen sich dem Druck der Ehefrau, der Schwiegermutter, der Tochter, der Freundin, manchmal auch der Mutter oder Tante oder dem möglichen Spott anderer Segler. Zu denen gehöre ich. Meine Frau heißt Püppi!“

Der Besucher nickte ergriffen und begreifend.

„Er darf dann den Namen höchstens ein wenig aufwerten, indem er sie um eine Kardinalzahl ergänzt, z.B. II oder III, höhere Anhänge machen dann noch deutlicher: Diese ist nicht meine erste Yacht und auch nicht meine letzte. Der Yachteigner identifiziert sich also eindeutig über kleine römische Zahlen. Arabische gehen natürlich gar nicht! Mit jeder Erhöhung erwartet er mehr Anerkennung und bessere Liegeplätze, natürlich nicht zuletzt auch deshalb, weil die Yachten mit jeder größeren Zahl ihre Verdrängung steigern. So kann dieser Wert auch als Boxenfaktor bezeichnet werden.“ Er sah seinen Besucher lächelnd an.

„Okay, gibt es noch andere, äh, Gruppen?“ Der Besucher spürte, dass diese Vorlesung länger dauern könnte, aber er wollte die interessanten Gedankengänge nicht unterbrechen. Sie sind eventuell wichtig für die Benennung seiner eigenen Yacht.

„Eine weitere Gruppe beinhaltet die Freunde der Nautik. Hier werden Begriffe aus der Seefahrt genutzt, die den Auslöser für das Hobby Segeln deutlich machen. Diese Gruppe ist die der leichten Abweichler von der Grundregel. Sie wollten sich von der spießigen Namensvergabe trennen, aber aus Sicherheitsgründen nicht die Seefahrt vollständig verlassen. Namen wie ´Navalis´, ´Meltemi´, ´Orca´, ´Alioth´, ´Azimut´ und auch ´Cirrus´ und ´Stratos´ findet man hier. Seine Faszination für das Segeln versucht der Eigner durch diese Namen widerzuspiegeln. Weniger Mutige versuchen doch noch, die Verbindung zur ersten Gruppe zu halten. So entsteht die ´Brisa´ neben der ´Vela-Viola´. Extrovertierte Sailor versuchen mit ´Aloha´ und ´Ahoi´ den schnelleren Kontakt. Eine Aufwertung durch Kardinalzahlen lässt sich auch hier spielend leicht erreichen und wird gern in Anspruch genommen“.

„Das kann ich mir gut für mein Schiff vorstellen!“, antwortete der Besucher.

„Was machen Sie denn beruflich, haben Sie Hobbies?“ Der Skipper guckte ihn fragend an.

„In der Freizeit mache ich ein wenig Musik mit meiner Gitarre!“

„Ah, da habe ich noch eine interessante Gruppe für Sie. Den feinsinnigen, durch viele Hoch- und Volkshochschulen gebildeten Musiker und Musikliebhaber mit den schmeichelweichen Liros-Vor- und -Achterleinen finden wir hier. Hier ist nicht nur der Weg das Ziel, hier ist auch der Name Programm. Als Kultur-Konfuzianer wählt man Namen wie ´Adagio´, ´Andante´ oder ´Allegretto´. Diese sagen nicht nur etwas darüber aus, wie schnell gesegelt wird, nein, auch dass die Yacht als Taktstock-, Bratschen- oder Pianoersatz herhalten muss. Die Eigner tragen häufig ein stabiles Lächeln im Gesicht, da sie meist gerade in den Tiefen der Musik höchste Befriedigung suchen und sich nur beim An- oder Ablegen im Hier und Jetzt befinden. Multiples Segeln in Reinkultur findet man nur auf solchen Yachten. Kardinalzahlen findet man hier selten. Die Musiktheorie stellt raffiniertere Möglichkeiten der Steigerung zur Verfügung. Wenn sich etwas ändert, dann der Name selber, z.B. von ´Allegro´ auf ´Presto´ oder von ´Largo´ auf ´Lento´ für die Schönwettersegler. Zur Not hängt der Musik-Yachtie noch ein ´con Brio´, also ´mit Dampf´ hinten dran. Aber auch ein ´ma non troppo´, also ´munter, aber nicht zu sehr´ wurde schon in Ostseehäfen gesehen. Wäre das was für Sie?“

„Ich spiele eher unprofessionell Gitarre, da passen diese Begriffe weniger!“

„Was arbeiten Sie denn?“

„Ich arbeite bei einer französischen Unternehmensberatung im Außendienst!“

„Ah, da habe ich noch etwas für Sie. Zu den ebenfalls feinsinnigen Seglern zählen diejenigen mit den französischen Yachtnamen. Neben ´L´ anti-monte eau´ und ´Belle de jour´ finden wir die ´Bon Chance´, die ´Ciel´, die ´L´ Alouette´, die ´Bonvivant´ und die oder das ´BonBon´. Der Frankophile liebt das weiche Eintauchen in eine endlose See. Coque au Vin gibt es mindestens wöchentlich, Vin dafür ganztägig, Bière wird man auf dem ganzen Schiff nicht finden. Seine Fender haben meist weniger Luft, tragen aber dafür einen schicken Wollpullover, um so das eklige Quietschen und Scheuern an den Bordwänden zu vermeiden. Kardinalzahlen sind hier ebenfalls verpönt. Der Frankophile ist kreativ und findet schnell ohne Probleme einen neuen Namen, der trè chic plus ist. So wird aus dem ´BonBon´ schnell eine ´Crème Brulée´.“

„Ich bin eigentlich nicht so der Frankophile. Mein Arbeitsplatz ist auch in Deutschland und französisch spreche ich auch nicht!“

Was machen Sie denn genau, wenn ich fragen darf?“

„Ich bin im Vorstand der deutschen Tochter!“, antwortete er stolz!“

„Oh, ho, ho!“ Der Skipper richtete sich auf und sah seinen Gast voller Bewunderung an. „Da habe ich die passende Gruppe für Sie: Die Machos unter den Seglern. Alles an ihnen und den Yachten ist überdimensioniert und fit für den 3. Weltkrieg. So sind die Namen auch nicht von zurückhaltender Natur: ´Xtrabreit´, ´Xtralang´, ´Xtravaganza´, ´President´ und ´Maximus´ sind hier beliebte Namen. Ohne Zögern könnte man noch ´Big Horn´ und ´Titan´ dazu zählen. An Bord finden wir in der Regel den erfolgreichen Mitt-Dreißiger, der vor der endgültigen Bindung und Vaterwerdung mit ständig wechselnden Crew-Mitgliedern Selbstbestätigung tankt. Seine einzige Schwäche ist die für das weibliche Geschlecht, seine einzige Stärke auch. Menschen und Dinge, die nicht mehr funktionieren, werden umgehend ausgetauscht. Kardinalzahlen interessieren ihn nicht. Sein Schiff ist die Nummer I, mit oder ohne Zahl.

„Ich bin verheiratet und habe kleine Kinder!“, antwortete der Besucher ein wenig entrüstet. Seinen Kundentermin hatte er nun endgültig abgeschrieben.

„Dann gibt es für Sie nur eine Gruppe. Die ewigen Kinder, bzw. diejenigen, die ihre Kinder vorschieben: die Mickyphilen und Donaldisten. Ihre Yachten heißen ´Blaubär´, ´Harry Potter´, ´Balu´, ´Wutz´ oder ´Nuckel´ und sehen irgendwie immer so aus, als würden sie in einem Strampler sitzen und auf Mutti warten. Keine Stelle des Schiffes ist nicht mit Klammern oder anderen praktischen Dingen versehen. Vor dem Schiff auf dem Steg häufen sich Roller, Räder, Angeln, Kescher und Eimer mit Krebsen, die ihre letzten Runden drehen. An Bord klappert ständig irgendetwas. Allerdings unhörbar für die Eltern. Alle Sensoren sind auf die Kinder ausgerichtet. Die Stegnachbarn akzeptieren tolerant und lächelnd die Geräuschkulisse. So klappert sich das Schiff locker und munter durch das ganze Repertoire des Riggs, zu jeder Tages- und Nachtzeit. Kardinalzahlen bieten sich hier nicht an. Wenn die Tochter größer ist, wird man das Schiff nach ihr benennen, es sein denn, man ist sehr abergläubisch, dann segelt man noch als Opa mit ´Nuckel´ durch die Gegend.“

„Wenn ich jetzt Ihr Schiff kaufen würde, müsste ich dann weiter den Namen ´Püppi´ führen!“

„Natürlich nicht, nur wenn Sie übertrieben abergläubisch sind und die ungeschriebenen Regeln der Seefahrt nicht hemmungslos missachten wollen.“

„Prima!“, freute sich der Besucher. „Ich würde gern das Boot näher kennenlernen. Gibt es die Möglichkeit einen kleinen Schlag auf der Elbe zu machen. Natürlich mit Ihnen als Skipper?“

„Natürlich, wir wollen die Yacht morgen in unser Winterlager überführen. Kommen Sie doch mit. Um 6 Uhr in der Früh geht es los!“

„Ich werde da sein!“, freute sich der Besucher.

„Seien Sie pünktlich, wegen der Tide!“

„Ja, prima, danke, wie gesagt, ich werde da sein.“, wiederholte er noch einmal bestimmt.

„Ach, noch eine Frage. Haben Sie Segelerfahrung?“ Er schaute seinen Besucher fragend an.

„Nein, aber jeder Chirurg hat mal seine erste OP, oder?“ Der Skipper sah ihn misstrauisch an, verabschiedete sich aber dann doch freundlich und verschwand in seiner Pantry.

Beeindruckend pünktlich stand er am nächsten Morgen pünktlich um 6 Uhr vor der Yacht. Leichter Nebel hinterließ feuchte Oberflächen wohin man auch griff. Der Eigner hatte ihn schon erwartet. Leicht fröstelnd folgte er seinen ersten Anweisungen. So sind beide Hände ab sofort auch bei Kälte außerhalb der Taschen zu tragen, eine für ihn ungewöhnliche Haltung, wobei mindestens eine von den beiden Händen immer dem Schiff gehört! Allein durch diese einfache Regel erhielt er bereits ein völlig neues, eher dynamisches Erscheinungsbild. Es folgte eine kurze Erläuterung, wie man über Anker und Bugkorb das Deck erreicht, ohne sich Finger zu zerren oder blaue Flecken zu holen. Dieses ´Ankerentern´ kann eine ernsthafte Prüfung sein. Welcher Nichtsegler kann schon etwas mit einer Flunke, auf die man treten und einem Vorstag, an dem man sich festhalten soll, anfangen, wenn sich beides auch noch fast in Augenhöhe befindet? Endlich an Deck suchte er erstmal die Reling, die unsinnigerweise viel zu tief angebracht wurde und eher filigran wirkte und somit keinen richtigen Halt versprach. Sehr decknah ging er mit kleinen vorsichtigen Schritten Richtung Cockpit, um sich dort zufrieden mit sich und der Welt nieder zu lassen. Nach der Aufforderung des Skippers, nun wieder das Schiff zu verlassen, um sich noch einmal im Hafenklo zu erleichtern, ist er kaum noch von anderen Seglern zu unterscheiden. Dann folgte eine geistige Druckbetankung. In wenigen Minuten erhielt er eine Sicherheitseinweisung nach dem Motto ´Man sieht nur was man weiß´. Dass sich beim Segeln Bäume bewegen, musste genauso erklärt werden wie das Phänomen, dass sich lange Haare gern in der Großschottalje verfangen, dass es eine Schwimmweste gibt, die nur dann hilft, wenn man sie vor dem Verlassen des Schiffes anlegt, dass das Gas für den Herd nur vom Skipper bedient wird, um ungewollte Beschleunigungen zu vermeiden, dass das Bord-WC über ausgefeilte Pump,-Saug- und Hebelwirkungen bedient wird, eigentlich nicht benutzt werden soll und daher eine gute Pinkelplanung benötigt, dass der DSC-Alarm wichtig ist, aber praktisch nicht geübt werden darf, dass die große Fock Genua heißt und das Großsegel noch größer ist, dass man über den Traveller nicht stolpern soll und dass Wanten und Stagen viel Halt bieten usw. usw. Dass der Skipper eine herausragende Funktion an Bord hat, musste man dem Interessenten nun nicht mehr erklären. Jedes Wort wurde nun mit noch mehr Andacht aufgenommen.

Das Ablegemanöver brauchte dann doch wie immer die volle Konzentration. Aber wie aus dem Nichts tauchte dann die ´Steg-Crew´ auf, die gern nach vorsichtigem Fragen ihre Unterstützung anbot und half, die Leinen zu lösen. So verließ man unter Motor und angelegten Fendern die Box. Auf dem Steg stand inzwischen der halbe Hafen. Alle freuten sich über die Schönheit des gemeinsamen Hobbys und schauten ihnen lange winkend nach.

„Hat ´Manöver´ irgendetwas mit ´Mann über Bord´ zu tun, das klingt so ähnlich?“, stellte er vorsichtig eine erste Frage.

Der Eigner sah ihn mit großen Augen an, verkniff sich aber eine Antwort.

Wind und Nässe von vorn ließen die Segel in der Tasche. Der Motor wurde auf Marschfahrt eingestellt und da waren sie, die weiteren Fragen, die ihm jetzt auf der Seele brannten: „Kann das Schiff eigentlich umkippen oder gar sinken und wenn ja, was machen wir dagegen?“, fragte er, vor Nervosität leise vor sich hin pfeifend.

„Das Einzige was hier gleich sinkt ist die Stimmung, und das Einzige was hier pfeift ist der Wind!“, sah ihn der Skipper streng an. „Sie sollten versuchen, dem Segeln etwas Positives abzugewinnen und nicht irgendwelchen Endzeitgedanken nachzuhängen. Können Sie eigentlich schwimmen?“

Die Frage überraschte den Gast. „Äh, ja, wieso?“

„Auch gut, aber Nichtschwimmer sind mir lieber, die kämpfen länger um das Boot, falls mal etwas passiert!“ Nickend guckt er in das um Fassung ringende Gesicht seines Passagiers. „Aber wo wir gerade dabei sind!“ Er zeigte auf die Lenzpumpe. „Bei Wasser im Boot fangen Sie an damit zu pumpen und achten Sie dabei auf andere Schiffe, Treibgut, Flachs und schlafende Wale.“

„Schlafende Wale?“, fragte er nach „hier in der Elbe?“

„Sehr, sehr selten, aber möglich. Wahrscheinlicher sind offene Seeventile. Bitte gleich mal überprüfen!“

Langsam und vorsichtig folgte der Besucher dem Finger des Skippers Richtung Niedergang auf der Suche nach den offenen Seeventilen. Nach nur wenigen Minuten am Boden des Salons meldete sich wie erwartet die Seekrankheit.

„Mir wird schlecht!“, rief er nach oben zum Skipper, der seelenruhig am Steuerrad saß, obwohl irgendwo die Seeventile offen sein könnten.

„Da hilft nur Vitamin C oder hinlegen und abwarten!“, rief er gelassen zurück.

„Wo sind wir eigentlich?“, fragte er den Skipper.

„Gleich querab Blankeneser Bullen!“, lächelte der Skipper.

„Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn wir den Probeschlag hier beenden könnten, ich würde hier gern von Bord gehen!“ Fast unterwürfig wartete er auf die Reaktion des Skippers.

„Kein Problem!“ Geschickt legte der Eigner das Boot längsseite, dampfte in die Spring ein und legte Ruder. Der angehende Käufer verfolgte jede Bewegung mit großen Augen und voller Bewunderung. Der Skipper beobachtete amüsiert, wie der Interessent zügig, aber umständlich von Bord kletterte, um dort dankbar und erleichtert seine vom Skipper zugeworfene Tasche aufzufangen.

„Ich melde mich, wegen des Schiffes!“

„Ja, ja, sicher!“ Der löste bereits wieder geschickt die Spring und legte Ruder, worauf die Yacht fast selbständig von der Kaimauer driftete.

Erschöpft und ein wenig zittrig sah er seinem Traum hinterher und zuckte erschrocken zusammen, als er plötzlich von hinten angesprochen wurde.

„Tolle Yacht, oder?“ Ein älterer Passant stand neben ihm und sah ihn freundlich an.

„Äh, ja, ich wollte Sie eigentlich, also prinzipiell, quasi, äh, kaufen!“ Erstaunt über seine stotternden Worte versuchte er die Kontrolle über seine Zunge wiederzugewinnen.

„Sie sind sich nicht sicher, oder?“ Der Fremde sah ihn fragend an.

„Stimmt, ein Traum bekommt etwas Anstrengendes, wenn er anfängt Wirklichkeit zu werden!“

„Er wird nicht nur anstrengend, er platzt sogar, und Sie müssen sich einen neuen suchen, wenn Sie weiter träumen wollen!“ Der Passant sah ihn wissend an und ergänzte. „Außerdem gibt es nach Meinung vieler Segler nur zwei wirklich schöne Momente beim Segeln!“ Er machte eine Kunstpause und wartete.

„Und?“, fragte dieser, „welche sind diese zwei Momente?“

„Beim Kaufen der Yacht und dann - nicht viel später - beim Verkaufen. Mein Tipp ist, träumen Sie lieber weiter! Träumen ist billiger!“

-HvE-

Dialog

Jürgen und Peter haben ihren wöchentlichen Smalltalk nach dem gemeinsamen Tennisspiel. Bei Bier und Becherovka tauschen Sie die Neuigkeiten aus ihren Clubs aus.

„Bei mir im Tennisclub muss jetzt jedes Mitglied nachweisen, dass es den Wochenendkurs ´Sofortmaßnahmen am Unfallort´ mit Erfolg besucht hat?“, fängt Peter an.

„Warum das denn, habt ihr ´ne Boxsparte gegründet?“

„Nein, vor kurzem ist die Nummer 1 der Damenmannschaft auf dem Platz umgekippt und die anwesenden Spieler waren unsicher und konnten sich nicht auf eine Diagnose einigen.“

„Und was haben sie gemacht?“

„Man einigte sich nach 15 Minuten darauf, dass es etwas zwischen Sonnenstich, Hitzschlag und Schock sein müsste und diskutierte dann weitere zehn Minuten adäquate Behandlungsmethoden.“

„Werden die Krankheiten denn gleichbehandelt?“

„Nein, eben nicht. Der eine legte die Beine hoch, der andere den Kopf, während ein Dritter während der Mund-zu-Nase-Beatmung löffelweise Salz verabreichte.“

„Und wie hat die Patientin das Ganze überlebt?“

„Sie hatte, nachdem sie wieder zu sich gekommen war, am ganzen Körper Blutergüsse und durch das ständige Hochreißen der Beine eine deutliche Schwellung am Hinterkopf. Am Schlimmsten aber war die Salzzufuhr. Sie soll sich noch unter der Dusche ständig übergeben haben.“

„Und was ändert der Wochenendkurs an so einer Situation?“

„Wahrscheinlich nichts, aber diese Unsicherheit, weißt du, die ist weg!“

„Bei uns haben wir sogar seit Jahren stark zunehmende Verletzungs- und Krankenstände!“

„Ist nicht wahr! Hat man dafür eine Erklärung?“

„Ja, die Mitglieder jonglieren den ganzen Tag ihre Kugelschreiber durch die Gegend und abends mutieren sie dann zu Kampfmaschinen. Darauf ist ihre Biomasse nicht vorbereitet!“

„Hat man schon eine Idee, was man dagegen tun könnte?“

„Ja natürlich, sie haben das BMI-gesteuerte Tennisspiel eingeführt! Der Body Mass Index zeigt ja, ob jemand normalgewichtig ist!“

„Weiß ich doch, aber wie errechnet der sich eigentlich?“

„Ganz einfach: Körpergewicht in kg durch Größe hoch 2 in Metern!“

„Mach mal ein Beispiel!“

„Hört sich wahnsinnig akademisch an. Was soll ich mit dieser Zahl anfangen?“

„Wenn du als Mann zwischen 20 und 25 liegst, bist du normal gewichtig. Frauen übrigens zwischen 19 und 24. Ich habe mit 28 also Übergewicht. Ab 30 wäre ich sogar fettleibig und ab 40 massiv fettleibig …“

„Hör auf, mir tun schon die Knie weh!“

„Genau, und deswegen haben wir BMI-Zeiten eingeführt!“

„Hat man die Essenzeiten verkürzt oder was?“

„Nein, um die Spieler vor einer lebensgefährlichen Überlastung zu schützen, macht man die Spielzeiten vom BMI-Index der einzelnen Spieler abhängig!“

„Das heißt eine Stunde Einzel gibt´s nicht mehr?“

„Genau. Der mit dem höchsten BMI auf dem Platz bestimmt die Spieldauer.“

„Wie soll denn das praktisch funktionieren?“

„Jedes Mitglied hat eine individuelle BMI-Karte, die vom Vereinsarzt für jede Saison neu ausgestellt wird!“

„Aha, und woher kenne ich nun meine Spielzeit?“

„Die wird jedem BMI vom Arzt fest zugeordnet! BMI 28 bedeutet also 48 Minuten Spielzeit. BMI 22 heißt, du kannst 1 Std. 15 Min. spielen.“

„Hört sich sehr gesund an. Hat man schon erste Erfahrungen gemacht?“

„Ja, dummerweise hat seit Einführung der BMI-Zeiten der Krankenstand signifikant zu- und nicht abgenommen!“

„Hat man dafür schon eine Erklärung?“

„Ja, die Dicken werden immer dicker und die Dünnen immer dünner!“

„Wieso denn das nun wieder?“

„Na, wer weniger spielt hat mehr Zeit zum Essen und Trinken und umgekehrt!“

„Das war aber nicht so geplant, oder?“

„Nein, natürlich nicht, man hatte mit einem genau entgegengesetzten Effekt gerechnet und nun bekommen sie das Ganze nicht wieder gedreht!“

„Warum das denn nicht?“

„Weil der Wirt des Vereins auch unser 1. Vorsitzender ist und der steuert nun über den BMI ganz gezielt seinen Umsatz!“

„Unfassbar! Bei uns wollen sie jetzt bei den Stammspielern monatlich die Kondition prüfen. Jeder Spieler bekommt Übungen fürs Kraft-, Schnelligkeits-, Ausdauer- und Bewegungstraining.“

„Das klingt anstrengend! Was sind denn das für Übungen?“

„Na, z.B. Schrittwechselsprünge über die T-Linie oder einarmiges Hochstoßen und Fangen eines Medizinballes in tiefer Hocke oder das Potatoe-Picking usw.“

„Das was? Was ist denn Potatoe-Picking?“

„Dabei verteilen die Spieler alle Bälle zufällig auf dem Platz und einer nach dem anderen sammelt sie sozusagen gegen die Uhr wieder ein.“

„Und wie prüft man dann die Kondition?“

„Monatlich gibt es dann den öffentlichen Konditionstest vor allen Mitgliedern.“

„Wie wird der denn durchgeführt?“

„Man hat sich angesichts des niedrigen Konditionsniveaus erst mal auf einen 30-m-Lauf, einen Medizinballwurf über das Netz mit dem Schlagarm und fünf Sit-ups geeinigt.“

„Wie lange wird denn jetzt schon an der Kondition gearbeitet?“

„Seit Anfang der Saison.“

„Und sind die Spieler schon stärker geworden?“

„Konditionell schon. Im nächsten Jahr soll nun trainiert werden, wie man den Ball trifft!“

„Na, viel Glück dabei. Bei uns muss wohl demnächst jeder die Platzreife für die Tennisanlage machen.“

„Wozu soll das denn gut sein?“

„Ganz einfach: Die Mitglieder, die einen Clubplatz benutzen möchten, müssen jetzt nachweisen, dass sie ihn regelgerecht und ohne Beschädigungen benutzen können, eben wie beim Golf!“

„Und wie wird das nachgewiesen?“

„Jeder, der einen Platz nutzen möchte, muss erst einmal durch Bestehen einer theoretischen und praktischen Prüfung seine Platzreife nachweisen. Im Theorieteil sind zehn Fragen richtig zu beantworten.“

„Was für Fragen denn?“

„Na, die wechseln natürlich von Prüfung zu Prüfung, also z.B.: Verliert ein Spieler den Punkt, wenn er bei der Ausführung eines Schlages die gedachte Linie in Verlängerung des Netzes überschreitet? Darf der Aufschläger in einem Einzel beim Aufschlag hinter dem Teil der Grundlinie zwischen den Seitenlinien des Einzel- und Doppelfeldes stehen? Ist nach jedem Satz eine 2-minütige Pause einzuhalten?“

„Das hört sich ja fürchterlich aufwändig an. Wie viele Fragen muss man denn richtig beantworten?“

„Du musst alle Fragen richtig beantworten. Jeder Fehler wird mündlich durch den Platzreifeausschuss nachgeprüft.“

„Und was ist, wenn die mündliche Prüfung verpatzt wird?“

„Dann wird die Prüfung zu einer Schulung ausgedehnt, d.h. es wird geübt bis es sitzt.“

„Sehr konsequent! Und wie geht es dann weiter?“

„Nachdem das Mitglied alle Fragen richtig beantwortet hat, wird es zur praktischen Prüfung zugelassen.“

„Und was muss er jetzt machen, duck walk mit verbundenen Augen auf der T-Linie?“

„Du, das ist kein Spaß! Üblich sind zwei fehlerfreie Durchgänge Vorhand und Rückhand im Wechsel als Grundschlag, Topspin, Slice, Volley, weiterhin Smash und Aufschlag, alles unter Berücksichtigung der richtigen Griffhaltung!“

„Was heißt das genau?“

„Na, den Grundschlag muss er als Vorhand eastern schlagen, als Rückhand continental, den Vorhandtopspin western, den Rückhandslice semicontinental usw.“

„Sag mal, hat schon jemand die Platzreife geschafft?“

„Du glaubst gar nicht, wie engagiert gelernt und geübt wurde. Innerhalb kürzester Zeit hatte jedes Mitglied seine Platzreife!“

„Das überrascht mich aber! Dann hat sich der Aufwand ja wirklich gelohnt, oder?“

„Ganz im Gegenteil. Die Diskussionen auf den Plätzen haben sich sogar erheblich verschärft. Manche schrecken jetzt auch vor Handgreiflichkeiten nicht mehr zurück!“

„Wie ist denn das nun wieder möglich?“

„Besserwisser gibt es ja überall, aber nach Einführung der Platzreife wird auf unseren Tennisplätzen mehr diskutiert als im Bundestag!“

„Ist ja furchtbar. Wo du das gerade erzählst. Bei uns denken sie darüber nach die Platzkultur zu verbessern. Dafür wollen sie einen Kulturausschuss gründen!“

„Oha, das hört sich sehr ambitioniert an!“

„Ja, dann kommen alle Überzeugungen und Regeln, die sich im Laufe der Clubgeschichte entwickelt haben, z.B. die Probleme mit der internen Integration der Klüngelgruppen und das soziale Verhalten vor, beim und nach dem Spiel auf den Prüfstand.“

„Und welche Überzeugungen und Regeln sind das konkret?“

„Ach, das geht bei den Platzreservierungen los und hört beim Abziehen auf!“

„Du meinst, die schummeln beim Belegen der Plätze und ´vergessen´ danach den Platz abzuziehen?“

„Ja, z.B. darf offiziell nur jeder persönlich den Platz für eine Stunde belegen, muss den Platz vorher wässern und hinterher abziehen, ohne das Linienfegen zu vergessen!“

„Aber, dass regelt doch die allseits bekannte und beliebte Platzordnung, oder?“

„Richtig, aber in der Praxis wird sie doch von jedem flexibel ausgelegt. Da gibt es schon mal Spannungen, wenn einzelne Spieler glauben, ´Pachtverträge´ für ihre Plätze abgeschlossen zu haben!“

„Und was hat der Kulturausschuss jetzt vor?“

„Der will nun das Image dieser Aufgaben verbessern! Heute meint jeder, dass die Klugen von den Dummen leben und die Dummen von der Arbeit. Da will man ansetzen!“

„Und wie soll es morgen sein?“

„Morgen gründen die erstmal diesen Ausschuss, wenn sie dafür die nötigen Mitglieder zusammenbekommen, macht ja viel Arbeit!“

„Ja, das stimmt. Bei uns sehen einige Spieler den Sport auch als Arbeit an. Zukünftig gibt es deshalb ein Motivationstraining für alle Medenspieler!“

„Sind eure Spieler nicht motiviert genug?“

„Doch, einige schon, aber es gibt nichts, was man nicht noch verbessern könnte und wenn die Spieler motivierter wären, dann würden sie häufiger gewinnen, sagt unser Vorstand!“

„Und was macht die Spieler motivierter?“

„Na, sie müssen mehr Selbstvertrauen bekommen, also vertrauen in sich und ihre Fähigkeiten.“

„Aber, wie macht man das?“

„Das geht ganz einfach, sagt der Trainer. Er bucht für alle Spieler ein Motivationswochenende im Volkspark und dort müssen sie dann das machen, was wir früher Mutproben nannten.“

„Also Würmer schlucken und so was?“

„Ja, und über glühende Kohlen gehen, Eisenstangen mit der Gurgel verbiegen, Taranteln streicheln, eine 12 m hohe Seilbrücke überwinden, ..........“

„Aber, wieso können unsere Mannschaften besser spielen, wenn sie Taranteln gestreichelt haben?“

„Na, weil sie sich dann mehr zutrauen, weißt Du? Man gewinnt erst im Kopf und dann auf dem Platz.“

„Und wenn die anderen auch Taranteln gestreichelt haben?“

„Na, dann ist es wie immer, der bessere Spieler gewinnt.“