Meine Reise mit Papa - Heiner von Einfeld - E-Book

Meine Reise mit Papa E-Book

Heiner von Einfeld

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Beschreibung

Wenn ein knapp 14-jähriger Junge zusammen mit seinem Vater über fünf Wochen per Motorrad, Auto, Pferd und mit öffentlichen Verkehrsmitteln durch einen Teil der Vereinigten Staaten von Amerika reist, lernt er nicht nur das Land und die Kultur der USA besser kennen, sondern auch seinen Vater und besonders sich selber. Die tägliche für ihn eher langweilige, klar definierte, gut beherrschte häusliche und schulische Routine fordert nun während dieser Reise durch neue, ständig wechselnde Situationen ein wachsames Auge, gut überlegte Einschätzungen und Entscheidungen und die Akzeptanz möglicher Konsequenzen. Ihm wird bewusst, dass erst die Gemeinschaft sein Leben bunt und lebenswert macht und Chancen bietet, die ihm allein nie geboten worden wären. Und er lernt, dass sein Bauch ein eminent wichtiges Frühwarn-system ist, das er bisher oft falsch interpretiert hatte. Dieses ist sein Reisetagebuch oder ein Reiseroman. Möge der Leser selber entscheiden.

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Ich danke meiner lieben Frau

Thorina

für ihre Unterstützung

Für T.C.

Inhalt

Ein bisschen was vorweg

Der Plan

Im Reisebüro

Qual der Gepäckwahl

Auf geht´s

Easy Riding durch den Sunshine State

Zauber der Südstaaten

Chicago in a week

Von der Großstadt in die Wüste

Von Pferden und Taranteln

Ein bisschen was hinterher

Anhang

Der Autor

Ein bisschen was vorweg

Ich bin knapp vierzehn Jahre alt, heiße Flemming nach einem alten flämischen Geschlecht, wie mein Vater immer gern gespielt stolz mitteilt, und wohne mit meinen Eltern im Westen Hamburgs, dort, wo das Geld nur dann Probleme macht, wenn der Anlageberater krank ist. Ich bin der Typ blonder Junge, dem man gern mit den Worten ´Der ist aber süß' über die Haare streicht, um mich dann abwartend strahlend anzusehen, als würde einem eine Belohnung für das Lob zustehen.

Mein Vater ist Anfang 50. Ein Alter, in dem andere Väter meiner Klasse gern ihre Familie verlassen (meist über den Umweg eines Fitnessstudios), sich protzige Autos kaufen oder anfangen, absurde Hobbies für sich zu entdecken. Mein Vater lässt sich tatsächlich die Haare lang wachsen (Beethoven-Style) und sucht sich Gleichgesinnte, um eine Rock-n-Roll-Band zu gründen, die er dann wenig bescheiden ´The Great Glowballs' nennt. Als Gitarrist seiner Band übt er nun wochenlang die Gitarrenläufe von Chuck Berry, Buddy Holly und Elvis Presley.

Meine Mutter hat noch mit 37 ein Studium an der Uni Hamburg begonnen und büffelt nun tagein tagaus, um ihrem Traumjob näher zu kommen. Sie will Lehrerin werden. Eine Aufgabe, die viel Zeit kostet, die ich nutze, um meine schulischen Leistungen zu verbessern, oder zumindest das Niveau zu halten. Für mich eine gute Zeit, da ich nun mehr Ruhe für mich habe und Zeugnisse und ähnliche Meilensteine des Schülerdaseins nur noch in unvermeidbaren Fällen von meinen Eltern abgefragt werden.

Ich gehe eigentlich gern zur Schule und möchte unbedingt den hohen gymnasialen Ansprüchen meiner Eltern gerecht werden. Aber das Leben ist kein Wunschkonzert (ein Kalenderspruch, den mein Vater gern verwendet) und ein Klassenraum besteht nicht nur aus Lehrern und Schülern, sondern, bzw. besonders aus deren Verhalten zueinander, und das kann einem schon mal die eigenen Ziele verhageln (eigene Erfahrung).

Meine Schule protzt mit den Schulkindern übermäßig reicher Eltern, die immer irgendetwas zwischen Staranwalt, Chefarzt oder Reeder in der dritten Generation sind. Obwohl wir uns jedes Gymnasium unserer Umgebung angesehen haben, enden wir hier, weil ich es so will. Wahrscheinlich nur deshalb, weil der Direktor gewöhnliche Dinge wie Fußball und Musik liebt und damit meinen und auch den Nerv meiner Mutter trifft.

Meine aktuelle Klasse, die 8a, besteht überwiegend aus Musterschülern mit überhöhtem Leistungswillen, die problemlos und fehlerfrei der nächsten Stufe zustreben. Ich vermute, dass hier das wahre Motiv meiner Eltern für die Wahl dieses Gymnasiums liegt. Ich verkaufe meine eher durchschnittlichen Leistungen daher lange als Unfähigkeit meiner Lehrer, bis mein Vater aus seinem unerschöpflichen Kalenderspruchwissen zitiert, dass man nur das lernt, was man liebt und von dem lernt, den man liebt. Das war zu viel verlangt. Spontan fällt mir mein Lateinlehrer ein, der sich während des Unterrichts intensiv bemüht, mit seinen gelben, nach Zigaretten riechenden Fingernägeln und seinen ebensolchen Atemausdünstungen mein Gehirn zu blockieren. Oder der Deutschlehrer, der meinen anfangs durchaus hohen Leistungswillen - oft sehe mich in meinen Träumen hinter meinem Laptop sitzen, verträumt auf einen See blicken und Weltliteratur schreiben - durch übermäßige Korrekturen erst in fehlerhafte Antworten und dann in Stummheit verwandelt. Notentechnisch ein Desaster. Mir wird langsam klar, dass die Leistungsansprüche der anderen meine Nerven strapazieren und ich ihnen nicht gerecht werden will. Dann aber finde ich ein großartiges Mittel gegen meine wachsende Unsicherheit. Allein der Gedanke, dass mein Vater, den ich über alles liebe, kein Einstein ist, aber gern einer wäre - er liest alles, was die Welt erklärt - und trotzdem als Geschäftsführer seiner Unternehmensberatung viel im Leben erreicht hat, macht mich ruhiger. Ich kann es schaffen!

Der Plan

„Na, mein Großer!“ Mein Vater begrüßt mich herzlich strahlend und nimmt mich fest in die Arme. „Stell' mal deine Schulsachen weg, ich habe etwas mit dir zu besprechen!“, sagt er übertrieben ernst. Vorsichtig nehme ich meinen Rucksack, um ihn weiter weg in eine Ecke zu stellen und so Zeit zu schinden.

„Aber, ich wollte gerade mit dir über die Zeugnisse ...!“, versuche ich die Flucht nach vorn.

„Wirst du versetzt?“, unterbricht er lächelnd.

„Ja, schon ...!“, antworte ich gespielt entrüstet.

„Prima!“, fiel er mir ins Wort. „An den Details kannst du später immer noch arbeiten. Lass uns über Wichtigeres reden.“ Bisher schien nichts wichtiger als mein Verhalten in der Schule, meine Entwicklung und meine Zensuren. Was ist passiert?

„Wir werden verreisen, nur du und ich!“ Papa sieht mich begeistert an. Wir waren schon oft verreist. Mit meiner Schwester Ayala waren wir zu dritt auf Ibiza und alle zusammen mit Mama auf Formentera segeln und tauchen und natürlich immer wieder auf Fanö in Dänemark.

„Wir fahren allein!“, unterbricht Papa meine Gedanken. „Wir fahren fünf Wochen in die USA und schauen uns das Land an. Nur du und ich, und du darfst die Reiseziele bestimmen, na ja, mitbestimmen!“

„Wwwieso nur wir zwei? Was ist mit Mama, mit Ay?“ Ich nenne sie immer Ay als Retourkutsche dafür, dass sie mich immer Flemmi nennt. Ay ist drei Jahre älter als ich und geht nicht in die Schule, um zu lernen, sie geht in die Schule, um den Lehrern deren Schwächen zu zeigen. Sie hätte mehrfach springen können, wollte aber weiterhin gemeinsam mit ihrer Clique den Schulalltag gestalten.

„Mama hat ein wichtiges Projekt. Sie wird etwa sechs Wochen dafür benötigen und Ayala wird für ein Jahr als Austauschschülerin in die USA gehen. Wir sind also auf uns alleine gestellt. Wie findest du das? Ist das nicht großartig?“ Ich war sprachlos. USA kannte ich nur aus Hollywoodfilmen und meinen Lieblingsbüchern über Al Capone und Bugsy Siegel, die ich mir heimlich im Bücherladen gekauft hatte. Es fällt mir spontan ein, dass ich schon einige Male als Sozius auf dem Motorrad meines Vaters mitgefahren war, in den Osterferien auf einem Reiterhof Grundkenntnisse im Reiten erworben habe, und - Al Capone - lebte der nicht in Chicago?

Ich strahle Papa an und springe ihm in die Arme. „Das finde ich toll, ich habe auch schon einige Ideen!“, platzt es aus mir heraus.

„Okay, super, dann lass uns ins Reisebüro fahren!“

„Was, jetzt gleich?“ Ich bin begeistert und zappelig wie ein Fisch an der Angel.

„Ja, jetzt gleich. Auf geht´s!“

Im Reisebüro

„Fünf Wochen!“ sabbert es unangenehm aus der Frau im Reisebüro heraus. “Fünf Wochen wollen Sie durch die USA reisen?“, wiederholt sie, wischt sich dabei den Mund mit der Rückseite ihrer Hand ab und versucht dabei ihre Schnappatmung unter Kontrolle zu bringen.

„Ja, und wir brauchen jetzt Ihre Unterstützung bei der Planung, Ihre Empfehlungen und Informationen darüber, wie wir unsere Reise, für meinen Sohn und für mich, möglichst interessant und problemlos gestalten können.“ Mein Vater ist wie immer bestens vorbereitet.

„Der ist aber süüüß!“, bringt sie endlich nach einigen tiefen Atemzügen heraus und sieht mich dabei mit ihren kleinen, in ihrem feisten Gesicht tiefsitzenden Augen, ungewöhnlich interessiert an, als wollte sie im nächsten Moment mit mir nach Hause verschwinden. Erschrocken klammere ich mich an Papa fest.

„Du brauchst keine Angst zu haben. Ich tu dir nichts!“ Lächelnd streckt sie mir ihr Gesicht entgegen, schwabbelt dann mit ihrem Oberkörper Richtung Computer und schlägt mit ihren kleinen Fingern in wahnsinniger Geschwindigkeit auf der Tastatur herum.

„So, denn woll´n wir mal etwas Schönes für euch aussuchen.“ Ich mag sie spontan nicht mehr, als sie auch noch anfängt meinen Vater zu duzen. Als sie nach unseren Zielen fragt bekommt sie noch eine letzte Chance.

„Motorradfahren, Reiten und nach Chicago!“, platze ich mit meinen Prioritäten heraus. Das nächste Fettnäpfchen findet sie ohne Probleme.

„Motorradfahren? Ich weiß nicht, ob das für den Kleinen nicht zu anstrengend und zu gefährlich ist!“ Mahnend dreht sie ihr fleischiges Gesicht Richtung Papa.

Bevor er antworten kann, kläre ich sie darüber auf, dass der Kleine einen Namen hat, nämlich Flemming, an Motorrad-Ausfahrten des Hamburger Harley Chapters teilnimmt, schon mit einem Segelflugzeug geflogen ist, einen Segelschein hat und sehr gut schwimmen kann, kraulen und Brust. Meine Augen blitzen vor Erregung.

Mit offenem Mund sieht sie Papa an und als der nur kurz nickt, schaut sie wieder suchend auf ihren Bildschirm.

„Wann wollen Sie denn mit Ihrer Entdeckungsreise starten?“, murmelt sie nun übertrieben respektvoll in ihre Tastatur hinein.

Mein Vater zückt seinen Kalender. „Optimal wäre der 20. Juli 2000 und dann fünf Wochen!“ Er lächelt mir zu. „Das müsste reichen, um unsere persönlichen Wünsche zu erfüllen!“

„Und welche wären das, also welche Wünsche wollen Sie sich während der fünf Wochen erfüllen?“

„Mein Sohn hat Ihnen ja schon drei genannt. Wir haben da einige Fragen und Ideen, die sicherlich bei der Buchung helfen, z.B. welche Strecke bietet sich an, wenn wir eine Woche mit dem Motorrad fahren wollen? Bitte keine Berg- oder Wüstentouren, wir wollen uns ja nicht in Gefahr begeben!“ Papa zwinkert mir zu. Eilfertig und aufmerksam durchsucht sie die vorhandenen Angebote.

„Flooorida, ja Florida ist das richtige für Sie. Flach, sonnig, viel Strand, viele Inseln bis Key West, Disney World, Daytona, Space Center, Crocodiles, ...!“

„Okay, okay!“, unterbricht mein Vater ihren Redeschwall. Starten wir also in Florida. „Gibt es eine Routenempfehlung?“

„Ich schau mal - Jaaaa, ´Easy Riding durch den Sunshine State´. Miami, dann bis zum Space Center, nach Daytona, Orlando, Disney World, Naples, durch die Everglades bis Key West und zurück. Perfekt mit vorgebuchten Motels bzw. Hotels!“ Sie strahlt. Ich auch.

„Und wie ist das Wetter in Florida. Wir dürfen nicht vergessen, dass wir Motorrad fahren wollen!“ Papa sieht sie fragend an.

„Hallo, das ist der Sunshine State! Das sagt ja wohl alles.“ Sie sieht entrüstet, ja empört von mir zu Papa und zurück.

„Wenn es dort regnen würde, dann müsste der Staat ja Shower State oder Rainy State heißen.“ Sie kichert leise über ihren kleinen Witz. Wir wussten zu der Zeit nicht, wie recht sie mit ihrer unbedachten Äußerung haben würde.

„Gut, buchen Sie bitte die Tour, den Flug und das notwendige Motorrad, wenn es geht eine Harley-Davidson Softail Heritage, die kenne ich bereits.“ Sorgfältig tippt sie mal hier, mal dort etwas in das Buchungssystem.

„Klappt, alles reserviert. Wie geht´s weiter?“ Neugierig schaut sie uns in die Augen.

„Wie sieht es mit Touren im Bereich der Musikstädte Memphis (klar, wegen Elvis), Nashville und New Orleans aus?“ Wieder quält sie in einem Affenzahn die Tastatur und findet sofort eine Rundtour mit dem Namen ´Zauber der Südstaaten´. Ich sehe Papa fragend mit leicht gerunzelter Stirn an. Er spürt meinen zweifelnden Blick und ahnt meine Gedanken.

„Gibt es Touren, die mehr die Musik in den Vordergrund stellen? Diese Tour klingt ein bisschen wie ´Vom Winde verweht´, und nicht nach Jazz und Rock ´n' Roll! Ich bin ja mit meinem Sohn unterwegs und nicht mit Scarlett O´Hara!“ Er lächelt sie charmant an.

Verwirrt bewegen sich ihre Augen wie Scheibenwischer über den Bildschirm. Ihre Anschläge werden deutlich härter. Die Tastatur scheint bei jedem Anschlag leicht zu hüpfen. Nach kurzer Zeit aber lässt sie beide Hände in den Schoß fallen, dabei lautstark wie ein Wal ihren Blas abgebend.

„Nee, gibt´s nicht. Wird auch nicht so oft verlangt!“ Erschöpft greift sie nach einem Glas Wasser.

„Aber“, ihr Gesicht hellt sich wieder auf, „wir gestalten einfach eine neue Tour, bzw., wir variieren die Standardtour!“

„Wie würde die denn aussehen und geht das so schnell mal eben?“ Papa sieht sie zweifelnd an. Sie gibt sofort, fast dankbar, auf und bietet uns dann bei Buchung der Tour als Ausgleich das schicke neue Mustang Cabriolet zum Preis der unteren Kategorie an. Wir sehen uns nickend an. Wer etwas verkaufen will, muss eben gute Argumente haben und die hat sie offensichtlich. Wir buchen also ´Scarlett O´Hara' mit Musik in New Orleans, Memphis und Nashville, mit imposanten Herrenhäusern, Spanish Moss in den Bäumen und den Kriegserinnerungen von Vicksburg, und alles in einem neuen Ford Mustang Cabrio

„Nach der Rundtour sind sie in Orlando. Wohin soll es dann gehen. Vielleicht das Grab von Al Capone in Chicago besuchen?“ Ich spüre deutlich das leichte Sticheln. Wahrscheinlich schwanken ihre Gefühle zwischen Neid und Freude über den plötzlichen Umsatz.

„Jetzt bin ich aber doch überrascht!“, formuliere ich in meinem besten Deutsch. „Nach Al Capones Tod in Florida ist er tatsächlich in Hillside, einem Vorort westlich von Chicago, beerdigt worden!“

„Hey, du hast dich ja wirklich mit Al Capone beschäftigt. Ich dachte, den hätten sie für immer auf Alcatraz eingekerkert.“

„Ja, bis er unheilbar erkrankte und entlassen wurde!“ Ich freue mich selber über mein Wissen und sehe ihr stolz in die Augen.

„Okay, dann wollen wir mal sehen, wie wir euch dahinbekommen!“ Ich verzeihe ihr jetzt das Duzen.

„Ihr fliegt am 10. August 2000 von Orlando nach Chicago O´Hare, und – wartet mal – ich habe da ein schönes Hotel am Grant Park, das Grant Hotel, direkt am Lake Michigan, und für Papa ist Buddy Guys Blues Club gleich an der nächsten Ecke. Besser geht´s nicht, oder!“ Sie strahlt und wir beide erwidern es begeistert.

„Ein tolles Auto kann ich euch auch anbieten ...!“

„Nein, danke!“, unterbricht sie mein Vater. „Wir kaufen uns einen City Pass und fahren öffentlich!“ Sie sah meinen Vater an, als wollte er gerade mit Falschgeld bezahlen.

„Nur wo man zu Fuß war, war man wirklich!“ Papa verstärkt seine Entscheidung mit dem Werbespruch des Alpenwandervereins.

„Sie wollen in Chicago zu Fuß gehen und öffentlich fahren? In Chicago?“, wiederholt sie noch einmal lauter. „In Chicago geht kein Mensch zu Fuß, selbst die Hunde werden gefahren!“ Sie lehnt sich entrüstet in ihrem Sessel zurück.

„Denken Sie an ihr Kind. Man kann seine Augen nicht überall haben!“, ergänzt sie mahnend.

„Wir werden uns gegenseitig überwachen. Verlassen Sie sich darauf.“ Papa klopft mir bestätigend auf die Schulter. „Mein Sohn hat blitzschnelle Augen, die sehen alles, bevor es da ist!“ Er lächelt stolz und ich freue mich über sein Lob. Es kommt leider nicht oft vor, dass Papa mich lobt, aber ich weiß das Lob einen großen Bruder hat und der heißt Grund und den biete ich wohl nicht so oft. Ich werde an diesem Punkt arbeiten müssen.

Fast widerwillig stellt sie die Buchung in ihr System. Sie hat vieles über die Gefahren in Chicago gehört, besonders gefährdet sollen die Touristen sein, die in ihrer Freizeitlaune kein Auge für die Risiken ihres Verhaltens haben. Aber sie kann nicht mehr tun, als ihre Kunden zu warnen, entscheiden müssen sie letztendlich selber.

„Nehmen Sie wenigstens meine Aufstellung der fünf No-go-Areas mit, z.B. Washington Park, West Englewood, ...!“ Papa unterbricht sie.

„Liebe Frau, ich will Urlaub machen und nicht ständig auf der Flucht sein. Verstehen Sie das?“

„Okay, wie Sie meinen. Wie soll es denn nach Chicago weitergehen, wenn alles gut verlaufen ist? Gibt es schon eine Idee für die letzte Woche?“

Sie weiß, dass nach dieser Woche die Buchung endlich abgeschlossen ist und zeigt noch einmal ihr schönstes Lächeln.

„Wir würden gern einmal im Leben eine Woche auf einer richtigen Ranch verbringen, am liebsten in einem typischen Cowboyland, in einer Gegend in der die Kakteen zum Himmel wachsen, der Sand heiß und trocken ist, Tumbleweed den Weg kreuzt, die Coyoten heulen und die Klapperschlangen klappern.“ Ich sehe meinem Vater an, dass er sich auf diese Woche am meisten freut.

„Ach, und noch etwas: Bitte keinen Regen!“

„Mmh. Für Sie ist wahrscheinlich eine Dude Ranch das Richtige. Ich schau mal!“

„Was ist eine Dude Ranch!“, fragen wir beide gleichzeitig.

„Das ist keine Arbeitsranch. Mehr eine Ferienranch für Touristen, also Städter, die mal Cowboy spielen wollen.“ Mir gefällt ihre Art wieder mal nicht. Sie klingt herablassend.

„Was haben Sie denn im Angebot?“ Papa will die Buchung zu Ende bringen und drängt nun. Ich kenne dieses Verhalten, wenn ihm alles zu lange dauert und nach seiner Meinung Zeit für einen Ortswechsel ist.

„Es gibt eine sehr schön restaurierte und wie eine kleine Stadt angelegte Ranch mitten in der Wüste in der Nähe von Tucson, bzw. Tombstone. Ich seh' gerade, die Betreiber sind Weltmeister im Westernreiten und Lassowerfen, also Roping und haben viele Quarterhorses für ihre vorwiegend deutschen Gäste vor Ort. Dort sind sie bestimmt gut aufgehoben.“

„Wie heißt die Ranch?“ Mein Vater stellt kürzere Fragen. Ein Zeichen dafür, dass er nun schnell die Buchung platzieren möchte.

„Es ist die Ironhorse Ranch. Ironhorses wurden damals die ersten Eisenbahnen genannt!“, erklärt sie lächelnd. „Wenn Sie beide reiten wollen, dann haben wir kein Problem. Wenn Sie die Woche buchen, dann geht es nur mit eigenem Zimmer, Vollpension und einem Pferd pro Person. Alkoholische Getränke sind zusätzlich zu zahlen. Abstriche sind hier nicht zugelassen.“

„Okay, klingt eher nach einem Motorrad-Treffpunkt, aber buchen Sie bitte die letzte Woche! Wie kommen wir dahin?“

„Also, sie fliegen am 17. August 2000 von Chicago nach Tucson. Dort werden Sie von einem Ranchwagen abgeholt. Am 24. August bringt sie der Ranchwagen wieder zurück zum Flughafen. Danach fliegen Sie über Chicago zurück nach Deutschland. Ist das Okay?“

„Nach dem Wetter muss ich wohl nicht noch einmal fragen, oder?“ Mein Vater sieht sie schmunzelnd an.

„Nein, Sie sind mitten in der Wüste, bevor es dort regnet ist es wahrscheinlicher, dass die Amerikaner ihr Waffenrecht abschaffen.“ Mein Vater lacht über den Vergleich und ich freue mich auch darüber und lache automatisch mit.

„Vielen Dank. Schicken Sie mir die Unterlagen und die Rechnungen bitte zu und vielen Dank für Ihre wunderbare Beratung.“ Ich sehe noch lange ihr strahlendes Gesicht, als wir das Reisebüro verlassen.

Unsere Tour durch die USA

Qual der Gepäckwahl

Ich sitze in meinem Zimmer, umringt von Unterhosen, T-Shirts, Jeans, Turnschuhen, Jacken, Socken, meinem Teddy, Harry Potter, Badezeug komplett mit Brille, Schnorchel und Flossen und Motorradstiefeln. Vor mir ein Kulturbeutel, dessen Inhalt mir unterwegs meine Form und Art sichern soll. Papa hat eine Reisetasche in mein Zimmer gestellt und mir dabei ein paar mahnenden Worte mitgegeben:

„Hier muss alles was du mitnimmst reinpassen. Passt es nicht, bleibt es hier. Ausgenommen sind natürlich die Kleidungsstücke, die du während der Reise am Körper trägst.“ Die Tasche ist nicht geeignet und viel zu klein für meine Ansprüche. Die Tür geht wieder auf.

„Und denke nicht daran, eine größere Tasche zu nehmen. Wir dürfen das Motorrad dürfen nicht überladen!“ Klapp, war die Tür wieder zu. Meine Augen durchforschen die Kleidungsberge und finden hier und da etwas, worauf ich evtl. verzichten könnte. Da geht die Tür wieder auf.

„Und denke daran: Wir fahren in die USA. Dort können wir bei Bedarf an jeder Ecke alles kaufen was wir brauchen oder es waschen lassen, wenn es nötig ist – und es wird oft nötig sein. Denk mal an die schweißtreibende sommerliche Hitze.“

„Nimmst du deinen Regenanzug für die Motorradtour mit? Der nimmt ziemlich viel Platz weg!“, frage ich vorsichtig.

„Flemming, schon vergessen? Wir fahren doch durch den Sunshine State. Denk lieber an deine Sonnenbrille, aber nimm keine Baseballcap mit, die kaufen wir dort. Ist gleichzeitig ein schönes Souvenir!“ Schon ist er wieder weg. Die Vorstellung, dass T-Shirts und Hosen gleichzeitig gute Souvenirs sind, machen das Packen nun leichter. Es dauert nun keine zwei Minuten, bis meine Tasche gefüllt ist. Ja, sie hat jetzt sogar noch Platz für weitere Souvenirs!

Die Tage bis zur Abreise vergehen wie im Flug. Papa hat zwischenzeitlich alle Einreisepapiere vorbereitet, unsere Pässe geprüft und eine Liste der Freunde und Verwandten erstellt, die wir mit Ferienpost überraschen wollen. Als ich ihn frage, ob es nicht ein wenig angeberisch ist, sagt er nur:

„Ja, aber alle sollen doch wissen, was für eine tolle Reise wir machen!“

Niemals vorher hatten wir eine Reise so gut vorbereitet wie diese. Als ich es Papa sage, antwortet er:

„Ja, das stimmt, aber jede Abweichung während der Reise ist das Salz, das uns die Reise noch für viele Jahre in Erinnerung bleiben lässt. Denke daran und genieße alle Planabweichungen!“

Am Abend vor dem Abflug ist die Unruhe groß. Keiner kann seine Nervosität verbergen, aber alle tun so, als würden sie jeden Morgen zur Arbeit fliegen. Plötzlich ruft uns Papa zusammen, „So, nochmal kurz zum Ablauf morgen früh. Wir müssen um 3.00 Uhr aufstehen ...!“

„Waaas!“, höre ich mich rufen, „um 3.00 Uhr morgens?“