Aus, Amen, Ende? - Thomas Frings - E-Book

Aus, Amen, Ende? E-Book

Thomas Frings

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Beschreibung

Als Thomas Frings im Februar 2016 sein Amt als Pfarrer niederlegt, ins Kloster geht und diesen Schritt öffentlich erklärt, ist das Echo gewaltig. Nicht nur in den Medien, auch unter Amtsbrüdern und Gläubigen. Tausende Followers auf Facebook liken seinen Schritt. Sie spüren: Dort ist jemand, der nicht aus Trotz oder Angst, sondern aus tiefer Liebe zur Kirche eine solch schwere Entscheidung getroffen hat. Auch in seinem Buch redet Frings Klartext, benennt Missstände und gibt Einblick in sein Seelenleben als Pfarrer. Er kritisiert, zeigt aber auch neue Wege auf und liefert Erklärungen und Lösungsansätze. Für Thomas Frings ist klar: Kirche muss wieder mehr Kirche sein, wenn sie überleben will. Und: "Ich habe kein Problem. Ich bin voller Energie und liebe meine Kirche. Ich will nichts anderes sein als Priester. Aber so kann es nicht weitergehen." "Als ich schweren Herzens meine Gemeinde verlassen habe, da wurde ich auch mit dem Vorwurf konfrontiert, der Hirte verlasse seine Herde. Doch musste ich in dem Moment nicht selber darauf reagieren, sondern ein älterer Herr ergriff das Wort und sagte: Das kann man selbstverständlich so sehen. Wenn jedoch auf den alten Wegen immer weniger Schafe mitgehen und man immer weniger weiß, wohin es gehen soll, dann muss es vielleicht auch irten geben, die die Herde einmal verlassen um vorauszugehen und nach neuen Wegen suchen." (Thomas Frings) "Was ich aber nicht verloren habe, ist der Glaube daran, dass es ein christliches Programm für unsere Gesellschaft gibt, für das es sich zu leben lohnt." (Thomas Frings)

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Thomas Frings

Aus, Amen – Ende?

So kann ich nicht mehr Pfarrer sein

Impressum

2. Auflage 2017

© Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2017

Alle Rechte vorbehalten

www.herder.de

Umschlaggestaltung: wunderlichundweigand, Stefan Weigand

Umschlagmotiv: © Stefan Sättele

E-Book Konvertierung: le-tex publishing services GmbH, Leipzig

ISBN Print 978-3-451-37797-6

ISBN E-Book 978-3-451-81099-2

Ich widme dieses Buch den Menschen in den Gemeinden St. Bonifatius (Freckenhorst), St. Agatha (Münster-Angelmodde), St. Ludgerus (Münster-Albachten) und Heilig Kreuz (Münster), mit denen ich Wege nach Gott und der Glaubensverkündigung gesucht habe.

Namentlich bedanke ich mich bei Pfarrer Walter Schüller, der das Beste war, was mir als jungem Kaplan begegnen konnte. Sowie bei den hauptamtlichen Seelsorgern und Seelsorgerinnen, mit denen ich gerne im Team gearbeitet habe: Matthias Könning, Silke Maria Reichstein, Stephanie Heckenkamp-Grohs, Hendrik Werbick, Stephanie Lichters, Georg Kreilkamp, Andreas Wojcik, Pater Klaus Sanders (†), Daniel Drescher, Franz-Josef Wille, Myriam Höping Klaus Jansen, Marianne Kamlage und in vielen Fällen auch deren Ehepartnern.

Ein Dank gilt auch den Menschen, mit denen ich an den verschiedenen Stellen in den Pfarrhäusern zusammen gelebt und dank deren ich mich selten einsam gefühlt habe. Namentlich sind dies Monika und Peter Pohl mit ihren Kindern Kirsten und Nicolai sowie mehr als einem Dutzend Studentinnen und Studenten.

Meine Geschwister Lisa, Peter und Alaza sind mir immer liebevolle und kritische Begleiter auf dem Weg gewesen und seit Studienbeginn auch die Mitbrüder Hans Karl Seeger in den 36 Jahren als mein Spiritual und Heio Weishaupt.

Egbert Kimm danke ich für die Hilfestellung bei der Syntax, der aus dem geschriebenen Text manchen Stolperstein entfernt hat.

Ein besonderer Dank gilt Simon Biallowons vom Verlag Herder, ohne dessen Hilfe dieses Buch so nicht entstanden wäre.

Inhalt

Danksagung

Vorwort

»?Kurskorrektur!«

»Dass alles wieder wie vor dreißig Jahren ist«

Berufen oder verdammt zur Hoffnung?

Die Kirche muss im Dorf bleiben

Hört Gott uns nicht?

»O Gott, mein Kind will Priester werden!«

Samstags läuft das Spiel »Messe gegen Sportschau«

Es könnte alles besser sein, wenn nicht das Bodenpersonal …

Das Heilige als Mittel zum Zweck?

Das vergessene Versprechen

Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen

Grandhotel Erstkommunion

Klimawandel in der Kirche – und wir können nichts tun?

Hausgemachte Enttäuschungen

Liebe macht blind

Alt, weise – wichtig

Chefetage, Mitarbeiter, Kunden

Christ ist man am Sonntag um zehn

Servicewüste Kirche

Der barmherzige Samariter im Sozialstaat

Kein Entkommen?!

Alle Päpste gehen zur Beichte

Eine Pastoral der Vergeblichkeit?

»Der unter dem Teppich ist der Oberchecker!«

Auf dem Weg zur Entscheidungsgemeinde

Nachwort

»Selig sind die Suchenden«

Anmerkungen

Vorwort

Nach dreißig Dienstjahren war auf einmal Schluss für mich. Schluss mit meinem Beruf als Pfarrer, Schluss mit meinem aktiven Dienst im Bistum Münster. Ich habe mich beurlauben lassen und bin weg aus dem Umfeld, das für Jahrzehnte meinen Alltag, mein Leben, meine Person geprägt hat. Vorausgegangen waren Exerzitien, bei denen unser Weihekurs plötzlich ohne Exerzitienleiter dastand, weil dieser zum Ordensoberen gewählt worden und nach Rom gegangen war. Ich hatte also auf einmal richtig viel Zeit. Zeit, zurückzublicken, Zeit für eine révision de vie. An deren Ende las ich meine Aufzeichnungen durch und fragte mich: »Und jetzt?« Denn eines war mir klar: So wie bisher konnte und wollte ich nicht weitermachen. Ich war ausgesprochen gerne Pfarrer und bin noch immer gerne Priester. Aber so konnte es einfach nicht weitergehen. Die Stellungnahme, in der ich meiner Gemeinde erklärte, warum ich mich beurlauben ließe, war überschrieben mit dem Wort »?Kurskorrektur!«. Darunter mein Rückblick, zusammengefasst, persönliche Eindrücke und Wahrnehmungen meiner Dienstjahre sowie die Konsequenzen, die ich für mich gezogen hatte. Zu meiner eigenen Überraschung wurde dieser Text schnell verbreitet, aufgegriffen und zitiert, in theologischen Zeitschriften, regionalen und überregionalen Zeitungen, aber auch Priesterräten und Kreisen hauptamtlicher Mitarbeiter in der Seelsorge in Deutschland und sogar darüber hinaus. Ich bekam Hunderte Briefe und Mails und war jedes Mal noch überraschter von dem, was mein kurzes Schreiben und meine Entscheidung offenbar angestoßen oder zumindest angesprochen hatte.

1980 habe ich mein Theologiestudium in Münster begonnen, wurde 1986 zum Diakon geweiht, ein Jahr später zum Priester. 25 Jahre lang war ich Pfarrer in drei Gemeinden. Sie alle waren Teil der Stadt Münster in Westfalen und doch unterschiedlich. Nicht nur in Bezug auf ihre Größe, von knapp über eintausend Mitgliedern bis hin zu mehr als zehntausend. Nein, sie waren auch unterschiedlich geprägt, waren ländlich oder städtisch, akademisch oder bürgerlich, hatten eine lange oder kürzere Geschichte, waren fusioniert aus anderen Gemeinden oder selbstständig. Man kann sagen: Ich habe zwar sicher nicht alle, aber doch viele Facetten und Arten von Gemeindeleben kennengelernt.

In diesen Jahren habe ich viele ausgezeichnete Vorträge, Studien und Analysen von Fachleuten, Soziologen und Pastoraltheologen gehört und gelesen. So viele kluge Frauen und Männer, die sich geäußert haben zur Situation der Kirchen und der Gemeinden in Deutschland und zu Fragen wie: Woher hat sich manches warum wohin entwickelt? Womit lässt sich der Bedeutungsverlust in der Gesellschaft erklären? Wo bekommt man Hilfe? Wie können Antworten aussehen? Wie leben, denken, fühlen Menschen heute und was hat das für Folgen für den Glauben? Wie kommunizieren Menschen heute? Welche Institutionen erleben ebenfalls Relevanzverlust? Im Rückblick sind manche der Artikel und Reden etwas zeitgebunden, befindet sich Gesellschaft doch in einem andauernden Veränderungsprozess, doch im Wesentlichen sind sie bis heute gut, gültig und hilfreich.

Dieses Buch ist keine solche wissenschaftliche Arbeit. Hier spricht ein Pfarrer über seine persönlichen Erfahrungen und Beobachtungen. Es geht darum, wie die Entwicklung für mich aussieht, was ich mir anders und anderes vorstellen könnte, woran ich einfach nicht mehr glaube und woran schon noch, und, vor allem: Wo gibt es so etwas wie eine Vision, wie kann es weitergehen? Denn weitergehen muss es.

Nahezu alle Rückmeldungen auf meine Rücktrittserklärung waren zustimmender Art, wurden von hauptamtlichen Seelsorgern geteilt und bestätigt. Es gab auch ganz konkrete Einladungen von Kirchen, Orden, Gemeinschaften und Gruppen, innerhalb wie außerhalb der katholischen Kirche, mich ihnen anzuschließen. Selbst den Hinweis, dass auf meine »?Kurskorrektur!« doch logisch ein Kirchenaustritt folgen müsse. Das aber kommt für mich nicht infrage. Auch wenn ich manches in dieser Kirche kritisch sehe, so bin ich doch mit Freuden Priester in genau dieser Kirche. Ich sage Aus und Amen, aber eben nicht Ende. Denn ich liebe diese Kirche.

»Extra ecclesiam non salus – außerhalb der Kirche kein Heil«, hieß es früher im Hinblick auf das Seelenheil des Menschen. Diese Aussage übertrage ich auf mein Verhältnis zur Kirche. Die Kirche bildet den objektiven Rahmen für meinen subjektiven Glauben. Ich weiß genau: Ich wäre hoffnungslos überfordert, wenn nur das, was ich glaube, der Maßstab wäre für mich und für andere. Zugleich kann ich nicht mit Ja antworten, wenn man mich fragt, ob ich alles glaube, was die Kirche lehrt. Auch nach einem Theologiestudium weiß ich nicht, was meine Kirche in 2000 Jahren alles an Glauben formuliert hat. Nun könnte man unseren Glauben doch einfach auf das Evangelium und das Glaubensbekenntnis reduzieren. Die Erfahrung zeigt aber, dass es dabei nicht bleibt, nicht einmal während einer Pfarrgemeinderatssitzung. Es gibt Interpretationsspielräume und Meinungsverschiedenheiten und vergessen wir nicht, wie sehr unser Glaube orts- und zeitbezogen ist. Sollte jemand meine Predigten, die ich in den vergangenen dreißig Jahren gehalten habe, genau unter die Lupe nehmen, würde er sicher manches Fragwürdige oder mit der Lehre der Kirche nicht zu Vereinbarende finden. Gut, dass ich Teil eines Größeren bin, Teil der Kirche.

Manche der Kapitel dieses Buches überschneiden sich in den Themen, andere beziehen sich aufeinander, dennoch muss man sie nicht chronologisch lesen. Hie und da geht der Rheinländer mit mir durch. Sollte also das ein oder andere zu hart klingen, dann stelle man sich den Autor dabei freundlich lächelnd über die Schulter blickend vor. Keineswegs soll sich jemand verletzt fühlen. An vielen Stellen habe ich allgemeine Formulierungen gewählt, doch wenn sich jemand wiederzuerkennen meint, dann darf er das als persönliche Wertschätzung ansehen. Auch Enttäuschungen sind nicht zu leugnen. Hoffentlich bleibt dennoch die Freude spürbar, im Dienste der Frohen Botschaft einen sinnvollen und wunderbaren Dienst zu tun. Ich bin auch im dreißigsten Jahr immer noch gerne Priester!

»Hättest du geheiratet, wäre es für alle leichter. Der Zölibat und der Bischof wären schuld und wir könnten weitermachen wie bisher. Dass du aber als Pfarrer aufhörst, um Priester bleiben zu können, das stellt uns alle vor eine Frage, Hauptamtliche und die Gemeinden!« Ein lieber Freund und Kurskollege, dem der Heilige Geist die Gabe prägnanter Formulierungen verliehen hat, brachte es auf diese Aussage. Er hatte den Kern getroffen, bevor mir das selbst so deutlich wurde. Erschreckend war jedoch die Rückmeldung, man hätte selbst nie den Mut gehabt, so etwas zu sagen oder zu schreiben. Stimmt das wirklich? Und was sagt das denn aus über unsere Kirche, über die Freiheit und den Mut darin? Genau deshalb meine ich: »?Kurskorrektur!«

»?Kurskorrektur!«

Die Stellungnahme, mit der ich meinen Rücktritt als Pfarrer erklärt habe und die für so viel Wirbel und Trubel, aber vor allem auch für viele wohlmeinende und bestärkende Reaktionen gesorgt hat, war der Ausgangspunkt von vielem und zugleich das, worin sich viele meiner Erfahrungen der letzten Jahrzehnte gebündelt haben und die ich versucht habe, so zusammenzufassen und auszudrücken. Ich will sie deshalb an dieser Stelle noch einmal in ihrer kompletten Länge bringen, einfach deshalb, weil das, was ich bei meinem Schritt gefühlt habe, und auch vorher und jetzt noch, darin zur Sprache kommt:

»?Kurskorrektur!«

Ich habe in meinem Leben viel Glück gehabt. Eine Geburt in stabile familiäre, soziale und gesellschaftliche Verhältnisse. Eine Berufung und Begabung zu einem Dienst in einer Glaubensgemeinschaft gaben mir Halt und Orientierung. Ich hatte die Möglichkeit, zu suchen, und habe gefunden.

An allen Orten, an denen ich als Priester wirken konnte, war ich so, dass ich auf nichts anderes gewartet habe. Innere und äußere Umstände führten zu einer hohen Zufriedenheit. Hätten meine Vorgesetzten mich dort »vergessen«, wäre es eine gute Zeit geworden.

Persönlichen Neigungen konnte ich nachgehen, sei es beim Studium der Kunstgeschichte oder bei Reisen. Ich habe Freude an vielem und habe sie auch noch, die Freude am Schönen.

Aber es stellt sich mir verstärkt die Frage: Wofür lebe ich?

Ich hatte einen Traum, in dem ich eine Sauna betrete, in der es gerade einen Aufguss gibt. Die Menschen schimpfen, weil ich die Türe geöffnet habe. Ich entschuldige mich und setze mich in eine Ecke. Nach wenigen Augenblicken merke ich, dass es in der Sauna ganz kalt ist. Der Ofen heizt, es wird ein Aufguss gemacht, aber es ist kalt. Ich schaue nach oben und stelle fest, dass die Sauna kein Dach hat.1

Die Veränderungen im Verhältnis der Gesellschaft zur Kirche, aber auch das Verhalten der Mitglieder in ihr, haben zu einer schrittweisen Veränderung bei mir geführt. Solange ich lebe, kenne ich nur eine schwindende Zahl bei den in der Kirche Aktiven und eine wachsende bei den Kirchenaustritten. Die Reaktionen auf dieses Phänomen sind bei Kirchenleitung, Gemeindeleitung und in den Gemeindegremien sehr ähnlich. Gemeinden, Seminare und Klöster werden geschlossen oder zusammengelegt, um dann meist das Bisherige weiterzumachen.

Als ich 1980 mit dem Studium begann, hieß es, die Nachwuchszahlen gehen bergauf. Das anschließende Sinken wurde mit der sinkenden Geburtenrate erklärt. Als der Rückgang erheblich unter den der Geburtenrate sackte, gab es den Trost, dass die Zahl der Priester im Verhältnis zu den Gottesdienstbesuchern höher sei als noch vor Jahren und weltweit sowieso. Der z.T. hohe Einsatz von Priestern der Weltkirche, ermöglicht durch die Kirchensteuer, überbrückte wiederum einige Jahre. Inzwischen steuern die Eintrittszahlen in den Seminaren mancherorts auf eine Null-Linie zu. Wir gestalten die Zukunft von Kirche in den Gemeinden immer noch nach dem Modell der Vergangenheit. Auch ich habe dafür nicht die eine Lösung parat. Was erwarten wir von den Männern, die sich in dieser Situation auf den Weg machen, um Priester zu werden? Kann man dafür guten Gewissens noch werben?

Es besteht bei den Antworten auf die Fragen, die sich uns in dieser Umbruchzeit stellen, kein Konsens. Hinsichtlich des Pastoralplans für unsere Gemeinde kam auf die Frage: »Was wünschen Sie sich für die Zukunft?« auch die Antwort: »Dass alles wieder so ist wie vor dreißig Jahren«. Diese Antwort halte ich für die ehrlichste, die mehrheitsfähigste und eine, die ich sogar nachvollziehen kann. Und doch ist es diejenige, deren Wunsch am unwahrscheinlichsten in Erfüllung gehen wird. In was für einem Dilemma befinden wir uns, wenn Wunsch und Wirklichkeit so eklatant im Widerspruch zueinander stehen?

Unsere zahlreichen Kindergärten und Schulen werden als Chance der Glaubensverkündigung gesehen. Ist diese Hoffnung in den letzten Jahrzehnten in Erfüllung gegangen?2 Ich halte auch hier die Hoffnung, die sich an dieses Projekt bindet, für unrealistisch – die Arbeit an sich ist gut und richtig. Ich stelle die Frage an das Modell, das kaum die Erwartungen erfüllt, nicht an das Personal, nicht an das Engagement für die Kinder und Jugendlichen – nur daran, ob dies wirklich »Lernorte des Glaubens« sind. Wurden die Erwartungen der letzten Jahrzehnte erfüllt, als wir auf noch mehr Erzieher/innen zurückgreifen konnten, die eine Glaubenspraxis kannten und lebten?

Was sich unter dem Begriff »Caritas« herausgebildet hat, ließ der Kirche lange Zeit höchsten Respekt zukommen. Das soziale Engagement war eine gute Begründung für eine Kirchenmitgliedschaft. Die letzten Umfragen haben gezeigt, dass die Menschen Caritas und Kirche kaum mehr zusammen sehen. Wofür steht Kirche dann noch bei diesen Menschen? Manche Begründung amtlicherseits zur Kirchenmitgliedschaft offenbart eine sehr praktische und finanzielle Sicht auf Kirche.3

Die strapazierte Tugend der Hoffnung erlebe ich auch in der Gemeinde. Sind die Sakramente der Taufe, Firmung und Trauung auf den einmaligen Empfang angelegt, so entfalten sich die der Eucharistie und Beichte gerade in ihrer Wiederholung. Es gibt keine Sakramente der Erstkommunion und der Erstbeichte. Entwickelten sich die Modelle der begleitenden Katechese in einer Zeit, in der sie als Ergänzung zum Besuch der Sonntagsmesse verstanden wurden, so stehen sie heute an ihrer Stelle. Begründet wird das Festhalten an diesem Modell mit der Hoffnung, dass die Saat eines Tages aufgehen werde. Die erste Generation, von der man das erhoffte, kommt ins Rentenalter und tritt vermehrt aus der Kirche aus, wie die letzten Austrittszahlen zeigten.

Die Glaubenspraxis der Menschen hat sich geändert, aber dass Kirche sich an dieser Stelle nicht verändern darf, da sind sich Fernstehende und Verantwortliche einig wie selten. Die einen wollen nicht die Tradition und die anderen nicht die Hoffnung aufgeben.4

Wir haben den Satz: »Die Menschen da abzuholen, wo sie stehen« umzusetzen gelernt. Jetzt müssten wir noch den Umstand akzeptieren, dass immer mehr Menschen gar nicht dahin wollen, wo wir sie hinführen möchten, nämlich zur Mitfeier dieser Sakramente.5

Sehe ich zu sehr das Negative? Vielleicht, aber auf dem Sektor habe ich die einzigen Wachstumszahlen in dreißig Dienstjahren zu verzeichnen. Sollte ich mehr die Menschen sehen, die es ernst meinen? Vielleicht, aber diese werden immer weniger. Dürfen sie als Entschuldigung herhalten, alles zu belassen, wie es ist? Wir bedienen zu viel Tradition und wecken zu wenig Sehnsucht. Ich bin kein Verfechter des »heiligen Restes«, wohl aber eines mutigen Abschiednehmens vom Gewohnten, auch wenn es Ärger gibt. Ermöglichen wir allen alles, aber sagen wir auch, was das kostet, und zwar nicht nur an Kirchensteuern, sondern auch im Leben, am Werktag wie am Sonntag. Uns kann das Mitglieder kosten, aber das tut die jetzige Praxis auch. Vielleicht gewinnen wir aber auch Menschen und an Glaubwürdigkeit. Das Risiko ist es mir wert.

Ich feiere mit Freude die Messe, am Sonntag wie am Werktag. Ich freue mich über jede/n, die/der dies ebenfalls tut, und sei es unregelmäßig.6 In unserer Gemeinde kommen ca. 90 % jedoch nicht wenigstens einmal im Jahr am Sonntag zur Messe, 70 % nicht einmal an Weihnachten.7

Dennoch wächst der Spagat zwischen den immer seltener im Leben der Menschen stattfindenden Gottesdiensten (Hochzeit, Taufe, Erstkommunion, Firmung, Beerdigung, Jubiläum, Weihnachten) und der inneren Gestimmtheit dafür, dem Grundgerüst, das man zum Mitfeiern vielleicht braucht. Der Anspruch, dass diese seltene Feier dann serviceorientiert, fehlerlos, auf hohem Niveau »geliefert« werden soll, und die Ahnungslosigkeit nicht Weniger sind für mich immer schwerer auszuhalten.8

Gottesdienste mit Suchenden, Fragenden, sogar den bekennend Ahnungslosen zu feiern, ist eine wahre Freude. Ebenso wie die Hochform am Hochfest eine Hochstimmung vermitteln kann. Es ist die Diskrepanz im Inneren mancher Feier, die mich schmerzt – und davon werden es mehr!

Foren, Synoden, Umfragen, Erhebungen, Untersuchungen, Dialoge, Beratungen, Pläne – all das sind notwendige Aktionen angesichts der aktuellen Probleme. Viele Gespräche und Überlegungen bringen Erkenntnisgewinn. Dennoch fällt die Bilanz ernüchternd aus, hat sich doch am Bedeutungsverlust vom in der Kirche gelebten Glauben nichts geändert – und ich glaube, dass sich daran zu meinen Lebzeiten auch nichts ändern wird. Der hochgeschätzte Spiritual Johannes Bours hat bei seinem letzten Besinnungstag im Priesterseminar 1984 prophezeit: »Wenn Sie auf dem Höhepunkt Ihrer Schaffenskraft sind, wird kaum mehr jemand da sein.«

Wir sind Teil einer gesellschaftlichen Entwicklung, auf die wir nur einen marginalen Einfluss haben. Und dass wir durch Kindergärten als Lernorte des Glaubens oder kirchliche Schulen noch spürbaren Einfluss nehmen, daran habe ich den Glauben verloren. Trotz des Versprechens der Eltern hinsichtlich der Erziehung im Glauben können die meisten Kinder bei der Kommunionvorbereitung weder Kreuzzeichen noch Vaterunser. Doch alle gehen jahrgangsweise zur Kommunion, mit der die meisten Familien weder vorher noch nachher etwas anfangen. Dies sind Realitäten, mit denen ich mich kaum mehr abfinden kann. Und ich habe mich in fünfundzwanzig Jahren als Pfarrer wahrlich bemüht.9

Bin ich Priester geworden mit der Erwartung, dass Glaube und Kirche wieder relevanter werden? Mit 27 hatte ich zumindest Hoffnung! Aber unter veränderten Koordinaten habe auch ich mich verändert. Ich habe den Glauben daran verloren, dass der Weg, auf dem ich als Gemeindepfarrer mit Freude und Engagement gegangen bin, ein zukunftsweisender ist. Bestenfalls vermag er eine leichte Bremse auf dem Weg des Bedeutungsverlustes zu sein.

Seit der Gemeinschaft der Apostel hat es nie eine ideale Gemeinschaft in der Nachfolge Jesu gegeben. Es ist jedoch ein Unterschied, ob diese Gemeinschaft sich ausbreitet, Gemeinden gründet, Kirchen baut und Gesellschaft beeinflusst oder ob man zeit seines Lebens einen Konsolidierungsprozess erfährt, in dem gleichzeitig die Servicementalität wächst. Ich erlebe einen ununterbrochenen Rückzug. Alle Korrekturen sind schon mit einem Verfallsdatum oder Fragezeichen versehen und mir fällt es zunehmend schwer, mich in diesem Kontext zu engagieren. Es gibt Umstände, die mir die Freude an der Sache erschweren, besonders wenn sie ein Dauerzustand sind. Was ich nicht verloren habe, ist der Glaube daran, dass es ein christliches Programm für unsere Gesellschaft gibt, für das es sich zu leben lohnt.

Was ist das Resümee? Alles bisher Gesagte klingt nach Veränderung und Entschiedenheit. Dies ist aber etwas, das man nicht von anderen erwarten sollte – vielleicht nicht einmal von einer so alten und noch immer in Zahlen großen Kirche wie der unsrigen. Erwarten darf man das letztlich nur von sich selber!

Ich war Pfarrer in drei Gemeinden. Die beiden vorherigen wurden fusioniert und bei der jetzigen werde ich schwerlich in zehn Jahren einen Nachfolger bekommen. Dennoch ist der Blick zurück keineswegs enttäuschend. Angesichts der Entwicklung sehe ich auf diesem Wege aber keine Zukunft. Hinter das Vergangene mache ich ein großes Ausrufezeichen, vor dem Zukünftigen steht ein großes Fragezeichen. Mir ist die Perspektive abhandengekommen angesichts der Entwicklung und der Aussichten. Ich erwarte keine signifikanten Veränderungen einer Großwetterlage durch Pläne oder Foren. Die Strukturveränderungen habe ich aus Überzeugung mitgetragen. Eine Erneuerung habe ich davon nicht erwartet und würde ich auch von Veränderungen wie z. B. bei der Zulassung zum Priesteramt nicht erwarten.10

Es ist auch nicht so, als ob ich wüsste, wie der Weg in die Zukunft für Kirche und Gemeinden auszusehen hat. Mein Leben als Priester habe ich als erfüllend erfahren und ich möchte weiter Priester bleiben. Dennoch erlebe ich es als Gemeindepfarrer vermehrt in einer Funktion des Bedienens von Traditionen und als Verfügungsmasse einer Kirche, die auf allen Ebenen mehr an ihrer Vergangenheit arbeitet als an ihrer Zukunft.11

Demnach kann es nur heißen, dass ich bei mir etwas ändern muss. Ich möchte der Kirche und der Welt weiter als Priester dienen, dies aber an einem anderen Ort, im Wissen darum, was ich an Gutem aufgebe, und dem Risiko, mich auf Unbekanntes einzulassen.

1987 lautete mein Primizspruch: »Ich will mit dir reisen, ich kenne den Weg!« (Tobit 5,6) – so sagt es der Erzengel Rafael dem Tobias. Ich kenne den Weg nicht, der vor mir liegt. Ich werde gehen und suchen. Unserem Bischof danke ich dafür, dass er mir eine Auszeit ermöglicht, in der ich zunächst für eine Zeit in ein Kloster gehen werde.

Mit aller Klarheit und Deutlichkeit sage ich am Ende dieser Stellungnahme, dass ich niemandem einen Vorwurf mache. Nicht den Gemeinden, in denen ich tätig war, nicht den Seelsorgerinnen und Seelsorgern und nicht dem Bischof und der Bistumsleitung, mit denen ich dreißig Jahre zusammengearbeitet habe. Ich habe nicht die Lösung für die Umbruchsituation, in der wir uns befinden. Eine Veränderung von jemand anderem als von sich selber zu erwarten, halte ich jedoch für eines der Probleme selber.

Meine Bewunderung gilt allen, die in den Gemeinden in dieser Zeit aktiv bleiben. Ich möchte an anderer Stelle für sie und alle Menschen glauben, beten und leben.

»Dass alles wieder wie vor dreißig Jahren ist«

Die Volkskirche ist am Ende, so lautet das Mantra jahrzehntelanger Erfahrungen. Gut, dieser Meinung kann man sein. Aber wie passt es denn dann dazu, dass wir einen Großteil unserer Blutkonserven für diesen sterbenden Patienten aufwenden? Sollte man sie nicht aufsparen für etwas, das gesünder, hoffnungsvoller, zukunftsversprechender erscheint? Wieso so viel Mühe für einen Totgesagten?

Nun, der Patient Volkskirche hat wie eben viele Totgesagte einen erstaunlichen Überlebenswillen. Wir sind zwar eine Religion, die an ein Leben nach dem Tode glaubt, die aber alles daran setzt, dass besser nichts sterben darf. Die Kunst des Sterbens wird uns angesichts fortschreitender Medizin nicht erleichtert, aber eine Kultur des Loslassens, des Sichverabschiedens haben wir nicht richtig gelernt. Vielleicht brauchten wir diese lange Zeit auch und es ist eine Aufgabe, der wir uns stellen müssen. Volkskirche ist im Sterben und das Andere ist nicht sichtbar – oder nur noch nicht sichtbar? Wir fahren zurzeit auf Sicht in unbekanntes Gebiet. Dabei ist das Evangelium voll von Hinweisen, wie wir mit solchen Situationen umgehen könnten. Ja, der Anfang der Kirche selbst steht in diesem Zusammenhang. Wir sprechen oft von Pfingsten als Geburtsstunde der Kirche. Und eben dieses Pfingsten konnte erst werden, als Christus zum Vater heimgekehrt war – Neues kann oft erst werden, wenn Altes losgelassen wurde.

Wir könnten einmal hingehen und alles, wirklich alles, was wir als Kirche und Pfarrgemeinde anbieten und aufrechterhalten, auf den Prüfstand stellen. Wenn ich mich nicht täusche, wird sich für alles und jedes eine Gruppe finden, die gerade dies für unaufgebbar hält. Der Versuch, Schwerpunkte zu erarbeiten, führt oft eher zu schwergewichtigen Listen anstatt zu Erleichterungen. Zwischen Land, Dorf, Klein- und Großstadt wird es unterschiedliche Entscheidungen geben. Wo eine Gruppe mit Engagement etwas anbietet, weil sie es will und davon überzeugt ist. Warum sollte dies nicht weiter so gemacht werden? Doch problematisch wird es, wenn Nachfolger gesucht werden, die dann aber bitte in unveränderter Art und Weise diese Tradition fortsetzen, eben weil es doch Tradition sei. Die Tradition als goldenes Kalb des kirchlichen Engagements. Damit meine ich nicht nur Tradition im klassischen Sinne von Bräuchen, sondern von etwas, was eben eine Zeit lang so gemacht wurde. Und wo gerne, wenn das infrage gestellt wird, geantwortet wird: weil man das immer schon so gemacht hat. Oder zumindest sehr lange.

Warum nicht mal den Resetbutton drücken und fragen: Was können nur wir anbieten oder was können wir besser als andere? Eine komparative Konkurrenzperspektive kann hilfreich, aber auch desillusionierend sein. Wo der Schützenverein schon ein tolles Dorffest auf die Beine stellt, muss nicht noch ein katholisches Würstchen einige Wochen später gegrillt werden. Ehrlichkeit tut weh, aber auch not. Es stimmt traurig, wenn eine KAB-Gruppe (Katholische Arbeitnehmer-Bewegung) feststellt, dass sie nur noch aus Rentnern besteht, oder wenn eine kfd-Gruppe (Katholische Frauengemeinschaft Deutschlands) realisiert, dass sie in einer jungen Gemeinde noch drei Prozent der weiblichen Gemeindemitglieder vertritt, von denen die meisten sogar über achtzig sind. Selbst wenn das die Realität sein sollte, sollte die oft ausgezeichnete Arbeit von Verbänden und Gruppen in der Vergangenheit dennoch wertgeschätzt werden.

Wenn man seine Energie vorrangig darin investiert, es wieder so zu haben, wie es vor dreißig Jahren war, hilft vielleicht der Blick in die eigene Familie. Wer sieht bei seinen eigenen Kindern oder Enkeln das Engagement dafür, dass alles wieder so wird wie früher? Ganz abgesehen davon, dass es auch vermessen ist, von den Kindern und Enkeln so etwas zu erwarten!