Ungehorsam - Thomas Frings - E-Book

Ungehorsam E-Book

Thomas Frings

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Beschreibung

Die Geschichte von Abraham und Isaak fasziniert und verstört bis heute. Was ist das für ein Gott - und ist das spiritueller Missbrauch? Zugleich ist sie von einer Tiefe, wie wenige biblische Stellen. Thomas Frings und Emmanuela Kohlhaas tauchen in diese Tiefen ein und fördern Überraschendes zu Tage. Sie schildern, was sich Isaak vielleicht gedacht hat, wie er gehadert und geflucht hat - aber warum man gerade von ihm spirituelle Resilienz lernen kann. Sie zeigen einen Abraham in seinem ganzen Zweifel, seiner Zerrissenheit, und schreiben über echten und falschen Gehorsam. Und, das Besondere: Auch Sara, oft vernachlässigt, kommt hier als Mutter und vor allem starke Frau zu Wort. Mehr noch, sie schreit ihre Wut, aber auch ihren Glauben in die Welt hinaus. Sara steht hier für die Frage nach der Rolle der Frau und wie sie das Beispiel für eine grundlegende Reform der Kirche ist. Ein provokantes und mutiges Buch, das genau zur richtigen Zeit kommt. Mit neuen und aufrüttelnden Ansätzen für das, woran Kirche leidet und was es jetzt braucht.

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Seitenzahl: 319

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Emmanuela Kohlhaas Thomas Frings

UNGEHORSAM

Eine Zerreißprobe

© Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2021

Alle Rechte vorbehalten

www.herder.de

Die Bibelverse wurden, soweit nicht anders angegeben, folgender Ausgabe entnommen:

Einheitsübersetzung der Heiligen Schrift, vollständig durchgesehene und überarbeitete Ausgabe © 2016 Katholische Bibelanstalt GmbH, Stuttgart

Alle Rechte vorbehalten

Umschlagkonzeption: Verlag Herder

Umschlagmotiv: Rembrandt van Rijn: Opferung Isaaks, 1635, Öl auf Leinwand, Sankt Petersburg, Russland

E-Book-Konvertierung: ZeroSoft, Timisoara

ISBN E-Book Epub 978-3-451-82237-7

ISBN E-Book PDF 978-3-451-82327-5

ISBN Print 978-3-451-38798-2

INHALT

Die Opferung Isaaks

Isaak: Spirituelle Resilienz

Eine dunkle Faszination

Dem Horror begegnen

Im Schatten des Missbrauchs

Kernfragen

Richtig streiten

Macht der Argumente oder Argumente der Macht?

Vom Widerspruch zum Widerstand

Lob der spirituellen Widerstandsfähigkeit

Kraft in der Schwachheit

Sara: Protest für das Leben

Ich bin Sara

Widerstand und Emanzipation

Unfruchtbar

Große Gefühle: Religion und Eros

Spiritualisierte Gewalt

Zölibatär „hochbegabt“?

Schuld und Schuldbekenntnis

Protest gegen den Tod

Die Verheißung

Der Schrei des Gebetes

Abraham: Ungehorsam

Vasallengehorsam

„Nein, es ist meine Lust!“

Im freien Fall

Missbrauch – Das System

Missbrauch – Opfer und Täter

„Für immer mit schweren Sanktionen gesichert“

Immer wieder Zölibat

Welchen Gehorsam braucht es?

Priestertum und Macht

Ungehorsam als Wille Gottes

Kreuz, Tod und Freiheit

Gehorsam 2.0

Epilog

Anmerkungen

Viten

DIE OPFERUNG ISAAKS

Nach diesen Ereignissen stellte Gott Abraham auf die Probe und sagte zu ihm: Abraham, Abraham! Er antwortete: Hier bin ich! Da sprach er: Nimm deinen Sohn, deinen einzigen, den du lieb hast, den Isaak, und gehe in das Land Morija und bringe ihn dort auf einem der Berge, den ich dir bezeichnen werde, als Brandopfer dar! Abraham stand früh am Morgen auf, sattelte seinen Esel, nahm zwei Knechte mit sich und seinen Sohn Isaak. Nachdem er Holz für das Brandopfer gespalten hatte, brach er auf und begab sich zu dem Ort, den ihm Gott genannt hatte. Am dritten Tag erhob Abraham seine Augen und sah den Ort von ferne. Da sagte Abraham zu den Knechten: Bleibt mit dem Esel hier! Ich und der Junge wollen dorthin gehen, um anzubeten, dann kehren wir zu euch zurück. Darauf nahm Abraham das Holz für das Brandopfer und lud es seinem Sohn Isaak auf; er aber nahm das Feuer und das Messer in seine Hand. So gingen sie beide miteinander. Da sprach Isaak zu Abraham, seinem Vater: Mein Vater! Er antwortete: Ja, mein Sohn! Isaak sagte: Siehe, da ist das Feuer und das Holz, wo ist aber das Lamm zum Brandopfer? Abraham erwiderte: Gott wird sich das Lamm zum Brandopfer schon aussuchen, mein Sohn. So schritten sie beide zusammen weiter. Als sie an den Ort kamen, den Gott ihnen genannt hatte, baute Abraham den Altar, schichtete das Holz auf, band seinen Sohn und legte ihn auf den Altar, oben auf das Holz. Dann streckte Abraham seine Hand aus, nahm das Messer, um seinen Sohn zu schlachten. Da rief ihm der Engel des Herrn vom Himmel her zu und sprach: Abraham, Abraham! Er antwortete: Hier bin ich! Da sprach er: Streck deine Hand nicht nach dem Jungen aus und tu ihm nichts zuleide. Denn nun weiß ich, dass du Gott fürchtest und mir deinen einzigen Sohn nicht vorenthalten hast. Als Abraham seine Augen erhob, sah er Einen Widder, der sich mit seinen Hörnern im Dickicht verfangen hatte. Abraham ging hin, nahm den Widder und brachte ihn anstelle seines Sohnes zum Brandopfer dar. Abraham nannte diesen Ort Jahwe-Jire (Der Herr sieht), sodass man noch heute sagt: Auf dem Berg, wo der Herr sieht. Darauf rief der Engel des Herrn Abraham zum zweiten Male vom Himmel her zu und sprach: Ich schwöre bei mir selbst – Spruch des Herrn –, weil du dies getan und mir deinen einzigen Sohn nicht vorenthalten hast, will ich dich reichlich segnen. Ich werde deine Nachkommenschaft zahlreich machen wie die Sterne des Himmels und wie den Sand am Meeresstrand; deine Nachkommen sollen das Tor ihrer Feinde besetzen. Durch deine Nachkommen sollen alle Völker der Erde gesegnet werden, weil du auf meine Stimme gehört hast. Abraham kehrte zu seinen Knechten zurück. Sie brachen auf und gingen zusammen nach Beerscheba. Und Abraham blieb in Beerscheba.

ISAAK: SPIRITUELLE RESILIENZ

Editorische Notiz: Die drei Texte jeweils am Anfang der Hauptkapitel sind fiktive Monologe der jeweiligen Personen: Sara von Emmanuela Kohlhaas, Isaak und Abraham von Thomas Frings.

Die nicht-fiktiven Kapitel in gefetteter Schrift stammen von Thomas Frings, die in normaler Schrift von Emmanuela Kohlhaas.

„Gott wird sich das Lamm für das Brandopfer ausersehen!“[1]

Vater! Jetzt verstehe ich, was du damit gemeint hast. Erst jetzt! Zu spät! Drei Tage lässt du mich neben dir gehen. Wir wandern, wir reden, wir essen und wir ruhen. Zuletzt darf ich sogar das Holz auch noch selber tragen, auf dem ich geopfert werden soll. Ich fasse es nicht! Ich kann es nicht glauben! Du fesselst mich und setzt mir das Messer an die Kehle und sagst, es sei Gottes Wille. Das soll der Wille Gottes sein? Was für einem Gott willst du mich denn opfern?

Hierher, ins Land Morija, führst du mich. In ein Land, dessen Name bedeutet ,Jahwe sieht‘. Hierhin führst du mich und du bist dir sicher, dass Gott sich so etwas ansehen will? Du führst mich weg von den Blicken meiner Mutter und die Jungknechte lässt du ebenfalls zurück. Niemand soll sehen, was dein Vorhaben ist. Oh ja, wer will sich so etwas denn auch ansehen? Es ist widerlich, es ist grausam, es ist unglaublich!

Die Hände und den Leib hast du mir gebunden. Ich habe es zugelassen, weil du mein Vater bist und ich im Traum nicht daran gedacht habe, dass du mich töten willst! Nein, sagen wir es ehrlich, dass du mich, deinen Sohn, dein einziges Kind, jetzt schlachten willst! Ich habe dir vertraut und wie böse wird mir dieses Vertrauen vergolten!

Die Hände und den Leib hast du mir gebunden, aber nicht meine Augen und so sieht dich hier, neben Jahwe auch noch mein Blick. Ich sehe dich an und du kannst nicht ausweichen. Sieh auch du mich an, wenn ich mit dir spreche! Ja, auch meinen Mund hast du nicht zugebunden. Also höre mir gefälligst zu und sieh mich an. Verschließe nicht deine Augen und Ohren vor dem, was du hier angerichtet hast, vor dem, was du vorhast, und vor dem, was ich dir sagen werde.

Sieh mich an, wenn ich mit dir spreche, und weiche nicht aus! Schau nicht weg! Sag mir, warum handelst du so? Ich verstehe es nicht nur nicht, nein, ich bin fassungslos! Fassungslos, aber nicht ohnmächtig. Noch bin ich nicht tot und solange ich nicht tot bin, wirst du dir anhören, was ich noch zu sagen habe. So viel Zeit wirst du mir doch wohl noch zubilligen, oder hast du es eilig, dein ruchloses Tun schnell hinter dich zu bringen?

Was macht dich so sicher, dass das hier wirklich der Wille Gottes sein soll?

Sicher, er hat zu dir gesprochen, sogar mehrmals. Auf sein Wort hin bist du aus Haran gezogen in das Land Kanaan, das er dir verheißen hat. Du hast dein Vaterhaus, deine Verwandtschaft, deine Heimat aufgegeben und seiner Verheißung geglaubt, als er dir sagte: „Ich werde dich zu einem großen Volk machen, dich segnen und deinen Namen groß machen. Ein Segen sollst du sein.“[2] Und nachdem du im Gelobten Land angekommen warst, da hat er wieder zu dir gesprochen und gesagt: „Deinen Nachkommen gebe ich dieses Land“[3]. Du hast ihm daraufhin einen Altar errichtet, so wie du es immer wieder getan hast. Jahwe hat dir Wohlstand, Land, Zukunft verheißen und alles hat sich erfüllt. Warum lautet seine Verheißung diesmal Tod?

Du hast mir immer wieder gesagt, dass Jahwe nicht all unsere Wünsche erfüllt, wohl aber seine Verheißungen, und hast dich selber als das Paradebeispiel dafür ins Feld geführt. Sag mir, was soll jetzt aus seiner Verheißung werden? Was wird aus all deinen Hoffnungen, aus deiner Zukunft, wenn du dein Vorhaben zu Ende führst? Sicher, du wirst jetzt sagen, dass es sein Wille ist. Doch ich sage dir, versteck dich nicht hinter solchen Floskeln! Wie oft schon wurde und wird noch gesagt werden, es sei der Wille Gottes? Aber es ist doch nur der Wille von Menschen und Gott muss seinen Kopf für das hinhalten, was Menschen seinen Willen nennen, wovon sie sicher glaubten, es sei nicht ihr Wille, sondern seiner. Diesmal soll ich auch meinen Kopf dafür hinhalten. Ich weiß wirklich nicht, was in deinem Kopf vorgeht, dass du zu so etwas fähig sein solltest. Noch weigere ich mich zu glauben, dass du zu Ende führen wirst, was du begonnen hast. Nein, noch habe ich einen Funken Hoffnung, bevor ein anderer Funke diesen Scheiterhaufen entzünden wird, auf den du mich gefesselt gelegt hast. Halt ein und bedenke, ob dies dein Wille oder der Wille deines Gottes ist.

Wie oft hast du seit deinem Auszug aus Ur in Chaldäa an dem gezweifelt, was du als seinen Willen erkannt hast? Was war denn, als nach deiner Umsiedlung nach Kanaan dort die Hungersnot kam? Wer hat da nicht mehr auf seinen Gott vertraut, sondern ist gleich nach Ägypten weitergezogen? Und dann hast du dem Ganzen auch noch die Krone aufgesetzt. In Ägypten angekommen hattest du, an den doch Gottes Verheißung persönlich ergangen ist, auf einmal Angst um dein Leben. Du dachtest, die Ägypter könnten dich wegen deiner schönen Frau, meiner Mutter Sara, töten, und batest sie, sie möge sich doch als deine Schwester ausgeben. Sag mir, wo ist denn da dein ganzer großer Glaube an die Verheißung Jahwes geblieben? Wer hatte da plötzlich Angst um sein Leben? Du warst doch unsterblich, solange du noch keine Nachkommen hattest, die die Verheißung, ein großes Volk zu werden, umsetzen konnten. Nichts, rein gar nichts hätte dir passieren können, wenn du an die Verheißung geglaubt hättest, wirklich geglaubt hättest! Damals hattest du Zweifel, Zweifel an Gottes Wort. Und heute, wenn es mir an den Kragen gehen soll, da zweifelst du nicht? Allein der Verdacht, man könnte dir das Messer an den Hals setzen, ließ dich jede Verheißung vergessen! Damals hätten die fremden Ägypter dir möglicherweise ans Leben gewollt. Diese Möglichkeit war ja noch verständlicher, als dass gerade der eigene Vater einem das Messer an die Kehle setzt. Damals gab dir Pharao Geschenke, weil ihm Mutter so gut gefiel und er sie als Frau begehrte. Sie ist deine Halbschwester, doch in erster Linie ist sie deine Frau. Es war eine spitzfindige Formulierung, sie nur als Schwester und nicht als Ehefrau auszugeben. Als eure List aufflog, da schickte Pharao euch außer Landes, damit Gottes Zorn nicht weiter auf ihm und seinem Volk lastete. Dabei war es doch deine Schuld, die ihn schuldig werden ließ vor Jahwe. Mutter sieht so gut aus, dass es ein Leichtes war, sich in sie zu verlieben. Dein Zweifel an Gottes Wort, und wie anders kann man diese List bezeichnen, wurde zur großen Gefahr für andere Menschen. Und heute? Heute zweifelst du keinen Moment daran, dass es Gott ist, der von dir verlangt mich zu töten? Kein bisschen Zweifel? Nein, heute ist es kein Risiko mehr für dich. Heute muss ich ja die ganze Zeche bezahlen! Es geht um mein Leben und da fällt es dir anscheinend leichter, keinen Zweifel an dem zu haben, was du als Gottes Stimme meinst gehört zu haben.

Zurück aus Ägypten bist du wieder nach Kanaan gezogen. Reich bist geworden. Du hast dir einen ansehnlichen Besitz an Vieh, Silber und Gold erworben, Zeichen, dass Jahwe mit dir ist. Nachdem du dich in Frieden von deinem Neffen Lot getrennt hattest, da sprach Gott wieder zu dir: „Erheb deine Augen und schau von der Stelle, an der du stehst, nach Norden und Süden, nach Osten und Westen. Das ganze Land nämlich, will ich dir und deinen Nachkommen für immer geben. Ich mache deine Nachkommen zahlreich wie den Staub auf der Erde. Nur wer den Staub auf der Erde zählen kann, wird auch deine Nachkommen zählen können. Mach dich auf, durchzieh das Land in seiner Länge und Breite; denn dir werde ich es geben.“[4] Daraufhin hast du wieder Gott einen Altar gebaut. Ich kann es verstehen, denn er hat dir Gutes verheißen und deswegen hast du ihm immer wieder Altäre errichtet. Aber jetzt? Jetzt hast du eine Opferstätte aufgeschichtet, um deinem Gott ein Opfer darzubringen – darzubringen wofür? Wofür bist du ihm jetzt, in diesem Moment, dankbar? Welcher Verheißung opferst du mich heute? Was hat er dir dafür versprochen, dass du mich töten sollst? Mehr Land? Mehr Vieh? Mehr Gold? Oder ist das hier vielleicht ein reiner Akt väterlicher Willkür? Ist das der Anfang des Wahnsinns, wenn Väter ihre Kinder schlachten, ihnen die Kehle durchschneiden und den Leichnam verbrennen? Wenn so etwas anfängt, wo soll das dann noch hinführen?

Als Lot, dein Neffe, im Krieg gegen Sodom von den fremden Königen gefangen genommen wurde, da hast du sofort gehandelt, als man dir die Nachricht brachte. Dreihundertachtzehn Mann hast du aus deinem Haus unter Waffen gesetzt und bist in derselben Stunde noch aufgebrochen. Bis nach Damaskus hast du die Spur verfolgt und dann konntest du Lot, seine Frauen, seine Leute und sein Habe befreien. Was hast du für ihn nicht alles riskiert, für einen Menschen, der zwar Teil deiner Familie ist, auf dem aber nicht die Verheißung Gottes ruht? Ohne Bedenken bist du in den Krieg gezogen, um zu befreien und zu retten. Doch jetzt lässt du selbst die Jungknechte zurück, damit sie nicht Zeugen werden von dem, was du vorhast. Und du tust recht so! Das sollte besser niemand sehen, so ungeheuerlich, so unglaublich, so schändlich ist das, dass man es vor den Augen der Welt verbergen muss! Welche Rettung, welche Befreiung, was überhaupt versprichst du dir von diesem Tun?

Als nach dem Sieg über Kedor-Laomer König Melchisedek dich segnete und dir einen Lohn für deinen Einsatz geben wollte, da hast du großzügig verzichtet und Gott hat dir dies vergolten. In einer Vision ist dir Gott wieder erschienen und du hast ihn an seine Verheißung hinsichtlich der Nachkommenschaft erinnert. Du hattest schon geplant, dass dein Haussklave dich beerben werde. Aber nein, Gott hat dir gesagt: „Nicht er wird dich beerben, sondern dein leiblicher Sohn wird dein Erbe sein.“[5] Wie oft hast du mir und uns allen abends am Feuer von dieser Vision berichtet. Gott habe dich aus dem Zelt geführt und zum Himmel aufblicken lassen. So viele Nachkommen wie es Sterne am Himmel gibt sollst du haben, zahllos sollen sie sein. Wie oft habe ich diese Geschichte von dir zu hören bekommen und jedes Mal war ich begeistert, wenn ich sie hörte. Ich meinte förmlich, ich könnte Gott sehen und hören, wenn ich dich gesehen und gehört habe. Dein Gesicht hat gestrahlt, wenn du von dieser Nacht erzählt hast, und dein Strahlen ging auf mich über, denn auch mir galt dieses Wort deines Gottes, unseres Gottes. Ich bin der Zweite, der nach dir diese Verheißung weitertragen und weitergeben soll. Du hast sie gehört, aber wenn ich dich hörte, dann war es, als würde ich Gott selber hören.

Was für ein Irrtum! Ich habe dir geglaubt! Was meinst du, warum ich mich habe von dir binden und fesseln lassen? Du bist für mich derjenige, der mir das Leben gegeben hat. Nie ein böses Wort. Immer ausgerichtet auf Gott und seine Verheißung. Ich war arglos und hatte nicht den geringsten Zweifel an dir. Du hast Gott nach seiner Zusage leiblicher Vaterschaft und zahlreicher Nachkommen wie die Sterne am Himmel gefragt: „Herr und Gott, woran soll ich erkennen, das ich es zu eigen bekomme?“[6] Da hast du dem Herrn und Gott auf sein Geheiß hin ein Opfer gebracht, ein dreijähriges Rind, eine dreijährige Ziege, einen dreijährigen Widder, eine Turteltaube und eine junge Taube, und dein Herr und Gott gab dir eine Vision über dein Leben: glückliches Alter und Frieden wird dein Anteil sein. Doch er ließ dich auch sehen, dass deine zahlreichen Nachkommen als Fremde in einem fremden Land wohnen sollen. Vierhundert Jahre wird man sie dort unterdrücken und wie Sklaven halten. Glück und Frieden sind dein Anteil, aber es liegt auch ein düsterer Schatten über der Zukunft. Oder willst du mich heute etwa deswegen umbringen, damit deine möglichen Nachkommen nicht eines Tages in die lange und fürchterliche Sklaverei müssen? Sollte dies hier gar ein Akt der Barmherzigkeit sein? Aber das kann nicht sein! Nein, niemals ist das möglich, denn du hast mit Jahwe an diesem Tag einen Bund geschlossen. Ich erinnere mich an jedes Wort dieses Bundes. Oft genug hast du ihn mir wiederholt und aufgesagt. Immer und immer wieder, Satz für Satz, Wort für Wort. Jetzt ist es an mir, ihn dir zu wiederholen, damit du weißt, was auf dem Spiel steht. Es ist nicht nur mein Leben, das in deiner Hand liegt, nein, es ist auch dein Leben und die Verheißung, die an dich ergangen ist, die du jetzt aufs Spiel setzt. Ein Schnitt durch meine Kehle und es fließt nicht nur Blut zu Boden, sondern es löst sich die Verheißung auf Besitz und Boden auf, Tropfen für Tropfen wird sie verrinnen und die Erde wird mein Blut aufnehmen, nicht aber deine Nachkommen tragen. Dann ist es vorbei mit: „Deinen Nachkommen gebe ich dieses Land vom Strom Ägyptens bis zum großen Strom, dem Eufrat-Strom, die Keniter, die Kenasiter, die Kadmoniter, die Hetiter, die Perisiter, die Rafaiter, die Amoriter, die Kanaaniter, die Girgaschiter und die Jebusiter.“[7]

Dann ist es nicht nur aus damit, dann wird es auch ein hämisches, ein tosendes, ein befreiendes Gelächter geben bei all diesen Völkern! Es hat sich doch längst bei ihnen herumgesprochen, was du voller Stolz erzählt hast. Nicht nur Melchisedek hast du von deinem Gott erzählt. Er hat dich gesegnet mit den Worten: „Gesegnet sei Abram vom höchsten Gott, dem Schöpfer des Himmels und der Erde, und gepriesen sei der Höchste Gott, der deine Feinde an dich ausgeliefert hat.“[8] Du hast dir einen Namen erobert mit dem Schwert in der Hand. Auch wenn die Völker deinen Erzählungen über Visionen und Gottesbegegnungen wahrscheinlich nicht viel Glauben schenken, sie haben eigene Götter und Visionen, dass du kämpfen und siegen kannst, das haben sie gesehen. Doch sie werden auch erfahren, was du hier mit mir getan hast. Der Mann, der von sich sagte, er werde Nachkommen haben wie die Sterne am Himmel, der hat seinem eigenen Sohn die Kehle durchgeschnitten! Nicht im Streit, nicht im Wahn! Nein, er hat ihm die Kehle durchgeschnitten in aller Ruhe, besonnen, nach Plan und mit Absicht. Erst haben die beiden noch eine lange Wanderung gemacht. Drei Tage sind sie gelaufen, haben erzählt, gegessen, gescherzt und gelacht. Selbst da hat er noch von seinen Gottesbegegnungen erzählt und den Verheißungen. Und dann? Dann? Kurzen Prozess hat er mit seinem Sohn gemacht, das werden die anderen Völker sagen und sie werden keine Träne um mich weinen. Sie werden sich vielmehr unter Gebrüll und Gelächter auf die Schenkel schlagen und auf die Schultern klopfen. Sie werden Feste feiern, weil du wie der letzte Mensch deiner einzigen Hoffnung die Kehle durchgeschnitten hast. Sie werden dieses unglaubliche Schauspiel nachspielen und jedes Mal neu jaulen und heulen vor Freude! Kannst du sie hören, Vater? Kannst du ihr Lachen hören? Ich kann es! Ich kann es sehr gut hören, bis hier hin, denn hören kann ich ja noch! Und sehen, das kann ich auch noch. Und denken, ja auch denken, denn einer von uns beiden muss doch noch bei klarem Verstand sein. Du bist es sicher nicht! Komm, schneid mir die Kehle durch und dann verbrenne meine Leiche, damit niemand sieht, was du getan hast. Aber es wird sich herumsprechen, darauf kannst du dich verlassen! Nicht zahlreich wird deine Nachkommenschaft sein, nicht einmal zahllos! Oder vielmehr genau das wird sie sein: zahllos! Denn ich bin der Erste, an dem du die Erfüllung der Verheißung erkennen konntest. Ich bin der Erste und wenn ich nicht mehr sein werde, dann war ich auch der Letzte und du bist im wahrsten Sinne des Wortes ,zahllos‘, denn die eine, die erste Zahl von unendlich vielen bist du wieder los. Du hast sie selber ausgelöscht. Nicht nur mir bereitest du ein Ende, nein, auch für dich ist mein Tod dein Ende!

Hast du dir schon überlegt, was du den Jungknechten sagen wirst, wenn du zurückkommst? Hast du dir schon eine Geschichte zurechtgelegt und vielleicht auch das passende Gesicht dazu? Kleiner Unfall vielleicht? Gestolpert ist der Tollpatsch und in die Schlucht gefallen. So in etwa? Es ist ja möglich, hier im Gebirge. Wie leicht kann da einer stolpern, ausrutschen und abstürzen. Der Junge trug doch noch das Holz für das Opfer und unter der Last fand er keinen Halt und stürzte in den Tod. Ist das nicht bitter, denn ich werde anscheinend wirklich unter der Last des Opferholzes in den Tod stürzen. Nur dass alle sich darunter etwas anderes vorstellen werden als ausgerechnet das hier. Schau dir das Bild an, das du hier sehen kannst: ein Vater fesselt seinen Sohn, legt ihn auf einen Stapel Holz, hält ihm das Messer an die Kehle und will anschließend den Rest auch noch verbrennen. Sieh es dir genau an, was du hier angerichtet hast. Das kann keiner glauben, weil keiner so etwas glauben will! Die Geschichte mit dem Unfall, sie ist glaubwürdiger. Oh, sie werden sie dir mit traurigen Gesichtern abnehmen. Selbstverständlich werden sie dir glauben! Denn das, was du vorhast ist einfach zu unglaublich. Du bist sogar der Meinung, nein, der Überzeugung, Gott selber habe es dir aufgetragen? Das kannst du nicht glauben! Niemand wird es dir glauben! Alles andere ist glaubwürdiger als dies hier! Es ist ein absurdes Theater, das du aufführst, und du hast immer noch die Chuzpe zu behaupten, es sei im Namen Gottes? Mit der Erklärung ist schließlich jeder Mensch fein aus dem Schneider! Gott will es und deswegen können wir es nicht ändern und müssen es tun. Ich will gar nicht daran denken, was Menschen in Zukunft in Gottes Namen alles tun werden, wenn du hier mit mir fertig bist.

Halt bloß den Mund, denn ich bin noch nicht fertig mit dir und ich kann mir denken, was du jetzt sagen willst! Sag ihn bloß nicht, diesen unerträglichen Satz, dass es dir so schwerfalle! Sag ihn nicht! Ich sehe es deinem Gesicht an, dass er dir auf der Zunge liegt. Wenn es dir wirklich schwerfallen sollte, was ich bezweifele, dann lass es gefälligst sein. Ich wäre dir im Moment sogar dankbar, denn dann hätte dieses fürchterliche Schauspiel endlich ein Ende. Komm doch zur Einsicht, komm zu Verstand, wach auf aus diesem Albtraum!

Aber ich bin noch nicht fertig mit dir! Meine Abrechnung geht weiter! Ich kann dir noch so einiges sagen, was dir nicht gefallen wird, denn es passt so gar nicht in das Bild, das du von dir hast, zu deiner Verheißung und noch weniger zu deinem Gott!

Was war los mit deinem Glauben an die Verheißung, als Mutter anfing, die Hoffnung aufzugeben, jemals schwanger zu werden und zu gebären? Auf ihren Rat hin hast du ein Kind gezeugt mit Hagar, der Sklavin. Mutter gab sie dir zur Frau. Auch wenn es dann Streit zwischen den beiden gab, so hat Hagar dir doch einen Sohn geboren, dem du den Namen Ismael gabst. Damals warst du schon sechsundachtzig Jahre alt. Als Hagar nach dem Streit mit Mutter in die Wüste davonlief, da sprach Gott zwar nicht direkt mit ihr, wie er es mit dir tut, aber einen Engel schickte er und auch sie bekam eine Verheißung. Der Engel des Herrn sagte ihr damals an der Quelle in der Wüste auf dem Weg nach Schur: „Siehe, du bist schwanger, du wirst einen Sohn gebären und du sollst ihm den Namen Ismael – Gott hört – geben, denn der Herr hat dich in deinem Leid gehört. Er wird ein Mensch sein wie ein Wildesel. Seine Hand auf allen, die Hand aller auf ihm! Allen seinen Brüdern gegenüber wird er wohnen.“[9] Hagar gab daraufhin dem Brunnen den Namen Beer-Lahai-Roi, Brunnen des Lebendigen, der auf mich schaut. Oh ja, auf solch eine Not schaut Gott! Und wohin schaut Gott gerade jetzt, in diesem Moment? Denkst du, dass sein Blick auf dieser Szene ruht? Glaubst du, dass dies sein Wohlgefallen findet, seine Zustimmung? Er schaut sicher nicht hierhin, auf meine Not! Ich kann nur hoffen, dass er seinen Blick mit Grausen abwendet! Wie werden Menschen diese Stätte dereinst wohl nennen? ,Ort, der von Gott nichts weiß‘? ,Ort des Gottes, der wegschaut‘? Wo bleibt der Engel Gottes, wenn man ihn braucht? Selbst eine Sklavin war eines Engels würdig! Ich aber, der ich der Erstgeborene bin, mir schickt Gott keinen Engel. Mich liefert er einem Vater aus, der das Messer gegen sein eigen Fleisch und Blut erhebt. Sollte er dieses Schauspiel sehen und nichts unternehmen, dann frage ich mich und dich: Was ist das für ein Gott?

So, da hattest du endlich einen Sohn, den Ismael. Wenigstens warst du nicht mehr kinderlos, aber es vergingen Jahre, in denen Mutter nur älter, aber nicht schwanger wurde. Deine Hoffnungen konntest du jetzt auf Ismael projizieren. Doch nachdem ich dann endlich geboren war, was hast du mit Ismael und seiner Mutter gemacht? Du hast sie in die Wüste geschickt! Jetzt hattest du ja einen Sohn mit Mutter, ganz so, wie es dir der Herr bei den Eichen von Mamre verheißen hatte. Kaum ist der neue, der wahre Erbe da, da wird der Notbehelf entsorgt in die Wüste! Sag mal, ist das ein Schema, dem du folgst? Willst du vielleicht Gott auf die Probe stellen und austesten, ob alles stimmt mit der Verheißung, und du setzt alles auf eine Karte? Den einen schickst du in die Wüste und dem anderen schneidest du die Kehle durch? Mal sehen, was Gott noch so draufhat? Du bist schon über hundert Jahre und glaubst wirklich, dass du noch ein Kind zeugen wirst? Selbst wenn, wer sagt dir denn, dass es ein Sohn wird? Dein Gesicht möchte ich sehen, wenn du Vater einer Tochter würdest! Das war’s dann. Aus mit allen Träumen. Schluss mit aller Herrlichkeit. Ein anderer wird dann all das erben und du wirst nicht der Vater eines großen Geschlechtes, sondern du wirst bestenfalls der Schwiegervater von wem auch immer? Ein Leben bedeutet vielleicht nicht immer viel, es gibt manchmal Wichtigeres und Größeres in der Welt. Aber mein Leben, es bedeutet mir unendlich viel und für dich bedeutet es deine ganze Zukunft, die Erfüllung der Verheißung! Es gibt Dinge, für die es sich zu sterben lohnt: Freiheit, Freunde, Liebe, Wahrheit! Sag mir, wofür sterbe ich? Sag es mir!

Erinnerst du dich noch an die Ankündigung meiner Geburt? Natürlich erinnerst du dich! Bei den Eichen von Mamre war es, als Gott dir in Gestalt von drei Männern erschien, der eine Gott in drei Personen, und du wusstest, dass etwas Großes, etwas ganz Großes dir bevorstehen wird. Damals war es, als dieser Gott dir und Mutter nicht nur ein Kind verheißen hat, sondern den Sohn, den Erben, den, der deinen Namen weitertragen würde. Mutter war mal wieder voller Zweifel, wie schon zu der Zeit, als sie dir Hagar zuführte. Sie hatte am Zelt gelauscht und lachte, als sie von der Nachkommenschaft erfuhr. Ihre erste Reaktion auf die Ankündigung meiner Geburt war ein Lachen. Schön, nicht wahr? Hätte sie damals erahnt, was du vorhast mit dem Sohn, sie hätte sich dir sicher verweigert und wäre niemals von dir schwanger geworden! Du warst hundert Jahre alt bei meiner Geburt und Mutter sagte an dem Tag: „Gott ließ mich lachen; jeder, der davon hört, wird mir zulachen.“[10] So habt ihr mich denn auch genannt: Isaak – Gott hat jemanden zum Lachen gebracht. Oh hättet ihr mir nur nie diesen Namen gegeben! Viel hatte ich zu lachen in deinen Zelten als dein Sohn. Doch nun löst sich all das auf und die Menschen werden meinen Namen übersetzen mit: Isaak – Gott hat alle zum Weinen gebracht. Alle werden über meinen Tod weinen und selbst du wirst wohl im Beisein anderer einige Tränen verdrücken. Doch es werden falsche Tränen sein, denn durch deine Hand bin ich zu Tode gekommen! Wäre es nicht ehrlicher und aufrichtiger von dir, wenn du keine Träne über mich weinen würdest? Nicht eine! Du hast den Mut, mir das Messer an die Kehle zu setzen, aber den Mut, nicht zu weinen über das, was du getan hast, den hast du wahrscheinlich nicht! Wenn niemand zuschaut, dann bist du mutig, aber vor den Augen der Menschen, da kannst du nicht einmal deine Tränen zurückhalten, nur weil man sie von dir erwartet. Sie sollen dir übers Gesicht laufen, wenn du von meinem Tod erzählen wirst, aber sie sollen dir Brandspuren auf die Wangen zeichnen und sie sollen dir so hoch in den Augen stehen, dass du dahinter erblinden wirst! Nichts sollst du mehr sehen von Gottes Schöpfung außer meinem Gesicht, meinen Augen in dem Moment, wo dein Messer zusticht. Ich wünsche dir, dass auch deine Ohren sich verschließen und du bis zum Ende deiner Tage nur noch meinen letzten Schrei hören wirst, der meiner Mutter gelten wird. Nicht der Segen des Höchsten wird dich mehr treffen, sondern der Fluch deines Sohnes!

Da ich gerade das Wort Fluch gebrauche. Wie war es, als Gott Sodom und Gomorra verflucht hatte? Städte, die voll der Sünde waren. Es war gerade da unter den Eichen von Mamre, nachdem Gott meine Geburt dir geweissagt hatte, da teilte er dir auch mit, was er mit den beiden Städte vorhabe. Was hast du da getan, als du davon hörtest? Ich will es dir jetzt so wiederholen, wie du es mir so oft wiederholt hast. Du hast es gewagt, mit Gott zu feilschen. Du hast all deinen Mut im Angesicht Gottes zusammengenommen und versucht, Zweifel in dem zu wecken, der keinen Zweifel in sich kennt. Und für wen hast du dich eingesetzt? Natürlich, du hast gesagt, es ginge dir um die Gerechten, aber dein Bemühen hätte auch alle Ungerechten verschont. Immer wieder hast du deinen Mut zusammengenommen und gefeilscht:

„Vielleicht gibt es fünfzig Gerechte in der Stadt? Willst du auch sie wegraffen und nicht doch dem Ort vergeben wegen der fünfzig Gerechten in ihrer Mitte?“[11]

„Vielleicht fehlen an den fünfzig Gerechten fünf. Wirst du wegen der fünf die ganze Stadt vernichten?“[12]

„Vielleicht finden sich dort nur vierzig.“[13]

„Vielleicht finden sich dort nur dreißig.“[14]

„Vielleicht finden sich dort nur zwanzig.“[15]

„Vielleicht finden sich dort nur zehn.“[16]

Was habe ich dich für diesen Mut bewundert! Es war maßlose Bewunderung. Wie konntest du es wagen, so mit Gott zu feilschen? Ein Sterblicher feilscht mit dem Ewigen! Gott wird dich noch mehr geliebt haben als ohnehin schon, da du dich nicht für die Deinen eingesetzt hast, sondern für andere, für Gerechte und Sünder. Diese maßlose Bewunderung verkehrt sich jetzt in maßloses Entsetzen! Ich frage dich: Hast du auch so um mich gefeilscht, als Gott dir sagte, du sollest mich opfern? Damals war es Gottes Engel, durch den es zum Untergang von Sodom und Gomorra kam. Warum schickt Gott nicht auch jetzt einen Engel und macht die schmutzige Arbeit selber? Bin ich denn schlimmer als Sodom und Gomorra? Macht er sich möglicherweise an mir die Finger schmutzig, wenn er mir selber den Untergang bereitet? Was habe ich denn getan, um so bestraft zu werden? Ich werde sogar noch schlimmer bestraft als Sodom und Gomorra, denn nicht ein Engel nimmt mir das Leben, sondern mein eigener Vater! Ich sehe es deinem Gesicht an, dass du nicht um mich gefeilscht hast so wie um die Städte der Sünde und des Unrechts. Für solche Menschen schmeißt du dich in die Bresche vor Gott, aber für deinen eigenen Sohn erhebst du deine Stimme nicht. Keinen Mucks wirst du gesagt haben. Stattdessen machst du deine Finger krumm um das Messer, mit dem du mich schlachten willst. Die Menschen von Sodom und Gomorra hast du nicht retten können mit deinem Einsatz. Hast du es deswegen bei mir erst gar nicht mehr versucht? Hat Gott dir wenigstens eine gute Begründung geliefert, warum ich mein Leben durch deine Hand verlieren soll? Komm jetzt bloß nicht mit dem Satz, dass Gott keine Begründung geben muss! Bei Sodom und Gomorra hat er eine gegeben, denn es waren Sünde und Unrecht, die zum Untergang geführt haben. Wenn er jetzt keine gegeben hat, dann vielleicht weil es gar keine gibt? Aber du hast es ja nicht einmal versucht! Oder hast du? Ich weigere mich zu glauben, dass du mich widerspruchslos hergeben könntest. Was hast du ihm für meine Person geboten? Hast du dich für mich geboten? Hast du ihm gesagt, dass es in deinem Alter auch für ihn immer schwerer wird, dir noch Nachkommen zu verschaffen? Und jetzt sag bloß nicht: Für Gott ist nichts unmöglich! Ich finde diesen Auftrag hier, dieses Verhalten unmöglich!

Selbst wenn Gott dir noch einmal einen männlichen Nachkommen geben sollte, was glaubst du denn, wer ihn dir gebären wird? Denk jetzt bloß nicht an Mutter! Sie wird sich die Augen aus dem Kopf weinen, wenn sie hört, was geschehen ist. Selbst wenn du ihr nicht die Wahrheit sagen wirst, sie wird es erfahren! Sie wird dir in die Augen schauen. Sie wird das kaum wahrnehmbare Zittern in deiner Stimme hören, das die Knechte nicht wahrnehmen, das aber eine Mutter hört. Sie wird in deinem Gesicht lesen, dass du nicht unschuldig bist an meinem Tod.

Was wirklich geschehen ist, das wird sie hoffentlich nie erfahren, denn es würde sie in den Wahnsinn treiben. Aber dass du schuld bist an meinem Tod, das wird sie erspüren und sie wird nie mehr ihr Lager mit dir teilen. Nicht noch ein Kind von so einem Mann! So wie Lots Frau zur Salzsäule erstarrte, als sie den Untergang von Sodom und Gomorra sah, so wird Mutter zu Stein erstarren, wenn sie erfährt, was mit ihrem einzigen Kind geschehen ist! Vielleicht wird sie tot umfallen, wenn sie die Nachricht bekommt. Hoffentlich wird sie nie die Wahrheit erfahren. Sie würde nicht einmal im Grab zur Ruhe kommen. Und wo sollte sie auch hin im Tod? Zu Gott? Zu dem Gott, der ihren Mann ihr gemeinsames Kind schlachten und verbrennen ließ? Ist die Hölle dann nicht besser als der Himmel? Ist das hier nicht schon die Hölle auf Erden?

Vater, wie oft hast du an Gottes Verheißung gezweifelt! Wie froh wäre ich, wenn du doch heute wenigstens einen kleinen Zweifel hättest an seinem Wort.

Als du mit den Deinen in das Land des Negeb gezogen bist, da hast du wieder einmal an der Verheißung gezweifelt und um dein Leben gefürchtet. Wie schon vor Jahren in Ägypten gabst du Mutter als deine Schwester aus und wieder wurde euer Trick dem König, diesmal hieß er Abimelech, beinahe zum Verhängnis. Als er sich Mutter näherte im falschen Glauben, sie sei noch frei, da musste Gott selber einschreiten und ihn warnen vor einem Frevel, den er unwissend begehen würde. Wieder hattest du Angst um dein Leben und hast nicht auf Gott und seine Verheißung vertraut. Zweifel, wohin ich auch schaue, jedoch nur wenn es für dich gefährlich wird. Auf der einen Seite bist du voll des Vertrauens auf Gottes Wort. Immer wieder ist er dir erschienen und hat zu dir, ja mehr noch, mit dir gesprochen. Aber kaum bist du allein, da nagt schon der Zweifel in dir. Warum nicht jetzt? Wo ist er jetzt? Morija heißt dieser Ort, ,Gott sieht‘. Hast du nicht den geringsten Zweifel daran, dass Gott das nicht sehen will, was du hier tun willst? Nicht einen Funken Zweifel verspürst du?

Vater, denk an später! Denk an die Zeit deiner Erinnerungen! Du wirst mit leeren Händen zurückkehren. Bist du dir ganz sicher, dass das noch der Gott ist, auf dessen Wort hin du aufgebrochen bist aus Haran?

In deinem neunundneunzigsten Lebensjahr ist Gott dir wieder erschienen und hat seinen Bund erneuert. Mit großen Worten hat er diesen Bund damals eingeleitet: „Ich bin Gott der Allmächtige. Geh deinen Weg vor mir und sei untadelig“[17]. Ist das, was du jetzt im Sinne hast, nicht im höchsten Maße tadelnswert? Ach, was sage ich, tadelnswert? Schändlich! Verabscheuungswürdig! Widerlich! Grausam! Ja, in meinen Augen ist es auch gottlos! Dir hat Gott damals nicht nur eine Verheißung, sondern auch einen neuen Namen gegeben: „Ich bin es. Siehe, das ist mein Bund mit dir: Du wirst Stammvater einer Menge von Völkern. Man wird dich nicht mehr Abram nennen. Abraham, Vater der Menge, wird dein Name sein; denn zum Stammvater einer Menge von Völkern habe ich dich bestimmt. Ich mache dich über alle Maßen fruchtbar und lasse dich zu Völkern werden; Könige werden von dir abstammen. Ich richte meinen Bund auf zwischen mir und dir und mit deinen Nachkommen nach dir, Generation um Generation, einen ewigen Bund: Für dich und deine Nachkommen nach dir werde ich Gott sein. Dir und deinen Nachkommen nach dir gebe ich das Land, in dem du als Fremder weilst, das ganze Land Kanaan zum ewigen Besitz und ich werde für sie Gott sein. Du aber sollst meinen Bund bewahren, du und deine Nachkommen nach dir, Generation um Generation. Dies ist mein Bund zwischen mir und euch und deinen Nachkommen nach dir, den ihr bewahren sollt: Alles, was männlich ist, muss bei euch beschnitten werden. Am Fleisch eurer Vorhaut müsst ihr euch beschneiden lassen. Das soll geschehen zum Zeichen des Bundes zwischen mir und euch. Alle männlichen Kinder bei euch müssen, sobald sie acht Tage alt sind, beschnitten werden in jeder eurer Generationen, seien sie im Haus geboren oder um Geld erworben von irgendeinem Fremden, der nicht von dir abstammt. Beschnitten werden muss der in deinem Haus Geborene und der um Geld Erworbene. So soll mein Bund, dessen Zeichen ihr an eurem Fleisch tragt, ein ewiger Bund sein. Ein Unbeschnittener, eine männliche Person, die am Fleisch ihrer Vorhaut nicht beschnitten ist, soll aus ihrem Stammesverband ausgemerzt werden. Er hat meinen Bund gebrochen.“[18]

Hörst du, Vater? Ich kann diesen Bund Wort für Wort wiederholen. Du hast ihn mir so oft vorgesagt, damit ich ihn weitersagen kann an meine Nachkommen, damit wir ihn nie vergessen und ihn stets im Herzen bewahren. „Für dich und deine Nachkommen werde ich Gott sein“[19]