Ausstieg aus dem Hamsterrad - Hark Thormählen - E-Book

Ausstieg aus dem Hamsterrad E-Book

Hark Thormählen

4,4

Beschreibung

Wer kennt sie nicht? Die Gier nach Macht und Geld, aber auch nach Anerkennung, treibt uns an. Nicht nur in Hedgefonds und Großkonzernen ist sie angesiedelt, sondern auch in uns selbst. Selbst in kleinen Firmen begegnet sie uns. Wer kennt es nicht? Das Streben nach Perfektion und dem ersten Platz zählt, was uns in Schule, Studium und Sport vorgelebt wird. Im Beruf wird die Perfektion oft praktischen Zwängen geopfert. Hauptperson Peter ist Angestellter und strebt in erster Linie nach Anerkennung. Nach dem Studium findet er seinen ersten Job in der Vorausentwicklung eines großen Konzerns für neuartige Multimediageräte. Er will sich beweisen. Die Stimmung in der Entwicklung neuer Multimediasysteme ist getragen durch die Internetblase an den Börsen. Bald wird er als Projektleiter mit der Entwicklung eines neuen Systems betraut, welches zur Weltausstellung in Betrieb gehen soll. Sein Arbeitseinsatz und der Termindruck sind hoch. Alles scheint in der Erfolgsspur zu fahren. Jupp ist Geschäftsführer und strebt nach Macht. Ihm fällt es leicht Menschen und deren Geld für seine Vorhaben zu gewinnen. Er agiert bei einem Zulieferer von Peters Arbeitgeber. Jupp spielt die Stimmung an den Börsen in die Hand. Das Geld der Investoren sitzt locker. Die Ereignisse führen dazu, dass sich die Wege von Peter und Jupp kreuzen. Gelingt es ihnen, sich von ihrer Gier zu befreien? Welche Konstellationen und Erlebnisse bringt diese Gier hervor? Welche Menschen und Charaktere begegnen Peter auf seinem Weg? Führt berufliches Engagement ins Hamsterrad? Gelingt Peter der Ausstieg?

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern

Seitenzahl: 284

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
4,4 (16 Bewertungen)
11
1
4
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Hark Thormählen ist das Pseudonym des norddeutschen Autors. 1967 in der nördlichsten Stadt Deutschlands geboren, wuchs der Autor in Schleswig-Holstein auf. Er studierte Elektrotechnik und war viele Jahre als Ingenieur tätig. Jahre beruflicher Tätigkeit lehrten ihn, was einem im Job widerfahren kann. Er lebt nach einer Episode in südlicheren Gefilden wieder in Schleswig-Holstein. Seine Lieblingsinsel ist Amrum. Sie liegt in der Karibik des Nordens. Amrum ist die Geliebte des Blanken Hans.

www.hark-thormaehlen.de

Dieses Buch widme ich meiner Großmutter Gerda und meinem Großvater Ludwig. Im Krieg waren beide ein Liebespaar. Er wanderte in die USA aus. Sie blieb in Deutschland. Wäre sie ihm nach Amerika gefolgt, würde ich heute nicht existieren und könnte folglich nicht dieses Buch schreiben. An sie erinnere ich mich nicht, weil sie zu früh verstarb. Ihn kannte ich kaum. Ein Ozean lag dazwischen. Dennoch ist ein Teil von Ihnen in mir. Sie nicht richtig gekannt zu haben, stimmt mich in stillen Momenten traurig. Meiner Omas Angst vor etwas Neuem oder ihrer Heimatverbundenheit verdanke ich meine Existenz. Andernfalls hätte mein Vater meine Mutter nie getroffen.

Dieses Buch ist ein Roman. Handlungen und Personen sowie Firmen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sowie Firmen sind nicht gewollt und rein zufällig.

Inhaltsverzeichnis

Prolog

Studentenbande

Brüder

Hoffnung

Großauftrag

Verkauft

Verschaukelt

Sanierung

Durchstarten

Saat des Ausstiegs

Mitarbeitergespräch

Coaching

Börsengang

Gefängnis

Mittelamerika

Paargruppe

Geldgeier

Kündigung

Epilog

Prolog

Wer kennt sie nicht? Die Gier nach Macht und Geld, aber auch nach Anerkennung, treibt uns an. Nicht nur in Hedgefonds und Großkonzernen ist sie angesiedelt, sondern auch in uns selbst. Selbst in kleinen Firmen begegnet sie uns.

Wer kennt es nicht? Das Streben nach Perfektion und dem 1-ten Platz zählt, was uns in Schule, Studium und Sport vorgelebt wird. Im Beruf wird die Perfektion oft praktischen Zwängen geopfert.

Hauptperson Peter ist Angestellter und strebt in erster Linie nach Anerkennung. Nach dem Studium findet er seinen ersten Job in der Vorausentwicklung eines großen Konzerns für neuartige Multimediageräte. Er will sich beweisen. Die Stimmung in der Entwicklung neuer Multimediasysteme ist getragen durch die Internetblase an den Börsen. Bald wird er als Projektleiter mit der Entwicklung eines neuen Systems betraut, welches zur Weltausstellung in Betrieb gehen soll. Sein Arbeitseinsatz und der Termindruck sind hoch. Alles scheint in der Erfolgsspur zu fahren.

Jupp ist Geschäftsführer und strebt nach Macht. Ihm fällt es leicht Menschen und deren Geld für seine Vorhaben zu gewinnen. Er agiert bei einem Zulieferer von Peters Arbeitgeber. Jupp spielt die Stimmung an den Börsen in die Hand. Das Geld der Investoren sitzt locker. Die Ereignisse führen dazu, dass sich die Wege von Peter und Jupp kreuzen.

Gelingt es ihnen, sich von ihrer Gier zu befreien? Welche Konstellationen und Erlebnisse bringt diese Gier hervor? Welche Menschen und Charaktere begegnen Peter auf seinem Weg? Führt berufliches Engagement ins Hamsterrad? Gelingt Peter der Ausstieg?

Studentenbande

Düsternbrook ist ein Stadtviertel in Kiel. Das Stadtviertel derjenigen, die besser situiert genannt werden. Heute war der Tag, an dem Peter seinen alten Studienkollegen Leif wiedersah. Es war schon etwas länger her, dass sie sich getroffen hatten. Aus Schulzeit und Schule verloren sich etliche Kontakte über die Jahre, was nicht verwunderlich war, wenn jeder sich anders weiterentwickelte und zu anderen Arbeitsorten verschlagen wurde. Daher war es für Peter schön, diesen Kontakt zu haben. Es war wie das Wiedertreffen eines alten Freundes, den man jahrelang nicht gesehen hatte, wo aber ab dem ersten Moment des Wiedersehens sofort wieder die Sympathie füreinander da war und die gleiche Wellenlänge für den Austausch untereinander.

Leifs Haus in Düsternbrook war ein rotes Backsteinhaus mit Keller und zwei Geschossen darüber. Jedes seiner Kinder hatte ein eigenes Zimmer. Es mußte vor Adolfs Zeiten gebaut worden sein und der Garten nach hinten heraus war größer als bei den modernen Häusern aktuellerer Tage. Witziger Weise war seine Frau eine ehemalige Schulkameradin von Peter, bevor seine Eltern damals wegzogen und er auf ein anderes Gymnasium wechselte. Wie klein doch diese Welt war und wie oft Peter Personen zweimal begegnete. Peter klingelte an der Haustür. Er war etwas spät dran, aber es waren nur 5 Minuten. Mit dem Fahrrad war er gefahren, weil es ein sonniger Sommertag war. Zwar war der Himmel etwas bewölkt, aber wer sich die wenigen Kumuluswolken wegdachte, fühlte sich wie beim Kaiserwetter. Wie üblich hatte Peter sich in der notwendigen Fahrzeit verschätzt. Wie in einer Stadt üblich, war fast jede Ampel rot und nötigte zum Halten, weil der herrschende Verkehr nicht zum Missachten der Rotphasen einlud. Die Tür wurde aufgemacht. Es war Christiane, Leifs Frau und Peters ehemalige Schulkameradin. „Hallo, Peter!“, schmetterte sie Peter freudig entgegen. „Hallo, Christiane! Wie geht es Dir? Wir haben uns echt lange nicht mehr gesehen.“ Sie erwiderte, „Das stimmt, aber komm erstmal herein und lege Deine Sachen ab.“ Als kleine Aufmerksamkeit übergab Peter ihr eine Flasche Wein. Sie bedankte sich angemessen dafür.

Weil Peter gut erzogen war, hängte er seine Fahrradjacke an die Garderobe und zog seine Schuhe aus. Der Hausflur war recht großzügig und gab ihm nicht das kleinste Gefühl einer Beengung, wie Peter es bei seinem eigenen Reihenhaus empfand. Heutzutage kosteten Fläche, Zeit und Raum viel Geld, so dass die Räume kleiner und niedriger waren. Die Grundstücke fielen mickrig aus. Im Gegensatz zur Gründerzeit der vorletzten Jahrhundertwende wurde nicht mehr mit so viel Liebe zum Detail gebaut, denn inzwischen schrieben wir ein Jahr kurz nach der Jahrtausendwende als an den Börsen die Internetblase platzte. Geradliniger und schnörkelloser wurde gebaut und selbst Muster aus der Anordnung der Klinker waren in den Fassaden moderner Häuser nicht mehr zu sehen. Manchmal vermißte Peter diese Liebe zum Detail und zum geschaffenen Werk. Alles war dem Diktat der Kostenoptimierung und Gewinnmaximierung unterworfen.

Christiane erinnerte Peter daran, dass sie in der Sexta und Quinta viel größer war als er. Sie sah immer noch so aus wie damals, während Peter offenbar nur größer geworden war. Sie schien seit damals nicht mehr gewachsen zu sein. Als Peters Schuhe ausgezogen waren, hörte er Leif schon im Hintergrund, der gerade bei seinen drei Söhnen nachfragte, ob sie ihre Hausaufgaben gemacht hatten, und sie dann auf ihre Zimmer schickte. Teilweise wirkte sein Umgang mit seinen Söhnen streng, aber von den Treffen in der Vergangenheit kannte Peter dies bereits. Leif achtete darauf, dass ihm seine Kinder nicht auf der Nase herumtanzten. Wie angenehm diese gewisse Ordnung war, dachte Peter. Er kannte andere Beispiele, wo die Geschwister sich im permanenten Streit befanden und sich die Eltern in einer Schleife aus Schimpfen und dem Einknicken zuvor ausgesprochener Verbote im Kreis drehten. Die positive Seite vom Chaos ist seine Energie und Lebendigkeit, die der Ordnung fehlen. Mit Sicherheit ist es nie langweilig mitten im Chaos, aber auch nie wirklich ruhig.

„Hallo, Peter!“, rief Leif und entriß Peter damit aus seinen abschweifenden Gedanken aufgrund der Eindrücke, die er aufsog. „Leif! Es freut mich, dass wir uns endlich mal wiedersehen. Unser letztes Treffen ist mindestens ein Jahr her.“, kam von Peter zurück.

„Komm in unser Eßzimmer an den Tisch! Christiane hat dort schon selbstgemachte Knabbereien aufgedeckt.“, erwähnte Leif als nächstes. Während Christiane kurz in der Küche verschwand, gingen er und Leif an den Tisch im Eßzimmer.

„Christiane hat sich echt viel Arbeit gemacht und es sieht superlecker aus.“, ließ Peter beim ersten Anblick des gedeckten Tisches heraus. „Setz Dich!“, entgegnete Leif freundlich. Daraufhin ließ Peter seinen Blick durch das ordentliche Zimmer schweifen, welches nahtlos in das Wohnzimmer überging. Die Sauberkeit hier stand im krassen Gegensatz zu der einer männlich geprägten Studenten-WG, in der das Nikotin die Scheiben dunkel färbt und selbst Kakteen total vertrocknet sind, weil im Gegensatz dazu selbst die schlimmste Wüste das reinste Lebensparadies ist. Ein niedriger Couchtisch stand vor dem Sofa und auf der Fensterbank erstrahlte eine üppige und gutgepflegte Pflanzenpracht. Beide sind Nichtraucher und es gab keine verräucherte Luft an die Peter sich erst gewöhnen mußte. Im Sitzen blieben seine Augen am Kamin hängen. Leif registrierte dies und bemerkte, „Das ist ein Modell aus Dänemark. Diesen Kamin haben wir nachträglich einbauen lassen. Durch die innere Hitze und den Sog des Schornsteins bleiben die Scheiben vor der Feuerstelle komplett rußfrei.“

Peter war beeindruckt vom Design, aber die Dänen haben ein Händchen für so etwas. Das rauhe nördliche Klima zwingt einen fast dazu, es sich daheim möglichst behaglich zu machen. Peter dachte an den letzten Dänemark-Urlaub mit meiner Freundin zurück, wo der Kamin am Anfang sehr qualmte. Spontan fiel Peter sein Lieblingsitaliener ein, dessen Kamin oft zu Beginn der Öffnungszeit die Räumlichkeiten leicht verräucherte. Nicht ohne Begeisterung bemerkte Peter, „Dieser Kamin gefällt mir, aber noch ist es zu warm draußen, um ein Feuer darin zu entzünden.“

Leif war Ingenieur und Perfektionist. Er konnte streng sein und Leute auf den Pott setzen, während Christiane die Herzlichkeit und die Fürsorglichkeit in Person war. Beide lernten sich beim Rock ’n Roll Tanzen kennen und sahen nach all den Jahren immer noch sehr sportlich aus. Leichte Bewunderung kam dabei in Peter für all diejenigen auf, die kein Gramm Körperfett am Leib hatten, wo Peter hingegen seinen Babyspeck nicht loswurde, selbst bei mehrmaligem Lauftraining in der Woche und somit mehreren Stunden Sport. Der Unterschied lag wohl in den Erbanlagen und der Art des Essens. Leif und Christiane engagierten sich in ihrer evangelischen Kirchengemeinde, hatten aber auch etwas Zurückgezogenes, was Peter an seine Eltern erinnerte. Beide waren keine klassischen Partylöwen.

Inzwischen war Christiane zurück mit einer Flasche Weißwein aus der Küche und schenkte den gut gekühlten Tropfen in die drei Weingläser ein. Alle stießen miteinander an. Während sie sich angeregt über die alten Zeiten in Schule und Studium unterhielten, gen0ßen sie Christianes Köstlichkeiten. „Das schmeckt in der Tat alles sehr lecker, Christiane!“, sagte Peter, um das Lob dafür nicht nur direkt an Leif übermittelt zu haben. „Danke!“, erwiderte Christiane mit einem Anflug von Zufriedenheit, weil ihre Mühen Anerkennung fanden. Frauen müssen eine Art Sauberkeitsgen besitzen, denn analog zu Peters Freundin konnte Christiane den Anblick genutzter Teller nicht ertragen. Diese räumte sie sofort weg, als sie ihre erste Gesprächsrunde beendet hatten und sich entschlossen, zum gemütlicheren Sofa hinüberzugehen.

Peter dachte wieder an die WGs aus seiner Studentenzeit zurück, wo eine andere Sicht auf die gleiche Lage vorherrschte. Der Abwasch blieb unerledigt und die Deckel der Aufbewahrungsboxen wölbten sich nach oben, weil der Inhalt darin monatelang schlicht vergessen worden war. Die Abgasprodukte des eingeschlossenen Schimmels wölbten die Plastikbox und keiner wagte es mehr, diese noch zu öffnen. Christiane räumte den Eßtisch ab und lehnte jede angebotene Mithilfe von beiden Männern ab. Leif und Peter machten es sich auf der Couch bequem.

„Hast Du mal wieder etwas von Frank gehört?“, fragte Peter Leif. „Nein, der ist nach dem Studium wie vom Erdboden verschluckt.“, antwortete Leif. „Schon komisch, weil wir ja so lange im Studium die Labore und praktischen Übungen miteinander absolviert hatten.“, bemerkte Peter. „Die letzte Begegnung hatte ich mit ihm auf der Hochschule. Er hatte wohl gerade Schwierigkeiten mit seiner Diplomarbeit. Jedoch hatte er ja wie wir alle Klausuren bestanden, so dass ich mir absolut sein endgültiges Scheitern nicht vorstellen kann.“, führte Leif aus. „Manchmal ist das einfach nicht nachvollziehbar. Ich hatte damals versucht, ihn telefonisch unter seiner alten Nummer zu erreichen, aber das klappte nie. In modernen Internetnetzwerken konnte ich ihn ebenfalls nicht auffinden“, sagte Peter mit einem fragenden Blick.

„Wie erging es Dir nach dem Studium?“, fragte Peter neugierig. „Ich zog erst nach Süddeutschland, um bei einer Behörde zu arbeiten. Das Meer fehlte mir recht schnell und Christiane nur am Wochenende zu sehen, fiel mir schwer. Zudem war die Arbeit dort recht trokken, so dass ich nach etwa 1 Jahr meine Zelte dort wieder abbrach. Damals war die Zeit unheimlich schwierig, weil ich unzählige Bewerbungen schreiben mußte, um überhaupt meinen ersten Job zu finden. So war ich froh, dort unten einen Job zu finden, der mir halbwegs auf den ersten Blick gefiel.“

Peter nahm den Gesprächsfaden auf und fügte aus seinen Erinnerungen hinzu, „Ja, ich kann mich erinnern. Ich schrieb ebenfalls etwas über 120 Bewerbungen, um meinen ersten Job zu finden. Durch ganz Deutschland reiste ich, um hier und dort zu Vorstellungsgesprächen zu fahren. Dabei hatte ich einen Notenschnitt von unter 2.0, aber das half mir auch nicht weiter. Erst nach einer weiteren Fortbildung kam ich in der Vorausentwicklung des Großkonzerns Waldeck hier in Kiel unter. Das war Mitte 1995. Ende gut, alles gut. Andererseits wurden die Absolventen 1-2 Jahre vor unserem Diplom noch mit dem Bus direkt von der Hochschule abgeholt. Da bestätigte sich, dass es einen Schweinezyklus in der Ingenieursnachfrage gibt. Es wäre damals besser gewesen, wenn ich meine Fachpraktika nicht in der Mitte des Studiums gemacht hätte, sondern zum Ende hin. Statt die Diplomarbeit an der Hochschule zu machen, wäre es klüger gewesen, diese direkt in der Industrie zu machen. Das hätte einen höheren Verkaufswert gehabt und ich hätte so früher Kontakte zu einem potentiellen Arbeitgeber aufbauen können. Hinterher ist jeder schlauer, aber ich wollte das Thema Fachpraktikum schnell abhaken können nach dem Vordiplom und dachte mir, eine Pause könnte nicht verkehrt sein. Meine Rechnung ging jedoch nicht auf, weil ich zu stark aus dem Lerntrott herausfiel und ich ein späteres Praktikum mit viel mehr Vorwissen aus dem Studium hätte antreten können. Meine Erfahrungen mit dem Suchen nach einem Grundpraktikum waren jedoch so negativ, dass ich sicher sein wollte, denn ohne Fachpraktikum hätte man mir das Diplom nicht ausgehändigt und daran wollte ich nicht scheitern. Ich schätzte die Lage zu unrealistisch ein.“

Leif nutzte Peters kleine Sprechpause, um mit seinen Erlebnissen fortzufahren, „Ich kam bei einem Telekommunikationsunternehmen in Kiel unter und verkaufte große Telefonanlagen. Der Druck und der Streß dort waren extrem hoch, aber ich habe echt eine Menge Geld an Provisionen verdient. Solange ich keinen Mercedes oder BMW als standardgemäßes Auto fuhr, schauten mich meine Chefs schief an und es fielen spitze Bemerkungen der Kollegen. Ein paar Jahre hielt ich den Vertrieb durch und hatte dann genug Geld verdient, um auszusteigen. Zum Schluß war mir meine Gesundheit und Familie mehr wert. So fand ich einen Halbtagsjob bei einer Behörde in Kiel und kümmerte mich dort um die Telekommunikationsanlagen und die Projektierung von Telekommunikationsanlagen.

Wenn mich Zulieferfirmen verschaukelt haben, bin ich denen gerne auf die Füße getreten. Eine Firma war über lange Jahre unser bewährter Auftragnehmer für Kabelschächte. Bei einer Überprüfung entdeckte ich, dass die Kabelverbindungen nicht wasserdicht ausgeführt waren. Wiederholt haben die mich hingehalten und mit falschen Aussagen alles abgestritten. Irgendwann wurde mir das zu bunt. Dann sorgte ich dafür, dass die von uns keinen Auftrag mehr bekamen. Die Chefin von denen war echt sauer, weil sie ziemliche Umsatzeinbußen verkraften mußte.

Aktuell habe ich solche Probleme nicht mehr, weil sich über Jahre mein Aufgabenbereich mit der Zeit änderte. Inzwischen schlage ich alle mit ihren eigenen Mitteln und spiele die Chefs und Kollegen gegeneinander aus, falls die mir zu dumm kommen und mir Aufgaben aufhalsen wollen, die nicht in mein Aufgabengebiet fallen.

Ab und zu kommen noch paar unfreundliche Zeitgenossen auf mich zu, wenn sie frisch in ihrem neuen Job sind und dann einen Telefonanschluß benötigen. Es gibt echt wenige, die freundlich sind. Oft halten manche sich für etwas Besseres. Die öffentlich recht bekannte Katrin Schuhmacher war wider Erwarten recht umgänglich und wirklich nett. Ein Extrembeispiel war ein junger Schnösel. Der war so frech und unfreundlich, dass ich ihn extra etwas länger auf sein Telefon habe warten lassen.“

Mit leichter Bewunderung für seine Fähigkeiten zum harten Abgrenzen sprudelte es aus Peter heraus, „Ich war so froh, meinen ersten Job zu haben. Ich dachte nur noch daran, mich zu beweisen, dass ich es echt draufhabe und etwas kann. Das trieb mich an. Wir entwickelten in einem Team aus jungen Studienabgänger an einer Weltneuheit im Bereich der digitalen Datenübertragung und der digitalen Audio- und Videoverarbeitung. Weil es um eine Weltneuheit ging und alle Absolventen so gierig waren, sich zu beweisen, haben wir uns gegenseitig hochgetrieben in unserer Arbeitsmotivation. Ständig kamen neue Kollegen hinzu und auf alle wirkte es so, dass mit viel Geld und allen Mitteln etwas Großartiges aus dem Boden gestampft werden sollte. Das war echt der totale Hype.

Es wurden Überstunden bezahlt und keiner schaute darauf, wie viele Überstunden geleistet wurden. Es gab kein Limit nach oben. Teilweise arbeiteten die Leute 6 Wochenenden am Stück durch, damit die Weltneuheit auf der Funkausstellung präsentiert werden konnte. Manchmal kam ich morgens zur Arbeit, als die Frühschicht das Werk verließ. Als ich Feierabend machte, fing die Frühschicht gerade wieder an und mir begegneten die gleichen Leute von morgens beim Gang auf dem Werksgelände. Wir waren schnell eine eingeschworene Gemeinschaft, die durch extremen Einsatz und die Besonderheit ihres Aufgabenbereichs zusammenwuchs. So habe ich auch gutes Geld verdient, aber auch nicht so viel, dass ich sagen könnte, ich hätte ausgesorgt.“

Leif entgegnete, „Mein Bruder ist ebenso ein Arbeitsverrückter. Der macht teilweise mehr als 900 Überstunden im Jahr. Er findet einfach keine Grenze und ist nicht in der Lage seinen Einsatz herunterzufahren. Dabei wies ich ihn öfters darauf hin, dass das, was er da macht, auf Dauer einfach nicht gesund ist.“

Peter fuhr fort und sagte, „Ja, so extrem war ich nicht, aber ich kam in den ersten 5 Jahren auf 600 Überstunden jedes Jahr. Die Arbeit war wie ein Rausch für mich. Ich ging so darin auf, dass ich andere Lebensbereiche durchaus vernachlässigt hatte. Jedoch störte es mich nicht und irgendwie war ich im Flow und glücklich mit dem, was ich tat. Ich fühlte mich beteiligt, wertgeschätzt und als Schöpfer eines eigenen technischen Geräts. Ich identifizierte mich total mit meiner Arbeit und hatte das Gefühl, zusammen mit meinen Kollegen und trotz knapper Zeitstrecken alles erreichen zu können.“

Neugierig warf Leif ein, „Hat sich denn inzwischen für Dich etwas geändert?“

„Durchaus hat sich etwas geändert.“, erwiderte Peter. „Ich habe nach all dem Hype einen ersten Dämpfer erfahren.“, fuhr Peter fort. „Die ganzen Träume nach dem Ausgründen einer Tochtergesellschaft namens Waldeck Multimedia aus dem Großkonzern Waldeck heraus bewahrheiteten sich nicht. Die Ausgründung fand etwa 1 Jahr vor der Weltausstellung statt. Der Konzernspitze war es dann irgendwann zu lästig, sich mit einer kleinen Tochtergesellschaft befassen zu müssen. Der technische Geschäftsführer hatte sich mit seinen Prognosen zu sehr aus dem Fenster gelehnt und diese Vorstellungen zerschellten an der Realität wie ein Boot in der Sturmbrandung an den Felsen der Küste. Während im Großkonzern in Massenprodukten gedacht wurde, entwickelten wir schlüsselfertige Systeme im Bereich Multimedia, die mit viel Aufwand und technischem Know-how neu entwickelt werden mußten. Antreiber war der Wunsch, Applikationen rund um den neuen digitalen Rundfunk in den Markt zu bringen.

Das Tolle war, Teil einer Neuentwicklung zu sein. Teil von etwas, was es zuvor noch nicht gab. Es ist so sicher wie das Amen in der Kirche, dass dies jeden Ingenieur antreibt. Der Abstieg erfolgte schrittweise. Zuerst gliederte der Großkonzern genau die Bereiche wieder bei sich ein, von denen er sich eine Zukunft versprach. Der technische Geschäftsführer ist durch einen neuen ersetzt worden, der in der Vergangenheit diverse Abwicklungsprojekte leitete. Der gute Mann ist damit Spezialist, unrentable Bereiche einer Firma zu schließen oder zu verkaufen, wie zum Beispiel die Produktion von Fernsehern, die in Fernost wesentlich günstiger zu entwickeln und zu produzieren sind. Natürlich will der Großkonzern keine negative Publicity, so dass derartige Vorhaben eher langsam zu einem Abschluß statt zum abrupten Ende kommen.

Wie dem auch sei, der Geschäftsführer wurde genötigt, sich in einer Sitzung von allen Mitarbeitern unter Vorgabe falscher Tatsachen zu verabschieden. Angeblich wollte er sich einer neuen Herausforderung stellen. Das sagte er unter Tränen. Mir war so klar, dass uns hier ein Märchen aufgetischt wurde, während die wahren Fakten verborgen bleiben sollten. Da habe ich mich als Mitarbeiter regelrecht verschaukelt gefühlt, weil der Konzern zur Wahrung seiner Interessen, das Belügen vorzieht, statt offen das zu benennen, was nicht paßt“, schloß Peter seine weiteren Ausführungen.

Leif nickte zur Bestätigung, „Ja, das deckt sich mit meinen Erfahrungen. Mitarbeiter in einem Konzern werden oft zum Spielball anderer Interessen.“ Seinen Gedankengang griff Peter auf, „Oft baden auch die Falschen und die Schwächsten in der Hierarchiekette die Folgen von Mißmanagement und Unfähigkeit auf höheren Ebenen aus. Als beim Konzern ein großes Projekt wegbrach, wurden zuerst in der Fertigung die Mitarbeiter entlassen, weil es nichts mehr zu fertigen gab. Die Entwicklungsbereiche wurden weiter beschäftigt, um diese Scharte überhaupt noch auswetzen zu können. Gerechtigkeit sieht anders aus, aber die Praxis hat ihre eigenen Gesetze.“

Peter fuhr fort, „Uns wurde in dieser besagten Sitzung mitgeteilt, dass der Plan ist, die Tochtergesellschaft zu verkaufen. Die Glücksblase mit der eigenen Karriere, den Träumen von der Zukunft, ist zerplatzt. Nun ist die Zukunft ungewiß, weil ich nicht weiß, was auf mich zukommen wird und wie diese Geschichte enden wird. Ein Element der Unsicherheit existiert jetzt. Diese Situation hat etwas Abartiges, weil einerseits noch so viel zu tun ist, andererseits durch dieses Tun kein Gewinn für die Firma abfällt. Sicher bietet der Großkonzern eine Art weiches Bett zum Hineinfallen, weil ein Engagement da ist, Entlassungen zu vermeiden. Triebfeder ist hier sicher nicht ein wahres soziales Engagement, sondern eher pragmatische Überlegungen, Folgen für den Konzern durch negative Nachrichten zu vermeiden. Ich mache mir da keine Illusionen, aber ich habe keine großen Ängste, was meine Zukunft betrifft. Dennoch empfinde ich es als Rückschlag für die ganzen Bemühungen und unbezahlten Überstunden, die ich beim Entwickeln investierte.“

„Ich lasse es jetzt eindeutig ruhiger angehen“, sagte Leif. „Bei einer Behörde mit geregelten Arbeitszeiten ist das einfacher möglich als in der Industrie, wo ja steter Druck herrscht, Geld zu verdienen. Inzwischen habe ich nur noch einen Halbtagsjob. Durch das Geld, was ich damals im Vertrieb verdiente, und meine Erbschaft, ist das alles kein Problem. Zudem habe ich so mehr Zeit für meine drei Söhne und die Familie. Ich litt in meiner Kindheit darunter, dass mein Vater zur See fuhr. Zwar brachte er als Kapitän exotische Mitbringsel aus aller Welt mit, die damals, wie Du Dich sicher erinnern kannst, meine Studentenwohnung schmückten, aber er war halt oft nicht da.“ „Das stimmt.“, fügte Peter ein. „Du hattest Bullaugen, Statuen aus Afrika, ausgestopfte Alligatoren und viele andere Sachen von ihm in Deiner damaligen Wohnung stehen.“

„Die Zeit vergeht wie im Flug.“, bemerkte Leif. „Jetzt ist es schon 23:00 Uhr und morgen muß ich wieder früh raus und die Kinder bei der Schule absetzen.“ „Ja, Du hast recht“, stimmte Peter ein. „Laß uns jetzt Schluß machen, denn ich muß noch mit dem Fahrrad nach Hause fahren. Das nimmt noch etwas Zeit in Anspruch. Wir können unser Gespräch bei nächster Gelegenheit fortsetzen.“ Christiane war inzwischen mit allen Arbeiten in der Küche durch und kam zurück ins Wohnzimmer und fragte, „Peter, willst Du uns jetzt wieder verlassen?“. „Ja!“, antwortete er kurz.

Nach dem herzlichen Verabschieden von beiden war Peter dabei, sein Fahrrad aufzuschließen. Im Flur zog er sich bereits passend für das Nachtwetter an. Peter schwang sich auf sein Fahrrad und mit ein paar kräftigen Tritten ins Pedal war sein Fahrrad bald auf Geschwindigkeit. Inzwischen war es draußen dunkel geworden und die Nacht bot ihm kühle Luft. Der frische Sauerstoff regte sein Gehirn zu weiterem Nachdenken an. „Ja, ich muß jetzt schauen, was die Zukunft an Änderungen bringt“, sagte er still. Jedoch zwang ihm der Innenstadtverkehr auf, beim Fahren auf andere Dinge zu achten, so dass das Grübeln verschwand und Peter sich rein auf das Radfahren und den Nachhauseweg konzentrierte.

Brüder

Jupp ist Österreicher, was unverkennbar an seiner Stimme zu erkennen war. Über Studium und Beruf verschlug es ihn nach München in die Nähe seiner Geburtsstadt an der deutsch-österreichischen Grenze. Ihn trieb es nach dem Abitur früh aus dem Elternhaus, um seine eigenen Wege zu gehen. Weil seine Eltern vermögend waren, fiel es ihm nicht schwer, dies finanziert zu bekommen. Mehr vom Ehrgeiz getrieben als sein älterer Bruder Arno brachte er es bald zum Geschäftsführer, denn sein Talent, Visionen zu verkaufen, die Gier anderer zu bedienen, war seine außergewöhnliche Fähigkeit.

Früh lernte er es im Elternhaus seinem Vater nachzueifern, während sein Bruder Arno mehr nach seiner Mutter geriet, weil Arno eher den Weg der Abgrenzung und der Andersartigkeit zu seinem Vater einschlug. Jupp jedoch lernte früh die Klaviatur zu spielen, Großeltern und Vater passend zu umgarnen, damit sie ihm seine Wünsche und Vorstellungen finanzierten. Weil sich seine Eltern und Verwandten gerne mit seinen Fähigkeiten und Talenten brüsteten, fiel es Jupp nicht schwer. Er entwickelte sozusagen im familiären Umkreis sein ungewöhnliches Talent ohne darüber je bewußt nachdenken zu müssen. Es diente seinen Vorstellungen und Wünschen und es war ihm quasi mit der Muttermilch in die Wiege gelegt worden.

Arno war stiller und weniger risikofreudig als auch weniger karrieregeil. Ihm war die Familie und Beständigkeit wichtiger, während Jupp lieber auf der Überholspur lebte und diesem Leben alles andere opferte. Jupp war herzlich und konnte andere Menschen schnell für sich einnehmen und dafür begeistern, daran mitzuwirken, seine tollen Ideen zu verwirklichen. Sein Vorteil war, dass er an sich selbst ohne jeglichen Zweifel glaubte und so die Masse all derer für sich einnehmen konnte, die stets einen Hauch an Selbstzweifeln und Realismus in sich trugen. Jupp kannte solche Zweifel nicht, denn er war sich selbst Droge genug.

So wurde er schnell Geschäftsführer, weil er seinen Gesellschaftern und Mitarbeiten das bieten konnte, was sie selbst nicht hatten, sich unbewußt aber sehnlichst wünschten, nämlich null Selbstzweifel und eine realistische Vision, die dazu taugte, viel Geld zu verdienen. Genauer betrachtet, blieb Jupp sich stets treu, indem er vom Geld anderer lebte und nur daran interessiert war, dass er die Richtung vorgab, wo es lang zu gehen hatte. Er tauschte gelegentlich seine Investoren aus, wie ein Bauer seine Herde Kühe regelmäßig mit frischem Genmaterial auffrischte.

Unerwartet und hart traf es Jupp, diesem gewohnten Treiben und Erfolgen entrissen worden zu sein. Er wurde gerade als Geschäftsführer einer Technologiefirma für Industrie-PCs mit sofortiger Wirkung seines Amtes enthoben und vor die Firmentür gesetzt. Natürlich war dies eine tiefgreifende Enttäuschung für ihn, weil er sich hintergangen und belogen fühlte von denen, denen er vertraut hatte, auch wenn es sich bei seiner Bindungsfähigkeit um ein einseitiges Umgarnen anderer zwecks Befriedigung persönlicher Vorstellungen handelte. Um so tiefer saß der Stachel dieser symbolischen Ohrfeige.

Jupp war nicht in der Lage sich kritisch selbst zu hinterfragen, weil er keinen Vorteil für sich darin sah. Er bekam halt nicht mit, wenn andere anfingen, sich von ihm abzugrenzen, weil mit ihm einfach nicht zu reden war. Jeder, der Jupps Vorstellungen nicht teilte oder kritisch hinterfragte, war ein Gegner, den es zu eliminieren galt und im günstigsten Fall wurde derjenige nur als Pessimist abgestempelt. Normale Mitarbeiter waren meist Pessimisten, Führungskräfte von Rang und Gesellschafter waren meist Gegner, wenn sein Wille nicht auf fruchtbaren Boden fiel.

Jupp hatte seinen Bruder länger nicht gesehen, aber umtriebig wie er war, schmiedete er bereits an Plänen für eine tollere und bessere Zukunft. Diese konnte er nur mit einer Person teilen, der er wirklich nach dem Desaster der zwangsweisen Amtsenthebung als Geschäftsführer vertrauen konnte. Das ging für Jupp nur mit seinem Bruder Arno, der ihm häufig ein guter Ratgeber war und ihm mit seiner Bauerschläue oft weiterhelfen konnte.

Jupp und Arno verabredeten sich zum Abendessen in den Bayernstuben. Dies war einige Jahre vor dem Platzen der Internetblase an den Börsen und die erste Hysterie für Technologiefirmen kennzeichnete das gute Gründungsklima für Firmen im Technologiesektor. Toni hieß der italienische Besitzer und Wirt, so dass entgegen aller Vermutungen die Bayernstuben ein italienisches Restaurant war. Toni behielt den Namen der Wirtschaft bei als er sie pachtete, weil der Name dieser Lokalität in München bekannt war. Als Geschäftsführer lud Jupp oft Mitarbeiter zu Besprechungen in die Bayernstuben ein.

Jupp konnte dort direkt beim Bezahlen mit seinem Geld und Erfolg prahlen, indem er stets ein Bündel großer Scheine in seinem Portemonnaie hatte, sobald es zum Bezahlen kam. Üppiges Trinkgeld blieb nie aus, so dass Jupp bei Toni stets ein gern gesehener Gast war. Jupps Firma wählte damals München als Standort, was Jupp entgegenkam, weil München nicht allzuweit weg von seiner geliebten Heimat Österreich war. Er liebte diese Treffen im Restaurant, weil die Atmosphäre dort ungezwungen war und die Menschen sich nach ein paar Bier und Rotwein schnell öffneten. Dies bediente seine Macht- und Kontrollgelüste, weil er darüber sein Gegenüber besser kennenlernte und sicherer einschätzen konnte.

Zudem verkaufte sich Jupp gerne als großzügiger Gönner und Vaterfigur, wobei ihm das Geben nicht besonders schwerfiel, denn er gab nur das Geld weiter, was ihm seine Investoren anvertraut hatten. Ähnlich seinem Bruder Arno liebte er Zusammenkünfte in familiärer Atmosphäre, selbst bei beruflichen Angelegenheiten, jedoch war Jupp das Geschäftemachen stets wichtiger als die eigene Familie. Diese familiäre Art der Atmosphäre bediente eine tiefe Sehnsucht nach Geborgenheit und Vertrauen in ihm, aber dies war ihm nicht bewußt, weil er wie ein Süchtiger in seinem Machttrieb gefangen war. Er war das Maß aller Dinge und mußte es sein.

Jupp stieg aus seinem BMW aus und rief seinem Bruder, der bereits auf Tonis Parkplatz wartete, freudig entgegen, „Hallo, Arno! Schön, Dich endlich mal wieder zu treffen, mein Bruderherz. Es hat doch echt einen besonderen Charme, dass Du es Dir heute einrichten konntest, mich zu treffen. Ich brauche dringend Deinen Rat, denn mich bewegen neue Herausforderungen.“

„Mein kleiner Bruder!“, rief Arno aus einem Gemisch aus bayrischem und österreichischem Dialekt zurück. Der Tonfall seiner Sprache bereitete Vertrauensseligkeit pur. Arno hätte gut Pastor werden können, wurde aber Diplomkaufmann, weil er es mit der Religion und Gott nicht so hatte. Er fühlte sich lieber seiner Familie zugehörig und nicht der Kirche mit ihren strikten Moralvorstellungen. Arno liebte es gemütlich und war so gepolt, nie jemanden böse Absichten zu unterstellen oder gar in den Dimensionen von Kontrolle und Macht zu denken, in denen sich sein Bruder Jupp nur zu gut zu Hause fühlte.

„Wie geht es Dir, Jupp?“

„Mir geht es eher durchwachsen, aber die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt. Inzwischen treiben mich neue Visionen an, die es gilt, zu realisieren. Aber laß uns erst zu Toni reingehen und dort Platz nehmen, denn bei einem Glas Rotwein lassen sich leichter in vertrauter Atomsphäre Details nennen.“ Gesagt, getan und Jupp hielt seinem Bruder die Tür auf. Toni stand hinter der Theke und nahm sofort wahr, dass Jupp anwesend war. Toni hatte beiden schon Jupps Stammtisch vorbereiten lassen, so dass er beiden nach seiner freudigen Begrüßung Jupps Stammtisch zuwies und sprach, „Salve, mein Freund Jupp! Buona sera! Dein Bruder Arno ist endlich wieder mein Gast. Kommt, Ihr beiden. Ich habe den besten Platz für Euch bei mir reserviert.“

Jupp machte es sich bequem. Ihre Mäntel nahm Toni vorab entgegen, um sie an die Garderobe zu hängen. Jupp fühlte sich hier gleich behaglich und erinnert an eine gemütliche Berghütte in den Alpen, die er von seinen Bergwanderungen in seiner Jugendzeit noch allzugut in Erinnerung hatte. Nun konnte er durchatmen, sich entspannen und endlich mit jemanden seine neuen Visionen teilen.

„Toni!“, schmetterte Jupp in Richtung Theke, um eine Bestellung aufzugeben, nachdem beide Brüder nach Übergabe der Speisekarte etwas Passendes für sich gefunden hatten. Freudig kam Toni zum Tisch gelaufen. Jemand hätte sich beim Beobachten an das Rufen eines gut dressierten Hunds erinnert gefühlt, der voller Freude endlich seinem Herrchen wieder Gesellschaft leisten durfte. Jedoch lag diese natürliche Gastfreundschaft und Freundlichkeit Toni als Italiener im Blut. Die Sonne des Südens wirkte im Gegensatz zum grauen und kalten Wetter in Deutschland wie ein Aufheller für die eigene Stimmung, der bei ausreichend langem Genuß in der eigenen Wachstumsphase einem lebenslang erhalten blieb, selbst wenn die sonnigen Gefilde mit Schlechtwetterzonen getauscht wurden.

Bei einem Deutschen Restaurant blieb oft der Eindruck hängen, dass neben dem Essen auch die Freundlichkeit beim Bedienen hätte bestellt werden müssen. Das Bedienen entsprach nicht dem Naturell eines jeden.

„Jupp, Arno, habt Ihr gefunden, was Ihr bestellen wollt?“, kam mit typisch italienischem Akzent aus Toni heraus.

„Wir sind fündig geworden, Toni!“, antwortete Jupp. „Wir nehmen eine Flasche von dem Primitivo und eine Flasche San Pellegrino. Ich nehme die Spaghetti Bolognese und Arno nimmt die Lasagne al forno.“

„Grazie!“, bahnte sich aus dem Mund von Toni. Toni notierte sich alles auf seinem Bestellblock, denn ein elektronisches Bestellsystem war in seinem Restaurant noch nicht eingeführt worden. Abgesehen von seinem Alter und den Kriegspfad, den er mit der modernen Elektronik beschritt, war Toni der Auffassung, dass sein Restaurant für diese Art von Schnickschnack nicht groß genug war. Sobald alles notiert war, begab sich Toni in Richtung seiner Küche.

Arno wirkte väterlicher als Jupp, allein der Vollbart von Arno verstärkte diesen Eindruck, während Jupp stets glattrasiert war und schneeweiße kurze Haare hatte und im Gegensatz zu seinem Bruder keine Brille trug. Jupp trug immer einen Anzug und war voll und ganz von seinem Äußeren auf Geschäftsmann getrimmt. Arno konnte für einen gütlichen Großvater gehalten werden, der gerade seine recht einsame Blockhütte in den Bergen verlassen hatte, um wieder in den Lärm der Zivilisation abzutauchen.

Inzwischen wuchs Arnos Neugier mit jeder verstrichenen Minute, in der Jupp weitere Details seines Anliegens schuldig blieb. Daher fragte Arno voller Neugier, „Jupp, mein Bruderherz, was hast Du auf dem Herzen? Wir sind jetzt ungestört, solange das Essen zubereitet wird und mit dem Bringen der Getränke wird es ebenso noch etwas dauern.“

„Arno, Du wirst es nicht glauben!“, stieg Jupp auf die Frage seines Bruders ein. „Gestern wurde bei PI Computers eine außerordentliche Gesellschafterversammlung einberufen. Als Geschäftsführer mit der Hauptverantwortung für Technik und Vertrieb mußte ich dort erscheinen, aber dieser Termin wurde sehr kurzfristig anberaumt und dessen Zweck wurde nicht näher erläutert. Daher war ich einerseits neugierig, anderseits beschlich mich ein gewisses Unbehagen. Um es kurz zu machen, gestern bin ich mit sofortiger Wirkung von meinen Aufgaben als Geschäftsführer enthoben worden und zwar durch einstimmigen Beschluß der Gesellschafter. Natürlich war ich sehr niederschlagen und fühlte mich tief verletzt und enttäuscht nach all den Mühen und der Zeit, die ich in der Vergangenheit für die Weiterentwicklung dieser Firma investiert habe. Ich erinnere mich wie heute, wie ich damals tierisch froh war, auf den passenden Firmennamen Perfect Industrial Computers oder kurz PI Computers gekommen zu sein. Ich konnte kaum schlafen die Nacht über, aber heute am Morgen kam mir unter der Dusche die Idee, wie ich meine Zukunft gestalten werde.“