Babybrei und andere Köstlichkeiten - Vanessa Richter - E-Book

Babybrei und andere Köstlichkeiten E-Book

Vanessa Richter

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Beschreibung

Das kann doch nicht so schwer sein ...

Anderen Lebewesen am Hinterteil schnuppern? Das machen doch nur Hunde. Und Eltern. Mias Plan, das Leben mit Kind auf gar keinen Fall kompliziert werden zu lassen, verpufft noch ehe der Vorsatz zu Ende gedacht ist. Neben schlaflosen Nächten, ausgeprägter Stilldemenz und kinderlosen Freunden mit wenig Verständnis für den neuen Lebenswandel, sagt Mia auch den hartnäckigen Schwangerschaftspfunden den Kampf an. Und als wäre das nicht alles schon genug, schwebt ihre Mutter auf Wolke sieben - mit ihrem angeblichen Traummann, der Mia aber eher wie ein professioneller Heiratsschwindler erscheint ...

Titel ist vormals unter "Om, es ist nur eine Phase" erschienen.

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Über das Buch

Das kann doch nicht so schwer sein …

Anderen Lebewesen am Hinterteil schnuppern? Das machen doch nur Hunde. Und Eltern. Mias Plan, das Leben mit Kind auf gar keinen Fall kompliziert werden zu lassen, verpufft noch ehe der Vorsatz zu Ende gedacht ist.

Neben schlaflosen Nächten, ausgeprägter Stilldemenz und kinderlosen Freunden mit wenig Verständnis für den neuen Lebenswandel, sagt Mia auch den hartnäckigen Schwangerschaftspfunden den Kampf an. Und als wäre das nicht alles schon genug, schwebt ihre Mutter auf Wolke sieben – mit ihrem angeblichen Traummann, der Mia aber eher wie ein professioneller Heiratsschwindler erscheint ...

Der Titel ist vormals unter »Om, es ist nur eine Phase« erschienen.

Über Vanessa Richter

Vanessa Richter, Jahrgang 1979, studierte Germanistik und Anglistik und versucht seitdem, ihren mehr oder weniger begeisterungsfähigen SchülerInnen die Feinheiten der deutschen und englischen Sprache näher zu bringen. Sie lebt mit Kind und Kegel zwischen Ruhrpott und Münsterland.

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Vanessa Richter

Babybrei und andere Köstlichkeiten

Erster Monat Vierzig Wochen Vorbereitung für die Katz!

Der Nabel der Welt

Ich war zum Kleiderständer degradiert worden. Mein Leben als Mutter hatte gerade erst begonnen und meine einzige Aufgabe bestand darin, unter einem Stapel von Jacken und Mänteln keinen qualvollen Erstickungstod zu erleiden. Während ich versuchte, meine Hände freizukämpfen, stand eine undefinierbare Masse von Besuchern um das Bett meines Sohnes herum und gab quietschende und gurrende Laute des Entzückens von sich.

Wieder ging die Tür meines Krankenhauszimmers auf. Zwischen einem dicken Wollschal und einem groben Strickmantel hindurch sah ich meine Mutter den Raum betreten.

»Jetzt macht mal alle Platz. Ich bin schließlich die Oma.« Auftritt Hausdrache!

Sie zog ihren Parka aus und warf ihn zu all den anderen Kleidungsstücken auf mein Bett, genauer gesagt auf mich. Er roch ziemlich streng nach Schwein, was kein Wunder war, denn meine Mutter lebte mit allerlei ländlichem Getier mitten in der tiefsten Einöde.

Meine Kindheit an diesem Ort hatte mich so nachhaltig geprägt, dass ich mit Anfang zwanzig Landflucht begangen hatte und seitdem glücklich als kosmopolitisches Stadtweibchen lebte. Gerade eben hatten Nils und ich ein neues Haus in bester Lage gefunden, das ich möbliert allerdings noch nicht kannte. Vor unserem Umzug war mir schlichtweg eine Geburt dazwischengeraten. Fruchtblasen platzten bekanntlich zu den ungünstigsten Gelegenheiten. An Supermarktkassen, bei geburtsfördernden Sexeinlagen, in Straßenbahnen oder über dem handgeknüpften Perserteppich der Schwiegermutter. Ein Glück, dass meine – fast schon unspektakulär – auf Mutters Hof kurz vor unserem Umzug das Zeitliche gesegnet hatte. Die Fruchtblase, nicht die Schwiegermutter. Letztere lebte erfreulicherweise weit weg in ihrem mallorquinischen Rentnerparadies und stellte keine akute Bedrohung für mein Nervenkostüm dar.

»Mia, rück gefälligst rüber, siehst du nicht, dass ich mich setzen will?«

Schade, dass Mutter sich nicht auch in unser siebzehntes Bundesland absetzen wollte. Seufzend gab ich eine Ecke meines Bettes frei, was unter der Last der vielen Jacken gar nicht so einfach war. Dass ich als frischgebackene Mutter eigentlich diejenige war, die ein gebührendes Maß an Aufmerksamkeit und ansonsten absolute Ruhe brauchte, darüber musste ich mit dieser Frau nicht diskutieren. So viel hatte ich in meinen sechsunddreißig Lebensjahren gelernt.

»Wann gibt es Mittagessen?« Mutter reckte den Hals und griff sich schließlich die Menükarte von meinem Nachttisch.

»Au ja, ich könnte auch etwas vertragen.« Meine Schwester Molly löste sich aus dem Besucherklumpen, der immer noch meinen kleinen Felix bewunderte, und lehnte sich ans Fußende des Bettes. Sie schnappte sich die Karte, zog nach kurzer Studie derselben die Nase kraus und schüttelte missbilligend ihren blonden Schopf. »Die vegetarische Alternative ist Spaghetti mit Tomatensoße. Wie originell.«

»Bio-Dinkelnudeln mit veganer Tofu-Bolognese waren leider aus!« Ich rollte mit den Augen. Molly war nicht bloß Vegetarierin, sie war ein lebendig gewordenes Öko-Siegel.

»Papperlapapp! Ich nehme sowieso den Schweinebraten«, erklärte Mutter.

»Das ist ein Krankenhaus, kein Restaurant. Wenn hier jemand etwas zu essen bekommt, dann bin ich es.« Schmollend schob ich meine Unterlippe nach vorn.

»Du hast doch wohl genug Fettreserven angelegt. Schau dir deine Schwester an. Die Zwillinge sind erst sechs Wochen alt und sie ist bereits wieder rank und schlank. Glaub nicht, das sei möglich, wenn man wie du hemmungslos alles in sich hineinstopft, was einem vorgesetzt wird.«

Ah! Salz in meine Wunde! Wer hatte eigentlich behauptet, es sei eine wundervolle Erfahrung, parallel mit der eigenen Schwester schwanger zu sein?

Molly zuckte entschuldigend mit den Schultern, als ob das die Worte unserer Mutter irgendwie schmälern könnte. Das Schlimme war, dass sie tatsächlich aussah, als wäre sie nie schwanger gewesen. Und zu allem Überfluss aß sie entgegen Mutters Behauptung wie ein Scheunendrescher. Ihre Babys hingen an ihren Brüsten wie zwei kleine Milchvampire, sodass sie mit der Kalorienzufuhr nicht hinterherkam. Dass Fenja und Frieso Kinder Nummer drei und vier waren, die ihrem Körper entschlüpft waren, würde niemand glauben, der es nicht besser wusste. Ich griff mir schuldbewusst an das Doppelkinn, das ich mir in den vergangenen Monaten angefressen hatte. Hoffentlich würde Stillen bei mir ebenfalls schnell dazu führen, dass die Kilos wegschmolzen wie Butter auf der Herdplatte. Die Hoffnung starb bekanntlich zuletzt.

Und wo wir beim Thema waren: Mein Sohn hatte nun länger nicht mehr zu meiner Fettverbrennung beigetragen. Mussten Babys nicht am laufenden Band essen und ihre stillenden Mütter in null Komma nichts in elfengleiche Wesen verwandeln?

Ich schob ein paar Jacken zur Seite und machte einen langen Hals, um einen Blick auf Felix zu erhaschen. Außer dem breiten Hinterteil meiner Arbeitskollegin Linda Gräulich und den drei etwas schmaleren Exemplaren meiner ehemaligen Schulfreundinnen Lotte, Becca und Sanne, konnte ich jedoch nichts weiter erkennen. Die Vier gurrten mein vermutlich schlafendes Baby weiterhin in schönstem hormonverseuchten Singsang an.

Erneut öffnete sich die Zimmertür. Bitte nicht noch mehr Besuch. Meine Kapazität für zusätzliche Winterbekleidung war eindeutig erschöpft. Doch statt weiterer Frauen mit Hormonstau steckte jemand anderes den Kopf zur Tür herein: die Stationsschwester, von mir auch liebevoll Schwester Rabiata genannt. Ein wenig erinnerte sie mich an Mutter. Vielleicht waren sie bei der Geburt getrennt worden.

»Besuchszeit ist beendet. Frau Vomhoff bekommt jetzt ihre Thrombosespritze.«

In den Oberschenkel gejagt. Ohne Erbarmen. Definitiv kein Grund zur Freude. Zumindest würde ich aber den Status Kleiderständer wieder ablegen.

Die Weiberschar verabschiedete sich mit ein paar letzten Quietschlauten. Nur Mutter grummelte wie gewöhnlich eine ihrer Nettigkeiten. »Unsereins hat damals nicht tagelang ein Krankenhausbett blockiert. Wir haben unsere Kinder bekommen und sind am nächsten Tag wieder arbeiten gegangen! Kein Wunder, dass die Krankenversicherungsbeiträge immer weiter steigen.«

Damit schloss sich die Tür und Schwester Rabiata blickte mich mit einem diabolisch anmutenden Grinsen an. Beim Anblick der Spritze hoffte ich, dass der Eindruck täuschte.

Eine grauenvolle Injektion später – ich hatte ein Kind zur Welt gebracht, empfand Spritzen dennoch als Tor zur Nahtoderfahrung – war ich endgültig allein. Nun ja, nicht ganz:

Mein Sohn lag schlummernd in seinem winzigen Bettchen neben mir. Ein entzückendes Besuchervorzeigebaby, das den Tag damit verbrachte, zu schlafen und bewundert zu werden.

Im Gegensatz zu mir, der Frau, die dieses komplette Menschenkind vierzig Wochen mit sich herumgetragen und unter größten Schmerzen aus sich herausgepresst hatte. Ich wurde bisher von allen Besuchern nur als notwendiges Übel wahrgenommen, das auf dem Weg zum Kinderbett überwunden werden musste. Gratulation zur überstandenen Geburt, Küsschen links und rechts, aufmunternde Worte zu Dammrissen und Schwangerschaftsstreifen. War dies erst einmal geschafft, galt alle Aufmerksamkeit Felix. Ich dümpelte währenddessen etwas nutzlos vor mich hin. Ich wollte auch verhätschelt werden. Wo steckte eigentlich die Person, die dafür zuständig war? Mein mich liebender Ehemann war vor einer gefühlten Ewigkeit nach Hause gefahren, um sich umzuziehen. Wieso dauerte das so lang? Wollte er in Smoking und Zylinder wiederkommen, um die Geburt seines Sohnes standesgemäß mit einer fetten Zigarre zu feiern?

Seufzend lehnte ich mich zurück auf mein steifes Krankenhausbettkissen und starrte entrückt auf das schlafende Bündel im Bett neben mir, seine winzige Steckdosennase, die vollen Lippen und flusigen braunen Haare. Da öffnete sich zum wiederholten Male an diesem Tag die Tür. Ein riesiger flacher Karton schob sich durch den Türspalt, gefolgt von Nils’ dunkelgelocktem Kopf und einem unwiderstehlichen Duft.

»Abendessen!« Er hielt mir eine Pizza entgegen. Gott, ich liebte diesen Mann!

An: [email protected]

Abs.: [email protected]

Betreff: Aufmunterung gesucht

Liebe Caro,

du bist meine beste Freundin, also sag mir gefälligst, dass ich immer noch die Alte bin, auch wenn ich nun zur Spezies der Mütter gehöre! Jetzt! Sofort!

Küsschen Mia

An: [email protected]

Abs.: [email protected]

Betreff: Re: Aufmunterung gesucht

Mia, Liebes!

Ich würde gern etwas für dein Seelenheil tun, aber seien wir ehrlich: Du bist ausgeleiert, fett, hast Ringe unter den Augen und trägst seit Wochen nur noch den Schlabberlook. Gianni Versace würde sich im Grabe umdrehen!

Tröstet es dich, dass ich die Hoffnung trotzdem nicht aufgebe, dass wir irgendwann wieder in einem Café sitzen und Latte macchiato schlürfend unsere neuen Louboutins bewundern?

Küsschen

Caro

Morgenstund hat Pech im Mund

Ein Morgen im Krankenhaus begann vermutlich überall identisch. Egal, ob man mit entfernter Gallenblase, verdoppelter Körbchengröße nach Busen-OP, achtfach genageltem Schienbeinbruch oder als frischgebackene Mutter mit Säugling in den Genuss des Rundumservice der Heilanstalt geraten war. Einer störte immer.

Schlaftrunken blinzelte ich in die Dunkelheit meines Zimmers. Auf dem Flur herrschte bereits ameisenemsiges Treiben.

Die Tür wurde aufgerissen und in hellem Neonschein schlich eine Krankenschwester nach dieser Lärmbelästigung betont leise herein. »Guten Morgen, ich wollte nur schauen, ob bei Ihnen alles in Ordnung ist«, raunte sie mir in einem Tonfall entgegen, der mich an meine Kosmetikerin während einer Spa-Gesichtsbehandlung erinnerte.

Den Flüsterton hätte sie sich sparen können. Wach war ich sowieso. Ich warf einen glückseligen Blick in das Bettchen an meiner Seite. Felix schlummerte friedlich. Nur einmal hatte er mich in der vorangegangenen Nacht geweckt. Das Leben als Mutter war viel einfacher, als ich geglaubt hatte. Worüber regten sich andere frischgebackene Mütter eigentlich immer auf? Ich nickte dem Wecker auf zwei Beinen zu und sie verschwand zufriedengestellt.

Gerade war ich wieder eingeschlafen, als die Tür erneut aufflog. »Ich wisch hier kurz durch. Ist es okay, wenn ich das Licht anmache?«

»Klar! Ich lasse einfach die Augen zu, dann bleibt es ja dunkel.«

Die Neonröhre erhellte flackernd den Raum. Auf Basis von Ironie würden wir wohl keine Freundinnen werden.

In diesem Moment gab Felix ein angestrengtes Grunzen von sich. Ich schnupperte. Mein Sohn war einen Tag alt und bisher hatte ich mich erfolgreich vor dem Wickeln gedrückt. Diese Aufgabe hatte ich an Nils und die Nachtschwester delegiert. »Können Sie zufällig auch wickeln?« Ich warf der Putzfrau ein, wie ich meinte, entwaffnendes Lächeln entgegen, erntete statt einer Antwort aber nur eine gekräuselte Stirn. Die Tatsache, dass die Frau offenbar südländischer Herkunft war, hatte vermutlich nichts damit zu tun, dass ich auf meine Frage keine Antwort bekam. Das waren Verständigungsprobleme auf ganz anderer Ebene, die ich da hervorrief. Ich war vierfache Tante. Man sollte also meinen, ich wäre ein Vollprofi im Versorgen von Babys. Jetzt, da ich mit meinem eigenen Sohn hier auf der Entbindungsstation lag, musste ich jedoch feststellen, dass mein Wissen genau in dem Augenblick endete, wenn es um die Wurst ging. Im wahrsten Sinne des Wortes. Glänzten meine Nichte und Neffen mit vollen Windeln, glänzte ich mit sofortiger Abwesenheit.

Nun konnte ich mich vor dieser ehrenvollen Angelegenheit offenbar nicht mehr drücken. Felix lag vor mir auf dem Wickeltisch und knötterte unwillig vor sich hin. Wieso hatte Nils, der Verräter, sich nur nach Hause verdrückt?

»Glaub mir, ich will das genauso wenig wie du.« Ich friemelte unbeholfen an den Knöpfen im Schritt seines Strampelanzuges herum.

Felix krähte widerwillig, als wollte er sich über die Unterbrechung seines angepeilten Zwanzigstunden-Schläfchens beschweren.

»Ich beeile mich ja«, säuselte ich in sein Ohr. Er war noch so jung und musste bereits miterleben, dass seine Mutter an einer akuten Wickelschwäche litt. Wie sollte das bloß werden, wenn wir erst zu Hause waren? Ich pellte ihn aus den Stoffschichten und widmete mich der nächsten Hürde. Ich zog die Klebestreifen ab und öffnete die Windel. Hm! So ein winziger Schrumpelpopo produzierte glücklicherweise genauso winzige Mengen von Stoffwechselendprodukten. Ich schnappte mir ein Feuchttuch und begann zu wischen. Wieso klebte das so? Hatte ihm heimlich jemand Kaugummi zu essen gegeben, oder Alleskleber?

»Zeit zum Blutdruckmessen.« Schwester Rabiata stand plötzlich neben mir. Klopfte die eigentlich niemals an?

»Öhm, können Sie vielleicht später wiederkommen? Ich bin gerade beschäftigt.«

»Glauben Sie, ich habe sonst nichts zu tun? Ich kann hier doch nicht auf die Wünsche jedes Einzelnen eingehen. Wir sind schließlich kein Fünf-Sterne-Hotel!«

Richtig, eher ein Frauenknast! Aber da sie nun ganz offensichtlich nicht gehen wollte, konnte sie mir vielleicht sogar helfen. Fragend zeigte ich auf den Windelinhalt. »Ist das normal, dass das so klebt?«

Rabiata machte eine abwinkende Handbewegung. »Keine Panik, junge Frau, das bleibt so nicht. In den kommenden Tagen wird sich seine Verdauung regulieren, wenn er beginnt, Muttermilch zu trinken.«

»Aber er trinkt doch an der Brust.« Pure Irritation auf meiner Seite.

Ich wurde mit einem grunzenden Lachen bedacht. »Nur Vormilch, der Milcheinschuss kommt erst noch, Sie werden sehen. Und nun wickeln Sie ihn fertig. Jetzt wird Blutdruck gemessen!«

Milcheinschuss? Wie groß sollten meine Brüste denn werden? Ich warf einen Blick auf die Rocky Mountains, die sich unter meinem T-Shirt abzeichneten. Eigentlich hatte ich gedacht, das wäre längst das Ende der Fahnenstange! Ob es angebracht war, spontan in Panik zu geraten? Gab es Frauen, die umgefallen waren, weil das Gewicht ihrer Brüste sie im Zuge der Erdanziehungskraft einfach nach vorn gezogen hatte? Abgesehen von Barbie.

Erneut enterte jemand den Raum. War mein Zimmer ein offizieller Durchgangsbahnhof? Oder glaubte das halbe Krankenhaus, ich hätte etwas zu verschenken?

Das schweinchenrosafarbene Oberteil kennzeichnete den neuen Eindringling als Schwesternschülerin. »War die Putzfrau schon da? Dann fülle ich nämlich die Regale im Wickeltisch auf.« Sie wackelte heftig mit dem Kopf auf und ab.

War das arme Ding total übernächtigt? Die Putzfrau stand direkt neben ihr, unverkennbar auszumachen an ihrem Wischmob. Zugegeben benutzte sie ihn gerade nicht. Dafür schien mein Gespräch mit Rabiata zu interessant gewesen zu sein.

Rabiata klopfte ungeduldig auf ihre Uhr. »Blutdruck! Sie sind hier nicht die einzige Patientin«, bellte sie mich an.

Reizende Frau. Sie hatte so gar nicht den Beruf verfehlt.

»Guten Morgen, Frau Vomhoff, Sie können zum Frühstücksbuffet gehen, falls Sie mögen.« Störenfried Nummer fünf betrat die große Showbühne. Man hätte meinen können, sämtliches Stationspersonal wäre einzig und allein für mich zuständig. Ich sollte vorsichtig nachhaken, ob in meiner Akte versehentlich vermerkt worden war, ich sei privatversichert. Wenn mir jetzt noch jemand die aktuelle Tageszeitung und einen seidenen Bademantel reichte, wäre es nur logisch, diese Theorie zu überprüfen. Vier Augenpaare bohrten sich in meinen Rücken, als ich die frische Windel unter Felix’ Popo legte, zumindest bildete ich mir ein, dass alle mich beobachteten.

Ein Räuspern neben mir. »Falsch rum!« Rabiata zog die Augenbrauen bis zum Haaransatz hoch und schob mich dann etwas unsanft zur Seite. »Lassen Sie mich das machen, sonst warte ich heute Abend nach wie vor darauf, Ihnen den Blutdruck messen zu können.«

Eigentlich hätte ich mich darüber freuen sollen, dass mir wieder einmal jemand diese Aufgabe abnehmen wollte. Aber dieses Mal war es mir eher unangenehm, vor so vielen Anwesenden meine Inkompetenz zu demonstrieren, noch dazu vor Frauen. Wurde es unserem Geschlecht nicht angeblich in die Wiege gelegt, die perfekte Hausfrau und Mutter zu sein? Vielleicht hätte ich mit der Putzfrau tauschen sollen, denn Putzen gehörte zu den Dingen, die ich wirklich eins a beherrschte! Neben Klamottenshoppen natürlich. Zählte das eigentlich gar nichts? Ich bekam das akute Gefühl, vollkommen nichtsnutzig zu sein. Ich hatte jeden Schwangerschaftsratgeber gelesen, den der Markt hergab, auf das, was danach kam, hatte ich irgendwie vergessen, mich vorzubereiten.

Als ich sah, wie diese unsympathische Rabiata die nackten zarten Beinchen meines Kindes berührte, führte das zu einem, mir bisher unbekannten, Magengrummeln. Waren das die Muttergefühle, über die ich so viel gelesen hatte?

»Den Rest schaffe ich selbst!« Mit einer Mischung aus Muttertierinstinkt und Restwürde übernahm ich das Anziehen meines Sohnes. Ich bereute es auch nur ein klitzekleines bisschen, eingegriffen zu haben. Nämlich als ich versuchte, das Flügeljäckchen faltenfrei unter dem Strampler zu verstauen. Das war keine Säuglingsbekleidung, das war Origami für Fortgeschrittene.

Das Ergebnis der Blutdruckmessung fiel ein wenig erhöht aus, was bei dem ganzen Stress am frühen Morgen kein Wunder war. Ich warf mir meinen Frotteebademantel über und schob Felix in seinem gläsernen Bett auf Rollen zur Tür hinaus. Er hatte sich bereits wieder ins Land der Träume verabschiedet. Stolz marschierte ich Richtung Frühstücksraum.

Mir war klar, dass hier zig Frauen mit einem breiten Grinsen im Gesicht ihre Sprösslinge durch die Gegend schoben und dabei glaubten, ihr Kind sei die ultimative Schöpfung. Aber Felix war wirklich dermaßen niedlich, dass ich am liebsten an jede Zimmertür geklopft hätte, um ihn zu präsentieren. Aus Rücksicht ließ ich es jedoch bleiben, ich wollte den anderen Müttern mit ihren weniger hübschen Babys schließlich keine Wochenbettdepressionen bescheren.

»Wann ist es denn so weit?« Soeben war eine Frau aus dem Fahrstuhl getreten, deren Frisur ein wenig an ein zerrupftes Huhn erinnerte. Vermutlich war sie gerade ihrem Bett entstiegen, typische Krankenhausfrisur.

Ich sah mich suchend um. Außer mir war weit und breit niemand zu sehen. Sprach sie etwa mit mir?

»Lang kann es ja nicht mehr dauern.« Sie lächelte mich aufmunternd an.

Noch einmal warf ich einen Blick über meine Schulter, bis ich die Wahrheit realisierte. Hallo? Mein Kind lag direkt vor mir in seinem rollbaren Bett. Ich fuhr hier schließlich keinen Chihuahua spazieren. Sie glaubte doch wohl nicht, ich sei nach wie vor schwanger! Was sollte ich darauf antworten? Sie haben recht, der Zwilling kommt in einer Woche? »Ähm, ich habe bereits entbunden«, stammelte ich perplex.

»Oh! Dafür haben Sie ganz schön was auf den Rippen, meine Liebe. Also ich war ja nach der Geburt meiner drei Kinder bereits im Kreißsaal wieder schlank. Vielleicht haben Sie ja schlechte Gene. Alles Gute dann!« Damit drehte sie sich um und verschwand.

Ich sah entsetzt an mir herunter. Mein Bauch hatte tatsächlich beachtliche Ausmaße. Das würde sich doch aber alles zurückbilden, oder? Offensichtlich hatte ich zwar ein entzückendes Kind, gab bisher jedoch keine so attraktive Mutter ab. So viel zu den Wochenbettdepressionen. Wieso hatte sie mir nicht gleich eins mit der Keule übergebraten? Statt Salami und Käse landete auf jeden Fall eine magere Scheibe Kochschinken auf meinem Brötchen. Den Pfunden würde ich es zeigen!

An: [email protected]

Abs.: [email protected]

Betreff: Re: Rollbraten

Hallo Liebes,

bei mir brauchst du keinen Trost zu suchen, ich habe dir gleich gesagt, ein Kind vermatscht deine Figur. Aber du hast ja nicht hören wollen!

Küsschen

Caro

Ohne Vorwarnung

Die Sonne schickte ein paar letzte Strahlen durchs Fenster. Außer dem leisen Ticken meines Weckers auf dem Nachttisch herrschte absolute Ruhe.

Nils saß an mich gekuschelt neben mir auf dem Bett und streichelte zärtlich über den Kopf unseres Sohnes, der in meinen Armen lag. Krankenhausidylle. »Morgen nehme ich euch endlich mit nach Hause. Ich bin gespannt, wie dir alles gefällt.« Behutsam pflückte er eine kleine Fluse aus dem dunklen Babyhaar.

Ich überlegte einen Moment. Nils und ich hatten von jeher einen ähnlichen Geschmack, was die Einrichtung unseres Zuhauses anging. Im Zweifelsfall würde ich eben alles wieder umdekorieren. Ich lächelte bei dem Gedanken an das neue Haus glücklich in mich hinein. Unsere alte Wohnung war ein echtes Schmuckstück gewesen, aber mit dem Haus waren wir platzmäßig definitiv besser gewappnet für ein Familienleben zu dritt.

»Was soll es schon für einen Grund geben, wieso es mir nicht gefallen könnte?«

»Einen gibt es vielleicht tatsächlich.« Nils rutschte plötzlich unruhig auf dem Laken hin und her und meine Mundwinkel gingen automatisch nach unten.

In meinem Hirn ratterten mögliche Gründe im Schnelldurchlauf vorbei. Eine Studenten-WG als Nachbarn, die jede Nacht eine Party schmiss? Mangelnde Parkplätze vor der Tür, die mich dazu nötigen würden, Felix ständig kilometerweit durch die Gegend zu schleppen? Balkon mit Aussicht auf die Müllhalde? Ach was! Wahrscheinlich ertrug ich alles, Hauptsache, wir drei waren allein in unserem Heim.

Ein neuer hässlicher Gedanke sprang in meine Überlegungen. »Nein!«

Nils neben mir sah so aus, als wolle er sich am liebsten unter dem Bett verstecken. »Sie hat gesagt, es sei ihre Mutterpflicht, uns die erste Zeit zu unterstützen.«

»Nein, nein, nein! Mutter zieht nicht bei uns ein.« Um mich herum blinkten wie wild imaginäre rote Lämpchen. Alarmstufe rot, Alarmstufe rot!

»Nur vorübergehend.« Jetzt rückte er sogar ein Stück näher zur Bettkante, bereit zur Flucht.

»Auf gar keinen Fall! Sie wird in unserer Besucherritze schlafen wollen und jeden Tag Kartoffeln kochen und uns mit selbstangesetztem Ziegenmilchjoghurt füttern. So etwas tut sie! Morgens wird sie dir deine Krawatte fürs Büro binden, und zwar so fest, dass du kaum noch Luft bekommst. Sobald du die Tür hinter dir zugezogen hast, werde ich ganz allein mit ihr sein. Und weißt du, was das bedeutet? Dass du eines Abends aus der Kanzlei kommst und ich ein Fall für die Psychiatrie sein werde. Oder noch schlimmer, dass du mich, deine eigene Frau vor Gericht vertreten musst, weil sie einen hässlichen, kleinen Mord begangen hat. Willst du das? Willst du das wirklich?« Ich schnappte nach Luft. Tief ein- und ausatmen.

Nils grinste schief. »Sorry! Sie ist deine Mutter. Du weißt, wie sie ist. Was sie sich einmal in den Kopf gesetzt hat, das zieht sie durch.«

Ich seufzte. Da hatte er leider recht. Ich blickte mich um. Die Einrichtung meines Zimmers war nicht die modernste, aber man musste schließlich lernen, Abstriche zu machen. Vielleicht sollte ich einfach im Krankenhaus bleiben. Für immer. Viel schlimmer konnte das auch nicht sein. Nicht mal mit Schwester Rabiata!

Nils ergriff den kurzen Augenblick meiner geistigen Abwesenheit und hüpfte vom Bett. »So, ihr zwei. Ich fahre jetzt und bereite alles für eure Ankunft morgen vor.«

Mutter als Paket verschnürt mit einer fetten Briefmarke drauf per Luftpost nach Sibirien. Mehr brauchte er für meinen Geschmack überhaupt nicht vorzubereiten.

Verräter! »Lass mich ruhig mit diesen tollen Neuigkeiten allein.« Gefrustet biss ich auf meine Unterlippe. »Sei wenigstens so lieb und kauf einen großen Topf Nussnougatcreme. Und Tiefkühlpizzen. Und Soßenpulver aus der Tüte.« Ich würde dafür sorgen, dass Mutter es so schrecklich bei uns fand, dass sie bald wieder das Weite suchte. Was Convenience-Produkte anging, schlugen sie und Molly nämlich in dieselbe Kerbe. Im Gegensatz zu mir, ich hatte gegen ein wenig Glutamat und Formfleisch nichts einzuwenden, wenn es mir dabei half, eine Mahlzeit möglichst unkompliziert auf den Tisch zu bringen.

In diesem Moment ging die Zimmertür auf. Ein Zustand, an den ich mich langsam aber sicher gewöhnt hatte. Eine ganze Armada von Schwestern ergoss sich in meinen Raum, in ihrem Schlepptau befand sich ein Bett mit einer hochschwangeren Frau.

»Tach, auch! Ich bin die Brigitte.« Ihre Raucherstimme klang, als wäre sie die Tochter von Bonnie Tyler und Rod Stewart höchstpersönlich. »Ich krich morgen mein Kind. Geplanter Kaiserschnitt. Der Sascha sacht immer, er hätte keinen Bock drauf, dat es sich beim Sex nachher so anfühlt, als würd er ’ne Salami in den Hausflur werfen. Kannste verstehen, woll?«

Zu viele Informationen. Deutlich zu viele Informationen! Nils stand mit halb geöffnetem Mund neben mir und starrte Brigitte an. Ich versuchte verzweifelt, meine Mimik unter Kontrolle zu bekommen.

Eine der Krankenschwestern lächelte mich aufmunternd an. »Frau Vomhoff, leider können wir Ihnen kein Einzelzimmer mehr gewähren, wir sind komplett belegt, aber Sie werden sicherlich toll mit Frau Paschulke zurechtkommen. Tratschen Sie ein bisschen, erzählen Sie von der Geburt.« Mit diesen Worten rauschte das Schwestern-Überfallkommando auch wieder ab.

Brigitte hustete bellend, was sich nach zehn Jahren Raucherhusten anhörte. Bestimmt würden wir die besten Freundinnen. Ich lächelte gequält zurück.

»Ja, erzähl ma. Wie is dat denn so ohne Kaiserschnitt? Biste jetzt unten rum ganz ausgeleiert?« Brigitte blickte mich an, als wäre sie ernsthaft an einer Antwort interessiert.

Nils küsste Felix auf die Stirn, dann mich auf den Mund. »Es ist nur für eine Nacht. Bleib tapfer und viel Glück!«, raunte er in mein Ohr. Mit diesen Worten verließ er zusammen mit den Krankenschwestern das Zimmer. Glücklicher Bastard, ich wollte auch nach Hause!

Ehe Brigitte weiter nachhaken konnte, erlöste Felix mich, indem er erst begann, quäkend mit den Ärmchen zu fuchteln, und anschließend in ein herzerweichendes Gebrüll ausbrach. Ich knöpfte mein Nachthemd auf und er suchte sofort nach meiner Brustwarze.

»Mördermöpse! Wenn dat der Sascha sieht, dann …« Was Brigitte noch Unqualifiziertes zu meiner Oberweite sagen wollte, ging glücklicherweise in einer weiteren Schreiattacke meines Sohnes unter.

Die angebotene Brustwarze war augenscheinlich nicht die Lösung seines Problems. Sie wurde kurz angenuckelt und danach angebrüllt. Ich stand auf und trug Felix zum Wickeltisch. Was hatten Babys, wenn sie keinen Hunger hatten? Die Hose voll! Hätte Nils nicht fünf Minuten länger bleiben können? Ich entledigte mein Kind mühevoll all seiner Kleiderschichten. Und mit welchem Fazit? Die Windel war leer und er brüllte weiter.

»Ach, du Scheiße! Is dat immer so ’n Schreihals?« Brigitte versuchte, mit steigender Lautstärke ihrerseits den besagten Schreihals zu übertönen.

Ich ignorierte sie, lief mit Felix schuckelnd den Raum auf und ab, machte Sch-Laute und überlegte krampfhaft, wieso er nicht aufhören wollte zu weinen. Man konnte fast meinen, er hätte ein besonders feines Menschengespür und eine angeborene Abneigung gegen Brigittes.

In meiner Not drückte ich den Knopf an meinem Nachttisch.

Kurz darauf knisterte eine männliche Stimme aus einem kleinen Lautsprecher: »Schwester Bärbel?«

Offenbar meldete sich die Rufbereitschaft immer mit demselben Namen. Allerdings trug meine Vorstellung von einem Pfleger mit breiten Schultern und Vollbart, der sich Bärbel nannte, nicht dazu bei, dass ich das Gefühl hatte, mir könnte ernsthaft geholfen werden.

»Ähm, mein Sohn hört nicht auf zu weinen. Könnte freundlicherweise jemand kommen und mir helfen?«

»Wie bitte?«, knisterte es wieder.

»Mein Sohn …«, wollte ich gerade mein Sprüchlein erneut aufsagen, als die männliche Bärbel mich unterbrach.

»Entschuldigen Sie, aber Ihr Kind schreit so laut, ich kann Sie nicht verstehen.«

»Das ist ja mein Problem«, brüllte ich nun meinerseits in die kleine Sprechanlage.

»Vielleicht schicke ich Ihnen einfach eine Kinderkrankenschwester vorbei.« Knister.

Da hatte sich allerdings bereits jemand anderes des Problems angenommen. Brigitte hatte sich aus dem Bett gewuchtet und rief nun zur geöffneten Zimmertür hinaus. »Kann ma einer herkommen? Dat Kind kommt ja hier gar nich mehr zum Luftholen, so wie dat kreischt. Nich, dat mir gleich noch die Fruchtblase platzt davon, woll?«

»Der hat Hunger«, lautete die Diagnose der herbeigeeilten Krankenschwester.

»Er hat bereits an der Brust gesaugt, beruhigt hat ihn das nicht.«

»Also den Sascha hätte dat bestimmt glücklich gemacht.« Brigitte kicherte.

Die Schwester war so freundlich, meine Zimmernachbarin zu ignorieren. »Zeigen Sie mal.«

Wieder öffnete ich mein Nachthemd, wieder wackelte Felix angestrengt mit dem Köpfchen, dockte an, saugte, ließ los und brüllte weiter. Langsam aber sicher begannen meine Brustwarzen zu schmerzen und meine Ohren auch!

»Ihr Sohn wird vermutlich nicht mehr satt von der Vormilch. Wenn erst der Milcheinschuss erfolgt ist, wird er zu seiner guten Laune zurückfinden.« Sie tätschelte mir aufmunternd die Schulter.

Und so lange würde er weiter weinen? Fantastische Aussichten! Und was sollte wieder dieses unheilvolle Gerede vom Milcheinschuss?

»Ham Se zufällig Ohrstöpsel?« Brigitte beugte sich zur Krankenschwester und flüsterte anschließend immer noch so laut, dass ich jedes Wort verstand. »Oder noch besser ’n anderes Zimmer?«

Was folgte, war die Nacht des Grauens. Zwar schlief Felix immer wieder ein, doch seine Wachphasen verbrachte er mit exzessivem Brüllen. Irgendwann trug ich ihn nur noch mechanisch schuckelnd über den Krankenhausflur, nachdem Brigitte mir ausgesprochen deutlich nahegelegt hatte, ihn verdammt noch mal endlich ruhigzustellen. Woll?

Am nächsten Morgen war ich lange wach, bevor der erste Störenfried des Tages mein Zimmer betrat. Und Felix hatte zwei neue Freundinnen. Meine Brüste waren von jetzt auf gleich prall und viereckig geworden und voll Frühstück. So ein Milcheinschuss konnte sehr glücklich machen. Alle Beteiligten.

An: [email protected]

Abs.: [email protected]

Betreff: Re: Mördermöpse

Okay, jetzt bin ich vielleicht doch neidisch. Bleiben die so riesig?

Erstaunte Grüße

Caro

Einziehen für Fortgeschrittene

»Hol uns sofort ab. Dein Sohn hat gesagt, das Krankenhausessen schmeckt scheiße.« Mit diesen Worten legte ich den Telefonhörer auf die Gabel und wippte ungeduldig hin und her. Felix und ich hatten alle Abschlussuntersuchungen erfolgreich hinter uns gebracht. Jetzt wollte ich nur noch nach Hause.

Er schmatzte leise. Seit die Milchbar offiziell eröffnet worden war, hatte er sich zum Traumkind zurückentwickelt. Schlafen, essen, schlafen! So lautete sein derzeitiger Plan des Tages. Ich betrachtete meine quadratischen Brüste, die kurz davor waren, den Still-BH zu sprengen. Meiner Meinung nach war es durchaus wieder Zeit für eine Mahlzeit.

Allerdings ratzte der junge Herr gemütlich vor sich hin. Wenn ich an die vergangene Nacht dachte, hatte er aber auch viel nachzuholen. Vielleicht sollte ich ihn dennoch wecken. Noch trug er nämlich den Unisex-Krankenhausstrampler. Diesen Zustand wollte ich jetzt ändern. Aus meiner Kliniktasche fischte ich einen entzückenden dunkelgrünen Nickianzug, der mich ein halbes Vermögen gekostet hatte. Babyboutiquen würden auf Dauer zum Grund unseres finanziellen Ruins werden.

Ich hob das schlafende Bündel aus seinem Bett und brachte ihn zum Wickeltisch. An- und Ausziehen gehörte definitiv zu den Dingen, die ich als Mutter noch sehr oft würde üben müssen. Meine Stärken lagen eher im stolzen Anschmachten. Wie gut, dass Brigitte inzwischen abgeholt worden war, um ihr persönliches Wunder des Lebens in Empfang nehmen zu dürfen. Auf ihre Kommentare konnte ich gut und gern verzichten. Woll nicht?

Felix beäugte mich unfokussiert aus seinen großen Kulleraugen, als ich begann, ihm sein neues Outfit überzuziehen. Leichter gesagt als getan. Ich schob und zog, zwängte und stopfte. Er zog die Stirn kraus. Jetzt nur nicht heulen. Damit meinte ich mich, nicht ihn. Ich war den Tränen nahe. Er passte nicht hinein. Wie konnte so eine Handvoll Menschenkind nicht in diesen Strampler passen? Ich würde mein Baby nackt nach Hause bringen müssen. Das Jugendamt würde postwendend auf mich aufmerksam werden, weil ich meinen Erstgeborenen im November, nur mit einer Windel bekleidet, durch die Gegend trug. Ich hatte nicht einmal einen Stall und eine Krippe zu bieten, geschweige denn Stroh. Für mein halbnacktes Kind würde niemand Myrrhe, Gold und Weihrauch vorbeibringen. Vor meinem inneren Auge sah ich bereits die Schlagzeile in der Bild-Zeitung: Deutschlands größte Rabenmutter! Und schon liefen die Tränen.

»Mia, was ist los?« Nils kam soeben zur Tür herein und wurde direkt blass.

»Ich bin die schlechteste Mutter der Welt«, schluchzte ich und wahre Sturzbäche bahnten sich ihren Weg über meine Wangen.

Eine halbe Stunde später saßen wir im Auto. Felix trug wieder die Krankenhauskleidung, die Schwester Rabiata persönlich als Leihgabe abgesegnet hatte. Ich zog nur noch von Zeit zu Zeit die Nase hoch. Wie gut, dass ich für rationales Denken meinen Ehemann hatte. Mir war diese Fähigkeit mit der Befruchtung meiner Eizelle irgendwie abhandengekommen.

»Da sind wir.« Nils parkte vor der zweigeschossigen Altbauvilla.

Die Fassade war hellblau gestrichen, die Holzfensterrahmen weiß und die dunkle Eichentür war mit diversen Intarsien verziert. Beinahe hätte ich vergessen, weiter zu atmen! Wunderschön! Es war ein wahrer Glücksfall gewesen, dass ausgerechnet wir dieses Haus mitten in der Stadt gefunden hatten. Weniger schön war das, was sich zeigte, als sich die Tür öffnete. Ich überlegte einen Moment lang, für den Rest meines Daseins im Auto sitzen zu bleiben.

Mutter trug eine Küchenschürze und stemmte die Hände in die Hüften. »Bringt das Kind rein, der holt sich doch den Tod.«

Unnötiges Bohren in meiner Wunde.

Während Nils die Babyschale mit Felix und meine Kliniktasche ins Haus trug, zwängte ich mich ballastfrei an Mutter vorbei in mein neues Heim. Ich stromerte aufgeregt durch jedes Zimmer. Es sah wundervoll aus. Nils hätte nicht Anwalt, sondern Innenarchitekt werden sollen! Alles passte perfekt zu den Besonderheiten des Hauses, den hohen stuckverzierten Decken, abgeschliffenen Dielenböden und alten, schweren Holztüren. Ich fühlte mich sofort wohl. Ich schlenderte ins Wohnzimmer. In der Mitte erblickte ich das Prunkstück des Hauses, einen wunderschönen Kamin. An der linken Wand entdeckte ich allerdings etwas, das ich mir nicht so recht erklären konnte.

»Was macht dieses schäbige Sofa hier?« Ich betrachtete das braungesprenkelte klobige Ungetüm.

Mutter betrat den Raum. »Schäbig? Sei gefälligst nicht so undankbar. Das habe ich für euch im Möbeldiscount neu gekauft. Als Einzugsgeschenk.« Sie schob beleidigt die Unterlippe vor.

Wenn ich jetzt gewusst hätte, welche positive Eigenschaft sich auf schäbig reimte, hätte ich die Situation vielleicht elegant retten können. Doch etwas anderes erregte bereits meine Aufmerksamkeit. Ich hatte soeben einen Blick in den Garten geworfen. Stand da allen Ernstes eine Ziege auf der Wiese?

»Mutter, was macht das Tier dort?« Ich war nicht sicher, ob ich die Antwort hören wollte.

»Rosalinde hat Durchfall. Eventuell hat sie sich Darmwürmer eingefangen. Da konnte ich sie nicht auf dem Hof lassen. Hinrichs versorgt zwar meine Tiere, solange ich bei euch bin, aber ein krankes Tier wollte ich ihm nicht dalassen. Also habe ich sie mitgenommen.«

Kommst du nicht zum Bauernhof, kommt der Bauernhof zu dir.

Einatmen. Ausatmen. Nicht brüllen. Meine Mutter brachte ein verwurmtes Stalltier in mein neues Zuhause, in das ich soeben mit einem Neugeborenen gezogen war. Trotzdem versuchte ich, ruhig zu bleiben. Wenn ich jetzt aus der Haut fuhr, war der Tag gelaufen. So wollte ich meinen Einzugstag nicht in Erinnerung behalten. Außerdem konnte sie sich nicht ewig hier aufhalten. Irgendwann würde sie zurückkehren müssen auf ihren Hof. Om, es ist nur eine Phase!

Nils war neben mich getreten und flüsterte: »Sei froh, dass das Vieh im Garten steht. Ursprünglich wollte sie es in die Küche stellen, weil es dort wärmer sei.«

Om! Ich nahm Nils die Babyschale ab. »Komm, Felix, ich zeige dir dein Zimmer.«

Der Nachmittag verlief erstaunlich harmonisch. Nils hatte den Kamin angefeuert und wir saßen gemeinsam auf dem braunen Ungetüm, Mutter strickend, ich stillend. Bald würde sie merken, dass wir sie nicht brauchten, und unser Familienleben zu dritt konnte beginnen. Felix hatte gerade an der zweiten Brust abgedockt und war in eine Art Fresskoma gefallen, als Mutter die Idylle jäh störte.

»Du gehst jetzt ins Bett. Wenn das Kind schläft, muss die Mutter auch schlafen.«

»Ich bin überhaupt nicht müde. Leg du dich doch ein wenig hin.« Ich ließ mich nicht zum Zwangsschlafen nötigen.

Felix bekam plötzlich einen hochroten Kopf und sah mehr als nur angestrengt aus. Windel-Time! Ich witterte meine Chance. »Oder noch besser, übernimm du bitte das Windelwechseln.«

»Kind, ich bin nur zu deiner moralischen Unterstützung hier, wickeln musst du selbst.« Sie schnalzte mit der Zunge.

Moralische Unterstützung? Und die bestand darin, mich in der Gegend herumzukommandieren? Was hatte ich falsch gemacht, dass ich diese Frau einfach nicht loswurde?

»Wieso unterstützt du nicht lieber Molly? Die hat immerhin vier Kinder und nicht nur eins.« Meine Schwester könnte ruhig auch mal den Kopf hinhalten.

»Eben! Jemandem mit vier Kindern muss ich nichts mehr erklären. Du beweist mir doch gerade, dass du ohne mich aufgeschmissen bist. Wir sprechen uns morgen früh wieder, wenn du vor mir zu Kreuze kriechst, weil du jetzt nicht schlafen gegangen bist.« Mit diesen Worten stand sie auf und verließ den Raum.

Willkommen in meinem neuen Leben!

An: [email protected]

Abs.: [email protected]

Betreff: Illegal

Kennst du jemanden, den man engagieren kann, damit er nachts

in Häuser einbricht und Dinge klaut? Sofas zum Beispiel?

110, 112, Notruf, bitte kommen!

Rums! Dröhn. Der Fuß des Staubsaugers knallte zum wiederholten Mal gegen die Schlafzimmertür. Ich sah den Lack vor meinem inneren Auge regelrecht absplittern. Draußen war es noch dunkel. Rums! Felix schmiss die Ärmchen in die Höhe und begann zu meckern. Ich schwang mich aus dem Bett, stapfte zur Tür und riss sie schwungvoll auf.

»Mutter, muss das ausgerechnet jetzt sein?« Ich schaltete den Sauger mit einem wütenden Tritt auf den Schalter aus.

»Wenn ich hier nicht saubermache, kommen wir doch im Dreck um. Du machst es ja nicht.«

»Du saugst seit einer Woche jeden Morgen. So viel Schmutz könnten nicht einmal deine gesamten Schweine, Ziegen und Hühner zusammen produzieren, dass das nötig wäre. Felix war gerade erst eingeschlafen. Wir hatten eine furchtbare Nacht und du weckst ihn auf.« Noch ein falsches Wimpernzucken von ihr und es herrschte Explosionsgefahr!

»Der schläft schlecht, weil er nicht in seinem eigenen Zimmer übernachtet. Ihr habt damals sofort durchgeschlafen.« Mit diesen Worten schmiss sie den Staubsauger wieder an und drehte sich um.

Ihr Glück, so konnte sie nicht hören, welche Schimpfworte ich ihr hinterherschleuderte. Übelgelaunt ging ich zurück ins Schlafzimmer. Felix lag in seinem Beistellbett und motzte ebenfalls vor sich hin. Im Stundentakt hatte er mich die Nacht zuvor geweckt. Nils war nach dem dritten Weckruf ins Kinderzimmer umgezogen und hatte auf dem Flokati geschlafen. Im Gästezimmer hatte Mutter sich häuslich eingerichtet. Ich wusste langsam nicht mehr, wie spät es war, geschweige denn, welchen Wochentag wir hatten. In den Spiegel guckte ich lieber erst nicht. Dort gab es nichts Erfreuliches zu entdecken. Es sei denn, rote Zombieaugen und dunkle Ringe unter selbigen waren inzwischen der neue Chic geworden. Wie konnte ich jemals behaupten, das Mutterdasein sei ein Klacks? Ich nahm Felix auf den Arm, ging die Treppe hinunter und klemmte mir das Telefon zwischen Schulter und Ohr. Die Nummer meiner Nachsorgehebamme hatte ich mir auf die Kurzwahltaste gelegt.

»Jördis! Hilfe! Er will nicht schlafen, meine Brustwarzen drohen abzufallen und ich stehe kurz vorm Nervenzusammenbruch«, sprach ich statt einer Begrüßung in den Hörer.

»Guten Morgen, Mia. Was ist das denn für ein Krach bei dir?« Jördis klang ziemlich verschlafen. Es musste wirklich noch sehr früh sein.

»Mutter!« Mehr brauchte ich nicht zu sagen. Sie hatte sich schon davon überzeugen können, womit ich gesegnet war. Bei ihrem ersten Besuch hatte Mutter ihr direkt erklärt, keine Frau bräuchte nach der Geburt eine Hebamme. Sie würde höchstpersönlich jeden Handschlag begutachten, damit Jördis mir nicht unnötig Geld aus der Tasche ziehen würde. Der Hinweis, dass die Krankenkasse für die Betreuung aufkam, hatte sie nur weiter aufgebracht. Denn das bedeutete schließlich, dass sie für diese unnütze Geldverschwendung mit ihren Beiträgen auch mit aufkommen musste. Die beiden verstanden sich also blendend.

»Ich komme heute Nachmittag vorbei.« Jördis gähnte laut.

»Aber das dauert so lang.« Ich schniefte.

»Na gut, ich komme so früh ich kann«, versuchte sie, mich zu vertrösten.

Am liebsten wäre es mir gewesen, sie wäre direkt bei uns eingezogen. Am besten anstelle von Mutter.

Felix begann zu schmatzen. Ein Zeichen, das ich inzwischen zu deuten wusste. Er hatte Hunger. Wir flohen vor dem Staubsaugerlärm ins Wohnzimmer. Die Ziege glotzte zum Fenster hinein. Mutter hatte ihr einen Heizpilz aufgestellt und mindestens vier Ballen Stroh auf der Terrasse verteilt. Es war nur eine Frage der Zeit, wann unser Zuhause in Flammen aufgehen würde.

Nils kam aus der Küche, in der Hand eine Tasse Kaffee. »Soll ich den Staubsauger heimlich manipulieren? Vielleicht könnte ich ihn dazu bringen, zu pusten, statt zu saugen.«

»Dann pustet sie den Staub von den Möbeln. Oder leiht sich einen Presslufthammer und beginnt, das Pflaster vor der Garage aufzustemmen. Irgendetwas wird sie finden, um uns zu nerven.« Ich setzte mich auf das Ungetüm von Couch und legte Felix an, der gierig zu trinken begann. »Wie spät ist es eigentlich?«

»Halb sieben. Ich fahre gleich in die Kanzlei, schon vergessen? Heute ist mein erster Tag nach dem Babyurlaub.«

Ich bekam Schweißausbrüche. O mein Gott! Er konnte mich nicht allein lassen mit dieser Wahnsinnigen und einem Baby. »Ist es tatsächlich Montag?«, quiekte ich eine Nuance zu schrill.

Nils nahm einen Schluck Kaffee und nickte. »Du schaffst das.«

Kurzwahltaste! Wieso tutete das so lange am anderen Ende der Leitung? »Jördis? Nils geht wieder arbeiten. Ich brauche Hilfe beim Kampf gegen den Hausdrachen. Kannst du wirklich nicht eher kommen?«

Jördis erklärte, sie habe noch einen weiteren Termin, würde danach aber sicher sofort vorbeischauen. Ich brauchte hier dringend Verstärkung für das Team »Mia«. Felix dockte ab, bekam diesen verklärten Gesichtsausdruck und befüllte seine Windel.

»Nils, die gehört dir.« Ich hielt ihm seinen Sohn entgegen.

»Sorry, ich muss los. Ich liebe dich.«

Über das Timing der Windelbefüllung musste ich mit Felix noch mal in Ruhe reden. Er konnte doch nicht immer warten, bis sein Vater das Kampffeld räumte und mich mit der Bombenentschärfung allein ließ.

Nils grinste entschuldigend, stellte seine Tasse in die Spüle und verabschiedete sich mit zwei Küssen.

Ich trug den Windelbomber die Treppe hoch und huschte dann schnell ins Kinderzimmer, vorbei am Schlafzimmer, das soeben ausgiebig von imaginärem Schmutz befreit wurde.