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Was wäre, wenn es sich bei den bösen Hexen und Stiefmüttern in bekannten Märchen lediglich um eigenwillige Frauen handelt? Vielleicht wurde damals bewusst so erzählt, dass deren Handlungen willkürlich und grausam wirken, die angepassten Frauen hingegen positiv. Elisabeth Schwachulla erzählt fünf bekannte Grimms Märchen aus einem neuen Blickwinkel. So werden daraus Geschichten mit einer eigenen Logik - aufregende Erzählungen von Frauen, die Stärke, Mut und ihren Willen beweisen.
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Seitenzahl: 32
Vorwort
Maries zerstörter Traum
Melindas paranoide Stieftochter
Frau Gothels Bemühen, ein Kind zu retten
Letizias Vorstellung von Anstand
Freyas schwieriger Erziehungsversuch
Nachwort
Eine Geschichte kann aus unterschiedlichen Perspektiven wie grundverschiedene Geschichten wirken. Insbesondere wenn ein Konflikt vorliegt, kommt es vor, dass jeweils die erzählende Person die Heldenrolle erhält, während der anderen Person die Rolle des Bösewichts zufällt. Mit diesem Wissen habe ich über eine Handvoll Märchen der Gebrüder Grimm nachgedacht und bin auf folgende Idee gestoßen: Zu jener Zeit, in welcher die Märchen erzählt und gesammelt wurden, waren Frauen noch das Eigentum ihrer Väter und Ehemänner. Es scheint kaum verwunderlich, dass die Bösewichte vieler Geschichten in Form unabhängiger und willensstarker Frauen auftreten. Die positiv konnotierte Figur, die Prinzessin, ist zumeist passiv und folgsam. Ihr stößt etwas zu, sie handelt kaum und entspricht damit dem Idealbild ihrer Zeit. Ich begann also mit der Vorstellung zu arbeiten, dass die bekannten Hausmärchen eine Version der Abläufe wiedergeben, welche die starke Frau bewusst willkürlich und grausam erscheinen lässt. So fragte ich mich: Wie müsste die Geschichte erzählt werden, um die Beweggründe der „bösen Frau“ verständlich und nachvollziehbar zu machen? Welche Umstände müssten die Erzählenden verschleiern, verzerren oder verheimlichen, um zur grimmschen schwarzweißen Version zu gelangen? Es war dabei nicht meine Absicht, die Bösewichte jener Märchen als Heldinnen darzustellen und die Logik somit einfach umzudrehen.
Ich wollte vielmehr darauf aufmerksam machen, dass die Welt – und bei genauerem Hinsehen auch ein Märchen – eben nicht schwarz-weiß, also eindeutig gut und böse beschaffen ist. Denn im Rahmen meiner Beschäftigung mit diesen fiel mir auf, wie viel Spielraum tatsächlich gelassen wurde, um die Geschichte der „bösen Frau“ jeweils zu erzählen. Es scheint, als hätte sich die Erzähl-Stimme ausschließlich mit dem Schicksal der Heldinnen beschäftigt und das Handeln aller weiteren Figuren lediglich anhand ihrer Erfahrungen mit jenen interpretiert.
Ich habe mit den folgenden Geschichten Frauen ans Licht geholt, welche zwischen den Zeilen verborgen bereits existierten.
Starke, unbeugsame Frauen, welche ihren unerwünschten Willen durchsetzen und auf ihr Recht beharren. Frauen, die damals bereits und vielleicht heute immer noch zu Unrecht verteufelt werden.
Es war einmal ein kleines Mädchen und das hieß Marie. Marie hatte einen Traum: Sie wollte ein selbstbestimmtes Leben führen. An ihrer Mutter sah sie, was die Gesellschaft für gewöhnlich aus Frauen machte: Sklavinnen ihrer Ehemänner, Dienstmädchen ihrer Kinder und Mägde für die Öffentlichkeit – Arbeitsbienen ohne Rechte, ohne Wertschätzung. Natürlich konnte man vom Schicksal gesegnet und mit einem liebevollen Mann verheiratet sein. Doch wahrscheinlicher schien es, an jemanden zu geraten, der mit eben jener Vorstellung aufgezogen worden war, dass Frauen im Dienste der Männer zu stehen hatten, dass ihre Gedanken und Gefühle irrelevant seien. Maries Vater erwartete viel von ihrer Mutter: Hausarbeit, Kindererziehung, Verlässlichkeit und insbesondere, seine Launen und Abwesenheiten klaglos hinzunehmen. Immer sollte alles sauber und ordentlich sein, dabei nicht zu dekorativ oder in seinen Worten „weibisch“. Immer sollte ein leckeres Essen auf dem Tisch stehen wenn er nachhause kam, während die vier Kinder gewaschen und artig darauf warteten, dass er sie bemerkte. Immer sollte seine Frau herausgeputzt sein, auch wenn er es bevorzugte, sie zu schlagen anstatt sie zu küssen. Sie sollte ihm alles geben, was er verlangte und nichts nehmen wollen. Sollte an sich haben, was ihn verführte und nicht mehr – insbesondere keine eigene Meinung. Marie wollte diese Zukunft nicht. Ein Haus in Ordnung halten