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Welcher Segler träumt nicht davon, einmal die unendlichen Weiten des Atlantiks zu erleben? Und was bringt ihn dazu, in einem Jahr, für das Klimaforscher und Wetterexperten eine ungewöhnliche Häufung von Tropischen Wirbelstürmen und Hurrikans prognostiziert hatten, freiwillig und mit einer ihm unbekannten Crew in der Vorweihnachtszeit über den Atlantik zu segeln? Dieses Buch liefert die Antworten. Von der Idee zu diesem Törn bis hin zur nächtlichen Ankunft in der Karibik werden Neugier, Abenteuerlust und besondere seemännische Herausforderungen beschrieben und es entsteht ein Bild, das die klischeehafte Vorstellung eines Atlantiktörns auf der s. g. Barfußroute in einem anderen Licht erscheinen lässt. Der Leser spürt die Vorfreude auf das großartige Ereignis einer Atlantiküberquerung auf einer Hochseeyacht und wird mitgenommen auf diesen ungewöhnlichen Segeltörn. Ihm wird das Gefühl vermittelt, ein Teil der Crew zu sein, mit der er die unendlichen Weiten des Atlantiks durchlebt.
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Seitenzahl: 227
Gottes sind Wogen und Wind,
Segel aber und Steuer,
dass ihr den Hafen gewinnt,
sind euer.
Gorch Fock, 1880-1916; gefallen in der Skagerrak-Seeschlacht, eigentlich Johannes Kienau, niederdeutscher Erzähler, Lyriker, Elbfischer und Marinesoldat
Für Ute, die immer sehr viel Verständnis für meine Segelleidenschaft aufgebracht, mich bei allen Vorhaben unterstützt und mir viele schöne Segeltörns ermöglicht hat.
Vorwort
Anreise – Zeitgedanken
Willkommen an Bord
Törnvorbereitungen
Auch Segler können feiern
Abschied von Las Palmas
Das Abenteuer beginnt
Wir haben es geschafft
St. Lucia – Living in Paradise
Überfahrt nach Martinique
Abschied und Heimkehr
Törn-Statistik / Maximalwerte
Fachbegriffe aus der Seefahrt
Segelschiffe waren die ersten und für lange Zeit die einzigen und größten Transportmittel des Menschen. So erlaubte die Schifffahrt die Entdeckung fremder Länder und den Handel mit ihnen. Noch heute sind Schiffe die größten beweglichen Bauwerke der Menschheit. Der häufig bemühte Begriff der „Globalisierung“ ist ohne eine leistungsfähige Seeschifffahrt undenkbar. Seit Jahrhunderten wird hier von den Seeleuten und anderen in der Schifffahrt beschäftigen Personen die „Seemannssprache“ benutzt. Sie ist die wohl älteste Fachsprache überhaupt und umfasst Begriffe und Formulierungen, die sich in der deutschen Seemannssprache zunächst aus der Sprache der Küstenbewohner, dem Plattdeutsch, entwickelte. Sie ist durchsetzt von zahlreichen Lehnwörtern, die anderen Sprachen, z.B. dem Niederländischen, Englischen und Spanischen entstammen. Ursache hierfür waren die meist gemischten Schiffs-besatzungen mit unterschiedlicher sprachlicher Herkunft. In der Seemannssprache spiegelt sich eine Präzisierung und Differenzierung technischer Begriffe aus der Seefahrt wider. Für den Seemann ist es notwendig, mitunter sogar überlebenswichtig, nicht einfach von einem „Seil“ zu sprechen, sondern es nach Funktion und Art genauer zu bezeichnen, also von „Want“, „Fall“, „Dirk“ oder „Schot“, oder noch genauer: von „Besanwant“, „Fockschot“ usw. zu sprechen.
Auch wenn seit dem Ende der kommerziellen Segelschifffahrt viele Fachausdrücke im Bereich der Handelsschifffahrt ihre Bedeutung verloren haben, sind diese in der Sportschifffahrt noch weitgehend vollständig anzutreffen. Hier bedient man sich noch sehr alter Begriffe, die schon vor Jahrhunderten für die sichere Bootsführung und den Erfahrungsaustausch der Fachleute unentbehrlich waren. In der Sportschifffahrt, vornehmlich auf Yachten, spricht man noch eine Sprache, die man zwar nicht so schnell erlernen kann, aber mit wachsender Praxis immer mehr beherrschen will. Und diese Sprache entwickelt sich ständig weiter. So kommen neue Begriffe hinzu, je mehr auch in diesem Bereich die moderne Technik Einzug hält.
Die in diesem Buch enthaltenen Begriffe werden im Text nicht näher erklärt, um den Lesefluss nicht zu unterbrechen. Aus gleichem Grund wurde dort auch auf die Aufnahme von Fußnoten verzichtet. Insoweit wird auf die Erklärung dieser Begriffe im Anhang verwiesen.
Bevor der Wecker um 03:30 Uhr klingelt, bin ich wach und springe aus dem Bett. Wie lange habe ich auf diesen Tag gewartet. Es ist Mittwoch, der 16.11.2005, an dem sich mein Traum erfüllen soll. Ich bin froh, dass es jetzt endlich losgeht. Auf einer Segelyacht will ich von Las Palmas auf den Kanarischen Inseln aus über den Atlantik segeln. Dieser Hochseetörn soll meine Seglerlaufbahn krönen und zu Bedingungen stattfinden, wie ich sie im „Normalfall“ bei meinen Segeltörns in der Nord- und Ostsee und im Mittelmeer nicht vorfinde. Blauwassersegeln im Passat unter tiefblauem Himmel in der Wärme der südlichen Breiten. Gleichzeitig will ich meine physische und psychische Belastbarkeit unter den Bedingungen eines dreiwöchigen Atlantiktörns auf engstem Raum in einer mir noch unbekannten Crew testen.
Seit einiger Zeit nimmt der „Deutsche Hochseesportverband Hansa“ (DHH) mit ein oder zwei Hochseeyachten an der jährlich wiederkehrenden „Atlantic Rally for Cruisers“ (ARC) teil. Diese Organisation wurde vor Jahren mit dem Ziel gegründet, allen an einer Atlantiküberquerung interessierten Hochseeseglern die Möglichkeit zu geben, zusammen mit der ARC-Flotte von Gran Canaria aus über den südlichen Teil des Nordatlantiks bis in die Karibik zu segeln. Gemeinsames Ziel ist die Insel St. Lucia. Sie liegt im südlichen Bereich der Kleinen Antillen. Der Vorteil eines solchen Gemeinschaftstörns ist der Sicherheitsaspekt.
Als Mitglied des DHH, dem ich seit 1977 angehöre, habe ich mich in den Wintermonaten 2004/2005 bei der Geschäftsstelle des DHH für diesen Törn angemeldet und mich auf die Warteliste setzen lassen, um mir einen der begehrten Plätze an Bord zu sichern.
Jetzt stehen die Reisetaschen gepackt im Hausflur und auf geht´s. Ich will lieber zeitig losfahren und das Risiko meiden, auf der Flughafenautobahn zwischen Bonn und Köln im Stau stecken zu bleiben. Stress soll gar nicht erst aufkommen, denn ich möchte den Beginn meines großen Abenteuers von Anfang an genießen. Dennoch bin ich angespannt und aufgeregt wie vor einer wichtigen Klausur. Habe ich auch nichts vergessen?
Auf der Autobahn zum Flughafen Köln-Bonn herrscht zu diesen frühen Morgenstunden schon erstaunlich viel Verkehr. Es ist dunkel und regnet, doch der Verkehr fließt. Ute, meine Frau, begleitet mich zum Flughafen. Um 05:10 Uhr treffen wir dort ein. Jetzt heißt es für vier Wochen Abschied nehmen. Was in diesem Moment in ihr vorgeht, kann ich nur ahnen. Sie lässt sich nichts anmerken und das ist gut so. Um 06:00 Uhr wird eingecheckt. Der planmäßige Abflug ist für 07:30 Uhr vorgesehen. Um 08:00 Uhr hebt der Flieger ab. Ein kräftiger Rückenwind aus Nord verspricht eine kurze Flugzeit. Die Maschine ist bis auf den letzten Platz besetzt. Jeder will auf den Kanaren Sonne tanken.
Für mich ist es dort nur ein Zwischenaufenthalt. Im Urlaub den ganzen Tag in der Sonne zu liegen, ist ohnehin nicht mein Ding.
Unter uns liegt eine dicht geschlossene Wolken-decke. Die Kaltfront eines auf dem Atlantik liegenden umfangreichen Tiefs erstreckt sich bis weit nach Süden. Erst vor der Küste Afrikas haben wir freie Sicht auf das Meer.
Pünktlich um 12:00 Uhr landet der Flieger auf dem Airport von Las Palmas. Hier ist der Himmel bedeckt, aber das Thermometer zeigt immerhin 20 Grad an. Auf Gran Canaria stelle ich meine Uhr um eine Stunde zurück. Warum eigentlich?
Jedermann weiß, dass die Zeit, wie wir sie heute verstehen, die s. g. „Bürgerliche Zeit“, genauer gesagt die Uhrzeit, mit dem Stand der Sonne in Zusammenhang steht. Sie ist somit eine physikalische Größenart. Die Sonne erscheint in Las Palmas später als in Köln.
Allgemein bekannt ist auch, dass unser Erdball in Zeitzonen eingeteilt ist. Aber was sind Zeitzonen? Wie kommen sie zustande? Wer hat sie festgelegt? Kaum jemand macht sich heute noch Gedanken darüber, welche Zusammenhänge hier bestehen.
Man stelle sich einmal folgendes vor: Angenommen, die Erde dreht sich nicht um die Sonne, sondern die Sonne dreht sich, so wie wir es auch empfinden, um die Erde. Sie geht morgens im Osten auf, wandert tagsüber Richtung Süden, wo sie am Mittag ihren höchsten Stand erreicht, bis sie schließlich im Westen „untergeht“. Dort verschwindet sie hinter dem Horizont und ist für uns nicht mehr sichtbar. Bei uns wird es Nacht. Nicht jedoch für die Menschen, die von unserem Standort aus gesehen „hinter dem Horizont“ leben. Irgendwo auf der Welt ist immer Mittag, weil dort dann die Sonne zu einem bestimmten Zeitpunkt am höchsten steht.
Stellen wir uns weiter vor, dass die Sonne bei ihrer Wanderung nur einen einzigen Strahl auf die Erde schickt, dieser die Erdkugel soweit durchdringt, bis er den Erdmittelpunkt erreicht. Der „Ort“, auf dem dieser Sonnenstrahl als gerade Linie zwischen Sonne (Gestirn) und dem Erdmittelpunkt auf die Erdoberfläche trifft, nennen wir „Bildpunkt“.
Wenn wir diesem Gedanken folgen, wandert dieser Strahl in dem Zeitraum Tag + Nacht einmal um die Erde und wir wissen, dass dieser Zeitraum 24 Stunden beträgt. Aber warum gerade 24?
Das Phänomen Zeit und ihre Messung haben in der Geschichte der Menschheit immer eine große Rolle gespielt. Zeit ist ein relativer Begriff. Zwischen der subjektiv wahrgenommen Zeit und der objektiv messbaren bestehen oft deutliche Differenzen. Die Wahrnehmung der Zeitdauer hängt davon ab, was in der Zeit passiert. Ein ereignisreicher Zeitraum erscheint kurz, „vergeht wie im Fluge“. Hingegen dauern ereignisarme Zeiträume manchmal quälend lange. Uns interessiert jedoch nicht die gefühlte, sondern die physikalische, messbare Zeit.
Der natürlichste und wichtigste Zeitgeber ist die Sonne mit ihrem Wechsel zwischen Tag und Nacht. Die Zeitmessung ist eine der ältesten Aufgaben der Astronomie. Sie unterscheidet zwischen einem „Sonnentag“ (bürgerliche Zeit) und einem „Sterntag“. Diese differieren um einen Tag im Jahr. Uns interessiert hier nur der „Sonnentag“.
Ein „bürgerliche Tag“ (der s. g. Sonnentag) folgt aus der Erdrotation relativ zur Sonne, woraus sich 365,24 Tage des Jahres ergeben. In Wirklichkeit rotiert die Erde aber 366,24-mal im Jahr. Bereits seit den Babyloniern wird der Tag in 24 Stunden unterteilt und hat sich – wie die 7-Tage-Woche -auf allen Kontinenten durchgesetzt, wogegen sich die Regelungen für Jahre und Monate in den verschiedenen Kulturen voneinander unterscheiden.
Der Tag ist nach dem heute üblichen System in 24 Stunden, die Stunde in 60 Minuten und die Minute in 60 Sekunden unterteilt. Der Sonnentag hat jedoch keine ganze Anzahl von Sekunden nach diesem System. Der Unterschied wird durch Schaltsekunden ausgeglichen. Weil die Laufbahn der Erde um die Sonne keine Kreis-, sondern eine Ellipsenbahn darstellt, und die Erdachse zu dieser geneigt ist, ist der zeitliche Abstand zwischen den nachfolgenden Sonnenhöchstständen (Mittag) von Tag zu Tag jedoch nicht konstant. Hieraus resultiert, dass die lokale wahre Sonnenzeit zu Tagen mit unterschiedlicher Länge führt.
Um gleich lange Tage zu erreichen, wurde eine so genannte mittlere Sonnenzeit gleich langer Tage definiert, die heute fast überall gebräuchlich ist. Die Differenz zwischen der mittleren Ortszeit und wahren Ortszeit nennt man Zeitgleichung. Erst sie ermöglicht eine einheitliche Anwendung der physikalischen Maßeinheit Zeit, so wie wir sie heute kennen und sie im Tagesbetrieb üblich ist.
In der Physik ist die Zeit operational, d. h. über ein Messverfahren definiert. Zur Zeitmessung werden Systeme verwendet, die periodisch in denselben Zustand zurückkehren Die Zeit wird dann durch das Zählen von Perioden bestimmt. Ein Gerät, das so etwas leistet, ist die Uhr.
Genau gehende Uhren waren in der Seefahrt lange Zeit ein großes Problem. Um das für die Navigation wichtige Längenproblem zu lösen, sind sehr genau gehende Uhren notwendig. Diese müssen auch bei starkem Seegang und ohne durch Wettereinflüsse, Hitze und Luftfeuchtigkeit beeinträchtigt zu werden, verlässlich funktionieren. Erst als es dem englischen Uhrmacher John Harrison um 1720 gelang, die auf eine Sekunde genau gehende und transportable Schiffsuhr „H4“ zu entwickeln, konnten englische Navigatoren erstmals die „Höhe“ der Gestirne genau stoppen und die geografische Länge der Schiffsposition bestimmen.
Wie wichtig die genaue Zeit für die Navigation an Bord war und ist, insbesondere zur Bestimmung des Längengrads, mag folgendes Beispiel verdeutlichen:
Der Umfang der Erde beträgt ca. 40.000 Km. Das sind in Seemeilen umgerechnet ca. 21.600 Sm. Der Bildpunkt der Sonne wandert in 24 Stunden einmal um die Erde (360°).
Hieraus folgt:
1
360°
21.600 Sm
60
15°
900 Sm
1°
60
60 Sm
1 Min
15
15 Sm
1
60
1 Sm
1 Sek.
15
0,25 Sm
Wenn die Sonne ihren höchsten Stand erreicht hat ist Mittag oder 12 Uhr Sonnenzeit, so hat es der Mensch definiert. Aber wo auf der Welt ist Mittag, wenn der Strahl der Sonne in 24 Stunden um die Erde rast, was einer Geschwindigkeit von ca. 1.667 Km/Std. entspricht?
Auch diese Antwort hat der Mensch wie folgt definiert: Mittag ist, wenn die Sonne den Meridian durchläuft. Ein Meridian wiederum ist die Hälfte eines die Erdkugel umgebenden Längenkreises und verläuft von Pol zu Pol. Da es für die Meridiane – anders als beim Äquator – keine natürliche Nullmarke gibt, musste auch diese definiert werden.
1884 einigte man sich weltweit auf Greenwich, einem südlichen Vorort von London, dessen Name jedem Seefahrer bekannt ist. Durch die dortige Sternwarte verläuft auf der Mittelachse eines bestimmten Teleskops des Observatoriums der Nullmeridian (genauer: der Zentralmeridian des Royal Greenwich Observatory).
Das war nicht immer so. Auf Greenwich einigte man sich erst 1883. Davor gab es diverse Null-Linien, früher meist im Atlantik gelegen, denn dort war damals die Welt zu Ende, und man zählte nur nach Ost. Viele der großen seefahrenden Nationen legten ihr „Null“ durch die jeweilige Hauptstadt; so enthält Keplers Weltkarte als Null die Sternwarte des berühmten Astronomen Tycho de Brahe in Hveen in Dänemark. Sogar ein Papst, Alexander VI im Jahre 1493, hat einmal eine Null-Linie festgelegt. In deutschen Atlanten vor 1883 findet man (neben dem Berlin-Null) die Längenangaben nach Ferro, das ist die Kanareninsel Hierro auf ca. 12° West nach Greenwich.
Während der Äquator als größter Breitengrad (Großkreis) „naturbedingt“ vorgegeben ist, und die Erde in die Nord- und Südhälfte teilt, wurde der Null-Meridian „willkürlich“ festgelegt. Er erstreckt sich von Pol zu Pol und teilt unsere Erde geographisch in Ost und West.
Vom Greenwich-Null-Meridian werden 180° nach West und 180° nach Ost gezählt. Der Nullmeridian ist für die Navigation der wichtigste Längengrad. Zusammen mit der Ortszeit in Greenwich, der Greenwichzeit (Greenwich Mean Time-GMT), spielt er in der Navigation eine wichtige Rolle.
Orte auf demselben Längengrad haben die gleiche, Orte auf unterschiedlichen Längengraden verschiedene Sonnenzeiten. 180 Längengrade nach West + 180 Längengrade nach Ost (jeweils von Greenwich aus gezählt) ergeben 360°. Wenn der Bildpunkt der Sonne in 24 Stunden einmal um die Erde (360°) wandert, legt er in einer Stunde 15° Richtung West zurück.
Wenn also die Sonne in Greenwich um 12:00 Uhr GMT/UTC ihren höchsten Stand erreicht hat, ist dies nach einer Stunde westlich von Greenwich auf dem Längengrad 15° W der Fall. Bei Positionen und Zeitwerten dazwischen lassen sich Grad und Stunde bekanntermaßen wieder umrechnen in Minuten und Sekunden. In Verbindung mit der genauen Zeit an Bord (Bordzeit), dem Koordinatensystem der Erde (Längen- und Breitengrade) und der Kenntnis der Position der Gestirne zu einem bestimmten Zeitpunkt sind Nullmeridian und UTC der Schlüssel für die Astronomische Navigation an Bord.
Die Sonnenzeit ist somit eine (wahre) Ortszeit. Sie ist ausreichend, solange keine Reisen mit Uhren zwischen Orten unterschiedlicher Ortszeit durchgeführt werden.
Mit dem Aufkommen der Eisenbahn entstand die Notwendigkeit, Zeiten zwischen Orten zu synchronisieren. Das führte zur Einführung von Zeitzonen. In ihnen gelten die gleiche staatlich geregelte Uhrzeit und das gleiche Datum.
In Deutschland wurde zum 1. April 1893 die mittlere Sonnenzeit des fünfzehnten Längengrades östlich von Greenwich als gesetzliche Zeit festgelegt. Der 15. Längengrad läuft durch Görlitz. (UTC+1h).
Zusammenfassung:
Die Zeit, wie wir sie heute verstehen, die s. g. „bürgerliche Zeit“ ist vom Sonnenstand abhängig und durch staatliche Regelungen innerhalb bestimmter Zeitzonen einheitlich. Für die Kanarischen Inseln wurde die dortige Zeitzone mit UTC+/-0h festgelegt. In Las Palmas ist es jetzt 11:00 Uhr, auch in Greenwich. In Köln dagegen ist es bereits 12:00 Uhr, weil Köln und Las Palmas in benachbarten Zeitzonen mit einer Zeitdifferenz von 1 Stunde liegen. Alles klar??
Später an Bord werden wir die dort nach UTC eingestellte Zeit als Bordzeit bis zur Ankunft in der Karibik beibehalten. Das ist in der Seefahrt zwar nicht unbedingt üblich, aber uns erscheint es zweckmäßig, weil sich alle für unseren Törn an Bord benötigten Daten (Navigation, Wetterberichte, Funkverkehr usw.) auf UTC beziehen.
Nach meiner Landung in Las Palmas folge ich einer Empfehlung des DHH und steige am Flughafen in einen Bus der Linie 60. Er bringt mich in einer knappen halben Stunde zum zentralen Busbahnhof von Las Palmas. Von hier aus geht es mit einem Linienbus weiter zur Marina „Club Nautico“. Dort soll die „Chris“, eine 50 Fuß große Beneteau und Ausbildungsyacht der DHH-eigenen „Yachtschule Elba“ liegen. Sie wird in den nächsten vier Wochen „mein zuhause“ sein.
Die „Chris“ ist mir noch aus meiner Zeit als ehrenamtlicher Schiffsführer an dieser Schule bekannt. Mit ihr und 223 weiteren Yachten aus aller Welt soll es jetzt über den Atlantik gehen. Auf der Busfahrt zur Marina halte ich vergeblich Ausschau nach der vom DHH beschriebenen Freizeitanlage mit ihrem markanten Sprungturm am Schwimmbecken. An diesem soll ich mich orientieren und in seiner Nähe aussteigen, doch von der Anlage ist weit und breit nichts zu sehen. Vermutlich fährt der Bus eine andere Strecke oder ich sitze in einem falschen Bus. Jedenfalls fährt der Bus an der Marina vorbei. Ich sehe sie von meinem Platz aus in Fahrtrichtung auf der rechten Seite liegen. Bei der nächsten Haltestelle muss ich also raus. Das aber ist mir erst viele hundert Meter weiter, am benachbarten „Real Club Nautico“ möglich. Ich bin zu weit weg von meinem Ziel und laufe, die beiden großen, auf Rollen gelagerten Reisetaschen hinter mir herziehend, ca. 800 m zurück. Es ist eine schweißtreibende Angelegenheit, denn die Wolken haben sich in der Zwischenzeit verzogen und die Sonne heizt mir tüchtig ein.
Das überdimensionale Thermometer an der Hauptstraße zeigt jetzt 25 Grad an. Der Schweiß rinnt mir von der Stirn und ich verfluche mich wegen des viel zu vielen Reisegepäcks. Für eine derartige Dauerbelastung sind die Rollen meiner Reisetasche offensichtlich nicht ausgelegt und verweigern nach kurzer Zeit ihren Dienst. Ihre Lager sind heiß gelaufen. Die Rollen und ich wollen nicht mehr.
Zufällig komme ich an einer Bushaltestelle vorbei, an der kurze Zeit später tatsächlich ein Bus hält. Er fährt in Richtung der anzusteuernden Marina. Beim Einstieg quetsche ich mich mit meinen beiden Reisetaschen durch die vordere Eingangstür, um beim Fahrer den Fahrpreis zu entrichten. Die Enge im Bus und die Größe der Taschen lassen mich noch mehr schwitzen.
Die Fahrgäste sehen mir an, dass ich mich quäle. Einige von ihnen blicken mich mitleidig an, andere schmunzeln, als ich mich den Gang entlang wälze. Der Bus setzt sich in Bewegung, und der „Club Nautico“ rückt in greifbare Nähe. Fast wähne ich mich schon am Ziel, als der Bus in eine andere Straße einbiegt. Sie verläuft zunächst noch parallel zur Uferpromenade, führt dann aber immer weiter weg von der Marina.
So ein Mist auch, fluche ich vor mir hin. Von südlicher Gelassenheit, wie ich sie hier in Las Palmas erlebe, ist bei mir nichts zu spüren. Sehnlichst erwartete ich den nächsten Haltestopp. An den interessierten Blicken der neugierigen Fahrgäste vorbei, schleppe ich mich und meine beiden Taschen Richtung Ausgang. Endlich wieder frische Luft. Nach kurzem Durchatmen und Peilung des Standortes steuere ich der Marina entgegen, jetzt meine beiden Reistaschen mit quietschenden Rollen hinter mir herziehend.
Hätte ich doch nur auf den Linienbus verzichtet und ein Taxi genommen. Jetzt werde ich für meine anerzogene und praktizierte Sparsamkeit bestraft. So ist das nun mal, wenn man einer „Beamtendynastie“ entstammt. Urgroßvater, Großvater, Vater und ich selbst waren Beamte. Da bleibt was hängen und sitzt in den Knochen. Hinzu kommen bestimmte persönliche Eigenschaften, die in meiner jetzigen Situation mein Unterbewusstsein beeinflussen und mir signalisieren: „Nur nicht aufgeben, du willst doch über den Atlantik. Dort erwarten dich noch Anforderungen ganz anderer Art.
Tatsächlich erreiche ich nach kurzer Zeit die vom DHH beschriebene Unterführung. Unter sie muss ich hindurch, vermisse dort aber den Fußweg, an den man offensichtlich nicht gedacht hatte, als die Unterführung gebaut wurde. Es herrscht reger Autoverkehr und der schmale Pfad, auf dem ich mich schon aus Sicherheitsgründen vor den her-anrasenden Fahrzeugen bewegen muss, hat keineswegs die gewohnte Mindestbreite. Es ist nur ein schmaler Streifen, der mich vom fließenden Verkehr trennt. Eine Tasche auf der Straße, die andere auf diesem Pfad hinter mir herziehend erreiche ich den Haupteingang der Marina.
Im Glauben endlich am Ziel zu sein, muss ich meinen Einsatz erst einmal belohnen. Auf einer Bank vor einer Eisdiele gönne ich mir ein erfrischendes Eis und blicke über das riesige Hafengelände. Meine zu diesem Zeitpunkt noch vorhandene Euphorie kühlt merklich ab, als ich die riesigen Ausmaße und die Entfernung bis zum Liegeplatz der „Chris“ mit einem gestöhnten „oh je“ abschätze. Das war wohl nicht zu überhören. Ein freundlicher Mann bietet mir an, mich und mein Gepäck zum Schiff zu fahren. Ich nehme dankend an. Das ist auch gut so, denn wie sich bei einer kurzen Info im ARC-Büro zeigt, liegt die „Chris“ noch einen guten Fußmarsch weit weg von meinem derzeitigen Standort.
Im Hafen liegen hunderte von hochseetüchtigen Segel- und Motoryachten aus aller Herren Länder. Überall wird an und auf den Schiffen gearbeitet. Alle wollen über den Atlantik und erhalten den letzten Schliff, bevor für die Flotte das große Abenteuer beginnt. Die Aufbruchsstimmung ist hier deutlich spürbar.
Als ich die „Chris“ erreiche, schaue ich irritiert Richtung Cockpit. Dort sitzt eine Frau und sonnt sich. Spontan denke ich: „Wahrscheinlich ein Skipper-Liebchen“. Sie erinnern mich an die „Boxenluder“ der Rennfahrer. Hier ist eine ähnliche Situation. Zumindest sieht es danach aus, denn wir wollen ja auch ein Rennen fahren, nämlich eine „Regatta“ bzw. „Rally“ über den Atlantik. „Die wird das Schiff doch wohl hoffentlich bald wieder verlassen“, geht es mir durch den Kopf. Auf der vom DHH erstellten Crew-Liste war eine Frau jedenfalls nicht aufgeführt.
Ich steige an Bord, und wir machen uns gegenseitig bekannt. Sie heißt Annette, ist die Ehefrau von Fritz, unserem Skipper und wird uns auf unserem Törn begleiten.
Fritz begrüßt mich mit einem Schraubenzieher in der Hand. Er macht einen sehr gestressten Eindruck. Zusammen mit Lothar, der als erster aus unserer Crew an Bord gekommen war, repariert er eine der beiden elektronischen Cockpitanzeigen. Als gelernter Starkstrom- und Schiffselektriker rieche ich beim Blick über die Schultern der beiden „Yachtmonteure“ die verschmorte Elektronik. Das fängt ja gut an, ein Kurzschluss in der Bordelektrik ist wohl so ziemlich das Letzte, was wir bei unserem Ritt über den Atlantik gebrauchen können.
Lothar zeigt sich als geschickter Handwerker, was sich später noch als Glücksfall erweisen soll. In diesem Moment bin ich froh, ihn an Bord zu wissen. Es gibt nichts Schlimmeres, als Typen an Bord zu haben, die alles besser wissen, von Nichts eine Ahnung haben und davon reichlich und wenn es darauf ankommt anzupacken, versagen sie kläglich und haben meist noch eine große Klappe. Zu solchen Spinnern und unangenehmen Zeitgenossen zähle ich Lothar nicht, das sehe und spüre ich.
Trotz Lothars tatkräftigem Einsatz macht Fritz keinen glücklichen Eindruck. Ich kann mich zu diesem Zeitpunkt sehr gut in seine Lage versetzen, denn als nach und nach die Crew eintrifft und sich in Vorfreude auf das was kommt mit großem Hallo begrüßt, ist die „Chris“ noch nicht voll einsatzfähig. Da kommt Stress auf.
Und so kommt, was in einer solchen Situation kommen muss, der aufgestaute Frust muss raus und abgebaut werden. Bei einigen Leuten geht das wohl am besten, wenn sie Unbeteiligten einen Anschiss verpassen. Solche Situationen habe ich schon während meiner Zeit als Soldat bei der Bundeswehr erlebt. In diesem Fall bin ich der Unbeteiligte.
Was war passiert? Nach Meinung von Fritz war ich mit Straßenschuhen an Bord gekommen, was man tunlichst unterlassen soll. Doch Fritz liegt daneben. Für den Törn hatte ich mir nagelneue Sportschuhe gekauft und diese vor meinem Einstieg in das Cockpit angezogen, was Fritz bei seiner Beschäftigung natürlich nicht gesehen hat. Wie soll ich mich verhalten? Einerseits will ich kein Blitzableiter für aufgestaute Emotionen sein, andererseits die schlechte Stimmung nicht noch weiter anheizen. Um den gereizten Fritz nicht noch mehr zu stressen, schlucke ich leicht irritiert meinen schon auf der Zunge liegenden Widerspruch herunter, ärgere mich im Nachhinein aber über meine Nachgiebigkeit.
Wie dem auch sei, ich habe nicht die Absicht, die Autorität des Skippers in Frage zu stellen, worauf der DHH in seinem Anschreiben zu diesem Törn großen Wert gelegt und die Crew gebeten hat, diese zu respektieren. So versuche ich, mich in die Rolle des Skippers zu versetzen. Der Anreisetag einer neuen, unbekannten und noch nicht aufeinander eingespielten Crew ist für ihn immer mit einer gewissen Portion Stress verbunden, insbesondere dann, wenn das Schiff noch nicht seinen technischen Soll-Zustand erreicht hat. Da muss der Adrenalinspiegel doch steigen.
Der zweite Anschiss lässt auch nicht lange auf sich warten. Er gilt meinem Verhalten, wie ich mich den Niedergang hinunterbewege. Natürlich ist mir bekannt, und ich selbst bläue es meinen Segelcrews selbst immer wieder ein, dass man den Niedergang aus Gründen der Sicherheit mit dem Gesicht zum Niedergang hinabsteigt. Es gilt, ein Abrutschen, z.B. mit nassen Schuhen, oder einen Sturz zu vermeiden. Aber Ausnahmen, erst recht im Hafen, müssen doch zugelassen und gestattet sein, oder?
Der dritte Anschiss gilt dem Umfang meines Gepäcks. Wie schon erwähnt, habe ich natürlich viel zu viel dabei. Wer weiß schon vorher, was den Sailor erwartet, der im Wintermonat bei Badewettertemperaturen über den Atlantik schippert und auf dieser Reise bis zu seiner Rückkehr insgesamt vier Wochen mit Auto, Flugzeug und Bahn unterwegs ist.
Fritz ist aus verständlichen Gründen in Sorge, zu wenig Stauraum für den noch unterzubringenden Proviant und die vielen Wasserflaschen zu haben. „Der kann mich mal“, denke ich, und ohne Fritz weiter zu beachten, verschwinde ich in meiner mir zugewiesenen Kabine. Diese Art von Begrüßung eines erwachsenen Menschen und Crewmitgliedes, mit dem man die nächsten drei bis vier Wochen unter besonderen Bedingungen auf engstem Raum zusammen leben muss, finde ich völlig unangemessen und fehl am Platz. Fritz jedenfalls scheint mir im Augenblick völlig überfordert zu sein. Vielleicht ist es sein Alter? Er erzählt uns, dass dieser Törn der vorletzte für ihn sei, bevor er im Frühjahr in Rente geht. Nach unserer Ankunft auf St. Lucia bleibt die „Chris“ noch in der Karibik und kreuzt dort im Winterhalbjahr mit wechselnden Crews zwischen den Inseln. Dann muss Fritz wieder ran und die „Chris“ auf der Nordroute des Atlantiks zurück nach Elba bringen.
Wir werden sein Verhalten auf diesem Törn beobachten müssen. Vor dem Hintergrund der vor uns liegenden physischen und psychischen Belastungen werte ich seinen Umgang mit der jetzigen, noch relativ harmlosen Stresssituationen für kein gutes Zeichen und nehme mir vor, ganz ruhig zu bleiben. Mein fester Wille ist, auf diesem Törn jeder möglichen Konfrontation, aus welchen Gründen auch immer, aus dem Wege zu gehen. Es soll ein harmonischer Törn werden und den will ich mir von niemandem kaputt machen lassen. Dafür habe ich mich schon viel zu lange auf die Überquerung des Atlantiks einer Segelyacht gefreut.
An diesem Gedanken hängend, richte ich mich in aller Ruhe in meiner Kabine ein und beziehe meine Koje. Danach bemühe ich mich um den Aufbau einer „normalen“ Konversation. Und siehe da, der Ton wird freundlicher und die Stimmung an Bord zunehmend besser.
Später zeigt sich, dass in dieser rauen Skipperschale ein weiches Herz steckt. Jedenfalls habe ich von Fritz während des gesamten Törns nie wieder ein unfreundliches Wort gehört oder eine unangemessene Anweisung erhalten.