Basler Unbequeme Gedanken - Bassam Tibi - E-Book

Basler Unbequeme Gedanken E-Book

Bassam Tibi

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Beschreibung

Die erweiterte Neuausgabe der Basler Unbequemen Gedanken versammelt in aktualisierter Fassung Bassam Tibis Analysen, die von 2016 bis 2018 in der Basler Zeitung erschienen sind. Tibi beleuchtet länderübergreifend die Geschehnisse in der islamischen Welt und ihre Bedeutung für Europa: Die Migrationsbewegungen, den nach Europa zugewanderten Antisemitismus, die Entwicklung islamischer Minderheiten, beispielsweise in Indien seit der Abspaltung Pakistans, die Hintergründe des Iran-Deals von 2015, die aktuelle Entwicklung in der Türkei und in Syrien sowie den Zerfall der politischen Kultur in Deutschland. Eine Einleitung, ein ausführliches Interview mit Tibi und zwei hochaktuelle Anhänge ergänzen die Analysen. Benedict Neff, politischer Deutschland-Korrespondent der Neuen Zürcher Zeitung, steuert ein sehr persönliches Geleitwort bei.

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Seitenzahl: 524

Veröffentlichungsjahr: 2019

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ibidem-Verlag, Stuttgart

 

BASSAM TIBI, Jahrgang 1944, wuchs in Damaskus auf und kam 1962 nach Deutschland, wo er Sozialwissenschaft, Philosophie und Geschichte sowie Islamwissenschaft studierte – unter anderem bei Max Horkheimer und Theodor W. Adorno. Mit 28 Jahren wurde er zum Professor für Internationale Beziehungen in Göttingen berufen. Tibi lehrte und forschte auf fünf Kontinenten, u.a. in den USA an den Universitäten Harvard, Princeton, Cornell, Berkeley und Yale sowie in Dakar, Yaoundé, Khartum, Jakarta, Ankara, St. Gallen sowie Singapur und zuletzt 2016 an der American University of Cairo.

1995 wurde ihm von Roman Herzog das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse für seine Förderung eines besseren Verständnisses des Islam verliehen. 2003 erhielt Bassam Tibi, zusammen mit dem jüdischen Zeithistoriker Michael Wolffsohn, in der Aula der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich den Schweizer Preis der Stiftung für Abendländische Besinnung, in Anerkennung der Leistung beider für europäische Werte. 2016 wurde er in den Senat der von Helmut Schmidt ins Leben gerufenen Deutschen Nationalstiftung gewählt.

Tibi ist Mitwirkender an dem von Yad Vashem online angebotenen Antisemitismuskurs. Diese Yad-Vashem-Aktivität erfolgt im Kontext seines Engagements gegen Antisemitismus:

• Im Mai 1994 gründete Bassam Tibi mit dem Rabbiner Albert Friedlander in der Westminster-Synagoge in London den jüdisch-islamischen Dialog.

 

• Von 2007 bis 2010 (mit Unterbrechungen in Yale und Cornell) war Tibi als erster Muslim am Forschungsinstitut des Holocaust Museum in Washington DC als The Resnick Senior Fellow for the Study of Antisemitism CAHS / Center for Advanced Holocaust Studies tätig.

 

• Im Juli/August 2018 hielt Tibi am St. John’s College der Oxford University Vorlesungen über den neuen Antisemitismus.

 

• 2019 hielt Tibi vor dem österreichischen Parlament am Gedenktag im Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus den Gastvortrag über den neuen Antisemitismus.

 

Tibi veröffentlichte im Zeitraum von 1969 bis 2019 einunddreißig Bücher in deutscher und von 1980 bis 2014 zwölf Bücher in englischer Sprache.

Seit 2016 erscheint Tibis Werk in neuen Ausgaben bei ibidem. Für 2019 ist die Veröffentlichung seiner Autobiografie geplant.

Tibi ist Mitbegründer der Gruppe »Initiative säkularer Islam« und Mitautor ihrer Deklaration »10 Stimmen für einen aufgeklärten Islam«, die am 22.11.2018 in der Zeit (Ausgabe 48/2018) der Öffentlichkeit vorgestellt wurde. 2018 war er Mitglied der von der Europäischen Union geförderten »Global Migration Group« der Foundation for European Progressive Studies (FEPS) mit Workshops in Rom, Dakar/Westafrika und New York. Die Jury des Vordenkerforums wählte Tibi zum Vordenker des Jahres 2019.

Inhaltsverzeichnis

Geleitwort von Benedict Neff

Vorwort zur erweiterten Neuausgabe 2019

Über unbequeme Gedanken in Deutschland unter der Vorherrschaft des linksgrünen Narrativs und über »Das Gewerbe der Niedertracht« im Umgang mit Andersdenkenden

Statt einer Einleitung: Das BaZ-Interview vom 7. Juli 2016 als Sprungbrett

Erster Teil: Tabuisierte Themen (I) – eingeschränkte Redefreiheit in einer politischen Kultur von Unfreiheit, Diffamierung Andersdenkender und erzwungener Selbstzensur

Einführung zum ersten Teil

1) Es bleibt mir nur, in die Schweiz zu flüchten. Ich weigere mich zu schweigen. (BaZ vom 5. August 2016)

2) Die Tyrannei der Willkommenskultur: Über die Veröstlichung der Politik unter Angela Merkel und das Fehlen einer Debating Culture. (BaZ vom 26. August 2016)

3) Die verdeckte Islamisierung Europas. Saudis und Türken führen im Westen einen religiösen Eroberungskrieg – eines ihrer strategischen Zentren ist Genf. (BaZ vom 11. Oktober 2016)

4) Millionen Afrikaner sitzen auf ihren Koffern. Vor der libyschen Küste arbeitet Europa mit Menschenhändlern zusammen – über eine fatale humanitäre Politik. (BaZ vom 12. Dezember 2016)

5) Die Feinde Europas. Linksgrüne arbeiten mit Islamisten zusammen – über den Anschlag auf die europäische Identität. (BaZ vom 20. Februar 2017)

6) Europa braucht eine starke Identität. Der Kontinent kann sich nur behaupten, wenn er die Einwanderung begrenzt und Zugewanderte besser integriert. (BaZ vom 12. Mai 2017)

Zweiter Teil: Tabuisierte Themen (II) – Islam, Völkerwanderungen nach Europa ohne Integration und die unterdrückte Debatte hierüber

Einführung zum zweiten Teil

7) Die große Völkerwanderung. Europa muss sich wandeln. Es braucht einen Diskurs ohne Tabus und neue Konzepte für Einwanderung und Integration. (BaZ vom 9. Januar 2017)

8) Es geht nicht um ein Stück Textil. Es geht um Politik, Macht und ein Spiel, in dem die Frau missbraucht wird. Marokko verbietet die Burka, Europa zaudert. (BaZ vom 26. Januar 2017)

9) Die Rückkehr des Judenhasses. Im Land des »Nie wieder!« kultivieren Muslime den Antisemitismus neu. Deutschland blendet das weitgehend aus. (BaZ vom 13. März 2017)

10) Die missbrauchte Leitkultur – eine Beschwerde. Deutsche Politiker streiten über einen Begriff, den sie nicht verstehen. Das Land bräuchte ihn aber dringend. (BaZ vom 29. Mai 2017)

11) Wann wacht Europa auf? Es gibt einen Zusammenhang von Zuwanderung und Sicherheit. (BaZ vom 22. Juni 2017)

12) Kein taugliches Modell für Europa. Die Sonderstellung der islamischen Minderheit in Indien. Ein warnendes Beispiel. (BaZ vom 14. Dezember 2017)

Dritter Teil: Herkunftsländer der Flüchtlingskrise und Fehlinformationen am Beispiel Syriens

Einführung zum dritten Teil

13) Krieg ohne Hoffnung. Im Syrienkonflikt kämpfen Sunniten gegen Schiiten, um den IS geht es nur am Rande. Über einen unverstandenen Krieg. (BaZ vom 3. Oktober 2016) – leicht aktualisiert 2018

14) »In Syrien sind alle böse« (Carla del Ponte). Es gibt für diesen Krieg keine Lösung. Er wird noch lange dauern. (BaZ vom 24. August 2017)

Vierter Teil: Berichtigungen über die Türkei: Die AKP ist nicht islamisch-konservativ, sondern fundamentalistisch-islamistisch; ihre Parteienherrschaft ist eine totalitäre Islamokratie, keine Ein-Mann-Erdogan-Diktatur. Entkemalisierung als De-Säkularisierung

Einführung zum vierten Teil

15) Die Türkei wird das neue Syrien. Erdogan beseitigt gerade die letzten Reste von Atatürks Erbe – der laizistische Staat ist nur noch brüchige Fassade. (BaZ vom 23. Juli 2016)

16) Erdogans fünfte Kolonne. Die Mehrzahl der Türken in Deutschland steht hinter Erdogan – dieser rüstet sich für Referendum und Kulturkampf. (BaZ vom 29. März 2017)

17) Die AKP-Herrschaft in der Türkei ist eine totalitäre Islamokratie. Präsident Erdogan hat keine Ein-Mann-Diktatur errichtet, sondern die Herrschaft einer islamistischen Partei. (BaZ vom 6. September 2017)

Fünfter Teil: Die nahöstliche Welt des Islam vor Europas Toren: Der von Iran intensivierte islamische »Geo-Civil War«, der saudische Widerstand dagegen, Katar als Vorposten und Deutschland auf iranischer Front gegen die USA

Einführung zum fünften Teil

18) Die heimliche Macht. Wie der Iran mit uralten politischen Mitteln einen schiitischen Gürtel zwischen Mittelmeer und Afghanistan errichtet. (BaZ vom 5. Oktober 2017)

19) Machtkampf am Golf. Katar ist größenwahnsinnig, Saudi-Arabien greift ein, und der Iran mischt mit. (BaZ vom 3. Juli 2017)

20) Weltpolitik in der Wüste. Das kleine Katar gibt nicht nach. Der Konflikt auf der arabischen Halbinsel wird immer gefährlicher. (BaZ vom 24. Juli 2017)

21) Die geöffnete Büchse der Pandora. Saudi-Arabien wird bedroht und es strampelt, während der Iran auf dem Vormarsch ist. (BaZ vom 30. November 2017)

22) Ist dies schon Wahnsinn, so hat es doch Methode. Weshalb sich europäische Politiker von Amerika ab- und dem Iran zuwenden. (BaZ vom 2. Juli 2018)

22a) Die deutsch angeführte EU-Politik des Appeasement: Der Iran als sicherheitspolitischer Wahnsinn (Nachtrag zu BaZ-Artikel 22 vom 2. Juli 2018 zur Neuausgabe 2019)

Sechster Teil: Hat Europa eine starke Identität sowie eine Policy für die Integration zugewanderter Muslime, oder wird es in der Zukunft Eurabia?

Einführung zum sechsten Teil

23) Wenn Europa so weitermacht, wird es zu Eurabia. Der muslimische Anteil an der europäischen Bevölkerung steigt unaufhaltsam, ohne dass eine Integration stattfindet. (BaZ vom 5. April 2018)

24) Rückkehr der Religion in die Politik; die Europäer verschlafen die sich zuspitzende Problematik. (BaZ vom 30. Januar 2018)

25) Was der Westen wissen müsste. Die islamistische Herausforderung an den säkularen Staat. (BaZ vom 9. März 2018)

26) Europa am Scheideweg. Die Konzepte, die sich unversöhnlich gegenüberstehen, sind Minderheiten-Kollektiv oder Citoyen-Individuen. (BaZ vom 23. April 2018)

Siebenter Teil: Die Demografie, die Völkerwanderungen und die Frage »Gehört der Islam zu Deutschland« bzw. gehört Europa zu Dar al-Islam? Und wie steht es mit Afrika?

Einführung zum siebenten Teil

27) Tugendwächter und Gesinnungsdiktatoren. Anmerkungen zu Angela Merkels Credo »Der Islam gehört zu Deutschland«. (BaZ vom 28. Mai 2018)

28) Gehört Afrika zu Europa? Über den Zusammenhang von Demografie und Migration – und den Unterschied von Einwanderung und Zuwanderung. (BaZ vom 19. Juni 2018)

Statt eines Nachworts: Unbequeme Gedanken über das deutsch-romantische »Unbehagen an der Normalität« (Rüdiger Safranski): Der deutsche Mord an den Juden und seine Aufarbeitung in der Vergangenheit und heute. Die verlogene Sühne und die Entledigung von Schuld durch Duldung von zugewandertem »Neuen Antisemitismus« als »Israel-Kritik«.

29) Der neue Antisemitismus: Linksgrüne Antiamerikanisten und rechte Islamisten verbinden sich in Deutschland zu einem üblen Bündnis. (BaZ vom 27. August 2018)

Anhang I zur Neuausgabe 2019

Vorbemerkungen

30) Der Zerfall der politischen Kultur in Deutschland. Von der »Debating Culture« zur Kultur der Rassismus-, Nazi- und Islamophobie-Vorwürfe. (BaZ vom 8. Oktober 2018) Aktualisiert und erweitert 2019

Anhang II zur Neuausgabe 2019

Dankesrede zum Bassam-Tibi-Symposium an der Law School der Universität Leiden (21. Februar 2019)

Impressum

GELEITWORT VON BENEDICT NEFF

Ich muss gestehen, dass ich Bassam Tibi lange nicht gekannt habe. Erst im Mai 2016 bin ich auf einen kurzen Artikel von ihm in der Bild-Zeitung gestoßen. Ich war damals Deutschland-Korrespondent der Basler Zeitung in Berlin, und die Flüchtlingskrise war das alles dominierende Thema. Die Überschrift von Tibis Artikel lautete: »Ich habe Mitleid mit den Deutschen«. Der Text wurde in einer Zeit publiziert, in der die Willkommenskultur immer noch fühlbar war, gleichzeitig hatten die massenhaften sexuellen Übergriffe durch junge männliche Migranten in der Kölner Silvesternacht das Land erschüttert. Tibi machte eine Kaskade provokativer Aussagen. Deutsche würden ständig zwischen den Extremen pendeln: Fremdenfeindlichkeit oder Fremdeneuphorie, ein Mittelmaß gebe es nicht. Mit Sorge beobachte er, dass viele Syrer die deutsche Kultur nicht respektieren. Schuld an diesem Verhalten seien auch die Deutschen, die sich nicht trauten, Asylsuchende zurechtzuweisen – aus Angst, als Rassisten zu gelten. Deshalb auch Tibis Mitleid mit den Deutschen.

Es war, wie gesagt, nur ein kurzer Artikel, der in einer Serie zum Thema »Was ist deutsch?« erschienen ist. Er fiel damals aber komplett aus dem Rahmen dessen, was man in den etablierten deutschen Medien so lesen konnte. Am erstaunlichsten für mich war jedoch, dass der Autor in Damaskus geboren und aufgewachsen war, später in Deutschland studiert und eine beeindruckende wissenschaftliche Karriere hingelegt hatte: Er lehrte in Göttingen, Harvard, Yale, Berkeley und auch in St. Gallen. In seinem wissenschaftlichen Leben befasste er sich ausgiebig mit dem Islam, er entwickelte das Konzept des Euro-Islam und der Leitkultur. Das hatte ich mir allmählich ergoogelt, und meine Verwunderung wurde nur noch größer. In Deutschland drehte sich alles um die Flüchtlingspolitik, und Tibi hätte mit seiner Biographie und seinem wissenschaftlichen Fokus eigentlich der Mann der Stunde sein müssen; ein Erklärer, ein Vermittler zwischen den Welten. Es schien absurd, dass er in den Medien nahezu abwesend war. Seine Debatte, sein Lebensthema wurde verhandelt. Aber ohne ihn.

So kam die Idee für ein großes Interview, und dieses Gespräch war die Grundlage für alle Artikel, die Tibi später in der Basler Zeitung publizierte und die nun in diesem Buch gebündelt erscheinen. Wir trafen uns damals im Bahnhofsrestaurant in Göttingen, Tibis Heimatstadt, und redeten über Stunden. Das Interview trug die Überschrift: »Diese Männer denken, deutsche Frauen sind Schlampen«. Im Bild zu sehen waren arabische Jugendliche, die vor dem Kölner Dom standen – es war das Bild, das zu den Berichten über die massenhaften sexuellen Übergriffe in Köln vom Silvester 2015/16 immer wieder erschienen war. Der Titel mochte etwas reißerisch sein, aber er war so unverblümt und schonungslos, wie Tibi die Dinge zu analysieren pflegt. Bei aller Integration in Deutschland hat er sich den akademischen Stil des Landes glücklicherweise nicht angeeignet. Das Interview wurde die meistgeklickte Geschichte der Basler Zeitung im Jahr 2016. Es war, um es vorsichtig auszudrücken, voller unbequemer Gedanken: Es ging um den arabischen Antisemitismus, den Sexismus in der arabischen Kultur und den deutschen Extremismus.

Erst allmählich wurde mir klar, dass Tibi nicht nur wegen seiner Biographie und seiner Kenntnisse ein interessanter Ansprechpartner ist, wenn es um Fragen des Islams und der Integration geht. Es gibt noch einen anderen, mindestens ebenso wichtigen Grund: Tibi ist ein freier, rücksichtsloser Denker; ein Einzelkämpfer ohne Lobby, der bereit ist, sich mit allen anzulegen. Er wurde in seinem Leben viele Male geehrt, auch das Bundesverdienstkreuz Erster Klasse hat er 1995 erhalten, »für ein besseres Verständnis des Islam in Deutschland und für seine Vermittlung zwischen den Zivilisationen«. Letztlich ist und bleibt er aber ein Außenseiter, der nie zum Establishment gehört hat; ein Ausländer, der in Deutschland angekommen ist und auch nicht; ein deutscher Staatsbürger, aber kein Deutscher, wie er selber sagt. Diese durchaus nicht einfache Existenzform gibt Tibi eine Unabhängigkeit, die seine Urteile umso interessanter macht.

Tibis Analysen und Thesen werden gerne instrumentalisiert; gerade Rechte scheinen oft nur seine Kritik an der muslimischen Kultur und des Islams wahrzunehmen und die an der deutschen Politik und Gesellschaft großzügig zu überhören. Eine solche Lesart wird Tibi aber nicht gerecht. Ein Fazit unseres Gesprächs war damals: Schlecht integrierbare Menschen treffen auf eine Gesellschaft, die nicht fähig ist, Menschen zu integrieren. Nicht nur der Islam und die arabische Kultur stehen einer Integration im Wege, sondern auch die deutsche Kultur, die kein Identitätsangebot hat. Tibi ist zwar stets der Ankläger der Deutschen und der Migranten, aber er ist immer auch ihr Anwalt. Bei all seiner Kritik bangt er um den Westen und die freie Gesellschaft.

Das Interview in der Basler Zeitung war eines jener Phänomene, die mit dazu beigetragen haben, dass sich in Teilen des deutschen Publikums der Begriff »Westpresse« etablierte. Damit ist gemeint, dass Schweizer Medien in der Flüchtlingskrise eine Funktion einnahmen, die mit dem Westfernsehen zu Zeiten der DDR vergleichbar ist. Dieser Ausdruck war immer schon eine unhaltbare und letztlich groteske Übertreibung. Im innersten Kern brachte er aber etwas zum Ausdruck, das auch ich als Schweizer Korrespondent in Deutschland beobachten konnte: In der Schweiz wurde über alle Aspekte der Flüchtlingskrise in Deutschland anders und freier geschrieben. Bei vielen deutschen Medien befiel mich das Gefühl, dass Journalisten versuchten, den Kurs der Regierung abzustützen: Nur nicht die Willkommenskultur gefährden, nur nicht spalterisch wirken! Probleme der Zuwanderung wurden eher nicht angesprochen, aus Angst, ihre klare Benennung könnte das Publikum gegen die Asylsuchenden aufhetzen. Diese Vorsicht lässt sich mit der deutschen Geschichte erklären, aber sie war einer kritischen Auseinandersetzung mit der Migration hinderlich. Die Tendenz zu einer pädagogischen Berichterstattung, wie sie 2015 und 2016 erkennbar war, hat sich dann bei den meisten Medien allmählich abgeschliffen.

Bassam Tibi war in jener Zeit eine unbequeme Stimme, die man, trotz oder vielleicht wegen all seiner Kenntnisse, anfangs lieber nicht hören wollte. Deutschland war in der Fremdeneuphorie. Die Grünen-Politikerin Katrin Göring-Eckardt sagte: »Unser Land wird sich ändern, und zwar drastisch. Und ich freue mich drauf.« In dieser Phase konnte man einen Professor syrischer Herkunft nicht gebrauchen, der in die Szene platzt und sagt: »Leute, wir haben ein Problem!« Auf den virulenten arabischen Antisemitismus und die Integrationsprobleme von Muslimen hat Tibi schon hingewiesen, als viele noch glaubten, Deutschland stehe unmittelbar vor einem großen wirtschaftlichen Aufbruch angesichts neuer Arbeitskräfte, die zu Hunderttausenden ins Land kamen. Tibi ließ diese Kreise als unheimlich naiv erscheinen. Gleichzeitig konnten Tibis Kritiker seine Meinung nicht einfach wegwischen: Er kommt ja aus Damaskus, er kennt den Orient. In vielen arabischen Ländern hat er gelebt und unterrichtet.

Die Zusammenarbeit mit Bassam Tibi war intensiv: Viele Gespräche, Telefonate, E-Mails. Tibi ist ein fordernder Autor. Wenn seine Artikel nicht bald erscheinen, hakt er nach, fragt, was los sei. Es konnte auch vorkommen, dass ich bei ihm 12.000 Zeichen bestellt und das Dreifache erhalten habe. Tibis Erklärung: »Ich bin ein Künstler, ich kann mich nicht beschränken.« Beim Redigieren und Kürzen ließ er einem wiederum freie Hand, auch Interviews pflegt er nicht einmal gegenzulesen. Ein solches Vertrauen und eine solche gelebte Liberalität ist im eitlen Geschäft der Medien keineswegs üblich. Dass Tibi nun in seinem Buch aber auf die Publikation der ungekürzten Artikel bestanden hat, versteht sich von selbst.

Je mehr ich über den Titel dieses Buches nachgedacht habe, desto passender schien er mir: »Basler unbequeme Gedanken«. Zum einen ist Tibi ein unbequemer Denker, der es dem Publikum nicht einfach recht machen will. Auch ich teile nicht alle seine Thesen und Meinungen. Aber darum ging es in der Zusammenarbeit auch nicht. Mir war schnell klar, dass Tibi eine interessante Stimme ist, dass seine Artikel bedenkenswert sind und seine Stimme gehört werden muss, gerade in diesen Jahren, in denen die Themen Migration und Islam die Medien zuweilen fast beherrschen. Zum anderen passt der Titel, weil die Basler Zeitung ein Medium ist, das stets bereit ist, solche unbequemen Stimmen auch zu publizieren. Genaue Leserzahlen habe ich nicht, aber vermutlich war kein Gastautor bei der Basler Zeitung erfolgreicher als Bassam Tibi.

Mit der Publikation dieses Buches schließt sich ein Kreis. Die Asyl-Debatte in Deutschland hat sich verändert, sie orientiert sich heute mehr an Realitäten als an Wünschen und Hoffnungen. Dazu beigetragen hat auch Bassam Tibi. Die Basler Zeitung, die unter Chefredaktor und Verleger Markus Somm Tibis Artikel publizierte, wird per Ende 2018 verkauft.

Bassam Tibi und ich treffen uns gelegentlich im Hotel Intercontinental in Berlin zum Frühstück, und dann wird die ganze Welt verhandelt. Was also bleibt? Bassam Tibis unerschöpfliches Reservoir unbequemer Gedanken. Sein Spezialthema, der Islam und die Integration, werden Deutschland noch auf Jahrzehnte beschäftigen. Bassam Tibi ist in dieser Diskussion eine wichtige Stimme.

 

Berlin, 13. Juli 2018

Benedict Neff

 

VORWORT ZUR ERWEITERTEN NEUAUSGABE 2019

Es ist für mich eine große Freude, dass meine Rückkehr zur öffentlichen Bühne als Autor und als unbequemer politischer Denker durch die Aufnahme dieses Buches willkommen geheißen wird. Hierfür bedanke ich mich bei meinen Lesern herzlichst. Nach Jahren der Ausgrenzung und dem Leiden an der »Gleichschaltung von unten« (vgl. hierzu Anhang I) in Deutschland und der Flucht in die USA als A. D. White Professor an der Ostküsten-Elite-Hochschule Cornell University schreibe ich nun seit 2016 wieder auf Deutsch, meiner Lieblingssprache unter den vier, die ich in Wort und Schrift beherrsche.

Meine Rückkehr begann mit dem Fenster, dass mir die Basler Zeitung (BaZ) ab Juli 2016 öffnete, zunächst mit einem großen Interview und anschließend mit 30 Essays, die zwischen 2016 und 2018 eben in der BaZ erschienen sind. Diese Texte sind in diesem Buch systematisch geordnet, erweitert und aktualisiert worden. Innerhalb weniger Monate war die erste Auflage dieses Buches 2018 vergriffen, worauf nun die vorliegende, um den Abschiedsartikel BaZ 30 (Erstveröffentlichung in der BaZ 2018) unten im Anhang sowie meine Leidener Rede im Anhang II erweiterte Neuausgabe folgt.

Einerseits ist meine Freude über diese freundliche Aufnahme sehr groß, andererseits ist meine Sorge vor einer Instrumentalisierung von den falschen Leuten ebenso groß. Daher der Bedarf an Abgrenzung und Schutz vor jener Instrumentalisierung. In diesem Sinne habe ich auf der vorletzten Seite des abschließenden Textes »Statt eines Nachworts« den Vorschlag unterbreitet, die rechts-nationale »Alternative für Deutschland« in »Katastrophe für Deutschland« umzubenennen. Ich tue dies nicht nur, weil diese Partei 22% der Bewohner Deutschlands, die ethnisch nicht deutsch sind, ausgrenzt und ein ethnisch fremdenfreies Deutschland anstrebt, wovon auch ich existenziell betroffen bin. Denn ich bin ein in Damaskus geborenen Syrer, der hier lebt und Deutschland als Heimat empfindet. Ich habe meine Ablehnung der AfD mit den Worten »nicht nur« formuliert, weil es noch einen weiteren Grund für die Ablehnung gibt. Allein durch ihre Existenz gibt die AfD einer weiteren Gruppe, die ich ebenso ablehne, nämlich den Linksgrünen, Anlass dazu, die Meinung Andersdenkender mit dem AfD-Stigma bzw. der AfD-Keule zu kontaminieren.

In diesem gleichermaßen beängstigenden und einschüchternden Klima einer Polarisierung, die gleichermaßen von der AfD wie von den Linksgrünen genährt wird, wird jeder »unbequeme Gedanke« zum Risiko. Es reicht dann, das Pseudo-Argument anzuführen: »Dies sagt auch die AfD« (so Andrea Seibel im Welt-Interview mit mir vom 04. Juli 2016), um als »Killer« zu wirken. Ich schrei­be dieses neue Vorwort zur Neuausgabe 2019, um mich und meine »unbequemen Gedanken« vor dieser Kontaminierung zu schützen. Ich lehne alle Deutschen, die hinter der AfD stehen, ab. Aber deshalb behaupte ich nicht, es schneit, allein weil die AfD bei einem blauen Himmel sagt, die Sonne scheint. Ein konkretes Beispiel: Ein AfD-Bundestagsabgeordneter sagte bei der Bundestags-Migrationsdebatte im November 2018: »Millionen Afrikaner wollen nach Europa«. Seitdem geht jeder das Risiko ein, in AfD-Nähe gestellt zu werden, wenn solche Fakten angeführt werden. Der französische Autor Stephen Smith hat in seinem Buch La Ruée vers l'Europe / Nach Europa. Das junge Afrika auf dem Weg zum alten Kontinent (Berlin 2018) diese Problematik in allen Einzelheiten erörtert und Massenmigration aus Afrika belegt.

Ist dieser linksliberale Le-Monde-Journalist mit internationaler Reputation ein AfD-Anhänger, weil er diese Fakten anführt? Ich war im Mai/Juni 2018 in Westafrika und beobachtete dort, wie groß der Drang für die meisten Afrikaner ist, ihr Glück in Europa zu finden. Hierüber schrieb ich den Essay Gehört Afrika zu Europa? (als BaZ 28 unten abgedruckt). Dieses Buch enthält auch den Essay: Millionen Afrikaner sitzen auf ihren Koffern (BaZ 4) über diesen Gegenstand: Von der Völkerwanderung aus Afrika. Dies ist Armutsflucht und hat mit »Asyl« nicht das Geringste zu tun.

Ich denke ähnlich wie mein jüdischer Freund Michael Wolffsohn, der vor Jahren öffentlich sagte: »Wir müssten den Nazis dankbar dafür sein, dass sie die Mathematik nicht angefasst haben, denn sonst hätten wir heute keine Mathematik betreiben können«. In diesem Sinne weigere ich mich, alle Themen zu meiden, die die AfD anfasst. Stattdessen rufe ich offensiv zur Rückeroberung der Sprache über die heißen Themen auf, nicht nur von den AfD-Rechten, sondern auch von den Linksgrünen mit ihren Tabus. Deshalb tragen die ersten beiden Teile dieses Buches die Überschrift Tabuisierte Themen und enthalten BaZ-Essays, die in diese Richtung der Enttabuisierung steuern. Enttabuisierung ist ein Bestandteil kritischen Denkens, das zu »unbequemen Gedanken« führt.

Als Syrer aus Damaskus habe ich während meiner Studienjahre in Frank­furt von Adorno und Horkheimer nicht nur »kritische Theorie«, sondern auch Kants drei Kritiken gelernt. Auf dem Jahrmarkt Deutschland der Merkel-Zeit beteuern alle Gutgläubigen ihre Loyalität zu Europa, aber über­sehen dabei, dass das kritische Denken der Frankfurter Schule und Immanuel Kants das zentrale Erbe Europas ist; wer dieses abschafft, trägt zu dem Prozess bei, den Douglas Murray The Strange Death of Europe nennt (deutsche Übersetzung unter: Der Selbstmord Europas erschienen). Mein jüdischer Lehrer Max Horkheimer schreibt im Vorwort zu der zweibändigen, bei S. Fischer erschienenen Sammlung seiner Aufsätze unter dem Titel Kritische Theorie, Europa sei eine »Insel der Freiheit«, die von einem »Ozean der Gewaltherrschaft« umgeben sei. Horkheimer rief dazu auf diese »Insel« gegen alle Totalitarismen zu verteidigen. Dies tue ich in Loyalität zu Horkheimers Erbe in den 30 BaZ-Es­says, die in diesem Buch enthalten sind.

Einer dieser Totalitarismen, die Europa heute bedrohen und aus dem »Ozean der Gewaltherrschaft« durch Zuwanderung kommen, ist der Islamismus. Es ist grob falsch, diese Richtung innerhalb der islamischen Zivilisation allein auf einen »Terrorismus der Djihadisten« einzuschränken. Denn der politische Islam ist weit mehr als Terrorismus, er ist eine Weltan­schauung einer politischen Ordnung eines Scharia-Staates, die diametral im Gegensatz zum Grundgesetz steht. Deswegen gehöre ich als Verfasser der Basler Unbequemen Gedanken nicht nur zu den Autoren des von Carsten Linnemann (MdB, CDU) herausgegebenen Buches Der politische Islam gehört nicht zu Deutschland (Herder 2019), sondern auch zu den Unterzeichnern der Deklaration der »Initiative Säkularer Islam«. Dieses Dokument ist am 22. November 2018 ganzseitig in der Wochenzeitung Die Zeit erschienen. Wir Träger der »Initiative Säkularer Islam« treten gegen die Islam-Funktionäre des organisierten Islam auf, die einen Islam wollen, der »nicht zu Deutschland« gehört. Wir sind aber nicht nur gegen die AfD, sondern auch gegen den illiberalen Islam, gegen jeden Islamismus und gegen den sogenannten »friedlichen Islam« der AKP und der Muslim-Brüder, der sich in Deutschland geduldet einschleicht. Die Alternative zu diesem Islamismus ist nicht die AfD, auch nicht die Linksgrünen, sondern die »Initiative Säkularer Islam«.

Dieses Buch enthält einen ganzen Teil über die AKP-Türkei, formuliert als Islamkritik (vgl. BaZ-Artikel 17) sowie weitere Essays über Islamisten, die im Verbund mit manchen Linken ihre Politik betreiben. Es ist in Deutschland ein »unbequemer Gedanke« zu sagen, dass die AKP und ihre Verbände in Deutschland zu den »Feinden der offenen Gesellschaft« (Karl Popper) gehören. Islamkritik ist keine Anfeindung, sondern Aufklärung.

In nuce: Islam-Kritik und Frontstellung gegen den politischen Islam als Islamismus sind keine Islamphobie, sondern eine Verteidigung sowohl der offenen Gesellschaft als auch eines liberalen, offenen Islams gegen die Feinde der Freiheit; es ist keine Islamphobie, den politischen Islam als den neuen Totalitarismus zu demaskieren.

Die »Initiative Säkularer Islam«, zu deren Begründern ich gehöre, bietet eine Alternative zum »politischen Islam«, zur Islamphobie der AfD und zur Islamophilie der Linksgrünen.

Diese erweiterte Neuausgabe enthält zwei Anhänge, in denen ich diese Zusammenhänge erkläre und dokumentiere.

Ich möchte dieses Vorwort zur neuen, erweiterten Ausgabe 2019 mit der Abweisung einer Diffamierung meiner Person in der Süddeutschen Zeitung (oft verschmäht als »Alpen-Prawda«) als »Ein-Mann-Sekte« abschließen. Denn ich stehe mit meinen unbequemen Gedanken nicht alleine da. Ich beginne den Widerspruch zur SZ mit dem Verweis auf die oben zitierte Deklaration der »Initiative Säkularer Islam« und führe Bücher an, deren Autoren meine Mitstreiter sind. Zuvorderst nenne ich Douglas Murray und sein oben zitiertes Buch mit dem Untertitel: Immigration, Identität, Islam. Darin, im Abschnitt »Leitkultur« (S. 115ff.), würdigt Murray meinen Versuch, Fragen offen anzusprechen, um Lösungen zu finden, und meinen Einsatz gegen eine »fortdauernde und schmerzliche kognitive Dissonanz«. Zu meinen Mitstreitern gehört auch Francis Fukuyama, der mich seit Jahren gegen linke Verfemung verteidigt und jüngst in Foreign Affairs (Oktober-Heft 2018) schreibt: »European countries desperately need something like Tibi’s Leitkultur […].« (S. 107). In der zum Spiegel-Bestseller avancierten deutschen Übersetzung seines Buches Identität (2019) widmet er mir eine ganze Passage (S. 198f.), bringt mein Konzept von Leitkultur ins Gespräch und kommentiert: »Tibis Vorschlag wurde von den Linken angegriffen […]. Dadurch kam die deutsche Linke unabsichtlich den Islamisten entgegen.«

Ein weiterer Mitstreiter ist Pascal Bruckner mit seinem Buch An Imaginary Racism. Islamophobia and Guilt. Darin demaskiert er die Allianz der europäischen Linken mit den rechten Islamisten und spricht hiernach von »Islamo-Leftism« als Ideologie des »Rassismus der Antirassisten«. Anders als viele deutsche Journalisten, die sich in den Dienst des links-grünen Narrativs zur »Gleichschaltung von unten« (s. Anhang I, unten) stellen, schreiben Le-Monde-Journalisten (vgl. oben, Nach Europa) aufklärerische Bücher und lassen es sich nicht verbieten, von der Gefahr einer »Islamisation« schon in ihrem Buch-Titel Inch'Allah: l'islamisation à visage découvert (Paris, Fayard 2018) zu sprechen. Es handelt sich um die Le-Monde-Chefreporter Gérard Davet und Fabrice Lhomme. Beide schreiben von einem Islam-Problem in Frankreich. Es gibt auch deutsche Aufklärer wie Siegfried Kohlhammer mit seinem Buch Die Feinde und Freunde des Islam (1996). Meine Unbequemen Gedanken laden zu einer solch offenen Diskussion »Beyond Left and Right« (so der Buchtitel von Anthony Giddens) und ohne Selbstzensur ein – im Diskurs, nicht im Narrativ, und nach den Oxford-Regeln der Debating Culture: »We agree to disagree, in respect«.

Berlin, im März 2019

Bassam Tibi

 

 

 

VORREDE (AKTUALISIERT UND ERWEITERT)

Über unbequeme Gedanken in Deutschland unter der Vorherrschaft des linksgrünen Narrativs und über »Das Gewerbe der Niedertracht« im Umgang mit Andersdenkenden

Der Begriff »unbequeme Gedanken«, der im Buchtitel als Charakterisierung dieser Sammlung meiner Basler Artikel 2016–2018 erscheint, ist, wie unten noch belegt wird, eine Anleihe bei meinem akademischen Lehrer Theodor W. Adorno, der 1933 Deutschland auf der Flucht zunächst ins Schweizer Exil verließ. Auch ich habe Deutschland, wenngleich unter völlig anderen Bedingungen – denn die Bundesrepublik ist, trotz der linksgrünen »Gleichschaltung von unten« (vgl. Anhang I), noch eine Demokratie –, nach meiner endgültigen Rückkehr aus Amerika Ende 2010 geistig wieder in Richtung Schweizer Exil verlassen. Dort habe ich die in diesem Band versammelten 30 Artikel in der Basler Zeitung (BaZ) zwischen 2016 und 2018 veröffentlicht. In Deutschland herrscht seit einigen Jahren eine die Demokratie erschütternde Gesinnungsdiktatur der Links-Rechts-Polarisierung, die den Bürgern dieses Landes vorschreibt, was sie zu denken haben. Hierbei wird die Artikulation von »unbequemen Gedanken« durch andersdenkende Menschen erstickt; dies ist der Grund meiner Flucht, denn ich will nicht zur »schweigenden Mehrheit« gehören. Schon in BaZ 1 unten steht: »Ich weigere mich zu schweigen.«

Als zweiten Begriff, der im Untertitel des Buches vorkommt, verwende ich »illegale Zuwanderung«. Im Zeitalter der »Tugendwächter und Gesinnungsdiktatoren« (vgl. BaZ-Artikel 27 unten) zeige ich, wie die Sprachpolizei in totalitärer Art und Weise solche Begriffe verbietet; wer sich nicht daran hält, läuft Gefahr, in den Prozess der linksgrünen, polarisierenden Schubladisierung zu geraten und in die rechte Schmuddelecke verwiesen zu werden. Wir müssen die Sprache, im Sinne der Verteidigung der Meinungsfreiheit, zurückerobern, und zwar nicht nur von der AfD, sondern auch von den linksgrünen Tabuzüchtern. Für eine legitime Verwendung des Begriffes »illegale Zuwanderung« berufe ich mich auf drei Argumente:

1. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat selbst den Begriff wertfrei benutzt; in den ARD-Nachrichten vom 14. Juni 2018 um 20 Uhr wird die Bundeskanzlerin mit folgendem Zitat eingeblendet: »Die illegale Migration ist eine große Herausforderung an die Europäische Union.« Obwohl ich nicht zu den Merkel-Fans gehöre, stimme ich ihr hierbei vorbehaltlos zu und verweise darauf, dass dieser Gegenstand ein zentraler Inhalt des vorliegenden Buches ist. Es ist angebracht, hier anzuführen, dass selbst das angeführte Merkel-Zitat Opfer der sprachpolizeilichen Zensur wurde. Bei der Wiederholung des Zitats in späteren Sendungen wurde das Adjektiv »illegal« wegredigiert. Diese Sprachzensur ist durch den globalen UN-Migrationspakt auch global geworden. In dem in Marrakesch am 10. Dezember 2018 verabschiedeten Text verschwindet nicht nur das Wort »illegal«, sondern auch der Sachverhalt selbst. Es ist dann nur die Rede von »irregulärer Migration«, gleichsam einer legalen Einwanderung.

2. Das zweite Argument ist ein Urteil des Europäischen Gerichtshofes, worüber die Zeitung Die Welt am 27. Juli 2017 berichtete. Vorab möchte ich den sprachlichen Unterschied zwischen Gedanken und Fakten hervorheben. Wenn Gedanken diskursiv sind, können sie in einer genuin politischen Kultur der Demokratie (Debating Culture) debattiert werden. Dagegen beziehen sich Fakten auf Realitäten, nicht auf Meinungen, stehen also nicht zur Debatte. In diesem Sinne bezieht sich der Begriff »illegale Zuwanderung« auf einen Fakt, nicht auf eine Meinung. Nun zum EuGH-Urteil: Im oben zitierten Welt-Bericht wird das Urteil so wiedergegeben: »Wer ohne Visum in ein EU-Land einreise, sei illegal unterwegs […], denn die EuGH-Richter sehen Grenz­öf­fnungen auf keinen Fall durch geltendes EU-Recht abgedeckt: Wenn eine Person ohne Visum in ein Land einreise, sei das ein illegales Überschreiten einer Grenze, so das Gericht.«

3. Meine »Seinslage« – um einen Begriff des Wissenssoziologen Karl Mannheim zu gebrauchen – legitimiert mich, vorurteilsfrei an den Gegenstand heranzugehen. Ich bin als Westasiate kein »weißer Mann«, selbst Migrant, sunnitisch-muslimischer Syrer und Flüchtling aus Damaskus, der den Reform-islamischen Enlightened Muslim Thought als Denkrichtung innerhalb des Islam vertritt (siehe dazu auch das Buch Islam and Democracy in the Middle East, Johns Hopkins University Press 2003, Kap. 24). Jeden Deutschen, der mit Schmutz versucht, mein Wirken mit Keulen zu kontaminieren, schlage ich zurück mit der Zitierung meines jüdischen Freundes Michael Wolffsohn. In seinem Welt-Artikel vom 4. Mai 2018 spricht er von den »Nachfahren von Hitler und Co.«, die propagandistisch unter anderem mit den Begriffen Rassismus und Islamophobie hantieren und Andersdenkende verfemen. Meine »Seinslage« veranlasst mich dazu, gleichermaßen gegen die rechte AfD (vgl. die Vorbemerkungen »Statt eines Nachworts« zu BaZ-Artikel 29) wie die linksgrünen Gesinnungsdiktatoren zu argumentieren. Meine Autorität ist der britische Kollege Anthony Giddens mit seinem Buch Beyond Left and Right.

In der unübertreffbar vergifteten politischen Kultur dieses Landes herrscht eine manichäische Polarisierung in Gut (links) und Böse (rechts). Ich erlaube mir hier, Max Weber und Thomas Mann zu zitieren, die bestreiten, dass aus Gutem immer Gutes hervorgeht.

Ehe ich in dieser Vorrede den Begriff »Gewerbe der Niedertracht« (geprägt vom Welt-Journalisten Jacques Schuster) ausführe, womit das Diffamieren Andersdenkender durch gutgläubige Moralisierung gemeint ist, möchte ich noch Folgendes anmerken:

In den Vorbemerkungen zum ersten Anhang dieser Neuausgabe zitiere ich das wertvolle Buch Fanatismus des Psychoanalytikers Peter Conzen, worin er auf der letzten Seite anführt, dass sich Fanatismus nicht nur bei »Hitlers Helfern«, sondern auch – entgegengesetzt – bei denen, die »Aufopferung altruistisch« predigen, beobachten lasse.

In dem einleitenden Text zu BaZ 29, unter der Überschrift »Statt eines Nachworts«, berufe ich mich auf den vernünftigen deutschen Philosophen Rüdiger Safranski und zitiere sein wertvolles Buch Romantik. Eine deutsche Affäre. Darin beklagt er das deutsch-romantische »Unbehagen an der Normalität«. Unter dem während der Merkel-Kanzlerschaft vorherrschenden linksgrünem Narrativ nimmt diese deutsche, realitätsfremde Romantik extreme, bisher kaum übertroffene Züge an. Dieser »Wirklichkeitsschwund« wird zum Bestandteil des dominierenden Narrativs, welches kein Diskurs ist. Eben weil ein Narrativ selbstherrlich eine »absolute Wahrheit« verkündet, ist es ein Dogma und kein Diskurs, der sich zur Debatte stellt. Noch hier, in dieser erweiterten Fassung zur Vorrede, möchte ich Safranskis Deutung des deutsch-romantischen Denkens als »Unbehagen an der Normalität« ergänzen. Als Muslim, dem dieses »Unbehagen« fremd ist, möchte ich als Ergänzung die islamische Schmähung eines falschen Denkens mit »djahl / Ignoranz« heranziehen und dies auf die deutsche Islam-Romantik beziehen. Mir liegt es fremd, das »Deutsche« zu essentialisieren, und deshalb führe ich bessere Zeiten an, als es deutsche, gelehrsame – also nicht Ideologie-beladene – Schriften über den Islam jenseits von »Islamophilie vs. Islamphobie« gab.

Zu den alten Zeiten bewundernswerter Gelehrsamkeit, als Ignaz Goldziher (1850–1921) in deutscher Sprache seine Muhammedanischen Studien veröffentlichte bzw. als Sir Hamilton Gibb und Maxime Rodinson sowie Bernard Lewis ihre wertvollen Bücher schrieben, gab es die Propaganda von »Islamophobie« bzw. Orientalismus nicht. Damals gehörten Basis-Informationen über den Islam zur Wissenschaft, nicht wie heute zu den »unbequemen Gedanken«, die im Rahmen von Selbstzensur tabuisiert werden. Heute ist die geistige Atmosphäre von dem Gezänk zwischen Freunden und Feinden des Islam (so der Buchtitel von Siegfried Kohlhammer) geprägt. Der Aufklärer Pascal Bruckner entlarvt den Vorwurf der Islamophobie als »imaginären Rassismus«, der ideologisch in einem eigenartigen Bündnis zwischen »Linken und Islamisten« gepflegt wird. Der bereits zitierte Aufruf des Londoner SoziologenAnthony Giddens in seinem Buchtitel Beyond Left and Right wird missachtet.

Zu meinen unbequemen, in den folgenden 30 BaZ-Essays enthaltenen Gedanken gehört der Aufruf zur Rückkehr der Vernunft in eine Entideologisierung der Debatte, um frei über die im Untertitel wiedergegebenen Themen dieses Buches »illegale Zuwanderung, Islamisierung und Denkfreiheit« – d.h. frei von djahl (vgl. oben) – zu informieren. Nochmals: Wir müssen die Sprache bei einer neuen Islam-Debatte sowohl von Rechts (AfD) als auch von Links (Linksgrüne) zurückerobern. Die anhaltend hohe Zahl islamischer Zuwanderer zwingt dazu, nicht nur vernunftgeleitet, ohne Ideologie, sondern auch gut informiert zu debattieren, um gute Lösungen zu finden. Sowohl die Freunde (Linksgrüne) als auch die Feinde des Islam (AfD) müssen sich den islamischen Vorwurf der djahl / Ignoranz gefallen lassen. Der dumme Spruch »Der Islam gehört zu Deutschland« gehört in die djahl-Kategorie. Der Islam ist nicht nur der Koran-Text, sondern auch eine vielfältig komplexe Realität. »Den« Islam gibt es nicht; nur ein europäischer Reform-Islam kann zu Europa gehören. Zu einer freien Islam-Debatte gehört die klare Position: Der politische Islam gehört nicht zu Deutschland. Dies ist der Titel des im Vorwort zur Neuausgabe zitierten Buches von Carsten Linnemann, zu dessen Co-Autoren ich gehöre.

Es liegt mir fern, meinen Lehrer, den unendlich großen Adorno, mit dem bescheidenen Ex-Bundeskanzler Helmut Kohl, der für mich im Gegensatz zu Helmut Schmidt kein großer Staatsmann war, gleichzusetzen. Dennoch mache ich hier eine berechtigte Anleihe bei Kohl. Als die deutsche Presse nach einem Skandal alles tat, ihn in seinen letzten Amtsjahren in den »Dreck« zu ziehen und zu entwürdigen, mied er zu Recht eine bestimmte Sorte von deutschen Journalisten, die als unanständige Meinungsmacher agieren. Von Kohl leihe ich mir den Satz, den er einer dieser niederträchtigen Personen vor TV-Kameras sagte, als diese angab, »ihn nur interviewen« zu wollen. Kohl schrie diesen Journalisten an: »Verschwinden Sie, gehen Sie mir aus dem Weg, Sie wollen nicht mit mir sprechen, Sie wollen nur diffamieren.« Diesen Satz habe ich im Kopf, wenn ich auf bestimmte deutsche Personen stoße, die versuchen, meine »unbequemen Gedanken« mit »Niedertracht« in den Schmutz zu ziehen.

Zu diesen »unbequemen Gedanken« gehört die Kritik an Angela Merkels Credo: »Der Islam gehört zu Deutschland« (vgl. hierzu meinen BaZ-Artikel, unten ungekürzt als Artikel 27 abgedruckt, sowie meinen Artikel in Tichys Einblick mit der Frage im Titel: Gehört der Islam zu Deutschland? [Heft 12/2018]). Diesen Gedanken unterstellen diese Personen Perfidie. Diejenigen, die Kritik formulieren, »wollen Deutschland Moslem-frei halten«, behaupten diese Personen. Den Kritikern illegaler Zuwanderung wird sogar »Fremdenfeindlichkeit und Unmenschlichkeit« unterstellt.

Nun komme ich auf den Begriff »Gewerbe der Niedertracht«, den ich – wie bereits angeführt – bei Jacques Schuster, dem leitenden Redakteur des Ressorts Außenpolitik der Welt, entleihe, um eine solche Geisteshaltung als »niederträchtig« einzuordnen. Als Schöpfer des Konzepts der Leitkultur und Vordenker eines europäischen Islam antworte ich auf Personen, die mich wegen meiner »unbequemen Gedanken« in die Schmuddelecke verweisen, durch die Zitation der oben angegebenen Worte von Kohl und Jacques Schuster. Das perfide Umgehen mit Andersdenkenden in einer politischen Kultur der »Gleichschaltung von unten«, die eine »schweigende Mehrheit» erzeugt (vgl. dazu Anhang I), ist ein »Gewerbe der Niedertracht«. In seinem Leitartikel vom 26. April 2018 kritisiert Schuster »große Teile der Politik und Publizistik«, die »Probleme in Deutschland zu lange verschwiegen« haben und ihre Widersacher mit Schmutz zu bewerfen pflegen; sie tun das in ihrem Selbstverständnis als »Tugendwächter«. Diese Personen verteufeln alle, »die Missstände beim Namen« nennen; sie tun dies zum »Zwecke moralischer Hinrichtung«, und darin besteht das »Gewerbe der Niedertracht«. Auf solche Verunglimpfungen antworte ich stets mit der oben zitierten Anleihe bei Helmut Kohl und verwende hierfür die von Jacques Schuster oben angegebene verwendete Einordnung.

Mit der soeben skizzierten Einstellung habe ich die in diesem Buch gesammelten 30 Artikel, die ich in den Jahren 2016 bis 2018 in der Basler Zeitung im Anschluss an ein großes Interview vom Juli 2016 veröffentlicht habe, geschrieben; sie enthalten »unbequeme Gedanken«: Nun zu dem Titel dieses Buches:

Als ein Mensch, der als syrischer Muslim in Damaskus 1944 zur Welt gekommen, islamisch erzogen und aufgewachsen ist und hiernach in Frankfurt 1962–1972 eine zweite Sozialisation durchlaufen hat und in den Jahren 1982–2010 in den USA (Harvard, Princeton, Berkeley, Cornell und Yale) eine weitere, dritte Sozialisation durchlief, bin ich in meinem hybriden Leben hunderten geistigen Autoritäten begegnet. Auch habe ich tausende Bücher in vier Sprachen gelesen, aber nichts und niemand hat mich in meiner intellektuellen Entwicklung so entscheidend beeinflusst wie Theodor W. Adorno und seine Bücher. Den Begriff »unbequeme Gedanken« – so der Titel dieses Buches – stammt eben von ihm.

In seinem Aufsatz Auf die Frage: Was ist deutsch? (Vortrag im Deutschlandfunk 1965, erschienen im selben Jahr in Liberal und 1969 bei Suhrkamp in Adornos Aufsatzsammlung Stichworte) spricht er von seiner Rückkehr nach Deutschland aus den USA, wohin er der totalitären NS-Herrschaft nach dem oben angeführten Zwischenaufenthalt in die Schweiz entfloh; seine Versöhnung mit Deutschland war jedoch weder bedingungslos noch vollständig. Auch in dieser Hinsicht hat er mich entscheidend beeinflusst, auch bei der Formulierung der hier zum Ausdruck gebrachten »unbequemen Gedanken«. Durch Adornos Kritische Theorie bin ich nicht nur religions- und islamkritisch, sondern auch ein Deutschland-Kritiker geworden.

Adorno hat immer die deutsche Tradition verabscheut, die »jede Abweichung gereizt zu ahnden« pflegt. In der hier beanstandeten deutschen gleichermaßen »rechten« als auch »linken« Tradition wird »die Äußerung unbequemer Gedanken« als »Abweichung« inkriminiert und entsprechend geahndet; beide sind deutsch. Die Entwürdigung Andersdenkender geschieht in einem »Pathos des Absoluten«. Hierdurch werden nicht nur »unbequeme Gedanken« verhindert. Denn hierbei entsteht eine »innere Zensurinstanz«, die das Denken »selbst verhindert«. In diesem Sinne lernte ich bei Adorno die Kritische Theorie als kritisches Denken. In meinem kulturell hybriden Leben war dieser Lernprozess bereichert durch die Lektüre Max Webers, einer der wichtigsten Säulen meiner Bildung.

Das zentrale Thema der folgenden Basler Texte ist die illegale Zuwanderung nach Deutschland seit der rechtswidrigen Öffnung der Grenzen infolge der Abschaffung aller Kontrollen, d.h. auch der rechtmäßigen Souveränität des Landes. Das ist keine Polemik, sondern Rechtsprechung auf höchster europäischer Ebene. Der Europäische Gerichtshof hat Mitte Juli 2017 das bereits oben zitierte Urteil gefällt, dass das Überschreiten der europäischen Grenzen ohne Visum und gültige Papiere »illegal« sei. Zu diesem zentralen Thema gehört komplementär der Topos der Denk- und Meinungsfreiheit, auch über diesen Gegenstand.

Ich selbst komme aus einem totalitären Staat, Syrien, wo es kein Recht gibt. In Deutschland habe ich gelernt, den Unterschied zwischen Legalität und Illegalität sowie die Vorzüge des Rechtsstaates zu schätzen. Legalität, d.h. nach Max Weber Rationalität und Berechenbarkeit, gilt als Wesensmerkmal der kulturellen Moderne, die weder mit »links« noch mit »rechts« etwas zu tun hat.

Angesichts der Ächtung des Schriftstellers Uwe Tellkamp – Autor des Suhrkamp-Romans »Der Turm« – allein deswegen, weil er es öffentlich wagte, »die illegale Massenzuwanderung« beim Namen zu nennen und zu kritisieren, frage ich mich als Syrer: In welchem Land lebe ich? Wenn die Ablehnung von Illegalität auf diese Weise geächtet wird, gibt es dann noch Vernunft in Deutschland?

Neben Adorno ist Hannah Arendt eine weitere jüdische Quelle des Einflusses auf mein Denken; ihr folge ich, wenn sie illegale Herrschaft als Totalitarismus, gleich ob rechts (NS-Faschismus) oder links (Kommunismus), kategorisiert. In diesem Sinne wehre ich mich generell gegen die Denkweise des Totalitarismus, die »unbequeme Gedanken« ächtet. Das ist ein »Gewerbe der Niedertracht« (Schuster).

Als ehemaliger Autor des Suhrkamp-Verlages empöre ich mich über diesen, der sich von seinem Autor Tellkamp distanziert. Tellkamp hat Suhrkamp immerhin Millioneneinnahmen durch den Bestseller-Roman »Der Turm« beschert; ich schäme mich fremd für Suhrkamp. Dies habe ich von meinem Schweizer Exil aus am 5. April 2018 in der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ) geäußert. Das ist ein Verrat an Adorno, dessen oben zitierte Aufsatzsammlung »Stichworte« bei Suhrkamp erschien, der nun widrig handelt. Zwischen 1973 und 1992 war ich zwanzig Jahre lang Suhrkamp-Autor mit 6 Bänden und zwei herausgegebenen Editionen. Ich distanziere mich im Gegenzug von Suhrkamp und stelle mich auf die Seite Tellkamps, der das Recht haben muss, seine »unbequemen Gedanken« ungestraft zu äußern. Deswegen und aus Solidarität habe ich die »Gemeinsame Erklärung 2018« unterschrieben. Ich wiederhole, was oben am Ende des Vorworts zur vorliegenden Neuausgabe steht: Eine genuin demokratische Debating Culture basiert auf den drei Normen 1) we agree 2) to disagree 3) with respect. Ich vermisse alle drei Tugenden einer demokratischen politischen Kultur in Deutschland, auch im Umgang mit Tellkamp. Man kann Andersdenkenden widersprechen, aber ohne Diffamierung und stets »mit Respekt«. Dies vermisse ich im Merkel-Deutschland.

Als Schüler jüdischer Überlebender der NS-Barbarei und als erster Muslim, der als Resnick Fellow for the Study of Antisemitism am Center for Advanced Holocaust Studies in Washington D.C. gewirkt hat, gehört zu meinen »unbequemen Gedanken« die Warnung vor dem mit den islamischen Migranten »zugewanderten Antisemitismus«. Dieser wird vom linksgrünen Narrativ vertuscht und als Israelkritik entsprechend kleingeredet. Der seit 2018 neue deutsche Außenminister Maas, in der alten Regierung bis 2017 Justizminister von – nach der NZZ (vom 13. April 2017) – »Deutschland als Zensurrepublik«, verkündete bei seinem ersten Besuch im Ausland, in Israel, ein zunächst sehr sympathisches Bekenntnis zum »Kampf gegen Antisemitismus«. Wenn dieser aber zum New Antisemitism (ein Begriff von Bernard Lewis, der im Mai 2018 im Alter von 101 Jahren gestorben ist; vgl. unten, BaZ-Artikel 29) aus Nahost schweigt, dann erweist sich sein verbal lautes Bekenntnis als wertlos. Ebenso wertlos war seine »vollmundig angekündigte« Zusicherung – so die Weltam Sonntag (WamS) vom 28. Januar 2018 im Artikel Strafbar aber geduldet –, wortwörtlich zitiert, »dass Polygamie in Deutschland keinen Platz finden darf«. Richtig ist, wie es im zitierten WamS-Artikel steht, dass der Fall eines syrischen Flüchtlings in Montabaur mit vier Frauen und 23 Kindern »kein Einzelfall ist« und dass auch in Berlin »der Anteil arabischer Männer mit Zweitfrauen bei 20 bis 30 Prozent« liegt. Wie glaubwürdig ist Maas, wenn er sich analog zur Polygamie über den Antisemitismus äußert?

Die hier artikulierten, von Selbstzensur freien »unbequemen Gedanken« haben mit der vom linksgrünen Narrativ unterstellten Anfeindung der Flüchtlinge nichts zu tun. Das ist eine böse Verfemung meiner Person – der ich selbst Flüchtling aus Syrien bin. Es geht primär um die Frage: »Wer verändert wen?«, das heißt um die Frage, ob die Zugewanderten europäische Werte als Hausordnung – ich meine damit die Leitkultur, vgl. mein BaZ-Artikel Nr. 10 unten – akzeptieren oder ob sie Polygamie und Antisemitismus u.a. im Namen der Anerkennung anderer Kulturen durchsetzen. Gelingt die Integration? Und wie?

Der international anerkannte und ebenso respektierte jüdische Publizist Walter Laqueur äußert sich hierüber in seinem Buch Die letzten Tage von Europa (2008) skeptisch. Nach Descartes sind methodischer Zweifel, Vermutung und Skepsis die Quelle rationalen Denkens. Damit jene ihn verfemende Linke keinen Erfolg haben, verweist Laqueur auf seine jüdische Biografie Ich war dreimal in meinem Leben ein Flüchtling, womit er diesen den Boden entzieht. Deswegen wehrt er sich gleich zu Beginn, »in die rechte Ecke gestellt« zu werden, wenn er folgende zwei »unbequemen Gedanken« äußert:

1) Muslime werden weiterhin Enklaven bilden und Integration verweigern. Islamische Hassprediger, so Laqueur ,belehren den islamischen Zuwanderer, sie seien den »Ungläubigen weit überlegen« und indoktrinieren sie mit der ihnen zugeschriebenen »Opferrolle«. Wahr ist jedoch, so Laqueur weiter, dass »ihre soziale und kulturelle Ghettoisierung oft freiwillig und hausgemacht« ist.

2) Mit der demografischen Expansion dieser Enklaven ist der »Niedergang Europas wohl unvermeidlich«. Dieser »Abstieg Europas ist bedauerlich und vielleicht lässt er sich bremsen, wenn nicht teilweise rückgängig machen«.

Einen solchen Versuch unternehme ich in den in diesem Buch enthaltenen BaZ-Artikeln Nr. 6 sowie Nr. 22 bis 26, aber auch in den im abschließenden Teil enthaltenen Texten. Erste Voraussetzung hierfür ist die Rückeroberung der Rede- und Denkfreiheit, um frei hierüber sprechen und schreiben zu können.

Lange vor Laqueur hat der Religionswissenschaftler John Kelsay in seinem Buch Islam and War (1993) im Rahmen der Erörterung der Frage, wer die Welt in Zukunft bestimmen wird, auf die islamische Zuwanderung mit diesen Worten hingewiesen: In Europa bilden sich im Rahmen der Zuwanderung »Islamic Communities as a sort of sectarian enclave […] in the West, but not of it.« (S. 118) Das ist eine vorsichtige Feststellung einer graduellen Islamisierung.

Nicht nur weil ich hier jüdische Autoritäten wie Adorno, Arendt und Bernard Lewis zitiere, sondern auch weil ich das Existenzrecht der Juden in Israel öffentlich anerkenne, bin ich Opfer von islamistischer und islamischer Diffamierung. Obwohl die von Mohammed A. T. al-Husni verfasste, autoritative Geschichte von Damaskus das Aschraf ([Aristokratie]-Haus) von Banu al-Tibi, der Familie, aus der ich stamme, als Institution erwähnt, aus der sich Kadis und Muftis der Stadt seit dem 13. Jahrhundert rekrutierten, verfemen mich die angeführten Kreise mit dem auf mehreren Ebenen widerlichen Vorwurf, »ein verdeckter Jude« zu sein. Ich lasse mich dennoch nicht beirren. 1994 habe ich mit Rabbiner Albert Friedlaender in der Londoner Westminster-Synagoge den jüdisch-islamischen Dialog gegründet; unter Forderung des britischen Juden mit deutschen Wurzeln Lord Weidenfeld trug ich im Jahr 2000 zum Cordoba-Trialog bei. Unter Muslimen, Juden und Christen war ich sieben Jahre später von 2007 bis 2010 am US-Memorial Holocaust Museum in Washington D.C. als Resnick Fellow for the Study of Antisemitism als ein Mitträger des Trialogs tätig. Hieraus ist das Buch Encountering the Stranger (2012) hervorgegangen. In meinem Beitrag darin plädiere ich für ein »rethinking Islamic tradition«, um Juden und Christen im Rahmen der Einführung eines Pluralismus der Religionen vom Status Gläubiger zweiter Klasse / Dhimmi zu befreien. Das muss auch in Deutschland geschehen, sonst gibt es keine Integration. Leider haben weder Kirchenväter noch Politiker den Mut, offen solche Forderungen zu stellen. Die Frage lautet: Welcher Islam für Europa? Es wird dem Problem nicht gerecht, undifferenziert wie Angela Merkel von dem Islam zu sprechen (vgl. unten, BaZ-Artikel 27).

Nach diesen Ausführungen, die der Einbettung der folgenden 30 Artikel aus der Basler Zeitung in die Struktur eines Buchs, das sich »Unbequeme Basler Gedanken« nennt, dienen sollen, stelle ich Fragen. Die erste hiervon betrifft die demokratische politische Kultur der Redefreiheit, die unser Grundgesetz in Artikel 5 gewährt. Der Fall Tellkamp von 2018, den ich bereits oben angeführt habe, veranlasst zum Zweifeln darüber, ob die Verfassungswirklichkeit in Deutschland in einem Merkel-Regime – begleitet von einer linksgrünen Deutungshoheit – in Einklang mit dieser steht. Im Anhang I unten nehme ich die Klage von Tilman Kuban darüber auf, dass Andersdenkende »eine Gleichschaltung erleben«, sowie die Erweiterung dieses Begriffs zu »Gleichschaltung von unten« der heute in Deutschland dominierenden politischen Kultur.

Ich möchte meine cartesianischen Zweifel sachlich demokratietheoretisch und ohne Polemik zum Ausdruck bringen. Eine Hilfe hierbei bietet mir die Bibel der Demokratie aus dem 19. Jahrhundert, nämlich John Stuart Mills On Liberty. Ich gestatte mir als Syrer, daraus zu zitieren. Ich bin in Damaskus im Jahr 1944, d.h. ein Jahr vor der Befreiung Deutschlands von der NS-Herrschaft (ich schreibe nicht Hitler-Diktatur, weil ich den Totalitarismus als Herrschaftsform nicht personifizieren will), außerhalb Europas geboren worden. Erwähnenswert ist der Kontext der deutschen Ausgabe dieses Werkes, die 1945 in Zürich erschien. Auf meinem Schreibtisch liegt diese deutsche, beim Züricher Pan-Verlag in Massenauflage erschienene Übersetzung von Adolf Grabowsky; sie gehörte zu den geistigen Säulen der Entnazifizierung Deutschlands. Meine zweite Frage lautet: Ist diese totalitäre »Tyrannei« als politische Kultur, gegen die sich John Stuart Mill im 19. Jahrhundert gewandt hat, überwunden worden? Lebt sie nicht doch fort im heutigen Deutschland?

In dem als Bibel der Demokratie geachteten Werk On Liberty denkt John Stuart Mill darüber nach, was Demokratie ist, und darüber, was ihr im Wege steht. Auf S. 134 der oben genannten Ausgabe definiert Mill

Demokratie als ein System, das »Freiheit des Denkens und Fühlens, unbedingte Freiheit der Meinung und Anschauung« gewährt.

Er fügt hinzu: »Keine Gesellschaft, in der diese Freiheiten nicht im Ganzen geachtet sind […], kann wahrhaft frei genannt werden«. Mill klagt die »Tyrannei der öffentlichen Meinung und Gesinnung« an und rechnet sie »ganz allgemein zu den Übeln, gegen welche die Gesellschaft auf der Hut sein muss«.

Meine in den folgenden 30 BaZ-Artikeln formulierten »unbequemen Gedanken« richten sich gegen diese Tyrannei, unter der ich im Merkel-Deutschland Tag für Tag lebe und an der ich sehr leide. Die Schweizer Basler Zeitung hat mir ein Forum geboten, um über Freiheit zu schreiben – woraus dieses Buch hervorging.

Freiheit kann gleichermaßen durch, erstens, Staatsgewalt und, zweitens, »Tyrannei der herrschenden Meinung« behindert werden. Was kann eine Demokratie gegen diese Gefahren für die Freiheit unternehmen? Die erste Gefahr lässt sich leichter als die zweite neutralisieren, nämlich durch rechtsstaatliche »Einschränkung der Staatsgewalt«. Das Individuum wird formalrechtlich gegen die »Tyrannei der herrschenden Meinung« dadurch geschützt, dass die »Äußerung unbequemer Gedanken« (Adorno) auch nach Mill nicht strafbar ist, aber der britische Demokratietheoretiker war schon im 19. Jahrhundert nicht so naiv wie manche heutigen europäische Politiker, die Verfassungsnorm und Verfassungswirklichkeit verwechseln und auf dieser Grundlage jede Beanstandung der eingeschränkten Meinungsfreiheit abweisen. Zwar sei in einer Demokratie keine strafrechtliche Ahndung von Meinungsäußerungen möglich, doch erkennt Mill »andere Mittel als bürgerliche Strafen«, um Menschen daran zu hindern, »unbequeme Gedanken« zum Ausdruck zu bringen. Und so ist es in Deutschland unter dem Merkel-Regime. Die heutige linksgrüne »Tyrannei der herrschenden Meinung« schränkt Grundrechte ein. Dennoch ist es in Deutschland besser als in Syrien. In Deutschland kann ich Bücher veröffentlichen, die zwar seit 2002 medial und in Fachzeitschriften total verschwiegen werden, aber ich sitze deshalb nicht im Gefängnis, was in Syrien meine Bestrafung wäre – in Kombination mit Folter.

Nun zur Struktur des vorliegenden Buches in seiner erweiterten Neuausgabe: Es versammelt ein Interview und 30 Artikel, die unzensiert zwischen 2016 und 2018 in der Basler Zeitung erschienen sind. Der BaZ-Artikel 30 ist mein Abschiedsartikel als BaZ-Autor und ist dieser Neuausgabe mit erläuternden Vorbemerkungen als Anhang I hinzugefügt worden. Darauf folgt Anhang II mit meiner Rede »Von Basel nach Leiden«, die ich als Dank für das Bassam-Tibi-Symposium der Law School der University of Leiden dort am 21. Februar 2019 gehalten habe. Weil ich es in meinem schriftstellerischen Leben nie geschafft habe, meine Texte an die redaktionelle Länge einer Zeitungsseite anzupassen, mussten fast alle meine Artikel nicht nur redigiert, sondern auch gekürzt werden. Hier jedoch liegen nun alle diese Artikel nicht nur ungekürzt vor, sondern auch teilweise aktualisiert. Tagespolitische Bezüge wurden jedoch entweder gestrichen oder angepasst. Die BaZ-Redigierung wurde beibehalten. Statt einer chronologischen Einordnung in der Reihenfolge des Erscheinens der Artikel habe ich es vorgezogen, die 30 Artikel in sieben thematische Schwerpunkte und Teile einzuordnen.

Nochmals: Die in diesem Buch abgedruckten BaZ-Artikel enthalten »unbequeme Gedanken«, die in Deutschland von Gesinnungsdiktatoren sozusagen als verfassungswidrig verfemt, de facto also verboten sind und geahndet werden. Ich höre sogleich den Widerspruch, das Grundgesetz erlaube ein solches Verbot nicht. Gegen diese Text-gläubige Naivität habe ich bereits John Stuart Mill On Liberty zitiert. Dieser Bezug erklärt auch, warum diese Artikel in der Schweiz, nicht in Deutschland veröffentlicht worden sind.

Ehe ich abschließe, noch dies: Im Kontext des Brechens aufgezwungener deutscher Tabus und meines Widerstands gegen die erzwungene Selbstzensur bin ich nur geistig und nicht wie Adorno und Horkheimer physisch in die Schweiz geflüchtet. Im Internet stößt man auf ein Urteil, wonach die Schweizer Presse heute für die Bundesrepublik die Funktion erfülle, die früher für die DDR das West-Fernsehen war. Für mich war die Basler Zeitung von 2016 bis Ende 2018 das Fenster zur Welt, weil ich dort Dutzende von Artikeln veröffentlicht habe, in denen ich demokratischen Widerstand leisten konnte gegen Deutschland, die Zensurrepublik – wie es die NZZ am 13. April 2017 formulierte. So lautet der Titel eines Artikels, den Eric Gujer als Chefredaktor der seit 1780 erscheinenden, auch und gerade für die Qualität ihrer Auslandsberichterstattung bekannten Neuen Zürcher Zeitung in der Schweiz über Deutschland veröffentlichte. Ich bestätige sein Urteil voll und ganz. Gujer klagt in besagtem Artikel darüber, dass die Deutschen – andere belehrend – »sich gern für die besten Europäer halten« und kritisiert den Gesetzentwurf des damaligen Justizministers Heiko Maas zum Netzwerkdurchsetzungsgesetz, der inzwischen geltendes Recht geworden ist. Darin wurde »weit übers Ziel hinaus« – als Moralwächter – geschossen.

Was ich in dem Interview vom 7. Juli 2016 und in den folgenden 30 Artikeln von 2016–2018 beklage, hat es in Deutschland schon vor 2015/2016 gegeben. Es war immer so, wenn auch in Grenzen, aber seit der sogenannten Flüchtlingskrise 2015/2016 und unter der medialen Herrschaft der linksgrünen Deutungshoheit eines Narrativs im »neuen Deutschland« (ich verwende diesen Titel bewusst) ist es dramatisch geworden. Unter Adenauer wurde der Prozess, den der Historiker Heinrich August Winkler »Verwestlichung Deutschlands« nannte, eingeleitet. Dies ist heute unterbrochen worden (vgl. unten, BaZ-Artikel 29). In der Basler Zeitung vom 26. August 2016 (vgl. unten, BaZ-Artikel 2) habe ich diese »unbequemen Gedanken« ausgesprochen: Es findet eine Veröstlichung Deutschlands unter der in der DDR sozialisierten Angela Merkel statt. Ebenfalls von der Schweiz aus, also in der NZZ vom 9. Februar 2018, schrieb die deutsche Publizistin Susanne Gaschke: »Deutschland leidet unter einer Zerrüttung der Diskussionskultur«. Das ist traurig, aber wahr.

Anstelle einer Einleitung zu den folgenden 30 Artikeln entschied ich mich dafür, das erwähnte Interview vom 7. Juli 2016, mit dem ich meine BaZ-Geschichte begonnen habe, gleich am Anfang zu platzieren. Das Interview hat Benedict Neff unter dem Titel Worüber Bassam Tibi spricht, will in Deutschland niemand hören veröffentlicht. Diese Formulierung spiegelt die Behandlung Andersdenkender in Deutschland wider. Das Interview war der Türöffner für 30 Artikel, die in den folgenden zwei Jahren erschienenen sind. Das war sozusagen eine Entlassung aus dem Gefängnis des mir aufgezwungenen Schweigens und der Zensur. Seit dem Irak-Krieg 2003 wurde ich in dieses Gefängnis eingepfercht; 2004 folgte ich einem Ruf an die Cornell University als A.D. White Professor und wanderte in die USA aus. Mit den folgenden 30 Artikeln kehrte ich als Autor in den deutschsprachigen Raum zurück.

Ich habe mich bei Christian Schön vom ibidem-Verlag sehr aufrichtig und bewundernd für den Mut zu bedanken, diese »unbequemen Gedanken« in einem Buch zu veröffentlichen. Diese Danksagung ist kein Ritual, keine Façon de parler, wie es auf Französisch heißt, sondern geradeheraus und von Herzen. Die beiden BaZ-Redakteure Benedict Neff, der 2017 zur NZZ gewechselt ist, und Erik Ebneter haben meine schriftstellerische Tätigkeit bei der BaZ redaktionell und menschlich vorzüglich betreut. Dank gilt auch dem BaZ-Chefredaktor Markus Somm und seinem Stellvertreter David Thommen, die meine Tätigkeit als Autor ihrer Zeitung auf allen Ebenen gefördert haben, ferner danke ich Martin Furrer für seine lektorierende Unterstützung und Erik Ebneter für seine hervorragende Betreuung und Koordination meiner Mitarbeit bei der BaZ. Mit dem Aufkauf der BaZ durch einen Pressekonzern im Jahr 2018 wurde diese BaZ-Redaktion ausgewechselt und ich als Autor verabschiedet – jedoch ehrenvoll, wie ich in den Vorbemerkungen zu Anhang I noch erläutere. Wichtig war und bleibt nicht zuletzt der Zuspruch meiner Frau Ulla, geborene Ursula Helwig, mit der ich seit 1976 innig verbunden und verheiratet bin; ihr gilt daher meine größte Dankbarkeit.

Ich hoffe auf geistesoffene Leser meiner »unbequemen Gedanken«. Zu den Highlights meines Lebens gehören die Begegnungen mit Ernst Bloch, dem Philosophen des Prinzips Hoffnung; ihm folge ich auch sonst – also auch in seiner Verteidigung des Vernunftdenkens der aristotelischen Linken im Islam seit Ibn Sina / Avicenna gegen die »Mufti-Welt« der schriftgläubigen Orthodoxie im Islam. Ich muss es als Muslim offen sagen: Was Freiheit anbelangt, sind »linksgrüne Tugendwächter« weit intoleranter als Muftis und Islamisten, die mein Leben bedrohen und die ich als Anhänger der islamischen Denkschule des Enlightened Muslim Thought von Avicenna und Averroës verabscheue.

In den vergangenen 21 Jahren, also seit der Veröffentlichung der Erstausgabe meines Buches Europa ohne Identität (1998), mit dem ich das Konzept einer Leitkultur eingeführt habe, bin ich mir im Einsatz für eine europäische – wohlgemerkt: nicht für eine deutsche – Leitkultur treu geblieben. Von diesem Buch erschien kurz danach eine niederländische Übersetzung unter dem Titel Europa zonder identiteit? Parallel zum Abschluss meiner Arbeiten an der vorliegenden Neuausgabe meiner Unbequemen Gedanken erschien mein niederländisches Buch Islamisme en islam (2019). Aus diesem Anlass wurde ich bei einer großen Feier am 21. Februar 2019 fünfstündig von der Law School der traditionsreichen Universität Leiden geehrt. Ich beeile mich gegen bestimmte deutsche Kritiker anzumerken, dass ich diese Fakten nicht als »Selbstlob« anführe, sondern als sachliche Information darüber, dass das Bassam-Tibi-Symposium der Universität Leiden in Anspielung auf dieses Buch so untertitelt wurde: »Leidener Unbequeme Gedanken«. Zu diesen »Leidener Unbequemen Gedanken« gehörte auch die von niederländischen Professoren und Studenten geäußerte Befürchtung, dass ein von Deutschland angeführtes Europa im Zeitalter von Völkerwanderungen aus der Welt des Islam weniger europäisch sein wird. Meine Dankesrede »Von Basel nach Leiden« ist diesem Buch als Anhang II hinzugefügt. Zudem lade ich meine Leser ein, die unbequemen Gedanken des französisch-jüdischen Philosophen Alain Finkielkraut über Merkel, die Deutschen und Deutschland (am Ende von Anhang I) aufgeschlossen zu lesen.

 

Verfasst in Göttingen, Berlin und Binz,

Dezember 2018 bis März 2019

Bassam Tibi

 

STATT EINER EINLEITUNG: DAS BAZ-INTERVIEW VOM 7. JULI 2016 ALS SPRUNGBRETT

Das folgende Interview erschien in der Basler Zeitung am 7. Juli 2016 unter dem Titel: »Diese Männer denken: Deutsche Frauen sind Schlampen« – Bassam Tibi: Worüber er spricht, will in Deutschland niemand hören: Judenhass der Araber, Sexismus und deutscher Extremismus. Tabus im Zeitalter islamischer Massenzuwanderung nach Europa

BAZ: Herr Tibi, Sie schrieben vor kurzem in der Bild-Zeitung: »Deutsche pendeln zwischen den Extremen: Fremdenfeindlichkeit oder Fremdeneuphorie. Es gibt kein Mittelmaß.« – Gibt es einen deutschen Hang zum Extremismus?

Bassam Tibi: Ich lebe seit 54 Jahren unter Deutschen und auf der Basis dieser Erfahrung glaube ich, ein Urteil fällen zu können. Ich beobachte, dass die Deutschen unausgeglichen sind. Entweder sie sind für etwas oder dagegen. Ein Mittelmaß gibt es nicht. Das sage aber nicht nur ich. Zwei deutsch-jüdische Philosophen haben dasselbe beobachtet. Helmuth Plessner schrieb, dass die Deutschen immer wieder »dem Zauber extremer Anschauungen verfallen«. Theodor W. Adorno spricht von einer deutschen Neigung, in einem »Pathos des Absoluten« jede »Abweichung« durch »unbequeme Gedanken« gereizt zu ahnden. Ich erlebe dies jeden Tag.

Diese Unausgeglichenheit mag ein Phänomen der Deutschen sein. Was aber ist der Grund dafür?

Georg Lukacs spricht von »Eigentümlichkeiten der geschichtlichen Entwicklungen Deutschlands«. Als England und Frankreich den Weg zur Nation gefunden haben, waren die Deutschen noch komplett verstritten: Sie hatten keine politische Kultur des demokratischen Debattierens und gaben sich der Kleinstaaterei hin. Die Art, wie Deutschland 1871 vereinigt wurde, ist nicht normal. Die Deutschen haben Identitätsprobleme seit dem 19. Jahrhundert, nicht erst durch die NS-Katastrophe von 1933.

Und welche Rolle spielt Hitler?

Hitler war kein Unfall, er war programmiert. Adorno schrieb: Wäre Hitler in Frankreich oder England aufgetaucht, man hätte ihn nur ausgelacht. In Deutschland wurde er bejubelt. Hitler war einer von Deutschlands Sonderwegen.

Auch die deutsche Flüchtlingspolitik stellen Sie in die Reihe dieser Sonderwege. Können Sie das erklären?