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Sexy Boss Romance in New York und der Karibik für Fans von Piper Rayne und April Dawson! »Bastard Millionaire – sanft berührt« ist Band 3 der »Sexy Millionairs«-Reihe von Boss-Romance Autorin Michelle Summers. Frisch vom College soll Physiotherapeutin Zoey eine Kollegin vertreten und deren Patienten übernehmen. Dazu gehört auch der schwerreiche CEO und Hotelmagnat Gabriel Wilsaw, der sich von den Folgen eines Unfalls erholt. Es bleibt nicht allein bei therapeutischen Massagen, denn schneller als es Zoey lieb ist, fühlt sie sich zu dem charismatischen Millionär hingezogen. Doch wie steht Gabriel zu ihr – und welche Rolle spielt seine Ex-Freundin Amanda noch in seinem Leben? Die Titel der Reihe sind heiß, sinnlich und unabhängig voneinander lesbar. »Die Seiten sind im Nu verflogen und am Ende hat es mich doch ziemlich berührt und ich habe mitgelitten mit Zoey.« ((Leserstimme auf Netgalley))
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© Piper Verlag GmbH, München 2020
Redaktion: Theresa Schmidt-Dendorfer
Covergestaltung: FAVORITBUERO, München
Covermotiv: Bilder unter Lizenzierung von Shutterstock.com genutzt
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Cover & Impressum
Prolog
1. Kapitel
2. Kapitel
3. Kapitel
4. Kapitel
5. Kapitel
6. Kapitel
7. Kapitel
8. Kapitel
9. Kapitel
10. Kapitel
11. Kapitel
12. Kapitel
13. Kapitel
14. Kapitel
15. Kapitel
16. Kapitel
17. Kapitel
18. Kapitel
19. Kapitel
20. Kapitel
21. Kapitel
22. Kapitel
23. Kapitel
24. Kapitel
25. Kapitel
26. Kapitel
27. Kapitel
28. Kapitel
29. Kapitel
30. Kapitel
31. Kapitel
32. Kapitel
33. Kapitel
34. Kapitel
GabrielVor drei Jahren …
Bennett war verrückt, aber das mochte ich an ihm.
Er wollte nicht einfach nur einen kleinen Hügel mit einem Kinderschlitten herunterrodeln. Er ging immer aufs Ganze, wie alle Wilsaw-Brüder. Etwas anderes hätte ich von ihm auch nicht erwartet. Wie oft dieser Kerl sich willentlich in solche Kamikaze-Aktionen gestürzt hatte, wusste ich nicht. Ich hatte aufgehört, mitzuzählen. Schon als Teenie war er jubelschreiend mit einem Bungeeseil von Brücken gesprungen. Ganz zu schweigen von heimlichen Autorennen oder seinem verrückten Versuch, sich für ein paar Millionen ins All schießen zu lassen.
»Der Hauptgipfel des Monte Rosa ist der höchste Punkt der Schweizer Alpen«, erklärte er eine Spur zu selbstgefällig und stieg in seinen dunkelblauen Snowboardanzug. »4634 Meter … Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen.«
Ich tat es und es schmeckte mir. Das war genau die richtige Herausforderung für mich!
»Bist du da schon mal runter?«, hakte ich nach, aber eigentlich kannte ich die Antwort längst.
»Klar doch. Sonst würde ich dir diese Piste nicht empfehlen. Bist ja noch Anfänger, großer Bruder. Aber du wirst das schon schaffen.« Gönnerhaft drückte er meine Schulter.
Natürlich würde ich das schaffen, deswegen war ich hier.
Ich war zwar nur für Luca, unseren Jüngsten, eingesprungen, denn Junior hatte kurzfristig abgesagt, weil es in einem der Labore seines Pharmakonzerns HQM einen herausragenden Durchbruch gegeben hatte, aber diese Chance hatte ich sofort ergriffen. Während der kleine Schlaukopf also einen Erfolg feierte, hatte ich endlich die Gelegenheit aus meinem Alltag in der Ariana-Chefetage rauszukommen. Ben war auch der Meinung, ich verbrächte zu viel Zeit im Büro und wir unternähmen zu selten etwas zusammen. Hier könne man perfekt bonden … Brolaub und so. Jetzt war ich also hier, in den Alpen.
Vor zwei Tagen noch hatte ich mich an einem der kleinen Berge ausprobiert. Ich hatte schließlich noch nie zuvor auf einem Snowboard gestanden. Aber wenn ich etwas anfing, brachte ich es auch zu Ende. Bereits gestern hatte ich mich deutlich gesteigert. Alles unter Bens Anleitung. Wir Wilsaws hatten stets steile Lernkurven.
»Gar nicht mal so übel, Bro«, hatte Ben gesagt. Und: »Die meisten Anfänger brauchen drei bis vier Tage, ehe sie nicht mehr wie Dominosteine einer nach dem anderen in den Schnee plumpsen. Da sieht man mal wieder, was ein guter Lehrer ausmacht.«
Klar, meine Fortschritte lagen einzig und allein an ihm und seinem großen Erfahrungsschatz, auf keinen Fall hatte es damit zu tun, dass ich mich in die Sache reingekniet hatte.
Außerdem war es ja nicht so, als wäre das mein erster Winterurlaub in den Schweizer Alpen gewesen. Schon als wir klein waren, hatten Mum und Dad uns hierher mitgeschleift. Ich zog eigentlich wärmere Orte vor, zum Beispiel unsere Familienvilla in Genua. Aber Skifahren hatte es mir durchaus angetan – und Snowboarden war jetzt die Steigerung.
Ich schlüpfte also in meinen Anzug und mit unseren Snowboards bewaffnet verließen wir das Hotel. Wir begaben uns ohne Umwege zu den Sesselliften. Es ging hoch, weit hinauf. Das war schon ziemlich geil. Unter unseren Füßen erstreckte sich eine atemberaubende Schneelandschaft.
»Du machst dir ja jetzt schon in die Hose«, ärgerte mich Ben und zwinkerte mir zu.
»Kein bisschen, Bro.« Ich brannte darauf, mich ins Abenteuer zu stürzen! Zugegeben, etwas Respekt hatte ich vor dem Gipfel – mehr nicht. Das nannte sich Überlebensinstinkt. Aber wir Wilaws waren Meister der Selbstbeherrschung. Schließlich lernten wir von klein auf, uns und unsere Umgebung zu kontrollieren. »Ich fahr die Piste, egal, wie ich unten ankomme.«
»Das ist die richtige Einstellung«, sagte Ben anerkennend und blickte zum Himmel auf, der fast gänzlich wolkenfrei war.
Wir kamen bei der Endstation an, stiegen aus, mussten aber noch ein Stück hochlaufen.
»Das Wetter ist einfach perfekt!«, meinte Ben schließlich, als wir am höchsten Punkt angekommen waren und schnallte sein Board an, ich tat es ihm gleich.
4634 Meter – kein Ding für mich!
Es musste der Übermut gewesen sein, der mich plötzlich überkam, gepaart mit dem Adrenalin, das in dieser Höhe nun wild durch meine Venen pumpte. In jedem Fall trat ich die Flucht nach vorne an.
»Wer zuletzt unten ist, bezahlt die Rechnung fürs Mittag«, rief ich und fuhr los. Einfach so! Ohne einen Blick zurückzuwerfen.
Es lief wie am Schnürchen, ich hatte die volle Kontrolle, auch wenn mich die Geschwindigkeit, mit der ich vorpreschte, etwas überraschte. Kein Vergleich zu den kleineren Pisten. Aber ich fing an, es in vollen Zügen zu genießen, verstand, warum Ben solch ein Snowboard-Junkie geworden war.
Ich hob mit dem Board ein wenig ab, landete wieder im Schnee, der rechts und links neben mir aufwallte und umherflog. Nur Fliegen war schöner.
»Das ist so geil, Mann!«, entwich es mir.
Ich lachte, ich hätte schon viel früher mit dem Snowboarden anfangen sollen. Der Rausch preschte wie eine riesige Welle über mich hinweg und riss mich, im wahrsten Sinne des Wortes, mit sich!
Ich blickte hinter mich, um zu sehen, wie nah Ben schon an mich herangekommen war, schließlich wollte ich die Wette gewinnen, ihm zeigen, was sein großer Bruder drauf hatte. Er hatte trotz meines Vorsprungs ganz schön aufgeholt!
Ben schien irgendetwas zu rufen, aber ich verstand ihn nicht.
In dem Moment geschah es.
Ich spürte, wie mich etwas aus dem Gleichgewicht riss, vermutlich nur eine leichte Unebenheit, die ich nicht bemerkt hatte, aber leicht hätte ausgleichen können. Doch jetzt riss es mich zur Seite. Ich versuchte noch, den Aufprall zu verhindern, indem ich mich mit aller Kraft in die Gegenrichtung warf, aber das beschleunigte mich nur.
Ich hörte meinen eigenen Atem, hörte meinen viel zu schnellen Herzschlag in den Ohren und erlebte alles um mich herum wie in Zeitlupe. Ich näherte mich dem Hang, verlor die Kontrolle, überschlug mich mehrmals. Ich spürte, wie der Schmerz zeitverzögert meinen Körper erfasste. Trotz des Helms bohrte er sich in meinen Schädel.
Mein Sturz endete so abrupt, wie er begonnen hatte, ich landete im Schnee, der mich weich empfing, ein wenig den Schmerz dämpfte.
»Gabriel!«, schrie jemand hinter mir aus Leibeskräften, aber ich konnte nicht antworten. Ich war wie gelähmt, innerlich und äußerlich.
Ich durfte nicht das Bewusstsein verlieren, aber ich spürte, wie es mir mit jeder Sekunde mehr und mehr entwich.
»Gab, sag doch etwas! Scheiße, Mann, sprich mit mir!« Ben hatte mich erreicht.
Ich wollte ihm sagen, alles sei okay. Aber das war es nicht. Schwärze drang in mich, überzog meine Augen …
ZoeyDrei Jahre später
»Miss Gilligan ist hier«, kündigte mich Miss Anderson, eine rundliche Frau mit einem altmodischen Häubchen auf dem Kopf, an. Mit dem Staubwedel in der Hand und der schneeweißen Spitzenschürze über ihrem Kleid, schien sie ein wenig aus der Zeit gefallen. Nicht nur sie, um genau zu sein.
Es war ein wenig eigenartig gewesen, sich durch dieses riesige Haus führen zu lassen, in dem alles, von den Dielen bis zum Treppengeländer, wie aus dem Frankreich des achtzehnten Jahrhunderts wirkte, obwohl wir uns im New York der Moderne befanden. Der Teppichläufer, die Wandverzierungen, die Schnörkel an den Türen. Als wäre ich mit dem Verlassen meines Wagens in einer früheren Epoche gelandet. Oder in einem Museum, aber nicht in einem Privatwohnsitz. Nur ein schwerreicher Exzentriker konnte hier leben, so viel war klar. Ich hingegen passte mit meinen bunten Haarsträhnen und meiner beachtlichen Sammlung von Ohrringen, die sich aneinanderreihten und zwar nur an einem Ohr, nicht hierher. Okay, das mit den Ohrringen war ein wenig zu sehr Neunziger, und somit war auch ich etwas aus der Zeit gefallen, aber eben nur etwas. Und die Neunziger feierten doch gerade ihr Comeback …
Im Grunde wäre es mir egal gewesen, wie irgendwelche Millionäre lebten. Es ging mich schließlich nichts an. Noch dazu war ich dank des Hangs meiner WG-Mitbewohnerin und guten Freundin Tanya zu Esoterik einiges gewöhnt, was schräge Einrichtungen anging. Sie liebte jede Art von Dekosteinen, magischen Kristallen und anderen Symbolen. Direkt über unserer Wohnungstür hing zum Beispiel ein Schutzstern, der alles Böse am Betreten unserer WG hindern sollte. Bis jetzt, das musste man fairerweise sagen, funktionierte der Stern prächtig. Wir waren bisher weder ausgeraubt noch entführt worden. Ich war mir sicher, auch ohne Schutzzauber wäre nichts dergleichen passiert, aber Tanya war eben Tanya.
Das hier war allerdings eine andere Nummer. Schutzsterne und Dekosteine mochten ihren Preis haben, hier allerdings handelte es sich ganz gewiss um unbezahlbare Unikate. Über dem Kamin fiel mir ein goldumrahmtes Gemälde einer, ich vermutete, Kirche auf. Die Farben wirkten alt und verblasst, und das Bild extrem teuer. Direkt darunter präsentierte sich ein tönernes Gefäß mit abgeblätterten Deko-Elementen. Auch sicher nicht billig.
Da ich die Woche über jeden Tag würde herkommen müssen, um mit dem Hausherrn zu trainieren, sah ich mich früher oder später eine der unbezahlbaren Vasen zu Boden schicken, die offen herumstanden und als eine Art Kunstschatz präsentiert wurden. Auf Sockeln, wie in einer Ausstellung.
Und wenn Callahan & Marcus für solche Fälle nicht versichert waren, würde Tanya mir die Karten legen müssen, denn ich schwamm nicht gerade im Geld. Eine Mingvase könnte ich jedenfalls in diesem und im nächsten Leben nicht ersetzen – und im übernächsten mutmaßlich auch nicht. Galt es als Arbeitsunfall, wenn man eine unersetzliche Antiquität zerstörte? Warum hatte mich Sam nicht vorgewarnt? Dann hätte ich das bei den Chefs erfragen können …
Es blieb mir wohl nur, penibel darauf zu achten, wo ich hintrat und um Himmels willen bloß keinen Sockel versehentlich anzustoßen. Am besten gar nichts erst anzufassen, außer dem Hausherrn. Aus beruflichen Gründen natürlich.
»Sir?«, fragte Miss Anderson und räusperte sich.
Erst da bemerkte ich die hochgewachsene Gestalt am Panoramafenster. Die zurückgezogenen Seidenvorhänge erlaubten einen Ausblick auf den Latourette Park. Der Mann hatte der Haushälterin und mir den Rücken zugewandt. Keine Ahnung wieso, doch es umgab ihn etwas Unnahbares, das ich sofort spürte und was mir einen kleinen Schauer den Rücken runterjagte. Weswegen ich meinen Blick lieber von seiner imposanten Gestalt zu den bunten Blättern schweifen ließ, die draußen fröhlich vor sich hin wirbelten.
Ich liebte den frühen Herbst, wenn die ersten Blätter fielen. Das hatte so etwas Beruhigendes an sich. Nur ein leckerer Eierlikör hätte dieselbe Wirkung auf mich. Den hätte ich jetzt gut gebrauchen können. Aber ich war im Dienst. Also blieben mir nur die Blätter.
»Miss Gilligan«, sagte die Hausdame noch einmal mit einem weiteren Räuspern, das wie das erste klang, aber einen Tick energischer rüberkam.
Ich fühlte mich ein wenig wie in diesen alten Kostümfilmen, in denen dem König die Ankunft seiner Gäste durch einen Ausrufer verkündet wurde. Das passte ja auch perfekt zum exzentrischen Mobiliar. »Lady Zoey Gilligan die Erste aus Brooklyn ist soeben eingetroffen, Euer Hoheit.«
Natürlich hatte Miss Anderson das nicht gesagt. In Wirklichkeit starrte sie den Hausherrn ungefähr genauso irritiert und zugleich ungeduldig an, wie ich es tat. Ich musste zugeben, dass er – oder viel mehr seine Rückenansicht – irgendwie in dieses Flair des Altmodischen und Vergangenem passte, strahlte er doch etwas Aristokratisches und Machtvolles aus, wie er so dastand, aufrecht, im edlen Anzug.
»Ich habe es gehört«, erklärte er, ohne sich umzudrehen. Irgendetwas da draußen schien seine Aufmerksamkeit zu fesseln.
Ich fragte mich, was es war, denn ich entdeckte dort draußen nichts außer bunten Blättern. Und gestutzten Hecken, die als Figuren getrimmt worden waren. Der Sonnenkönig ließ grüßen.
Ich schmunzelte. Schon als ich durch den Vorgarten gekommen war, hatte ich diese zu Figuren gestutzten Hecken bemerkt. Kurzzeitig hatte ich mich wie Alice im Wunderland gefühlt Sie reihten sich nahtlos ein in die Liste der Dinge, die diesen Ort zu etwas Außergewöhnlichem machten. Einer anderen Welt im Grunde.
Ganz ehrlich, ich mochte eigentlich keine Hausbesuche. Und dieser hier strapazierte meine Nerven … Ich stand hier wie bestellt und nicht abgeholt.
Aber ich hatte es Nick wohl kaum abschlagen können, die Urlaubsvertretung von Sam zu übernehmen. Nick war schließlich mein Boss und ich erst vor einigen Wochen eingestellt worden, nachdem ich endlich meinen DPT-Abschluss in der Tasche hatte. Vier Jahre College um den Bachelor zu bekommen und schließlich vier weitere lange Jahre, um den Doctor of Physical Therapy zu machen, ohne den ich nicht eigenständig hätte behandeln dürfen. Aber mein Leben lang nur die Behandlungspläne von anderen abarbeiten? Nein, das wäre nichts für mich. Auch wenn meine Qualifikation mich jetzt zu einem teureren Spaß für einen Arbeitgeber machte.
Vermutlich hätte ich deutlich länger nach einem Job suchen müssen, hätte sich Mum nicht für mich eingesetzt. Ihr Wort galt was bei Callahan & Marcus. Und natürlich auch der Umstand, dass ich zahlreiche Praktika bei ihnen gemacht hatte, man mich kannte und wusste, was ich drauf hatte, weswegen sie mich wohl auch auf die Reinkarnation von Louis XIV. losgelassen hatten. Zumindest wollte man mich auf ihn loslassen … Er schien daran immer noch kein Interesse zu haben und drehte mir weiter demonstrativ den Rücken zu.
War das normal für diese Art von Patienten? Die mit VIP-Status? Mum hatte ja schon oft durchklingen lassen, dass es in der Gemeinschaftspraxis von Callahan & Marcus den einen oder anderen VIP-Klienten gab. Während meiner Praktika war ich jedoch nie mit einem in Berührung gekommen. Schon aufregend, dass das jetzt anders war. Aber ein wenig sorgte ich mich auch. Man hörte ja immer wieder davon, wie solche Leute ihre Angestellten traktierten. Und der hier schien keine Ausnahme zu sein …
Langsam drehte der Mann im Anzug sich zu uns um und mir stockte der Atem, als sich unsere Blicke trafen.
Was für helle Augen! Sie wirkten wie Eiskristalle.
Ich konnte seinem Blick keine zwei Sekunden standhalten, weil er mich so forschend ansah, als wäre ich ein Fremdkörper.
Vielleicht projizierte ich auch, denn ehrlich gesagt fühlte ich mich absolut fehl am Platz, meine bunten Strähnen riefen in ihm womöglich auch noch die Assoziation wach, ich wäre ein Punk. Gut, die Tatsache, dass ich gerade meinen einseitigen Undercut nachwachsen ließ, verstärkte den Eindruck vermutlich. Dabei waren meine zuvor raspelkurzen Haare über meinem reichlich geschmückten Ohr inzwischen schon wieder einige Zentimeter lang, und meine restliche Mähne verdeckte den Undercut ohnehin großteils.
»Sie können gehen, Miss Anderson.«
Diese Stimme, wirklich sehr außergewöhnlich. Jedenfalls gab es nur wenige Männerstimmen, die in mir gleichzeitig Wohlgefühl und Fluchtreflex auslösten. Und ein eigentümliches Kribbeln in der Bauchregion. Ich gab es nur ungern zu, aber der Typ hatte was.
Die Haushälterin nickte mir sichtlich genervt zu und hatte es offenbar eilig, hier wegzukommen.
»Sie sind nicht Samantha«, stellte der Hausherr nüchtern fest, kaum dass Miss Anderson außer Reichweite war.
»Das war mir gar nicht aufgefallen«, murmelte ich.
»Bitte?«, fragt er energischer.
»Samantha ist in den Flitterwochen, Mr. Wilsaw«, entgegnete ich professionell. »Ich war davon ausgegangen, Mr. Callahan oder Samantha hätten Sie darüber informiert, dass ich sie vertreten würde.«
»Das haben sie«, sagte er nüchtern. »Sie können dann gehen.«
Ich fühlte mich wie eine Fliege, die gerade mit einer gelangweilten Handbewegung wegfegt worden war. »Aber ich bin doch gerade erst gekommen? Warum, wieso …?«, stotterte ich. Und ich hatte wegen dem Besuch hier lange im Stau gestanden. Das nur nebenbei. War nämlich gerade Nachmittag und somit Rush Hour, weil die meisten gerade Feierabend machten. Und viel wichtiger: Wie sollte ich das meinem Chef erklären?
»Sie sind nicht Samantha.«
Ich wei-heiß! »Ich arbeite auch für die Praxisgemeinschaft Callahan & Marcus. Ich wurde angewiesen, Samantha zu vertreten«, klärte ich ihn nochmals auf. Samantha und ich waren gute Kolleginnen, ich hatte Wilsaws Akte gelesen, wusste, welche Übungen sie mit ihm gemacht hatte. Ich war »gebrieft«, es gab keinen Grund, mich wegzuschicken. Warum tat er es also?
»Gehen Sie irgendwo einen Kaffee trinken, hier werden Sie nicht gebraucht.«
In meiner Naivität hielt ich das zuerst für einen Scherz. »Den Kaffee trinke ich in meiner Pause«, entgegnete ich also.
Doch seine Mundwinkel verzogen sich nicht im Ansatz zu einem Lächeln. Sein strenger Blick löste dennoch etwas in mir aus, das nicht nur negativ war. Denn da war plötzlich wieder dieses Kribbeln im Bauch …
»Ich meine es ernst, Miss …« Er musterte mich abschätzend und ich merkte, wie sein Blick an meinen pinken Strähnen hängen blieb. Der Ausdruck seiner Augen schrie förmlich: Punk! Oder was abgehobene schwerreiche Kerle wie er fälschlicherweise für Punks hielten. Ich war jedenfalls keiner, ich mochte es einfach nur bunt.
»Gilligan. Zoey Gilligan.«
»Miss Gilligan, ich kann Sie hier nicht brauchen. Ich trainiere ausschließlich mit Samantha.«
Ich wollte etwas erwidern, doch mir blieb nur der Mund offenstehen. Das konnte er doch nicht ernst meinen?
»Sie wissen ja, wo die Tür ist«, sagte er noch und wandte sich wieder dem Fenster zu.
Ich seufzte. Das Problem, dass mich Patienten nicht sofort akzeptierten, trat heute nicht zum ersten Mal auf, bereits zwei andere Patienten hatten auf die viel erfahrenere Samantha bestanden. Das wurde allmählich ermüdend. Ich konnte es ja auch verstehen. Zwischen Behandelnden und Behandelten entwickelte sich eine Art Vertrauensverhältnis. Und jede Störung dieser Basis wurde erst mal negativ aufgenommen. Aber die anderen hatten mich schließlich doch akzeptiert, und was Wilsaw anging, ich würde hier ja nur zwei Wochen aushelfen. Zehn Werktage mit Zoey Gilligan würde Mr. Wilsaw schon überleben. Welche Vorbehalte auch immer er hatte, ich war entschlossen, ihm zu beweisen, dass sie genau das waren: nichts weiter als Vorbehalte. Und meinem Chef wollte ich beweisen, dass es kein Fehler gewesen war, mich festanzustellen.
»Ich bin gut in meinem Job!«, sagte ich energisch.
»Wie bitte?«, hakte Wilsaw nach und seine hellen Augen musterten mich erneut. Sein Blick löste wieder ein Frösteln in mir aus, was eine Gänsehaut entlang meiner Arme nach sich zog und ein seltsames Prickeln, das nicht gänzlich unangenehm war.
»Ich bin gut in dem, was ich tue«, erklärte ich wieder und zwang mich, seinem eisigen Blick standzuhalten.
»Ich lasse mich nur von Samantha behandeln. Das ist nicht gegen Sie persönlich gerichtet. Ich hätte auch jede andere Physiotherapeutin abgelehnt. Und ich habe das auch Samantha mitgeteilt.«
Davon hatte sie mir nichts gesagt. Vermutlich, um mich nicht zu entmutigen. Genau genommen hatte sie von Wilsaw in den höchsten Tönen geschwärmt, er war definitiv einer ihrer Lieblingspatienten. Er sei sexy und humorvoll, locker und charmant. Ich fragte mich ernstlich, ob sie von einem anderen Wilsaw gesprochen hatte.
Der Typ vor mir war herablassend, destruktiv und stocksteif. Ja, er sah schon ziemlich gut aus, aber das allein …
Wenn ich richtig informiert war, gab es sogar drei von der Sorte. Einer schöner und reicher als der andere. Ich las allerdings nicht genügend Klatschpresse, um rund um das Leben dieser Hotelmagnaten informiert zu sein. Ich wusste, welchen Wilsaw ich hier vor mir hatte, an welcher Erkrankung er litt und wie ich die Symptome behandeln konnte, wenn er mich ließ. Mehr musste ich nicht wissen.
»Wenn Sie auf die Therapie mit mir verzichten, würde das für Ihre Muskulatur schlimme Folgen haben.« Das war ihm vielleicht nicht bewusst gewesen, mir dafür umso mehr.
Erst jetzt bemerkte ich den Stock, auf den er sich stützte. Ein goldener Knauf zierte ihn, eben ganz passend zum altmodischen Mobiliar.
»Ihre Übungen müssen regelmäßig gemacht werden«, erklärte ich ruhig. »Wenn Sie nicht mit mir arbeiten möchten, würde Sie das zurückwerfen«, fügte ich hinzu. »Und das wäre, bei allem Respekt, ziemlich dumm.«
Insbesondere wenn man Probleme mit der Beinmotorik hatte. Da war regelmäßiges medizinisches Training das A und O. Das musste er einfach einsehen.
Wilsaw musterte mich wieder. Diesmal erstaunt. Vermutlich war er es nicht gewohnt, dass jemand ihm widersprach oder so hartnäckig am Ball blieb.
»Sie sind sehr jung«, sagte er schließlich. Ah, er spielte die »Sie haben nicht genug Erfahrung«-Karte.
Ja, ich war jung, bunt, aber nicht unerfahren. Ich sah nicht aus wie sechsundzwanzig, sondern mehr wie Anfang zwanzig. Wie ich es hasste, wenn man mir deswegen nichts zutraute. Aber ich hatte mehr drauf, als die meisten dachten. »Wissen Sie denn überhaupt, was Sie da tun?«, hatte mich heute ernstlich ein Patient gefragt. »Nicht, dass Sie mir die Wirbelsäule verrenken!« Und: »Sie sind doch viel zu zart, für diesen Job braucht man eine gewisse Kraft, oder?«, hatte ein anderer gemeint.
»Ich sehe nur jung aus. Ich bin steinalt«, platzte es aus mir raus und ich nannte ihm mein Alter, was ihn wohl wirklich überraschte. Aber auch das war ich gewöhnt: Wenn ich im Supermarkt Alkohol kaufen wollte, musste ich ja auch häufig noch meinen Ausweis vorzeigen. »Ich habe das Studium und das DPT-Programm mit Bravur abgeschlossen. Geben Sie mir eine Chance und Sie werden sehen, dass ich weiß, was ich tue. Wenn Sie nicht zufrieden sind, können Sie mich ja immer noch aus Ihrem schönen Haus jagen.«
Bildete ich es mir nur ein oder umspielte da nun doch ein kleines Lächeln seine Lippen? Ja, das tat es tatsächlich. Okay, es war ein bisschen spöttisch. Aber es sah auch irgendwie sexy aus. In einer Hinsicht hatte Sam doch recht, was ihn anging. Er hatte was. Und es störte mich, dass ich so empfand, denn ich wollte einen Schnösel wie ihn nicht sexy finden!
»Also?«, fragte ich ungeduldig, aber darauf eingestellt, tatsächlich gleich das Weite suchen zu müssen.
Langsam nickte Wilsaw jedoch.
Zoey
Wilsaw starrte mich etwas verdrießlich an. Offensichtlich ärgerte es ihn etwas, dass ich ihn überzeugt hatte. Natürlich, er war jemand, der gerne den Ton angab und entschied, wo es lang ging. Aber natürlich war er intelligent genug, um zu verstehen, dass es das Vernünftigste war, mit mir zu arbeiten.
»Haben Sie die Schweigepflichtserklärung unterschrieben?«, fragte er etwas mürrisch, was mich fast aus dem Konzept brachte.
»Habe … ich. Ja … habe ich«, stammelte ich, Sam hatte mir eine Kopie derselben gegeben, die ich Wilsaw nun unterschrieben überreichte. Das Dokument hatte sein Anwalt aufgesetzt gehabt, auch Sam hatte es unterschreiben müssen. Obwohl das eigentlich nicht nötig war. Wie in jedem anderen medizinischen Beruf auch, war ich sowieso an die Schweigepflicht gebunden. Aber ein Kerl wie Wilsaw sicherte sich vermutlich lieber zehn Mal ab und hatte mindestens drei Anwälte hinter sich, für den Fall der Fälle. Da ich es mir nicht mit ihm verscherzen wollte und eh nicht über meine Patienten plauderte, nahm ich diese Sonderregelung hin.
»Also gut«, knurrte er widerwillig, nachdem er meine Unterschrift ausführlich studiert hatte, als wollte er sichergehen, keine Fälschung vor sich zu haben. Er ärgerte sich wahrscheinlich über sich selbst. Er wusste, dass es unvernünftig war, die Therapie so lange zu unterbrechen. Aber warum nur hatte er es überhaupt in Erwägung gezogen? Er nickte zu einer Seitentür, die ich zuvor nicht bemerkt hatte, weil sie sich kaum von der Wandvertäfelung abhob. »Das ist der Übungsraum.«
Klar, er hatte einen eigenen. Deswegen hatte ich ja auch keine tragbare Liege aus der Praxis mit zu diesem Termin schleppen müssen, wie Sam in seiner Akte vermerkt hatte. »Gut«, erwiderte ich also und folgte ihm.
Ich beobachtete seinen Gang genau. Er war fest und entschlossen. Doch sein Stock wackelte bei jedem Schritt ein wenig. Wilsaw öffnete mir die Tür.
»Machen Sie sich schon mal frei«, sagte ich und erschreckte mich über das neuerliche Prickeln in meinen Eingeweiden, das meine eigenen Worte ausgelöst hatten. Ich ging eilig an ihm vorbei in den Trainingsraum, der nicht viel kleiner war als der Salon. Ich erspähte eine Liege am Fenster, einen großen Medizinball und mehrere kleine, dazu Springseile an der Wand und sogar ein paar Haltegriffe zum Klettern direkt daneben. Auch eine Kletterleiter aus Holz prangte auf der anderen Seite. Weiter hinten gab es einen Vorhang, zum Umziehen wohl, sowie ein paar übereinander gestapelte Yogamatten.
Er war so gut ausgestattet wie einer unserer Räume, sah aber noch moderner und eleganter aus, wahrscheinlich eigens für ihn entworfen. Naja, Wilsaw konnte es sich leisten. Ich war mir sicher, in seinem Keller hatte er gewiss ein eigenes Fitnessstudio versteckt.
Ich schnappte mir das Desinfektionsspray aus meiner Umhängetasche, um die Liege zu säubern, merkte aber schnell, dass das nicht nötig war. Er hatte sein eigenes Spray, natürlich ein sehr hochwertiges, das ich nur vom Hörensagen kannte. Wir bestellten die Sprays in großen Mengen bei einer Firma, die uns Rabatt gewährte. Also gab es für die Angestellten von Callahan & Marcus immer nur »Spray Fit«. Ich steckte also mein Spray Fit wieder ein, um diese teure Marke namens Glow einmal selbst zu verwenden.
Aus dem Augenwinkel bekam ich mit, wie Wilsaw erst seinen Stock an die Kommode lehnte und darauf das Jackett ablegte. Dann glitt das Hemd an seinem leicht gebräunten Körper herab, sodass darunter ein muskulöses Kreuz zum Vorschein kam, das in ein Unterhemd gekleidet war.
Irritiert schaute ich zu dem Vorhang, den er offenbar nicht verwenden wollte. Andererseits würde ich ihn eh gleich anfassen müssen, was also sollte er verbergen?
Jetzt streckte er den Rücken durch, was die Proportionen seiner ausgeprägten Y-Figur nur noch mehr hervorhob. Oh ja, hier machte jemand regelmäßig Fitness, ohne Zweifel. Ich war ja selbst so ein Fitness-Freak, konnte ohne Work-Out nicht leben, weswegen ich wohl auch einem körperlich anspruchsvollen Job nachging.
Ich ertappte mich dabei, wie ich einen Augenblick zu lange zu ihm blickte. Gerade spannten sich die Muskeln seiner Oberarme an. Das sah schon nicht schlecht aus. Nein, der ganze Kerl war optisch ein Highlight, das musste man ihm trotz aller Widerborstigkeit lassen.
Langsam drehte er sich zu mir um. Seine Brustmuskeln und ein unverkennbares Sixpack schimmerten unter seinem Unterhemd durch. Jetzt fingerte er an seiner Hose herum, doch ich hob die Hand, denn völlig in Unterwäsche wollte ich ihn wirklich nicht sehen. Das wäre zu viel des Guten.
»Keine Sorge, ich habe meine Trainingsshorts immer drunter«, erklärte er amüsiert. »Müssen Sie die Liege nicht noch einsprühen? Samantha macht das jedenfalls immer.«
»Oh ja … Sie haben recht.« Peinlich. Hatte ich glatt aus den Augen verloren … Ich drehte mich rasch um und fing an die Liege einzusprühen und das Desinfektionsmittel mit einem Tuch zu verteilen, was mir wirklich recht war, denn in meinen Wangen prickelte es wie verrückt, und ich war sicher, sie glühten derweil wie überreife Tomaten. Das musste Gabriel Wilsaw nun wirklich nicht sehen. Sonst bildete er sich noch etwas ein – was er, bei genauerer Überlegung, sicher sowieso tat. Sam hatte mich ja vorgewarnt, und ich konnte es nur bestätigen: Er war sexy. Und er wusste es, zweifelsohne.
»Ich wäre dann soweit«, sagte er hinter mir. Sam hatte auch in anderer Hinsicht recht, seine Stimme klang wirklich verdammt sinnlich. Sie hatte mehr als einmal gesagt, wäre da nicht ihr Eric, sie hätte Gabriel längst verführt.
Sam war eine attraktive Frau, die bestens über ihre Wirkung auf Männer Bescheid wusste. Ich war so ziemlich das Gegenteil von ihr: klein, straßenköterbraune Haare statt aufregend hellblond, oben rum fehlte mir, wovon ich am Hintern auch zu wenig hatte. »Klappergestell« nannte mich mein nerviger Bruder Rory deswegen. Tanya hingegen fand, dass ich wie eine zu kurzgeratene Bohnenstange aussah. Und dann waren da ja noch meine bunten Strähnen, die auch nicht gerade konventionell waren. Aber das war mir eigentlich egal, ich musste niemanden beeindrucken. Mein Leben als Single war gut, wie es war. Es gefiel mir so, auch wenn mein Umfeld mir das aus irgendeinem Grund nicht glauben wollte. Vielleicht weil alle ein wenig hinterwäldlerisch waren und annahmen, nur ein Mann mache eine Frau komplett?
Ich musterte Wilsaw wieder. Ob Sam ihn wirklich herumgekriegt hätte, wenn sie es drauf angelegt hätte? Der Kerl konnte jede Frau haben, da war ich mir sicher.
»Auch soweit«, sagte ich und atmete tief durch.
Wilsaw warf mir einen undefinierbaren Blick zu, dann bewegte er sich kraftvoll auf die Liege zu. Instinktiv erwartete ich einen athletischen Sprung hinauf, sodass er elegant zum Sitzen kam, stattdessen drehte er sich langsam um, damit er sein Gesäß mit den Armen auf die Liege hieven konnte.
Ich hatte für einen Augenblick völlig vergessen, dass sich dieser Mann eben nicht bewegen konnte, wie es für sein Alter üblich war. Seine imposante Erscheinung hatte mich über diesen Umstand erfolgreich hinweggetäuscht.
Ich wusste es eigentlich besser, ich hatte seine Akte gelesen. Sportunfall beim Snowboarden, gefolgt von Koma, Wachkoma und Zustand minimalen Bewusstseins. Hatte sich ganz schön übel gelesen. Zum Glück war er wieder aufgewacht, ohne kognitive Einschränkungen davongetragen zu haben. Zurückbehalten hatte er jedoch ein motorisches Problem mit den Beinen, weswegen ich hier war.
Ich wusste noch, dass mich seine Geschichte im ersten Moment ziemlich geschockt hatte. Zumal er ja nun auch nicht so alt war mit Ende dreißig. Wir hatten in der Praxis Patienten die doppelt so alt und weniger vom Schicksal gebeutelt waren.
»Können Sie sich auf den Bauch legen?«, fragte ich und Wilsaw legte sich hin, das Gesicht in das ausgepolsterte Loch der Liege.
»Ich massiere Sie ein wenig, bevor wir mit den Übungen beginnen«, erklärte ich mein Vorgehen, schob sein Unterhemd hoch und rieb mir die Hände mit meinem mitgebrachten Lieblingspflegeöl ein, ehe ich meine Finger über seine Schultern gleiten ließ. Langsam und vorsichtig tastete ich den Bereich an seiner oberen Wirbelsäule ab.
»Sie haben ziemlich viele Verspannungen«, stellte ich fest und machte mich daran, die Knötchen zu lockern. Er stöhnte leise, als ich mich einer besonders ausgeprägten Verhärtung an seinem rechten Schulterblatt widmete.
»Wenn Sie meinen Job hätten, hätten Sie die auch.«
»Da haben Sie vermutlich recht.« Ich lachte leise und knetete weiter, diese warme weiche Haut, die sich unbeschreiblich gut unter meinen Händen anfühlte. Hatte er also doch ein wenig Humor. »Aber wären Sie nicht CEO der Hotelkette Ariana, könnten Sie sich diese interessante antike Einrichtung hier vermutlich nicht leisten.« Ich fragte mich, ob die restlichen Räume auch so aussahen.
Er lachte etwas selbstgefällig. »Alle Achtung, Sie haben Ihre Hausaufgaben gemacht und mich gegoogelt.«
»Nein, hab ich nicht.« Das hätte ich ziemlich schräg gefunden. »Sam hat mir das gesagt, dass Sie CEO sind. Die berufliche Situation gehört schließlich zu jeder professionellen Anamnese.« Nimm das, Mr. Selbstgefälliger Boss.
»Verstehe. Und meine Einrichtung gefällt Ihnen nicht?« Ich hörte ein Grinsen aus seinen Worten.
»Das habe ich nicht gesagt!«, beeilte ich mich zu widersprechen. Ich war ja dank Tanya einiges gewöhnt, was schräge Einrichtungen anging. Außerdem wollte ich ja nicht gleich in ein weiteres Fettnäpfchen treten, so kurz nachdem er mich als Physio akzeptiert hatte.
»Aber?«
»Es muss nur Ihnen gefallen.«
Er zischte plötzlich.
»Oh, wieder eine Verspannung. Das haben wir gleich, keine Sorge«, versicherte ich ihm, kannte ich doch alle Tricks und Kniffe, um schmerzende Stellen sanft aufzuweichen. Man brauchte nur ein bisschen Fingerspitzengefühl sowie ein Verständnis dafür, wie sich Körperfasern strukturierten. Und tatsächlich wurde die betreffende Stelle schon nach kurzer Zeit weicher und weicher.
Seine Haut fühlte sich wirklich gut an, angenehm warm, darunter spürte ich jeden Muskel. Ich arbeitete mich seine Wirbelsäule herunter und genoss das Gefühl seiner Haut an meinen Fingerspitzen viel zu sehr. Aber Gott sei Dank konnte er das ja nicht wissen.
»Hier ist alles gut«, erzählte ich ihm, denn irgendwie hatte ich das Gefühl, jeden Handgriff genau erklären zu müssen, aber ich hörte nur ein zufriedenes Seufzen, das tief und männlich klang.
Hatte ich es doch gewusst, mit meiner Massagetechnik überzeugte ich jeden.
Das Öl glitt wie flüssiges Gold über seine Haut, brachte sie zum Glänzen. Jetzt erinnerte er mich an einen Bodybuilder, der sich vor Wettbewerben kräftig eingeölt hatte. Doch das Pflegeöl zog schneller ein und hinterließ letztlich nur weiche Haut und einen angenehm sinnlichen Geruch. »Jetzt einmal umdrehen, bitte.«
Er folgte meiner Aufforderung und ich sah an dem Lächeln auf seinen Lippen, das er wohl doch recht zufrieden mit meiner Arbeit war.
»Ich schaue mir jetzt Ihre Beine an. Lassen Sie sie einfach locker, ja?«
»Sicher.«
Ich lief zum anderen Ende der Liege und griff mit beiden Händen nach seinem rechten Unterschenkel, um ihn aufzustellen. »Locker lassen«, erinnerte ich ihn, denn ich spürte einen leichten Muskelwiderstand.
»Lockerer geht es nicht«, sagte er ernst.
»Verstehe.« Da hatten wir wohl schon das erste Problem. Der Beinmuskel schien unter permanenter Anspannung zu stehen, kein Wunder, dass das immer wieder zu Krämpfen führte.
Es überraschte mich eher, dass er seine Beine bei diesem Muskeltonus überhaupt bewegen konnte, ohne vor Schmerz aufzuschreien.
Ich beschloss noch einen Test zu machen, indem ich sein Bein los ließ und mir ansah, wie lange er es in dieser angewinkelten Stellung halten konnte. Es funktionierte recht gut. Erst als ich es in die Ausgangsposition zurückbeförderte, zischte er auf.
»Oh! Tut mir leid! Ich wollte Ihnen nicht wehtun.« Ich fürchtete, er würde mich gleich wieder rauswerfen wollen. Offenbar waren meine Hände doch nicht ganz so magisch, wie ich es gehofft hatte.
»Nicht schlimm«, sagte er stattdessen, ich sah jedoch an seiner verbissenen Miene, dass er gerade »starker Mann« spielte, obwohl das vor mir doch gar nicht nötig war.
»Ist das immer so? Mit dem Bein, meine ich. Schmerzt es immer, wenn Sie eine Weile eine Position beibehalten?«
»Meistens. Deswegen stehe ich auch lieber als zu sitzen. Nur im gestreckten Zustand tritt es nicht auf.«
»Bei beiden Beinen ist es gleich?«
Er nickte.
Das bedeutete für unsere Übungen, dass ich seine Beine möglichst schnell wieder hinlegen musste, viele Pausen waren sicher auch nötig.
Mir war klar, dass die Beschwerden nicht wirklich im Muskelapparat lagen, sondern falsche Signale im zerebralen Bereich entstanden, was auf seine Verletzungen in der Kopfregion und das anschließende Koma zurückzuführen war. Dagegen konnten wir hier nichts tun. Doch ich konnte ihm helfen, seine Muskeln an diese wiederkehrenden Abläufe zu gewöhnen, vielleicht war es sogar möglich, sie durch einen entsprechend starken Muskelaufbau abzumildern. Gabriel Wilsaw trainierte zweifelsohne viel und das nicht nur medizinisch, aber möglicherweise setzte er die falschen Prioritäten.
Im Vergleich zu seinem sehr muskulösen Oberkörper, waren seine Beine verhältnismäßig schmal, was mich vermuten ließ, dass er diese weit weniger forderte. Sicherlich, weil das Training mit Schmerzen verbunden war.
Vielleicht fielen mir jedoch ein paar Übungen ein, die er dennoch machen konnte, ohne dass es zu unangenehm für ihn wurde. Ich ging gerade in Gedanken ein paar Seiten meines Lieblingsfachbuchs durch, als plötzlich etwas in seiner Hose bimmelte.
Ungläubig beobachtete ich, wie seine Hand in die Tasche seiner Shorts glitt und er sein Smartphone hervorzog. Ehrlich jetzt? Mussten diese Dinger heutzutage überall mit hin? Selbst auf die Übungsliege? Und konnten die Leute ihre kleinen Nervtöter nicht mal für dreißig Minuten ausgeschaltet lassen? Ich bekam das ja auch hin.
»Ich muss da ran.« Er erhob sich, das Mobiltelefon schon am Ohr.
»Wir sind noch nicht fertig«, sagte ich energisch, denn für seine Muskulatur war das Folter!
Er deckte mit einer Hand das Handy ab. »Wir machen morgen weiter.« Dann stand er einfach auf. Was sollte ich machen? Ich konnte ihn schlecht an die Liege fesseln, obwohl mir die Vorstellung irgendwie gefiel. Ich fühlte mich damit dennoch nicht gut, eine Behandlung nicht abgeschlossen zu haben.
Immerhin wollte er mich morgen wiedersehen, was wohl bedeutete, dass ich in seinen Augen doch kein totaler Reinfall war. Aber so konnte ich ihn wirklich nicht entlassen.
»Geben Sie mir fünf Minuten!«, bat ich mit Nachdruck.
Überrascht drehte er sich zu mir um. »Bitte was?«
»Ihre Muskeln wurden gefordert, ich muss sie wieder etwas entspannen, sonst schlägt die Behandlung nicht nur fehl, es könnte auch schmerzhaft für Sie werden!«
Zu meiner Erleichterung nickte er und vertröstete den Anrufer mit dem Versprechen, gleich zurückzurufen.
»Fünf Minuten!«, betonte er und legte sich wieder auf die Liege.
Ich fing an, seine Waden sanft zu massieren und übte dabei so wenig Druck aus wie möglich. Die Muskelanspannung sollte nachlassen, was zum Glück geschah, ich merkte aber auch, unter welchem Druck Wilsaw nach dem Anruf stand. »Sie haben wirklich einen stressigen Job, das wirkt sich auf den ganzen Körper aus.«
Er seufzte. »Leider nicht zu ändern. Ich leite nun mal ein Weltunternehmen.«
»Von nichts kommt nichts«, pflegte Mum in solchen Situationen zu sagen. Aber wenn der Job die Gesundheit ruinierte, musste man Grenzen setzen.
»Sind Sie dann fertig?«
Ich tastete beide Waden noch mal ab, gefolgt von den Oberschenkeln und war zufrieden. So konnte ich meinen prominenten Patienten guten Gewissens wieder auf die Welt loslassen.
»Fertig«, bestätigte ich also.
»Na also.« Er stieg vorsichtig von der Liege.
»Sie werden den Unterschied heute Abend merken«, versprach ich ihm.
Aber er hatte schon wieder sein Handy in der Hand.
Ich wusch mir die Hände am eingebauten Waschbecken und sammelte meinen Kram ein. Viel war es nicht, da er ja eh alles hier hatte.
Ich wollte mich verabschieden, aber Mr. Wilsaw war längst auf und davon, irgendwo verschwunden in dieser riesigen Villa, um seinen Anruf nachzuholen.
»Bis morgen dann«, murmelte ich ins Nichts und verließ unbehelligt das Haus.
Draußen stolperte ich einer hochgewachsenen Blondine in die Arme, die ich im ersten Augenblick für Sam hielt. Die Ähnlichkeit war wirklich verblüffend, allerdings verriet ihr irritierter Blick, dass sie nichts mit mir anzufangen wusste und daher nicht Sam sein konnte, die ja jetzt eigentlich auch mit ihrem Mann Eric am Strand liegen sollte.
Etwas blitzte in den Augen der Frau vor mir, was mich zurückweichen ließ.
»Wer sind Sie?«, fuhr sie mich plötzlich an. »Was haben Sie hier zu suchen?«
»Ich … mein Name ist …«, stammelte ich perplex. Sie sah aus, als wollte sie mir jede Sekunde an die Gurgel springen. So etwas hatte ich noch nie außerhalb eines Films gesehen. »Gilligan. Zoey Gilligan.«
Sie atmete so tief ein, dass ich fürchtete, die Knöpfe ihrer pinken Bluse könnten jede Sekunde aufspringen, weil sich ihr Busen wie zwei Ballons auf Helium aufblähte. Dann jedoch entdeckte die Blondine die Aufschrift von Callahan & Marcus an meiner Tasche. Sofort verschwand dieser mordlüsterne Ausdruck in ihrem Gesicht, sie nickte mir sogar freundlich zu.
»Bin … die Therapeutin von …« Ich deutete mit dem Daumen hinter mich.
»Schon gut. Eine Verwechslung. Ich hielt Sie für jemand anderes …« Jetzt strahlte sie plötzlich mit dem Sonnenschein um die Wette. Doch es schien mir vor allem Verlegenheit zu sein. Sie hatte mich schließlich gefragt, wer ich sei – das tat man ja wohl kaum, wenn man jemanden verwechselte. Eine überaus merkwürdige, geradezu explosive Frau. »Wo ist denn Sam?«, fragte sie scheinbar ungezwungen.
»Flitterwochen. Ich vertrete sie solange.«
»Ah ja, richtig.«
Ich hatte inzwischen den Eindruck, dass meine Vertretung von Sam entweder unzureichend kommuniziert oder von allen Beteiligten als solche Nebensächlichkeit abgetan worden war, dass diese kleine Info ins eine Ohr rein und ins andere wieder rausgegangen war. Kein Wunder, Leute, die in dieser Siedlung lebten, hatten täglich mit so vielen Menschen zu tun, dass sie sich schlicht nicht jede unbedeutende Person merken konnten.
»Und danach kommt Sam wieder?«
Ich nickte und beobachtete, wie Blondie scharf ausatmete, als wäre ihr dieser Umstand gar nicht recht.
Bildete ich es mir nur ein, oder hatte diese Frau mich im ersten Moment für so eine Art Liebchen gehalten? Und Sam obendrein auch? Sicher ging nur die Fantasie mit mir durch. Aber dieser Blick …
»Und Sie sind …?«, fragte ich vorsichtig, denn ich ging davon aus, in den nächsten Tagen öfter mit diesem Paradiesvögelchen zu tun zu haben.
»Verzeihen Sie, ich bin offenbar heute ein wenig durcheinander. Amanda Dubois, eine … Bekannte von Gabriel.«
Ah, eine Bekannte also, die dennoch so eifersüchtig wie eine Furie reagierte? Da wollte aber jemand mehr sein als nur eine »Bekannte«.
»Sehr erfreut«, sagte ich so freundlich wie möglich. Ich wollte auf keinen Fall auf eine weitere Mine treten.
Ende der Leseprobe