Batavia Deutschland - Ingrid Messing - E-Book

Batavia Deutschland E-Book

Ingrid Messing

0,0

Beschreibung

Doris geht in ihre Kindheitserinnerungen hinein. Sie recherchiert über Vater und Mutter in Archiven sowie Verwandtschaftskoffern. Sie kommt zu überraschenden Erkenntnissen.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 130

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhaltsverzeichnis

TÜREN

AUFTRAG

FRAGEN

ERGEBNISSE?

HERTA

GEORG

DIETER

GENERALMAJOR

MONIKA

KEES

TÜREN

GLOSSAR

TÜREN

Die Eingangstür ihres Hauses knallte vor ihr zu. Von innen zugeschlagen. Aber es war doch niemand drin. Doris war es, als würde der Knall ihren Brustkorb nach innen drücken. Ihr Körper wollte nicht mehr in Bewegung übergehen. Tür zu. Sie starrte. Die Tür wurde größer, bedrohlich, endgültig.

Sie sah auf ihre glänzenden schwarzen Lackschuhe, ihre weißen Kniestrümpfe. Sie strich über ihr Dirndlkleid von Tanta Klara aus München. Sie fasste noch im Knall nach Vatis Hand, sah dann zu ihm hinauf. Noch lächelte er um den Mund. Nicht um die Augen. Sie ließ ihn los und wartete, bis er nicht mehr um den Mund lächelte, bis er sich umdrehte. Sie fasste seine Hand. Er sah nach unten. Sie auch. Sie zählte leise die Platten bis zum Gartentor, dann die Buchsbaumbüsche, weil Vati so langsam ging. Vati sagte nichts. Mutti am Auto sagte auch nichts. Wieder einmal. Man fuhr zusammen weiter. Zu anderen Holländern. Dahin, wo es mit Sicherheit koffie met appelgebak gab.

Doris fixierte die Tür. Ihre Haustür. Durchzug musste die Ursache gewesen sein. Sie dröselte den Zweit-Haustürschlüssel aus dem Geäst der dichten Zuckerfichte neben der Tür und schloss ihr Haus auf. Niemand da. Nur sie. Ein Windzug kam von der hinteren Terrassentür herein. Die Trekking-Sandalen an ihren Füßen hinterließen Schmutzabdrücke auf dem schwarzen, glänzenden Steinfußboden. Ihr Haus sah ganz anders aus als die Häuser damals. Diese weißen Burgen mit hohen ovalen Eingangspforten, den langen Plattenwegen, den Büschen rechts und links neben dem Weg, den schmiede eisernen Gartentoren. Es gab keine Erinnerung an die Momente vor dem Knall, nur an das lange lange Schweigen der Eltern danach.

Erzähl doch mal, Mutti, von früher, von Batavia, sagte Doris.

Deine Batavia oder mein Batavia? fragte Herta.

Meine Batavia, da weiß ich wirklich alles. Sie kam immer sofort zu mir, wenn ich Batavia gerufen habe. Der Schwanz steil nach oben, so tänzelte sie auf mich zu und schnurrte um meine Beine.

Ja, sagte Herta, ich zeig dir die Fotos von meinem Batavia.

Doris hatte die Fotos schon 100-Mal gesehen. Sie hatte alle neun Fotos schon 900-Mal gesehen. Aber vielleicht erfahre ich heute mal was Neues über Batavia, dachte sie. Herta kam mit ihrem Lieblingsfoto ins Wohnzimmer zurück. Das Kind unterm blühenden Flamboyant-Baum, nannte es Doris insgeheim. Herta legte das Kind auf den Couchtisch: Herta, 17-jährig, Kranz um den Kopf, um älter auszusehen, sehr klein, schrecklich schlank, langer Rock, helle Bluse.

Dass du deine Katze Batavia genannt hast, ist klar, sagte Herta, wir haben wohl immer von Batavia geredet. Einmal hast du zu mir gesagt, ich gehe mit Batavia nach Batavia. Ich habe dir erklärt, du willst zu unserem Batavia, das gibt es nur in der Vergangenheit. Und du hast zu deiner Batavia gesagt, komm, dann gehen wir eben in die Vergangenheit und bist losgezogen Richtung Wald, Batavia hinter dir her.

Ja, ich weiß es noch, sagte Doris.

Herta holte die anderen acht Fotos.

Guck hier, sagte Herta, dein Onkel Jeroen im Tropenanzug mit Helm. – Hier Malayen mit Sarongs und Kabajas. – Gut schmecken die Durians an diesem Marktstand hier. Aber zu Hause auf den Schrank legen und vergessen …

Das stinkt so abscheulich, der Geruch geht nie wieder weg, wiederholte Doris Hertas zum x-ten Mal erklärenden Worte.

Die Durians, die du mir mitbringst, schmecken und riechen nicht besonders, sagte Herta.

Monika jetzt –, sagte Doris.

Warte, erst noch hier die Rikschas und die Ochsenkarren mit den Reissäcken, sagte Herta, und jetzt deine Tante Hanna mit Monika, die gerade ihre erste Brille bekommen hat.

Monika sah schon als Kind aus wie Monika immer aussah, dachte Doris: groß, massig, linkisch, aber intelligente, warme Augen hinter der damals hässlichen runden Brille und den unvermeidlichen Zöpfen.

Hier bin ich im Bett unterm Moskitonetz, sagte Herta.

Auf der Kabok-Plantage in Buitenzorg, 290 Meter hoch, verhältnismäßig kühl in der Nacht, sagte Doris, ich weiß; ich weiß auch – Doris sah ihre Mutter an – dass es so viele Männer ohne Frauen gab in Batavia, und du hast keinen abgekriegt.

So kann man das nicht ausdrücken, seufzte Herta, es war eben nicht der Richtige dabei.

Dann wäre ich jetzt schon erwachsen: ein bisschen braun wie Barbara, aber hoffentlich nicht braun mit roten Haaren wie Saskia, sagte Doris.

Ein Eingeborener oder ein Halbblut – undenkbar, sagte Herta, ein deutscher Mann hat mal bei Jeroen und Hanna sein Interesse für mich bekundet, aber ich wollte meinen Beruf ausüben. Beruf und Ehe war nicht denkbar.

Und nach dem Krieg, als es keine Männer gab, da hast du sofort einen gefunden, sagte Doris. Nicht zu fassen!

Wir hatten Batavia zusammen, auch wenn wir uns dort nie begegnet sind.

Doris nimmt das Kind unter dem Flamboyant-Baum auf. Das Flammendrot der Blüten tauchte kurz auf dem Schwarzweiß-Foto auf, der Haarkranz ihrer Mutter verschwamm zu einem Pelz um den Kopf.

Mama, erzähl doch mal von deiner Abfahrt in Genua nach Batavia, sagte Doris.

Das habe ich doch schon öfters erzählt, sagte Herta.

Ist so schön, sagte Doris, noch einmal, bitte!

Dieses Kind vom Foto hat’s gebracht, dachte Doris, Aufbruch mit 17. Doris würde auch gern mit 17 irgendwie so einen Aufbruch hinlegen wollen: ohne Antibiotika, ohne Malariamittel in die Tropen. Aber den Vater nie wiedersehen …?

Komm raus in den Garten, sagte Doris. Die Sonne schien eigentlich zu warm. Keinen Schatten gab es im Garten. Aber Herta wich doch einer heißen Sonne sowieso nie aus. Doris strebte zur Hollywood-Schaukel, zog die Schuhe aus, stützte ihren Rücken gegen die Seitenlehne des Doppelsitzes, hob ihre Beine und streckte sie über das warme Sitzkissen. Sie schaute den großen Basaltstein an, auf dem sie als Kind ganz früher immer ganz weit weggefahren war. Herta saß hinter Doris’ Rücken übers Eck auf dem harten Gartenstuhl.

Erzähl, sagte Doris, 17 Jahr’, Genua – Batavia!

Doris blinzelte, bis ihr schließlich die Augen zufielen und das Kinogefühl mit der Großleinwand da war: Herta, 17 Jahre, dunkle glatte Haare, nicht zum Kranz um den Kopf drapiert, sondern frei flatternd im Wind. Wind bewegt das große weiße Männertaschentuch vom kleinen Mann weit weg am Kai. Wind fasst ihren hellen Luftrock, sie ergreift die Reling des Ozeanriesen, muss mit beiden Händen zupacken, kann nicht winken. Hertas Vater. Schwarzer Rauch, das dritte Tuten, der Dampfer atmet tief. Vater. Stocksteif ohne Hut mit dem zu großen Taschentuch. Wasser blau zwischen ihnen, Mittelmeerwasser, Salzwasser noch nicht ganz, das Salz würde mehr werden, wochenlang Salzwasser, Salzwasser und Wellen am Strand von Java. Hertas Vater würde nicht weinen, er hat nie geweint, nicht beim Tod von Hertas Mutter, nicht beim Tod von Hertas erster Stiefmutter. Nachher würde er auf denselben Gleisen wieder zurückfahren. Mathilde würde die Pflege der zweiten Stiefmutter übernehmen, Ziegen und Hühner versorgen, Brote streichen und verteilen. Mathilde würde das besser können. Die Planken zittern, das Männertaschentuch wird zusammengefaltet. Hertas Hand hebt sich nicht. Sie dreht sich von der Reling weg, Batavia zu: Ba-ta-vi-a. Durch den Suezkanal. Sechs Wochen Schifffahrt. Holländisch lernen, perfekt. Sie würde den Mund besser spitzen, tiefer im Rachen gurgeln. Alles hat sie Jeroen zu verdanken, Hanna auch, doch das Geld kommt von Jeroen. Sie würden alle in Buitenzorg in den Bergen über Batavia wohnen. Tropenjahre zählen doppelt, hat Jeroen gesagt. Zuhausejahre zählen gar nicht. Ein Esser weniger. In den Kolonien gibt’s enorme Zulagen, hat Jeroen gesagt. Durch den Rauch, durch das Tuten hindurch, mit dem Stampfen der Maschinen mit nach vorn. Sie würde die zukünftigen Kinder von Hanna und Jeroen versorgen, sodass die beiden ausgehen könnten, jeden Abend, wenn sie wollten. Herta hält sich nicht fest, sieht nicht zurück aufs italienische Festland, der blaue Luftrock zieht sie nach Batavia, Java. 17 Jahre alt.

Doris sah den Nachspann:

– Batavia mit Herta Stegmann, 17 Jahre –

– Schnitt: Doris Röder, 16 Jahre –

Sie hörte Herta seufzen, hörte, wie sie sich erhob und durch die dunkle Terrassentür wieder ins Haus ging.

Vater hatte lange vergeblich an der Eingangstür gerüttelt. Ich will raus, hustete er. Doris hakte sich bei ihm unter, zog ihn leicht von der Tür weg.

Du Spion, zischte er sie an.

Seine Hände zuckten, streckten sich, umfassten ihren Hals. Sie spannte die Halsmuskeln, zog mit ihrer ganzen Kraft die Hände von ihrem Hals weg. Er erschlaffte ganz plötzlich in den Armen, ließ sie mit vorgebeugten Schultern nach unten hängen, sah auf einen Punkt weit hinter ihr.

Ich will hier raus, flüsterte er.

Doris keuchte: Komm mit ins Wohnzimmer, Vati.

Sie kreiste mit ihrem Kopf vor seinem um seinen Blick zu fangen. Der Blick auf den Punkt hinter ihr blieb. Doris fasste seine Hand, er ließ sich den Flur entlang führen.

Herta kam aus der Küche.

Lass mich nicht allein, flüsterte sie, es kann doch jederzeit wieder losgehen.

Was kann wieder losgehen?, fragte Georg. Seine Augen trafen Hertas Augen, dann Doris’ Augen. Wovon redet ihr?

Doris dachte: Nicht blinzeln, ich muss ihn hier halten. Mit ihm sprechen. Wovon? Wovon? Vom Würgen? Vom Spion? Vom Türrütteln? Ja, ich halte ihn.

Vati, warum sagst du zu mir: Du Spion?

Vaters Augen zogen sich zurück in seine Welt. Er war hier gewesen. Er konnte wiederkommen. Oder auch nicht. Doris straffte die Halsmuskeln erneut.

Georg Röder blieb in seiner Welt bis zu seinem Tod.

AUFTRAG

Doris hatte an alles gedacht. Die Ferienhäuschen in der Eifel gebucht. Einen Memory-Zettel nach dem anderen an die Verwandtschaft geschrieben: Bitte bringt genügend Torten mit. Um das Fleisch kümmert sich Dieter. Ein großer Grill fehlt noch. Wer bringt jetzt genau was mit?

Doris hatte aus alten Familienfotos Dias machen lassen, ihre gesamten Diavorräte durchstöbert und 180 Dias zum 90. Geburtstag ihrer Mutter zusammengestellt. Die Dias hatte sie in die Diaschienen gesteckt, chronologisch, 90 Jahre.

Doris stellte sich an den Rand der großen grünen Mulde im Ferienpark und sah hinunter auf den von vielen Verwandtschaftshänden hergerichteten Festplatz. Neun Tische in Hufeisenform, der große Grill in Reichweite, mit Holzkohle ausgelegt. In der Mitte der runde Tisch mit den Torten. Bunt gesprenkelte Servietten lagen ausgefaltet auf den Holztischen. Knallrote Girlanden spannten sich straff zwischen den neu gepflanzten Birken rund um den Festplatz. An der Schaukelstange funkelte die Zahl 90 in der Sonne. Kaffeemaschinen glucksten in den Ferienhäuschen hinter Doris. Sie zog ihren geliebten Kakaoduft durch ihren weit geöffneten Mund ein. Monika balancierte eine Sahnetorte Richtung Tortentisch.

Stühle, Geschirr, Besteck mitbringen!, schrie Dieter.

Es klappt, dachte Doris, alle haben Torten und Salate mitgebracht, sogar die Würstchen für den Grill sind da.

Die Holzkohle glühte aus.

Will noch jemand ein Kotelett?, fragte Doris, es sind auch noch Speckläppchen da.

Finger schnellten hoch. Hier, hier, hier! Die letzte Sonne ließ noch einmal alle braun gebrannt erscheinen. Monika verteilte die Plastikbecher, Dieter ging mit der Kognakflasche hinterher.

Danke, kein Alkohol, sagte die Jubilarin.

Traubensaft für Oma, orderte Doris.

Für die Jugendlichen wäre Traubensaft auch besser, sagte Herta.

Aber Oma!

Kichern, erste leichte Jäckchen um fröstelnde Schultern. Kinder, die in der noch aufleuchtenden Holzkohle stocherten, Platzwechsel an den Tischen. Stehgruppen, die sich immer wieder neu formierten. Einige Hochs auf Herta.

Oma, erzähl was aus deinem Leben!

Mein Batavia, setzte Herta an.

Hast du Opa geliebt?

Beim 90. solche Fragen, dachte Doris.

Batavia-Dias gibt’s an der Hauswand von Ferienhaus 2, sagte Doris schnell.

Herta richtete sich kerzengerade auf, räusperte sich: Ich hatte Verantwortung zu übernehmen – ihre Stimme klar, kein Alterstimbre – drei Kinder waren zu versorgen, und es war nicht einfach, akzeptiert zu werden. Ich habe mich getraut.

Doris hakte die Lehne ihres Stuhls unter, hob ihn hoch und setzte einen Schritt in Richtung Hauswand.

Wissen wir, aber hast du Opa geliebt?

Niemand machte Anstalten um aufzustehen. Herta faltete die Hände, drückte noch einmal den Rücken durch und sprach in Richtung des Fragenden:

Liebe, was ist schon Liebe? Verantwortung, das ist es!

Die Sonne war jetzt verschwunden, der Himmel zeigte noch einzelne helle Stellen. Die Girlanden gingen ins Dunkelrote hinüber. Die Zahl 90 war nicht mehr zu sehen.

Alle starrten Oma an. Münder öffneten sich, schlossen sich. Dieter hielt den Kopf schräg.

Herta erhob sich mühelos: Aber ich habe alle Kinder gleich lieb gehabt, ich habe nie einen Unterschied zwischen Stiefkindern und eigenem Kind gemacht.

Doris fror, nicht nur den Rücken hinunter, überall da, wo Haut war.

Dieter lehnte sich zurück, seine Augen wurden zu Schlitzen. Doris setzte sich auf ihren Stuhl, senkte den Kopf. Die anderen schwiegen, sahen vor sich hin. Ihre Konturen verloren sich im fehlenden Licht. Kleinkinder schmiegten sich an ihre Mütter. Die größeren rannten zur Schaukel. Irgendjemand packte Teelichter aus seiner Tasche, zündete sie an. Oma thronte auf ihrem Feststuhl.

Auf ihrem zweiten Feststuhl vor der Hauswand von Ferienhäuschen 2 war sie eingeschlafen. Beim 181. Dia.

Bitte noch mal Batavia, mein Haus, da, wo ich schon Lehrerin war, hatte sie verlangt.

Batavia leuchtete mit der weißen Villa an der Wand, mit der Korbsesselgarnitur auf der Veranda, den hohen gefiederten Palmen rund ums Haus, den Aloen und Rosen in Tongefäßen überall. Herta hatte gelächelt, dann nickte ihr Kopf ihrer Brust zu. Sie lächelte im Schlaf.

Die anderen waren in den verschiedenen Ferienhäuschen ins Bett gegangen. Dieter setzte sich aufrecht mit dem Rücken zur Hauswand. Sein Schatten fiel riesengroß ins Bild. Doris stützte die Ellbogen auf ihre Knie, grub die Fäuste unter ihre Wangenknochen und sah Dieter an.

Dieter ruckte mit dem Kopf nach links, blickte über seine schlafende Oma an Doris vorbei:

Die Frage ist doch die: Warum lässt ein verheirateter Mann mit drei Kindern Anfang 1939 seine Familie in Berlin zurück, um wieder nach Niederländisch-Indien zu gehen?

Ich habe ihn nie gefragt, sagte Doris.

Er hat doch immer so viel von früher erzählt.

Darüber hat er nie gesprochen.

Weiß deine Mutter es nicht?

Doris sah auf ihre schlafende Mutter: Nein!

Was denkst du? Dieter sah ihr in die Augen.

Doris nahm die Palmen von Batavia in ihr Blickfeld.

Er wollte dem Krieg, der schon in der Luft lag, ausweichen; er hatte vielleicht Vorahnungen; er kannte doch Hitler vom 1. Weltkrieg her, sagte sie.

Er hätte doch seine Familie mitnehmen können!

Es war üblich, dass die Familie erst nach ein, zwei Jahren nachkam.

Dieter stand auf, sein Schatten wurde größer: Meine Mutter weiß nichts davon, dass sie nachkommen sollten.

Du willst auf das Spionagegerücht hinaus, sagte Doris.

Gerücht oder nicht, das will ich wissen! Find die Wahrheit heraus!

Ich?

Ja, du. War dein Vater ein Nazi? Hat er für die Nazis in Niederländisch-Indien spioniert?

Ich?

Du willst es auch wissen, sagte Dieter.

Doris saß regungslos da.

Es gibt Archive; es gibt Menschen, die etwas wissen, sicher. Es gibt Briefe, sicher auch Materialien in der Familie. Denk dran, auch immer den Geldflüssen zu folgen, sagte Dieter.

Doris atmete flach. Muschelrauschen dröhnte in ihren Ohren. Sie wollte aufstehen, ihre Mutter ins Bett bringen, aber es ging nicht.

Geldflüsse, hauchte sie.

Meine Mutter hat erzählt – Dieter setzte sich – ihr Vater hatte in Berlin 1938 ein steifes Bein von einem Verkehrs unfall. Steifes Bein und keine Arbeit. Und plötzlich wurde sein steifes Knie in einem speziellen Krankenhaus behandelt, und er konnte wieder gehen. Und im Krieg gab’s monatliche hohe Überweisungen von irgendwoher.

Doris horchte auf. Sie hatte nichts von einem steifen Knie gewusst. Undenkbar, ihr Vater mit einem steifen Knie. Ein Gang, den andere Kinder nachgeäfft hätten. Vati und sie hatten jedes Jahr im Wald Himbeeren gepflückt, sie waren zusammen auf jeden Jägerstand gestiegen, sie waren ins tiefe Mispertal hinuntergestiegen, über den Bach balanciert. Ihr Vater hatte ihr das Schwimmen beigebracht, das Schifahren. Während die Väter anderer Kinder immer auf der Couch lagen. Ein steifes Knie, ein Makel! Er! Nein!

Ich will wissen, was du herausfindest, sagte Dieter.