Battle Mage - Kampf der Magier - Peter A. Flannery - E-Book
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Battle Mage - Kampf der Magier E-Book

Peter A. Flannery

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Beschreibung

Die Welt steht am Abgrund, denn die übermächtige Armee der Besessenen überrennt ein Königreich nach dem anderen. Die Einzigen, die sie aufhalten können, sind die Kampfmagier auf ihren majestätischen Drachen. Doch das Bündnis zwischen Drachen und Menschen ist schwach geworden. Zu wenige Drachen antworten noch auf den Ruf der Magier, und die meisten von ihnen sind schwarz. Und jedes Kind weiß, dass schwarze Drachen gefährlich sind. Schwarze Drachen sind verrückt. Falco Dantes Vater, ein tapferer Kampfmagier, fiel selbst dem Wahnsinn einer solchen Kreatur zum Opfer, und sein Verlust hat Falcos ganzes Leben geprägt. Als die Armee der Besessenen auf seine Heimat zumarschiert, trifft Falco eine folgenschwere Entscheidung: Er wird in die Fußstapfen seines Vaters treten ...

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Das Buch

Die Sieben Königreiche von Grimm stehen am Abgrund, denn eine übermächtige Armee von Besessenen – Kriegern die weder Furcht noch Schmerz kennen – überrennt ein Land nach dem anderen. Die Einzigen, die sie aufhalten können, sind die Kampfmagier auf ihren majestätischen Drachen. Doch das Bündnis zwischen Drachen und Menschen ist schwach geworden. Zu wenige Drachen antworten noch auf den Ruf der Magier, und die meisten von ihnen sind schwarz. Und jedes Kind weiß, dass schwarze Drachen gefährlich sind. Schwarze Drachen sind verrückt. Falco Dantes Vater, ein tapferer Kampfmagier, fiel selbst dem Wahnsinn einer solchen Kreatur zum Opfer, und sein Verlust hat Falcos ganzes Leben geprägt. Als die Armee der Besessenen auf seine Heimat zumarschiert, trifft Falco eine folgenschwere Entscheidung: Er wird in die Fußstapfen seines Vaters treten …

Der Autor

Peter A. Flannery studierte Kunst und Design und arbeitete nach dem College in der Forstwirtschaft. Nach einem Arbeitsunfall war er im Gartenbau und für die Spielzeugindustrie tätig, um schließlich als Autor für Target Games UK zu schreiben. Heute widmet er sich ganz dem Schreiben seiner Romane und lebt mit seiner Familie in einem idyllischen Dorf in Schottland.

PETER A. FLANNERY

BATTLEMAGE

Kampf der Magier

Roman

Aus dem Englischen übersetztvon Bernhard Stäber

WILHELM HEYNE VERLAG MÜNCHEN

Titel der englischen Originalausgabe:Battle Mage (Part one) Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen. Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Deutsche Erstausgabe 11/2019 Redaktion: Joern Rauser Copyright © 2017 by Peter A. Flannery Copyright © 2019 der deutschsprachigen Ausgabe und der Übersetzung by Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH, Neumarkterstraße 28, 81673 München Printed in Germany Covergestaltung: Nele Schütz Design, München, unter Verwendung einer Illustration von Federico Musetti Satz: GGP Media GmbH, Pößneck ISBN: 978-3-641-24418-7V001www.heyne.de

Für meinen Bruder Anthony, der den Funken entzündete. Für Tolkien, der ihn zu einer Flamme entfachte. Für die kreativen Talente, die sie weiter am Brennen halten. Und für all jene, die Fantasybücher lieben. Dies ist meines. Ich hoffe, es gefällt euch.

Inhalt

 

 

 

Prolog

Erster Teil UNTERGANG

1 Sohn des Wahnsinns

2 Das Gleichgewicht der Freundschaft

3 Die Prüfungen

4 Kammack

5 Die Herausforderung

6 Ob Diener oder edler Herr

7 Die Magier

8 Die Beschwörung

9 Der Drachenstein

10 Jede lebende Seele

11 Reue

12 In die Berge

13 Der dunkle Engel

14 Nachhut

15 Opfer

16 Feigheit, Mut und List

17 Eine Botschaft im Schilf

18 Die Besessenen

19 Simeon

20 Große Seele

21 Der Marchio Dolor

Zweiter Teil GRIMM

22 Toulwar

23 Ein Treffen gleicher Geister

24 Die Große Besessenheit

25 Das Ende der Reise

26 Die Königin von Grimm

27 Wie der Adler, so der Falke

28 Der Eremit, der Heiler und der Fischer

29 Ein gewohnter Empfang

30 Die Finsternis erhebt sich

31 Die Kriegsakademie

32 Die Wissenszweige

33 Die Ausbildung beginnt

34 Aufsässigkeit

35 Der Schmelztiegel

36 In der ganzen Schöpfung

37 Dalwhinnies, volle Haube und die épreuve de force

38 Die Archive der Magier

39 Entstehung

40 Streif keinen Flicken ab

41 Ein vorüberziehender Schatten

42 Paddy der Pisser

43 Lang vergessene Träume

44 Die Ratskammer

45 Eine geistige Blockierung

46 Respekt

47 Eine einzige Berührung

48 Fortschritt

49 Der letzte überlebende Zeuge

50 Die Rüstung eines Kampfmagiers

51 Das Traversier-Manöver

52 Die natürliche Schwäche von Stahl

 

Danksagung

Die Welt kennt kein Gefühl, das dem Kummer eines Drachen gleichkommt – außer vielleicht den Zorn eines Drachen.

Prolog

Der Ritter blinzelte sich das Blut und die Tränen des Versagens aus den Augen. Er riss sein Pferd herum und schob das Visier hoch, um das Feld zu überblicken. Im ganzen Tal zogen sich die illicischen Truppen zurück.

Der Kampf war verloren.

Auf der Zunge des Ritters schmeckten die Tränen bitter. Ihre Seite war zahlenmäßig überlegen gewesen, sie hätten das Heer der Besessenen besiegen müssen, aber sie hatten nicht mit dem Dämon gerechnet. Er war lange im Verborgenen geblieben, hatte sich erst in letzter Minute offenbart, und dann war es zu spät gewesen, um nach einem Kampfmagier zu rufen.

Nein – das war ihr Kampf, und er war verloren.

Er verspürte keine Scham, denn nur wenige konnten sich in der Gegenwart eines solchen Gegners behaupten. Und dennoch hatten sie es durchgestanden. Beinahe eine Stunde lang hatten die Soldaten Illicias ihre Stellung gehalten. Aber nun war das Ende nahe.

Von der Hügelkuppe aus blickte er auf seinen Feind hinab. Der Dämon überragte die menschlichen Krieger der Besessenen, er war ein Wesen von unmenschlicher Macht und höllischer Stärke. Der Ritter wusste, dass er ihn nicht töten konnte. Seine einzige Hoffnung bestand jetzt darin, einen schnellen Tod zu suchen, bevor er doch der Angst nachgab. Mit letzter Willensanstrengung drängte er sein Pferd vorwärts, in der Hoffnung, dass ihn sein Mut nicht noch vor dem Ende verließ. Und dennoch – selbst als er seinem Tod entgegenritt – dachte er nicht an sich, sondern an die Menschen, die sie im Stich ließen. Das Heer der Besessenen hatte die Verteidigung der Illicier durchbrochen. Nun würde es in die Berge ziehen, wo man es kaum noch verfolgen konnte. Es würde der Stärke von Clemoncé ausweichen und stattdessen nach Valentia vorrücken.

Früher einmal war das Königreich von Valentia für den Mut und das Geschick seiner Krieger bekannt gewesen, in den letzten Generationen aber hatte sein Ansehen abgenommen. Als der Ritter sein Pferd weiter vorantrieb, fragte er sich, ob wenigstens etwas von der einstigen Größe Valentias geblieben war.

Er hoffte es.

Er hoffte es um ihrer aller Seelen willen.

Erster Teil

UNTERGANG

1

Sohn des Wahnsinns

Weit im Norden von Valentia ging über der Bergstadt von Caer Dour die Sonne auf. Die Luft war frisch und kalt, während die weißen Steine der Gebäude hell im Morgenlicht schimmerten. Der rhythmische Klang des Schmiedehammers ertönte über dem Muhen der Kühe und dem Meckern der Ziegen. Der Mistgeruch, der aus den Ställen drang, vermischte sich mit dem von frisch gebackenem Brot und dem Rauch von tausend neu angelegten Feuerstellen.

Obwohl es ein Morgen wie jeder andere zu sein schien, lag ein Gefühl von Begeisterung in der Luft, denn dies war der Tag der Prüfungen, ein besonderes Ereignis, zu dem die Bewohner von Caer Dour die Gelegenheit bekamen, dem Abgesandten der Königin ihre Fertigkeiten im Kampf vorzuführen.

Noch war es früh am Tag, und doch befanden sich die gepflasterten Straßen bereits voller Menschen. Die Bewohner machten sich auf den Weg zum westlichen Stadtrand, wo die Straße von Clemoncé zum felsigen Hügel anstieg. Von hier aus würde er eintreffen, der Abgesandte des Hofes von Grimm.

Alle zwei Jahre reiste er aus der Hauptstadt an, um sich das Beste anzusehen, was Caer Dour auf dem Gebiet der Kampfkunst zu bieten hatte. Und wer sich in den Prüfungen auszeichnete, würde mit ihm zurückkehren, um in Grimm an der Kriegsakademie zu studieren. Der Besuch des Abgesandten war immer ein besonderes Ereignis, aber in diesem Jahr umso mehr, denn diesmal brachte er einen Studenten zurück, der seine Ausbildung beendet hatte. Das war kein gewöhnlicher Ritter oder Schwertkämpfer, sondern ein Kampfmagier, genauer gesagt, der erste Kampfmagier, den Caer Dour in über vierzig Jahren hervorgebracht hatte, und seine Ankunft hätte zu keiner passenderen Zeit stattfinden können.

Knapp zwei Wochen zuvor hatte das ferocianische Heer die illicische Verteidigung durchbrochen und war in Valentia eingefallen. Es hatte bereits mehrere Dörfer verwüstet und war inzwischen nur noch ein paar Tagesmärsche von Caer Dour entfernt. Ein Dämon marschierte den Besessenen voran, und ohne einen Kampfmagier hatte die Armee der Stadt keine Chance, sie aufzuhalten. Aber heute kam ihr Held nach Hause, und darum waren die Bewohner von Caer Dour nicht annähernd so verängstigt, wie sie es vielleicht hätten sein sollen. Stattdessen waren sie zeitig aufgestanden und bereiteten sich nun auf das Spektakel des Tages vor. Die Leute strömten auf den Hügel und hängten sich aus den Fenstern, alle in der Hoffnung, einen frühzeitigen Blick auf den Abgesandten der Königin zu erhaschen.

In einer Villa in der Nähe des Stadtrands waren zwei junge Burschen noch einen Schritt weitergegangen und hinaus auf die roten Keramikschindeln des Daches geklettert. Einer von ihnen war Malaki de Vane, der Sohn des Schmieds, ein großer muskulöser Kerl mit dichtem braunen Haar und einem leuchtend roten Feuermal, das sich über die linke Seite seines Gesichts zog. Der andere war beinahe genauso groß, aber dünn und schwach, mit strähnigem, dunklem Haar und einer bleichen, kränklichen Hautfarbe. Zwar hatte er angenehme Züge, aber seine Wangen waren hohl und ausgemergelt. Sein Name lautete Falco Danté, und das Einzige, das an ihm von Stärke sprach, war die Farbe seiner Augen, die von einem hellen und lebendigen Grün waren.

»Sei vorsichtig, Falco! Du fällst noch runter!«, rief Malaki, als sich Falco zum Dachscheitel voranschob.

»Ich möchte doch nur zusehen«, entgegnete er.

»Wir sehen schon früh genug zu. Komm hier herunter, wo es sicherer ist.« Malaki verzweifelte an der Tollkühnheit seines Freundes. »Wenn du das Gleichgewicht verlierst, fang ich dich nicht auf!«

»Doch, das wirst du«, sagte Falco mit einem Lächeln. Er wusste, dass sein Freund ihn niemals fallen ließ.

Also versuchte es Malaki auf andere Art.

»Du zerbrichst noch die Schindeln«, beharrte er. »Dann wird Simeon dich verdreschen.«

Simeon le Roy war der Herr der Villa, auf deren Dach sie geklettert waren. Falco diente ihm seit dem Tod seines Vaters vor fast vierzehn Jahren.

»Die Schindeln sind in Ordnung«, sagte Falco. »Ich bin eben kein so tonnenschwerer Trottel wie du.«

»Gut, aber beschwer dich nicht, wenn du nachher ordentlich Prügel beziehst.«

»Simeon würde mich niemals schlagen«, keuchte Falco, als er ein Bein über den Dachscheitel schwang. Seine Arme zitterten von dem anstrengenden Klettern, und der Atem rasselte geräuschvoll in seiner Brust.

»Na, das sollte er aber«, sagte Malaki. »Ich habe noch nie einen Diener gekannt, der es so leicht hatte.«

Das war selbstverständlich weit von der Wahrheit entfernt. Die eine Sache, die Falco Danté nicht aufzuweisen hatte, war ein einfaches Leben. Er war ein Schwächling in einer Welt voller Krieger, und schlimmer noch: Er war der Sohn eines Verrückten.

»Also?«, fragte Malaki ungeduldig.

»Also was?«

»Kannst du noch weiter sehen?«

Das Keuchen in Falcos Brust wurde unangenehm. Die kalte Morgenluft tat seiner Lunge nicht gut, und doch lächelte er.

»Bis zum gespaltenen Felsen«, sagte er.

»Warte mal«, sagte Malaki. »Ich komme rauf.«

Trotz seines Gewichts erklomm Malaki das schräge Dach mit überraschender Geschicklichkeit. Im Handumdrehen saß er hinter seinem Freund auf der höchsten Stelle der Villa. Gemeinsam blickten sie in die Richtung eines großen, gespaltenen Felsbrockens – dorthin, wo der steinige Pfad den Hügel umrundete.

»Denkst du, er wird die Magier mitbringen?«, fragte Malaki.

»Er kommt doch immer mit einem«, erwiderte Falco beiläufig. »Schließlich werden sie die Lehrlinge beurteilen wollen.«

»Das weiß ich!«, sagte Malaki. »Aber denkst du, er bringt noch mehr mit? Glaubst du, es wird eine Beschwörung geben?«

»Keine Ahnung«, log Falco. Er versuchte gleichgültig zu klingen, in Wahrheit aber wusste er, dass die Magier kommen würden. Irgendwie ahnte er, dass es eine Beschwörung geben würde.

»Ich hoffe es«, flüsterte Malaki. »Stell dir das mal vor … nicht nur ein Kampfmagier, sondern ein Kampfmagier mit einem Drachen. Dann hätte das ferocianische Heer keine Chance.«

»Wir brauchen keinen Drachen, um die Besessenen zu besiegen«, sagte Falco. »Darius wird reichen.«

Jeder in Caer Dour wusste, wie die Dinge liefen. Eine gründlich ausgebildete Streitmacht hatte eine gute Chance, ein Heer von Besessenen zu besiegen, solange es nicht in der Überzahl war. Aber wenn die Besessenen von einem Dämon angeführt wurden, dann war eine gewöhnliche Armee völlig chancenlos. Furcht würde die Soldaten überwältigen. Ausschließlich mit einem Kampfmagier konnten sie auf einen Sieg hoffen.

Es waren nicht nur das Geschick und die geheimen Mächte eines Kampfmagiers, es war seine Seele selbst – ein Leuchtfeuer des Glaubens, der Schlüsselstein des Mutes. Die Seele half den gewöhnlichen Menschen, im Angesicht eines Dämons standzuhalten. Ein Kampfmagier in den eigenen Reihen, das stellte einen mächtigen Verbündeten dar, aber ein Kampfmagier mit einem Drachen, nun, so jemand war geradezu eine Naturgewalt.

»Aber würdest du nicht gern mal einen Drachen sehen?«, drängte Malaki. »Bloß einmal.«

»Nein«, log Falco erneut. Er und Malaki waren seit ihrer Kindheit Freunde, aber er wollte nicht, dass irgendjemand erfuhr, wie sehr er sich danach sehnte, einen Drachen zu sehen. Er wollte auf keinen Fall, dass jemand ahnte, was er sich vorgenommen hatte.

Malaki betrachtete den schmalen Rücken seines Freundes, die zusammengesackten Schultern, den gesenkten Kopf.

»Wegen deines Vaters?«, fragte er ruhig.

Falco nickte bloß. Seine Gleichgültigkeit war nur gespielt, die Scham, die er bei der Erwähnung seines Vaters verspürte, war es hingegen nicht. Schweigend saßen die beiden Jungen nebeneinander, bis die Sonne über den Dächern auftauchte.

»Wo bleiben sie nur?«, fragte Malaki. »Die Sonne steht schon recht hoch. Inzwischen sollten sie doch längst hier sein.«

Falco sagte nichts, während sich der Schatten des Unbehagens nach und nach von seiner Seele hob.

»Ich weiß gar nicht, warum ich so aufgeregt bin«, bemerkte Malaki. »Ist ja nicht so, als würde ich versuchen, einen Platz an der Akademie zu bekommen.«

»Du trittst im Nahkampf an«, sagte Falco über seine Schulter hinweg. »Und da wirst du als Gewinner favorisiert. Vielleicht darfst du dich ohnehin vorstellen.«

»Klar«, gab Malaki zurück. »Und vielleicht fliegen mir auch noch Schweine aus dem Arsch.«

Falco lachte über die Bescheidenheit seines Freundes. Soweit es ihn betraf, gab es in der gesamten Region keinen Kadetten, dessen Geschick mit einem Schwert dem von Malaki gleichkam.

»Stell dir nur vor, in den Prüfungen zu kämpfen«, sagte Malaki. »Was wäre, wenn du Königin Catherine am Hof von Grimm vorgestellt würdest.«

Falco war froh, dass Malaki sein Gesicht nicht sehen konnte. Auf seinen Lippen lag ein entschlossenes Lächeln und in seinen Augen ein wilder, grüner Schein. Zur Hölle mit den Magiern und den Gesetzen der adligen Geburt. Wenn die Dinge so liefen, wie er sie geplant hatte, würde Malaki seine Chance bekommen, den Abgesandten der Königin zu beeindrucken. Aber er wollte jetzt noch nichts verraten, und er war gerade dabei, das Thema zu wechseln, als ein Angstschrei ertönte. Sie wandten sich beide zum Haus um.

»Verdammt, was war das?«, fragte Malaki.

Falco antwortete nicht. Er lauschte auf weitere Geräusche.

Aus der Villa ertönte noch ein Schrei. Es war ein Entsetzensschrei, der sich in ein verstörendes Stöhnen auflöste. Malaki war wie vom Donner gerührt, aber Falco schwang sein Bein über den Dachscheitel zurück und begann damit, sich hinunterzuhangeln.

»Was ist los?«, fragte Malaki, als er am unteren Teil des Daches wieder zu Falco stieß.

»Es ist Simeon«, sagte Falco, der eine kurze Traufe ablief, bevor er die Dachrinne in Richtung einer Veranda am anderen Ende der Villa überquerte.

»Wo gehst du hin?«

»Nachsehen, ob er in Ordnung ist.«

»Aber dann werden wir den Abgesandten verpassen.«

»Ich will nur sichergehen«, sagte Falco.

Malaki wandte den Blick zum Himmel, dann setzte er sich in Bewegung, um seinem Freund zu folgen. Als die beiden Jungen auf die Veranda kletterten und durch Ritzen in den Fensterläden spähten, war das Stöhnen bereits zu einem Knurren und Flüstern geworden.

»Was ist mit ihm los?«, fragte Malaki.

Falco blickte auf die Gestalt seines Herrn hinunter.

Simeon le Roy lag ausgestreckt und in den Decken verdreht auf seinem Bett. Der alte Mann zuckte und schauderte und brabbelte Worte, die keiner von ihnen verstand. Das Stöhnen und Schreien war von wütendem Knurren durchsetzt, als sei er in einen Kampf verwickelt.

»Er träumt«, sagte Falco.

»Allmutter!«, hauchte Malaki. »Von was träumt er denn?«

»Von der Hölle«, sagte Falco.

Malaki fühlte, wie ihn ein furchtsamer Schauder durchlief, aber Falcos Augen verengten sich nur, als der Anblick von Simeons Leid das Schreckgespenst seiner eigenen nächtlichen Ängste wachrief.

Du hättest niemals den Mut.

Du hättest niemals die Stärke.

Als sich die Welt um ihn herum zu verfinstern schien, echote die spöttische Stimme in Falcos Geist.

»Sollten wir ihn aufwecken?«, fragte Malaki, und Falco wurde aus seinem Tagtraum gerissen.

»Nein«, sagte er. »Ich warte bei ihm. Es wird vorbeigehen.«

Malaki warf seinem Freund einen Seitenblick zu. Etwas lag in Falcos Stimme, das er schon viele Male zuvor gehört hatte, eine Art von Reife, eine Eindringlichkeit, die ihm das Gefühl gab, seinen Freund überhaupt nicht zu kennen.

»Hat er öfter solche Albträume?«

»Nein«, sagte Falco. »Aber manche Nächte sind schlimmer als andere.«

»Kann man denn gar nichts dagegen tun?«

Falco schüttelte den Kopf. »Es ist der Fluch der Kampfmagier«, sagte er, »aber es ist auch ihre Stärke. Wenn sie einem Dämon auf dem Schlachtfeld begegnen, fühlen sie nicht die Furcht, die andere Menschen empfinden.«

»Warum nicht?«, flüsterte Malaki.

»Weil die Furcht nichts Neues für sie ist«, sagte Falco. »Sie kennen sie schon seit ihrer Kindheit – aus ihren Träumen.«

Malaki wollte mehr erfahren, aber er hütete sich, Falco zu eingehend zu befragen. Simeon war viele Jahre lang ein Kampfmagier gewesen und hatte gegen die Besessenen gekämpft, als der Feind noch eine vage und entfernte Bedrohung gewesen war. Aber sein langer Dienst für die Königreiche von Grimm hatte vor ungefähr vierzehn Jahren abrupt geendet, als Falcos Vater wahnsinnig geworden war und die Hälfte der Magier in der Stadt getötet hatte.

Malakis Blick ruhte einen weiteren Moment lang auf Falco, dann richtete er ihn zurück auf den Spalt im Fensterladen und beobachtete einen alten Mann dabei, wie dieser mit allen Qualen der Hölle rang.

Plötzlich erklang eine Glocke in der klaren Morgenluft, und beide Jungen schraken bei dem Klang auf.

»Er ist hier!«, sagte Malaki, wobei er über das Geländer kletterte und sich entlang der Regenrinne zurückbewegte. Dann befand er sich auch schon auf dem Dachfirst.

»Ich kann ihn sehen!«, rief er. »Und Darius auch!«

Falco blickte zu seinem Freund empor und lächelte, aber als er zurück durch den Fensterladen spähte, krümmte sich Simeon nicht mehr im Schlaf. Jetzt saß er aufrecht in seinem zerwühlten Bett, das Gesicht direkt auf das Fenster gerichtet, an dem Falco kauerte. Ein Sonnenstrahl fiel auf ihn und offenbarte eine entsetzlich entstellte Maske. Die Haut auf seinem Gesicht wirkte vernarbt und verbrannt, und das helle Sonnenlicht warf schwarze Schatten in die leeren Höhlen seiner Augen.

Simeon le Roy war blind.

»Diese kalte Morgenluft wird noch dein Tod sein, Falco Danté.«

Bei dem milden Tadel seines Meisters lächelte Falco.

»Und du kannst dir ruhig das Grinsen von deinem Gesicht wischen, du dürrer Jungspund!«

Das Lächeln verbreiterte sich. Simeon mochte sein Augenlicht verloren haben, doch er sah noch immer mehr als die meisten. Jeder Rest von Furcht und Verletzlichkeit verblasste, als sich der frühere Kampfmagier von seinem Bett erhob und eine Robe über seine breiten Schultern zog. Er streifte sein langes, graues Haar zurück und schnürte es mit einem Seidenband zusammen. Er war mindestens jenseits der sechzig, und doch besaß er trotz eines ausgeprägten Hinkens und einer gewissen Steife in seinen Gliedern noch immer die Haltung eines Kriegers. Er ging zum Fenster hinüber und zog die Läden auf.

»Wie viele Magier, Master de Vane?«, rief er mit seiner tiefen Stimme.

Weder Falco noch Malaki waren von dem Ausmaß seiner Wahrnehmung überrascht. Nicht alle Kräfte eines Kampfmagiers hingen von der Gabe des Sehens ab.

»Wartet!«, rief Malaki von seinem Hochsitz auf dem Hausdach herunter. »Gerade ist eine Nebelbank hereingerollt.«

»Vier«, flüsterte Falco so leise, dass er schon dachte, es würde ungehört bleiben. Er sah nicht, wie sich ihm Simeons Gesicht zuwandte, die vernarbte Stirn nachdenklich in Falten gelegt.

Eine kurze Pause entstand, während der Malaki darauf wartete, dass sich der Nebel lichtete. Dann …

»Vier«, schrie er. »Es sind vier Magier.«

Malaki hörte sich enttäuscht an, aber Simeon nickte nur.

»Hmm.« Der Klang rührte von einem tiefen Grollen in seiner Kehle her. »Mit den dreien aus Caer Dour macht das sieben. Sieht ganz so aus, als ob es doch eine Beschwörung geben wird.«

Falco versuchte, sich bei Simeons Worten nichts anmerken zu lassen. Nach außen hin gab er sich verdrießlich und unbewegt, innerlich aber war er vor Aufregung wie benommen. Heute Nacht, wenn die Prüfungen vorüber waren, würde Darius Voltario den Versuch unternehmen, einen Drachen zu beschwören, und er, Falco, würde dabei sein, um es sich anzusehen.

2

Das Gleichgewicht der Freundschaft

»Er hat nur vier Magier mitgebracht«, rief Malaki, als er zurückkehrte, um sich zu Falco und Simeon auf die Veranda zu gesellen.

»Morgen, Malaki«, sagte Simeon.

»Guten Morgen, Meister le Roy«, sagte Malaki etwas verlegen. Auf dem Haus eines Adligen herumzuklettern schickte sich nicht gerade, aber Simeon war auch nicht mit den anderen Adligen in der Stadt zu vergleichen. Er gab sich zugänglich, beinahe normal. Für gewöhnlich hätte Malaki mehr Zurückhaltung gezeigt, aber im Trubel dieses Tages konnte er einfach nicht anders. »Warum nur vier?«, fragte er. »Ich dachte, er würde sieben herbeiholen, um uns auf zehn zu bringen.«

Simeon wandte sich an Falco, um ihn zu einer Antwort aufzufordern, aber Falco sah seinen Herrn nicht einmal an.

»Mit der richtigen Vorbereitung sind nur sieben Magier nötig, um einen Drachen zu unterwerfen«, erklärte Simeon.

»Ihn zu unterwerfen?«, hakte Malaki nach. »Ich dachte, die Drachen wären auf unserer Seite. Warum sollten wir ihn denn unterwerfen?«

Wieder sah Simeon Falco an, aber noch immer ließ dieser durch nichts erkennen, dass er an dem Gespräch teilnahm.

»Die meisten Drachen würden ihr Leben für ihren Kampfmagier geben, und für die freien Völker von Grimm«, sagte Simeon.

»Was ist dann das Problem?«

»Das Problem, Meister de Vane, ist, dass immer die Möglichkeit besteht, dass ein schwarzer Drache auf die Beschwörung antwortet.«

»Was ist an schwarzen Drachen eigentlich so besonders?« Malaki war begeistert. Bisher hatte nie jemand so offen mit ihm über Drachen gesprochen.

»Egal, welche Farbe sie zu Beginn ihres Daseins haben«, erklärte Simeon, »alle Drachen werden schließlich schwarz. Sie sind die ältesten und die mächtigsten ihrer Art.«

»Ist das nicht etwas Gutes?«, beharrte Malaki.

»Das wäre es«, erwiderte Simeon, »wenn es da nicht eine tragische Tatsache gäbe.«

»Und die wäre?«

»Schwarze Drachen sind wahnsinnig«, sagte Simeon. »Ein schwarzer Drache wird sich eher gegen die Menschen wenden, als bis zu seinem Tod zu kämpfen, um ein menschliches Leben zu retten. Er tötet so lange wahllos, bis er erlegt wird oder zurück über die Endlose See hinausflieht.«

Malakis Mund klappte auf, und dann sah er Falco an, als wollte er sagen: »Wusstest du das?«

Falco wandte sich von seinem Freund und der unausgesprochenen Frage ab. Er lehnte sich gegen das Geländer, das die Veranda umschloss, und starrte auf die Stadt hinaus. Im Gegensatz zu Malaki fand er an dieser Lektion über die Natur der Drachen keinen Gefallen.

»Es war immer so, seit der Großen Besessenheit«, sagte Simeon, »als die Drachen vom Bösen bezwungen wurden. Es scheint, von jener Besessenheit lebt etwas im Herzen eines schwarzen Drachen weiter.«

Malaki blickte ihn staunend an.

»Was für eine Farbe besaß der Drache, der auf Eure Beschwörung geantwortet hat?«, fragte er.

Simeon schnaubte leise. »Nicht jedem von uns ist es bestimmt, mit einem Drachen an seiner Seite zu kämpfen.«

Malaki schien enttäuscht zu sein. Er zögerte einen Augenblick, wie um das zu verarbeiten, was er gerade erfahren hatte. Dann wandte er sich an Falco.

»Ist das deinem Vater passiert?«, begann er. »Ich habe die Leute sagen hören, dass sein Drache schwarz gewesen sei.«

Im dem Augenblick, in dem er die Worte ausgesprochen hatte, wusste Malaki, dass er zu weit gegangen war. Falco stieß sich vom Geländer ab und stieg durch das Fenster in Simeons Zimmer. Kaum war er durch den Rahmen geklettert, als Simeon ihn mit einem Wort aufhielt.

»Falco!«

Falco hielt inne, aber er wandte sich nicht um.

»Das sind meine Gemächer, Falco Danté.« Simeon sprach ebenfalls, ohne sich umzudrehen, und Malakis Blick huschte von einem starren Rücken zum anderen. »Du kannst das Dach auf dem Weg verlassen, auf dem du gekommen bist. Und achte auf die Freiheiten, die du dir in meinem Haushalt herausnimmst.«

Falco gab keine Antwort, aber er schlurfte zurück auf die Veranda und kletterte über das Geländer.

»Heute Morgen nehme ich etwas Brot und Obst zu meinem Wein«, bemerkte Simeon in dem gleichen Befehlston.

Falco begann gerade mit seiner Rückkehr entlang der Dachrinne zum Fenster, wo er und Malaki zuerst auf das Dach hinausgeklettert waren. Er verharrte. »Jawohl, Meister«, sagte er ruhig.

Simeon nickte knapp zur Bestätigung, und Falco setzte seinen Weg fort.

»Und Falco«, sagte Simeon in einem milderen Ton, »wenn du dich darum gekümmert hast, lass Fossetta einen Aufguss zurechtmachen. Du hörst dich wie ein verschrumpeltes altes Maultier an. Wenn du bettlägerig bist und dir die Lunge heraushustest, kannst du bei den Prüfungen heute nicht bedienen.«

Bei diesen Worten starrte Malaki erst Simeon fassungslos an, dann betrachtete er anklagend seinen Freund. Als dieser nicht reagierte, murmelte Malaki Simeon ein paar Abschiedsworte zu und folgte Falco. Beim Fenster am oberen Ende der Treppe holte er ihn schließlich ein.

»Was meint er mit bei den Prüfungen bedienen?«, wollte Malaki wissen, während er sich durch das Fenster schwang und Falco an der Schulter packte, bevor er den Treppenabsatz verlassen konnte.

Falcos schuldbewusster Blick war Antwort genug.

»Ich habe gutes Geld bezahlt, um sicherzustellen, dass du nicht bei den Prüfungen bedienen würdest!«

»Ich gebe es dir zurück«, sagte Falco. Er schüttelte Malakis Hand ab und stieg die Stufen zu den Quartieren der Bediensteten hinab.

»Ich verstehe nicht«, sagte Malaki, der sich ihm anschloss. »Bellius wird in seinem Element sein. Er wird bestimmt versuchen, ein Exempel an dir zu statuieren.«

»Ich weiß«, sagte Falco, als er die Tür zur Küche aufdrückte.

Bellius Snidesson war mit seinen Verbindungen zur königlichen Familie – sowohl in Caer Laison als auch in Grimm – der mächtigste Adlige der Gegend und zugleich der unangenehmste. Davon abgesehen, dass er anderen Menschen das Leben schwermachte, gab es nur drei Dinge, die Bellius etwas bedeuteten – Reichtum, Macht und das Vorankommen seines einzigen Sohnes Jarek, eines grausamen und verwöhnten jungen Mannes, der Falco schon bei so vielen Gelegenheiten schikaniert hatte, dass dieser aufgehört hatte, sie zu zählen. Sogar das Näherrücken der ferocianischen Armee hatte dem Adligen eine ausgezeichnete Gelegenheit geliefert, seine Macht zu verfestigen, und Malaki zweifelte nicht daran, dass ausgerechnet heute Bellius in Hochform sein würde. Verdrossen und verwirrt folgte er seinem Freund in die Küche.

Ein Schwall warmer Luft umhüllte sie, als sie den großen, mit Steinplatten ausgelegten Raum betraten. Die vertrauten Gerüche von gekochtem Fleisch, Knoblauch und Kräutern ließen ihnen das Wasser im Mund zusammenlaufen. Eine Wand wurde von einer ausladenden offenen Feuerstelle beherrscht, die mit Kupfertöpfen und Kochutensilien geschmückt war. Neben dem Feuer befand sich ein schwarzer Eisenofen, und über ihn gebeugt stand eine dralle Frau, deren graues Haar unter einem weißen Kopftuch zurückgebunden war.

»Na, habt ihr sie gesehen?«, fragte Simeons Wirtschafterin die beiden Burschen freundlich, ohne jedoch von den Töpfen aufzusehen, um die sie sich gerade kümmerte.

»Guten Morgen, Meisterin Pieroni«, sagte Malaki. »Ja, wir haben sie gesehen.«

Es war klar, dass beide Jungen abgelenkt waren, aber Falcos mangelnde Reaktion brachte Fossetta Pieroni nun doch dazu, aufzublicken und seinen Gang zur Speisekammer zu verfolgen.

»Guten Morgen, Malaki«, sagte sie und beobachtete Falco dabei, wie er eine Auswahl an Früchten und Brot auf einen Zinnteller legte. »Wie viele Magier hat der Abgesandte mitgebracht?«

»Vier«, erwiderte Malaki. Er hatte sich an den Eichentisch in der Mitte des Raums gesetzt und beäugte eine Servierplatte mit frischem Brot und Wurst.

Fossetta nahm die Töpfe vom Feuer. Als sie an den Tisch herantrat, wischte sie ihre Hände an der Schürze ab, dann legte sie ein Messer und einen Teller vor Malaki hin.

»Also«, sagte sie, während Malaki ihr ein dankbares Lächeln schenkte, »es wird in der Tat eine Beschwörung geben.«

Malaki gab ein »Hmm« von sich, wobei er ein Stück von dem Brot abriss und Wurst auf seinen Teller schnitt. »Bin ich eigentlich der Einzige in dieser Stadt, der nichts über Drachen weiß?«

Fossetta stellte einen Zinnbecher vor ihm ab und füllte ihn mit Wasser aus einem Krug.

»Wenn du zwanzig Jahre lang die Wirtschafterin eines Kampfmagiers gewesen bist, dann lernst du ein oder zwei Dinge.«

Falco hatte sich erfolgreich aus ihrer Unterhaltung herausgehalten, aber Fossetta beobachtete ihn aus den Augenwinkeln dabei, wie er eine Weinkaraffe neben dem Teller mit dem Essen absetzte und ging, um einen Krug aus einem großen Topf mit dampfendem Wasser neben dem Feuer zu füllen.

»Morgen, Falco«, sagte sie.

»Morgen, Fossetta.«

Auch wenn Falco missmutig und schlecht gelaunt war, brachte er es doch nicht über sich, sich offen unhöflich zu geben. Von allen, die er kannte, kam Fossetta einer Mutter am nächsten. Er brachte den Krug mit heißem Wasser zurück zum Tisch, aber sein pfeifender Atem war der Wirtschafterin nicht entgangen. Sie trat hinter ihn, wobei sie die eine Hand auf seine Stirn und die andere zwischen seine Schulterblätter legte.

»Hol tief Luft«, sagte sie.

Falco rollte mit den Augen, gehorchte aber.

»Hmm.« Von dem, was sie fühlte, war Fossetta offensichtlich nicht begeistert.

»Setz dich«, wies sie ihn an.

»Aber der Herr«, begann Falco.

»Ich kümmere mich um den Herrn.«

Sie schubste Falco in einen Stuhl und füllte eine Schüssel mit Wasser aus einem Kessel, der über dem Feuer hing. Dann nahm sie eine Flasche mit zerstoßenen Kräutern von einem Regal und rührte mehrere Löffel voll davon ins Wasser. Plötzlich war der Raum mit dem starken Duft von Lavendel, Eukalyptus und Kamille erfüllt. Sie nahm ein großes Handtuch von einem Wäscheregal, dann bedeckte sie Falcos Kopf mit dem Tuch, wobei sie ihn nach vorn über die Schüssel mit dampfendem Wasser beugte.

»Sorg dafür, dass er so bleibt, bis ich zurückkomme«, wies sie Malaki an.

Dieser, den Mund voller Brot und Wurst, nickte, dann nahm die Wirtschafterin den Krug mit dem heißen Wasser, den Wein und den Teller mit den Speisen für Simeon auf und verließ den Raum.

Stille senkte sich herab.

Die einzigen Geräusche waren Malakis Kauen und das leise Pfeifen von Falkos Atem.

»Tut mir leid, dass ich so gereizt bin.« Falcos Stimme klang unter dem Handtuch gedämpft.

Als Antwort legte Malaki etwas Essen auf einen Teller und schob ihn gegen Falkos Hand. Es war seltsam, mit anzusehen, wie die Hand seines Freundes nach einem Stück Brot tastete, bis sie unter dem Handtuch verschwand.

»Ich verstehe trotzdem nicht, warum du bei den Prüfungen bedienen willst«, sagte Malaki. »Der Pavillon wird doch von Adligen nur so wimmeln.«

»Ich habe meine Gründe«, sagte Falco kauend.

»Manchmal bist du ein richtig schwieriger Mistkerl«, erklärte Malaki.

Falco hob das Handtuch, um seinen breitschultrigen Freund zu mustern.

»Ich weiß«, lächelte er.

Malaki schüttelte den Kopf und erwiderte das Lächeln, dann wies er Falco mit einem Wink seiner Hand an, wieder unter dem Handtuch zu verschwinden. Eine Weile saßen die beiden Jungen still, bis Falco erneut sprach.

»Rot«, sagte er. »Der Drache, der auf die Beschwörung meines Vaters geantwortet hat, war rot.«

Malaki schlang sein Essen … und Falco fuhr fort.

»Sie haben gesagt, dass er schon von Beginn an dunkelrot war. Scharlachfarben, so wie das Blut, das aus einer Vene fließt.«

Falco richtete sich von dem dampfenden Aufguss auf und schob das Handtuch von seinem Kopf, während Malaki den Atem anhielt. Darüber hatte Falco noch nie gesprochen, dabei redeten sie sonst über alles.

»Mit den Jahren wurde die Farbe immer dunkler, und die Magier haben es beobachtet«, sprach Falco weiter. »Simeon sagt, dass mein Vater die Wahrheit kannte. Er wusste, wenn der Drache schwarz wurde, blieb ihm keine andere Wahl, als ihn zu töten. Simeon sagt, dass selbst die Drachen das wissen, und dass sie freiwillig in den Tod gehen.«

»Was ist also passiert?«, fragte Malaki ruhig.

»Niemand weiß es genau«, sagte Falco. »Man sagt, dass mein Vater verschlossen und abwesend wurde. Er verbrachte mehr und mehr Zeit in den Verlassenen Landen und jagte die Besessenen ganz allein. Keine Armee zur Unterstützung, nur Aquila Danté und sein Drache.«

Malaki wartete, dass sein Freund fortfuhr. Er hatte zwar Bruchstücke der Geschichte gehört, aber niemand schien darüber sprechen zu wollen. Dies war ein Kapitel in Caer Dours Geschichte, das die Leute anscheinend gern vergessen wollten.

»Mein Vater wurde immer aufgebrachter, und das führte schließlich zur Konfrontation.«

»Zur Konfrontation mit wem?«

»Mit den Magiern«, sagte Falco. »Mein Vater wurde uneinsichtig, verwirrt.« Falco sprach das letzte Wort aus, als würde er jemand anderen zitieren. »Dann wurde sein Drache schwarz.«

»Und schwarze Drachen sind wahnsinnig«, sagte Malaki, während Falco nickte.

»Die Magier bändigten ihn. Aber statt ihnen dabei zu helfen, ihn zu erlegen, schlug sich mein Vater auf die Seite des Drachen.«

Malaki starrte in Falcos hellgrüne Augen.

»Er hat sechs Magier und vier der besten Ritter der Stadt getötet«, sagte Falco. »Am Ende war es Simeon, der ihn zur Strecke brachte.«

»Ich dachte, Simeon und dein Vater waren Freunde.«

»Das waren sie auch.« Falcos Blick hatte sich nicht mehr länger auf Malaki geheftet. Jetzt starrte er in die Vergangenheit, in eine Vergangenheit, an die er sich allerdings nicht selbst erinnerte, in eine Vergangenheit, von der man ihm immer nur erzählt hatte. »Der Drache hat einen letzten Feuerstrahl ausgestoßen, bevor er getötet wurde.«

»Simeons Gesicht«, flüsterte Malaki, und Falco nickte.

»Die verbliebenen Magier retteten zwar sein Leben, aber das Drachenfeuer hat ihm das Augenlicht geraubt.«

Malaki starrte ebenfalls ins Leere, als er sich die schreckliche Szene vorstellte. Dann sah er einmal mehr Falco an.

»Und als Sühne für die Verbrechen deines Vaters wurdest du auf den Dienst an Simeon eingeschworen.«

»So ungefähr«, sagte Falco und wischte sich den Schweiß vom Gesicht.

Ehe die beiden noch etwas sagen konnten, öffnete sich die Tür und Fossetta kam in die Küche zurück.

»Ich dachte, ich hätte dir gesagt, dass du unter dem Handtuch bleiben sollst«, schalt sie.

Sie ging zu einer Anrichte an der Seitenwand des Raums und nahm eine weiße Keramikschüssel zur Hand, dann kam sie zu Falco, stellte sich neben ihn und hielt die Schüssel unter sein Kinn.

»Spuck aus!«, sagte sie.

Falco stieß ein Seufzen aus, aber Fossetta blieb hartnäckig. Dann hustete er zu Malakis offensichtlichem Ekel aus und spuckte in die Schüssel. Fossetta studierte den Klumpen Auswurf und schüttelte den Kopf.

»Wieder runter mit dir«, wies sie ihn an.

Falco wusste, dass es keinen Sinn hatte, sich zu weigern. Er schenkte Malaki ein kurzes Lächeln, wie um zu sagen, dass zwischen ihnen alles in Ordnung war, dann verschwand er erneut unter dem Handtuch.

»Solltest du nicht deinem Vater helfen?«, fragte Fossetta Malaki, während sie begann, mit steten, rhythmischen Schlägen auf Falcos Rücken zu klatschen. »Mit der Armee, die mobilisiert wird, muss er doch ziemlich beschäftigt sein.«

»Er sagte, ich könne nach dem Abgesandten Ausschau halten«, erwiderte Malaki.

»Nun, jetzt habt ihr ihn ja gesehen. Und ich bin sicher, dass dein Vater die Hilfe brauchen kann.«

»Aber wir wollen ihn in der Stadt sehen«, sagte Falco zwischen den Schlägen.

»Vielleicht bekommen wir eine Gelegenheit, mit ihm zu sprechen«, fügte Malaki hinzu.

»Ihr zwei seid alt genug, um zu wissen, wie es läuft«, sagte Fossetta. »Er frühstückt mit den Adligen und den Magiern, dann macht er sich direkt zu den Prüfungen auf. Er wird nicht vor dem Nachmittag durch die Stadt gehen. Und wenn es tatsächlich eine Beschwörung gibt, nun, dann wird er es womöglich gar nicht tun.«

»Wahrscheinlich hast du recht«, gab Malaki zu und sammelte die verbliebenen Essensreste von seinem Teller auf, bevor er sich vom Tisch erhob. »Und was dich angeht, Röchler«, fügte er hinzu, wobei er eine Brotkruste gegen Falcos zugedeckten Kopf schnippte, »im Pavillon halte ich nach dir Ausschau!«

Falco zuckte und machte eine obszöne Geste mit der Hand. Malaki lachte, aber Fossetta versetzte Falco einen schnellen Schlag gegen den Kopf.

»Ab mit dir!«, sagte sie zu Malaki.

Malaki machte sich zur Tür auf, aber gerade als er sie erreichte, sprach Fossetta wieder.

»Viel Glück im Nahkampf.«

»Danke, Meisterin Pieroni«, sagte Malaki, und mit einem weiteren Lächeln war er verschwunden.

Als sie aufhörte, Falco auf den Rücken zu klatschen, verharrte Fossettas Blick an der Tür. »Er ist ein guter Junge.« Sie zog das Handtuch weg und erlaubte Falco, sich aufrecht hinzusetzen.

»Ja, das ist er«, sagte Falco, der sich das Gesicht mit einer Ecke des Tuches abwischte.

»Auch ein guter Kämpfer.«

Falco nickte nur. Der Druck auf seine Brust hatte nachgelassen, und das Atmen war nicht mehr so schmerzhaft.

»Eine Schande, dass er nicht in den Prüfungen kämpfen kann«, sagte Fossetta.

»Du kennst die Regeln«, sagte Falco. »Nur die von adliger Geburt können in den Prüfungen kämpfen.«

»Er könnte eine Herausforderung veranlassen. Wenn er einen der Adligen schlägt, erhält er das Recht zu kämpfen.«

»Ah, aber dazu braucht er zwei Stimmen, die ihm das Vertrauen aussprechen«, sagte Falco. »Eine vonseiten der Adligen und eine vom Kriegerstand. Und es gibt keinen einzigen Adligen in der Gegend, der sich gegen Bellius stellen und eine Herausforderung vom Sohn eines Schmiedes annehmen würde.«

»Na, das sollten sie aber!« Fossetta warf das Handtuch auf den Tisch und beugte sich herunter, um ihr Ohr an Falcos Rücken zu legen. »Dämonenarmeen stehen an unserer Türschwelle, und wir deuteln am Geburtsstand eines Menschen herum. Es ist hoffnungslos.«

»Es ist niemals hoffnungslos«, sagte Falco ruhig.

Die Wirtschafterin richtete sich auf, und indem sie Falcos Kinn ergriff, hob sie sein Gesicht an, um ihm in die Augen zu sehen. »Ich kenne diesen Ton, Falco Danté. Ich hoffe, dass du nichts Dummes vorhast.«

Wer, ich? schien Falcos Gesichtsausdruck zu sagen.

Misstrauisch zog Fossetta eine Augenbraue hoch, bevor sie Falcos Kinn beiseitestieß.

»Ihr beiden Jungen seid schrecklich«, schalt sie ihn. »Ihr verdient es, zusammen zu sein.«

Sie ging zum Herd zurück, während Falco die Schüssel mit dem dampfenden Wasser von sich schob.

»Bin mir nicht sicher, ob er mich verdient«, sagte er nachdenklich. »Sein Leben wäre viel einfacher, wenn er nicht mit mir befreundet wäre.«

In Falcos Stimme lag kein Selbstmitleid. Er stellte einfach die Wahrheit fest.

»Er war nicht immer der bärenstarke gute Kämpfer, der er heute ist«, sagte Fossetta, wobei sie sich über die Töpfe beugte, in denen sie zuvor gerührt hatte. »Ich kann mich noch an den rotznasigen kleinen Jungen erinnern, der immer wegen der Namen heulte, die sie ihm gaben.« Sie tauchte einen Finger in den kleineren Topf und hob ihn an ihre Lippen, bevor sie einen großzügigen Löffel voll Zucker hinzufügte.

Falco füllte zwei Tassen mit Wasser und deckte den Tisch. Er erinnerte sich ebenfalls an die Beschimpfungen wegen Malakis Feuermal.

Roter Teufel, so hatten sie ihn meistens genannt, und auch Rötling. Aber der Schimpfname, der Malaki am meisten aufgebracht hatte, war Beere, die Kurzform von Erdbeere. Der war besonders ärgerlich, weil er ihn weich klingen ließ.

Fossetta kehrte zum Tisch zurück und füllte heißen Haferbrei in die Schalen.

»Und ich erinnere mich an den dürren kleinen Kümmerling, der immer für ihn einstand.« Sie schüttelte den Kopf, als sie daran zurückdachte. »Ich werde nie begreifen, wie du ständig mit diesen Namen für die älteren Jungen ankommen konntest.«

Falco lächelte, als Fossetta mit dem zweiten Topf zurückkam.

»Gedünstete Aprikosen«, sagte sie und fügte ihren Schalen einen Klecks gesüßter Frucht hinzu.

Sie nahm neben Falco Platz und ergriff ihren Löffel.

»Du hast Malaki de Vane zuliebe eine ganze Menge Prügel eingesteckt«, sagte sie.

»Ich habe das nicht vergessen, und er auch nicht.«

Falco starrte auf sein Frühstück. Was auch immer er als Kind getan haben mochte, Malaki hatte sich in den Jahren danach viele Male dafür revanchiert. Manchmal zweifelte er, ob er ohne das beeindruckende Auftreten seines Freundes überhaupt hier sein würde. Ja, die Waagschale der Freundschaft schlug deutlich zu Malakis Gunsten aus. Aber heute war der Tag der Prüfungen, und Falco war fest entschlossen, das Gleichgewicht wiederherzustellen.

3

Die Prüfungen

Der Pavillon befand sich am südlichen Ende des Turnierfeldes, wo die erhöhte Plattform den übersichtlichsten Blick auf die Prüfungen bot. Das weiße Zelttuch schimmerte blendend in der Vormittagssonne, und hoch darüber flatterte das Drachenbanner von Caer Dour im kühlen Herbsthauch. Für gewöhnlich war der Tag der Prüfungen ein Feiertag, aber zu diesem Anlass mischte sich dadurch, dass sich das ferocianische Heer näherte, ein Schatten von Furcht in die Begeisterung.

Falco, der vom Pavillon aus Ausschau hielt, ließ seinen Blick über die Menge schweifen, die den Rand des Feldes säumte. Die Abwesenheit von männlichen Gesichtern, besonders von denen, die sich im Kampfesalter befanden, war auffallend. Nur denjenigen, deren Familienmitglieder teilnahmen, war es erlaubt worden, bei den Prüfungen anwesend zu sein. Das Heer war mobilisiert worden, und die meisten Männer der Stadt lagerten jetzt etwas weiter unten im Tal und waren bereit, die Besessenen anzugreifen, bevor sie der Stadt zu nahe kamen. Die Route, die der Feind nahm, führte nur in eine Richtung. Abgesehen von einem gelegentlichen Ziegenpfad, konnte er keinen anderen Weg einschlagen. Die Besessenen hielten direkt auf Caer Dour zu.

Aus den Dörfern und Anwesen weiter unten im Tal waren bereits die ersten Flüchtlinge in der Stadt eingetroffen, da die Menschen vor der herannahenden Gefahr flohen. Ihre Ankunft hatte zu dem Gefühl von Bedrohung beigetragen, aber die Leute von Valentia stammten von Kriegern ab. Mit Unterstützung der Randbezirke konnte Caer Dour ein über zweitausend Mann starkes Heer aufstellen, aber nur wenige von ihnen waren jemals den Besessenen entgegengetreten, und keiner von ihnen hatte je einen Dämon gesehen, geschweige denn einem die Stirn geboten.

Nein, die Einwohner von Caer Dour hatten ihrer Furcht keine Stimme verliehen, und doch gab es es ein deutliches Gefühl von Erleichterung, als Darius zurückkehrte. Ihr Kampfmagier war gerade rechtzeitig nach Hause gekommen, um sie zu retten, und nun konnten sie den Tag der Prüfungen genießen, bevor die letzten ihrer Krieger in den Kampf davonritten.

Falco, der an Simeons morgendliche Albträume zurückdachte, stieß seinen ganz eigenen Seufzer der Erleichterung aus. Die Intensität seiner eigenen Träume war in letzter Zeit erschreckender geworden, obwohl er nicht sagen konnte, ob dies an der Nähe der Besessenen oder an seiner eigenen Einbildungskraft lag. Auf jeden Fall war er sicher, dass sie nachlassen würden, sobald Darius den Dämon besiegt hatte. Fürs Erste richtete er seine Aufmerksamkeit zurück auf die Gegenwart. Die Prüfungen würden jeden Augenblick anfangen.

Das Turnierfeld lag gerade außerhalb der Stadt auf einem natürlichen Plateau, wo die zerklüftete Landschaft eingeebnet und mit bleichem, grobkörnigem Sand bedeckt worden war. In alle Richtungen erstreckten sich die Berge des nördlichen Valentia, aber zum Westen hin gab es einen Gipfel, der sich von dem ganzen Rest abhob.

Mont Noir, der schwarze Berg.

Dieser Berg, nach der dunklen Farbe seines Gesteins benannt, erhob sich wie ein Wachtposten über der Stadt von Caer Dour. Dort unterhielten die Magier ihre geheimen Türme, und dort beschworen die Kampfmagier seit jeher die Drachen. Und in dieser Nacht, wenn alle anderen damit beschäftigt waren, zu trinken und zu feiern, würde Falco den Berg erklimmen, um Zeuge einer Beschwörung zu sein. Womöglich war es die einzige Chance, die er jemals bekommen würde, einen Drachen aus der Nähe zu sehen, und er war fest entschlossen, sie zu nutzen. Aber der Aufstieg war keine leichte Sache, vor allem nicht für jemanden wie ihn.

Er musste frühzeitig verschwinden.

Er musste leise verschwinden.

»Psst!«

Aus seinen Gedanken gerissen, hätte Falco beinahe sein Tablett fallen lassen, auf dem Gebäck mit Ziegenkäse lag. Er trat von den Tischen zurück und bewegte sich an die Seite des Pavillons, wo eine der Stoffbahnen zurückgezogen worden war.

»Servierst du die, oder wartest du nur darauf, dass die Fliegen darüber herfallen?«

Malakis Arm schlängelte sich durch den Spalt am Rand des Pavillons und entfernte geschickt einen der schmackhaften Happen von Falcos Tablett.

»Du wirst noch kotzen«, warnte Falco ihn.

»Ich bin nicht nervös«, sagte Malaki mit vollem Mund.

Zweifelnd hob Falco eine Augenbraue. Immer, wenn er nervös war, aß Malaki.

»Na gut, vielleicht ein wenig«, gab er zu. »Es ist dieser verdammte Jarek. Er bestand ganz aus Lächeln und Freundlichkeit.«

Falcos Miene zeigte Argwohn.

»Genau«, sagte Malaki. »Da würde doch jeder nervös werden.«

»Ja, aber du kannst Jarek schlagen.«

»Ich weiß«, sagte Malaki. »Aber er ist gut, und es gibt immer die Möglichkeit eines Glückstreffers. Ich möchte einfach keinen Idioten aus mir machen.«

»Das wirst du auch nicht.«

Malaki ließ ein Lächeln aufblitzen, dann nickte er zu dem Gewühl aus gut gekleideten Leuten im Pavillon hinüber.

»Wie läuft es da drin?«

»Ausgezeichnet«, log Falco.

Bellius war genauso übel gewesen, wie er es erwartet hatte. Er hatte sich nicht einmal gescheut, wegen Falcos Anwesenheit Simeons Namen zu verunglimpfen. In Wahrheit nahmen es die anderen Bediensteten Falco sogar übel, dass er da war. Für jede Aufgabe, die man ihm übertrug, brauchte er länger oder trug weniger, aber er beschwerte sich nicht. Wenn er zur rechten Zeit am rechten Platz sein durfte, war er zufrieden.

»Hast du ihn schon bedient? Hat er mit dir gesprochen?«

Falco schüttelte den Kopf, während sein Blick dem von Malaki folgte. In dem Gedränge der Körper konnte er gerade so den Abgesandten erkennen.

Sein Name war Sir William Chevalier, und er sah mehr nach einem kampferprobten Ritter als nach einem höfischen Botschafter aus. Er war groß und breitschultrig, mit einer Anzahl von Narben auf seiner wettergegerbten Haut. Sein langes Haar war von grauen Strähnen durchsetzt, und auf seinem Kinn lag ein Bartschatten. Sein Gesicht brachte es zwar nicht fertig, gut auszusehen, aber er besaß ein ungezwungenes Auftreten und ein warmes Lächeln, das seinen ausgeprägten Zügen einen gewissen Reiz verlieh. Jetzt lächelte er, als er sich mit den Adligen unterhielt.

»Er kam in die Schmiede«, sagte Malaki.

»Wirklich!«, erwiderte Falco überrascht.

»Jepp«, gab Malaki zurück. »Er hinterließ da etwas für meinen Vater, um es abformen zu lassen.«

»Was war es?«

»Eine Gürtelschnalle, glaube ich«, sagte Malaki. »So etwas wie der Anhänger, den er trägt. Vater sagte, es ginge mich nichts an, aber er hat sich gleich an die Arbeit gemacht.«

Falco blickte zurück und konnte den silbernen Pferdekopf-Anhänger sehen, der an einem Lederband um den Hals des Abgesandten hing. Ab und zu glitt seine Hand aufwärts, um ihn zu berühren, als fände er die Anwesenheit des Schmuckstückes beruhigend. Der Abgesandte lächelte immer noch, aber sogar Malaki konnte sehen, dass etwas nicht stimmte.

»Er sieht nicht fröhlich aus.«

»Das ist er auch nicht«, sagte Falco.

»Oh?«

»Er glaubt, dass die Adligen zu selbstsicher gewesen sind.«

»Was? Er meint nicht, dass Darius die Besessenen besiegen kann?«

»Das ist es nicht«, sagte Falco. »Es sieht so aus, als ob Illicia mehrere Städte in der Gegend benachrichtigt und sie gewarnt hat, dass eine ferocianische Armee durch ihre Verteidigungslinien gebrochen ist.«

»Das haben sie getan?«, fragte Malaki, der sich näher heranlehnte.

Falco nickte. »Offenbar wurden die Adligen angewiesen, einen Kampfmagier von Caer Laison anzufordern.«

Malaki schnaubte. »Bellius würde eher seinen eigenen Fuß fressen, als Caer Laison um Hilfe zu bitten.«

»Genau«, sagte Falco, und die Aufmerksamkeit der beiden Jungen wanderte zu der gepflegten Gestalt von Bellius Snidesson hinüber. Er war ein hochgewachsener, gut aussehender Mann mit glänzendem dunklem Haar und einem perfekt getrimmten Bart. Sogar das Grau an seinen Schläfen besaß einen Schimmer von Silber. Er war tadellos gekleidet und – mit Darius zu seiner Linken und dem Abgesandten zu seiner Rechten – sah er wie das Abbild der Selbstgefälligkeit aus.

»Na, der Abgesandte ist aber nicht beeindruckt«, fuhr Falco fort. »Er denkt, dass die Adligen unklug waren, als sie darauf setzten, dass Darius rechtzeitig eintreffen würde.«

»Das ist er doch«, erwiderte Malaki.

Falco warf seinem Freund einen vernichtenden Blick zu, als überraschte es ihn zu hören, dass dieser für die Adligen Partei ergriff.

»Aber nehmen wir einmal an, er wäre nicht rechtzeitig gekommen. Nehmen wir an, er wäre aufgehalten worden. Dann wäre die Stadt schutzlos gewesen.«

Malaki billigte ihm den Standpunkt zu, aber was bedeutete es schon? Darius war doch jetzt hier.

»Deshalb wolltest du also bei den Prüfungen bedienen«, sagte er anklagend. »Damit du in alle neuen Gerüchte eingeweiht wirst.«

Falcos hochgezogene Augenbraue verriet nichts.

»Darius sieht so anders aus«, sagte Malaki, der den hervorstechenden jungen Mann im Zentrum der Aufmerksamkeit betrachtete.

»In gewisser Hinsicht schon«, sagte Falco in Gedanken. Es stimmte, er schien reifer und selbstsicherer zu sein, aber das Wesen des Mannes, dieses Gefühl von Tatkraft, jenes verborgene Feuer … das war für Falco immer unübersehbar gewesen.

»Was meinst du damit: in gewisser Hinsicht?«, spottete Malaki. »Sieh ihn dir doch an!«

Malaki hatte recht. Darius war zwar erst in seinen frühen Zwanzigern, aber er besaß das Auftreten eines wesentlich älteren Mannes. Tatsächlich, trotz all der adligen Ritter in dem Pavillon gab es nur zwei andere Männer, die es mit seiner Ausstrahlung aufnehmen konnten. Einer war der Abgesandte der Königin, der andere war Simeon le Roy.

Simeon war an den Tischen so weit entfernt platziert worden, wie es das Protokoll nur erlaubte, aber Darius hatte beim Betreten des Pavillons darauf Wert gelegt, ihn aufzusuchen. Die beiden Kampfmagier hatten einander die Hände geschüttelt, und dann war etwas Unausgesprochenes zwischen ihnen geschehen, etwas, von dem niemand sonst im Zelt die Hoffnung hätte haben können, es zu verstehen. Ihr Moment dauerte allerdings nicht lange an, denn mit einem Kommentar über »das Alte hinausbegleiten und das Neue hereinbringen« war Bellius schnell eingeschritten, um Darius zurück in die Kreise zu ziehen, die er zu beeindrucken suchte.

Caer Dours neuer Kampfmagier war mittelgroß, mit dunkelbraunem Haar, kantigen Gesichtszügen und einer ausgeprägten Hakennase. Er war in einen Waffenrock aus Grün und Gold gekleidet, wobei ausschließlich sein Schwert und ein einzelner Schulterschutz auf die Rüstung hinwiesen, die er im Kampf tragen würde. Falls er sich irgendeiner Anspannung bewusst war, die möglicherweise in der Luft lag, so zeigte er es nicht. Seine blauen Augen trafen auf das Lächeln der begeisterten Adligen, und er bewältigte die Aufmerksamkeit mit selbstsicherer Gelassenheit.

Plötzlich erhob sich außerhalb des Pavillons ein lauter Jubel, und die heikle Stimmung verpuffte, als alle Blicke sich auf das Turnierfeld richteten.

»Da kommen sie«, sagte Malaki.

Falco setzte sich in Bewegung, um zu sehen, wie die Kadetten das Feld betraten. Jede Gruppe wurde von einer passenden Einheit der Armee begleitet.

Als Erstes traf die Kavallerie ein und wurde von fünf Rittern vom Orden des Drachen in voller Rüstung eskortiert. Morgen würden diese Truppen ausreiten, um den Feind anzugreifen, aber heute brachten sie zehn der vielversprechendsten Jugendlichen der Stadt mit sich. Die Kadetten ließen ihre Pferde hochsteigen und stellten stolz ihre Fertigkeiten zur Schau, während die Ritter zum Salut für den Abgesandten der Königin ihre Lanzen neigten.

»Wer von denen gefällt dir?«, fragte Falco.

»Pah!«, sagte Malaki. »Keiner von ihnen hätte den Mumm, die épreuve du force zu versuchen.«

Falco blickte seinen Freund an und lächelte. Die épreuve de force oder die »Prüfung durch Gewalt« war eine mörderische Probe, durch die Männer von niedriger Geburt Ritter werden konnten. Aufgrund ihrer adeligen Herkunft brauchten diese jungen Männer allerdings gar keine Probe zu bestehen. An ihrem einundzwanzigsten Geburtstag würden sie den Titel »Ritter« erhalten.

»Die werden trainieren, um Offiziere zu werden, nicht Ritter«, sagte Falco. »Komm schon, Meister Mürrisch, auf wen setzt du dein Geld?«

Malaki blickte die zehn jungen Hoffnungsvollen an und schürzte die Lippen. Falco wusste, dass er es lieben würde, mit ihnen da draußen zu sein. Zu Fuß wie auf einem Pferd war er jedem dieser privilegierten jungen Adligen gewachsen.

»Owen ist der beste Alleskönner«, sagte Malaki, »aber Jarek ist der beste Berittene.«

»Was ist mit Gwilhem?«

Malaki nickte. »Stark wie ein Gebirgseber«, gab er zu. »Und ungefähr auch so geschickt«, fügte er mit einem schiefen Grinsen hinzu.

Als Nächstes kamen die Schwertkämpfer. Dies war der Kampfstil, für den Valentia berühmt war – der Kampf Mann gegen Mann mit Schwert und Schild.

Die Helme der Schwertkämpfer waren Beckenhauben, mit dem ausgeprägten T-förmigen Gesichtsschutz. Ihre Torsos wurden von Kettenhemden mit Plattenpanzerung auf dem Schwertarm, der Schulter und dem unteren Teil des führenden Beins beschützt. Die beiden Freunde beobachteten sie genau, denn die meisten dieser jungen Männer würden mit Malaki im Nahkampf konkurrieren. Der Nahkampf, der jedem offen stand, der verrückt genug war, daran teilzunehmen, markierte das Ende der Prüfungen. Er war das letzte und beliebteste Ereignis des Tages.

Dann waren die Speerkämpfer und Pikenierer an der Reihe. Sie würden anhand ihrer Stärke, Technik und Formation beurteilt werden, aber jeder wusste, dass der Abgesandte nach mutigen Männern Ausschau hielt, nach Männern, die im Angesicht eines feindlichen Angriffs nicht von der Stelle wichen. Solche Männer konnten eine Schlachtreihe gleichförmig halten, die ansonsten auseinanderbrechen würde. Und obwohl die Prüfungen kein echter Kampf waren, hatte Sir William Chevalier ein Talent dafür, den Charakter der Menschen einzuschätzen.

Endlich betraten die Bogenschützen das Feld, und der Jubel schwoll noch mehr an. Von seiner leicht erhöhten Position aus konnte Falco den Grund für die angewachsene Begeisterung sehen. Mit einem Lächeln nickte er in die Richtung des vorletzten Kadetten.

»Ich hab dir doch gesagt, dass sie es tun würde«, sagte er.

Malaki schlug sich verzweifelt die Hand auf die Stirn. Die meisten der zwanzig Kadetten, die als Bogenschützen antraten, waren breitschultrige junge Männer, die eher wie Bauernsöhne und weniger wie vornehme Adlige aussahen. Es war genau ihre Stärke, die es ihnen erlaubte, so mächtige Bögen durchzuziehen, und mächtige Bögen verliehen ihnen eine größere Zielgenauigkeit über längere Distanzen. Die Gestalt jedoch, der Falco zunickte, war weder breitschultrig noch besonders stark. Tatsächlich war sie eine Frau.

Bryna Godwin war die einzige Tochter von Sir Gerallt Godwin. Ihre schwarze Tunika und ihre Stiefelhose waren aus feinem Leder gearbeitet und mit verschlungenen Knotenmustern aus Rot und Gold besetzt. Ihr langes, rotes Haar war mit einer Lederschnur zurückgebunden, und die Röte ihrer Wangen hob sich deutlich von der nervösen Blässe ihrer Haut ab. Für den flüchtigen Beobachter erschien sie völlig deplatziert. Aber Bryna Godwin war eine Bogenschützin, und es war die Gemeinschaft anderer Bogenschützen, in der sie sich am meisten zu Hause fühlte.

»Sie ist verrückt«, sagte Malaki.

»Ja«, stimmte Falco zu. »Aber ihren Willen muss man bewundern.«

Bryna war nicht die erste Frau, die an den Prüfungen teilnahm, aber für gewöhnlich betrachtete man das Schlachtfeld nicht als den passenden Ort für eine Frau, besonders nicht für eine adlige Frau. Ihrem trotzig vorgereckten Kinn nach zu urteilen, war sich Bryna dessen nur allzu bewusst.

Brynas Vater, Sir Gerallt Godwin war eine stolze, aber tragische Gestalt. Als Ritter von einigem Ansehen hatte er zwei Söhne und eine Frau an eine Krankheit verloren, die ein paar Jahre zuvor durch die Stadt gefegt war. Er war einer der wenigen Adligen, die den Mut besaßen, Bellius Snidesson herauszufordern. Falco entdeckte ihn nahe am hinteren Ende des Pavillons. Er wurde gerade von Julius Merryweather beglückwünscht, einem großen, pausbäckigen Adligen, der in farbenfrohe Gewänder gekleidet war. Merryweather schien hocherfreut, dass Bryna an den Prüfungen teilnahm, aber Sir Gerallts Gesichtsausdruck nach war es nur allzu deutlich, dass er das Handeln seiner Tochter keineswegs guthieß.

Merryweather verließ Gerallt mit einem letzten Schulterklopfen und kehrte zu seinem Sohn Tobias zurück, der in einem Rollstuhl an einem der Tische saß. Falcos Blick verharrte auf dem unverwüstlich unbeschwerten Mann, als dieser sich bückte und die Spucke von dem herabhängenden Mund seines Sohnes wischte. Falco konnte nicht hören, was Julius sagte, aber sein gelähmter Sohn rutschte glücklich in dem Stuhl herum und winkte mit den kleinen hölzernen Ritterpuppen, die an seinen Handgelenken festgebunden waren.

Wenn die Adligen Brynas Dreistigkeit, an den Prüfungen teilzunehmen, missbilligten, dann begegneten sie Merryweathers Entscheidung, einen behinderten Sohn aufzuziehen, nahezu mit Feindseligkeit. Allerdings schien es nicht so, dass Merryweather dies zu bemerken schien. Er trotzte jeder Widrigkeit mit guter Laune. Doch wie viel davon ehrlich und wie viel Fassade war, konnte man unmöglich sagen.

Während Falco ihn beobachtete, blickte Merryweather über die menschliche Mauer im vorderen Bereich des Pavillons hinweg, und dann manövrierte er den Stuhl seines Sohns auf Falco zu – dorthin, wo der Pavillon nicht so überfüllt war.

»Stört dich doch nicht, wenn ich ihn hier absetze, nicht wahr, Meister Danté?«, fragte er, als spräche er zu einem Gleichgestellten und nicht zu einem Bediensteten in einem Haushalt. »Da oben sieht man den Wald vor lauter Bäumen nicht.« Merryweather stieß ein Lachen aus, als hätte er einen Witz gemacht.

»Nein, gar nicht«, erwiderte Falco und zog eine Bank aus dem Weg, um Platz für den sperrigen Rollstuhl zu schaffen. Er konnte zwar nicht behaupten, dass er sich in Tobias’ Gegenwart ungezwungen fühlte, aber er teilte auch nicht die Abneigung oder gar die Verachtung, die so viele andere zum Ausdruck brachten. Eigentlich mochte er Tobias.

»Ooh, die sehen ja gut aus!«, rief Merryweather und bediente sich von dem Gebäck auf Falcos Tablett, bevor er sich auf der Bank neben seinem Sohn niederließ.

Falco und Malaki tauschten einen amüsierten Blick, bevor sie ihre Aufmerksamkeit wieder auf das Turnierfeld richteten.

Die Kadetten, die von ihren Begleitern aus dem Heer flankiert wurden, hatten sich inzwischen vor dem Pavillon aufgestellt. Ein Hauptmann aus jeder Disziplin trat an den Pavillon heran und präsentierte eine Schriftrolle, die an den Abgesandten weitergereicht wurde. Sir Williams suchender Blick wanderte die Zeilen hinab, während er die Namen auf der Liste las. Als er damit fertig war, salutierte er den Kadetten, indem er seine rechte Faust an die Brust schlug und sie dann zu ihnen hin ausstreckte. Die Kadetten erwiderten den Salut, und der Abgesandte nahm neben Bellius Snidesson und Darius Voltario Platz.

Die Prüfungen konnten beginnen.

Malaki und Falco beobachteten, wie sich die Kadetten vom Feld bewegten. Falcos Blick wanderte von einem zum nächsten, aber Malakis Aufmerksamkeit war fest auf die rothaarige junge Frau in der schwarzen Tracht der Bogenschützen gerichtet.

»Warum, denkst du, hat sie es getan?«, fragte er.

»Ich nehme an, weil sie in Grimm trainieren will«, erwiderte Falco.

»Nicht, um ihren Vater zu verärgern?«, schlug Malaki vor, und Falco schürzte die Lippen.

»Möglich«, sagte er, »du weißt, wie sie ist. Sie hatte immer ihren eigenen Kopf.«

»Aber sie kann nicht mit den Männern konkurrieren«, sagte Malaki.

»Auf kürzere Entfernung ist sie so gut wie jeder andere«, brachte Falco dagegen vor. »Sogar besser als die meisten«, fügte er hinzu.

»Ich weiß. Aber es ist das Schießen auf Zeit und auf Kampfentfernung, das die Plätze entscheidet«, beharrte Malaki. »Ihr Bogen ist zu leicht. Sie wird es niemals schaffen, ihre Pfeile zu gruppieren.«

Falco musste ihm zustimmen. Er betrachtete den Bogen, den Bryna mit sich führte. Er war verhältnismäßig kurz, mit stark ausgeprägten Biegungen an den Enden. Die Ausführung verlieh ihren Pfeilen eine höhere Geschwindigkeit und holte das meiste aus Brynas geringerer Zugkraft heraus. Aber Malaki hatte recht, er konnte sich nicht mit den schwereren Bögen der Männer messen. Sie konnte sicherlich die größeren Distanzen erreichen, aber ihre Pfeile würden einem viel steileren Bogen folgen, und als Folge davon würde ihre Genauigkeit darunter leiden. Womöglich beeindruckte sie die Menge mit flüssigem Abschuss und Gruppierung auf kurze und mittlere Entfernung, aber wenn es um das Abfeuern unter Druck und auf volle Kampfentfernung ging, hatte Bryna Godwin schlicht und einfach keine Chance.

»Trotzdem«, sagte Malaki sehnsüchtig, »ihren Willen muss man bewundern.«

Falco lachte, als Malaki die Worte wiederholte, die er selbst gerade ausgesprochen hatte. Es war ein hoffnungsloser Fall von unangebrachter Zuneigung. Malaki war in Bryna verliebt, seit sie zum ersten Mal die Schmiede seines Vaters betreten hatte.

»Man hat mir erzählt, dass du die besten Speerspitzen der Stadt herstellst«, hatte sie in einem Ton gesagt, der für ihr zartes Alter viel zu hochmütig gewesen war.

Malakis Vater hatte bescheiden den Kopf geneigt.

»Ich nehme zwei Dutzend«, hatte sie weitergesprochen, »für morgen Abend.«

Malakis Vater hatte die Hände an seiner Schürze abgewischt, während er damit zu tun hatte, das Lächeln auf seinem Gesicht zu verbergen.

»Du kannst deine zwei Dutzend haben«, sagte er zu ihr. »Aber sie werden gewiss nicht bis zum Ende der Woche fertig sein.«

Es war deutlich, dass die zehn Jahre alte Bryna nicht erwartet hatte, in ihre Schranken gewiesen zu werden, aber sie ließ sich keineswegs unterkriegen und antwortete mit einem kleinen, steifen Kopfnicken.

»Abgemacht«, sagte Malakis Vater, spuckte in die Hand und streckte sie aus.

Bryna hatte mit Abscheu auf die große, schmierige Hand des Schmiedes gestarrt, aber da sie sich nicht erschrocken zeigen wollte, hatte sie in ihre eigene Hand gespuckt und den Handel mit einem Händeschütteln bekräftigt. Dann war sie mit einem Herumschnellen ihrer rotbraunen Locken gegangen.

Malakis Vater hatte sich zu seinem Sohn umgedreht. Er hatte belustigt die Augenbrauen hochgezogen und dann über den hingerissenen Ausdruck auf dem Gesicht seines Sohnes gelacht, als Malaki Bryna dabei beobachtete, wie sie die Schmiede verließ.

»Sie ist noch nicht einmal so hübsch«, zog Falco ihn auf.

Malaki wurde rot und versetzte ihm einen Schlag gegen das Knie.