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Wussten Sie, dass • die Alpen nur fünf Prozent des bayrischen Staatsgebiets bilden? • Bierzelte und Jodelwettbewerbe seltener sind, als man denkt? • Bayrisch sein bedeutet blau sein ohne zu trinken? Den Bayern an und für sich gibt es nicht, es hausen zu viele verschiedene Volksstämme in diesem buntscheckigen Land, mit völlig verschiedenen geschichtlichen Hintergründen, unterschiedlichen Dialekten und vor allem eigenen Klischees. Bestsellerautor Jörg Maurer ist einer von ihnen und hat Überraschendes und Unglaubliches, Kurioses und Großes über den widersprüchlichen Freistaat zusammengetragen.
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Seitenzahl: 183
Jörg Maurer
Bayern für die Hosentasche
Was Reiseführer verschweigen
FISCHER E-Books
Die Zutaten für den Original Bayerischen Leberkäse sind gepökeltes Rindfleisch, fettreicher Schweinebauch, Speck, Wasser, Salz, Majoran, Muskatblüte und Ingwer. Alles wird zu einem feinen Brät zerkleinert und in einer Form gebacken, bis sich eine braune Kruste gebildet hat. Das Büchlein, das Sie momentan in der Hand halten, wiegt genauso viel wie eine Original Bayerische Normscheibe für eine Standard-Leberkäs’semmel – von einer solchen wird noch ausführlich die Rede sein. Genügt dieses Buch aber auch anderen Anforderungen? Ist es zum Beispiel möglich, Bayern auf derart engem Raum, auf lediglich 142 Gramm Papier, auch nur ansatzweise zu erklären, ohne ins Klischee-Humpftata zu geraten? Um ganz sicherzugehen, besuchte ich den kundigen Heimatpfleger meines Vertrauens, einen Fachmann für bedrohte Bauerntrachten, vergessene Volksbräuche und aussterbende Redewendungen.
»Welches Bayern meinst du denn? Das ländliche oder das städtische, das nördliche oder südliche, das waldige oder das gebirgige, das jetzige oder das vorige Bayern?«
»Alles zusammen«, antwortete ich. »Ich bräuchte einen gemeinsamen Nenner. Einen Brühwürfel. So etwas wie die zusammengedampfte Essenz des Phänomens Bayern.«
Der Heimatpfleger überlegte. Schließlich erschien ein wissendes Lächeln auf seinem von Wind und Wetter gegerbten Gesicht.
»Du fahrst am besten nach München. Dann gehst in die Sendlinger Straße, Haus Nummer 32.«
»Was ist da?«
»Das wirst du schon sehen. Schon nach ein paar Minuten hast du einen groben Bauplan der bayrischen Seele.«
Ich machte mich auf den Weg. Was würde mich in der Sendlinger Straße 32 erwarten? Eine aufwendig renovierte, turbo-urige Wirtschaft mit einem top-typischen Stammtisch, an dem authentische Eingeborene mit zitternden Gamsbärten sitzen? Oder vielleicht eher ein Museum mit Original Wittelsbacher Reliquien und königlichen Devotionalien? Vielleicht war Nummer 32 auch ganz einfach die Adresse der Geschäftsleitung von BMW, der CSU oder des FCB. Als ich schließlich vor dem imposanten Gebäude stand, schüttelte ich verwundert den Kopf. Schon nach kurzer Zeit in der St.-Johann-Nepomuk-Kirche (besser bekannt als ›Asamkircherl‹) verstand ich gut, was der Heimatpfleger meines Vertrauens gemeint hatte. Dieses Gebäude ist sozusagen eine Kurzfassung des bayrischen Wesens, unabhängig von Stadt und Land, Berg und Tal, Schwab und Frank.
Der Eingangsbereich ist abweisend und düster. Rechter Hand schneidet der grinsende Tod Lebensfäden mit einer großen Schere entzwei. Auf der anderen Seite lodert das ewige Feuer, in das auch noch der Blitz einschlägt. Höllenrachen, Flammenschwerter, Urteilssprüche, Schreie, Halseisen, brennende Herzen. Zum Kirchenschiff hin erhebt sich schließlich ein großes schwarzes Gitter wie in einem Gefängnis. Ist der Bayer tatsächlich so? Harsch, brutal, abweisend? Manchmal schon. Dann jedoch betritt man das kleine Kirchenschiff. Und tatsächlich: Hier drinnen versteht man Bayern am schnellsten. Die Gebrüder Cosmas Damian Asam und Egid Quirin Asam haben die wundersame Kirche 1733 gebaut und gestaltet, ohne kirchliche oder weltliche Auftraggeber, lediglich für den Eigenbedarf – auf diese Weise konnten sie schalten und walten, wie sie wollten. Dieses Eigenständige, Eigenbrötlerische führt zum Kern des bayrischen Wesens.
»Um Gottes willen, ist das überladen!«, hört man jeden zweiten Besucher flüstern. Auch wenn man (so wie ich) ein kunstgeschichtlicher Laie ist, springt einem der barocke Stil ins Auge. Er wirft einen nieder. Aber genau das ist die Absicht. Den Brüdern Asam ging es wohl weniger um Andacht und stille Einkehr, sondern mehr um Repräsentation, Größe, Pathos, Muskelspiel sowie üppige Dekorationen, und das alles auf engstem Raum. Sie lassen es krachen, die frommen Künstler, und der weltliche Wohlstand schimmert überall durch, auch durch die schaurigsten Dunkelszenen von Tod und Verderben. Man sieht und begreift: Cosmas und Egid haben mitten im Stadtkern ein kleines Stück Bayern nachgebildet. Und die Touristen senden die Botschaft per MMS in alle Welt hinaus: So geht es wohl zu in bayrischen Seelen, die hin- und hergerissen sind zwischen demütiger Gottesfurcht und weltlicher Protzerei. (Geben Sie die Asamkirche ruhig in eine Suchmaschine ein. Die Bilder haben einen derartig üppigen Gold- und Vollsattfarbenanteil, dass der Rechner eine halbe Stunde braucht, um sie hochzuladen.)
Die meisten Gemälde in der kleinen Kirche zeigen den Lebensweg und das Wirken des heiligen Nepomuk. Er ist der Patron des Beichtgeheimnisses und der Verschwiegenheit, seine Hilfe wird erbeten bei Verleumdung, Meineid und Wassergefahr – das sind Themen, die im Freistaat durchaus schon immer eine Rolle gespielt haben. Im Erdgeschoss ist es duster, aber wenn man den Blick hinaufrichtet zum ersten Stock, dann wird es lichter und edler: Man sieht eine umlaufende Galerie mit stilisierten roten Theatervorhängen. Der Ort der Besinnung verwandelt sich schnell in einen Ort des Spektakels. Die Brüder Asam konnten von ihrem Wohnhaus nebenan durch einen Schlitz in der Wand einen Blick in ihre Kirche werfen, so wie Schauspieler vor der Vorstellung durch den Vorhang linsen. Die Theaterallegorie ist gewollt und überdeutlich. Denn gerade das Theatrale, Kulissenartige ist in Bayern zu Hause. Der Bayer ist die Rampensau unter den deutschen Volksstämmen. Er liebt den Knalleffekt, die Darstellung und natürlich die Selbstdarstellung. In dieser Kirche ist was los. Richtig in sich versinken und still beten kann man hier weniger, eher geblendet staunen und den Kopf schütteln. Ein Engel mit Helm und Federbusch zeigt marktschreierisch ins Kirchenschiff und ruft: »LOBET GOTT MIT DEM SCHALL DER HÖRNER! LOBT IHN MIT HARFE UND ZITHER! MIT PAUKEN UND TANZ!« Die bayrische Seele kennt keine Kleinbuchstaben. Aber die ohrenbetäubende Musik ist allgegenwärtig.
Das proppenvolle Asamkircherl hat drei Etagen. Ganz unten ist das barocke Lichtdesign wie gesagt duster und weltlich, auf diese Weise wird die Mühsal des täglichen Lebens dargestellt: Kummer, Leid, Sorge, Schmerz – gern hebt man den Blick. In der Mitte wird es lichter – hier thront die Obrigkeit, der Adel, die Regierung. Und ganz oben, im Juchhe, prangt gleißend und hell der Himmel. Diese dreifache Abstufung, die innere Dreifaltigkeit, die vereint der Bayer in sich. Er ist zum einen der alltägliche Dutzendmensch und bierselige Trunkenbold. Aber dann auch wieder ein regierungstreuer, der geregelten staatlichen Ordnung zugetane Bürger. Auf der dritten Ebene ist er idealistisch, verblasen und feinsinnig. Die Künste pflegt er. In die Oper geht er. Gedichterl schreibt er. Und das alles mit gleicher Inbrunst. Der Idealfall des Bayern war in früheren Zeiten der hart arbeitende Bauer, der einmal in der Woche das Amt des Bürgermeisters versehen und am Abend in der Stub’n zur Zither gegriffen hat. Die moderne Fassung davon ist der Ökobauer mit vier Windkrafträdern auf seinem halben Tagwerk Land und einem echten Ernst Ludwig Kirchner im Tresor.
Nach dem Besuch der Asamkirche versteht man die Einheimischen ein bisschen besser. Nicht viel, aber ein bisschen. Es ist schon einmal ein Anfang. So soll auch dieses Büchlein begriffen werden. Als Anfang. Bayern erklären – das kann, soll, muss, wird und tut dieses Büchlein nicht. Vor allem nicht vollständig. Auch nicht in kurzen Umrissen, in leicht fasslichen Schlagworten. Dies ist kein Reiseführer ins Wesentliche. Es ist überhaupt kein Reiseführer. Aber es ist eine kostbare Sammlung von Abwegigem und Kuriosem. Und gerade die Abwege führen oft zu überraschenden Einsichten.
Natürlich könnte man einwenden, dass das Asamkircherl ein barocker Einzelfall ist. Vor dreihundert Jahren war das eben so. In der Zwischenzeit hätte sich viel verändert. Gar nichts hat sich verändert! Ein paar Gehminuten von der Sendlinger Straße entfernt stehen die neuerbauten Fünf Höfe mit ihrem wuchtigen Dreischlag aus Business, Entertainment und Style. Es ist dasselbe Bauprinzip. Von der Kardinal-Faulhaber-Straße her ein schmaler Eingang, abweisend und dunkel, fast mystisch und besinnlich, wieder gibt es ein geschmiedetes Gitter wie bei einem Kirchenportal. Dann wird es hell, der Blick geht automatisch in die Höhe, man kommt sich klein und winzig vor, ahnt man doch dort oben die Offenbarungen und Verheißungen der Warenwelt. Die Verkäufer bewegen sich in der konzentriert lässigen Art von katholischen Messdienern, die allgegenwärtige Chill-out-Musik würde sogar Hildegard von Bingen gefallen. Und die große, hängende Kugel aus Stahlgeflecht im Viscardihof senkt sich von oben auf die Gläubigen herab wie das Ewige Licht. HALLELUJA!
Der bayrische Kabarettist und Autor Bruno Jonas hat einmal empfohlen, Bayern möglichst von Osten, also von Böhmen her, zu bereisen, um so auf den Spuren der ersten Siedler zu wandeln. Von den ersten Bayern ist allerdings wenig bekannt. Eigentlich gar nichts. Sie könnten von überall hergekommen sein. Es könnten Noriker, Räter oder Vindeliker, vielleicht auch verwilderte Kelten oder Etrusker gewesen sein, die weit vor Christi Geburt den waldigen Weg von Prag über Budweis nach Schnellenzipf und Philippsreut gegangen sind. Es ist alles reine Spekulation, aber die Vorstellung, die Geschichte im Kleinen ein bisschen zu wiederholen ist doch charmant. Eben hat man sich in Strážný, Řasnice und Krč noch durchs struppige Unterholz der tschechischen Konsonantenvielfalt gekämpft, im nächsten Augenblick schwimmt man schon im warmen Vokalstrom niederbayrischer Klangfülle. Ein Erlebnis des Ankommens.
Von Süden her anzureisen, über die Alpen, hätte ebenfalls historischen Biss, aber einen mit saurem Beigeschmack, denn von dort sind wohl die ersten Usurpatoren und Besatzer in Form von römischen Kohorten ins Land eingedrungen. Sie haben allerdings nicht nur Verwüstung angerichtet, sondern auch Städte wie Regensburg und Augsburg gegründet. Eine Anreise über die Alpen erinnert vielleicht auch daran, dass diese vor langer Zeit einmal unter bayrischem Einfluss gestanden haben. Die größte Ausdehnung erreichte das Herzogtum zwischen den Jahren 957 und 976. Das heutige Südtirol, Trient und ein guter Teil Venetiens und Istriens waren bayrisch. Stilvoll wäre demnach eine Reise hoch zu Ross, auf den Spuren von Herzog Heinrich dem Zänker (951 bis 995) mit Startpunkt Venedig.
Der Anreise von Norden her fehlen solche romantisch-historischen Aspekte. Jeden Tag brettern hundert- bis hundertfünfzigtausend Fahrzeuge von Berlin nach München. Die A9, die wie eine Schnittwunde in Deutschland klafft, war 1920 als ›Autofernstraße‹ Berlin–Rom geplant, sie ist eine der ältesten Autobahnen Deutschlands. Bis 1989 war sie Transitstrecke durch die DDR, jetzt verbindet sie das alte Preußen via Sachsen wieder mit dem alten Bayern. Waren die ersten Bayern gar Sachsen? Oder versprengte Preußen?
Von Westen, also von Baden-Württemberg her, anzureisen hat den Nachteil, dass man den Übergang gar nicht bemerkt, weder geographisch noch kulturell. Es ist eher eine Überblendung. Die alemannischen, schwäbischen und Allgäuer Elemente verlieren sich langsam und weichen unversehens den bayrischen. Die dadurch entstehenden sprachlichen und kulinarischen Mischformen sind allerdings äußerst vielfältig. Das ist eine Tour auf den Spuren von Napoleon Bonaparte, der Bayern das Königreich, einen Krieg mit Österreich und viele französische Wörter gebracht hat.
Mein Vorschlag ist jedoch die Anreise von oben. Denn erstens ist Bayern auf diese Weise noch nie okkupiert worden. Zudem ist die Chance, bei der Landung auf ein Postkartenklischee zu treffen, äußerst gering. Hierzu benützt man keinen normalen Flieger, sondern einen urtümlichen Heißluftballon. Man startet in Hamburg, Paris oder Zeitz Richtung Bayern. Da es bei einer solchen Luftfahrt nicht möglich ist, ein genaues Ziel anzugeben, wird man mit großer Wahrscheinlichkeit in einem unverfälschten Fleckchen des Freistaats landen. Die Rechnung ist einfach:
Die Alpen bilden nur 5 % des bayrischen Staatsgebiets.
Bierzelte und Jodelwettbewerbe sind seltener, als man denkt.
Die Theresienwiese, das BMW-Gelände und die Allianz-Arena machen zusammen lediglich 0,000014 % des Staatsgebietes aus.
Die Dichte der Brauereien ist auch nicht so furchtbar groß (2014 waren es 616).
Ein Drittel Bayerns besteht aus Wald, ein weiteres Drittel aus Wiese.
Man landet also entweder auf einer der vielen Barockkirchen und stößt auf Probleme mit dem Klerus (»Landung auf der Kirchturmmauer macht den frömmsten Pfarrer sauer«) oder aber, mit 92 %iger Wahrscheinlichkeit, auf unbebauter Fläche. Man sieht, was die ersten Siedler gesehen haben. Mit etwas Glück trifft man vielleicht sogar noch verirrte Noriker, Räten oder Vindeliker, vielleicht auch verwilderte Kelten oder Etrusker, die einen in breitestem Norisch, Rätisch, Vindelikisch, Keltisch oder Etruskisch nach dem Weg fragen. Man antwortet ihnen am besten in gepflegtestem Bairisch: »Darenndifeinet!« Mit wilder Inbrunst hervorgestoßen, werden sie es schon verstehen.
In gepflegtestem Bairisch oder in gepflegtestem Bayrisch? Es geht ja schon an mit dem auffälligen Ypsilon im Wort Bayern. Der altmodische Ur-Buchstabe sticht ins Auge wie ein Cartier-Klunker am Ohr eines Bräurosses. Das y adelt das bäuerliche Baiern zu einem fürstlichen Bayern. Man hat sich dran gewöhnt, aber man stelle sich Berlyn vor oder Nydersachsen, ganz abgesehen von Schleswyg-Holsteyn mit seiner marytymen Resydenz Kyl.
Bayern wurde nicht immer so protzig geschrieben. Genau bis zum 20. Oktober 1825 hieß der Flecken zwischen Spessart und Karwendel ganz schlicht und klunkerlos ›Baiern‹. Dann aber ordnete der Landesvater, König Ludwig I. (der Großvater vom Märchenkönig, von beiden wird noch die Rede sein) an, die geltende Schreibweise auf das griechische Ypsilon umzustellen.
»Majestät?«
»Was steht heute an? Kriege? Steuererhöhungen?«
»Nichts dergleichen, Majestät.«
»Dann ändere Er wenigstens das plumpe i zu einem griechischen y.«
»Alles umändern, Majestät? Auch die Bybel?«
Man fing erst mal mit dem Landesnamen an. Der wahre Grund dafür war übrigens der starke Philhellenismus dieser Zeit, also die Freundschaft zum Griechentum. Otto, der Sohn von Ludwig I., wurde sogar zum griechischen König gewählt, Bayern und Griechenland waren damals eng verbunden.
Weiter geht es mit dem e. Es ist die alte Rechtschreibfrage: bayrisch oder bayerisch? Nur ganz kurz: Die Form ohne »e« ist umgangssprachlich; die Form mit »e« ist standardsprachlich, sie findet in offiziellen Namen Verwendung: der Bayerische Rundfunk, der Bayerische Wald. Aber: der bayrische Humor, der anscheinend dann doch nicht so ganz amtlich ist. Daneben gibt es auch noch das Adjektiv »bairisch«, das man verwendet, wenn lediglich die Sprache gemeint ist. Der Bayer selbst nennt sich »Boar« und spricht (außer im bayrischen ›Tatort‹) »boarisch«. Als ob das noch nicht genug wäre, gibt es noch das »Bajuwarische«. Was damit gemeint ist, ist reichlich unklar. Mit den »Bajuwaren« werden oft die Ureinwohner oder ersten Einwanderer bezeichnet. Das germanische Wort »baio-warioz« bedeutet schlicht: Die Männer aus Böhmen. Also doch! Aber kamen die ersten Bayern wirklich von driben? Aus Strážný, Řasnice und Krč? Und nur Männer?
Nimm eine Kaffeetasse und zeichne mit Bleistift einen Kreis.
Markiere die angegebenen Uhrzeiten.
Verbinde die Markierungen mit Bleistift.
Ahnst du schon was?
Beginne unten rechts bei 5 Uhr, arbeite immer gegen den Uhrzeigersinn. Zeichne einen Knubbel nach außen, dann einen größeren nach innen, noch einen kleineren nach innen, schließlich einen mittleren nach außen. Es entsteht ein Gesicht – unten das Kinn, oben der Mund und ganz oben, bei 3 Uhr, die Nase.
Von 3 Uhr zurück auf 12 Uhr: eine Delle nach innen, die selbst wieder eine Delle hat – ein kleines Stück auf der Linie – ein flacher Hügel nach außen.
Weißt du’s schon?
Und immer die gestrichelten Hilfslinien wegradieren!
Oben ist es leicht: zwei Bergspitzen nach unten, dann drei Bergspitzen nach oben.
Das ist ein bisschen schwieriger: Zeichne einen Hennenkopf, der nach rechts schaut.
Du schaffst es!
Der Rest ist einfach:
kurz vor 7 Uhr eine Löwenpranke nach links unten, zwischen 7 Uhr und 6 Uhr ein Bäuchlein nach innen, zwischen 6 Uhr und 5 Uhr nochmal eins.
Jetzt radiere die Uhrzeiten weg und zeichne die gesamte Linie nochmals mit dem Filzstift nach.
Zittere etwas dabei – dann wirkt es echter!
Du kannst stolz auf dich sein.
Du hast aus einem Kreis ein Land gemacht.
Dreh die Tasse wieder um und mach dir einen Kaffee!
So kann man sich eine ungefähre Vorstellung von der Gestalt des derzeitigen bayrischen Staatsgebildes machen. Wie jetzt: des bayrischen oder bay-e-rischen? Um nicht ständig zwischen den beiden Schreibweisen wechseln zu müssen, wollen wir das fragliche -e- mal durchgehend drinlassen, vielleicht auch noch kursiv und tiefergestellt, das weist auf die Bandbreite der Bedeutungen hin. Bayerisch – das benennt das hochoffizielle und das alternative Bayern, das ist Markus Söder und Hans Söllner in einem. Wie halten wir es aber mit der bairischen Sprache, die laut Duden ein i verlangt? Schreiben wir da jetzt Bairisch oder Baierisch? Man könnte das Problem so lösen, dass das von König Ludwig I. verordnete griechische y einfach einen Punkt obendrauf bekommt. Oder noch besser zwei, das war früher ohnehin üblich. Solch ein Baÿern sieht sowieso viel polyglotter aus. Irgendwie türkisch. Wenn aber die türkischstämmigen Bayern (das ist die größte ausländische Bevölkerungsgruppe) extra erwähnt sind, dann wird es nicht lange dauern, bis die Schwaben und Franken, die ewig beleidigten Leberwürste, daherkommen und sich ausgeschlossen fühlen. Wir könnten sie milde stimmen durch die Großschreibung der vorhandenen Buchstaben a und n, das sind die Autokennzeichen ihrer Hauptstädte, Augsburg und Nürnberg: bAÿerN. An den Münchnern und Oberpfälzern wird noch gearbeitet, die spanischsprachigen Mitbürger mögen ihr ñ bekommen, so dass wir schließlich stolz ausrufen können: Gott mit dir, du Land der bAÿerñ! Apropos Gott: Evangelen, Buddhisten und alle anderen Religionszugehörigkeiten, die wir hier außer Acht gelassen haben, werden mit einem interreligiösen Sternchen mit ins Boot genommen, Freidenker und Atheisten mit einem Unterstrich: *bAÿerñ_. Und damit sich gar niemand beschweren kann: Alle Varianten aktueller und zukünftiger geschlechtlicher Orientierung könnte man mit einem Audi-Logo, das aus dem Bauch des -b- quillt, abdecken. Will heißen: Vorsprung durch Technik. . Schwierig, sicherlich. Wenn man sich aber erst einmal daran gewöhnt hat, geht es ganz locker von der Hand.
Bis sich das aber durchgesetzt hat, lasse ich das -e- einfach mal durchgehend weg. Auf gut Bairisch. Schöner ökologischer Nebeneffekt: Auf den 256 Seiten dieses Büchleins habe ich mir das -e- dadurch 269-mal erspart, das ist eine viertel Seite. Es ist zwar nur ein klitzekleiner Beitrag zum Umweltschutz, aber sich damals in Wackersdorf von Polizisten wegtragen zu lassen hat noch viel weniger gebracht.
Der Auswärtige wird hierzulande daran erkannt, dass er versucht, ein allgemeines Wald-und-Wiesen-Bairisch zu reden, obwohl das nirgends so gesprochen wird. Die Dialekte im Freistaat sind vielfältig und oft grundverschieden. Man könnte grob einteilen in ein südöstliches Bairisch (Ober- und Niederbayern, Oberpfalz), ein nördliches (Franken) und westliches Bairisch (Schwaben). Doch dann gibt es jeweils wieder Hunderte von Sub-Dialekten und Tausende von Sub-Sub-Dialekten. Schon als Oberbayer wird man schief angeschaut, wenn man versucht, Schwäbisch zu reden. Was heißt schief angeschaut – Man gerät in Lebensgefahr. Das Gleiche gilt für einen Augsburger Schwaben, der sich im Allgäuer Dialekt versucht. Und schon der Unterschied zwischen den Augsburger Stadtteilen Göggingen und Ulrichsviertel soll enorm und unüberbrückbar sein.
Ich habe trotzdem versucht, ein paar gemeinsame Nenner zu finden. Für eine Postkarte, die man nach Hause schickt, nach Kiel oder Chicago, sieht das Küchenbairisch schon ganz ordentlich aus. Ich beschränke mich auf fünf Regeln.
Ab und zu ein Auslassungszeichen für den Buchstaben »e« setzen. Probieren Sie das mit einigen Wörtern durch, und Sie fühlen sich schon halb wie im Bierzelt:
warten → wart’n
trinken → trink’n
besoffen → b’soff’n
Jetzt die Blasmusik und ein Jodler dazu: Aus den »i«-s werden gejauchzte »ia«-s:
Licht → Liacht
Liebste → Liabste
Aus »a« wird ein dunkles, langes »o«, in dem eine Prise »u« mitschwingt:
Haar → Hoor
war → woor
Die Endsilbe »-er« verwandelt sich in ein »a«:
Schreiner → Schreina
Mörder → Mörda
Und schließlich wird aus dem preußisch harten »u« ein weiches südländisches, fast mediterranes »ua«:
zu → zua
Mutter → Muatta
Fertig! Ich nehme einen bekannten hochdeutschen Text, von einem bekannten hochdeutschen Nicht-Bayern –
Über allen Gipfeln
Ist Ruh’,
In allen Wipfeln
Spürest du
Kaum einen Hauch;
– und wende den Bairisch-Generator auf ihn an:
Üba oolle Gipf’l
is Rua,
üba oolle Wipf’l
spür’st
kaum an Hauch.
Sieht doch schon ziemlich bairisch aus, oder? Statt »kaum einen Hauch« würde der Bayer eher »fast nix« oder »eppas ganz Nixigs« sagen. Aber wer weiß das schon in Kiel oder Chicago. Fürs Erste muss es genügen.
Einen Bayern an und für sich gibt es eigentlich nicht, es hausen zu viele verschiedene Volksstämme in diesem buntscheckigen Land, alle mit völlig andersartigen geschichtlichen Hintergründen, unterschiedlichen Dialekten und vor allem eigenen Klischees. Diese Klischees sind uralt und nicht auszurotten: Der Schwabe ist sparsam, der Münchner säuft ständig Bier, der Franke will eigentlich gar kein Bayer sein usw. Das Erstaunliche ist, dass sich diese einzelnen Volksgruppen gegen die Klischees gar nicht mehr besonders wehren, will doch jeder der Stämme etwas Besonderes sein im Volksgruppengedrängel des Freistaats.
Zunächst zu den Oberbayern. Es heißt, dass sie die Lebenslustigsten sind, barock, theatralisch und verspielt, heimatverbunden und sesshaft noch dazu. Der viele Fremdenverkehr kommt ihnen gerade recht, sie bauen gerne Kulissen auf, inszenieren sich selbst und spielen mit Inbrunst Theater. Sie haben angeblich das Jodeln und Schuhplatteln erfunden. Man möchte sie den dramatischen Volksstamm nennen. ›Wanderers Nachtlied‹ von Johann Wolfgang von Goethe würde also bei einem Heimatabend des Fremdenverkehrsheims Tegernsee etwa so klingen:
Über alle Gipfi spielt d’ Musi – dreidullijöh!
Hinter jedem Wipfi lauert ’s Gpusi – drucksdiejöh!