Bedenke Phlebas - Iain Banks - E-Book
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Iain Banks

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Beschreibung

In der fernen Zukunft wird der Traum von der perfekten Gesellschaft zur Gefahr für die Freiheit des Einzelnen

In ferner Zukunft haben die Menschen beschlossen, eine perfekte Gesellschaft zu bauen. Eine Gesellschaft, die alle Völker der Galaxis vereinen soll, wo auch immer sie leben, welcher Religion sie auch angehören mögen. Eine Gesellschaft, die schon bald Gefahr läuft, totalitäre Züge anzunehmen. Und heftigen Widerstand auf den Plan ruft ...

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Das Buch

Sie sind ein kleiner tollkühner Haufen, der immer dort auftaucht, wo das Ende bevorsteht – wenn freischwebende, Zehntausende von Kilometern durchmessende Habitate aus strategischen Gründen gesprengt werden, brennende Raumschiffe in den Tiefen des Alls lodern oder Planeten zu Staub zermalmt werden. Sie nehmen mit, was sie nur kriegen können, und profitieren so von einer Auseinandersetzung zwischen den Idiranern, einer uralten insektoiden Kriegerspezies, und der KULTUR, dem übermächtigen Imperium der Maschinen. Sie vermeiden es tunlichst, sich zu einer der beiden Parteien zu bekennen. Doch unter ihnen befindet sich ein Gestaltwandler, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, die KULTUR mit allen Mitteln zu vernichten … Mit diesem Roman, jetzt schon ein moderner Klassiker, hat Iain Banks das Genre der Space Opera, der groß angelegten Weltraumabenteuer, nicht nur revitalisiert, sondern auch mit literarischen Weihen versehen. Bedenke Phlebas stand monatelang auf den britischen Bestsellerlisten.

Der Autor

Iain Banks wurde 1954 in Schottland geboren. Nach einem Englischstudium schlug er sich mit etlichen Gelegenheitsjobs herum, bis ihn sein 1984 veröffentlichter Roman Die Wespenfabrik als neue aufregende literarische Stimme bekannt machte. In den folgenden Jahren schrieb er zahllose weitere Romane und Erzählungen, darunter auch etliche, die im selben Universum wie Bedenke Phlebas angesiedelt sind. Banks starb im Jahr 2013. Er gilt heute als einer der bedeutendsten Vertreter der britischen Literatur der letzten Jahrzehnte.

DIE GROSSE HEYNE SCIENCE-FICTION JUBILÄUMSEDITION

Ursula K. Le Guin: Die linke Hand der Dunkelheit

Joe Haldeman: Der ewige Krieg

William Gibson: Die Neuromancer-Trilogie

Iain Banks: Bedenke Phlebas

Dmitry Glukhovsky: Metro 2033 / Metro 2034

Sascha Mamczak: Die Zukunft – Eine Einführung

Iain Banks

Bedenke Phlebas

Roman

WILHELM HEYNE VERLAG

MÜNCHEN

Titel der englischen Originalausgabe

CONSIDER PHLEBAS

Deutsche Übersetzung von Rosemarie Hundertmarck

Deutsche Übersetzung des Anhangs von Jürgen Thomann

Copyright © 1987 by Iain Banks

Copyright © 1993 des Anhangs by Iain Banks

Copyright © 2014 der deutschen Ausgabe und der Übersetzung

by Wilhelm Heyne Verlag, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH

Umschlaggestaltung: Stardust, München

Umschlagillustration: Valentina Montagna

Satz: KompetenzCenter, Mönchengladbach

ISBN: 978-3-641-11767-2

Götzendienst ist schlimmer als Gemetzel.

Der Koran, 2:190

Heide oder Jude

O du, der das Rad dreht und windwärts lugt,

Bedenke Phlebas, der einst schön und stark wie du.

T. S. Eliot: Das wüste Land, IV

Prolog

Das Raumfahrzeug hatte nicht einmal einen Namen. Es hatte keine menschliche Besatzung, weil das Fabrikschiff, das es gebaut hatte, vor langer Zeit evakuiert worden war. Aus dem gleichen Grund hatte es kein Lebenserhaltungssystem und keine Unterkünfte. Es hatte keine Klassennummer und keine Flottenkennzeichnung, weil es ein Flickwerk war, zusammengesetzt aus Teilen und Stücken verschiedener Typen von Kriegsschiffen, und es hatte keinen Namen, weil dem Fabrikschiff für solchen Firlefanz keine Zeit mehr geblieben war.

Die Werft schusterte das Schiff zusammen, so gut es ihr mit ihren zusammengeschmolzenen Vorräten an Komponenten möglich war. Allerdings war der größte Teil der Waffen-, Energie- und sensorischen Systeme entweder fehlerhaft oder veraltet oder reif zur Überholung. Das Fabrikschiff wusste, seine eigene Zerstörung war unvermeidlich, aber es bestand immerhin eine Chance, dass die Geschwindigkeit und das Glück seiner letzten Schöpfung für eine Flucht reichten.

Die eine perfekte, unbezahlbare Komponente, die das Fabrikschiff tatsächlich besaß, war das außerordentlich mächtige – wenn auch noch unerfahrene und ungeübte – elektronische Gehirn, um das herum es den Rest des Fahrzeugs konstruierte. Wenn es das Gehirn in Sicherheit bringen konnte, dann hatte das Fabrikschiff, wie es dachte, seine Sache gut gemacht. Trotzdem gab es einen weiteren Grund – und das war der wirkliche Grund –, warum die Werftmutter ihrem Kriegsschiff-Kind keinen Namen gab. Sie meinte, ihm mangele es an noch etwas: an Hoffnung.

Als das Raumfahrzeug die Montagebucht des Fabrikschiffs verließ, war an seiner Ausstattung das meiste noch zu tun. Hart beschleunigend folgte es einem Kurs, der eine vierdimensionale Spirale durch einen Blizzard aus Sternen zog, wo, wie es wusste, überall Gefahren lauerten. Mit abgenutzten Maschinen aus einem überholten Schiff der einen Klasse warf es sich in den Hyperraum, sah mit kriegsgeschädigten Sensoren einer zweiten seinen Geburtsort achtern verschwinden und testete veraltete Waffeneinheiten, die von noch einer dritten Klasse ausgeschlachtet waren. Innerhalb seiner Kriegsschiffhülle mühten sich in engen, unbeleuchteten, ungeheizten, luftlosen Räumen Bauroboter damit ab, Sensoren, Versetzer, Feldgeneratoren, Schirmunterbrecher, Laserfelder, Plasmakammern, Gefechtskopf-Magazine, Manövriereinheiten, Reparatursysteme und die Tausende anderer größerer und kleinerer Komponenten zu installieren oder zu vervollständigen, die ein Kriegsschiff erst funktionsfähig machen. Während es durch die weiten, offenen Räume zwischen den Sternensystemen fegte, änderte sich die innere Struktur des Fahrzeugs nach und nach, und je weiter die Bauroboter mit ihrer Arbeit voranschritten, desto weniger chaotisch und desto normaler wurde es.

Nach mehrmals zehn Stunden seiner ersten Reise, als es gerade seinen Spurscanner testete, indem es ihn auf den zurückgelegten Weg richtete, registrierte das Schiff eine einzige massive Annihilierungsexplosion weit hinter sich, wo das Fabrikschiff gewesen war. Es beobachtete eine Weile die aufblühende Strahlungssphäre, dann schaltete es das Scannerfeld auf genau voraus und jagte noch mehr Energie durch seine bereits überlasteten Triebwerke.

Das Schiff tat alles, was es konnte, um eine Kampfhandlung zu vermeiden. Es hielt sich ein gutes Stück von den Routen entfernt, die feindliche Fahrzeuge wahrscheinlich benutzen würden. Es behandelte jeden Hinweis auf irgendein Fahrzeug als bestätigten feindlichen Sichtkontakt. Während es kreuz und quer und hinauf und hinunter dahinzog, spiralte es gleichzeitig, so schnell es konnte und so direkt, wie es das wagte, den Zweig des galaktischen Arms hinunter, in dem es geboren worden war, immer Kurs auf den großen Isthmus und den verhältnismäßig leeren Raum jenseits davon haltend. Auf der anderen Seite, am Rande des nächsten Zweigs, mochte es Sicherheit finden.

Gerade als es diese erste Grenze erreichte, wo die Sterne wie eine glitzernde Klippe vor der Leere aufragten, wurde es entdeckt.

Eine Flotte feindlicher Fahrzeuge, deren Kurs zufällig dem fliehenden Schiff nahe genug kam, entdeckte seine ungleichmäßige, geräuschvolle Emissionssphäre und fing es ab. Das Schiff lief genau in ihren Angriff und wurde überwältigt. Seine Waffen fielen aus, und langsam und verwundbar, wie es war, erkannte es beinahe auf der Stelle, dass es keine Chance hatte, der gegnerischen Flotte irgendeinen Schaden zuzufügen.

Deshalb zerstörte es sich selbst. Es ließ seinen Vorrat an Gefechtsköpfen in einem plötzlichen Energieausbruch detonieren, der eine Sekunde lang, nur im Hyperraum, den gelben Zwergstern eines nahe gelegen Systems überstrahlte.

In einem Muster um das Schiff verstreut, bildeten die Tausende explodierender Gefechtsköpfe einen Augenblick, bevor das Schiff selbst zu Plasma zerstäubte, eine sich schnell ausdehnende Strahlungssphäre, aus der hinaus eine Flucht unmöglich schien. Gegen Ende des Sekundenbruchteils, den die ganze Kampfhandlung dauerte, gab es ein paar Millionstel, in denen die Kampf-Computer der feindlichen Flotte kurz das vierdimensionale Gewirr expandierender Strahlung analysierten und erkannten, dass es einen einzigen verblüffend komplizierten und sehr unwahrscheinlichen Weg aus den konzentrischen Kugeln eruptierender Energien gab, die sich jetzt wie die Blätter einer riesigen Blüte zwischen den Sternensystemen öffneten. Es war jedoch keine Route, die das Gehirn eines kleinen, archaischen Kriegsschiffes hätte planen und schaffen, und der es sodann hätte folgen können.

Zu dem Zeitpunkt, als festgestellt wurde, dass das Gehirn des Schiffs genau diesen Pfad durch seinen Annihilierungsschirm genommen hatte, konnte man es nicht mehr daran hindern, durch den Hyperraum auf einen kleinen, kalten Planeten zuzufallen. Es war, von innen gerechnet, der vierte der isolierten gelben Sonne des nahe gelegenen Systems.

Ebenso war es zu spät, etwas gegen das Licht von den explodierenden Gefechtsköpfen des Schiffes zu unternehmen. Es war zu einem einfachen Code angeordnet worden, der das Schicksal des Schiffes sowie das Wehrdienstverhältnis und die Position des Gehirns beschrieb, lesbar für jeden, der das wesenlose Licht bei seinem Lauf durch die Galaxis sah. Vielleicht am schlimmsten von allem war – und hätte ihre Konstruktion es ihnen erlaubt, dann hätten diese elektronischen Gehirne darauf mit Bestürzung reagiert –, dass es sich bei dem Planeten, auf den sich das Gehirn durch seinen Schirm aus Explosionen gerettet hatte, nicht um einen handelte, den man einfach hätte angreifen oder zerstören oder auf dem man auch nur hätte landen können. Es war Schars Welt, nahe der Region leeren Raums zwischen zwei galaktischen Armen, die man den »Düsteren Golf« nannte, und es war einer der verbotenen Planeten der Toten.

Erster Teil

Sorpen

Das Zeug war jetzt bis an seine Oberlippe gestiegen. Auch wenn er den Kopf fest gegen die Steine der Zellenwand drückte, befand sich seine Nase nur knapp über der Oberfläche. Er würde seine Hände nicht mehr rechtzeitig freibekommen; er würde ertrinken.

In der Dunkelheit der Zelle, in dem Gestank und der Wärme, während der Schweiß ihm über die Stirn lief, seine Augen fest geschlossen waren und er ununterbrochen in Trance verharrte, versuchte ein Teil seines Verstandes, sich an die Vorstellung seines eigenen Todes zu gewöhnen. Aber wie ein unsichtbares Insekt, das in einem stillen Raum herumsummt, war da etwas anderes, etwas, das nicht weggehen wollte, das ihm nichts nützte und ihn nur irritierte. Es war ein Satz, irrelevant und sinnlos und so alt, dass er nicht mehr wusste, wo er ihn gehört oder gelesen hatte, und er lief immerzu rundherum über die Innenwand seines Kopfes wie eine Murmel in einem Krug:

Die Jinmoti von Bozlen Zwei töten die Personen, die, durch Erbfolge dazu bestimmt, den Ritualmord an der engeren Familie des Jahreskönigs ausführen, indem sie sie in den Tränen des kontinentalen Empathaur in seiner Traurigkeitszeit ertränken.

Zu einem bestimmten Zeitpunkt, kurz nachdem seine Qualen begonnen hatten und er sich erst teilweise in Trance befand, hatte er sich gefragt, was passieren würde, wenn er sich übergab. Das war gewesen, als die Palastküche – vielleicht fünfzehn oder sechzehn Stockwerke über ihm, wenn er richtig schätzte – ihren Abfall das gewundene Netzwerk von Rohrleitungen hinunterschickte, die in die Kloakenzelle führten. Die gurgelnde, wässerige Masse hatte verfaulte Essensreste losgerissen, die vom letzten Mal, als irgendein armer Teufel in Schmutz und Abfall ertränkt worden war, übrig waren, und in dem Augenblick hatte er befürchtet, er müsse erbrechen. Fast war es tröstlich gewesen, als seine Berechnung ergab, dass das für den Zeitpunkt seines Todes keinen Unterschied bedeutete.

Dann hatte er darüber nachgedacht – in diesem Zustand nervöser Leichtfertigkeit, wie er manchmal solche überfällt, die in einer lebensbedrohenden Situation nichts weiter tun können als warten –, ob Weinen seinen Tod beschleunigen würde. Theoretisch ja, wenn es auch praktisch keine Rolle spielte. Aber dann fing dieser Satz an, in seinem Kopf herumzurollen.

Die Jinmoti von Bozlen Zwei töten die Personen, die, durch Erbfolge dazu bestimmt …

Die Flüssigkeit, die er nur zu deutlich hören und fühlen und riechen konnte – und wahrscheinlich hätte er sie auch sehen können, wenn seine alles andere als normalen Augen offen gewesen wären –, schwappte kurz nach oben und berührte die Unterseite seiner Nase. Er spürte, dass sie seine Nüstern blockierte, sie mit einem Gestank füllte, der ihm den Magen umdrehte. Aber er schüttelte den Kopf, versuchte, seinen Schädel noch weiter gegen die Steine zu zwängen, und die scheußliche Brühe senkte sich. Er schnaubte und vermochte wieder zu atmen.

Jetzt dauerte es nicht mehr lange. Wieder überprüfte er seine Handgelenke, aber es hatte keinen Sinn. Er hätte eine weitere Stunde oder mehr gebraucht, und ihm blieben, wenn er Glück hatte, noch Minuten.

Die Trance löste sich sowieso auf. Er kehrte zu beinahe vollständigem Bewusstsein zurück, als wolle sein Gehirn seinen eigenen Tod, seine eigene Auslöschung voll und ganz wahrnehmen. Er versuchte, an etwas Tiefgründiges zu denken oder sein Leben blitzartig an sich vorüberziehen zu lassen oder sich plötzlich an irgendeine alte Liebe, eine längst vergessene Prophezeiung oder Vorahnung zu erinnern, doch da war nichts, nur ein sinnloser Satz und das Gefühl, im Schmutz und Abfall anderer Leute zu ertrinken.

Ihr alten Schurken, dachte er. Einer ihrer wenigen humoristischen oder originellen Züge war es, dass sie eine elegante, ironische Todesart erfunden hatten. Als wie passend mussten sie es empfinden, wenn sie ihre altersschwachen Körper zu den Toiletten des Bankettsaales schleppten, dass sie buchstäblich auf alle ihre Feinde schissen und sie auf diese Weise töteten!

Der Luftdruck stieg, und ein fernes, stöhnendes Grollen von Flüssigkeit kündigte einen weiteren Sturzbach von oben an. Ihr gemeinen Schurken. Nun, ich hoffe, wenigstens du hältst dein Versprechen, Balveda.

Die Jinmoti von Bozlen Zwei töten die Personen, die, durch Erbfolge dazu bestimmt … dachte ein Teil seines Gehirns, während die Rohre in der Decke blubberten und der Abfall in die warme Masse von Flüssigkeit spritzte, die die Zelle beinahe füllte. Die Welle ging über sein Gesicht, fiel wieder zurück, um seine Nase für eine Sekunde freizulassen und ihm Zeit zu geben, eine Lunge voll Luft einzusaugen. Dann stieg die Flüssigkeit sacht, berührte von Neuem die Unterseite seiner Nase und blieb dort.

Er hielt den Atem an.

Anfangs hatte es weh getan, als sie ihn aufgehängt hatten. Sein ganzes Gewicht hing an seinen Händen, die, in engen Lederbeuteln festgebunden, direkt über seinem Kopf mit dicken Eisenschlingen an der Zellenwand festgeschraubt waren. Seine zusammengebundenen Füße baumelten innerhalb eines Eisenrohrs. Es war ebenfalls an der Wand befestigt, sodass es ihm unmöglich war, etwas von seinem Gewicht auf Füße und Knie zu verlagern und seine Beine um mehr als eine Handbreit von der Wand weg oder nach links und rechts zu bewegen. Das Rohr endete gleich oberhalb seiner Knie. Darüber versteckte nur ein dünnes und schmutziges Lendentuch seine alte, schmuddelige Nacktheit.

Er hatte den Schmerz in seinen Handgelenken und Schultern abgeschaltet, noch während die vier stämmigen Wächter, zwei davon auf Leitern stehend, seine Fesseln sicherten. Trotzdem hatte er im Hinterkopf dieses nagende Gefühl, dass er eigentlich Schmerzen empfinden müsse. Dann war die Oberfläche des Schmutzes in der kleinen Kloakenzelle gestiegen, und es hatte langsam nachgelassen.

Sobald die Wächter gegangen waren, hatte er sich in Trance versetzt, obwohl er sich sagen musste, dass es wahrscheinlich hoffnungslos war. Es hatte nicht lange gedauert; die Zellentür öffnete sich innerhalb von Minuten wieder, ein metallener Laufsteg wurde von einem Wächter auf die feuchten Steinplatten des Fußbodens gelegt, und vom Korridor fiel Licht in die Dunkelheit. Er hatte die Wandlungstrance unterbrochen und sich den Hals verrenkt, um zu sehen, wer sein Besucher war.

Es erschien, einen kurzen Stab leuchtenden kalten Blaus in der Hand, die gebeugte, graue Gestalt von Amahain-Frolk, Sicherheitsminister für die Gerontokratie von Sorpen. Der alte Mann lächelte ihm zu und nickte anerkennend. Dann blickte er in den Korridor zurück und winkte mit einer dünnen, entfärbten Hand jemandem, der außerhalb der Zelle stand, auf den kurzen Laufsteg zu treten und hereinzukommen. Der Gefangene vermutete, es sei die Kultur-Agentin Balveda, und sie war es. Sie schritt leichtfüßig über die metallene Planke, sah sich langsam um und ließ den Blick auf ihm ruhen. Er lächelte und rieb in dem Versuch, grüßend zu nicken, die Ohren an den nackten Armen.

»Balveda! Ich wusste doch, dass ich Sie wiedersehen würde. Wollen Sie dem Gastgeber guten Tag sagen?« Er zwang sich zu einem Grinsen. Offiziell war es sein Bankett; er war der Gastgeber. Ein weiterer kleiner Scherz der Gerontokratie. Er hoffte, seine Stimme habe keine Anzeichen von Furcht verraten.

Perosteck Balveda, Agentin der Kultur, einen ganzen Kopf größer als der alte Mann neben ihr und hinreißend schön sogar in dem bleichen Glühen des blauen Leuchtstabs, schüttelte langsam den schmalen, feingezeichneten Kopf. Ihr kurzes schwarzes Haar lag wie ein Schatten auf ihrem Schädel.

»Nein«, sagte sie, »ich wollte Sie weder sehen noch mich von Ihnen verabschieden.«

»Sie haben mich an diesen Ort gebracht, Balveda«, stellte er ruhig fest.

»Ja, und hier gehörst du hin«, fiel Amahain-Frolk ein und trat auf dem Laufsteg so weit vor, wie er es tun konnte, ohne das Gleichgewicht zu verlieren und auf den nassen Fußboden treten zu müssen. »Ich wollte, dass du erst gefoltert würdest, aber Miss Balveda hier …« – der Minister drehte den Kopf zu der Frau zurück, und seine hohe, kratzige Stimme hallte in der Zelle wider – »bat für dich, Gott allein weiß, warum. Aber es ist schon der Ort, an den du gehörst, Mörder.« Er schüttelte den Stab gegen den fast nackten Mann, der an der schmutzigen Wand der Zelle hing.

Balveda betrachtete ihre Füße, die unter dem Saum ihres langen, trist-grauen Gewands eben noch sichtbar waren. Ein runder Anhänger, den sie an einer Kette um den Hals trug, glitzerte in dem aus dem Korridor hereinfallenden Licht. Amahain-Frolk stand neben ihr, hob den leuchtenden Stab und schielte an dem Gefangenen hoch.

»Wissen Sie, noch jetzt könnte ich beinahe schwören, dort hänge Egratin. Ich kann …« – er schüttelte den hageren, knochigen Kopf – »ich kann kaum glauben, dass er es nicht ist, jedenfalls so lange nicht, bis er den Mund öffnet. Mein Gott, diese Wandler sind furchtbar gefährliche Kreaturen!« Er drehte das Gesicht Balveda zu. Sie strich sich das Haar im Nacken glatt und blickte auf den alten Mann nieder.

»Sie sind außerdem ein altes und stolzes Volk, Minister, und es sind nur noch sehr wenige von ihnen übrig. Darf ich Sie noch ein einziges Mal bitten? Lassen Sie ihn am Leben. Vielleicht ist er …«

Der Gerontokrat schwenkte seine dünne und verkrümmte Hand gegen sie; sein Gesicht verzerrte sich. »Nein! Sie täten gut daran, Miss Balveda, nicht länger darum zu bitten, dass dieser … dieser Meuchler, dieser mörderische, verräterische … Spion verschont werde. Glauben Sie, wir nehmen es leicht, dass er einen unserer Außenwelt-Minister feige ermordet hat und als seine Verkörperung aufgetreten ist? Welchen Schaden hätte dieses … Ding anrichten können! Als wir es festnahmen, starben zwei unserer Wächter, nur weil es sie gekratzt hatte! Ein weiterer ist fürs Leben blind, nachdem dieses Monster ihm ins Auge spie! Aber …« – verhöhnte Amahain-Frolk den an die Wand geketteten Mann – »diese Zähne haben wir ausgezogen. Und seine Hände sind so gefesselt, dass er sich nicht einmal selbst kratzen kann.« Er wandte sich wieder an Balveda. »Sie sagen, es sind wenige? Ich sage: Gut, bald wird noch einer weniger da sein.« Der alte Mann sah die Frau mit zusammengekniffenen Augen an. »Wir sind Ihnen und Ihren Leuten dankbar, dass Sie diesen Betrüger und Mörder enttarnt haben, aber Sie dürfen nicht glauben, das gebe Ihnen das Recht, uns Vorschriften zu machen. Es gibt Personen in der Gerontokratie, die absolut nichts mit Einflüssen von außen zu tun haben wollen, und ihre Stimmen werden Tag für Tag lauter, je näher der Krieg uns rückt. Sie täten gut daran, jene unter uns, die Ihre Sache unterstützen, nicht gegen sich aufzubringen.«

Balveda schürzte die Lippen, blickte von Neuem auf ihre Füße und verschränkte die schmalen Hände hinter dem Rücken. Amahain-Frolk sprach wieder mit dem an der Wand hängenden Mann und schüttelte dabei den Stab gegen ihn. »Du wirst bald tot sein, Betrüger, und mit dir sterben die Pläne deiner Herren, unser friedliches System zu unterjochen! Das gleiche Schicksal erwartet sie, wenn sie versuchen, uns zu erobern. Wir und die Kultur sind …«

Der Gefangene bewegte, so gut er konnte, verneinend den Kopf und rief laut: »Frolk, du bist ein Idiot!« Der alte Mann zuckte zurück, als sei er geschlagen worden. Der Wandler fuhr fort: »Erkennst du nicht, dass ihr der Übernahme in keinem Fall entrinnen könnt? Wahrscheinlich werden die Idiraner euch kassieren, aber wenn nicht sie, dann die Kultur. Ihr habt keine Gewalt mehr über euer eigenes Schicksal; der Krieg hat all dem ein Ende bereitet. Bald wird dieser ganze Sektor Teil der Front sein, es sei denn, ihr macht ihn zu einem Teil der idiranischen Sphäre. Ich bin bloß hergeschickt worden, um euch etwas zu sagen, worauf ihr von allein hättet kommen sollen – redet euch nicht ein, ihr müsstet etwas tun, was ihr später bereuen werdet. Um Gottes willen, Mann, die Idiraner werden euch nicht fressen …«

»Ha! Sie sehen ganz danach aus! Ungeheuer mit drei Füßen, Invasoren, Killer, Ungläubige … Du willst, dass wir uns mit ihnen verbünden? Mit dreimannshohen Monstern? Um unter ihre Hufe gestampft zu werden? Um ihre falschen Götter anbeten zu müssen?«

»Wenigstens haben sie einen Gott, Frolk. Die Kultur hat keinen.« Die Konzentration aufs Sprechen bewirkte, dass der Schmerz in seine Arme zurückkehrte. Er verlagerte seinen Körper, so gut es gehen mochte, und blickte auf den Minister nieder. »Sie denken wenigstens auf die gleiche Weise wie ihr. Die Kultur tut es nicht.«

»O nein, mein Freund, o nein.« Amahain-Frolk hob dem Gefangenen eine Handfläche entgegen und schüttelte den Kopf. »Es wird dir nicht gelingen, auf diese Weise den Samen der Zwietracht zu säen.«

»Mein Gott, du dummer alter Mann«, sagte der Wandler lachend. »Möchtest du wissen, wer der wirkliche Vertreter der Kultur auf diesem Planeten ist? Nicht sie«, er deutete mit einem Kopfnicken zu der Frau hin. »Es ist dieser mit eigenem Antrieb versehene Fleischschneider, der ihr überallhin folgt, ihr fliegendes Messer. Sie mag die Entscheidungen treffen, es mag tun, was sie ihm sagt, und trotzdem ist es der eigentliche Abgesandte. Das ist der Kern der Kultur: Maschinen. Du glaubst, weil Balveda zwei Beine und eine weiche Haut hat, musst du ihre Partei ergreifen, aber es sind die Idiraner, die in diesem Krieg auf der Seite des Lebens stehen …«

»Nun, in Kürze wirst du auf der anderen Seite des Lebens sein.« Der Gerontokrat schnaubte und streifte Balveda mit einem Blick. Die Agentin betrachtete unter gesenkten Wimpern den an die Wand geketteten Mann. »Gehen wir, Miss Balveda.« Amahain-Frolk drehte sich um und nahm den Arm der Frau, um sie aus der Zelle zu geleiten. »Die Anwesenheit dieses … Dings erzeugt einen übleren Geruch als die Zelle.«

Da sah Balveda zu dem Gefangenen auf. Sie ignorierte den neben ihr zwergenhaften Minister, der versuchte, sie zur Tür zu ziehen. Sie sah den Gefangenen mit ihren klaren schwarzen Augen an und breitete die Hände aus. »Es tut mir leid«, sagte sie zu ihm.

»Ob Sie es glauben oder nicht, das beschreibt recht gut auch meine Empfindungen«, erwiderte er mit einem Nicken. »Versprechen Sie mir nur, dass Sie heute abend ganz wenig essen und trinken werden, Balveda. Ich möchte mir gern vorstellen, dass eine Person da oben auf meiner Seite ist, und das kann ebensogut meine schlimmste Feindin sein.« Er wollte provozierend und witzig sprechen, aber es klang nur bitter. Er wandte die Augen von dem Gesicht der Frau ab.

»Ich verspreche es«, sagte Balveda. Sie ließ sich zur Tür führen. Das blaue Licht schwand aus der dumpfigen Zelle. An der Tür blieb sie stehen. Wenn er seinen Kopf unter Schmerzen vorreckte, konnte er sie gerade noch erkennen. Das fliegende Messer war auch da, stellte er fest, gerade noch im Raum. Wahrscheinlich war es die ganze Zeit dort gewesen, aber ihm war der schlanke, scharfe kleine Körper, der dort in der Dunkelheit schwebte, nicht aufgefallen. Er sah in Balvedas dunkle Augen. Das fliegende Messer bewegte sich.

Eine Sekunde lang glaubte er, Balveda habe die Maschine instruiert, ihn jetzt zu töten – lautlos und schnell, solange sie Amahain-Frolk die Sicht versperrte –, und sein Herz hämmerte. Aber der Apparat schwebte nur an Balvedas Gesicht vorbei und in den Korridor hinaus. Balveda hob die Hand in einer Geste des Abschieds.

»Bora Horza Gobuchul«, sagte sie, »ich grüße Sie.« Sie drehte sich schnell um, trat von der Plattform und verließ die Zelle. Der Laufsteg wurde hinausgezogen und die Tür zugeknallt. Gummiflanschen schabten über den schmutzigen Boden und zischten kurz auf, als die inneren Siegel die Tür wasserdicht machten. Der Gefangene hing dort, sah einen Augenblick auf einen unsichtbaren Fußboden nieder und versenkte sich wieder in die Trance, die seine Handgelenke wandeln und sie so dünn machen würde, dass er entfliehen konnte. Etwas an der feierlichen, endgültigen Art, mit der Balveda seinen Namen ausgesprochen hatte, hatte ihn innerlich zermalmt. Jetzt wusste er, falls er es nicht schon längst gewusst hatte, dass es keine Flucht gab.

… indem sie sie in den Tränen …

Seine Lungen barsten! Sein Mund zitterte, die Kehle schnürte sich ihm zu, Dreck war in seinen Ohren, aber er konnte ein großes Getöse hören, konnte Licht sehen, obwohl es stockdunkel war. Seine Magenmuskeln wogten, und er musste die Zähne fest zusammenpressen, damit sein Mund nicht nach der Luft schnappte, die nicht da war. Jetzt. Nein … jetzt musste er aufgeben. Noch nicht … jetzt bestimmt. Jetzt, jetzt, jetzt, jede Sekunde musste er vor diesem schrecklichen schwarzen Vakuum in seinem Innern kapitulieren … er musste atmen … jetzt!

Bevor er Zeit fand, den Mund zu öffnen, wurde er gegen die Wand geschmettert – gegen die Steine gestoßen, als habe ihn eine gewaltige eiserne Faust getroffen. In einem einzigen krampfhaften Stoß entließ er die schale Luft aus seinen Lungen. Sein Körper war plötzlich kalt, und in allen Teilen, mit denen er die Wand berührte, hämmerte der Schmerz. Der Tod, so schien es ihm, war Gewicht, Schmerz, Kälte … und zu viel Licht …

Er hob mühsam den Kopf. Er stöhnte unter dem Licht. Er versuchte zu sehen, versuchte zu hören. Was geschah? Warum atmete er? Warum war er von Neuem so verdammt schwer? Sein Körper riss ihm die Arme aus den Gelenken; seine Handgelenke waren fast bis auf den Knochen eingerissen. Wer hatte ihm das angetan?

Wo er auf die gegenüberliegende Wand geblickt hatte, war ein sehr großes und gezacktes Loch, das bis unter das Niveau des Zellenfußbodens reichte. Aller Unrat und Müll war hindurchgestürzt. Die letzten paar Tropfen verzischten an den heißen Rändern der Lücke. Dampf stieg auf und kräuselte sich um die Gestalt, die dort im Freien stand und den größten Teil des hellen Lichts blockierte. Die Gestalt war drei Meter hoch und ähnelte in etwa einem kleinen gepanzerten Raumschiff auf einem Dreifuß von dicken Beinen. Sein Helm war groß genug, um drei menschliche Köpfe Seite an Seite aufzunehmen. Eine gigantische Hand hielt beinahe lässig eine Plasma-Kanone, die nur zu heben Horza beide Arme gebraucht hätte. Die andere Faust des Wesens umfasste eine etwas größere Waffe. Hinter ihm näherte sich eine idiranische Gefechtsplattform dem Loch, hell erleuchtet vom Licht der Explosionen, die Horza jetzt durch das Eisen und die Steine, an die er gefesselt war, spürte. Er hob den Kopf zu dem Riesen auf, der in der Lücke stand, und versuchte zu lächeln.

»Ich muss schon sagen«, krächzte und spuckte er, »ihr habt euch Zeit gelassen.«

Zweiter Teil

Die Hand Gottes 137

Draußen vor dem Palast, in der scharfen Kälte eines Winternachmittags, war der klare Himmel voll von etwas, das wie glitzernder Schnee aussah.

Horza machte auf der Rampe des Kriegsshuttle halt und ließ den Blick nach oben und in die Runde gehen. Die glatten Wände und schlanken Türme des Gefängnis-Palasts warfen den Lärm und die Lichtblitze des andauernden Feuergefechts zurück. Idiranische Gefechtsplattformen kreuzten hin und her und schossen gelegentlich. Um sie blähten sich unter dem auffrischenden Wind große Düppelstreifenwolken von den Anti-Laser-Mörsern auf dem Palastdach. Eine Bö wehte einen Teil der flatternden, knatternden Folien auf die stationäre Fähre zu, und plötzlich war die eine Seite von Horzas nassem, klebrigem Körper mit reflektierendem Gefieder bedeckt.

»Bitte. Die Schlacht ist noch nicht zu Ende«, donnerte der idiranische Soldat hinter ihm in einer Lautstärke, die wahrscheinlich als leises Flüstern gemeint war. Horza drehte sich zu dem gepanzerten Riesen um und starrte zu der Sichtscheibe des Helms hoch, in der er das Spiegelbild seines Altmännergesichts sah. Er holte tief Luft, nickte und stieg dann ein wenig zittrig in die Fähre. Ein Lichtblitz warf seinen Schatten schräg vor ihn, und das Schiff bockte unter der Schockwelle einer heftigen Explosion irgendwo innerhalb des Palasts. Schon wurde die Rampe eingezogen.

An ihrem Namen sollt ihr sie erkennen, dachte Horza unter der Dusche. Die Kontaktschiffe der Kultur, die die ganze Wucht der ersten vier Kriegsjahre im Raum abbekommen hatten, trugen alle witzige, spaßhafte Namen. Auch für die neuen Kriegsschiffe, die sie jetzt nach Ankurbelung der Produktion ihrer Fabrikschiffe herstellten, bevorzugten sie Namen, die entweder humoristisch, düster oder rundheraus abstoßend waren, als könne die Kultur den weitreichenden Konflikt, in den sie sich verwickelt sah, nicht ganz ernst nehmen.

Die Idiraner sahen diese Dinge anders. Für sie sollte der Name eines Schiffes die ernste Natur seines Zwecks, seiner Aufgaben und seines entschlossenen Einsatzes widerspiegeln. In der großen idiranischen Flotte waren Hunderte von Fahrzeugen nach den gleichen Helden, Planeten, Schlachten, religiösen Ideen und eindrucksvollen Adjektiven benannt. Dem leichten Kreuzer, der Horza gerettet hatte, war als 137. Schiff der Name Die Hand Gottes gegeben worden, und da mehr als hundert andere Schiffe in der Flotte den gleichen Titel benutzten, lautete sein voller Name Die Hand Gottes 137.

Horza trocknete sich mit einiger Mühe im Luftstrom. Wie alles andere in dem Raumschiff war die Dusche in dem monumentalen Maßstab gebaut, der dem gigantischen Wuchs von Idiranern entsprach, und der Hurrikan, den sie produzierte, blies Horza beinahe aus der Kabine.

Der Querl Xoralundra, Spionvater und Krieger-Priester der Vier-Seelen-Stammessekte vom Farn-Idir, verschränkte zwei Hände auf der Tischplatte. Für Horza sah es eher so aus, als kollidierten zwei Kontinentalplatten.

»Du hast dich also wieder erholt, Bora Horza«, dröhnte der alte Idiraner.

»So ziemlich«, nickte Horza und rieb seine Handgelenke. Er saß in Xoralundras Kabine an Bord der Hand Gottes 137, gekleidet in einen umfangreichen, aber bequemen Raumanzug, der offenbar eigens für ihn mitgebracht worden war. Xoralundra, der ebenfalls einen Raumanzug trug, hatte darauf bestanden, der Mensch müsse ihn tragen, weil das Kriegsschiff auf seinem energiesparenden schnellen Orbit um den Planeten Sorpen immer noch in Gefechtsbereitschaft war. Der Nachrichtendienst der Flotte hatte bestätigt, dass sich ein feindliches Fahrzeug, eine Kontakt-Einheit der Berg-Klasse, im System aufhielt; die Hand war hier auf sich selbst angewiesen. Ihre Besatzung konnte jedoch keine Spur des Kultur-Schiffes finden und musste deshalb vorsichtig sein.

Xoralundra beugte sich zu Horza vor, sodass sein Schatten über den Tisch fiel. Sein großer Kopf, sattelförmig, wenn man ihn genau von vorn betrachtete, ragte über dem Wandler auf. Die beiden dicht an den Rändern stehenden Vorderaugen sahen ihn klar und ohne Blinzeln an. »Du hast Glück gehabt, Horza. Wir sind nicht aus Mitleid gekommen, dich zu retten. Das Versagen trägt seinen eigenen Lohn in sich.«

»Danke, Xora. Das ist tatsächlich das Netteste, was ich heute den ganzen Tag zu hören bekommen habe.« Horza lehnte sich auf seinem Sitz zurück und fuhr sich mit seiner alt wirkenden Hand durch sein dünnes, vergilbendes Haar. Er würde ein paar Tage brauchen, um das Aussehen eines alten Mannes, das er angenommen hatte, wieder verschwinden zu lassen, obwohl er bereits spürte, wie es von ihm abzugleiten begann. Im Gehirn eines Wandlers wurde ein Bild seiner selbst auf halbbewusster Ebene gespeichert und ständig überprüft und auf diese Weise das gewünschte Aussehen aufrechterhalten. Horza hatte es jetzt nicht mehr nötig, wie ein Gerontokrat auszusehen, sodass das mentale Bild des Ministers, den er für die Idiraner dargestellt hatte, in Stücke fiel und sich auflöste. Die Folge war, dass sein Körper zu seinem normalen neutralen Zustand zurückkehrte.

Xoralundras Kopf bewegte sich zwischen den Rändern des Anzugkragens langsam von einer Seite zur anderen. Horza war es bis heute nicht gelungen, diese Geste vollständig zu interpretieren, obwohl er für die Idiraner gearbeitet hatte und Xoralundra schon seit geraumer Zeit vor dem Krieg kannte.

»Jedenfalls sind Sie am Leben«, sagte Xoralundra. Horza nickte und trommelte mit den Fingern auf den Tisch, um zu zeigen, dass er ihm beipflichtete. Er wünschte, der idiranische Stuhl, auf dem er hockte, vermittelte ihm weniger stark das Gefühl, ein Kind zu sein; seine Füße berührten nicht einmal das Deck.

»Knapp. Jedenfalls danke. Ich bedauere, dass ihr den ganzen Weg bis hierher habt machen müssen, um einen Versager zu retten.«

»Befehl ist Befehl. Ich persönlich bin froh, dass wir dazu imstande waren. Jetzt muss ich Ihnen erzählen, warum wir diesen Befehl erhalten haben.«

Horza lächelte und wandte den Blick von dem alten Idiraner ab, der ihm soeben eine Art Kompliment gemacht hatte; eine Seltenheit. Er sah wieder zu ihm hin und beobachtete den Mund des anderen Wesens – groß genug, dachte Horza, um ihm beide Hände auf einmal abzubeißen –, aus dem die präzisen, kurzen Worte der idiranischen Sprache dröhnten.

»Sie waren einmal mit einer Verwalter-Mission auf Schars Welt, einem der Dra’Azon-Planeten der Toten«, stellte Xoralundra fest. Horza nickte. »Sie müssen für uns dorthin zurückkehren.«

»Jetzt?«, fragte Horza das breite, dunkle Gesicht des Idiraners. »Dort sind nur Wandler. Ich habe Ihnen gesagt, dass ich niemals einen anderen Wandler verkörpern werde. Und ganz gewiss werde ich keinen töten.«

»Das verlangen wir auch nicht von Ihnen. Hören Sie zu, ich will es Ihnen erklären.« Xoralundra lehnte sich auf eine Weise gegen seine Rückenstütze, die so gut wie jeder Vertebrate* – oder sogar jedes einem Vertebraten ähnliche Wesen – »müde« genannt hätte. »Vor vier Standardtagen«, begann der Idiraner – dann gab sein Anzughelm, der neben seinen Füßen auf dem Boden lag, ein durchdringendes Heulen von sich. Er nahm den Helm hoch und legte ihn auf den Tisch. »Ja?«, fragte er, und Horza kannte die idiranische Stimme gut genug, um sich zu sagen, dass es für denjenigen, der den Querl da behelligte, gut wäre, einen triftigen Grund zu haben.

»Wir haben diese Kultur-Frau«, klang eine Stimme aus dem Helm.

»Ahh …« Xoralundra richtete sich auf. Das idiranische Gegenstück eines Lächeln – der Mund schürzte sich, die Augen verengten sich – glitt über seine Züge. »Gut, Captain. Ist sie schon an Bord?«

»Nein, Querl. Das Shuttle hat vor zwei Minuten abgelegt. Ich ziehe die Gefechtsplattformen zurück. Wir sind bereit, das System zu verlassen, sobald alle an Bord sind.«

Xoralundra beugte sich näher über den Helm. Horza inspizierte die gealterte Haut auf seinen Handrücken. »Was ist mit dem Kultur-Schiff?«, fragte der Idiraner.

»Immer noch nichts, Querl. Es kann überall im System sein. Unser Computer vermutet es außerhalb, möglicherweise zwischen uns und der Flotte. Nicht mehr lange, und es muss merken, dass wir hier ganz allein sind.«

»Captain, Sie werden in dem Augenblick, wo die Kultur-Agentin an Bord ist, zu unserer Flotte aufbrechen, ohne auf die Plattformen zu warten. Haben Sie verstanden?« Xoralundra gab Horza seinen Blick zurück. »Haben Sie verstanden, Captain?«, wiederholte der Querl, ständig den Menschen ansehend.

»Ja, Querl«, antwortete die Stimme. Horza erkannte den eisigen Ton noch durch den kleinen Helmlautsprecher.

»Gut. Treffen Sie die Entscheidung über die beste Route zurück zur Flotte nach eigenem Ermessen. In der Zwischenzeit werden Sie in Befolgung des Befehls der Admiralität die Städte De’Aychanbie, Vinch, Easna-Yowon, Izilere und Ylbar mit Fusionsbomben zerstören.«

»Ja, Qu …« Xoralundra drückte einen Schalter in dem Helm, und der Lautsprecher verstummte.

»Ihr habt Balveda?«, fragte Horza überrascht.

»Wir haben die Kultur-Agentin, ja, ich betrachte ihre Gefangennahme oder Vernichtung als verhältnismäßig bedeutungslos. Aber nur, weil wir der Admiralität versicherten, wir würden versuchen, sie festzunehmen, wurde die risikoreiche Mission, Sie vor Ankunft der Hauptflotte zu retten, überhaupt in Erwägung gezogen.«

»Hmm. Ich wette, Balvedas fliegendes Messer habt ihr nicht erwischt«, schnaubte Horza und betrachtete von Neuem die Runzeln auf seinen Händen.

»Es zerstörte sich, während wir Sie an Bord der Fähre holten, die Sie zum Schiff hinaufbrachte.« Xoralundra wedelte mit der einen Hand und schickte einen Strom idiranisch riechender Luft über den Tisch. »Aber genug davon. Ich muss Ihnen erklären, warum wir einen leichten Kreuzer aufs Spiel gesetzt haben, um Sie zu retten.«

»Das müssen Sie unbedingt erklären.« Horza wandte das Gesicht dem Idiraner zu.

»Vor vier Standardtagen«, berichtete der Querl, »fing eine Gruppe unserer Schiffe ein einzelnes Kultur-Fahrzeug von konventioneller äußerer Erscheinung, aber, wie aus seiner Emissionssignatur zu schließen war, ziemlich merkwürdiger innerer Konstruktion ab. Das Schiff wurde ohne Mühe zerstört, sein Gehirn entkam. In der Nähe gab es ein Planetensystem. Anscheinend hat das Gehirn den realen Raum innerhalb der Oberfläche des Planeten, den es sich ausgewählt hatte, verlassen. Das weist auf ein Niveau der Beherrschung hyperräumlicher Felder hin, von dem wir geglaubt – gehofft – hatten, die Kultur habe es noch nicht erreicht. Ganz gewiss haben wir es im Augenblick noch nicht erreicht. Dieser und andere Hinweise geben uns Grund zu der Annahme, dass das betreffende Gehirn zu einer neuen Klasse von System-Fahrzeugen gehört, die die Kultur entwickelt. Die Gefangennahme des Gehirns wäre ein nachrichtendienstlicher Coup erster Ordnung.«

Hier machte der Querl eine Pause. Horza ergriff die Gelegenheit, um zu fragen: »Befindet sich das Ding auf Schars Welt?«

»Ja. Nach seiner letzten Botschaft beabsichtigte es, Zuflucht in den Tunneln des Kommando-Systems zu suchen.«

»Und ihr könnt nichts unternehmen?« Horza lächelte.

»Wir haben Sie geholt. Das haben wir unternommen, Bora Horza.« Der Querl hielt inne. »Die Form Ihres Mundes verrät mir, dass Sie an dieser Situation etwas belustigend finden. Was mag das sein?«

»Ich dachte gerade … an viele Dinge: Dass das Gehirn entweder sehr schlau war oder sehr viel Glück gehabt hat, dass ihr Glück hattet, mich in der Nähe zu haben, und auch, dass die Kultur jetzt wahrscheinlich nicht bloß Däumchen drehen wird.«

»Um der Reihenfolge nach auf Ihre Punkte einzugehen«, erwiderte Xoralundra scharf, »das Kultur-Gehirn hatte Glück und war außerdem schlau. Wir hatten Glück. Die Kultur kann wenig tun, weil sie, so viel wir wissen, keine Wandler in ihrem Dienst hat und bestimmt keinen, der schon einmal auf Schars Welt war. Ich möchte hinzusetzen, Bora Horza …« – der Idiraner legte beide große Hände auf den Tisch und beugte den Kopf in Richtung des Menschen –, »dass Sie selbst mehr als ein bisschen Glück gehabt haben.«

»O ja, aber der Unterschied ist, dass ich daran glaube.« Horza grinste.

»Hmm. Das macht Ihnen wenig Ehre«, bemerkte der Querl. Horza zuckte die Achseln.

»Ihr wollt also, ich soll auf Schars Welt landen und das Gehirn holen?«

»Wenn möglich. Es könnte beschädigt sein. Vielleicht muss es zerstört werden, aber es stellt eine Beute dar, um die zu kämpfen es sich lohnt. Wir werden Ihnen an Ausrüstung geben, was Sie brauchen. Ihre Anwesenheit allein würde uns einen Brückenkopf verschaffen.«

»Was ist mit den Leuten, die bereits dort sind? Die Wandler im Verwalter-Dienst?«

»Wir haben nichts von ihnen gehört. Wahrscheinlich haben sie die Ankunft des Gehirns nicht bemerkt. Ihre nächste Routine-Sendung ist in ein paar Tagen fällig, aber in Anbetracht der gegenwärtigen, auf den Krieg zurückzuführenden Kommunikationsunterbrechung sind sie vielleicht nicht imstande, sie abzustrahlen.«

»Was …«, fragte Horza langsam und zog dabei mit einem Finger ein kreisförmiges Muster auf der Tischplatte, die er betrachtete, »… wissen Sie über das Personal der Basis?«

»Die beiden Senior-Mitglieder wurden durch jüngere Wandler ersetzt«, antwortete der Idiraner. »Die beiden jüngeren Wächter wurden zu Senioren ernannt und blieben dort.«

»Sie sind doch dort nicht in Gefahr?«, wollte Horza wissen.

»Im Gegenteil. Ein Ort innerhalb einer Stillen Barriere der Dra’Azon und auf einem Planeten der Toten muss während der gegenwärtigen Feindseligkeiten als einer der sichersten Aufenthalte betrachtet werden. Weder wir noch die Kultur-Leute wagen es, bei den Dra’Azon Anstoß zu erregen. Das ist der Grund, warum die Kultur-Leute gar nichts tun, und wir niemanden als Sie einsetzen können.«

»Falls es mir gelingen sollte …«, begann Horza vorsichtig, beugte sich vor und senkte seine Stimme ein bisschen, »euch diesen metaphysischen Computer zu beschaffen …«

»Etwas in Ihrer Stimme verrät mir, dass wir uns der Frage der Bezahlung nähern«, sagte Xoralundra.

»Wir nähern uns ihr in der Tat. Ich habe lange genug für euch den Hals riskiert, Xoralundra. Ich will aussteigen. In dieser Basis auf Schars Welt lebt eine gute Freundin von mir, und wenn sie einverstanden ist, möchte ich sie und mich aus dem ganzen Krieg wegbringen. Das ist es, was ich verlange.«

»Ich kann nichts versprechen. Ich werde es beantragen. Man wird Ihre langjährigen und treuen Dienste in Erwägung ziehen.«

Horza richtete sich auf und runzelte die Stirn. Er war sich nicht sicher, ob Xoralundra ironisch gesprochen hatte oder nicht. Sechs Jahre kamen einer Spezies, die buchstäblich unsterblich war, wahrscheinlich nicht sehr lang vor. Andererseits wusste der Querl Xoralundra, wie oft sein verletzlicher menschlicher Schützling im Dienst seiner fremden Herren alles aufs Spiel gesetzt hatte, ohne dafür eine wirkliche Belohnung erhalten zu haben. Deshalb meinte er es vielleicht ernst. Bevor Horza mit dem Feilschen fortfahren konnte, kreischte der Helm von Neuem los. Horza zuckte zusammen. Alle Geräusche in dem idiranischen Schiff waren ohrenbetäubend. Die Stimmen donnerten; wenn normale Summer und Piepser schon lange verstummt waren, klangen seine Ohren immer noch, und bei Ansagen über den Lautsprecher presste er beide Hände an den Kopf. Horza hoffte nur, es gäbe keinen Großalarm, solange er an Bord war. Der idiranische Schiffsalarm konnte ungeschützten menschlichen Ohren Schaden zufügen.

»Was ist?«, fragte Xoralundra den Helm.

»Die Frau ist an Bord. Ich würde nur acht weitere Minuten brauchen, um die Gefechtsplatt…«

»Sind die Städte zerstört?«

»Jawohl, Querl.«

»Verlassen Sie den Orbit sofort und suchen Sie mit voller Kraft die Flotte auf.«

»Querl, ich muss darauf hinweisen …«, klang die dünne, stetige Stimme des Kapitäns aus dem Helm, der auf dem Tisch lag.

»Captain«, unterbrach Xoralundra knapp, »in diesem Krieg hat es bis heute vierzehn Einzelkämpfe zwischen leichten Kreuzern vom Typ 5 und Kontakt-Einheiten der Bergklasse gegeben. Alle endeten mit einem Sieg des Gegners. Haben Sie schon einmal gesehen, was von einem leichten Kreuzer übrig bleibt, wenn ein Kontaktschiff mit ihm fertig ist?«

»Nein, Querl.«

»Ich auch nicht, und ich habe nicht die Absicht, das zum ersten Mal von der Innenseite zu sehen. Sie starten auf der Stelle!« Wieder drückte Xoralundra den Helmknopf. Er richtete den Blick auf Horza. »Ich werde tun, was ich kann, dass Sie mit ausreichenden Mitteln aus dem Dienst entlassen werden, wenn Sie Erfolg haben. Sobald wir Kontakt mit dem Hauptverband der Flotte bekommen, werden Sie mit einem schnellen Patrouillenboot nach Schars Welt fliegen. Dort werden Sie gleich hinter der Stillen Barriere eine Fähre bekommen. Sie wird unbewaffnet sein, doch die Ausrüstung enthalten, die Sie für notwendig halten, einschließlich – in Voraussicht des Falls, dass das Gehirn eine begrenzte Zerstörung bewirken sollte – einiger spektografischer Hyperraum-Analysatoren für den Nahbereich.«

»Wie können Sie sicher sein, dass die Zerstörung ›begrenzt‹ sein wird?«, fragte Horza skeptisch.

»Das Gehirn wiegt ungeachtet seines verhältnismäßig geringen Umfangs mehrere tausend Tonnen. Eine Annihilierung risse den Planeten entzwei, worin die Dra’Azon einen feindlichen Akt sähen. Kein Kultur-Gehirn würde so etwas wagen.«

»Ihre Zuversicht überwältigt mich«, stellte Horza missmutig fest. In diesem Augenblick veränderte sich der Ton des Hintergrundgeräuschs rings um sie. Xoralundra drehte den Helm herum und sah auf einen der kleinen eingebauten Schirme.

»Gut. Wir sind unterwegs.« Er sah wieder Horza an. »Noch etwas muss ich Ihnen sagen. Die Gruppe von Schiffen, die das Kultur-Fahrzeug abfingen, machte einen Versuch, dem entflohenen Gehirn hinunter auf den Planeten zu folgen.«

Horza runzelte die Stirn. »Wussten sie es nicht besser?«

»Sie taten ihr Möglichstes. Bei der Kampftruppe waren mehrere gefangene Chuy-hirtsi-Warptiere, die für eine spätere Verwendung bei einem Überraschungsangriff auf eine Kultur-Basis deaktiviert worden waren. Man stattete eins davon schnell für ein oberflächliches Eindringen in die Planetenoberfläche aus und warf es auf einem Warpkurs gegen die Stille Barriere. Die List hatte keinen Erfolg. Beim Durchqueren der Barriere wurde das Tier mit etwas angegriffen, das Ähnlichkeit mit Netzfeuer hatte, und schwer beschädigt. Es kam in der Nähe des Planeten auf einem Kurs aus der Raumkrümmung, der es in einem Abbrand-Winkel heranführte. Die Ausrüstung und die Bodenstreitkräfte, die es bei sich hatte, müssen vernichtet worden sein.«

»Nun, ich finde, es war einen Versuch wert, aber neben einem Dra’Azon würde sogar dieses wundervolle Gehirn, hinter dem ihr her seid, wie ein mit Röhren bestückter Computer wirken. Es wird mehr nötig sein als das, um einen Dra’Azon zu überlisten.«

»Glauben Sie, dass es Ihnen gelingen wird?«

»Ich weiß es nicht. Ich glaube nicht, dass sie Gedanken lesen können, aber wer weiß? Ich glaube nicht, dass die Dra’Azon sich für den Krieg oder das, was ich getan habe, seit ich Schars Welt verließ, sonderlich interessieren. Deshalb werden sie wahrscheinlich nicht fähig sein, eins und eins zusammenzuzählen – aber wieder: Wer weiß?« Von Neuem zuckte Horza die Achseln. »Es ist einen Versuch wert.«

»Gut. Wir werden eine ausführlichere Besprechung abhalten, wenn wir uns der Flotte angeschlossen haben. Im Augenblick müssen wir beten, dass unsere Rückkehr ohne Zwischenfall vor sich geht. Vielleicht möchten Sie mit Perosteck Balveda sprechen, bevor sie verhört wird. Ich habe mit dem stellvertretenden Flotten-Inquisitor vereinbart, dass Sie mit ihr sprechen dürfen, wenn Sie es wünschen.«

Horza lächelte. »Xora, nichts würde mir größeres Vergnügen bereiten.«

Der Querl hatte auf dem Schiff, das nun das Sorpen-System verließ, andere Dinge zu erledigen. Horza blieb in Xoralundras Kabine, um sich auszuruhen und zu essen, bevor er mit Balveda sprach.

Das Essen war das Beste, was sich die Robotkombüse des Kreuzers unter für Humanoiden geeigneter Nahrung vorzustellen vermochte, aber es schmeckte abscheulich. Horza aß, was er konnte, und trank etwas ebenso wenig begeisterndes destilliertes Wasser. Alles wurde von einem Medjel serviert – einem eidechsenähnlichen Wesen von etwa zwei Metern Länge mit einem flachen, langen Kopf und sechs Beinen. Auf vieren davon lief es, und das vordere Paar benutzte es als Hände. Die Medjel waren die Gesellschaftsspezies der Idiraner. Es war eine soziale Symbiose von komplizierter Art. In den Jahrtausenden, die die idiranische Zivilisation Teil der galaktischen Gemeinschaft war, hatte sie der Exosozio-Fakultät manch einer Universität den Forschungsfonds erhalten.

Die Idiraner selbst hatten sich auf ihrem Planeten Idir als das Top-Monster eines ganzen Planeten voller Monster entwickelt. Schon seit Langem war dort die hektische und wilde Ökologie der Frühzeit verschwunden, und ebenso all die anderen Heimatwelt-Monster, ausgenommen solche in Zoos. Aber die Idiraner hatten die Intelligenz behalten, die sie zu Siegern gemacht hatte, dazu die biologische Unsterblichkeit, die seinerzeit wegen der Bösartigkeit des Überlebenskampfs – ganz zu schweigen von Idirs hohem Strahlungsniveau – eher ein evolutionärer Vorteil als ein Rezept für Stagnation gewesen war.

Horza dankte dem Medjel, als es ihm das Essen brachte und als es das Geschirr wieder abräumte. Es antwortete nicht. Sie wurden im Allgemeinen auf zwei Drittel der Intelligenz eines durchschnittlichen Humanoiden (was das auch sein mochte) eingeschätzt, und so waren sie etwa zwei- oder dreimal schwerer von Begriff als ein normaler Idiraner. Immerhin, sie waren gute, wenn auch einfallslose Soldaten, und es gab viele von ihnen. Auf einen Idiraner kamen so zehn oder zwölf. Vierzigtausend Jahre der Zucht hatten sie loyal bis hinunter auf das Chromosomen-Niveau gemacht.

Horza versuchte nicht zu schlafen, obwohl er müde war. Er befahl dem Medjel, ihn zu Balveda zu führen. Das Medjel dachte nach, bat über das Kabinen-Interkom um Erlaubnis und zuckte sichtlich unter einer verbalen Ohrfeige Xoralundras zusammen, der fern auf der Brücke mit dem Kapitän des Kreuzers zusammen war. »Folgen Sie mir, Sir«, sagte das Medjel und öffnete die Kabinentür.

Auf den Niedergängen des Kriegsschiffes war die idiranische Atmosphäre deutlicher zu spüren als in Xoralundras Kabine. Der Geruch nach Idiranern war stärker, und die Sicht voraus nach zwanzig oder dreißig Metern vernebelt, sogar durch Horzas Augen gesehen. Es war heiß und feucht, und der Boden war weich. Horza ging schnell den Korridor entlang, den Blick auf den Stummel des kupierten Schwanzes seines Führers gerichtet, der vor ihm hin und her wackelte.

Er begegnete unterwegs zwei Idiranern, die ihm beide keinerlei Aufmerksamkeit schenkten. Vielleicht wussten sie alles über ihn und was er war, vielleicht auch nicht. Horza war bekannt, dass Idiraner es gleichermaßen verabscheuten, zu neugierig oder unzureichend informiert zu wirken.

Beinahe stieß er mit einem Paar verwundeter Medjel auf Antigrav-Tragen zusammen, die von zweien ihrer Kameraden eilig einen Querkorridor entlangbugsiert wurden. Horza sah sich die Verwundeten an, als sie an ihm vorüberkamen, und runzelte die Stirn. Die spiralförmigen Spritzer auf ihren Kampfrüstungen stammten zweifellos von einem Plasmaschuss, und die Gerontokratie besaß keine Plasma-Waffen. Was soll’s, dachte er und ging weiter.

Sie kamen an einen Abschnitt des Kreuzers, wo der Niedergang von Gleittüren blockiert war. Das Medjel sprach zu einer der Barrieren nach der anderen, und sie öffneten sich. Ein Idiran-Posten mit einem Laser-Karabiner stand vor einer Tür. Er sah das Medjel und Horza kommen und hatte die Tür für den Menschen geöffnet, bis dieser sie erreichte. Horza nickte dem Posten zu und trat hindurch. Die Tür schloss sich zischend hinter ihm, und eine weitere, direkt vor ihm, öffnete sich.

Balveda drehte sich ihm schnell zu, als er die Zelle betrat. Es sah aus, als sei sie hin und her geschritten. Sie erkannte Horza, warf den Kopf ein bisschen in den Nacken und produzierte in ihrer Kehle ein Geräusch, das ein Lachen sein mochte.

»Sieh an, sieh an!« Ihre weiche Stimme zog die Wörter in die Länge. »Sie haben überlebt. Ich gratuliere. Übrigens, ich habe mein Versprechen gehalten. Was für ein Umschwung, wie?«

»Hallo«, erwiderte Horza, schlug die Arme vor der Brust seines Anzugs übereinander und musterte die Frau von oben bis unten. Sie trug dasselbe graue Gewand und schien unverletzt zu sein. »Was ist mit dem Ding passiert, das Sie um den Hals trugen?«, fragte Horza.

Sie blickte nach unten auf die Stelle, wo der Anhänger auf ihrer Brust gelegen hatte. »Ob Sie es glauben oder nicht, es stellte sich heraus, dass es ein Datenspeicher war.« Sie lächelte ihn an und setzte sich mit gekreuzten Beinen auf den weichen Fußboden. Abgesehen von einem erhöhten Bett-Alkoven war das der einzige Platz, auf dem man sitzen konnte. Horza ließ sich ebenfalls nieder; seine Beine schmerzten nur ein bisschen. Die Spritzer auf der Rüstung des Medjel fielen ihm ein.

»Ein Datenspeicher. Er hätte sich nicht zufällig in eine Plasma-Waffe verwandeln können?«

»Unter anderem auch das«, erwiderte die Kultur-Agentin.

»Das habe ich mir gedacht. Wie ich hörte, hat Ihr fliegendes Messer den dramatischen Abgang gewählt.«

Balveda zuckte die Achseln.

Horza sah ihr in die Augen. »Ich vermute, Sie wären nicht hier, wenn Sie ihnen nicht irgendetwas Wichtiges mitteilen könnten, oder?«

»Hier vielleicht«, räumte Balveda ein. »Aber nicht lebendig.« Sie streckte die Arme hinter ihrem Rücken aus und seufzte. »Ich werde den Krieg wohl in einem Internierungslager absitzen müssen, es sei denn, sie finden jemanden, gegen den ich ausgetauscht werden kann. Hoffentlich dauert die Sache nicht zu lange.«

»Oh, Sie glauben, die Kultur könnte bald aufgeben?«, sagte Horza und grinste.

»Nein, ich glaube, die Kultur könnte bald gewinnen.«

»Sie müssen wahnsinnig sein.« Horza schüttelte den Kopf.

»Nun …«, Balveda nickte kleinlaut, »in Wirklichkeit glaube ich, dass sie letzten Endes gewinnen wird.«

»Wenn Sie sich weiter so zurückziehen wie in den letzten drei Jahren, werden Sie irgendwo in den Magellan’schen Wolken enden.«

»Ich verrate keine Geheimnisse, Horza, wenn ich Ihnen sage, dass wir uns gar nicht mehr so schnell zurückziehen.«

»Wir werden sehen. Offen gestanden, es erstaunt mich, dass Sie immer noch kämpfen.«

»Ihre dreibeinigen Freunde kämpfen auch immer noch. Jeder tut es. Deshalb tun wir es auch, denke ich manchmal.«

»Balveda …« – Horza seufzte müde –, »ich weiß bis heute nicht, warum, zum Teufel, Sie mit dem Kämpfen überhaupt angefangen haben. Die Idiraner haben nie eine Bedrohung für Sie dargestellt. Sie würden auch jetzt keine darstellen, wenn Sie aufhörten, gegen sie zu kämpfen. Wurde das Leben in Ihrem großen Utopia wirklich so langweilig, dass Sie einen Krieg brauchten?«

Balveda beugte sich vor. »Horza, ich verstehe nicht, warum Sie kämpfen. Ich weiß, Hiedohre liegt im …«

»Hiebohre«, warf Horza ein.

»Okay, der gottverdammte Asteroid, in dem die Wandler leben. Ich weiß, er liegt im idiranischen Raum, aber …«

»Das hat nichts damit zu tun, Balveda. Ich kämpfe für sie, weil ich glaube, dass die Idiraner im Recht und Sie im Unrecht sind.«

Balveda richtete sich verblüfft auf. »Sie …«, begann sie, dann senkte sie den Kopf und schüttelte ihn, den Blick auf den Fußboden gerichtet. Sie hob die Augen wieder. »Ich verstehe Sie einfach nicht, Horza. Sie müssen doch wissen, wie viele Spezies, wie viele Zivilisationen, wie viele Systeme, wie viele Individuen entweder vernichtet oder von den Idiranern und ihrer wahnsinnigen gottverdammten Religion … erstickt worden sind. Was, zum Teufel, hat die Kultur im Vergleich damit jemals getan?« Die eine Hand lag auf ihrem Knie, die andere schloss sich vor Horza zu einem Würgegriff. Er betrachtete die Frau und lächelte.

ENDE DER LESEPROBE