Befehl ausgeführt - Kurt David - E-Book

Befehl ausgeführt E-Book

Kurt David

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Beschreibung

Ostfront am Dnepr, Rückzug. Der Gefreite Moll erhält den Befehl, mit vier Kameraden die Strommasten eines ukrainischen Dorfes abzusägen, um Holz für den Ausbau der Stellung zu gewinnen. Vor dem Dorf trifft er auf eine Hochspannungsleitung und gibt den Befehl, diese Masten abzusägen. Moll erinnert sich an verbrannte Dörfer und viele Tote, die sie auf dem Rückzug zurückgelassen haben. Das will er nicht mehr mitmachen. Moll wusste nicht, dass die Fünf die Haupttelegrafenleitung vom Regimentsstab zum Oberkommando - Heeresgruppe Süd zerstört hatten. Natürlich hat er das bei der Verhandlung nicht gesagt, aber er war stolz auf sich und dachte nur an seine Frau und seine beiden Söhne.

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Impressum

Kurt David

Befehl ausgeführt

ISBN 978-3-96521-862-8 (E-Book)

Das Buch erschien erstmals 1958 im Verlag des Ministeriums für Nationale Verteidigung, Berlin als Heft 14 der Erzählerreihe.

© 2023 EDITION digital Pekrul & Sohn GbR Godern Alte Dorfstraße 2 b 19065 Pinnow Tel.: 03860 505788 E-Mail: [email protected] Internet: http://www.edition-digital.de

I

Ich heiße nicht Molli, aber sie nennen mich so. Moll ist mein Name. Conrad Moll. Doch der winzige Buchstabe mit dem kecken Pünktchen darüber, dieses hell klingende „i“, macht – so glaube ich – aus Moll Dur. So mag es mancher meiner Kameraden empfunden haben. Sie werden jetzt wieder vorn im Graben hocken, sich die Hände auf den Schenkeln warmklopfen, auf die mattschimmernde Fläche des Dnepr schauen, den Fluss, der das Hüben vom Drüben trennt, den Fluss, der zur Stunde keinem gehört. Und vielleicht ist sogar einer unter meinen Kameraden, der sagt: Was mag unser Molli machen, der arme Hund? Vielleicht wagt es einer zu sagen, wenn nicht, so denken sie es.

Ich darf nicht mehr vor in den Graben, ich darf nicht mehr hinüber zum anderen Ufer starren, in den immer dunkel und undurchsichtig erscheinenden Laubwald. Ich darf auch nicht mehr im Bunker mit den anderen schlafen, erzählen, rauchen, Briefe lesen und Briefe schreiben, Päckchen öffnen, lachen, fluchen und schöne Erinnerungen von früher ins Dunkel zerren. Das alles darf ich nicht mehr. Das ist aus! Vorbei! Gut so! Ich darf auch nicht mehr schießen, kann nicht mehr erschossen werden. Ich darf nicht mehr den „Heldentod“ sterben. Das ist auch gut.

Während ich das denke, stehe ich in einem engen, weiß getünchten Raum, der ein Fenster hat. Und das Fenster ist vergittert. Es war einmal so groß wie die anderen Fenster in den Häusern des Dorfes. Für mich aber war es zu groß. Man hat es zu zwei Drittel zugemauert. Das ist genug Licht für mich, sagen sie. Hinausschauen kann ich nur am frühen Morgen, wozu mir ein umgestülpter Eimer dient, das einzige Möbel in dem Raum. Der Eimer wird jeden Morgen geleert. Solange ich meine Bedürfnisse zurückhalte, kann ich hinaussehen. Dann ist es auch damit vorbei. Jetzt stehe ich auf dem Eimer. Es ist Herbst, Spätherbst. Von den meisten Bäumen sind die Blätter geflohen und tanzen und wirbeln wild spielend durcheinander. Manchmal beobachte ich ein Blatt, wie es vom Baum gerissen wird, wackelnd herniederflattert, und plötzlich treibt es ein pfeifender Windstoß wieder in die Höhe, ganz hoch, oft verliere ich es aus den Augen. So ein Blatt hat es gut, denke ich. Und mir ist, als falle mit jedem welken Blatt, das der Wind vom Baume reißt, eine Hoffnung zu Boden. Aber der Baum, der starke Baum weiß: Ich werde neue Blätter tragen.

Das ukrainische Dorf, es heißt Bilbasowka, liegt im Blickfeld meiner Augen, und durch das Gitterfenster ist es wie in kleine Quadrate geteilt. In das eine der engen, schwarzen Vierecke, mit Eisen gerahmt, ragt die Spitze des Zwiebelturmes der Dorfkirche, und die zwei kleinen Türme zeichnen sich ein Feld tiefer links und rechts davon ab. Den Hauptteil der Kirche verdecken Häuser. In dieser Kirche ist unser Feldlazarett untergebracht. Und nun sehe ich noch zwanzig Häuschen, die ich schon mehrmals gezählt habe. In ihnen wohnt keiner mehr, außer unserem Regimentskommandeur, der aber nicht in den Ort gehört und der alle zwei Tage mit seinem Stab umzieht. Aus Vorsicht. In dem Haus, in dem ich eingesperrt bin, befindet sich die Feldgendarmerie. Die zieht nicht um. Das geht auch nicht, sonst müssten sie wegen mir alle zwei Tage ein Fenster zu zwei Dritteln zumauern und neu vergittern. So viel Unkosten bin ich nicht wert.

Tagsüber raucht kein Schornstein. Wegen des Beschusses. Das sieht komisch aus, wenn in einem Dorf kein Schornstein raucht. Man kann immer wieder auf die Schornsteine gucken, aber es raucht keiner; dabei ist es schon kalt, und die Schornsteine müssten rauchen – wenn Leute in den Häusern wären. So denke ich. Das Dorf liegt sechs Kilometer vom Fluss entfernt. Es ist hier ruhig, still, kein Mensch ist am Tage auf der Straße oder in den Gärten zu sehen. Die Blumen stehen da – ohne Menschen stehen sie da. Ich sehe nämlich drüben an der Hauswand Dahlien blühen. Rote, kleine, ganz große, wie Feuerbälle, und gelbe sehe ich, gelbe, die wie die Sonne aussehen, so groß sind sie, wie Sonnenräder. Manchmal möchte ich nach den Blumen fassen, aber das Gitter … Noch nie habe ich mich an Blumen so erfreut wie jetzt.

Nachts ist es anders. Auf der Straße fahren Pferdewagen nach vorn, Menschen schimpfen, fluchen, lachen, kommandieren. Ins Haus treten welche, brüllen etwas, Kochgeschirre klappern, und manchmal höre ich fragen: Sitzt der noch? Daraufhin klopft einer an die Tür. An meine Tür. So, als wollte er mich ärgern.

Sitzt der noch. Freilich sitzt er noch. Was denkt ihr denn? Hm?

Vier Tage sitze ich schon. Das heißt, vormittags stehe ich auf dem oberen Eimerrand, später gehe ich auf und ab, hocke mich hin, lehne den Rücken an die Wand. Schlafe ich in dieser Hockstellung ein, entdecke ich morgens, dass ich zusammengerollt daliege. Es ist doch kalt.

Vielleicht bin ich, wenn morgen Nacht wieder einer im Vorübergehen klopft, schon nicht mehr drin. Vielleicht schon tot? Quatsch! Das ist natürlich übertrieben. Tot! Das sagt man so leicht hin. Auf so etwas gibt es keine Todesstrafe, haben sie gesagt. Festung gibt es, hat der Hauptmann gesagt. Festung!

Tot! Mich können sie gar nicht erschießen. Ich habe zwei kleine Buben, eine junge Frau, die Inge heißt und die ihre Briefe immer mit den Worten schließt: Bis zu unserem baldigen Wiedersehen in der Heimat küsst dich tausendmal – Inge!

Festung bekomme ich, Inge, Festung.

Kannst du dir das vorstellen, Festung? Das klingt nach Mittelalter. Nach Burgverlies und Ratten und Dreck. Na, wir leben nicht mehr im Mittelalter, nicht?

Ach so, du weißt noch gar nicht, weshalb ich Festung bekomme!

*

Stell dir vor, Inge, stell dir einen Menschen vor, der die letzten vier Wochen kein Auge zugemacht hat, der keines zumachen konnte, durfte, weil er vom Donez bis zum Dnepr marschieren musste. Weißt du, zu Hause, wenn wir mal schlecht geschlafen hatten, sagten wir auch: Ich habe kein Auge zugemacht. Das war eine Nacht, Inge, nur eine. Und hier – vier Wochen.

Im OKW-Bericht heißt das jetzige Marschieren „planmäßige Absetzbewegung“. Bei uns Rückzug. Inge, das ist kein Parademarsch mit geputzten Stiefeln und blumengeschmückten Gewehren. Das sieht nicht so aus, als marschierten wir zur Vereidigung, so mit Musik und Allotria. Nein, Inge, bei uns könntest du eine Horde beobachten, die wie schlaftrunken in eine neue Stellung zurückflutet. Ich sage Horde, Inge. Du wirst solche Menschen sicher noch gar nicht gesehen haben. Da ist aller Glanz vergangener Tage weggewischt. Da gibt es kein Reih und Glied, kein unnötiges Kommando, keinen Gleichschritt. Jeder starrt nur vor sich hin, als wären seine Augen feststehend. Er starrt in den Dreck und wägt seine Gedanken ab, und das sind nicht viele. Sie werden durch ein Stolpern oder ein „In-den-Schlamm-Fallen“ mit in den Dreck getreten.