Befreiung vom Überfluss - Niko Paech - E-Book

Befreiung vom Überfluss E-Book

Niko Paech

4,5

Beschreibung

Nach einer anstrengenden Arbeitswoche möchte man sich auch mal etwas gönnen: das neueste Smartphone, ein iPad, einen Flachbildfernseher. Ruckzuck steckt man im Teufelskreis aus Konsumwunsch und Zeitmangel. Und nicht nur das: der stete Ruf nach »mehr« lässt Rohstoffe schwinden und treibt die Umweltzerstörung voran. Noch ist die Welt nicht bereit, von der Droge »Wachstum« zu lassen. Aber die Diskussion über das Ende der Maßlosigkeit nimmt an Fahrt auf. Der Nachhaltigkeitsforscher Niko Paech liefert dazu die passende Streitschrift, die ein »grünes« Wachstum als Mythos entlarvt. Dabei gelten »grünes« Wachstum und »nachhaltiger« Konsum als neue Königswege. Doch den feinen Unterschied – hier »gutes«, dort »schlechtes« Wachstum – hält Paech für Augenwischerei. In seinem Gegenentwurf, der Postwachstumsökonomie, fordert er industrielle Wertschöpfungsprozesse einzuschränken und lokale Selbstversorgungsmuster zu stärken. Diese Art zu wirtschaften wäre genügsamer, aber auch stabiler und ökologisch verträglicher. Und sie würde viele Menschen entlasten, denen im Hamsterrad der materiellen Selbstverwirklichung schon ganz schwindelig wird.

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Niko Paech

Befreiung vom

Überfluss

Auf dem Weg in die Postwachstumsökonomie

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet unter http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2011 oekom, München

Gesellschaft für ökologische Kommunikation mbH Waltherstraße29, 80337 München

Gestaltung+ Satz: Ines Swoboda, oekom verlag

Alle Rechte vorbehalten

ISBN 978-3-86581-331-2

Datenkonvertierung eBook:

Kreutzfeldt digital, Hamburg

www.kreutzfeldt.de

7  Einleitung

Wohlstandsdämmerung – Aussicht auf mehr Glück?

13  Kapitel I

Über seine Verhältnisse leben –

ein vermeintliches Menschenrecht

25  Kapitel II

Fortschritt als Illusion – Wohlstand durch Plünderung

71  Kapitel III

Freiheit als Illusion – neue Abhängigkeiten

69  Kapitel IV

Mythos Entkopplung – die Mär

vom »grünen Wachstum«

103  Kapitel V

Genug ist nie genug – Wachstumszwänge

und Wachstumstreiber

113  Kapitel VI

Weniger ist mehr – Umrisse einer

Postwachstumsökonomie

143  Fazit

Wir haben (noch) die Wahl!

150  Die Postwachstumsökonomie im Überblick (Grafik)

152  Zitierte und weiterführende Literatur

155  Über den Autor

EinleitungWohlstandsdämmerung – Aussicht auf mehr Glück?

Dieses Buch dient einem bescheidenen Zweck. Es soll den Abschied von einem Wohlstandsmodell erleichtern, das aufgrund seiner chronischen Wachstumsabhängigkeit unrettbar geworden ist. Darauf deuten verschiedene Entwicklungen hin, die lange verdrängt wurden. Aktuelle Verschuldungs- und Finanzkrisen, für die keine Lösungen in Sicht sind, stellen uns vor die Frage: Wie viel unseres Reichtums hätte je entstehen können, wenn sich moderne Staaten nicht permanent und mit steigender Tendenz verschuldet hätten? Noch prägnantere Grenzen setzt die Verknappung jener Ressourcen, aus deren schonungsloser Ausbeutung sich das Wirtschaftswachstum bislang speisen konnte, nämlich fossile Rohstoffe, Seltene Erden, Metalle und Flächen.

Mit dem immensen Konsum- und Mobilitätsniveau wuchs im Zuge der Globalisierung zugleich die Abhängigkeit von überregionalen Versorgungsketten und Marktdynamiken. Ohne deren komplexe, faktisch unbeherrschbare Verflechtung wäre die Wohlstandsexpansion nie zu haben gewesen, denn nur so lassen sich die Potenziale der industriellen Arbeitsteilung ausschöpfen. Andererseits liegt darin der Keim für viele Sollbruchstellen. Der zu schwindelerregender Höhe aufgetürmte Wohlstand ist ein Kartenhaus. Es beschwört eine fatale Unvereinbarkeit herauf: Zunehmende Fallhöhe trifft auf zunehmende Instabilität. Je höher das Stockwerk, desto tiefer der Fall, wenn alles zusammenstürzt. Und das Fundament bröckelt bereits.

Aber ist das überhaupt eine schlechte Nachricht? Schließlich bräuchte die geschundene Ökosphäre ohnehin dringend eine Verschnaufpause. Die bekommt sie nicht, solange die Wirtschaft weiter wächst. Wird innerhalb eines wachsenden ökonomischen Systems versucht, einen bestimmten ökologischen Schaden zu beheben, entstehen anderswo neue Probleme. Das grandiose Scheitern bisheriger Anstrengungen, ökologische Probleme anstatt durch einen Rückbau des ruinösen Industriemodells mit Hilfe technischer Innovationen zu lösen, ähnelt einer Hydra, der für einen abgeschlagenen Kopf zwei neue nachwachsen. Denn wenn die Schadensbehebung das Wachstum nicht gefährden soll, muss es sich um addierte Maßnahmen oder Objekte handeln, welche die in Geld gehandelte Wertschöpfung, das sogenannte »Bruttoinlandsprodukt« (BIP), hinreichend steigern.

Die seit Jahrzehnten ermüdend diskutierte Feststellung, dass das Bruttoinlandsprodukt kein geeigneter Maßstab für das Wohlergehen moderner Gesellschaften sein kann, ist schlicht eine Verharmlosung. Vielmehr müsste das Bruttoinlandsprodukt als Maß für ökologische Zerstörung betrachtet werden. Enthalten sind darin all jene Leistungen, die als Resultat geldbasierter Arbeitsteilung zustande kommen. Das sind grundsätzlich Dinge, die produziert werden, um sie dann als geldwerte Leistung an jemand anderen zu übertragen. Genau dieser Leistungstransfer kann nicht ökologisch neutral sein. Einen CO2-neutralen Euro, Dollar oder Yen kann es schon deshalb nicht geben, weil er den Anspruch auf materielle Werte verkörpert.

Worin könnte ein Zuwachs an Nutzen oder Glück letztlich bestehen, der stofflich und energetisch neutral ist, aber dennoch produziert, transportiert und erworben werden muss – und zwar in steigendem Maße, sonst entfiele ja das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts? Wie kann der Ursprung für die von einem Individuum empfundene Nutzensteigerung einerseits außerhalb seiner selbst liegen, aber andererseits jeglicher Materiebewegungen und Energieflüsse enthoben sein? Wenn ein Zuwachs an Glücksempfinden tatsächlich rein qualitativer Art wäre, könnte seine Quelle nur im Subjekt selbst liegen. Nicht arbeitsteilige Produktion nebst dazu notwendiger Raumüberwindung wäre der Ursprung, sondern die eigene Leistung und Imagination, mit der dem materiell Vorhandenen autonom zusätzliche Befriedigung abgerungen oder neuer Sinn eingehaucht wird. Aber dieser Vorgang kann weder als monetär zu beziffernde Wertsteigerung ausgedrückt werden, noch ist er kompatibel mit dem, was wir unter Wirtschaft verstehen. Vor allem: Seine Resultate können kaum über eine bestimmte Menge hinauswachsen. Wachsen im ökonomischen Sinn kann also nur das, was mittels Geld und Energie von außen zugeführt werden muss und deshalb nie ohne Zerstörung zu haben ist.

Anstatt die Beziehung zwischen Wachstum und Nachhaltigkeit mit Anspruch auf Vollständigkeit aufzuarbeiten, sind es im Wesentlichen drei Thesen, auf die sich das vorliegende Buch konzentriert.

Erstens: Unser ohne Wachstum nicht zu stabilisierender Wohlstand ist das Resultat einer umfassenden ökologischen Plünderung. Versuche, die vielen materiellen Errungenschaften einer Abfolge von Effizienzfortschritten oder anderweitiger menschlicher Schaffenskraft zuzuschreiben, beruhen auf einer Selbsttäuschung. Dies soll anhand dreier Entgrenzungsvorgänge dargestellt werden, die für das moderne Dasein prägend sind. Demnach leben die Menschen in modernen Konsumgesellschaften auf dreifache Weise über ihre Verhältnisse; sie eignen sich Dinge an, die in keinem Verhältnis zu ihrer eigenen Leistungsfähigkeit stehen. Sie entgrenzen ihren Bedarf erstens von den gegenwärtigen Möglichkeiten, zweitens von den eigenen körperlichen Fähigkeiten und drittens von den lokal oder regional vorhandenen Ressourcen. (Kapitel I–III).

Zweitens: Jegliche Anstrengungen, wirtschaftliches Wachstum durch technische Innovationen von ökologischen Schäden zu entkoppeln, sind bestenfalls zum Scheitern verurteilt. In allen anderen Fällen kommt es sogar zu einer Verschlimmbesserung der Umweltsituation (Kapitel IV).

Drittens: Das Alternativprogramm einer Postwachstumsökonomie würde zwar auf eine drastische Reduktion der industriellen Produktion hinauslaufen, aber erstens die ökonomische Stabilität der Versorgung (Resilienz) stärken und zweitens keine Verzichtsleistung darstellen, sondern sogar die Aussicht auf mehr Glück eröffnen (Kapitel VI).

Derzeit verzetteln wir uns in einer reizüberfluteten Konsumsphäre, die unsere knappste Ressource aufzehrt, nämlich Zeit. Durch den Abwurf von Wohlstandsballast hätten wir die Chance, uns auf das Wesentliche zu konzentrieren, statt im Hamsterrad der käuflichen Selbstverwirklichung zusehends Schwindelanfälle zu erleiden. Wenige Dinge intensiver zu nutzen und zu diesem Zweck bestimmte Optionen einfach souverän zu ignorieren, bedeutet weniger Stress und damit mehr Glück. Und überhaupt: Das einzig noch verantwortbare Gestaltungsprinzip für Gesellschaften und Lebensstile im 21. Jahrhundert heißt Reduktion – und zwar verstanden als Befreiung von jenem Überfluss, der nicht nur unser Leben verstopft, sondern unsere Daseinsform so verletzlich macht.

Kapitel IÜber seine Verhältnisseleben – ein vermeintlichesMenschenrecht

Um die These zu verstehen, derzufolge sich unser Wohlstand einer umfassenden ökologischen Plünderung verdankt, lohnt sich ein Blick auf die Schuldenkrise in der EU. Bemerkenswert ist die gedankliche Basis, auf welcher die zur Schicksalsfrage stilisierte Rettung Griechenlands und anderer ökonomisch maroder EU-Länder verhandelt wird. Ganz gleich ob im neoliberalen oder linken Lager, überall dringt dieselbe Logik durch: Die zu unfassbarer Monstrosität gediehenen »Rettungsschirme« seien zwar teuer und ihr Erfolg so ungewiss, dass damit bestenfalls Zeit zu gewinnen sei. Aber das andernfalls drohende Scheitern des Euro sei eben noch teurer und obendrein unsozialer, gerade für ein Land wie Deutschland. Käme es nämlich zur Wiedereinführung der D-Mark, müsste deren Wert wohl ungebremst steigen, währenddessen andere Währungen an Wert verlören. Folglich würden deutsche Exporte erschwert, was eingedenk aller ökonomischen Rückkoppelungen unweigerlich eine Senkung des Bruttoinlandsproduktes, also der Finanzierbarkeit des derzeitigen Wohlstandsniveaus bedeutete. In diesem Fall müssten sich deutsche Bürger mit jenem materiellen Wohlstand zufriedengeben, der kraft eines weniger übergreifenden und nicht so beschleunigten Leistungsaustauschs möglich wäre. Wie schrecklich! Gemessen am schwarzmalerischen Lamento amtlicher EU-Lobbyisten müsste Deutschland vor Einführung des Euro eine von allen Außenbeziehungen abgeschiedene, auf einem erbarmungswürdigen Versorgungsniveau dahinvegetierende Armutsökonomie gewesen sein.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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