Begegnung fördern - Liv Larsson - E-Book

Begegnung fördern E-Book

Liv Larsson

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Beschreibung

Hatten Sie schon häufiger den Wunsch, in Konflikten dazu beitragen zu können, dass Menschen wieder miteinander in Verbindung kommen? Egal ob Sie es mit streitenden Kindern oder Erwachsenen, mit Auseinandersetzungen am Arbeitsplatz oder in Familien zu tun haben: Dieses Buch hilft Ihnen, Begegnung und Verbindung zwischen Menschen zu fördern. Es enthält sowohl Gedanken zu Themen wie Rache, Vergebung und Versöhnung als auch praktische Übungen, um sich auf eine Mediation zwischen Individuen oder in Gruppen vorzubereiten. Zu oft wird versucht, im Konfliktfall mit Gewalt eine Lösung herbeizuführen. In anderen Fällen wieder wird ein Konflikt unter den Teppich gekehrt und die Beteiligten tun so, als gäbe es gar keine Streitigkeiten. Liv Larsson beleuchtet Strukturen, die auf die Beherrschung anderer abzielen und gibt dem Leser Werkzeuge an die Hand, um lebensdienliche Systeme zu erschaffen. Hierfür sind ganz praktische und vor allem erlernbare Fertigkeiten vonnöten, die der Leser sich mithilfe der im Buch vorgestellten Übungen aneignen kann.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

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Seitenzahl: 331

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Titel

Liv Larsson

Begegnung fördern

Mit gewaltfreier Kommunikation vermitteln

Mediation in Theorie und Praxis

© der deutschen Ausgabe: Junfermannsche Verlagsbuchhandlung, Paderborn 2009

© der schwedischen Ausgabe: Friare Liv Konsult, [email protected];www.friareliv.se Originaltitel: Skapa möten och kontakt genom medling. Att agera tredje part med hjälp av Nonviolent Communication

Als Vorlage für die deutsche Ausgabe diente eine ergänzte und überarbeitete Version des Originaltextes aus dem Jahr 2009. Übersetzung: Ariane Korth Sprachliche Beratung und Überarbeitung der Übersetzung: Nadine Helm

Coverbild: © Peter Hires Images – Fotolia.com Covergestaltung/Reihenentwurf: Christian Tschepp

Alle Rechte vorbehalten.

Erscheinungsdatum dieser eBook-Ausgabe: 2012

Satz und Digitalisierung: JUNFERMANN Druck & Service, Paderborn

ISBN der Printausgabe: ISBN978-3-87387-724-5 ISBN dieses eBooks: 978-3-87387-850-1

Übungsverzeichnis

Zu den in diesem eBook enthaltenen Übungen gelangen Sie über folgende Links. 

Für diese Übungen empfiehlt es sich, dafür zu sorgen, diese in Papierform vorliegen zu haben.

Reflexionsübung: Was spielt sich bei Ihnen innerlich ab, wenn Menschen in Ihrem Umfeld einen Konflikt haben?

Reflexionsübung: Was spielt sich bei Ihnen innerlich ab, wenn Sie Ratschläge erteilen oder die Konflikte anderer lösen wollen?

Reflexionsübung: Was tun Sie, um einen Gesichtsverlust zu vermeiden?

Praxisübung: Üben Sie im Alltag, um das zu bitten, was Sie haben wollen

Praxisübung: Beobachtung oder Interpretation: Abhängig von der Perspektive!

Reflexionsübung zum Wort „Konflikt“

Beim Zuhören vorsortieren

Sich der eigenen Absicht beim Mediieren bewusst werden

Das Gesagte so übersetzen, dass es zur Verbindung beiträgt

Jemanden am Ohr ziehen (1)

Jemanden am Ohr ziehen (2)

Unterbrechen (1)

Unterbrechen (2)

Unterbrechen und Erste-Hilfe-Empathie geben (1)

Unterbrechen und Erste-Hilfe-Empathie geben (2)

Vertiefungsübung: „Unterbrechen“

Selbsteinfühlung während einer Mediation

Aufspüren, wessen Bedürfnisse ,auf dem Tisch‘ sind

Informelle Mediation – Mediation in Zeitlupe

Formelle Mediation – Mediation in Zeitlupe

Shuttle-Mediation

Zwischen Kindern mediieren

Vorwort zur deutschen Übersetzung

„Mediation sehe ich eher als Methode für besonders schwierige Fälle“, las ich erst neulich wieder in einem Online-Forum. Noch vor wenigen Jahren hätte ich zugestimmt: Wenn mir der Begriff Mediation begegnete, dachte ich an Scheidungskriege, festgefahrene Tarifverhandlungen und an UN-Einsätze in Krisengebieten.

Als ich Marshall Rosenberg, den Begründer der Gewaltfreien Kommunikation, zum ersten Mal von den erstaunlichen Ergebnissen seiner Arbeit als Vermittler berichten hörte, hing ich wie gebannt an seinen Lippen. Zwischen den von ihm begleiteten Menschen standen Themen wie Krieg, Vergewaltigung und getötete Familienangehörige. Durch diese lebendigen Beispiele wuchs meine Ehrfurcht davor, was Mediation bewirken kann, ins nahezu Unermessliche. Gleichzeitig entstand in meinem Kopf das Bild einer Superkompetenz – Mediation als Berufsbild, der Mediator als letzte Hoffnung für die „richtig schwierigen“ Fälle.

Durch die Arbeit mit Liv Larsson und das Übersetzen dieses Buches ist mir klar geworden, dass dies nur eine Seite der Medaille ist. Natürlich ist Mediator ein (wichtiger!) Beruf, und es gibt ausgezeichnete Weiterbildungen, um Menschen darauf vorzubereiten. Gleichzeitig braucht die Welt Menschen, die gelernt haben, spontan im Alltag zu vermitteln, zwischen Kindern, Freunden und Kollegen. Und da kaum jemand auf Anhieb in der Lage ist, zwischen zwei aufgebrachten Menschen zu mediieren, weil dabei so vieles gleichzeitig geschieht, gibt uns Liv Larsson mit diesem Buch eine Anleitung, wie wir den sprichwörtlichen Elefanten verspeisen können (d.h. wie wir Stück für Stück anhand vieler praktischer Übungen unsere Fähigkeit, in Konflikten zu vermitteln, weiterentwickeln können).

Als ich Liv Larsson beim ersten Teil ihrer Mediationsausbildung in Thailand assistierte, faszinierte mich insbesondere ihre strukturierte Vorgehensweise. Nach vier Tagen wusste jeder einzelne Teilnehmer, was ihm leichtfiel, welche Einzelkompetenzen er noch üben wollte und wie er das tun konnte.

Mittlerweile schlägt mein Herz für Alltagsmediation. Es berührt mich zutiefst, wenn ich erlebe, wie in hitzigen Situationen, in denen die meisten Anwesenden erstarren, mitstreiten oder den Konflikt zu beenden versuchen, plötzlich jemand anfängt, seine Aufmerksamkeit darauf zu richten, worum es beiden Seiten im Kern gehen könnte. Das immer häufiger in meinem Umfeld zu erleben macht mir Hoffnung, dass eines Tages Mediation für die Beziehungspflege ebenso wie Zahnbürsten für die Mundhygiene oder Schraubenzieher im Werkzeugkasten zum Allgemeingut in unserer Kultur werden könnte.

Doch richtet sich dieses Buch an alle Menschen, die sich für Mediation interessieren – sei es, dass sie eine Ausbildung absolvieren, das Vermitteln in Alltagssituationen ohne fremde Hilfe selbst erlernen möchten oder schon länger als Mediatoren tätig sind und ihre Fähigkeiten erweitern möchten. Der klare Aufbau des Buches unterstützt jeden Lernenden beim Erstellen eines eigenen Profils und lässt ihn einen persönlichen Zugang zur Haltung des Mediators finden. Die Gewaltfreie Kommunikation, wie sie hier vorgestellt wird, ist eine Haltung, die dazu beitragen kann, jedes formelle und informelle Mediationsgespräch wirkungsvoller zu gestalten.

Zwecks leichterer Lesbarkeit habe ich mich entschieden, das häufig vorkommende Wort Mediator bzw. Vermittler in der männlichen Form zu verwenden. Gemeint sind damit selbstverständlich sowohl männliche als auch weibliche Mediatoren.

Ariane Korth

Vorwort der Autorin

Ich bin in Norrbotten in Nordschweden aufgewachsen, wo man üblicherweise mit Menschen, die man kennenlernte, entweder direkt verwandt war oder zumindest gemeinsame Verwandte hatte. In meiner Kindheit habe ich mich oft geärgert und geschämt, wenn meine Eltern bei jeder neuen Bekanntschaft damit begannen zu erforschen, in welchem verwandtschaftlichen Verhältnis wir zueinander standen.

Als ich anfing, mich für Mediation und den Umgang mit Konflikten zu interessieren, erkannte ich, dass es in der Tat Gründe gab, dieses Interesse an verwandtschaftlichen Beziehungen wertzuschätzen. Ich konnte nun sehen, dass dieses Forschen zu einem konstruktiven Umgang mit Konflikten beitragen kann: Es verdeutlicht uns, dass wir zusammengehören und wie unsere Handlungen sich auf andere auswirken. Ich fand heraus, dass es bestimmte Kulturen gibt, zum Beispiel auf Neuguinea, die Konflikte handhaben, indem eine dritte Partei den Beteiligten zeigt, wie sie zueinander in (z.B. verwandtschaftlicher) Beziehung stehen.1 Auf diese Weise wird deutlich, wie die Handlungen eines Menschen sowohl einen Einfluss auf ihn selbst als auch auf seine Familie und Verwandtschaft haben.

Dieses Buch basiert auf der Gewaltfreien Kommunikation (GFK), und die GFK geht u.a. davon aus, dass wir wechselseitig voneinander abhängig sind. Die Absicht der GFK ist es, einen Kontakt zwischen uns zu schaffen, der in jedem von uns die Sehnsucht weckt, dass die Bedürfnisse aller gesehen und in größtmöglichem Maße erfüllt werden. Um diese Qualität von Verbindung zu schaffen, ist es notwendig, dass wir bereit sind zu erkennen, wie unsere Handlungen sich auf andere auswirken und auf welche Weise dies geschieht.

Viele von uns vermitteln fast täglich als dritte Partei, auch wenn wir uns selbst vielleicht nicht als Mediatoren sehen. Das kann in Situationen sein, in denen wir aktiv zu verstehen versuchen und vielleicht eingreifen, wenn es anderen schwerzufallen scheint, miteinander in Verbindung zu kommen. Wir vermitteln vielleicht zwischen zwei Kindern, zwischen Menschen in unserem beruflichen Team oder zwischen Freunden.

Marshall Rosenberg, der Begründer der GFK, mediiert seit über 40 Jahren in verschiedenen Konfliktsituationen auf der ganzen Welt. Rosenberg sieht Bedürfnisse als gemeinsame Triebkraft hinter allem, was Menschen tun. Er geht davon aus, dass alle emotionalen Erfahrungen davon abhängen, ob unsere Bedürfnisse erfüllt oder nicht erfüllt sind, und seine Entdeckungen haben mich sehr in meiner Arbeit als Mediatorin unterstützt. Es gibt viele verschiedene Ansätze zur Mediation. Ich habe mich entschieden, den der GFK zu vertiefen, da er sehr konkrete Werkzeuge beinhaltet, die meine Fähigkeiten, als dritte Partei zu vermitteln, gestärkt haben.

Echte Zusammenarbeit kann dann entstehen, wenn alle Beteiligten darauf vertrauen, dass der andere ihre Bedürfnisse und Werte auf respektvolle Weise berücksichtigen wird. Der Prozess der Gewaltfreien Kommunikation wurzelt in einer respektvollen Haltung, die wahre Zusammenarbeit ermöglicht.– Marshall Rosenberg2

Als ich zu vermitteln begann, erlebte ich dies oft als ziemlich herausfordernd. Schrittweise lernte ich jedoch, wie sich verschiedene Bestandteile der GFK zu einer Ganzheit zusammenweben ließen. Meine auf diese Weise erweiterten Fertigkeiten wurden zur Grundlage dieses Buches. Ich habe mich viele Jahre vorangetastet und hoffe, dass das, was ich Ihnen mitteilen möchte, es Ihnen erleichtern wird, wirksam zu mediieren. Mit diesem Gedanken im Hinterkopf habe ich ein ganzes Kapitel mit Übungen verfasst, um Sie zu inspirieren, das Mediieren aktiv zu üben.

Zusammenfassung

Das Buch beginnt mit einem Überblick zum Thema Mediation und befasst sich in Kapitel 1 und Kapitel 2 mit dem Menschenbild, das meiner Arbeit zugrunde liegt, mit Hintergründen zu systembedingten Haltungen gegenüber Konflikten und mit dem Begriff „Gerechtigkeit“. Kapitel 3 und Kapitel 4 beinhalten Gedanken zu Passivität, Rache und Vergebung, zu Schuldgefühlen und Scham, jeweils bezogen auf den Umgang mit Konflikten. Darauf folgen zwei Kapitel darüber, wie die Gewaltfreie Kommunikation in der Mediation angewandt werden kann (Kapitel 5 und Kapitel 6). Um in Konflikten vermitteln zu können, benötigen die meisten von uns Übung. Deshalb besteht das gesamte siebente Kapitel aus Übungen zu den einzelnen „Werkzeugen“ – Methoden und Interventionen, die Sie beim Mediieren verwenden können. Kapitel 8 ist der Frage gewidmet, wie man eine formelle Mediation vorbereitet und durchführt. Verschiedene Arten, mit schwierigen Mediationssituationen umzugehen sowie die Themen „Mediation in Strafsachen“ und „Wiederherstellende Gerechtigkeit“ werden in Kapitel 9 beschrieben. In Kapitel 10 gehe ich darauf ein, wie man zwischen Kindern vermitteln kann.

Ich habe mich entschieden, die Medianten im gesamten Buch „Person A“ und „Person B“ zu nennen (auch wenn in Mediationen manchmal zwischen mehr als zwei Personen vermittelt wird und es in diesem Fall korrekter wäre, sie als „Partei 1“ und „Partei 2“ zu bezeichnen). Ich hoffe jedoch, dass meine Wortwahl es Ihnen als Leser erleichtert, den theoretischen Abhandlungen zu folgen und die vorgeschlagenen Übungen auch durchzuführen.

Die in diesem Buch zitierten Beispiele aus meiner eigenen Mediationspraxis (vereinzelt auch Beispiele anderer) habe ich zum Schutz der beteiligten Personen bzw. Gruppen verfremdet.

Viel Erfolg beim Mediieren!

Liv Larsson

Kapitel 1: Mediation

(zurück zum Vorwort)

(zurück zu Abschnitt: Übungsplan für Mediations-Übungsgruppen)

Was ist Mediation?

Mediieren: versuchen, Übereinkunft zwischen zwei streitenden Parteien herzustellen {schlichten, vermitteln} – Die schwedische Nationalenzyklopädie3

Konflikte beinhalten immer Geschenke. Folglich kann man Mediation als Möglichkeit sehen, ein noch verschlossenes Päckchen zu öffnen, um das Geschenk zu genießen. Für den Fall, dass das Geschenk (der Konflikt) in einer herausfordernden Verpackung kommt, kann ein Mediator derjenige sein, der den Deckel hebt. Mit anderen Worten kann Mediation als Vorgang beschrieben werden, bei dem eine dritte Partei streitenden Menschen dabei hilft, ihre Sicht des Konflikts zu verändern, hinter ihn zu sehen, sein Entwicklungspotenzial zu erkennen und gemeinsam zu einer Übereinkunft zu gelangen, wie sie zukünftig handeln wollen.

Im Umgang mit einem Konflikt kann ein Mediator den streitenden Parteien insbesondere helfen, ein menschlicheres Bild voneinander zu bekommen. Wenn wir die Menschlichkeit des anderen sehen, indem wir seine Gefühle und Bedürfnisse wahrnehmen, erkennen wir uns selbst wieder, und unser Mitgefühl wird geweckt. Damit wird es auch leichter, darauf hinzuwirken, dass die Bedürfnisse aller Beteiligten erfüllt werden.

In diesem Buch gehe ich von den Grundsätzen aus, auf denen die Gewaltfreie Kommunikation nach Marshall Rosenberg (GFK) basiert.4 Diese Grundsätze können in der Mediation angewendet werden, um Menschen zu helfen, Lösungen für ein bestimmtes Problem zu finden. Mit denselben Grundsätzen kann man auch Menschen unterstützen, die sich versöhnen wollen, nachdem etwas vorgefallen ist, das es ihnen erschwert, einander zu vertrauen.

In ihrer einfachsten Form bedeutet Mediation, ein Gespräch leichter zu machen. Als Vermittler helfen Sie den Parteien, auf eine Weise miteinander zu sprechen, die zu Verständnis und Begegnung führt und nicht – wie in der bisherigen Kommunikation – zu Widerstand und Konfrontation.

Dem Mediator selbst geht es häufig darum, einen Beitrag zur Wiederherstellung von Beziehungen zu leisten – Beziehungen, die von den Betroffenen als schmerzhaft erlebt werden und in denen einander zu vertrauen als Herausforderung erlebt wird. Mediation zeigt sich dann als besonders wertvoll, wenn wir schwer lösbaren Konflikten in Beziehungen begegnen, für die wir uns wirklich einsetzen wollen (zum Beispiel zwischen Familienmitgliedern, Freunden, Nachbarn oder Arbeitskollegen). Das Vermitteln zwischen Tätern und Geschädigten nach Straftaten hat sich in Schweden und an vielen anderen Orten auf der ganzen Welt als wertvolle Möglichkeit erwiesen, um schmerzhafte Erfahrungen zu heilen.5 Wenn Sie die GFK in der Mediation einsetzen, konzentrieren Sie sich vor allem darauf, den Kontakt, die Verbindung zwischen allen Parteien zu unterstützen. Diese Verbindung ist die Grundlage, um Lösungen zu finden, bei denen die Bedürfnisse aller Beteiligten berücksichtigt und in größtmöglichem Maße auch erfüllt werden. Als Mediator richten Sie Ihre Aufmerksamkeit auf die Verbindung, ungeachtet dessen, wer zuvor was getan hat.

Die besondere Art von Verbindung, von der ich spreche, gründet sich auf gegenseitigen Respekt und auf die Freiwilligkeit aller beteiligten Parteien. Manchmal findet man keine Lösungen, die für alle funktionieren. Indem die Medianten die Menschlichkeit des anderen sehen, wächst jedoch ihr Vertrauen, einander wirklich begegnen zu können. Nicht selten führt das zu einer erhöhten Bereitschaft und mehr Kreativität, um neue Lösungen und Strategien zu finden. Schöpfen erst die Parteien nach einer Mediation Hoffnung und haben sie mehr gegenseitiges Vertrauen gewonnen und einen tieferen Kontakt etabliert, wurden einige sehr wichtige Schritte in Richtung Versöhnung gegangen. Verfügen sie zudem über neue Werkzeuge, um konkret an der Wiederherstellung ihrer Beziehung arbeiten zu können und vorwärtszugehen, ist man auf dem Weg zu einer Lösung, bei der alle berücksichtigt werden, weit gekommen.

Wie unser Menschenbild unsere Mediationskompetenz beeinflusst

Wenn man damit anfängt, das Vermitteln zu üben, fühlt sich das manchmal überwältigend und schwierig an. Ich glaube jedoch, dass alle Menschen mediieren können, wenn Sie auch möglicherweise einiges an Übung benötigen werden, um es auf eine Weise tun zu können, mit der Sie zufrieden sind. Am wichtigsten ist, dass Sie sich selbst darüber im Klaren sind, welches Menschenbild Sie als Mediator haben und wie Sie Konflikte sehen. Wenn Ihr Menschenbild potenziell auf Versöhnung ausgerichtet ist, wird es Ihnen sicher leichtfallen, Ihre Fähigkeiten als dritte Partei auf natürliche Weise einzusetzen.

Unser Menschenbild wird von der Gesellschaft geprägt, in der wir aufwachsen, und von den Vorbildern, die uns diese Gesellschaft vorgibt. In ihrem Buch „Kelch und Schwert“6 beschreibt die Kulturhistorikerin Riane Eisler den seit Jahrtausenden andauernden Kampf zwischen dem, was sie „Partnerschaftsmodell“, und dem, was sie „Dominanzmodell“7 nennt. Riane Eisler und der Theologe Walter Wink verdeutlichen in mehreren Büchern, wie in den vergangenen 10000 Jahren fast überall auf der Welt auf dem Dominanzmodell basierende Gesellschaften aufgebaut worden sind.8

In seinem Buch „The Powers That Be“ beschreibt Wink, dass in auf Dominanz basierenden Organisationen Ressourcen und Privilegien ungleich verteilt sind und es hierarchische Machtstrukturen gibt.9 In solchen Strukturen haben einige wenige das Sagen über die große Mehrheit. Kontrolle und Ordnung werden oft unter Anwendung von Zwang oder irgendeiner Form von Gewalt aufrechterhalten. In vielen Familien finden sich diese Prinzipien, und viele unserer Schulen, Vereine, religiösen Gemeinden, Unternehmen und Regierungen werden auf diese Weise geleitet.

Nach dem Menschenbild eines durch Dominanz gekennzeichneten Systems sind Menschen im Grunde genommen selbstsüchtig und gewalttätig. Gehen wir davon aus, dass das unsere wahre Natur ist, müssen Menschen kontrolliert werden, damit niemand zu Schaden kommt. Da wir in diesem System gelernt haben, zu vergleichen und Rangordnungen zu erstellen, gibt es eine weitverbreitete Meinung, nach der einige Menschen ein bisschen besser (oder zumindest weniger schlecht) als andere sind. Die „Guten“ werden eingesetzt, um über die anderen zu regieren und sie anzuführen. Um herauszufinden, wer die Führung übernehmen darf, ist in den letzten Jahrtausenden ständig darum gekämpft worden, wer die „Guten“ und wer die „Bösen“ sind. Diejenigen, die in einem solchen System die Spitze erreicht haben, werden versuchen, Menschen zu kontrollieren, indem sie ihre Macht über sie einsetzen, vor allem durch Strafen und Belohnungen.

Wer gehorcht und den Willen der Autorität erfüllt, wird belohnt, und wer nicht gehorcht, wird bestraft. Geht man davon aus, dass Menschen selbstsüchtig und gewalttätig sind, scheinen Strafen und Belohnungen die wirksamsten Mittel zu sein, sie zu lehren, wie sie sich benehmen sollen. Gestraft wird mit der Absicht, dass die Strafe (oder eine nicht erhaltene oder wieder entzogene Belohnung) uns zeigen soll, wie schlecht wir sind und dass wir etwas falsch gemacht haben. Auf ähnliche Weise sehen wir, dass wir anerkannt sind, wenn diejenigen an der Spitze (Eltern, Lehrer, Chefs ...) uns das bestätigen, indem sie uns auf irgendeine Weise belohnen. Wir lernen, dass unser Wert als Mensch davon abhängt, ob wir von einer Autorität anerkannt werden oder nicht. Dieses Menschenbild rechtfertigt, dass die Überlegenen das Recht haben, den Ton anzugeben und andere zu kontrollieren, weil wir Menschen eben auf diese Weise lernen, was richtig und falsch ist. Das zu lernen ist wichtig, um in einer Kultur leben zu können, die auf Hierarchie und Dominanz beruht.

Zu diesem Menschenbild gehört auch die Idee, dass an jedem Konflikt jemand schuld sein müsse, es also einen „Täter“ gibt. Und weil diese Idee sich nachhaltig durchgesetzt hat, haben wir ein unglaublich aufwendiges System geschaffen, um diese „bad guys“ zu finden und zu überführen.

Die meisten von uns sind in dieser Denkweise – zu vergleichen und zu beurteilen, was gut und was schlecht ist – immens gut ausgebildet. Denken Sie nur einmal über Ihre eigenen Gedanken beim Lesen des letzten Abschnitts nach: Wie oft haben Sie das System, das ich beschreibe, als schlecht, falsch oder ungerecht beurteilt? Oder vielleicht bewerten Sie auch meine Gedankengänge als falsch, abstrus oder unrealistisch? Da wir so sehr darauf trainiert sind, in Kategorien von richtig und falsch, gut und schlecht zu denken, ist es nicht verwunderlich, dass wir fast die ganze Zeit auch so urteilen.

Wenn ich die (meiner Beurteilung nach) lebensgefährliche Kombination von hoch entwickelter Technologie und Dominanzdenken sehe, die derzeit große Teile unserer Welt zu steuern scheint, verliere ich leicht die Hoffnung. Ich glaube, dass dieser Dominanzmythos zurzeit enorm tragische Auswirkungen auf unseren Planeten hat und dass wir lernen müssen, die Welt auf eine Weise zu sehen, die dem Leben dienlicher ist.

Ein Menschenbild, das sich auf Bedürfnissen gründet

Richte ich stattdessen meine Aufmerksamkeit auf zwei Grundannahmen der Gewaltfreien Kommunikation (GFK), inspiriert mich das und lässt mich wieder hoffen:

Alles, was wir Menschen tun, ist ein Versuch, unsere Bedürfnisse zu erfüllen.

10

Wenn wir es aus freiem Willen tun können, unterstützen wir Menschen einander gerne.

Mithilfe dieser kann ich mir vergegenwärtigen, dass das, was ich als Dominanzsystem beschreibe, eine Entscheidung repräsentiert, wie man sich der Welt gegenüber verhalten kann. Die beiden obigen Annahmen repräsentieren eine andere Entscheidung und unterscheiden sich von der Art, wie viele von uns gelernt haben, die Welt zu sehen. Wir sind immer frei, uns zu entscheiden, wie wir miteinander und mit der Welt in Kontakt treten wollen.

Eines möchte ich verdeutlichen: Dass Gewalt dazu geeignet ist, Dinge in Ordnung zu bringen, ist für mich ein Mythos. Gewalt ist nur eine Möglichkeit, eine Lösung für ein Problem zu finden, und wir können sie jederzeit gegen eine andere austauschen.

Wenn wir uns entscheiden, unsere Aufmerksamkeit auf das zu richten, was Menschen brauchen, anstatt darauf, wer sich richtig und wer sich falsch verhalten hat, dann haben wir bestimmt weitaus größere Chancen, eine Welt zu schaffen, in der es Platz für alle gibt. Eine solche Einstellung Menschen gegenüber stellt auch für denjenigen, der die Rolle eines Mediators annimmt, eine erhebliche Erleichterung dar, weil sie es einfacher macht, das Menschliche in jeder Person zu sehen, unabhängig davon, wie sie sich verhalten hat. Diese Einstellung und dieses Menschenbild ziehen sich durch das gesamte Buch und sind Grundlage der Praxisübungen.

Die Einstellung, dass Konflikte durch unerfüllte Bedürfnisse entstehen, stimmt mich zuversichtlich, dass wir eine Welt schaffen können, die völlig anders aussieht als die, in der wir heute leben. Stellen Sie sich nur vor, dass all die Ressourcen, die heute für Waffen, Militär, Polizei und Gefängnisse verwendet werden, stattdessen eingesetzt würden, um Beziehungen wiederherzustellen und neue Strategien zu erarbeiten, die die Bedürfnisse aller berücksichtigen. In dieser Welt hätten Vermittler vermutlich automatisch einen anerkannten Platz.

Was ist nötig, damit Mediation ein natürlicher Teil unserer Kultur wird?

In meiner Antwort auf die in der Überschrift gestellte Frage möchte ich von den zwei zuvor beschriebenen unterschiedlichen Denkweisen ausgehen. Zuerst antworte ich im Sinne eines auf Kontrolle und Dominanz begründeten Systems und danach im Sinne eines Systems, dessen Absicht es ist, dem Leben durch die Erfüllung von Bedürfnissen zu dienen. In einem auf Dominanz basierenden System ist Mediation eher unüblich, da Konflikte als etwas Schlechtes gesehen und am liebsten vermieden werden. Gewalt oder Gewaltandrohung hingegen sind an der Tagesordnung, wenn es darum geht, Konflikte zu bekämpfen. Dennoch entstehen in diesem System immer wieder Konflikte.

Man kann auch versuchen, Konflikte durch Kontrolle und gut untermauerte Drohungen (zur Gewaltanwendung greifen, sollte ein Konflikt entstehen) generell zu vermeiden. Diejenigen, die die Macht haben, setzen solche Maßnahmen (oder Sanktionen) ein, um die Ordnung wiederherzustellen, wenn sie gestört wird. Entsprechend haben die Menschen in einem System, das sich auf Dominanz gründet, viel Vertrauen in das friedensschaffende Potenzial von Kontrolle und Gewalt. Denn auf Gewalt folgt ja bekanntlich Harmonie, oder ...?

Ich möchte behaupten: Es ist diese Art zu denken, die den Mythos erschafft und erhält, dass Gewalt notwendig sei und Harmonie bewirken könne. Auf diesem Mythos basiert die Dominanzkultur, die Gewalt als Strategie zur Konfliktlösung einen hohen Wert zuschreibt. Er lässt Gewalt und Rache (oder „Vergeltung“, wie sie oft genannt wird) natürlich erscheinen. Darüber hinaus erhält er das Macht(un)gleichgewicht, welches darin besteht, dass einige wenige Menschen Macht über die große Mehrheit haben.

Wenn in Systemen, die sich auf Dominanz gründen, ein Konflikt entsteht, versucht man herauszufinden, wessen Fehler es ist. Hat man den Schuldigen gefunden, urteilt man, welche Strafe gerecht ist, und bestraft die Person (oder Gruppe). Eine solche Handlungsweise basiert auf dem Glauben, dass Menschen neue Verhaltensweisen am besten dadurch lernen, dass sie sich selbst hassen und für schlecht halten, indem sie nämlich Schuld, Scham oder Angst vor Strafe fühlen. Solche Versuche, Veränderung zu bewirken, sind tragisch, da sie ausgesprochen selten zu Versöhnung oder Zusammenarbeit führen. Im Gegenteil: Oft führen sie zu Rache, einer Form von Destruktivität. Und wenn Rache in einer Situation nicht attraktiv scheint, richtet sich die Destruktivität vielleicht nach innen, was zu Depressionen und Bitterkeit führen kann.

Nicht die Tatsache, ob Konflikte entstehen oder nicht, lässt Rückschlüsse darüber zu, mit welcher Art von Kultur wir es zu tun haben. Der Unterschied liegt in der Art, die entstehenden Konflikte zu betrachten, und darin, wie man mit ihnen umgeht.

Wenn nach den kulturellen Normen Konflikte ein Zeichen dafür sind, dass jemand etwas falsch gemacht hat oder dass etwas nicht normal ist, wird kaum jemand zugeben wollen, dass Mediation nützlich sein könnte. Nach diesen Normen einen Konflikt zuzugeben käme dem Eingeständnis gleich, nicht vollkommen zu sein. In Kulturen hingegen, in denen Konflikte als etwas Natürliches angesehen werden, als etwas, aus dem man lernen kann, besteht Interesse daran, ihnen Zeit und Aufmerksamkeit zu widmen. Wenn in lebensbereichernden Systemen Konflikte entstehen, versucht man zu verstehen, worum es eigentlich geht. Man versucht nicht, sie zu unterdrücken oder zu bekämpfen. Mediation stellt somit eine Chance dar, so viel wie möglich aus einem Konflikt zu lernen.

Manche Kulturen haben die Rolle einer „dritten Partei“ in ihre Gesellschaftsstruktur integriert, da man erkannt hat, dass es Sinn macht, Konflikte frühzeitig anzugehen. Beispiele dafür finden wir bei den Indianern in Nord- und Südamerika, bei den Maori in Neuseeland und in bestimmten Volksgruppen in Neuguinea und Südostasien.11

Würde unsere Kultur ein Menschenbild fördern, nach dem Menschen tun, was sie tun, weil sie sich Bedürfnisse erfüllen wollen und auf freiwilliger Basis gerne zum Leben anderer beitragen, könnte Mediation ein natürlicher Teil unserer Kultur werden.

Recht muss gesprochen werden!!?

Ein Hindernis, auf das Sie möglicherweise stoßen werden, wenn Sie versuchen zu vermitteln, ist die Sichtweise von Konflikten, welche die meisten von uns gelernt haben: dass ein Konflikt entsteht, weil jemand etwas falsch gemacht hat – und nun soll Recht gesprochen werden. Das bedeutet, dass eine oder mehrere Personen bestraft werden sollen, um die Sache wieder „in Ordnung“ zu bringen. Wenn wir den Schuldigen nicht finden, suchen wir auf jeden Fall nach einem Sündenbock, der geopfert werden kann; schließlich sehnen wir uns nach Harmonie und danach, dass der Normalzustand wiederhergestellt wird. Die Absicht ist selbstverständlich eine gute, schießt aber allzu oft am Ziel vorbei. Geht man davon aus, dass nur eine Person sich anders hätte verhalten sollen, übersieht man nur zu leicht, wenn es etwas im System selbst gibt, das zu Konflikten führt. Da wir jedoch vollauf damit beschäftigt sind, „den Schuldigen“ zu finden und zu bestrafen, ändern wir nichts am konfliktverursachenden System, das unverändert bestehen bleibt.

Wenn für uns Gerechtigkeit bedeutet, jemandem zu geben, was er verdient, riskieren wir, dass der Umgang mit Konflikten zum reinen Kampf darüber verkommt, wer belohnt und wer bestraft werden soll. Diese Sichtweise durchdringt den größten Teil unseres Rechtssystems, die meisten Zeugnis- und Gehaltssysteme sowie viele andere Systeme, die zur Kontrolle, Belohnung und Bestrafung eingesetzt werden.

Wenn ein Mediator die GFK anwendet, liegt der Fokus darauf, Verbindung und Begegnung zwischen den Parteien zu fördern, um dann einen Weg zu finden, die Bedürfnisse aller Beteiligten zu erfüllen. Die Frage, wer der Schuldige ist oder was „gerecht“ ist, ist in dieser Situation kontraproduktiv, da das, was wir „Gerechtigkeit“ nennen, eigentlich eine Umschreibung für „Rache“ ist.

Fehlt einer der Konfliktparteien das Vertrauen, dass die Bedürfnisse aller Beteiligten berücksichtigt werden, wird der Ausdruck „verdienen“ oft zum Geländer, an dem sie sich entlanghangeln. Haben wir in einer Mediation jedoch Vertrauen dafür geschaffen, dass es das gemeinsame Anliegen ist, die Bedürfnisse aller in größtmöglichem Maße zu erfüllen, fällt es leichter, die Idee loszulassen, dass jemand für das, was geschehen ist, bestraft werden müsse. Dann wird deutlich, dass hinter dem Streben nach Gerechtigkeit eigentliche eine starke Sehnsucht steht, dass die eigenen Bedürfnisse erfüllt werden. Herauszufinden, was die Parteien tun können, um das, was zerbrochen ist, zu reparieren, sei es materieller Schaden, Beziehungen oder Vertrauen, rückt dann in den Mittelpunkt des Interesses.

Unsere Worte stützen unser Menschenbild

... es begann vor langer Zeit mit Mythen über die menschliche Natur, die den Menschen als grundsätzlich böse und selbstsüchtig beschrieben – und dass ein „gutes Leben“ bedeutete, dass eine Heldenmacht die bösen Mächte bezwang. Mit dieser zerstörerischen Mythologie haben wir lange Zeit gelebt, und sie wird ergänzt durch eine entmenschlichende Sprache, die Menschen zu Objekten macht. – Marshall Rosenberg12

Will man dritte Partei in einer auf Dominanz basierenden Kultur sein, stellt auch die Sprache eine Herausforderung dar. Die meisten von uns haben unglaublich viele Wörter gelernt, um zu beschreiben, was Menschen sind. Folglich fällt es uns leicht, uns gegenseitig zu analysieren und zu beurteilen, was normal oder unnormal, angemessen oder unangemessen, gut oder schlecht und so weiter ist. Die GFK kann eine große Hilfe sein, da sie uns konkrete Werkzeuge an die Hand gibt, um alle statischen Ausdrücke in eine Sprache zu übersetzen, die Menschen wieder ihr gemeinsames Menschlichsein erkennen lässt. Hierfür benötigen wir eine prozessorientierte Sprache, die beschreibt, was wir tun und was wir brauchen, anstelle einer statischen Sprache, in der es darum geht zu beschreiben, wie oder was jemand ist.

Zu der Weltsicht, dass Ordnung durch Kontrolle und Bestrafungs-/Belohnungssysteme geschaffen und erhalten wird, gibt es Alternativen. Die GFK baut auf die Einstellung, dass wir Menschen es genießen, andere zu unterstützen, wenn dies auf freiwilliger Basis geschieht und wenn wir verstehen, was diese Unterstützung für jemand anderen bedeutet. Diese Haltung gründet sich weder auf den Gedanken, dass Menschen gut sind, noch, dass sie schlecht sind, sondern darauf, dass wir Menschen handeln, um unsere Bedürfnisse zu erfüllen. Um dieses Menschenbild zu festigen, ist es nötig, dass wir lernen, von Herzen zu kommunizieren, und uns nicht leiten lassen von einer Welt voller Regeln, die vom „Richtig und Falsch“-Denken regiert wird und in der wir Autoritäten blind gehorchen. Wir benötigen eine Sprache, die uns helfen kann, die lebensbereichernde Absicht zu verdeutlichen, die in einer auf Dominanz und Kontrolle basierenden Sprache verborgen liegt.

Ich glaube, dass alle Menschen das Vermögen haben zu vermitteln. Wir benötigen aber praktische Werkzeuge, um Verbindung mit den Bedürfnissen aufzunehmen, die Menschen in allen Lebenssituationen zu erfüllen versuchen. Sie müssen in der Lage sein, Ihr theoretisches Verständnis dessen, wie Mediation funktioniert, in einer Sprache zu transportieren, die Verbindung fördert und Mitgefühl weckt. Deshalb finden Sie in diesem Buch neben der Theorie auch handfeste Übungen, aus denen Sie hoffentlich großen Nutzen für das Trainieren Ihrer Fähigkeit, als dritte Partei zu vermitteln, ziehen werden.

Kapitel 2: Der Traum von einer konfliktfreien Welt

(zurück zum Vorwort)

(zurück zu Abschnitt: Übungsplan für Mediations-Übungsgruppen)

Konflikt – Krise oder Chance?

Konflikt:Schwere Meinungsverschiedenheit, die eine Lösung fordert, gewöhnlich durch eine Form von Kampf.Bedeutungsnuancen: a) offener Kampf: politischer Konflikt; ~ auf dem Arbeitsmarkt; die angespannte Lage ging in einen offenen ~ über b) psych. unvereinbare Handlungsimpulse in einem Individuum: konfliktvoll; Rollenkonflikt; seelischer ~; mit sich selbst in ~ sein; ein innerer ~Hist.: seit 1811; von lat. conflictus „Zusammenstoß“.– Die schwedische Nationalenzyklopädie13

Man kann Konflikte auch so beschreiben:Ein Konflikt ist eine Interaktion zwischen mindestens zwei Parteien, in der mindestens eine Partei:1) Wünsche hat, die sich zu wichtig anfühlen, um sie aufzugeben,2) die Wahrnehmung hat, dass die andere Partei dieErfüllung dieser Wünsche verhindert.– Thomas Jordan14

Wenn Sie dazu beitragen möchten, Konflikte zu lösen, gilt es auf einige Dinge zu achten, die Ihnen helfen werden, klarer zu sehen, wann und wie Sie unterstützend agieren können. Dazu gehört, Deutungen und Wertungen (wenn jemand also Geschehnisse interpretiert, beurteilt und analysiert ) klar von dem zu unterscheiden, was wirklich geschehen ist. Wenn jemand, der mit einem Konflikt zu tun hat, sich plötzlich damit beschäftigt, wer Recht und wer Unrecht hat, bedarf dies ebenfalls der Aufmerksamkeit. Das Risiko ist dann nämlich ziemlich groß, dass der Betreffende eine feste Position bezieht, was zu Stagnation führt und den Konflikt nur noch schwieriger handhabbar macht.

Sollten Sie bemerken, dass oben genannte Verhaltensweisen im Konflikt auftreten, können Sie Ihre Aufmerksamkeit auf die hinter den Äußerungen verborgenen unerfüllten Bedürfnisse richten. Sich auf Bedürfnisse zu konzentrieren (sowohl auf die eigenen als auch auf die anderer) schafft meist mehr Kontakt zwischen Menschen als nach Sündenböcken zu suchen und sich darauf zu konzentrieren, wer etwas falsch gemacht hat und wer sich anders verhalten sollte. Wenn die an einem Konflikt Beteiligten wissen, was sie brauchen, wird es leichter, Strategien zu finden, die für alle Parteien befriedigend sind.

Unsere Haltung gegenüber Konflikten hat Einfluss darauf, wie wir mit ihnen umgehen. Für mich sind Konflikte wie leicht verderbliche Lebensmittel – schon nach kurzer Zeit fangen sie an zu stinken, und ihr Verwesungsgeruch breitet sich aus. Oft warten wir ab, bevor wir einen Konflikt angehen, in der Hoffnung, er würde abflauen oder von selbst verschwinden. Doch durch Abwarten allein lässt sich ein Konflikt leider nur selten lösen – es vergeht nur Zeit. So viele von uns haben gelernt, dass Konflikte ein Zeichen dafür seien, dass etwas nicht stimme. Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass wir den Umgang mit Konflikten tunlichst meiden, wodurch sie nur noch mächtiger werden. Ich hoffe deshalb, dass Sie mithilfe dieses Buches anfangen werden zu handeln – und zwar frühzeitiger als bisher und auf eine Weise, die zu Kontakt und Zusammenarbeit führt.

Ich sehe Konflikte als wertvollen Bestandteil menschlicher Beziehungen. Sie helfen uns, als Individuen und als Gesellschaften zu wachsen. Wenn wir die Verantwortung für Konflikte der Gesellschaft oder dem Rechtssystem überlassen, könnte uns deren eigentlicher Kern entgehen. Fragen wir uns stattdessen, was wir mit einem Konflikt zu tun haben, wie er jeden Einzelnen von uns berührt, besteht eine Chance zur Veränderung, von der wir alle profitieren. Für mich heißt Mediation, Menschen auf eine friedliche Weise, aus der wir alle etwas lernen können, ihre Konflikte leben zu lassen.

Zusammenfassung, wie man konstruktiv mit Konflikten umgehen kann

Sicherstellen, dass „alle Karten auf den Tisch“ kommen (Tatsachen und Beobachtungen herausarbeiten).

Alle Beteiligten als Menschen sehen (Gefühle, Bedürfnisse und Träume verstehen).

Klären, welche Handlungen die einzelnen Parteien ausgeführt sehen wollen (eindeutige, durchführbare Bitten).

Ich habe bereits in Hunderten von Konflikten vermittelt und bin deshalb sehr zuversichtlich, dass sich menschliche Beziehungen wiederherstellen lassen, auch wenn das manchmal eine große Herausforderung sein kann (und in manchen Fällen auch mehr Zeit und Energie kosten würde, als wir zu investieren bereit sind).

Übliche Sichtweise auf Konflikte in Dominanzstrukturen

Konflikte sind negativ und schlecht.

Wir müssen unser Äußerstes tun, um Konflikte zu vermeiden.

Konflikte sind ein Zeichen dafür, dass jemand etwas falsch gemacht hat.

Konflikte werden von schwierigen Menschen und Unruhestiftern in Gang gesetzt. Deshalb brauchen wir wirksame Mittel, um Menschen zu kontrollieren.

Kontrolle und Harmonie können erreicht werden, indem man seinen Gegner bezwingt. Manchmal muss das durch eine Form von Strafe oder mithilfe von Gewalt oder Zwang geschehen.

Folgen dieser Einstellung

Es besteht die Tendenz, Konflikte aus den oben genannten Überzeugungen zu meiden. Konflikte, die man nicht angeht, eskalieren jedoch meistens. Konfliktvermeidung trägt also dazu bei, dass die Kontroversen letztendlich noch schwerer zu handhaben sind. Und genau diese Erfahrung, dass Konflikte schwer zu lösen sind und Energie kosten, scheint wiederum zu beweisen, dass sie wirklich unnatürlich sind und man sie tunlichst vermeiden sollte. Wenn wir glauben, dass irgendein Unruhestifter einen Konflikt völlig unnötigerweise verursacht hat, nehmen wir vermutlich die Dinge nicht mehr wahr, die uns wirklich helfen könnten, mit dem Konflikt umzugehen.

Gemäß der Annahme, Menschen seien von Natur aus gewalttätig und selbstsüchtig und dass aufgrund dieser gewalttätigen und selbstsüchtigen Natur Konflikte entstünden, lassen sich Konflikte anscheinend nur vermeiden, indem wir Menschen kontrollieren. Vor diesen gewalttätigen Menschen werden wir uns schützen wollen und Obrigkeitsinstanzen installieren, deren Auftrag es ist, meistens unter Zuhilfenahme unterschiedlicher Formen von Kontrolle, die Anzahl der Konflikte zu minimieren. Aussagen wie: „Zerstöre nicht die Stimmung!“ oder: „Ihr seid euch doch eigentlich einig, jetzt hört doch endlich auf zu streiten!“ können Ausdruck der eigenen Sorge sein, nicht mit Konflikten umgehen zu können. Wenn wir andere davor schützen wollen, zu Schaden zu kommen, ist nicht selten unser erster Impuls, den Konflikt zu beenden, anstatt den Parteien zu helfen, einander zu verstehen.

Wenn man versucht, Konflikte abzumildern oder zu beenden, riskiert man, dass sie stattdessen wachsen und immer größer werden, bis die Situation schließlich unhaltbar wird. Besteht ein Konflikt schon längere Zeit, kann es ziemlich schwierig und herausfordernd sein, wieder zu Vertrauen und Kooperation zurückzufinden. Menschen in Konflikten haben das Bedürfnis, gehört und verstanden zu werden; sie wollen nicht, dass man ihnen sagt, dass sie nicht länger streiten sollen. Werden sie nämlich nicht gehört, „schreien“ sie womöglich noch lauter, um so endlich Gehör zu finden.

Wenn es uns jedoch gelingt, menschliche Unzufriedenheit als einen Versuch anzusehen, sich Bedürfnisse zu erfüllen, eröffnen sich oft neue Möglichkeiten für Kontakt und Kooperation. Mit dem Wissen, wie wir weiterkommen können, wenn wir uns „festgefahren“ haben, können wir sowohl unsere eigenen Konflikte handhaben als auch anderen helfen, ihre zu lösen. Sobald wir sehen, dass Konflikte eine Bereicherung sein können, steigt auch unsere Motivation, uns ihnen zu widmen.

Übliche Sichtweise auf Konflikte in lebensbereichernden, partnerschaftlichen Strukturen

Konflikte sind natürlich und lassen sich lösen.

Wo es Leben und Träume gibt, gibt es auch Konflikte.

Konflikte können eine Bereicherung sein und dazu führen, dass wir in neuen kreativen Formen der Zusammenarbeit versuchen, die Bedürfnisse aller zu erfüllen.

Konflikte bringen den größten Nutzen, wenn man sie mit „Win-win“-Methoden angeht, die eine Lösung zum beiderseitigen Vorteil anstreben.

Folgen dieser Einstellung

Wenn man anerkennt, dass es Konflikte gibt, werden diese nicht so leicht tabuisiert. Vermutlich wird man dann entdecken, dass sie ganz natürlich sind und sogar bereichernd sein können. Wenn man Konflikte sichtbar macht und nicht etwa versucht, sie zu verheimlichen, können sie mit weitaus größerer Wahrscheinlichkeit zu Verbindung und Kooperation führen.

Werden Konflikte als etwas potenziell Beziehungen und Zusammenarbeit Bereicherndes angesehen, geht man sie früher an, wodurch sie sich auch leichter lösen lassen. Sie werden dann zu einem Zeitpunkt in Angriff genommen, zu dem die Beteiligten noch offen dafür sind, die verschiedenen Standpunkte voneinander zu hören und zu neuen kreativen Ideen beizutragen. Das Erleben dieser so entstehenden Kreativität trägt dazu bei, Konflikte eher als Bereicherung anzusehen.

Versucht man jedoch, Harmonie zu erreichen, indem man bestehende Konflikte leugnet, wird dies vermutlich eher zu einer Vertiefung der Konflikte als zu echter Harmonie führen. Wenn wir Konflikte stattdessen als etwas sehen, das wir verstehen und woraus wir etwas lernen wollen, tabuisieren wir sie weniger, wodurch es leichter wird, alle Karten auf den Tisch zu legen.

Der Unterschied zwischen Dominanzstrukturen und lebensbereichernden, partnerschaftlichen Strukturen

Ich möchte nun die beiden eben beschriebenen Einstellungen vergleichen. Ihre Unterschiede zu verstehen kann zu mehr Klarheit über Konflikte und Mediation beitragen.

Welche Rolle haben diejenigen, die sich im Konfliktfall in leitender Position befinden?

Dominanzstrukturen

Lebensbereichernde Strukturen

Menschen in Leitungsfunktionen sollten alle Konflikte unter Kontrolle haben. Oft wird das durch Bemühungen erreicht, Konflikte niederzuhalten oder sie durch Macht- und Gewaltausübung zu bekämpfen.

Diejenigen in leitenden Funktionen bemerken Konflikte, tragen zu deren Sichtbarmachung bei und versuchen, eine Umgehensweise zu entwickeln. Wenn es der Gruppe dient, nehmen sie Hilfe bei der Handhabung von Konflikten in Anspruch.

Verteilung von Macht

Dominanzstrukturen

Lebensbereichernde Strukturen

Es geht darum, Macht über Menschen zu haben. Diejenigen mit der meisten Macht haben auch den besten Zugang zu den Ressourcen, die ihre Macht vergrößern.

Die Aufmerksamkeit ist darauf gerichtet, Ressourcen und Macht zu verteilen, mit Menschen zu kooperieren. Macht wird eingesetzt, um dafür zu sorgen, dass diejenigen

mit Ressourcen versehen werden, die sie am nötigsten brauchen.

Kooperation

Dominanzstrukturen

Lebensbereichernde Strukturen

Zusammenarbeit basiert auf Pflichtbewusstsein, Schuld und Scham oder auf Polaritätsdenken, Abgrenzung („wir/sie“) und Aggression gegen andere Gruppen.

Zusammenarbeit basiert auf Freiheit und Interdependenz (dem Bewusstsein der wechselseitigen Abhängigkeit). Es wird darauf vertraut, dass alle Menschen beitragen und kooperieren wollen, wenn ihre Bedürfnisse berücksichtigt werden.

Anwendung von Macht und Einflussnahme

Dominanzstrukturen

Lebensbereichernde Strukturen

Belohnung und Strafe werden eingesetzt, um die Handlungen und Entscheidungen von Menschen zu kontrollieren.

Mithilfe einer auf Ehrlichkeit und empathischem Zuhören basierenden Sprache wird Zugang zu den Menschen gesucht. Macht kann im Fall einer konkreten Gefahr zur Anwendung kommen. Dies geschieht immer, um zu beschützen, und niemals, um zu strafen.

Gerechtigkeit

Dominanzstrukturen

Lebensbereichernde Strukturen

Gerechtigkeit wird durch Strafe geschaffen und von einem System gesteuert, das darüber entscheidet, wer etwas falsch gemacht hat. Derjenige, der etwas falsch gemacht hat, verdient Strafe und soll „sein Verbrechen sühnen“.

Gerechtigkeit wird im Dialog und durch wiederherstellende Handlungen erlangt – etwas richten, ohne jemanden zu richten. Bei akuter Gefahr oder Bedrohung greift man ein, um

zu schützen, aber niemals, um jemanden zu strafen.

Erziehung und Ausbildung

Dominanzstrukturen

Lebensbereichernde Strukturen

Damit wir Menschen einem auf Dominanz basierenden System dienen können, lernen wir bereits als Kinder, für Belohnungen zu arbeiten (für ein Lob, gute Noten und Geld). Es ist deshalb auch wichtig zu lernen, uns um das zu kümmern, was Autoritäten (diejenigen, die Macht über die Ressourcen haben) denken. Manche von uns macht das gehorsam und leicht steuerbar; andere rebellieren, als Reaktion auf die Kontrolle. Das System bleibt jedoch so gut wie immer intakt.

Schule und Erziehung sind auf Freiheit und Gegenseitigkeit gegründet. Was das Individuum braucht und will, ist genauso wichtig wie ein kooperativer Austausch mit anderen in gegenseitigem Respekt. Die Motivation kommt von innen, was nachhaltiges und kontinuierliches Lernen maximal fördert.

Win-win oder Nullsummenspiel?

1964 spielten ein amerikanischer Vater und sein zwölfjähriger Sohn im Londoner Hyde Park Frisbee. In England war das damals noch ziemlich unbekannt, und eine Anzahl von Spaziergängern schauten dieser eigenartigen Sportart zu. Dann trat ein Engländer mit einem klassischen Homburg auf dem Kopf an die beiden heran und fragte den Vater: „Tut mir leid, wenn ich störe. Ich habe Ihnen eine Viertelstunde zugesehen. Wer von Ihnen wird gewinnen?“15

Wir sind so an Wettbewerb gewöhnt und daran, unsere Aufmerksamkeit darauf zu richten, wer gewinnt, dass wir diese Denkweise leicht auf alle Lebenssituationen übertragen. In einer Freundschaft oder Liebesbeziehung fragen sich vermutlich die wenigsten von uns bewusst, wer „gewinnen wird“. Dennoch ähneln unsere Konflikte oft Wettkämpfen. Sie sind wie Machtkämpfe, bei denen wir gewinnen wollen.

Das Ziel einer durch GFK unterstützten Mediation ist es, eine Lösung zum beiderseitigen Vorteil zu finden, eine sogenannte „Win-win“-Lösung – kein Nullsummenspiel. In einem Nullsummenspiel gleichen sich Gewinne und Verluste gegenseitig aus; ihre Höhe spielt dabei keinerlei Rolle. In der Konsequenz kann ein Spieler nur gewinnen, indem ein anderer verliert.

In Konflikten führen Machtkämpfe deshalb selten zu längerfristig befriedigenden Lösungen. Kompromisse sind meistens auch Nullsummenspiele, da die Parteien etwas aufgeben, um etwas anderes zu bekommen.

Anstelle von Kompromissen versuchen wir, mithilfe der GFK Lösungen zu finden, die so viele Bedürfnisse wie möglich erfüllen und bei denen niemand verliert, weil ein anderer gewinnt.