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**Märchenadaption von »Die Schöne und das Biest«: Wenn Schönheit auf Grauen trifft und Furcht zu Liebe wird…** Als die schöne Valeria erfährt, wen sie heiraten soll, ist ihr wohlbehütetes Leben auf einen Schlag vorbei. Um den jungen Grafen Westwood ranken sich Schauergeschichten von einem Fluch und ihr neues Heim gleicht eher einer Ruine als einem herrschaftlichen Herrenhaus. Auch Westwood selbst benimmt sich ihr gegenüber mehr wie ein eiskaltes Biest und nicht wie der Mann von Stand, der er eigentlich sein sollte. Doch dann stößt Valeria in einem verstaubten Raum auf magische Windlichter, die jedes für sich ein Geheimnis bergen. Sie zeigen Valeria einen ganz anderen Grafen, voller Freundlichkeit und Güte… //Textauszug: Valeria atmete tief durch. Sie durfte sich nichts anmerken lassen. Ein verlegenes Lächeln oder gerötete Wangen könnten ihr jetzt zum Verhängnis werden. Der König saß schief auf seinem Thron. Den Kopf hatte er auf eine Hand gestützt und sein Blick ruhte müde auf Valeria. Das war der wichtigste Tag ihres Lebens und der Mann, der über ihr Schicksal entscheiden sollte, sah aus, als wäre er gerade aus dem Bett gefallen und würde dort am liebsten sofort wieder hinein kriechen.// //Weitere märchenhafte Romane der Autorin: -- Sinabell. Zeit der Magie -- Secret Woods 1: Das Reh der Baronesse -- Secret Woods 2: Die Schleiereule des Prinzen -- Prinzessin Fantaghiro. Im Bann der Weißen Wälder -- Schneeweiße Rose. Der verwunschene Prinz (Rosenmärchen 1) -- Blutrote Dornen. Der verzauberte Kuss (Rosenmärchen 2)//
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Im.press Ein Imprint der CARLSEN Verlag GmbH © der Originalausgabe by CARLSEN Verlag GmbH, Hamburg 2016 Text © Jennifer Alice Jager, 2016 Lektorat: Nicole Boske, Lana Schmitz Redaktion: Pia Praska Umschlagbild: shutterstock.com / © Igor Stepovik / © mythja Umschlaggestaltung: formlabor Gestaltung E-Book-Template: Gunta Lauck Schrift: Alegreya, gestaltet von Juan Pablo del Peral
Für das Monster in uns allen, für die Schönheit, die wir vor der Welt verstecken, für das Biest, das wir werden müssen, um zu überwinden, was uns in die Schatten treibt.
***
In Gedenken an
Che The undying Spirit
Mein Schöner, mein Biest. Meine Inspiration zu diesem Buch. Gemeinsam haben wir deine Monster besiegt, wir haben Seite an Seite gekämpft – bis zuletzt.
Sanft fuhr die Bürste durch ihr rot glänzendes Haar. Wie jeden Abend saß Valeria im langen Nachtgewand am Schminktisch vor dem Spiegel. Hinter ihr stand ihre Mutter Alannah und vor sich sah sie ihr eigenes Antlitz, das sie sanft anlächelte.
»Perfekt«, flüsterte ihre Mutter und strich ihr ein weiteres Mal durchs Haar. »Jeder deiner Züge, dein Blick. Du bist wahrlich die Schönste.«
Valerias Lächeln wurde ein klein wenig breiter. Sie wusste, dass man ihr nachsagte, sie wäre das schönste Mädchen in ganz Monaghan, denn sie bekam es tagtäglich zu spüren.
Es war ein Segen wie eine Last zugleich und dass ihre Mutter in ihr nichts weiter sah als ein hübsches Gesicht, das glatte feuerrote Haar und die wohlgeformten Wölbungen ihres Körpers, machte es nicht leichter.
Dennoch lächelte sie und bedankte sich für die netten Worte. So hatte sie es gelernt. Immer höflich bleiben, freundlich und umsichtig. Das stand ihr gut zu Gesicht und gehörte sich für eine Dame von Stand.
»Morgen wird sich das alles auszahlen, mein Liebchen«, versprach ihre Mutter. »Du wirst vor den König treten, er wird einen Blick auf dich werfen und das wird genügen, um zu wissen, wo du hingehörst.«
»Ja Mutter, so wird es sein.«
Noch immer lächelte sie sanft und ließ sich nicht anmerken, wie aufgeregt sie tatsächlich war. Morgen war ihr sechzehnter Geburtstag und wie jedes Mädchen in diesem Alter würde sie sich dem König präsentieren, er würde sie fragen, ob sie noch frei und ungebunden wäre und natürlich würde sie mit Ja antworten. Dann käme der Moment, auf den sie ihr Leben lang hingearbeitet hatte. Für diesen einen Tag hatte sie stets auf alles verzichtet. Auf Naschereien, ungezügelte Spiele, Reiten und Sonnentage. Und endlich würde sich das alles bezahlt machen.
»Nun ab ins Bett!«, forderte ihre Mutter sie auf und Valeria erhob sich so hastig, dass die Haarbürste zu Boden fiel.
»Nicht so stürmisch«, ermahnte Alannah.
»Verzeih, Mutter. Ich bin nur so aufgeregt.«
Sie huschte zum Bett und schlüpfte unter die weiße Daunendecke.
»Das ist verständlich«, räumte ihre Mutter wohlwollend ein. »Schon bald wirst du nicht mehr von mir, sondern von einer Zofe zugedeckt werden.«
Sie strich die Decke glatt und gab ihrer Tochter einen Kuss auf die Stirn.
Alannah selbst war ebenfalls eine recht hübsche Frau. Sie sah jung aus für ihr Alter, hatte feines blondes Haar, blaue Augen und hohe Wangenknochen. Dennoch hatte sie wider Erwarten nicht über ihren Stand geheiratet. Ebenso wie ihre Tochter hatte sie eine arrangierte Ehe angestrebt und auf alles verzichtet. Doch es kam anders als gewünscht und so setzte sie nun alle Hoffnungen in ihre einzige Tochter.
»Und jetzt schlaf gut.«
Sie nahm die Kerze vom Nachttisch und löschte diese, als sie die Zimmertür erreichte.
Valeria blieb allein im Dunkeln zurück und natürlich bekam sie kein Auge zu. Die ganze Nacht über lag sie wach und spürte, wie ihr Nacken immer steifer wurde. Sie wagte es nicht sich hin und her zu wälzen. Nicht auszudenken, wenn ihr Haar am morgigen Tag verknotet wäre.
Als dann die Vögel vor ihrem Fenster zu zwitschern begannen und die Sonnenstrahlen des anbrechenden Tages ihre Nase kitzelten, richtete sie sich schwerfällig auf und reckte ihre steifen Glieder.
Ein Geräusch am Fenster zog ihre Aufmerksamkeit auf sich. Sie schlüpfte aus dem Bett, richtete ihre Decke und lief mit nackten Füßen durch das Zimmer. Es fiel ihr schwer zu glauben, dass sie das alles bald hinter sich lassen würde. Sie kannte hier jeden Winkel, jede Ritze an der holzvertäfelten Wand, hatte tausende Male die Blumengirlanden auf der Tapete gezählt und wusste genau, welche der Dielen knarzte, wenn sie darüber hinweg lief. Es war ihr Zuhause, ihr Zimmer und bald wäre es nur noch eine Erinnerung.
»Valeria?«, rief eine ihr wohlvertraute Stimme von draußen.
Belltaine winkte von der Straße zu ihr herauf. In der Hand hielt sie ein paar Kieselsteine.
Es war ein nebliger Morgen, wie die meisten Tage zu dieser herbstlichen Jahreszeit. Dichte Schwaden lagen über den eng an eng gebauten Fachwerkhäusern und in den verwinkelten Gassen, durch die sich unzählige Kutschen, Karren und Reiter bewegten.
»Guten Morgen, Belltaine!«, rief Valeria hinunter.
Ihre Freundin hatte am selben Tag Geburtstag wie sie und dicke Augenringe zeugten davon, dass ihr dieser Tag eine ebenso schlaflose Nacht bereitet hatte wie Valeria.
»Schau mich an«, rief Belltaine. »Ich sehe aus wie eine Vogelscheuche!«
»Nein, gar nicht!«, widersprach Valeria. Dabei war der Vergleich gar nicht so weit hergeholt. Das kohlrabenschwarze Haar war struppig und zerzaust, am Leib trug sie ein bodenlanges Leinenhemd und ihre Haut war blass und von roten Tupfen übersät.
Die feinen Damen, die zur frühen Morgenstunde schon unterwegs waren, um frisches Brot vom Bäcker zu holen oder sonstigen Geschäften nachzugehen, sahen das Mädchen naserümpfend an. Wie lächerlich einige von ihnen mit ihren breiten Hüten und gestreiften Reifröcken aussahen, war ihnen offensichtlich nicht bewusst – man musste schließlich mit der Mode gehen, auch wenn das bedeutete sich wie exotische Vögel zu kleiden.
Valeria schmunzelte. Niemals würde sie sich erlauben schlecht über diese Frauen zu reden, doch was sie dachte, blieb im Verborgenen.
»Komm rauf, wir kriegen das schon hin.«
Das ließ Belltaine sich nicht zweimal sagen. Sie war die Tochter eines mittelständigen Kaufmanns und ihre Aussteuer somit bescheiden, aber sie war hübsch anzusehen, schlank und groß. Ihre Chancen auf eine gute Partie standen nicht schlecht.
Valerias Familie war von niederem Adel. Ihr Vater trug den Titel eines Junkers, was erst einmal nicht viel her machte. Allerdings besaß ihre Familie einen guten Ruf und war dem König stets treu ergeben.
Was Valeria aber eine Heirat in den Hochadel sichern sollte, war ihr Aussehen, und wenn sie den Stand der Sonne betrachtete, blieben nicht einmal fünf Stunden, um das Beste aus sich herauszuholen.
Es klopfte an der Tür.
»Zwiebeln, Bienenwachs und Pulverkalk«, verkündete ihre Mutter nach dem Eintreten. Sie trug ein Tablett bei sich, das über und über mit verschiedenen Behältnissen gefüllt war.
Sie hatte sich bereits schick gemacht, trug einen braun gestreiften Rock und darüber die passende Schoßjacke. Ihr Haar war hochgesteckt und gepudert und ihre Lippen glänzten in einem satten Rot.
Hinter Valerias Mutter trat Belltaine in die Tür und ihre Stresspusteln waren von der gleichen Farbe wie Alannahs Lippenstift.
»Jetzt aber schnell, schnell, Mädchen! Uns läuft die Zeit davon!«
***
Es war exakt fünfeinhalb Stunden später, als Valeria aus der Kutsche trat. Von Monaghan bis in die Hauptstadt war es nur ein Katzensprung. Oft war Valeria mit ihrer Mutter hier unterwegs, um Hüte und Schuhe zu kaufen, sich beim Schneider die neueste Mode zeigen zu lassen oder im Krämerladen zu schmökern. Sie kannte die Läden von Waterport wie ihre Westentasche und dennoch sah sie die Stadt heute mit ganz anderen Augen. Bald wäre sie vielleicht ihre Heimat. Viele Junggesellen aus gutem Hause lebten hier in großen Villen oder in Herrenhäusern nahe der Stadt. Womöglich würde bald schon einer von ihnen ihre Hand halten und dann hätte sie endlich die Gelegenheit auch mal andere Seiten von Waterport zu entdecken, durch Parks zu flanieren oder gar die Pferderennbahn zu besuchen. Orte, an die ihre Mutter sie nie im Leben lassen würde.
»Kindchen, beeil dich!«, rief Alannah und winkte ihr zu.
Die Kutsche hatte sie direkt bis vor die Tore des Schlosses gebracht. Zwei Palastwachen öffneten ihnen das gusseiserne Tor und Valeria folgte ihrer Mutter in den Innenhof. Staunend sah Belltaine sich um, während Valeria sich mühte die Fassung zu bewahren. Der Vorplatz selbst war ohnehin nicht sehr beeindruckend. Er war groß, geschottert und von einer mächtigen Mauer umgeben. Auf den Zinnen patrouillierten weitere Palastwachen und beäugten die drei Damen misstrauisch, als sie den Weg direkt zum Haupteingang nahmen.
»Nimm die Hände da weg«, zischte Alannah und schlug Valeria auf die Finger. Sie hatte ihren Rock etwas angehoben, um bequemer laufen zu können. Ihr Kleid war nicht dazu gedacht sich zu bewegen. Es hatte viel zu viele Rüschen und Schleifen, saß schmerzhaft eng um ihre Taille und hob ihren Busen so weit an, dass sie sich gleich drei Jahre älter fühlte. Der König würde Valeria tief in den Ausschnitt schauen können, wenn sie sich vor ihm verbeugte. Aber genau das hatte ihre Mutter wohl auch beabsichtigt, als sie den Schneider beauftragte dieses Kleid zu nähen.
Ein kirschroter Topas, der an einer Kette in ihrem Dekolleté hing, sorgte außerdem dafür, dass die Blicke aller auf das gezogen wurden, was Valeria vorzuzeigen hatte. Er war in derselben Farbe wie ihr Gewand und hatte Valerias Vater ein Jahresgehalt gekostet.
An der Treppe hinauf zum Schloss blieb den dreien dann doch nichts anderes übrig, als ihre Röcke anzuheben, um die Stufen zu erklimmen.
Alannah kündigte die beiden Debütantinnen bei den Männern an, die links und rechts der Tür standen und man bat sie einzutreten.
Sie waren heute nicht die einzigen Damen, die dem König ihre Aufwartung machen wollten. Zwar arrangierten viele Familien die Verbindungen ihrer Kinder untereinander und auch die Heirat aus Liebe wurde immer häufiger als Entscheidung akzeptiert, doch jeden Tag kamen sechzehnjährige Mädchen in die Hauptstadt, um vor den König zu treten. Die Chance auf eine Heirat in einen höheren Stand war so immer noch am größten.
Valeria sah einem unscheinbaren Ding nach, das bitterlich weinend von ihrer Mutter zurück zum Haupteingang geführt wurde. Ihr Herz schlug schneller bei dem Anblick. War es vielleicht doch ein Fehler vor den König zu treten? War sie womöglich doch nicht so hübsch, wie ihr alle immer sagten? Was, wenn der König das ganz anders sah als ihre Mutter? Wenn ihre Aufmachung doch zu gewagt war und sie die Augen des Königs damit beleidigen würde?
»Mach dir keine Sorgen, mein Täubchen«, flüsterte Alannah, die die Verunsicherung ihrer Tochter zu spüren schien. »Du bist mit Abstand die Schönste hier.«
Tatsächlich entgingen Valeria die Blicke der Mütter nicht, die bei ihren aufgetakelten Töchtern standen. Missgunst und Eifersucht sprachen daraus. Sie kannte das nur zur Genüge. Immer, wenn sie geschubst und beleidigt worden war, hatte ihre Mutter ihr eingetrichtert, dass sie es als Kompliment sehen solle. So tat sie es auch jetzt. Valeria schob die Schultern zurück und schritt erhobenen Hauptes durch das Foyer, als wäre sie eine Königin.
Sie waren genau zur rechten Zeit gekommen, das Prozedere war bereits in vollem Gange und Belltaine wurde sogleich in den Thronsaal gerufen. Nur kurz konnte Valeria einen Blick ins Innere werfen, bevor die Tür sich wieder schloss. All die Adligen, die dort standen und durch dessen Reihen Belltaine schreiten musste, flößten ihr nur noch mehr Ehrfurcht ein und die wenigen Minuten, die vergingen, bevor ihr Name aufgerufen wurde, kamen Valeria wie Stunden vor.
Sie stand vor der geschlossenen Flügeltür, atmete tief durch und schloss für einen Moment die Augen.
Ein Raunen ging durch die Menge, als die Tür für sie geöffnet wurde, und Valeria ließ ihren Blick über die Adelsgesellschaft schweifen. Alle starrten sie an, warteten darauf, dass sie ihren ersten Schritt tat, und sie stand nur da. Wagte es nicht vorzutreten.
»Pss!«, zischte ihre Mutter sie von der Seite an.
Sofort richtete Valeria ihren Blick wieder nach vorne. Sie durfte sich nicht aus der Ruhe bringen lassen. Dem König und nur ihm allein musste ihre volle Aufmerksamkeit gelten.
»Ihre Hochwohlgeboren Fräulein Valeria von Lancaster«, kündigte man sie lautstark an.
Mit erhobenem Haupt lief sie durch den Gang, den die Adligen ihr bereitet hatten.
»Wunderschön«, hörte sie es tuscheln, »Eine Augenweide« und »Bezaubernd.«
Valeria atmete tief durch. Sie durfte sich nichts anmerken lassen. Ein verlegenes Lächeln oder gerötete Wangen könnten ihr jetzt zum Verhängnis werden.
Der König saß schief auf seinem Thron. Den Kopf hatte er auf eine Hand gestützt und sein Blick ruhte müde auf Valeria.
Das war der wichtigste Tag ihres Lebens und der Mann, der über ihr Schicksal entscheiden sollte, sah aus, als wäre er gerade aus dem Bett gefallen und würde dort am liebsten sofort wieder hinein kriechen.
Gerade, als in Valeria die Panik aufsteigen wollte und ihr Herz schon heftig pochte, richtete er sich auf und begutachtete sie wohlwollend.
Valeria machte einen tadellosen Knicks vor dem König und verharrte mit gesenktem Blick.
»Welch anmutiger Anblick«, lobte der König sie. »Sagt, Kindchen, ist Euer Herz bereits vergeben?«
»Nein, mein König«, antwortete sie und kam dabei nicht umhin an all die jungen Männer zu denken, die bereits um ihre Gunst geworben hatten. Keiner von ihnen konnte bisher ihr Herz erobern. Nicht, weil sie nicht gutaussehend oder charmant gewesen waren. Sie wollte sich bloß nie auf ihre Avancen einlassen. Schon in frühester Kindheit war ihre Zukunft festgestanden. Dies hier war der Tag, auf den sie alles ausgerichtet hatte und heute würde sich entscheiden, ob es die Mühe wert gewesen war.
»Euer Haar ist rot gleich dem Feuer. Sagt mir, lebt Magie in Eurer Seele?«
»Nein, mein König«, erklärte sie.
Valeria schielte zu Belltaine. Sie stand etwas abseits bei einigen adligen Damen in eher schlichter Aufmachung. Sie sah hübsch aus, trug ein Kleid aus smaragdgrünem Samt und farblich passenden Haarschmuck. Es war die Farbe ihrer Augen, die darin aufgegriffen wurde. Sie lächelte breit. Dass sie noch hier und nicht etwa mit ihrem zukünftigen Ehemann fortgeschickt worden war, zeigte, dass sie entweder zum Dienste als Zofe berufen worden war oder aber auf eine Schule der Magie geschickt werden sollte. Wenn sie dann in ein oder zwei Jahren wieder vor den König träte, wäre ihr eine Heirat in den niederen Adel so gut wie sicher.
Für Valeria kam beides nicht in Frage. Sie war weder magisch begabt noch fehlte es ihr am notwendigen gesellschaftlichen Schliff.
»Eine Dame von solcher Schönheit verdient eine Heirat in ein gutes Haus. Mehr noch sollt Ihr einen treuen Ehemann an Eurer Seite wissen, der stets ein vorbildlicher Diener der Krone war.«
Valeria huschte ein Lächeln über die Lippen. Sie konnte die anwesenden Junggesellen an einer Hand abzählen und jeder von ihnen wäre eine gute Partie.
Nur wer würde es werden? Wieder wanderte ihr Blick zu Belltaine. Ihr breites Grinsen war so unziemlich wie es aufmunternd war. Mit den Lippen formte sie unverkennbar die Worte »der Prinz« und nickte in Richtung des Thrones.
Valeria hob leicht den Kopf.
Tatsächlich. Neben den König war sein Sohn getreten. Ein stattlicher junger Mann, groß, mit dunklem dichtem Haar und kantigen Gesichtszügen.
»Erhebt Euch, Kindchen«, forderte der König sie auf.
Valeria tat wie ihr geheißen. Sie spürte die Hitze aufsteigen, als sich ihr Blick und der des Prinzen trafen.
Links neben dem König trat ein Vasall mit einer Schriftrolle in den Händen vor. Er rollte das Pergament auf und begann zu lesen.
»Ihre Hochwohlgeboren Valeria von Lancaster beherrscht fünf Sprachen fließend, ist kundig in hoher Mathematik und Geisteswissenschaften, sie spielt Piano und Cello, des Weiteren …«
»Ja, schon gut«, unterbrach der König ihn. »Meine Entscheidung ist bereits gefallen. Es besteht kein Zweifel daran, dass Ihr eines der schönsten Mädchen des Landes seid.«
Die Adligen begannen untereinander zu tuscheln. Valeria sah fragende Gesichter und die eine oder andere in Falten gelegte Stirn. Niemand wusste, worauf der König hinaus wollte, am wenigsten Valeria selbst. Unsicher sah sie sich um.
»So hört meinen Entschluss«, dröhnte die Stimme des Königs in ihren Ohren. »Der erstgeborenen Junkerstochter aus dem Hause Lancaster wird die Ehre zuteil mit dem herrschaftlichen Haus Westwood vermählt zu werden.«
Die Worte trafen Valeria wie ein Schlag. Sie taumelte und ein Schwindel überkam sie, so dass sie glaubte jeden Moment in Ohnmacht zu fallen.
Das Raunen um sie herum wurde lauter, doch zu ihr drang davon nur ein undefinierbares Tosen vor.
Steif knickste Valeria vor dem König.
»Habt Dank«, murmelte sie mit erstickter Stimme.
Dann ging sie. Sie hob den Blick nicht, verschloss Augen und Ohren vor allem, was um sie herum geschah, und verbot sich sogar zu atmen, bis sie den Thronsaal hinter sich gelassen hatte.
***
Valeria lag auf ihrem Bett und weinte bitterlich. Sie schluchzte und schnappte nach Luft. Sie schrie in ihr Kopfkissen, bis ihre Stimme versagte, und dennoch fühlte sie sich keinen Deut besser als in dem Moment, da der König verkündet hatte, wen sie heiraten musste.
»Ein Graf!«, hörte sie die aufmunternden Worte ihrer Mutter. »Wir hätten uns nicht mehr erträumen können!«
Valeria drückte sich das Kissen fest gegen die Ohren.
»Er soll ein Herrenhaus haben, das prächtiger ist als das Schloss selbst!«, versuchte ihre Mutter sie zu trösten.
»Ein verfallenes Gemäuer im Herzen eines verfluchten Landes«, schluchzte Valeria.
»Ach, Kindchen, du darfst auf solche Gerüchte nicht viel geben.«
Alannah ließ sich neben ihrer Tochter auf dem Bett nieder und strich ihr die Haare aus dem Nacken. Valeria stemmte sich hoch und rieb sich die Tränen aus dem geröteten Gesicht.
»Gerüchte?«, fragte sie höhnisch. »Das sind mehr als nur irgendwelche Gerüchte oder warum glaubst du hat der König das getan? Ich bin wahrscheinlich so etwas wie ein Menschenopfer, um den Teufel, der in Westwood haust, milde zu stimmen.«
Sie sah zur Zimmertür. Ihr Vater stand dort mit versteinerter Miene. Noch kein einziges Wort hatte er zu alldem gesagt. Als ob es ihn nicht berühren würde. Dabei wusste Valeria, dass genau das Gegenteil der Fall war.
Ihr Blick fiel auf die gepackten Koffer, die neben ihm standen, und wieder kamen ihr die Tränen. Ihre Mutter reichte ihr ein Taschentuch.
»Das ist der Hochadel, mein Liebchen«, erklärte sie ihr. »Da sind solche Vereinbarungen üblich. Es hat nichts mit Flüchen oder dergleichen zu tun.«
»Die Kutsche«, erinnerte ihr Vater sie mit monotoner Stimme.
Valeria nickte. Alles Weinen und Jammern nützte ihr am Ende doch nichts. Gegen den Willen des Königs konnte sie sich nicht auflehnen.
Sie wischte sich erneut die Tränen aus dem Gesicht, stand auf und strich ihren Rock glatt.
»Atme einmal tief durch und morgen sieht die Welt schon ganz anders aus«, sagte ihre Mutter.
Schultern zurück, Brust raus, Bauch rein. Und immer lächeln. Nie das Lächeln vergessen. So hatte Valeria es gelernt. Mit erhobenem Haupt nahm sie die Treppe nach unten und öffnete die Haustür. Bevor sie in die Kutsche stieg, drehte sie sich noch einmal um und betrachtete ihr Elternhaus.
Das alles hier würde sie vermissen. Es war kein sehr großes Gebäude, mit bloß einem Empfangszimmer und ohne Garten. Es stand eingepfercht zwischen zwei Bauten, die größer und ansehnlicher waren, teilte sich mit einem davon die Stallungen. Tagtäglich hatte ihre Mutter ihr eingebläut, dass sie es einmal besser treffen solle, dass sie nur hart genug an sich arbeiten, nur immer brav und vorbildlich sein müsse. Hatte sie denn je ein Leben gehabt, das erfüllt und glücklich gewesen war? Sechzehn lange Jahre, eine verlorene Kindheit, verpasste Gelegenheiten, Entbehrungen. Und wozu das alles? Um an der Seite eines alten kauzigen Mannes, in einer abgelegenen Grafschaft, einem verfluchten Land, vor die Hunde zu gehen.
Die Kutsche, die man ihr geschickt hatte, war geschlossen und schwarz. Sechs prachtvolle Rappen waren davor gespannt und scharrten unruhig mit den Hufen.
Auch wenn sie wusste, dass solche Kutschen selten eine andere Farbe trugen, schüchterte sie der Anblick ein. Sie versuchte sich an den Gedanken zu klammern, dass sechs Pferde vor einer Kutsche etwas waren, das man üblicherweise nur im Gespann des Königs selbst sah, als eine Gestalt hinter dem Wagen ihre Aufmerksamkeit auf sich zog.
»Belltaine?«, fragte sie verwundert.
Ihre Freundin trat hinter der Kutsche hervor. Gerade hatte sie einen Koffer an den Kutscher übergeben und sah dem Mann dabei zu, wie er das Gepäck auf den Wagen bugsierte.
Sie grinste breit, als sie Valerias verblüfften Gesichtsausdruck sah.
»Rate mal, an wessen Hof ich dienen soll?«
»Du kommst mit mir?«, fragte Valeria erschrocken und zugleich außer sich vor Freude und ergriff Belltaines Hände.
»Für zwei Jahre soll ich im Dienste stehen und lernen, wie eine feine Dame zu sein hat!«
Die Hand ihrer Mutter legte sich auf Valerias Schulter. »Dein Vater hat sich dafür eingesetzt, dass sie dich begleiten darf.«
Valeria wirbelte herum und fiel ihr in die Arme. Über die Schulter ihrer Mutter hinweg flüsterte sie ihrem Vater einen Dank zu, den dieser mit einem Lächeln durch schmal zusammengepresste Lippen quittierte.
»Jetzt aber auf, auf! Der Kutscher wartet nicht ewig auf euch«, ermahnte Alannah sie und schob Valeria von sich. Eine Weile betrachtete sie ihre Tochter wehmütig, bevor diese sich der Kutsche zuwandte.
»Meine Kleine wird erwachsen«, sagte Alannah wehmütig seufzend.
***
Die Kutsche polterte schon seit Stunden durch schier unwegsames Gelände.
Valeria sah aus dem Fenster. Ihre Hand lag auf der ihrer besten Freundin und ihr Blick war in die Ferne gerichtet.
»Mir tut alles weh«, beschwerte Belltaine sich. Sie spielte damit auf die vergangene Nacht an. Sie waren in einem Gasthaus eingekehrt und hatten auf harten Strohbetten geschlafen. »Ich verstehe nicht, warum wir unbedingt rasten mussten. Wir wären längst da, wenn wir einfach weiter gefahren wären.«
»Vielleicht ist das nicht das Schlechteste«, murmelte Valeria, ohne sich Belltaine zuzuwenden.
»Ach, sag doch so etwas nicht. Du wirst sehen, es wird ganz wundervoll!«
Die Kutsche rumpelte über einige Wurzeln und Belltaine beschwerte sich lauthals darüber. Valeria hingegen gab keinen Mucks von sich.
Die Felder, die weite Hügellandschaft und die vom Wind gepeitschten Auen verschwanden bald in den Schatten dunkler Wälder. Knorrige Bäume reckten ihre Wurzeln weit in den schmalen Pfad, den die Kutsche nur mühsam befahren konnte.
Es war mitten am Tag und doch stockfinster. Noch immer sah Valeria aus dem Fenster, versuchte in den Schatten etwas zu erkennen und schrak zurück, als etwas an ihr vorüber huschte. Sie warf ihren Rücken gegen den Sitz und schnappte nach Luft.
»Was ist los?«, wollte Belltaine wissen.
Zögerlich sah Valeria wieder nach draußen. Nur Bäume und Gestrüpp. Mehr nicht.
»Es war … Ich weiß es nicht …«, hauchte sie. »Ein Wolf vielleicht?«
Belltaine lachte verhalten. »Oder vielleicht auch nur ein Reh? Hier im Wald wimmelt es sicher von Tieren.«
»Ja, bestimmt.« Sie schloss für einen Moment die Augen, doch statt dass ihr dies die Ruhe verschaffte, die sie sich erhoffte, sah sie vor ihrem geistigen Auge bloß wieder den Schatten, der zwischen den Bäumen hindurch huschte.
»Hoffentlich sind wir bald da«, jammerte Belltaine und fügte ein verkniffenes »Autsch!« hinzu, als die Kutsche über ein Schlagloch polterte und ihr Kopf gegen das Dach schlug.
Ein plötzlicher Ruck brachte das Gefährt in eine Schräglage. Valeria unterdrückte einen Aufschrei. Das Herz schlug ihr bis in die Kehle. Belltaine rutschte über den Sitz und die beiden Mädchen wurden an die Seitenwand gedrückt.
Stille folgte. Die Kutsche bewegte sich nicht mehr, Valeria und Belltaine hielten gespannt den Atem an, wagten es nicht sich zu regen und nur das ferne Zirpen von Grillen drang durch die Ruhe des düsteren Waldes.
»Was …?«, flüsterte Belltaine und verschluckte die folgenden Worte, als sie den Kutscher fluchen hörten.
»Was ein verflixter Dreck!«, knurrte der Mann und sprang vom Kutschbock.
Valeria streckte den Kopf aus dem Fenster.
»Was ist passiert?« , fragte sie.
Der Kutscher trat gegen das Vorderrad.
»Die Viecher haben die Karre in den Dreck gefahren!«
Valeria warf einen Blick zurück. Der Pfad war so schmal, dass die Pferde gar keine Möglichkeit gehabt hätten dem tiefen Schlagloch auszuweichen, in dem das Rad festsaß.
Sie öffnete die Tür und sprang aus der Kutsche. Sofort versanken ihre Pantoletten im Morast und sie ging in Gedanken durch, in welchem ihrer Koffer sie Ersatz dafür fände.
»Oh bitte, bleibt in der Kutsche!«, bat der Mann sie. »Der Wald ist kein sicherer Ort für eine Dame.«
Auch Belltaine streckte ihren Kopf nach draußen und sah sich um.
»Die Kutsche ist bestimmt nicht sicherer«, meinte Belltaine.
Der Mann kratzte sich am Hinterkopf.
»Wie Ihr meint … Vielleicht auch nicht das Schlechteste, wenn die Gäule weniger Gewicht ziehen müssen.«
Ein Knacksen im Wald ließ Valeria aufschrecken. Sie suchte das Dickicht ab, konnte aber nichts entdecken.
»Vorwärts!«, schrie der Kutscher und ließ die Peitsche knallen.
Die Pferde warfen sich in ihre Geschirre, doch das festsitzende Rad kam kaum ein paar Fingerbreit voran, bevor es wieder zurück in das Loch sank.
Ein weiteres Mal knallte die Peitsche über die Köpfe der Pferde hinweg.
»Das wird doch nichts!«, meinte Belltaine kopfschüttelnd. »Wir sollten diesen schlammigen Boden irgendwie befestigen.«
»Bitte haltet einfach etwas Abstand, meine Dame«, bat der Kutscher, ohne sich Valeria dabei zuzuwenden, und murmelte daraufhin irgendetwas Unverständliches in seinen Bart. Was auch immer er da von sich gab, klang nicht gerade sehr nett.
Valeria krempelte die Ärmel hoch.
»Belltaine, such ein paar Äste zusammen, um sie vor das Rad zu legen. Ich gehe nach hinten und schiebe.«
Sie hob ihren Rock an. Der Saum hatte sich bereits mit dem Schlickwasser vollgesogen und ihre Füße versanken bei jedem Schritt bis zu den Knöcheln im Matsch des holprigen Waldweges. Hinter der Kutsche angekommen bereute sie diese Entscheidung getroffen zu haben.
Außer Sicht ihrer Begleiter fühlte sie sich hilflos und der Wald wirkte noch dunkler und erschreckender als zuvor.
Sich wie ein verzogenes Gör behandeln zu lassen, als wäre sie nicht fähig selbst Hand anzulegen, wollte sie sich aber auch nicht gefallen lassen. Also ignorierte Valeria das Gefühl, jemand würde sie aus den Schatten heraus beobachten, und lehnte sich gegen die Kutsche.
Wieder knallte die Peitsche. Mit einem kräftigen Ruck setzten die Räder sich in Bewegung und Valeria warf sich mit aller Kraft gegen die Rückwand.
Erst schien die Kutsche wieder hängen zu bleiben, dann aber schoss sie so plötzlich nach vorne, dass Valeria den Halt verlor und auf die Knie fiel.
»Wir sind frei!«, rief Belltaine außer sich vor Freude.
Valeria mühte sich auf die Beine und versuchte den Schlamm so gut es ging von ihrem Rock zu wischen. Ihr Kleid war ruiniert, soviel stand fest. Und bis zur nächsten Einkehr würden sie noch eine ganze Zeit lang fahren müssen. An Umziehen war hier draußen aber nicht zu denken.
Ein erneutes Knacksen im Unterholz ging Valeria durch Mark und Bein. Sie sah sich flüchtig um und lief zurück zu Belltaine.
Ihre Freundin lachte herzlich, als sie Valerias verschmutzte Kleidung sah.
»Lasst uns schnell weiterfahren«, bat Valeria den Kutscher.
***
Es dämmerte bereits, als sie den Wald hinter sich ließen und über einen breiten Feldweg auf das gusseiserne Tor des Herrenhauses der Grafschaft Westwood zufuhren.
Aus Stein gehauene Figuren mit scheußlich verzerrten Grimassen schauten Valeria aus toten Augen an. Rissig und von Moos bewachsen waren diese geflügelten Löwenbildnisse, Grünspan zog sich über das Eisengestänge des mächtigen Tores.
Valerias Blick haftete ungläubig auf der verfallenen Pforte, auch nachdem sie schon weit hinter ihnen lag.
Sie wagte es nicht nach vorne zu schauen, aus Angst, dass sich bewahrheiten würde, was sie befürchtete. Dass das Herrenhaus in einem ebenso miserablen Zustand war, wie es sich hier schon erahnen ließ.
Sie richtete sich wieder nach vorne, ließ den Blick an ihren Händen haften und lauschte dem Rauschen der Schottersteine, über die die Kutsche preschte, als sie auf den Hof fuhren.
»Hooo!«, rief der Kutscher und zügelte das Gespann.
»Wir sind da«, flüsterte Belltaine.
Valeria wartete, bis der Kutscher ihr die Tür öffnete, und selbst dann blieb sie noch ein, zwei Minuten sitzen, bevor sie ausstieg.
Schweigend blickte sie auf das Herrenhaus. Es war einst, vor langer Zeit, wohl einmal prachtvoll gewesen. Heute war es nicht mehr als eine Ruine. Verfallen, ungepflegt. Risse zogen sich durch die mächtigen Säulen, Fensterläden hingen schief in ihren rostigen Scharnieren und Teile der Terrasse sowie einige Balkone waren in sich zusammengefallen oder fehlten gänzlich.
»Nein!«, rief sie dem Kutscher zu, als der bereits dabei war ihr Gepäck vom Dach zu hieven. »Das ist ganz sicher ein Irrtum! Das … das kann doch niemals ein bewohntes Haus sein.«
»Das hat schon alles seine Richtigkeit, meine Dame«, grunzte der Mann in seinen Bart.
»Unmöglich«, entgegnete Valeria.
Belltaine lief ein paar Schritte auf den Eingang zu.
»Schauderhaft«, murmelte sie.
Und sie hatte Recht. Der Anblick des Gebäudes jagte Valeria einen Schauer über den Rücken. Niemals würde sie hier auch nur eine Nacht verbringen können. Der heulende Wind, das Klappern der losen Fensterläden und das Quietschen rostiger Scharniere spielten eine gespenstische Musik und ihr war, als würden sich alle dunklen Wolken am Himmel direkt über den Dächern und Zinnen des Anwesens bündeln.
Der Kutscher warf den letzten ihrer Koffer achtlos auf den Schotter. Valeria löste sich von dem Anblick des Herrenhauses, lief zu ihm und packte ihn am Arm.
»Bitte, Ihr müsst Euch irren. Das hier kann unmöglich bewohnt sein! Unmöglich!«
Der Mann suchte die Fassade ab.
»Sieht aber bewohnt aus«, brummte er schulterzuckend.
Valeria folgte seinem Blick. Tatsächlich. Hinter einem der Fenster flackerte das schwache Licht einer Kerze und umspielte dabei die Silhouette eines Mannes, der zu ihnen hinunter sah.
Der Kutscher schlug die Tür des Wagens zu, was die beiden Mädchen aufschrecken ließ.
»Ich verschwinde jedenfalls«, sagte er knapp. »Dieses verfluchte Land bringt nur Unglück.«
»Ihr könnt doch jetzt nicht einfach wieder fahren!«, beschwerte Valeria sich in hysterischem Tonfall.
»Ich habe Euch abgesetzt, wie es mir aufgetragen wurde, und jetzt verschwinde ich von hier, solange es noch etwas Tageslicht gibt.«
Mit einem Satz war er auf dem Kutschbock und ließ die Peitsche knallen.
»Wartet!«, rief Valeria ihm hinterher.
Der Mann achtete nicht auf sie, wie sie ihm wild gestikulierend nachlief. Er trieb die Pferde schneller an und Valeria konnte ihm nur noch verzweifelt hinterher blicken.
Laut schreiend und stampfend blieb sie zurück. Ihre Hände ballten sich zu Fäusten. »Unverschämter …«, knurrte sie, doch das passende Schimpfwort fiel ihr nicht ein.
Sie war nicht begabt darin zu fluchen. Eine Eigenschaft, die ihr bisher immer zugutegekommen war, sie jetzt aber über alle Maßen ärgerte.
Sie stapfte zurück zu Belltaine, packte wortlos einen der Koffer und zerrte ihn zum ersten Treppenabsatz. Dort angekommen blieb sie noch einen Moment stehen und sah an dem verfallenen Gebäude hinauf. Sie atmete tief durch, dann lief sie weiter.
Stufe für Stufe zerrte sie das schwere Gepäck hinauf, bis es auch Belltaine gelang sich aus ihrem Bann zu lösen. Sie kam zu Valeria gelaufen, packte mit an und gemeinsam hievten sie den schweren Koffer die Treppe hinauf, durch die angelehnte Eingangstür und in die weite Vorhalle hinein.
Es war zumindest geputzt. Das war ein gutes Zeichen. Zwar waren die Kronleuchter nicht angezündet, doch wenigstens war der Boden gewienert und auf den Vitrinen, Statuen und Vasen, die das große Foyer schmückten, lag kein Staub.
»Ist denn hier niemand?« Belltaines Stimme hallte durch den Raum und verlor sich in der Weite des offenen Treppenhauses.
Zweimal ließ Valeria ihren Blick durch den riesigen Eingangsbereich schweifen, ohne dass sich irgendjemand zeigte, und erst beim dritten Mal sah sie den Mann oben im ersten Stock. Er stand regungslos am Treppenabgang, hatte eine Hand auf dem Geländer der Galerie liegen und die andere in seine Hosentasche eingehakt.
»Verzeiht, mein Herr«, rief sie ihm zu. »Es scheint, man hat uns nicht angekündigt.«
Der Mann sah nicht aus wie ein Page oder Butler. Er trug ein einfaches Hemd unter einer grauen Weste aus fein geknüpfter Seide und aus seiner Brusttasche lugte der Zipfel eines blutroten Taschentuchs hervor.
Er mochte dreißig Jahre alt sein, vielleicht auch jünger. Seine Miene war freundlich, ebenso seine hellen Augen.
»Mein Herr?«, wiederholte Valeria unsicher.
»Verzeiht!«, entschuldigte er sich plötzlich, wie aus einem Bann gerissen. »Ihr seid wahrlich so schön, wie man Euch nachsagt.«
Valeria ging nicht darauf ein. Sie hatte im Moment wirklich kein Interesse an solch einem Geplänkel. Nicht in Anbetracht des Umstands, dass sie soeben eine Ruine betreten hatte und befürchten musste dort den Rest ihres Lebens zu verbringen. Zudem klebte noch der Dreck der anstrengenden Reise an ihr und ihrer Kleidung. Sie fühlte sich alles andere als schön. »Und Ihr seid?«
Schwungvoll nahm er die Stufen nach unten zu den beiden jungen Damen.
»Callahan«, antwortete er schlicht und warf sich in eine tiefe Verbeugung.
Valeria reichte ihm die Hand, die er annahm und höflich küsste.
»Liam Callahan, Leibarzt und Berater des jungen Lords.«
»Es freut mich sehr«, entgegnete Valeria steif.
Sie hatte gehofft, dass seine Antwort anders ausfiele. Der junge Arzt war höflich, gutaussehend und schien ihr gleich auf den ersten Blick vertrauenerweckend. Zumindest aber hatte er Lord Westwood als jung bezeichnet und das ließ sie hoffen.
»Und Ihr seid?«, fragte er Belltaine.
»Beachtet mich nicht, ich bin lediglich die Zofe.«
Callahan lächelte milde.
»Wie könnte ich Euch nicht beachten?«
Belltaine errötete augenblicklich und senkte den Blick.
»Zwei junge Damen von solcher Schönheit haben diese alten Gemäuer lange nicht mehr gesehen. Ihr bereichert dieses Gut um ein Vielfaches.«
»Ihr seid zu freundlich«, bedankte Valeria sich.
»Ein Kind.«
Verwundert folgte Valerias Blick der kalten Stimme, die unvermittelt gesprochen hatte, hinauf zum Geländer der Galerie. Ein Mann stand dort in den Schatten. Er trug einen schwarzen Gehrock, war schmal gebaut, nicht sonderlich groß, aber auch nicht klein. Mehr als seine Umrisse konnte Valeria kaum von ihm erkennen.
»Schickt sie fort«, sprach er weiter.
»Was erlaubt Ihr Euch?«, rief Valeria ihm empört zu, doch schon wandte er sich von ihr ab und verschwand.
Bestürzt richtete sie sich an Callahan.
»Bitte sagt mir nicht, dass das Lord Westwood war.«
»Er … er hat nur einen schlechten Tag«, beteuerte der Mann.
»Ihr werdet doch wohl nicht wirklich mit dem Gedanken spielen meine Heimreise zu veranlassen, kaum dass ich einen Fuß über diese Schwelle gesetzt habe?«
Valeria wunderte sich selbst über ihre Worte. Nichts lieber täte sie, als von hier zu verschwinden. Davonjagen lassen wollte sie sich aber ganz gewiss nicht.
Callahan winkte ab und deutete auf die Treppe.
»Aber natürlich nicht. Ich zeige Euch, wo Ihr nächtigen werdet.«
Valeria nickte entschlossen. Auch wenn sie von dieser arrangierten Verbindung nicht begeistert war, würde sie alles daran setzen, um eine Heimkehr in Schmach zu verhindern. Wer würde sie schließlich nach einer Ablehnung noch heiraten wollen?
»Ich lasse Euch Euer Gepäck nachbringen«, versprach der Arzt und führte sie hinauf.
Von wem, war die Frage, die Valeria sich unwillkürlich stellte. Das Haus, das sicher einmal beeindruckend gewesen war, schien wie ausgestorben. Sie begegneten keiner Menschenseele, bis sie ihre Gemächer erreicht hatten. Callahan öffnete die Tür und ließ sie eintreten.
Während Valeria sich im Foyer noch über die Sauberkeit gefreut hatte, zeigte sich hier ein ganz anderes Bild.
Staubige und vergilbte Vorhänge hingen zugezogen vor den Fenstern und beraubten den Raum um das letzte bisschen Tageslicht, das sich noch gegen die herannahende Nacht zu behaupten vermochte. Ebenso staubbedeckt waren der Behang des Himmelbettes, die Kissen und die Tagesdecke.
Die Nase gerümpft strich Valeria mit dem Zeigefinger über das Bett und rieb sich den daran hängengebliebenen Staub mit dem Daumen von der Kuppe.
»Bitte, richtet Euch ein und macht es Euch bequem. Und macht Euch keine Gedanken wegen Lord Westwood. Ich rede mit ihm.«
Valeria war nicht in der Lage zu antworten. Ein Kloß steckte ihr im Hals. Es roch alles so alt und modrig. Ihr war, als müsste sie hier drinnen ersticken.
Nachdem auch Belltaine eingetreten war und den großzügigen Raum mit Skepsis betrachtet hatte, schloss Callahan hinter ihnen die Tür.
»Und wo soll ich schlafen?«, murmelte sie verwundert und sah sich zu ihm um, doch Callahan war schon fort.
Ganz so ausgestorben, wie Valeria anfänglich geglaubt hatte, war das Herrenhaus dann doch nicht. Am selben Abend brachte man ihnen ihre Koffer. Auch frisches Bettzeug und eine Waschschüssel standen bald bereit. Das Zimmermädchen, ein dürres junges Ding mit schmalen Lippen und unscheinbarem Äußeren, erledigte seine Aufgaben rasch und wenig gründlich. Valeria stand nur da und starrte in den viel zu kleinen Kleiderschrank, in dem kaum Platz für ihre Mäntel war, während sich Belltaine alle Mühe gab mit dem Mädchen ins Gespräch zu kommen.
»Und wie heißt du?«, fragte sie neugierig.
»Tara«, antwortete das Mädchen knapp, während es den Staub von der Kommode aufwirbelte, zu Valerias Enttäuschung aber nicht wegwischte.
Belltaine hustete.
»Und wie lange bist du schon im Dienst des Lords? Wie ist er so? Ist er ein guter Herr?«
Das Mädchen überlegte kurz, entschloss sich dann aber wohl nicht zu antworten, denn sie steckte den Staubwedel in ihre Schürze und knickste vor Valeria.
»Wenn Ihr mich nun entschuldigen würdet. Ich wünsche eine gute Nacht.«
Valeria öffnete den Mund, um Einspruch zu erheben, ließ es dann aber doch bleiben. Dann würde sie eben die Nacht in einem verdreckten Zimmer verbringen. Das war allemal besser, als sich schon am ersten Abend mit dem Hauspersonal anzulegen.
»Habt Dank, meine Liebe.«
Tara wirbelte herum und lief zügig aus dem Zimmer.
»Halt, warte!«, rief Belltaine ihr hinterher und schnappte sich einen ihrer Koffer. Dann wandte sie sich noch einmal Valeria zu. »Ich gehöre jetzt ja auch zu den Bediensteten. Die anderen Koffer hole ich später!«
Tara dachte nicht daran auf Belltaine zu warten, also musste sie ihr zügig nachlaufen, um sie nicht zu verlieren. Sie schubste hinter sich die Zimmertür zu, die träge quietschend ins Schloss fiel. Der dadurch entstandene Luftzug ließ drei der Kerzen am Kronleuchter erlöschen und mit einem Mal wurde es düster.
Valeria rieb sich die Oberarme. Es fröstelte sie und wenn man bedachte, dass das Zimmermädchen trotz herbstlicher Temperaturen kein Feuer im Kamin entzündet hatte, war das auch nicht verwunderlich.
Wie sollte sie bloß die Nacht überstehen?
Draußen heulte der Wind noch immer dieses schaurige Lied und sie hatte das Gefühl, er würde bis durch die Fensterritzen dringen. Die verbliebenen Kerzen flackerten heftig und zeichneten bedrohliche Schatten an die Wände.
Sie sah sich um. Das Zimmer war groß, ja, aber die Einrichtung mehr als spärlich. Der runde Teppich in der Mitte des Raumes war ausgeblichen und zottelig. Darauf stand ein Tisch und auf diesem eine rissige Vase, die lange schon keine Blumen mehr gesehen zu haben schien. Der Schminktisch in der Ecke war dreimal so groß wie der in Valerias Schlafgemach im Haus ihrer Eltern, doch der Spiegel war fleckig und stumpf. Sie wagte es nicht in das zweite Zimmer zu linsen, dessen Tür nur angelehnt war. Sicher war es ein Badezimmer und ein Bad würde ihr jetzt wahrlich guttun. Tara hatte aber nicht den Eindruck gemacht, als würde sie sich darum reißen, jetzt noch eimerweise Wasser zu erhitzen und bis in Valerias Gemächer zu schleppen. Die Waschschüssel, die auf der Kommode stand, war Beweis genug dafür.
Seufzend sank sie auf ihr Bett und hustete, als der aufsteigende Staub sie in der Nase kitzelte. Um diese eine Nacht machte sie sich Sorgen? Wie sie den Rest ihres Lebens hier verbringen sollte, das sollte sie sich fragen!
***
In der Nacht hatte Valeria kaum geschlafen. Ihr Bett war klamm gewesen und gegen Morgen hatte es sie so gefröstelt, dass sich ihr Atem in Wolken vor ihrem Gesicht abgezeichnet hatte.
Sie war heilfroh gewesen, als Belltaine bei Tagesanbruch zu ihr gekommen war und Tara den Kamin richtete, während ihre Freundin ihr die Kleidung bereit legte, wie es bisher immer ihre Mutter getan hatte.
»Das kann ich schon selber machen«, erklärte sie, doch Belltaine schüttelte nur energisch den Kopf.
»Das ist jetzt meine Pflicht, also werde ich das auch machen.«
Valeria lächelte. So war Belltaine schon immer gewesen. Zielstrebig, dickköpfig. Immer hatte sie ihr beigestanden, hatte ihr mit Rat und Tat geholfen, wo sie nur konnte und nie eine andere Gegenleistung dafür verlangt als Valerias Freundschaft. Nur zu gerne hatte sie ihr diese geschenkt, wo sie doch selten einem Menschen begegnet war, der nicht hinter ihrem Rücken schlecht über sie sprach – getrieben von Eifersucht und Missgunst.
»Wenn ich dich nicht hätte …«
»Das wird schon«, flüsterte Belltaine ihr zu. »Die Leute hier sind eigentlich alle ganz nett.«
Valeria sah zu Tara. Nicht ein Mal hatte sie gelächelt, seit sie ins Zimmer gekommen war. Aber vielleicht war das ja ihre Art. In Waterport hätte sie mit dieser Einstellung jedenfalls nicht so schnell eine Anstellung gefunden.
»Ich bringe Euch jetzt in den Speisesaal, Lady Lancaster«, erklärte Tara und knickste knapp.
»Ja, danke.«
»Sicher werdet Ihr dann künftig den Weg alleine finden«, fügte das Zimmermädchen beiläufig hinzu und lief zur Tür.
Valeria atmete tief durch. Auch dieses Mal würde sie nichts sagen. Ganz offensichtlich hielt man hier nicht viel von den Sitten und Gebräuchen, die andernorts gang und gäbe waren. Sie knirschte mit den Zähnen. War es denn zu viel verlangt? Wenn sie schon so abgelegen leben musste, wieso konnte es ihr dann nicht wenigstens vergönnt sein wie eine Prinzessin behandelt zu werden? Warum dieses verwahrloste Haus und so wenige Bedienstete, wenn die Grafschaft Westwood eigentlich in Reichtum und Wohlstand schwelgen müsste? Das Land war weitläufig, sicher reich an Bodenschätzen und die Abgaben der Einwohner mussten doch für mehr reichen als für den Lohn von einer Handvoll Bediensteter.
Sie hätte weinen können, wenn sie daran dachte, dass das hier jetzt ihr Leben war. Sie hasste dieses Haus, hasste alles hier. Aber natürlich ließ sie sich das nicht anmerken.
***
Vor dem Speisesaal ließ Tara sie alleine zurück. Valeria war aufgeregt, ja beinahe ängstlich. Hinter dieser Wand wartete ihr Zukünftiger auf sie und sie betete, dass er gestern tatsächlich nur einen schlechten Tag gehabt hatte.
Sie tat, was sie für das einzig Richtige hielt, schüttelte ihre Sorgen und Bedenken ab, schob ihre Schultern zurück, setzte ein seichtes Lächeln auf und hob die Nase in die Höhe.
Mit beiden Händen öffnete sie die Flügeltür und trat ein.
Der Speisesaal war so groß wie Valerias gesamtes Elternhaus. Reich verzierte Wandvertäfelungen erzählten Geschichten von Jagdgesellschaften und Tanzbällen, drei Kronleuchter hingen über einer langen Tafel, die Platz für gut dreißig Mann bot, und an ihrem Ende saß der Lord vor einem spärlich gefüllten Teller.
Valeria knickste tief und lange vor ihm, während er nicht einmal den Blick anhob, als sie ihm die Ehre erwies. Er war jung. Jünger als sie anfänglich gedacht hatte. Vielleicht zwanzig, kaum älter, schmal und gut gebaut. Seine Züge waren schön anzusehen, seine Augen groß und von einer auffallend hellbraunen, ja fast goldenen Farbe. Wenn sein Blick nur nicht so kühl und abweisend gewesen wäre, hätte sie ihn als sehr ansprechend empfunden.
»Mein Herr«, grüßte sie ihn, nachdem ihr Eintreten ihn nicht dazu veranlasst hatte ihr seine Aufmerksamkeit zu schenken.
»Setzt Euch, esst«, murmelte er, ohne aufzusehen.
Valeria legte die Stirn in Falten.
»Und schaut nicht so griesgrämig, nicht dass Ihr schon in jungen Jahren runzlig werdet wie eine alte Schachtel.«
»Wie meinen?«, fragte sie empört, bemüht die Fassung zu bewahren.
Wie hatte er ihre Mimik überhaupt sehen können, wo er es nicht einmal für notwendig erachtete von seinem Teller aufzusehen? Natürlich schwieg er und ignorierte Valerias entsetzten Gesichtsausdruck. Wenn das hier ein Spiel war, so hatte sie den ersten Zug haushoch verloren. Trotz empörtem nach Luft Schnappen und intensivem Blickkontakt durch zu schmalen Schlitzen zusammengekniffenen Augen ließ der Lord sich nicht erweichen. Schließlich zog sie mit einem kräftigen Ruck den Stuhl vor und nahm am anderen Ende der Tafel Platz. Es blieb ihr auch kaum eine andere Wahl. Das Tischgedeck, das man für sie bereit gestellt hatte, lag nämlich genau dort, so weit wie möglich von ihm entfernt.
Sie sah hinüber zur Anrichte, auf der Brötchen, gekochte Eier und eine reichlich gefüllte Platte mit frischem Aufschnitt standen.
Er sah nun doch auf. Seine Augen faszinierten sie. Erst hatte sie an Gold gedacht, nun wirkten sie eher wie Kupfer.
»Ihr habt zwei Beine«, erklärte er trocken. »Steht auf und holt Euch, was Euch beliebt.«
Valeria presste die Lippen zusammen. Sie zog sich die Serviette vom Schoß und warf sie grob auf den Tisch. Ungerührt senkte der Graf den Blick und widmete sich wieder seinen pochierten Eiern.
Ob er sich auch selbst bedient hatte? Sicher nicht. Ganz bestimmt gab es hier unzählige Bedienstete, die ihn tagein tagaus umschwärmten. Sie hatten wahrscheinlich den Befehl sich von ihr fernzuhalten, damit sie freiwillig den Heimweg antrat. Womöglich gab es sogar ein anderes Herrenhaus und dies hier war tatsächlich nur eine Ruine. Er versuchte sie zu reizen, sie aus der Reserve zu locken, doch die Genugtuung wollte sie ihm nicht gönnen.
Sie war sich sicher nicht zu fein den Teller selbst zu füllen, wenn es denn nötig war. Sie nahm sich also etwas Fleisch und frischen Salat und verspeiste ihr Morgenmahl schweigend.