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Eine gründliche Auslegung über den Kolosserbrief. Der Kolosserbrief zeigt, dass Philosophie und Traditionalismus großen Gefahren für das christliche Zeugnis sind, Gefahren, die auch heute noch sehr aktuell sind. Aber der Brief zeigt auch das alleinige Hilfsmittel: Christus.
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Seitenzahl: 172
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© 2013 Christliche Schriftenverbreitung e.V.Aus dem Englischen übersetztHerausgeber: Christliche Schriftenverbreitung e.V., HückeswagenE-Book-Generierung: VCG (www.vvcg.de)ISBN E-Book: 978-3-89287-540-6
Einleitung
Kolosser 1,1-1,8
Kolosser 1,9-18
Kolosser 1,19-23
Kolosser 1,24-2,3
Kolosser 2,4-12
Kolosser 2,13-19
Kolosser 2,20-23
Kolosser 3,1-11
Kolosser 3, 12-17
Kolosser 3,18-4,1
Kolosser 4,2-18
Selbst für den nachlässigsten Leser ist es kaum möglich, zu übersehen, dass die im Kolosserbrief dargestellte Wahrheit viel Ähnliches mit der im Brief an die Epheser vorgetragenen hat. Die Wahrheit von der Vereinigung mit Christus, dem Haupte Seines Leibes, der Ekklesia, hat in diesen beiden Briefen mehr als in allen anderen Schriften ihre Auslegung gefunden. Wenn auch der erste Korintherbrief die gleiche Lehre bringt (vgl. Kap. 12), so ist der Gegenstand in diesem Brief doch augenscheinlich weit mehr die Versammlung Gottes auf der Erde, in welcher der Heilige Geist durch die Glieder wirkt und jedem austeilt, wie Er will, als die droben geschauten Heiligen, wie es im Epheserbrief der Fall ist, oder als der auf der Erde in ihnen geschaute Christus, wie im Kolosserbrief.
Indessen sind die beiden Briefe durch bedeutungsvolle und höchst interessante Unterschiede gekennzeichnet. Der hauptsächlichste ist wohl der: im Epheserbriefe finden wir die Vorrechte des Leibes Christi, der Fülle Dessen, der alles in allem erfüllt. Im Kolosserbrief dagegen finden wir die Herrlichkeiten des Hauptes, in welchem die ganze Fülle der Gottheit leibhaftig wohnt. Dieser Unterschied ist, wie auch andere, auf den religiös – sittlichen Zustand derer zurückzuführen, an welche die Briefe nach der Weisheit des Geistes gerichtet worden sind. Im ersten Fall kann der Apostel seinen Geistesflug in die Ratschlüsse Gottes nehmen, der die Heiligen mit allen geistlichen Segnungen in den himmlischen Örtern gesegnet hat. Im zweiten Fall war ein teilweises Abweichen zur Philosophie und zu jüdischen Überlieferungen vorhanden, natürlich nicht ein Sich abwenden von Christus, aber doch eine derartige Beimischung dieser fremden Bestandteile, dass sich Ergebnisse einstellen mussten, die in den Augen des Apostels verderblich waren. Diesen ernsten Folgen konnte nur dadurch begegnet werden, dass die Kolosser zu Christus, und zu Christus allein, zurückgebracht wurden in all den Rechtsansprüchen Seiner Person und Seines Werkes. Zufolge des Zustandes der Kolosser lässt der Brief das weitgesteckte Ziel und die Entfaltung göttlicher Ratschlüsse und göttlicher Herrlichkeit für die in Christus geschauten und mit Ihm vereinigten Heiligen nicht zu, wohingegen bei den Ephesern zur Zeit, als der Apostel ihnen schrieb, nichts war, was den Erguss seines Herzens hätte zurückhalten oder einengen können. Der Geist konnte ihn leiten, diesen Gläubigen zu schreiben, dass sie mit allen Heiligen die Breite und Länge und Tiefe und Höhe erfassen und erkennen möchten, die die Erkenntnis übersteigende Liebe des Christus. Im Brief an die Kolosser war dagegen in weitem Maße Ermahnung und ernste Warnung am Platz. Ihre Seelen bedurften der Genesung. Das menschliche Element steht daher mehr im Vordergrund. Beim Schreiben an die Epheser nennt der Apostel in der Anrede keinen seiner Mitarbeiter neben sich, und doch war Ephesus die Hauptstadt des prokonsularischen Asiens, war seinen Mitarbeitern wohlbekannt und durch tausend zarte Bande mit ihm selbst und anderen verbunden, während die Versammlung in Kolossä zu denen gehörte, die sein Angesicht im Fleische nie gesehen hatten. Dies macht es umso beachtenswerter, dass er sich in ihrem Fall mit Timotheus verbindet.
„Paulus, Apostel Christi Jesu durch Gottes Willen, und Timotheus, der Bruder, den heiligen und treuen Brüdern in Christo, die in Kolossä sind: Gnade euch und Friede von Gott, unserem Vater, [und dem Herrn Jesus Christus]!“ (V. 1. 2).
Was Paulus angeht, so war er weder ohne Autorität, noch war sein Titel menschlich. Er war ein Apostel, nicht der Versammlung (Gemeinde), sondern Christi Jesu, und zwar durch göttlichen Willen, und Timotheus steht neben ihm einfach als „der Bruder“. Auch die zur Versammlung in Kolossä Gehörigen sind gekennzeichnet, und zwar nicht nur als „Heilige und Treue“, wie die Epheser es waren, sondern als „heilige und treue Brüder“. Es ist augenscheinlich, dass, während alles von dem Gott ist, der uns mit sich selbst versöhnt hat durch Jesus Christus, der Ausdruck „Brüder“ ihre gegenseitigen Beziehungen hervorhebt, wie die beiden anderen Ausdrücke einerseits Gottes Gnade und anderseits ihren Glauben oder ihre Treue voraussetzen [1]. Sein eigener apostolischer Rang wird mit gelassener Würde und in der augenscheinlichen Anpassung an alles Folgende genannt.
Mit Recht ist darauf hingewiesen worden, dass der Apostel in diesem Briefe ganz und gar alles auslässt, was der großartigen Einleitung entspricht, mit der er den Brief an die Epheser beginnt. (Vgl. Kap. 1, 3–14.) Es lag ein Druck auf seinem Geist; er fühlte die Gefahr, die die Kolosser bedrohte. Wie hätte er da ganz unvermittelt in eine solch ungehemmte Danksagung ausbrechen können? Der Heilige Geist ist der Geist der Wahrheit und befasst sich mit den Herzen und mit den Gewissen. Immerhin, wenn auch jener hohe Ton von Anbetung hier keine passende Stätte finden konnte, so ist doch augenblickliche Danksagung da.
„Wir danken dem Gott und Vater unseres Herrn Jesus Christus allezeit, indem wir für euch beten, nachdem wir gehört haben von eurem Glauben in Christo Jesu und der Liebe, die ihr zu allen Heiligen habt, wegen der Hoffnung, die für euch aufgehoben ist in den Himmeln, von welcher ihr zuvor gehört habt in dem Worte der Wahrheit des Evangeliums, das zu euch gekommen, so wie es auch in der ganzen Welt ist, und ist fruchtbringend und wachsend, wie auch unter euch, von dem Tage an, da ihr es gehört und die Gnade Gottes in Wahrheit erkannt habt; so wie ihr gelernt habt von Epaphras, unserem geliebten Mitknecht, der ein treuer Diener des Christus für euch ist, der uns auch eure Liebe im Geiste kundgetan hat.“
Was die Epheser angeht, so hatte der Apostel von dem Glauben an den Herrn Jesus gehört, der in ihnen war, sowie von ihrer Liebe zu allen Heiligen, und das gab seinem Herzen Veranlassung, sich in Danksagung und Bitte zu ergehen. Er kannte diese Leute persönlich und gut, hatte er doch mit reichem Segen in ihrer Mitte gearbeitet; aber es war seinem Herzen köstlich, von dem Wirken des Geistes in ihrer Mitte zu hören. So hatte er auch von den Kolossern, obgleich sie ihm nicht also bekannt waren, ähnliche Nachrichten, für die er Gott allezeit in seinen Gebeten für sie danken konnte.
Ist aber der Unterschied nicht auffallend, wie er in den beiden Fällen von der Hoffnung redet? Im Epheserbrief ist es die Hoffnung der Berufung Gottes; da sind es die Reichtümer der Herrlichkeit Seines Erbes in den Heiligen. Was könnte tiefer oder grenzenloser sein? Hier im Kolosserbrief konnte er kaum weniger sagen. Die Hoffnung der Kolosser war „für sie aufgehoben“, sie war gesichert, sie war „in den Himmeln“, nicht auf der Erde, trotz Philosophie oder Fleisch tötender Vorschriften. Aber die Kolosser mussten sich hüten vor allen Dingen dieser Art, was immer deren Aussehen und die Erwartungen, die daran geknüpft werden konnten, sein mochten. An ihre eigene Hoffnung möchte er sie daher erinnern, indem er sie gleichsam in den Himmel führt, wo der Christus ist, Er, der die wahre und einzige Befreiung ist von allem Tätigsein des Menschengeistes in göttlichen Dingen und von erdgebundener Religiosität.
Diese himmlische Hoffnung, köstlich wie sie ist, war ihnen nichts Neues: Sie hatten zuvor davon gehört „in dem Worte der Wahrheit des Evangeliums“. Was der Apostel jetzt lehrte, würde nicht schwächen oder unterhöhlen, sondern nur das befestigen, was sie einst in der guten Botschaft gehört hatten, durch die sie bekehrt worden waren. Er nennt diese Botschaft „das Wort der Wahrheit des Evangeliums“, um ihr das höchstmögliche Gewicht zu geben in Anbetracht der Tatsache, dass sie darauf aus waren, etwas Neues zu hören. Es handelte sich nicht um ein durch verstandesmäßiges Herumtasten Gefundenes, sondern um „das Wort“, das in bestimmter Form zu ihnen gesandt war, um Offenbarung Gottes. Es war auch kein Herumtappen in gesetzlichen Formen, sondern „die Wahrheit“, die Wahrheit des Evangeliums. Das Gesetz wurde durch Moses gegeben, aber die Gnade und die Wahrheit ist durch Jesus Christus geworden. Das Evangelium kam zu ihnen, ja, es war gegenwärtig bei ihnen, nicht veränderlicher als Er, der des Evangeliums Summe und Wesen ist. Wirkliche Wahrheit, selbst wenn sie neu ist, setzt nie die alte beiseite, sondern ergänzt im Gegenteil fehlende Verbindungsstücke, vertieft die Grundlagen und erweitert den Gesichtskreis. Aber wie war es ihnen ergangen? Hatte etwa ihre Philosophie, hatten ihre neuerungssüchtigen Vorbehalte (Kap. 2) ihr Verständnis über den Wert des Evangeliums vermehrt? War durch diese Dinge Christus erhoben worden? Im Gegensatz hierzu steht unzweifelhaft fest, was die Wirkung der Lehre des Paulus sein würde, sowohl allgemein als insbesondere in diesem Briefe.
Entsprechend der Tatsache nun, dass das Evangelium die Entfaltung der Güte Gottes in Christus ist, nicht etwa das menschlicher Pflichterfüllung zugemessene Teil oder ein System religiöser „Schatten“ (vgl. Hebr. 10, 1), ist der Ort, an dem es zur Verkündigung gelangt, nach Gottes Absichten nicht ein einzelnes Land oder eine einzelne Familie, sondern „die ganze Welt“, und seine Wirkung ist keine verdammende und tötende, sondern eine fruchtbringende und wachsende, wie es unter den Gläubigen in Kolossä der Fall war. Konnte aber noch von diesem Fruchttragen und Wachstum die Rede sein seit Einführung ihrer Neuerungsbegriffe und gesetzlichen Wege? Das Evangelium ist beides, fruchttragend und zugleich mit Energie geladen, um sich auszubreiten. Dieser Zusatz von der Wachstum bewirkenden Kraft des Evangeliums fehlt dem gewöhnlichen (Luther) Text, da er in weniger guten Handschriften ausgelassen wurde. Seine Echtheit kann aber wohl nicht in Frage gestellt werden. Dass das Evangelium diese zweifache Wirkung hatte, war den Kolossern bekannt von dem Tage an, da sie von der Gnade Gottes gehört und sie in Wahrheit erkannt hatten. Dieser Umstand gibt dem gesegneten Apostel Gelegenheit, seiner Gewohnheit nach einem Mann die Hände zu stärken, der Christi Diener und in Bezug auf sie treu war, dem Epaphras nämlich, „unserem geliebten Mitknecht“, wie er ihn hier liebevoll nennt. Die in der Mitte der Kolosser genährten spekulativen Ansichten und judaistischen Formen hatten ohne Zweifel ihre Verteidiger, die sich auf Kosten eines treuen Arbeiters beliebt zu machen suchten. Wir verstehen gut, dass dieses Wort des Schreibers, das den Epaphras auf solche Weise empfahl, nötig war in Kolossä.
Fußnoten
[1] „Gläubig“ und „treu“ ist ein und dasselbe Wort im Griechischen. Die Auslassung von „und dem Herrn Jesus Christus“ (die Worte stehen als unsicher i n eckigen Klammern) in den besten Texten ist beachtenswert, denn der Zug des Briefes geht dahin, die Herrlichkeit Christi vor allem ins Licht zu stellen. Einige ausgezeichnete Handschriften, welche die Worte enthalten, mögen auf ganz natürlichem Wege diesem Missverständnis, wenn es eins ist, anheim gefallen sein, indem die Abschreiber nicht ohne Zwang von der in diesen Briefen üblichen Form abgehen wollten. Anderseits ist es, falls die Worte echt sind, schwierig, einen Grund für den Ausfall eines so vertrauten Schlusswortes bei erstklassigen Zeugen verschiedener Zeiten und Gegenden zu finden, sowie für die ausdrückliche Feststellung früher Erklärer, dass die genannten Worte sich in diesem Briefe nicht finden.
In der bisherigen Betrachtung haben wir gesehen, wie der Apostel reden konnte von den Wirkungen des Evangeliums von dem Tage an, da sie (die Kolosser) es gehört und die Gnade Gottes in Wahrheit erkannt hatten. Mit der Gnade ist es anders als mit dem Gesetz. Die zehn Gebote tragen hauptsächlich verneinenden Charakter. Das Gesetz behandelt zum größten Teil das, was böse ist, und verurteilt es. Das Evangelium dagegen offenbart Christus als eine Kraft, die lebendig macht, und die sowohl stärkend als fruchtbringend wirkt. Da es ein Lebenselement ist, breitet es sich aus und wächst, ebenso wie es Frucht hervorbringt. „Es ist fruchtbringend und wachsend... von dem Tage an, da ihr es gehört habt ...“
Aber nun fährt der Apostel fort:
„Deshalb hören auch wir nicht auf, von dem Tage an, da wir es gehört haben (gehört von diesem lebendigen, der Kraft des Evangeliums gegebenen Zeugnis), für euch zu beten“ (Vers 9)
– welch schöner Ausdruck der Liebe des Apostels, die ihn trotz der Befürchtungen, die er mit Recht betreffs der in Kolossä vorhandenen Neigungen hegte, nur umso mehr ins Gebet für sie trieb! –
„und zu bitten, auf dass ihr erfüllt sein möget mit der Erkenntnis seines Willens“.
Erkenntnis Seines Willens? Sie hatten eher das Gegenteil davon gezeigt. Sie hatten bewiesen, dass in ihrem Herzen eine Leere war, die sie vergeblich mit gesetzlichen Vorschriften und mit Philosophie auszufüllen gesucht hatten. Es ist so: Nichts als eine einsichtsvolle und wachsende Bekanntschaft mit Christus kann das erneuerte Herz befriedigen. Die Gnade selbst, die die Seele erlöst, wird zu einer Gefahr, sofern nicht Christus selbst der festgehaltene, gewohnte Gegenstand ist. Die durch das Evangelium gebrachte Freiheit kann gar dazu missbraucht werden, die Dinge leicht zu nehmen und an der Welt mehr oder weniger festzuhalten oder ihr Zugang zu gewähren. Wo das aber der Fall ist, da wird die Seele selten ein größeres Maß geistlichen Genusses haben, und nie wird ein steter, wahrhafter Friede ihr Teil sein. Im Gegenteil, die Seele wird auf diese Weise unstet und unsicher.
Ein derartiger, Schwankungen unterworfener Zustand mag eine Zeitlang andauern, bis Gott in Seiner Gnade das Werk im Herzen vertieft. Die Kolosser befanden sich in gewisser Hinsicht in einem solchen Zustand. Sie waren nicht gleichmäßig zu einer völligeren Erkenntnis des Willens Gottes fortgeschritten. Infolgedessen fand Satan Mittel und Wege, sie zu beunruhigen. Sie hatten die erste kostbare Entfaltung der Gnade erfahren. Es war Wirklichkeit für sie gewesen, aber nicht tief gegangen. Überdies ist, „die Gnade Gottes in Wahrheit erkannt haben“, nicht dasselbe, wie „erfüllt sein mit der Erkenntnis seines Willens“.
Das Gesetz vermag derartiges niemals auch nur im geringsten zu geben. Bei ihm handelt es sich eigentlich nur um ein gerechtes, dem Willen des Menschen auferlegtes Verbot. Nur ein einziges unter den Geboten – ich meine die Verordnung über den Sabbat – trägt nicht ausgesprochenermaßen diesen Charakter, der nie die Wege eines Christen zu bilden vermag. Was wir nötig haben, ist, dass der Mensch mit allem, was gut ist, sittlich verbunden werde. Wie aber kann das geschehen? Alles nur in Christus und durch Ihn. Wie Christus Leben mitteilt, so kommt auch von Ihm das Erfülltwerden mit dem Willen Gottes „in aller Weisheit und geistlichem Verständnis“. Der Gläubige wird von Gott nicht wie ein Ross oder wie ein Maultier behandelt, das keinen Verstand hat, sondern wie ein vernünftiges und geliebtes Wesen, das in die Gemeinschaft mit Gott gebracht ist. Er wäre kein erlöster Mensch, wenn sein eigener Wille ihn beherrschte. Vom eigenen Willen beherrscht sein, ist aber das gerade Gegenteil vom Erfülltsein mit der Erkenntnis des Willens Gottes. Daher betet der Apostel für sie, dass sie dies sein möchten.
Im Brief an die Epheser war es für den Apostel nicht wie hier erforderlich, die Erkenntnis des Willens Gottes für die Gläubigen zu erbitten, obwohl wir in wunderbaren Ausdrücken von diesem Willen lesen. (Kap. 1.) Es gab bei ihnen ein Erfassen mit dem Herzen, welches es unnötig machte, dass der Apostel in diesem Sinn für sie betete. Den Ephesern wünschte er einerseits ein reiches inneres Genießen Christi, damit sie erfüllt sein möchten zu der ganzen Fülle Gottes – „mit Kraft gestärkt durch seinen Geist“. Aber das Erfülltwerden mit der Erkenntnis Seines Willens, wie wir es hier haben, hat es offenbar mit dem praktischen Wandel zu tun, denn der Apostel setzt hinzu: „um würdig des Herrn zu wandeln“.
Mit anderen Worten: Im Kolosserbrief haben wir einen wichtigen praktischen Hinweis auf den Wandel. Es handelt sich da mehr um das Heranbilden des Kindleins, um die Kräftigung und Leitung von jemand, der noch schwach auf den Füßen ist, um ihm weiterzuhelfen, während wir im Epheserbrief die Mitteilungen haben, die der Gott und Vater Jesu Christi Seinen Kindern macht, die nun nicht länger Kindlein, sondern Erwachsene sind. Daher ist dort von Familienbeziehungen die Rede, von Gefühlen, Zuständen, Interessen, Verantwortlichkeiten, und was dergleichen mehr ist. Die Kolosser waren irregeleitet worden durch die Gedankenwelt von Lehrern, die selber weit abgeirrt waren. Obgleich die dortigen Gläubigen ernst gesinnt waren, so war doch etwas da, das ihr Auge trübte. „Wenn dein Auge einfältig ist, so wird dein ganzer Leib licht sein.“ Hieran fehlte es. Sie mussten von ihren eigenen Gedanken geleitet worden sein, anders hätten sie sicherlich diese falschen Begriffe verworfen.
Es ist eine einfache, aber sehr beachtenswerte Wahrheit, dass das, was den Gläubigen als Gottes Wille vorgestellt wird, notwendigerweise ihren Sinn bilden und folglich auch ihren Wandel als Christen gestalten wird. Wenn ich in Bezug auf die Gedanken Gottes oder auf Gegenstände, die Er im Auge hat, irregeleitet werde, so wird die Auswirkung praktisch überaus verderblich sein. Und die Sache ist umso ernster, je weiter das Irreleiten geht. Aber der Apostel hatte für die Kolosser gebetet und tat das auch weiterhin, damit sie erfüllt sein möchten mit der völligen Erkenntnis Seiner selbst. Ich hege nicht den geringsten Zweifel, dass in dieser Stelle an den Gegensatz gedacht ist zu dem Wandel eines Menschen, der sich, wie hingebend er auch sein mag, doch noch unter Gesetz befindet. Je mehr der Christ den Willen Gottes erkennt, der ebenso gut wie heilig ist, desto mehr wächst seine Glückseligkeit und auch seine Kraft, während demgegenüber das Gesetz sich so auswirkt, dass ein elender Zustand die Folge ist und ein Überführtwerden von der großen vorhandenen Schwachheit. Wäre ein tiefes Bewusstsein von der Gegenwart Gottes bei uns vorhanden, so würde es zweifellos nicht viel ausmachen, mit wem wir zusammen sind, ob mit Weltmenschen oder mit Kindern Gottes, abgesehen davon, dass natürlich ein Unterschied in unserer Einstellung ihnen gegenüber besteht, entsprechend ihren Beziehungen zu Gott oder ihrer Unwissenheit über Ihn. Tatsache aber ist, dass wir immer tief beeindruckt werden durch den Umgang, den wir haben. Wir beeindrucken unsere Umgebung und werden durch sie beeindruckt. Solange nun Christus als der Geoffenbarte vor der Seele steht, wird der Wandel des Gläubigen dementsprechend sein, und zwar genau in dem Maß, in dem er praktisch seinen Beziehungen zu Christus entspricht. Wenn ich meine Stellung als mit Ihm verbunden kenne und Er dann der Gegenstand meines Herzens ist, und wenn ich Ihn zugleich als mein Haupt und meinen Bräutigam kenne, so muss ein ganz und gar anders gearteter Wandel das Ergebnis sein. Maß und Charakter des Wandels bei Kindern Gottes werden gebildet durch das Maß unserer Bekanntschaft mit Christus, wobei natürlich das Fleisch genügend gerichtet werden muss, um die Bekanntschaft zu genießen.
Sehr bemerkenswert scheint mir, dass der Apostel trotz allem, was bei den Kolossern vorlag, zunächst nicht an die Dinge berührt, betreffs derer ein Mangel bei ihnen zu Tage getreten war. Erst in der Mitte des zweiten Kapitels teilt er ihnen offen mit, worin sie zu tadeln waren. Lasst uns diesen wichtigen Umstand beachten, denn wenn unser Ziel wirklich das Wohl und die Befreiung der Seelen ist, und wir ihnen zu helfen wünschen, so gilt es zu erkennen, was der Weg Gottes ist, um den Seelen zu begegnen und ihnen behilflich zu sein, den Fallstricken zu entrinnen. Der beste Weg, dies zu lernen, ist, der Leitung des Heiligen Geistes nachzuspüren, wie sie in Schriften, wie der vorliegende Brief, in Erscheinung tritt, und sich nach ihr zu richten. Nur mit Beschämung im Blick auf unser eigenes so häufiges Benehmen gegen andere können wir die wunderbare Gnade und die Langmut des Apostels betrachten, die er anwendet, um schließlich auf seinen eigentlichen Gegenstand zu kommen. Die von ihm angewandte Langmut ist so groß, dass man von Anfang des Briefes an fast denken möchte, die Kolosser hätten sich in einem ganz ausgezeichneten Zustand befunden. Überaus behutsam geht der Schreiber vor, um ganz allmählich an das heranzukommen, was ihn beschwerte und sie beschweren musste. Er legt sozusagen Stollen und Minen an, um die Festung einzunehmen. Es ist langsame, aber sichere Arbeit.
Beachtenswert ist auch der Ausdruck: „Um würdig des Herrn zu wandeln zu allem Wohlgefallen.“ Es heißt nicht: „würdig des Evangeliums“, oder: „würdig unserer Berufung“. So steht es nicht an dieser Stelle. Die Epheser waren sich klar über die bösen Einflüsse, die es in dieser Hinsicht gab. Sie konnten daher nach Belieben unterwiesen werden über die Berufung Gottes, mit der sie berufen worden waren. Daher die Ermahnung, „dass sie würdig der Berufung wandeln möchten“ usw. Aber an die Kolosser schreibt er: „würdig des Herrn“. Es würde ihnen nicht so leicht fallen, sich von den Wirkungen freizumachen, die die Folge ihrer Beschäftigung mit Philosophie und gesetzlichen Verordnungen waren. Die Epheser waren von diesem Irrtum verschont geblieben. Deshalb werden sie ermahnt, dessen würdig zu wandeln, was sie als ihre Stellung erkannt hatten.
Dem Hinweis des Apostels auf den Herrn, dessen sie würdig wandeln sollten, entspricht auch das Maß: „Zu allem Wohlgefallen“