Beobachtungen in Polen - Joachim Barmwoldt - E-Book

Beobachtungen in Polen E-Book

Joachim Barmwoldt

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Beschreibung

Einen nachdenklichen Bundeskanzler Gerhard Schröder und einen fast selbstkritischen Solidarnosc-Gründer Lech Walesa: Der langjährige BILD-Reporter und WELT-Redakteur Joachim Barmwoldt hat sie beide in Polen erlebt. Barmwoldt kam 2001 als mitreisender Haus- und Ehemann nach Warschau. Er blieb bis 2007, hatte mithin genug Zeit, um den polnischen Alltag zu beobachten. Worüber regten sich die Polen damals auf – nach der Wende und vor dem EU-Beitritt? Welche Aufbruchsignale machten sich bemerkbar? Und wie trauerten Polen um ihren Papst, um Johannes Paul II.? All das beschreibt Barmwoldt kurz und knackig im vorliegenden Band. Die Kapitel »Reiseziele« und »Geschichte« können zudem helfen, die eigene Reise nach Polen erfolgreich zu gestalten. Denn wie sagte schon Steffen Möller, der deutsche Kabarettist, der in Polen berühmt wurde? »Polen lässt sich mögen«.

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Inhalt

Vorwort

Einleitung

Alltag

Entdeckungen im winterlichen Warschau

Eisbusse auf Warschaus Straßen

Warschaus Elite wohnt hinter Gittern

Alltag einer deutschen Korrespondentin

Gift tropft aus dem Wasserhahn

Warschau erwacht zum zweiten Frühling

Der Boom der Coffee Shops

Amerikas Weihnachtsrummel überrollt Polen

Aufreger

Bestechungs-Skandale erschüttern Polen

Billige Pillen überschwemmen Polen

Benzin-Panschern geht es an den Kragen

Polens schwieriger Weg zu Autobahnen

Schlachter warten schon auf Fohlen

Martinsgänse lindern die Not

Solidarnosc-Veteran hofft auf ein Wunder

Aufbruch

Danziger Werft wird eine »Junge Stadt«

Hunderttausende Polen arbeiten im Ausland

Wie Steffen Möller ganz Polen begeistert

Erste Koch-Akademie in Polen eröffnet

Warschauer Elite verkostet deutsche Weine

Tyskie drängt auf den deutschen Biermarkt

Zur Schönheits-Operation nach Polen

Hotelboom

Bristol: Warschaus feinste Adresse wird 100

Hotelboom an der Weichsel

Sandro Bohrmann mit 31 an der Spitze

Im InterConti über den Wolken schwimmen

Kloster-Ambiente in ehemaliger US-Botschaft

Warschauer Hotels weltweit im Fernsehen

Schönheitskönigin eröffnet Urwaldhotel

Enözels Landhotel im Eulengebirge

Tagen und Relaxen vor Tatra-Gipfeln

Reiseziele

Hinterm Oderdeich geht’s weiter

Das Riesengebirge blüht wieder auf

Biber, Bär und hohe Berge

Polens Tataren beten in Holzmoscheen

Mit dem Zweimaster auf Angeltour

Geschichte

Polen in die EU: Schröders Ratschlag

Schröder erwartet Zustimmung

Im Wahlkampf punkten EU-Gegner

Museum des Warschauer Aufstands

Neues Museum: Papst ehrt die Helden

Schröder im Museum

»Solidarnosc wirkt bis heute nach«

Solidarnosc: Lech Walesa zieht Bilanz

Der polnische Papst

Pole spielt Hauptrolle im Papstfilm

Polens größte Kirche eingeweiht

Neue Kirche in altem Kraftwerk

Papst-Begräbnis: Sonderzüge nach Rom

»Die ganze Welt weint«

Aus für Papst-Mokassins

Die zweitgrößte Devotionalienmesse der Welt

Wadowice trauert um Johannes Paul II

.

Nachwort

Vorwort

Es liegt direkt nebenan. Wir sind Nachbarn. Aber Polen scheint für Deutsche oftmals weiter weg als Griechenland oder Tunesien. Dabei haben Polen und Deutschland eine jahrhundertalte gemeinsame Geschichte – mit guten und leider auch furchtbaren Jahren. Heute geht man mit schnellen Schritten wieder auf einander zu. Einer der mittendrin war in diesem Prozess des Zusammenwachsens, der Beobachtung der polnischen Gesellschaft, des sich erneuten Kennenlernens ist Jo Barmwoldt. Weshalb er ein Vorwort gerade von mir wollte, bleibt mir rätselhaft. Ich vermute es liegt daran, dass ich seit 17 Jahren mit einer Polin verheiratet bin. Und durch sie, ihre Familie und ihre Freunde sowie durch unzählige Reisen nach Polen viel gelernt habe.

Aber meine Lebensgeschichte (wohnhaft in Berlin) spielt nur am Rand des polnischen Lebens. Jo ist über Jahre hinein getaucht – in der Mitte Polens. Er hat es gelebt. Seine Kenntnis über polnische Politik, Wirtschaft, Abwege, Land und Leute ist profund. Was aber vielmehr zählt: Jo hört und sieht mit dem Herzen. Er redet nicht einfach mit Menschen – er versucht, sie zu verstehen. Er ist dran am Menschen und dabei ein grandioser Erzähler.

Jo nennt sich im Buch »Hausmann«. Ich wünschte, jeder Journalist wäre ein Hausmann. Aber vielleicht liegt es nur an Jo. Wenn er über Polen schreibt, bin ich mit meinen Gedanken dort. Spüre das Leben, die Umbrüche, die unterschiedliche und doch ähnliche Mentalität. Meine Frau Barbara – wie gesagt eine Polin – sagt: »Jürgen, lern von Jo – der weiß, wie wir Polen ticken.«

Ich war einer der ersten, die Jo’s Buch lesen durften. Für mich war es eine wunderbare Reise in ein faszinierendes Land und zu Menschen, die ich lieben lernte. Für alle, die es erst jetzt lesen dürfen, beginnt jetzt eine interessante und liebenswerte Reise.

Jürgen Kowallik

Berlin im Oktober 2013

Einleitung

Als mitreisender Haus- und Ehemann kam ich, Joachim Barmwoldt, im Frühsommer 2001 nach Warschau. Doris, meine liebe Ehefrau, berichtete von dort als Auslandskorrespondentin für das »Handelsblatt«. Es war die Zeit, als Polen zwar politisch gewendet, aber noch keineswegs Mitglied in der Europäischen Union (EU) war. Das bedeutete: Als Deutsche mussten wir unsere Reisepässe zeigen, wenn wir nach Polen einreisten. Und ein Umzug nach Polen kostete damals viel Zeit, viel Geld und vor allem Nerven – wegen all der auszufüllenden Zollformulare und der Fotos, mit denen wir unser ererbtes Mobiliar dokumentieren mussten. Doch schließlich hatten wir alle Dokumente und Belege beisammen; im Juni zogen wir um – von Berlin nach Warschau.

In den folgenden sechs Jahren haben wir Polen sehr intensiv erlebt: Zunächst und vor allem die vielen liebenswürdigen Menschen, die wir kennen gelernt haben. Dann die herrlich komplizierte Sprache – die Polnischkurse im IKO-Institut in Warschau und vor allem bei der geduldigen Privatlehrerin Ania Kosinska haben sich tief in mein Gedächtnis eingegraben. Außerdem wurden Doris und ich Zeugen vieler positiver Veränderungen – sowohl im Alltag als auch in Polens Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Es gab zwar viele Krisen, also wunderbare Geschichten für Journalisten. Aber insgesamt spürten wir: »Es wird besser, es geht aufwärts, es geht in die richtige Richtung.« Am 1. Mai 2004 trat Polen der EU bei.

Die gute Stimmung beflügelte auch uns: Im Sommer 2005 gebar Doris in Warschau unsere Tochter Sophie. Die Schwangerschaftsvertretung übernahm ich; etwa sechs Wochen lang habe ich über Aktuelles und Skurriles aus Polen berichtet. Anschließend kümmerte ich mich um Sophie und um den Haushalt – da war ich also wieder ganz der mitreisende Ehemann, der Hausmann und sogar der Papa. Das blieb auch so nach 2007, als wir weiter nach Osten zogen, nach Moskau. So weit, so gut.

Doch manchmal frage ich mich: An welche Beobachtungen in Polen erinnere ich mich? Welche Eindrücke haben überdauert? Nun, es sind einige. Zum Beispiel mein Interview mit Lech Walesa, die landesweite Trauer um Papst Johannes Paul II. und die Besuche von Bundeskanzler Gerhard Schröder in Polen.

Auch Episoden aus dem Alltag haben sich tief in mein Gedächtnis gegraben: die schneereichen Winter in Warschau, das ungenießbare Wasser aus dem Wasserhahn, die riesigen neuen Einkaufszentren und der Weihnachtsrummel, der Polen in den Nullerjahren überrollte. Andererseits kamen auch Deutsche nach Polen, um dort zu arbeiten und Karriere zu machen – wie der Kabarettist Steffen Möller. Luxuriöse Hotels eröffneten ebenso ihren Betrieb wie hoch spezialisierte Beauty-Kliniken – starke Kontraste zu den Moscheen der Tataren im äußersten Nordosten Polens. Kurzum: Polen ermöglichte zwischen 2001 und 2007 viele ungewöhnliche und spannende Beobachtungen. Die Details stehen auf den folgenden Seiten.

Alltag

Entdeckungen im winterlichen Warschau

Manchmal kratzt er an den Wolken, der 234 Meter hohe Kulturpalast. Mitten in Warschau steht dieser Koloss. Er hat graue Mauern, tausend kleine Fenster, und er ähnelt den Moskauer Hochhäusern im Zuckerbäckerstil. Leicht lässt sich seine Eingangstür aus massivem Holz öffnen, langsam dreht sich die zweite Tür aus Glas. Säle mit Marmorsäulen und Kristall-Leuchtern grenzen an das Foyer. Den Parkettfußboden schrubben Frauen in hellgrünen Kittelschürzen; es riecht nach Bohnerwachs. An einer gläsernen Flügeltür hängt ein Zettel. Die Bibliothek des Goethe-Instituts, so verkündet der Wisch, öffne wegen »umfangreicher Reorganisation« erst wieder Anfang März 2002. Als Ausgangspunkt für Stadtbesichtigungen sei der Kulturpalast gut geeignet, heißt es in Warschau. Im Übrigen ist der Turm heftig umstritten. Denn als »Geschenk der Völker der Sowjetunion für Warschau« wurde er in den Jahren 1952 bis 1955 gebaut. »Dieses kolossale Gebäude, das fast im Kern der Nachkriegswüste errichtet worden war, sollte die Passanten unaufhörlich daran erinnern, wie winzig klein, schwach und ratlos sie gegenüber der ungeheuren Größe und Allgewalt des Staates und der Macht des Kommunismus sind«, so der Warschauer Schriftsteller Andrzej Szczypiorski.

»Bitte einsteigen!« Die rothaarige Frau drückt auf einen schwarzen Knopf im Lift des Kulturpalastes, sie trägt eine blaue Uniform, sie sitzt auf einem Drehstuhl. Blitzschnell saust der Aufzug los - vorbei an der Warsaw Business School in der siebten und vorbei am Deutschen Historischen Institut in der 17. Etage. In der 30. Etage stoppt der Lift. Dort beginnt die Aussichtsterrasse. Eiskristalle glitzern am Balkongitter. Es ist kalt, so kalt, dass beim Ausatmen kleine Dampfwolken aufsteigen. Schnee liegt in den Ecken des Bogengangs, der den Kulturpalast umrundet. 114 Meter tiefer erstreckt sich das winterliche Warschau: Graue Wohn- und Büroblocks, dazwischen das Kaufhaus Galeria Centrum, die Halle des Zentralbahnhofs, die Weichsel – und ein Dutzend neuer Wolkenkratzer aus Stahl und Glas, wie zum Beispiel die Bank Austria, das Marriott-Hotel oder das »Wprost«-Hochhaus, in dessen Shopping Center plätschern Springbrunnen und gläserne Aufzüge schweben dort von Stockwerk zu Stockwerk. Wegen dieser modernen Türme beherrscht der Kulturpalast das Warschauer Stadtbild nun weniger stark. Eine Veränderung mit Symbolcharakter. Die neue Skyline der polnischen Hauptstadt sei ein Beispiel für die vielen Modernisierungen und Reformen, die sein Land in den vergangenen zehn, zwölf Jahren verwirklicht habe, sagt der ehemalige Außenminister Wladyslaw Bartoszewski. Der greise Professor mit den großen Brillengläsern wurde am 19. Februar 1922 in Warschau geboren und bemüht sich seit Jahrzehnten darum, dass Deutsche und Polen mehr voneinander lernen und sich besser verstehen. In Warschau habe sich seit 1989 das gesamte Straßenbild verändert, so Professor Bartoszewski. Er verweist auf die vielen kleinen Läden im Zentrum und die Supermärkte am Stadtrand.

Das fast vollendete Hyatt Regency Warsaw fällt indes kaum auf, obwohl es elf Etagen umfasst. Denn fünf Stockwerke des Fünf-Sterne-Hotels am Lazienki-Park sind unterirdisch. »Damit sich das trapezförmige Gebäude harmonisch in die Umgebung einpasst«, sagt Lothar Quarz. Der Marketing-Direktor mit den kurzen blonden Haaren kam vor einem halben Jahr aus Berlin nach Warschau. Mit 600 Job-Bewerbern hat er seitdem gesprochen. Die 250 Besten stellte er als Mitarbeiter ein. Vom 1. März 2002 an, wenn das Soft Opening des Hyatt Regency Warsaw beginnt, sollen sie die Gäste freundlich und hilfsbereit bedienen. »Wir wollen das beste Hotel Warschaus sein«, sagt Lothar Quarz. Die beste Aussicht auf die Hochhäuser der Innenstadt und auf den nahen Lazienki-Park genießen allerdings die Gäste des Regency Clubs. Er nimmt die fünfte und sechste Etage des neuen Hotels ein. Neben den 60 Quadratmeter großen Regency Suiten gibt es dort zwei Diplomaten-Suiten mit 110 und 120 Quadratmetern. Sogar 170 Quadratmeter Wohnfläche stehen den Bewohnern der Präsidenten-Suite zur Verfügung. Schlafen können sie dort, arbeiten und dinieren, vor einem offenen Kamin sitzen, in Whirlpool und Sauna entspannen oder in einer eigenen Küche ihr Lieblingsgericht zubereiten.

Schnee knirscht unter den Schuhsohlen. Im Lazienki-Park joggen an diesem kalten Sonntagmorgen nur Unentwegte. Wie Puderzucker liegt der Schnee auf Allee-Bäumen, auf Stegen und auf den antikisierenden Tempeln. Auch die Bronzestatue, die an den Komponisten Fryderyk Chopin erinnert, trägt eine weiße Mütze. An den Säulen und auf den Balkonen des »Palastes auf der Insel« kuscheln sich Pfauen aneinander. Einige Schritte weiter, vor einem Vogelhäuschen, zanken sich Rabenkrähen. Meisen picken an der Speckschwarte, die der Deutsche Botschafter, Frank Elbe, vor seiner Residenz in Warschau hängen hat. Ein Stadtbummel im Winter macht hungrig. In der Künstlerküche (Qchnia Artystyczna), einem Café und Restaurant im Schloss Ujazdów, servieren Kellnerinnen neu interpretierte polnische Gerichte. Junge, erfolgreiche Warschauer sitzen an den Tischen. Von der Terrasse aus sind der zugefrorene Piaseczynsi-Kanal und der Lazienki-Park zu sehen. Das Restaurant Pod Samsonem« in der ulica Freta 3/5, nördlich der Stadtmauer und der vier runden Ziegeltürmen des Neustädter Tores gelegen, pflegt eine polnisch-jüdische Küche. Cafés sowie Mode- und Kosmetikläden säumen die ulica Nowy Swiat (Neue Welt), in der sonn- und werktags viele Menschen flanieren. Café Blikle in der Nowy Swiat 33 erwarb sich Anerkennung seit 1869 vor allem durch seine »paczkis«, eine Art Berliner Pfannkuchen. Das Café Nowy Swiat in der gleichnamigen Straße mit der Hausnummer 63 lässt den Gast hingegen an Wiener Kaffeehäuser denken – wegen seiner hohen Räume, bequemen Sessel und eines Tisches voller Tageszeitungen. Mercer’s, ein amerikanischer Coffee Shop (Nowy Swiat 25), öffnet täglich schon früh um sieben Uhr. Auch die alte, kleine Frau, die bei jedem Wetter auf der Nowy Swiat Blumen verkäuft, kommt von Zeit zu Zeit in Mercer’s Kaffeestube und wärmt sich ihre steifen Finger.

Kirchen, Denkmäler und Adelsresidenzen, die Universität, das Hotel Bristol sowie der Präsidentenpalast säumen den Königsweg von der ulica Nowy Swiat zum Warschauer Stadtschloss. Im Zweiten Weltkrieg von deutschen Soldaten zerbombt und gesprengt, wurde es in den Jahren 1971 bis 1984 mit Hilfe von Spenden wieder aufgebaut. Sehenswert sind die königlichen Gemächer, der Rittersaal und der Canaletto-Saal mit 22 Landschaftsbildern. Über die rötliche Südfassade des Schlosses haben Arbeiter jetzt ein riesiges gelbes Transparent gespannt: Werbung für »Lipton Yellow Label Tea«. Droschken warten auf dem Altstädtischen Marktplatz, Dampf quillt aus den Nüstern der Pferde. In den wieder aufgebauten Kaufmannshäusern mit pastellfarbenen Fassaden haben sich Cafés, Restaurants und Kunstgalerien eingerichtet. Fast die gesamte nördliche Häuserzeile beherbergt das »Historische Museum der Stadt Warschau«. Sonntags ist der Eintritt frei; ein Dokumentarfilm zeigt, wie deutsche Truppen die polnische Hauptstadt während des Zweiten Weltkriegs zerstört haben (englische Version um 15 Uhr). Skulpturen von polnischen Kämpfern, die Barrikaden verteidigen und in die Kanalisation einsteigen, erinnern seit 1989 am plac Krasinskich an den Warschauer Aufstand von 1944. Ein Kranz aus Tannenzweigen mit zwei schwarz-rot-goldenen Schleifen liegt davor im Schnee – Volontärinnen und Volontäre der Journalistenschule Axel Springer aus Berlin haben ihn niedergelegt.

Ein weiteres Monument, das »Denkmal der Helden des Ghettos«, steht auf dem weiten Platz an der ulica Zamenhofa - an der Stelle, wo die schwersten Kämpfe zwischen jüdischen Bewohnern und deutschen Besatzern während des Ghetto-Aufstandes im April und Mai 1943 tobten. Vor diesem Denkmal kniete Willy Brandt im Dezember 1970 nieder. Ein neuer Gedenkstein, nur wenige Schritte entfernt in der Nordwest-Ecke des Platzes, ehrt den damaligen deutschen Bundeskanzler für jene symbolische politische Tat. Den ersten Kulturschock erlebt der deutsche Gast indes spätestens in der Warschauer Metro. Helles Licht empfängt ihn in großräumigen U-Bahn-Stationen. Der graue Steinfußboden glänzt vor Sauberkeit, kein Graffiti verunziert die Wände. Einen ebenso guten Eindruck machen die Züge – und die Passagiere. Die Damen haben sich offensichtlich stundenlang in einem der vielen Warschauer Schönheitssalons auf die Abfahrt vorbereitet. Und nicht alle Herren, die in der U-Bahn Krawatten tragen, können Gerichtsvollzieher sein. Niemand pöbelt. Niemand trinkt Dosenbier. Und niemand fläzt sich in Jogginghosen auf dem Sitz. Wer direkt aus Berlin kommt, wird auch sie vermissen: die sabbernden und zähnefletschenden Kampfhunde. Während also die Warschauer Metro angenehm überrascht, gelingt den Städtischen Bussen eher das Gegenteil – besonders im bitterkalten Winter.

Eisbusse auf Warschaus Straßen

Eisblumen an den Fenstern, Schneematsch auf dem Boden: Völlig ungeheizt fahren Hunderte von Linienbussen durch Warschau (im Januar 2003). Im Bus der Linie 195 maßen Fahrgäste minus neun Grad, im Bus der Linie 709 minus zehn Grad – bei einer Außentemperatur von minus elf Grad. Viele Busfahrer heizen überhaupt nicht, weil sie Prämien für den eingesparten Treibstoff bekommen. Frierende Fahrgäste protestieren, doch die Leiter der Städtischen Verkehrsbetriebe MZA wiegeln ab: Mal geben die Bürokraten dem hohen Alter der Ikarus-Busse schuld, mal verweisen sie auf leere Kassen. »Es sind nur einige Dutzend Busfahrer, die schummeln«, behauptet Roman Gogacz, Leiter der Technischen Abteilung bei den Städtischen Verkehrsbetrieben MZA. Schummeln bedeutet, mit abgestellter Heizung zu fahren und dadurch weniger Treibstoff zu verbrauchen. Unter den Warschauer Busfahrern gibt es nach Angaben von Kritikern einige Rekordhalter, welche monatlich 100 Liter Brennstoff einsparten. Sie erhalten dafür eine Prämie: 60 Prozent des Wertes des übriggebliebenen Treibstoffes. Das können bis zu 250 Zloty (etwa 63 Euro) sein, sagt MZA-Betriebsleiter Zbigniew Adamski.

»Generell können wir in den Bussen nur fünf Minuten pro Stunde heizen. Für mehr reicht das Geld nicht«, sagt Marek Budzynski, Chef der MZA-Verkehrsaufsicht. Diese Meinung teilt Przemyslaw Pradzynski, Direktor der Städtischen Transport-Verwaltung ZTM. Die Stadtoberen seien zu geizig, rückten zu wenig Geld für den öffentlichen Busverkehr heraus. Pradzynski: »Auf uns wälzen sie dann den ganzen Ärger der Fahrgäste ab.« Haufenweise prasseln Beschwerdebriefe auf die Städtischen Verkehrsbetriebe MZA ein, sagt Marek Budzynski. Eine erboste Passagierin schrieb, sie wolle nicht wie Fleisch im Kühlhaus behandelt werden. Budzynski kontert, der Fuhrpark sei alt und die Heizungen in den Bussen seien oft beschädigt. »Deshalb ist in den Bussen eine Temperatur-Erhöhung selbst auf null Grad nicht möglich«, sagt er. Mit verstärkten Kontrollen wollen MZA und ZTM jedoch ab sofort sicherstellen, dass die Busfahrer überhaupt die Heizungen anstellen. Wer nicht heizt, riskiert eine Rüge und eine Geldstrafe. Generell sind die Fahrer der Warschauer Linienbusse vom 1. November bis 31. März zum Heizen verpflichtet. Bleibt die Frage: Wie lebt es sich unter solchen Bedingungen?

Warschaus Elite wohnt hinter Gittern

Im Warschauer »Theater der Vielfalt« steht Cezary Kosinski als schuldbeladener Macbeth auf der Bühne. In Roman Polanskis Meisterwerk »Der Pianist« spielt er einen hilfsbereiten Menschen im kriegszerstörten Warschau. Doch privat bevorzugt der erfolgreiche 32-jährige Schauspielstar die Ruhe. Mit seiner Frau Anna und den beiden Kindern lebt er im Süden der polnischen Hauptstadt in einer bewachten Wohnanlage. Der gelbe Gebäudekomplex steht mitten in einem gepflegten Garten an der Kastanienallee – hinter einem zwei Meter hohen Metallgitterzaun, der mit Scheinwerfern und Überwachungskameras gespickt ist. Am wuchtigen Gittertor, in einer Pförtnerloge mit getönten Fensterscheiben, sitzen schwarz gekleidete Wachmänner. Sie kontrollieren jeden, der die Anlage betreten will.

Wohnen hinter Mauern und Gittern ist der letzte Schrei in Warschau. Das polnische Magazin »Polityka« charakterisiert die Stadt gar als das »Epizentrum des Einzäunungs-Trends«. Der deutsche Forscher Henryk Werth hat ermittelt, dass bis 1999 in Warschau 55 solcher abgeteilter Siedlungen entstanden. Heute (2005) gibt es dort schon 200 umzäunte Wohnanlagen nach dem Vorbild der amerikanischen »gated communities« – soviel wie sonst nirgends in Europa. Ein Ende der Entwicklung ist nicht abzusehen. Gerade wird die »Marina Mokotów« fertiggebaut. Die 32-Hektar-Siedlung besteht aus 22 Häusern und Wohnungen für 5000 Bewohner. Grünflächen und ein künstlicher Teich machen 60 Prozent des Geländes aus. Ein Zaun trennt die »Marina Mokotów« von der Umgebung – einer Villengegend. Der Rasen ist kurz geschoren, die Laubkronen der Bäume sind kugelrund geschnitten, die Wege werden regelmäßig gefegt: »Wir haben die Wohnung vor allem wegen des schönen Gartens gekauft. Hier können die Kinder in Sicherheit spielen«, sagt Cezary Kosinski, während er im Korbsessel auf der Terrasse sitzt und Kaffee trinkt. Am Spalier ranken Weinreben, unter den Blättern reifen pralle Trauben. Schon seit vier Jahren wohnen die Kosinskis in ihrer 67 Quadratmeter großen Eigentumswohnung. Bereut haben sie den Kauf noch nie. Die Gegend sei ruhig, die Nachbarn seien freundlich und die U-Bahnstation liege auch nur einen kurzen Spaziergang entfernt. Außerdem fühlen sich Kosinskis in ihrem Domizil an der Kastanienallee sicher – dank der Bewachung.