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Auf einem Campingplatz am Thunersee fliegt ein Wohnmobil in die Luft. Opfer ist der Berner Patrizier Florian von Balmberg. Da sein Vater für ihn kurz zuvor eine hohe Lebensversicherung abgeschlossen hat, wird Privatdetektiv Hanspeter Feller mit weiteren Abklärungen beauftragt. Diese führen Feller und seinen Assistenten in die Berner Kunst- und Galerienszene, in der nicht alles mit rechten Dingen zugeht. Als ein fragliches Gemälde von Ferdinand Hodler auftaucht, sind zwei weitere Opfer zu beklagen.
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Seitenzahl: 163
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Stefan Haenni
Berner Bärendreck
Fellers vierter Fall
Bärenhunger Der vierte Fall für den Thuner Privatdetektiv Hanspeter Feller stillt einen Bärenhunger auf kriminelle Raffinesse und Berner Lokalkolorit. Dass der verzwickte Krimi gleichzeitig auch ein Kochbuch mit acht Bärendreckrezepten darstellt, lässt den Bär erst recht tanzen.
Auf einem Campingplatz am Thunersee fliegt ein Wohnmobil in die Luft. Opfer ist ein junger Berner Patrizier. Da sein Vater kurz zuvor eine hohe Lebensversicherung auf ihn abgeschlossen hat, beauftragt die Versicherungsgesellschaft Hanspeter Feller mit weiteren Abklärungen. Diese führen Feller und seinen Assistenten Lüthi in die Berner Kunst- und Galerienszene, in der offensichtlich nicht alles mit rechten Dingen zu- und hergeht. Das wird spätestens dann klar, als ein fragliches Gemälde von Ferdinand Hodler auftaucht und zwei weitere Opfer der Szene zu beklagen sind. Wer hat dem Herrensöhnchen das Fell über die Ohren gezogen? Was hat es mit dem Gemälde auf sich und welche Rolle spielt die Kunsthistorikerin, die dem Assistenten den Kopf verdreht?
Stefan Haenni, geboren 1958 in Thun, studierte an den Universitäten Bern und Fribourg Kunstgeschichte, Psychologie und Pädagogik. Seit 2009 lebt und arbeitet er als freischaffender Autor und Kunstmaler in seiner Geburtsstadt. Haenni publizierte zahlreiche Kriminalgeschichten in thematischen Anthologien. Im Gmeiner-Verlag erschienen seine Kriminalromane »Narrentod«, »Brahmsrösi« und »Scherbenhaufen«. Mit »Berner Bärendreck« legt er den vierten Fall um den Thuner Privatdetektiv Hanspeter Feller vor.
Bisherige Veröffentlichungen im Gmeiner-Verlag:
Scherbenhaufen (2011)
Brahmsrösi (2010)
Narrentod (2009)
Personen und Handlung sind frei erfunden.
Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen
sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.
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Im Ehnried 5, 88605 Meßkirch
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Alle Rechte vorbehalten
1. Auflage 2019
Lektorat: Christine Braun
Herstellung: Julia Franze
E-Book: Mirjam Hecht
Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart
unter Verwendung eines Fotos von: © GuareSak / shutterstock.com
Druck: CPI books GmbH, Leck
Printed in Germany
ISBN 978-3-8392-6112-5
Meinem Bruder Thomas gewidmet
(1955 – 2013)
Eine nächtliche Seebrise rauscht durch den Schilfgürtel. Mächtige Platanen breiten schützend ihr Astwerk über Wohnwagen und Zelte, die sich eng gedrängt auf nummerierten Parzellen aneinanderreihen. Am Stockhorn flackert das Gipfellicht durch herannahende Gewitterwolken. Auf dem feuchten Rasenplatz vor den vertäuten Segelbooten veranstalten Haubentaucher und Stockenten eine lautstarke Nocturne. Dazu scheppert Jazzmusik aus einem hellblauen Transistorradio der Fünfzigerjahre. Marla Glen findet irgendetwas gerade »not really easy«. Mit sonorer Bluesstimme singt sie davon, dass etwas Schweres über der Stadt liegt, das sie nicht ertragen kann.
In einem Caravan sitzt ein junger Mann mit hängendem Haupt zusammengesunken auf einer Bank mit indischer Batikdecke. Auf dem Boden des Wohnmobils liegen leere Ginflaschen. Der betrunkene Mann klaubt in den Taschen seiner weiten Baumwollhose umständlich nach einer Zigarette. Dann bückt er sich, um den verschmutzten Boden nach einem Feuerzeug abzutasten. Als er es mühsam zu ergreifen versucht, kippt er beinahe kopfüber vom Polster. Er entzündet nach mehreren erfolglosen Versuchen endlich den Glimmstängel, der ihm locker im Mundwinkel hängt. Sekunden später ertönt ein Riesenknall.
Das sieben Meter lange Reisemobil der Marke Siesta detoniert wie eine Granate. Danach steht es in Flammen. Diese springen auf einen benachbarten Wohnwagen über. Ringsum beginnen Nylonzelte zu brennen. Die Luft ist augenblicklich von Flammen, Rauch und Geschrei erfüllt. Menschen flüchten in Panik. Alsbald erklingen die Hörner der herannahenden Feuerwehr.
Derweil löst sich am Rande des Campingplatzes Gwatt bei Thun ein menschlicher Schatten aus dem Widerschein der vernichtenden Feuersbrunst. Kurz darauf heult auf dem Parkplatz der Motor eines Autos auf.
Privatdetektiv Hanspeter Feller starrt gedankenverloren auf ein paar glitzernde Kiesel auf dem Seegrund. Der Thunersee ist in den letzten Jahrzehnten so sauber geworden, dass man im Uferbereich bis auf den Grund sieht. So rein, dass die Fische nicht mehr genügend Nahrung finden. Ihre Population nimmt von Jahr zu Jahr ab. Etwas mehr Dreck und Algen würden ihnen besser bekommen, meinen Berufsfischer. Bloß, nach all den Bemühungen um den Gewässerschutz ist kein Politiker bereit, die ökologische Errungenschaft leichtfertig den Fischen zu opfern.
Hanspeter Feller verlässt das Ufer und stapft Richtung Campingplatz. Dieser bietet 150 Standplätze und liegt auf 558 Meter über Meer, direkt am flach abfallenden Ufer des Sees. Auf dem Parkplatz stößt Feller auf Jürg Lüthi, der in seinem ferrariroten Fiat Punto sitzt. Durch die offene Wagentür mustert der Detektiv seinen modisch gekleideten Assistenten, der Bluejeans, ein graues T-Shirt mit V-Ausschnitt sowie einen schwarzen Leinenkittel trägt. Dass der strohblonde Hüne es geschafft hat, sich in die motorisierte Sardinenbüchse zu quetschen, grenzt an ein Wunder. Liegt die Faltanleitung aus dem Origami-Bastelbuch im Handschuhfach? Jürg Lüthi setzt seine Füße auf den Kiesplatz und schnürt sich robuste Lederboots der Größe 45.
»Nettes Schuhwerk«, frotzelt Hanspeter Feller.
»Will ich im Morast stecken bleiben?«, erwidert der Assistent und hebt dazu sein gerötetes Antlitz. Seelenruhig bindet er noch den zweiten Schuh. »So, fertig! Hanspudi, wir können.« Er windet sich wie ein Schlangenmensch im Zirkus aus dem Wagen, schließt ihn ab und folgt seinem Chef.
Am Brandort hantieren weiß gekleidete Personen mit Mundschutz und Handschuhen. Noch immer ist der kriminaltechnische Dienst, kurz KTD, der Kantonspolizei Bern am Werk. Am Rande des abgesperrten Bereichs steht ein Beamter in Zivil und erteilt Anweisungen. Als er die beiden Privatdetektive erblickt, greift er sich an die Stirn und ruft den Herannahenden entgegen: »Haben Sie die Flöhe husten gehört?« Man kennt sich offenbar.
Die Detektei Feller aus Thun und die Kantonspolizei Bern haben bereits in früheren Fällen zielführend Informationen ausgetauscht.
»Guten Tag, meine Herren. Das ist wieder mal schnell gegangen. Wir sind noch am Sichern und Ermitteln und schon stehen Sherlock Holmes und Watson auf der Matte. Wie kommt das?«
»Guten Tag, Herr Geissbühler«, erwidert Feller den Gruß, ohne auf die Frage einzugehen.
An seiner Stelle antwortet Jürg Lüthi: »Die Lebensversicherungsgesellschaft des Opfers hat uns engagiert.«
Hauptmann Geissbühler senkt theatralisch die Mundwinkel und nickt hochachtungsvoll. »Soso. Die hat offenbar mitbekommen, wer am Thunersee die besten Spürnasen hat.«
Die Detektive sind für derartige Ehrerbietungen nicht empfänglich. Feller kommt gleich zur Sache. »Die Identität des Opfers ist uns seit heute Vormittag bekannt. Für den jungen Mann ist erst letzte Woche eine Police mit hoher Versicherungssumme abgeschlossen worden. Jetzt ist er tot. Das wirft logischerweise Fragen auf. In diesem Sinne, Herr Geissbühler: Würden Sie uns freundlicherweise zum Brandherd durchlassen?«
Überraschend willigt Hauptmann Geissbühler ohne Umschweife ein. »In Ordnung. Die Trümmer des Caravans sind bereits gesichtet und gesichert worden. Folgen Sie mir, meine Herren.«
Die Detektive begleiten den Beamten durch den schwarzgrauen Sumpf aus Dreck, Asche und Löschschaum.
An der Stelle angekommen, weist Hauptmann Geissbühler auf einen qualmenden Haufen mitten im desaströsen Trümmerfeld: »Das war mal ein neuwertiges Wohnmobil der Marke Siesta. Als Basisfahrzeug diente ein Fiat Ducato mit Tiefrahmenchassis. In ihm ist die Brandursache lokalisiert worden. Nach den bisherigen Erkenntnissen ist im Caravan eine Gasflasche explodiert.«
»Wo genau fand man das Opfer?«
»Der Bewohner des Unglücksmobils wurde aus dem Gefährt geschleudert. Verkohlte Leichenteile mussten in einem Radius von 20 Metern geborgen werden. Bis dort drüben, neben dem Robidog.«
»Grauenhaft!«, entfährt es Jürg Lüthi. Dabei bleibt offen, ob er damit den Fundort neben dem Hundeklo, die enorme Wurfdistanz oder die angedeutete Verstümmelung meint.
»Umso erstaunlicher, dass das Opfer so rasch identifiziert werden konnte«, bemerkt Hanspeter Feller.
Der Beamte relativiert: »Einerseits lag die Meldekarte mit den Personalien an der Rezeption des Platzwartes. Andererseits konnten wir den Zahnarzt des Opfers schnell ausfindig machen. Der Abgleich der Gebissfragmente mit den archivierten Röntgenaufnahmen hat keine Zweifel offen gelassen. Das Opfer heißt Florian von Balmberg, ist 31 Jahre alt und stammt aus dem Berner Seeland. Aber das ist Ihnen ja alles bereits bekannt.«
»Richtig«, bestätigt Hanspeter Feller. »Ist sein Vater nicht Besitzer und Bewohner von Schloss Enggiwyl?«
»Ja. Das spätgotische Anwesen ist in Familienbesitz. Allerdings erst seit wenigen Generationen. Das Geschlecht der von Balmberg gilt nicht als alter Adel. Sie verfügen daher auch nicht über einen eigenen standesgemäßen Stammsitz. Den haben sie mit angeheiratetem Geld einem verarmten Zweig der von Steck abgekauft – das Schloss Enggiwyl«, weiß Hauptmann Geissbühler. Er kennt sich seit seiner Berner Studienzeit mit gesellschaftlichen Hierarchien aus, hat er doch in der Studentenverbindung mit dem einen oder anderen »fils à papa« der Jeunesse dorée Bekanntschaft geschlossen.
»Sonderbar«, wundert sich Jürg Lüthi. »Was hat ein verwöhnter Patriziersohn auf dem einfachen Campingplatz verloren? Verbringt ein wohlhabender junger Mann wie er seine Ferien nicht eher an der Côte d’Azure, auf Bali oder in Miami?«
»Offenbar nicht. Nachweislich lebte das Opfer bereits seit mehreren Wochen hier im Gwatt«, berichtigt Geissbühler.
Hanspeter Feller weist mit dem Kinn auf den Bereich hinter dem Brandherd. »Hat es dort drüben noch einen zweiten Camper erwischt?«
»Ja, einen Wohnwagen ohne Zugfahrzeug«, bestätigt der Polizist. »Er stand direkt hinter dem Unglückswagen. Darum hat er ebenfalls Feuer gefangen. Glücklicherweise war er gerade unbewohnt.«
»Wann genau brach der Brand aus?«, forscht Hanspeter Feller weiter.
»Die Campinggäste wurden um 1 Uhr nachts durch die Explosion aus dem Schlaf gerissen.«
»Geht die Polizei von einem Unfall oder einem Suizid aus?«
»Ein Abschiedsbrief ist bisher nicht aufgetaucht. Der Familie und dem Freundeskreis von Florian von Balmberg sind keine mündlichen Ankündigungen oder verdeckte Hinweise einer geplanten Selbsttötung zu Ohren gekommen. Nach aktuellem Wissensstand scheint das Opfer auch nicht unter Depressionen gelitten zu haben. Es gibt bislang also keine stichhaltigen Gründe, nicht von einem Unfall auszugehen.«
Feller widerspricht: »Da ist die Versicherungsgesellschaft offenbar anderer Meinung.«
»Kann ich mir schon denken. Wenn Versicherungen in die Pflicht genommen werden, investieren sie lieber zuerst in einen Privatdetektiv oder Anwalt, als unbürokratisch und speditiv ihren vertraglichen Verpflichtungen nachzukommen.«
»Tönt fast so, als hätten Sie schlechte Erfahrungen gemacht, Herr Geissbühler«, moniert Jürg Lüthi und kassiert dafür vom Hauptmann einen verärgerten Blick.
»Was wurde bisher unternommen?«, erkundigt sich Hanspeter Feller, um dem Gespräch wieder eine sachliche Wendung zu geben.
»Das Übliche. Die Uniformpolizei hat umgehend den Unglücksort abgesperrt und die Regionalfahndung, also uns, informiert. Wir von der Kripo, Dezernat Leib und Leben, haben die Sicherung der Spuren veranlasst, Erstaussagen von Zeugen festgehalten und die Staatsanwaltschaft informiert.«
Jürg Lüthi stochert mit der rechten Fußspitze in der Asche. Dabei stößt er auf einen harten Gegenstand. Er hebt eine halbrunde weiße Glasscherbe in die Höhe und betrachtet sie genauer. »Könnte dieses Ding mal eine Schnapsflasche gewesen sein?« Danach reicht er das Fundstück seinem Chef, der es seinerseits an Hauptmann Geissbühler weitergibt.
»Ob das Opfer zum Zeitpunkt des Ereignisses betrunken war?«, fragt Jürg Lüthi.
»Das würde zumindest die Wahrscheinlichkeit einer unbeabsichtigten Fehlmanipulation an der Gasflasche erhöhen«, meint Geissbühler. Er versorgt das Corpus Delicti in einem Beweismittelbeutel. »So, meine Herren. Ich habe Ihnen genug Zeit geopfert. Entschuldigen Sie, ich muss Sie bitten, das abgesperrte Terrain wieder zu verlassen.«
»Selbstverständlich. Danke für Ihr Entgegenkommen, Herr Geissbühler«, sagt Feller.
»Informieren Sie mich, wenn Sie Neuigkeiten in Erfahrung bringen«, wünscht der Polizist, legt die rechte Hand auf Fellers Rücken und schiebt ihn sanft Richtung Parkplatz.
Jürg Lüthi bohrt inzwischen erneut seine Schuhspitze in den Morast. Mit Erfolg.
»Hoppla! Was haben wir denn da?«
»Wenn das jetzt kein stichhaltiges Argument ist.«
Im wulstigen Rand von Assistent Lüthis Gummisohle steckt eine medizinische Spritze mit aufgeschraubter Kanüle, wie sie unter anderem in der Drogenszene verwendet wird. Sofort ist er von Mitarbeitern des KTD umringt. Irgendwie scheint es denen peinlich zu sein, das Ding übersehen zu haben. Das kompensieren sie jetzt mit übertriebener Vorsicht.
»Stopp! Nicht berühren! Heben Sie bitte vorsichtig den Schuh! Die Kanüle und der Körper der Spritze dürfen weder beschädigt noch kontaminiert werden.«
»Schade. Ich brenne darauf, mich an einer Drögelerspritze zu infizieren«, witzelt Jürg Lüthi, kommt bei den Beamten damit aber nicht besonders gut an. Also stützt er sich gehorsam auf die Schulter eines KTD-Mitarbeiters. Ein weiterer kniet vor Jürg Lüthi nieder und entfernt mit Handschuhen geschützt vorsichtig die Spritze von Lüthis Schuh, als gelte es, eine Tretmine zu entschärfen.
»War das Opfer als Drogenkonsument bekannt?«, fragt Hauptmann Geissbühler.
»Wohl kaum«, meint Hanspeter Feller. »Sonst hätte es vermutlich keine Lebensversicherung abschließen können.«
»Es sei denn, die Drogensucht ist im Versicherungsantrag verheimlicht worden«, wendet sein findiger Assistent ein.
»Umso besser für unsere Mandantin. In diesem Fall wäre die Versicherung von der Leistungspflicht definitiv entbunden, egal ob Unfall oder Suizid. Es wird also zentral sein, die Fakten um eine mögliche Drogensucht des Opfers zu klären.«
»Keine Sorge, Herr Feller«, beschwichtigt Hauptmann Geissbühler. »Auch diesem Aspekt der Untersuchung werden wir die erforderliche Aufmerksamkeit schenken. Allerdings ist noch nicht bewiesen, dass die Spritze mit dem Opfer in Verbindung steht. Selbst wenn darin Heroinrückstände nachgewiesen werden können, ist das kein Beweis, dass der junge Balmberg es sich gespritzt hat. Und wenn er die Spritze doch benutzt hat, muss das nicht zwangsläufig auf einen Drogenkonsum hindeuten. Es besteht auch die Möglichkeit, dass es sich um eine Insulinspritze handelt. Ziehen Sie also bitte keine voreiligen Schlüsse, meine Herren.«
Hanspeter Feller schätzt die Schulmeisterei des Polizisten zwar nicht besonders, hält es aber für klüger, jetzt nicht empfindlich zu reagieren. Die Begehung vor Ort ist ohnehin bald abgeschlossen. Die Thuner Detektive verabschieden sich so rasch als möglich und begeben sich zu Lüthis Fiat zurück.
Bevor der Assistent den Zündschlüssel dreht, schaut er seinen Chef fragend an. »Und, Hanspudi, was hältst du von der ganzen Sache?«
Feller zögert. »Was ist für dich denn die ›ganze Sache‹? Meinst du die Zerstörung am Tatort, die sichergestellte Spritze oder das Opfer?«
»Ich denke vor allem an die Frage, ob der junge Mann Opfer eines Unfalls, eines Verbrechens oder einer Selbsttötung ist«, antwortet Lüthi. »Das ist doch das Einzige, was die Versicherungsgesellschaft von uns erfahren möchte. Sie hofft, den Eltern des Verstorbenen die hohe Lebensversicherung nicht auszahlen zu müssen.«
Feller nickt. »Schon klar. Ich suche jedoch nach der Wahrheit, genauso wie die Polizei. Auch wenn wir im Auftrag der Versicherung versuchen, Licht in den Fall zu bringen, fühle ich mich keineswegs verpflichtet, der Hypothese eines Suizides vorschnell den Vorrang zu geben. Das weiß auch Hauptmann Geissbühler. Darum vertraut er auf unsere objektive Unterstützung und erlaubt uns bereits zu einem so frühen Zeitpunkt der Ermittlungen die Präsenz am frischen Tatort.«
Lüthi versteht und startet den Motor. Der kleine Wagen röhrt wie ein großer. Das liegt vermutlich nicht an der PS-Zahl, sondern am defekten Auspuff.
Gemeinsam fahren die Detektive in ihr Büro an der Frutigenstrasse in Thun zurück. Ein Katzensprung von wenigen Minuten. Die Detektei befindet sich in einem unpersönlichen Mehrfamiliengebäude aus den Siebzigerjahren. Außer der Detektei sind darin weitere semiprofessionelle Kleinunternehmen untergebracht: ein Nagelstudio, ein thailändischer Massagesalon und ein Notariat. Im obersten der drei Stockwerke sollen angeblich noch zwei Wohnungen privat genutzt werden. Feller hat in all den Jahren aber nie jemanden angetroffen. Die entsprechenden Briefkästen im Erdgeschoss sind zwar mit Namensschildchen bestückt. Die Briefschlitze sind jedoch seit Langem mit braunem Klebeband zugeklebt. Vermutlich hoffen die unsichtbaren Eigentümer der entsprechenden Wohnungen auf einen Anstieg der Immobilienpreise im Berner Oberland. Der Betonbau steht direkt an der lärmigen Hauptstraße gegenüber einem reformierten Kirchgemeindehaus, das an diesem Platz wenig zur stillen Einkehr einlädt.
Zurück in der Detektei schaltet Hanspeter Feller den Fernseher mit den Regionalnachrichten ein. Er will wissen, was über das Unglück im Gwatt gesendet wird.
Die Sprecherin berichtet: »Schock und Panik am Thunersee. Auf dem Campingplatz Gwatt bei Thun ist in der Nacht auf heute ein verheerendes Feuer ausgebrochen. Um 1 Uhr explodierte in einem Wohnmobil am Rande des Geländes eine Gasflasche, worauf ein weiterer Wohnwagen und Zelte in Brand gerieten. Durch den Seewind breitete sich das Feuer schnell aus. Tragischerweise ist ein Opfer zu beklagen. Sieben weitere Menschen sind verletzt worden. Die Feuerwehr war nur wenige Minuten nach Brandausbruch vor Ort.«
Eine Augenzeugin im Rentenalter berichtet mit bebender Stimme: »Es hat gedonnert wie verrückt. Dann ist das Feuer ganz schnell auf den andern Wohnwagen übergesprungen. Weil wir alle Gasflaschen benutzen, haben sich weitere Explosionen ereignet. Schließlich hat das Feuer auch unser Zelt erwischt und wir mussten fliehen. Wir haben alles verloren. Schauen Sie, man sieht nur noch die verbogenen Metallstangen unseres Campingtisches. Die Detonationen schleuderten Trümmerteile bis zum Kinderspielplatz. Die Hitze des Feuers war derart gewaltig, dass sie dort sogar die Kinderrutsche hat schmelzen lassen. Das ist doch verrückt, so was! Der reine Wahnsinn!«
Die Nachrichtensprecherin berichtet weiter: »Auf dem Zeltplatz bleibt ein Bild der Zerstörung zurück. Der Pächter des Platzes schätzt den Schaden auf mehrere Hunderttausend Franken. Vor Ort ist jetzt unser Reporter Kasimir Schmetzler. Das sind eindrückliche Bilder, die Sie uns da zeigen. Wie geht es den Verletzten?«
»Wir haben soeben die allerneusten Zahlen erhalten. Unterdessen sind es acht Verletzte und ein Todesopfer. Drei der Verletzten, darunter ein schwer verletzter Mann, befinden sich im Spital. Sie leiden an Rauchvergiftung und Verbrennungen.«
Die Nachrichtensprecherin fragt weiter: »Wie sieht die Situation für die unversehrten Campinggäste aus?«
»Der Campingplatz ist im Moment gesperrt«, weiß Schmetzler. »Alle Leute sind evakuiert worden. Wie mir der Sprecher der Kantonspolizei eben mitgeteilt hat, sollen im Verlauf des Nachmittags die Gäste der unversehrten Lagen jedoch in ihre Zelte und Camper zurückkehren können. Es besteht angeblich keine Explosionsgefahr mehr.«
»Danke nach Thun für diese ersten Informationen.«
Hanspeter Feller stellt den Flimmerkasten ab. »Keine gute Werbung für das Berner Oberland.«
»Hoffentlich gewinnt der FC Thun heute Abend wenigstens das Derby«, meint Jürg Lüthi. »Wie waren eigentlich deine Ferien, Hanspudi?« Er fährt sich dazu durch die blonde Mähne. »Du siehst so erholt aus.«
»Merci«, quittiert sein Chef kurz angebunden.
»Neues entdeckt?«
»Habe mich bloß etwas in der Gegend umgeschaut.«
»Mit Eleonore Günther?«
»Nein.«
»Allein?«, bohrt Lüthi weiter.
Feller kommt das Verhör ungelegen. Er beendet es mit einem lang gezogenen »Neeein«.
Glücklicherweise klingelt in diesem Augenblick das Telefon.
»Detektei Feller, Feller am Apparat.« Er horcht. »Aha. Also doch. Wie war das schon wieder, Herr Geissbühler? Haben Sie uns nicht eine Flasche Schämpis versprochen?« Feller wendet den Kopf zu Lüthi und blinzelt ihm zu. »Na dann. Ja, klar. Verstehe. Nein, nein. Das geht mich so weit nichts an. Ja, mache ich. Auf Wiederhören, Herr Geissbühler.« Er legt auf. »Hast du es mitbekommen, Jüre?«
»Doch eine Heroinspritze?«
»Wie vermutet.«
»Warten wir auf die Ergebnisse der Obduktion.«
»Darf Geissbühler die uns überhaupt kommunizieren?«
Feller denkt nach, ohne auf den Einwand seines Assistenten einzugehen. Dazu zwirbelt er zwischen Daumen und Zeigefinger ein Augenbrauenhärchen, bis es sich widerstandslos aus seiner Verwurzelung löst. »Mir geht da gerade so ein Gedanke durch den Kopf …«
»Sprich es aus«, fordert Jürg Lüthi.
Sein Chef ziert sich vorerst. »Ich weiß nicht recht. Aber angenommen, der junge Balmberg war Drogenkonsument: Müssen wir dann unsere Hypothesen nicht erweitern? Kommt da nicht ein ganz neues und heikles Element ins Spiel?«
»Mach schon, Hanspudi«, drängt Lüthi.
»Es geht um das spezielle Milieu.«
»Du meinst das Drogenmilieu?«
Feller schüttelt sein ergrautes Haupt. »Nein. Das Milieu der Berner Patrizier. Wie gehen die in ihren Kreisen mit einem adeligen Junkie um?«
»Willst du damit andeuten, dass wir neben den Hypothesen von Unfall und Selbstmord …« Der überraschte Assistent vergisst glatt, den Mund zu schließen.
»… auch ein Gewaltverbrechen nicht ausschließen dürfen«, bejaht sein Chef. »Einerseits kann ein solch vermögender und prominenter Konsument für einen Dealer oder einen anderen Junkie ein lohnendes Erpressungsopfer darstellen. Andererseits ist auch nicht auszuschließen, dass radikale Patrizier die Schande ihrer biederen Gesellschaft beseitigten.«
»Du meinst, lieber ein tragisches ›Unfallopfer‹ beklagen, als einen heroinsüchtigen Herrensohn tolerieren?«
»Ja, so ungefähr«, bestätigt Feller.
»Was heißt das nun für unsere Arbeit?«, fragt sein Assistent etwas ratlos.
Hanspeter Feller erhebt sich schwerfällig. Er öffnet das Fenster zur belebten Frutigenstrasse. Ob der Vorteil der einströmenden Frischluft den Nachteil des Verkehrslärms aufhebt?
»Für unsere Arbeit bedeutet das in erster Linie mehr Aufwand.«
Jürg Lüthi schmunzelt. »Toll. Schließlich werden unsere Dienste nach Aufwand honoriert.«